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SWR3 Worte

Es ist ein merkwürdiges und doch einfaches Geheimnis der Lebensweisheit aller Zeiten, dass jede kleinste selbstlose Hingabe, jede Teilnahme, jede Liebe uns reicher macht, während jede Bemühung um Besitz und Macht uns Kräfte raubt und ärmer werden lässt. Das haben die Inder gewusst und gelehrt und dann die weisen Griechen und dann Jesus, dessen Fest wir bald feiern... Ihr mögt es mit Jesus halten oder mit Plato, mit Schiller oder mit Spinoza überall ist das die letzte Weisheit: dass weder Macht noch Besitz noch Erkenntnis selig macht, sondern allein die Liebe. Jedes Selbstlossein, jeder Verzicht aus Liebe, jedes tätige Mitleid, jede Selbstentäußerung scheint ein Weggeben, ein Sichberauben, und ist doch ein Reicherwerden und Größerwerden, und ist doch der einzige Weg, der vorwärts und aufwärts führt...

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SWR1 3vor8

02JAN2022
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„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“ In einem der bekanntesten Gedichte des Schriftstellers Hermann Hesse steht dieser Satz. Ob er auch jetzt gilt, am Anfang dieses neuen Jahres? Wahrscheinlich beginne nicht nur ich dieses neue Jahr mit so vielen Fragezeichen. So schwierig wie diesmal ist es mir selten gefallen, für die Monate, die vor mir liegen, auch nur irgendetwas verlässlich zu planen. Viel zu groß sind die Unsicherheiten, die mich am Anfang dieses Jahres 2022 begleiten.

Hermann Hesses Gedicht trägt den Titel „Stufen“. Um Lebensabschnitte, um Stufen im Leben also geht es da. Jeder Einschnitt im Leben, jedes Mal, wenn ein Lebensabschnitt zu Ende geht und ein neuer beginnt, erzeugt das ja bei Vielen diffuse Gefühle. Auch bei mir. Ob es um den Umzug an einen anderen Ort geht. Um die Aufnahme einer neuen Tätigkeit. Oder auch die Trennung von einem liebgewonnenen Menschen. Verlust, Angst und Unsicherheit vermischen sich nicht selten dabei auch mit neuen Chancen oder Hoffnungen. Mit einer Aufbruchsstimmung, hinein in eine neue Phase des Lebens. Eine Veränderung im Leben ist darum immer beides, Abschied und neuer Anfang zugleich. Und bei allen offenen Fragen und Unsicherheiten kann in jedem Neubeginn tatsächlich auch ein Zauber liegen. Warum nicht auch jetzt, am Anfang eines neuen Jahres?

„Im Anfang war das Wort“, so heißt es heute Morgen in den Katholischen Gottesdiensten. Es sind die ersten Worte des Johannesevangeliums. Wie ein Vorwort hat sie der Verfasser seinem Evangelium damals vorangestellt. „Und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“. So geht es weiter. Im Anfang von allem, kann mir das sagen, da war nicht Nichts, sondern ein Wort. Das ist ein tröstlicher und irgendwie auch ermutigender Gedanke, finde ich. Dass auch im Urknall vor Milliarden Jahren schon, am Beginn von Raum und Zeit, Gott da war. Der deutsche Astrophysiker Heino Falcke hat in einem Buch dazu geschrieben: Die Suche nach Gott bleibt … hochaktuell und wichtig. Denn wie ich den Anfang denke, bestimmt auch, wie ich das Heute und Morgen sehe. Und wenn Gottes Wort der Welt am Anfang nicht bloß Regeln und Naturgesetze gegeben hat. Wenn Gott uns alle und auch mich vielmehr von Anfang an gewollt hat, dann darf ich hoffen, dass er auch jetzt da ist. Am Anfang dieses neuen Jahres, mich beschützt und mir hilft zu leben. Was auch immer das Jahr noch bringen wird.

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SWR4 Abendgedanken BW

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben, schreibt Hermann Hesse in seinem Stufengedicht. Er fasst in Worte, was jeder kennt. Das Leben ist voller Anfänge: Geburt, Schulbeginn, Ausbildung, Studium, Familie, Beruf, Rente und viele mehr. Gerade steht bei mir auch wieder ein Anfang an - ein Stellenwechsel. So ein neuer Anfang heißt immer beides. Man lässt etwas zurück und bekommt die Chance etwas Neues zu machen. Die Menschen, mit denen ich jeden Tag zusammengearbeitet habe, werde ich in Zukunft nicht mehr so oft sehen. Und die Arbeit hat  Spaß gemacht. Andererseits freue ich mich auf neue Herausforderungen. Neue Menschen, neue Aufgaben, neues Umfeld. Also Koffer packen und los gehts.
Den ersten Jüngern von Jesus ist es damals bestimmt ähnlich gegangen.[1] Als Jesus so plötzlich am Seeufer stand und von einer ganz neuen Aufgabe gesprochen hat. Simon und Andreas waren wie jeden Tag fischen, sie waren ja Fischer. Jesus ist am Ufer vorbeigelaufen und hat gerufen, dass sie ihm nachfolgen sollen. Und das haben sie gemacht - einfach so. Wie konnten sie das?
Ich glaube, Vertrauen ist das Zauberwort. Simon und Andreas haben diesem Jesus vertraut. Haben darauf vertraut, dass es das Richtige ist, was sie tun. Das hat ihnen Mut gemacht. Vielleicht ist das der Zauber, der uns beschützt und hilft zu leben, von dem Hermann Hesse spricht.
Ich finde es jedenfalls sehr mutig, dass sie einfach ins Ungewisse mitgegangen sind. Und die Geschichten der Bibel zeigen ja auch, dass es nicht immer einfach war. Was wäre denn gewesen wenn die Jünger sich nicht getraut hätten. Wenn sie einfach Fischer geblieben wären? Hermann Hesse spricht in seinem Gedicht davon, dass sich dann lähmende Gewohnheit breit macht, wenn man sich irgendwo zu heimisch fühlt.
Die Geschichte von Simon und Andreas macht mir Mut für meinen neuen Anfang. Weil in ihrem Vertrauen zu Jesus dieser Zauber spürbar wird, von dem Hesse spricht. Und die Geschichte hilft mir zu spüren, dass ich diesen Weg nicht allein gehen werde. Das wünsche ich auch Ihnen heute Abend: Dass Sie Ihre Anfänge, die Sie vielleicht in der nächsten Zeit erwarten, auch mit dieser Gewissheit beginnen können, wie sie Hermann Hesse beschreibt:

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

(Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!)
[2]


[1] Markus 1,16-18
[2]http://www.lyrikwelt.de/gedichte/hesseg1.htm oder Das Lied des Lebens - die schönsten Gedichte von Hermann Hesse, Suhrkamp Verlag, 1986.

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SWR Kultur Wort zum Tag

Hermann Hesses Gedanken über das Alter beschäftigen mich immer wieder. Sie bringen eine Saite in mir zum Schwingen, die häufig stumm ist; denn es ist nicht selbstverständlich und auch nicht ganz leicht, sich mit dem eigenen Älterwerden ehrlich auseinander zu setzen. Es geht dabei ja nicht um theoretische Fragen, sondern um mich selbst und um den Sinn des eigenen Lebens.
Bei Hesse lese ich: „Auf eine menschenwürdige Art alt zu werden und jeweils die unserem Alter zukommende Haltung […] zu haben, ist eine schwere Kunst.“ Man ist „mit seinem Alter nicht immer auf einer Stufe, man eilt innerlich oft voraus, und öfter bleibt man hinter ihm zurück. – das Bewußtsein und Lebensgefühl ist dann weniger reif als der Körper, wehrt sich gegen dessen natürliche Erscheinungen, und verlangt etwas von sich selber, was er nicht leisten kann.“1 Dabei geht es nicht nur um die Grenzen der physischen Leistungsfähigkeit, es geht auch um Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben, um Ziele, die nicht erreicht worden sind und die sich auch nicht mehr erzwingen lassen. Am allerwenigsten lässt sich die Antwort auf die Frage erzwingen, welchen Sinn das Leben hat. Dass mein Lebensgefühl dadurch manchmal etwas durcheinander gerät, dafür muss ich mich nicht schämen.
Das ist allerdings nicht nur eine Frage des Älterwerdens. Ich erlebe auch jüngere Menschen, denen die Zukunft abhanden gekommen zu sein scheint und die von Angst besetzt sind. Die Krise unserer Gesellschaft, von der zur Zeit viel die Rede ist – ist sie nicht vor allem eine Krise des Vertrauens darauf, dass trotz bedrückender Erfahrungen überall Spuren von Sinn zu finden sind, Chancen des Neuen? Man muss allerdings offen dafür sein.
Hermann Hesse sagt: „Erst im Altwerden sieht man die Seltenheit des Schönen, und welches Wunder es eigentlich ist, wenn zwischen Fabriken und Kanonen auch Blumen blühen und zwischen Zeitungen und Börsenzetteln auch noch Dichtungen leben.“2 Und weiter heißt es: „Für den, der alt geworden ist, war das Suchen ein Irrweg und das Leben verfehlt, wenn er nichts […] über ihm und seinen Sorgen Stehendes, nichts Unbedingtes oder Göttliches zu verehren gefunden hat“, in dessen Dienst er sein Wirken stellt und das seinem Leben Sinn gibt.3
Ist das eine Alterssicht auf das Leben? Ja, aber es ist auch eine junge Sichtweise, weil sie nicht resigniert ist, sondern dem Überraschenden, der Hoffnung, der inneren Freiheit Raum gibt.

1 Hermann Hesse, Mit der Reife wird man jünger. Betrachtungen und Gedichte über das Alter, hrsg. v. Volker Michels, Frankfurt/M.-Leipzig 1990 (insel taschenbuch 2311), 54 f., 50 f. (1952).
1 Hermann Hesse, Mit der Reife wird man jünger. Betrachtungen und Gedichte über das Alter, hrsg. v. Volker Michels, Frankfurt/M.-Leipzig 1990 (insel taschenbuch 2311), 90 (1953); 54 f. (1952).
2 A.a.O. 79 (1953).
3 Vgl. a.a.O. 80 (1953).
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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

02JUL2023
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„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“ – diese Worte stammen von dem Dichter Hermann Hesse. Sie stehen auf Postkarten, Türschildern oder in Kalendern. Ich muss gestehen: Ich habe immer ein zwiespältiges Verhältnis zu diesen Worten gehabt. Vielleicht, weil ich auch schon Anfänge erlebt habe, die mir aufgezwungen worden sind, die ich nicht freiwillig gemacht habe.

Oder Anfänge, bei denen der Abschiedsschmerz die Anfangsfreude überdeckt hat.
Aber vor Kurzem habe ich wieder eine Idee von dem Zauber des Anfangs bekommen. Wegen Anne, wir kennen uns seit Schulzeiten. Sie hatte vor kurzem die Arbeitsstelle gewechselt und gerade ihren ersten Tag hinter sich. Gleich am Morgen war sie in ihrer Abteilung durch die Büros geführt worden.

Klar, viele Namen konnte sie sich nicht merken, aber sie hat in viele freundliche Gesichter gesehen. Zum ersten Feierabend wurde ihr dann auch noch ein großer Blumenstrauß überreicht und Anne hat ganz verzaubert ausgesehen, als sie mir davon erzählt hat. Sie hat den Blumenstrauß angeschaut, gelächelt und Hermann Hesse zitiert: „Ach weißt du, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“.

Annes Anfang war offensichtlich gelungen.
Einige Wochen später haben wir uns wieder getroffen. Auf meine Frage nach der neuen Arbeit hat sie gelächelt und wieder mit Hermann Hesse geantwortet: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“. So geht der Satz nämlich weiter.

„Klar, es ist nicht mehr so wie am Anfang, aber der erste Tag war ein Zeichen“, hat Anne gesagt. „Ich habe mich willkommen gefühlt und das hat mich durch die nächsten Tage und Wochen getragen.“

Damit war klar: Auch Annes neue Arbeit hat gute und weniger gute Seiten, aber der Zauber des Anfangs trägt sie und das war wundervoll zu sehen und zu spüren. Ihr geht es gut, auch in den Niederungen des Arbeitsalltages.

Einen Anfang zu wagen und dabei getragen zu werden – dieser Zauber ist für mich ein Geschenk Gottes. Wenn dann noch Andere versuchen, den Anfang gut zu gestalten, dann kann es eigentlich kaum besser sein.

Ich jedenfalls will versuchen, anderen ihre Anfänge zu erleichtern, um den Zauber nicht zu behindern, der im Aufbruch und Anfang liegt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19FEB2020
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In Fernsehkrimis wird viel gemordet. Meistens gleich am Anfang und oft dann auch zwischendrin noch mehrmals. Und dann wird aufgeklärt, wer es war, meistens erfolgreich. Am Schluss kann man zufrieden sein. Ich bin froh, dass die Polizei so tüchtig ist und die Täter eingesperrt werden.

Was ich komisch finde: Die Angehörigen von Toten spielen selten eine Rolle. Was ist mit ihrem Leid? Im FernsehKrimi kriegt man das Gefühl: Wenn nur die Tat aufgeklärt ist und die Täter gefasst sind, dann ist alles wieder gut. Aber stimmt das? Die Hinterbliebenen bleiben trotzdem fassungslos allein. Was kann sie trösten?

Die Tat ist aufgeklärt, jetzt sollen sie sich dem Leben wieder zuwenden. Trost kommt nicht vor. Mir ist das vor zwei Wochen beim Krimigucken aufgefallen. Da kam im Krimi eine Beerdigung vor. Am Ende hat der Fernsehpastor Hermann Hesse zitiert. Sein wunderbares Gedicht „Stufen“ Sie kennen das vielleicht. Vom Abschied ist die Rede, vom Aufbruch und von jedem Anfang, dem ein Zauber innewohnt.

Aufgefallen ist mir: Das Wort Abschied kam nicht vor, beim Pastor im Krimi. Bei ihm hieß es stattdessen gleich Aufbruch. Obwohl er das Gedicht angeblich wörtlich vorgetragen hat. „Abschied“, das war fürs Unterhaltungsprogramm am Abend wohl zu traurig. Also lieber den Abschied überspringen und gleich Aufbruch und Neubeginn.

Wer schon einmal einen lieben Menschen begraben musste, der weiß, dass das so nicht geht. Abschied tut weh – und es dauert oft lange, bis man sich dem Leben wieder zuwenden und aufbrechen kann. Manchmal gelingt es gar nicht.

Ich glaube: Man kann nur gut Abschied nehmen, wenn man weiß, wohin der andere geht. Dass er da gut aufgehoben ist, wo er hingeht. Dass er gewissermaßen eine gute Zukunft hat. Man kann nur gut Abschied nehmen, wenn man Hoffnung hat für den anderen. Wenn ich die Kinder losgehen lasse in den Kindergarten – das geht nur, wenn ich weiß: da sind sie gut aufgehoben. Als meine später aus dem Haus gegangen sind – da habe ich für sie gehofft, für ihre Pläne und ihre Zukunft. So kann man Abschied nehmen – auch wenn es weh tut.

Wir Christen glauben, dass die Toten bei Gott gut aufgehoben sind – keine Tränen mehr, kein Leid, kein Geschrei. Ich finde, das hilft, sie gehen zu lassen. Hermann Hesse übrigens hat das in seinem Gedicht auch gesagt: „Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegensenden, des Lebens Ruf an uns wird niemals enden“. Das hat der Pastor im Film auch verschwiegen. Schade eigentlich. Denn erst dann kann man mit Hermann Hesse sagen: „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

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SWR Kultur Wort zum Tag

Über den alten Flughafen weht der Herbstwind. Hier gehe ich oft spazieren. Flugzeuge landen hier schon lange nicht mehr. Die früheren Landebahnen sind überwachsen mit Gräsern und Heide. Hin und wieder eine einzelne Birke. Auf den Informationstafeln am Weg lese ich über die Geschichte des alten Flughafens. Nach dem Krieg war sogar einmal im Gespräch, ihn zum internationalen Drehkreuz auszubauen. Daraus ist nichts geworden. Heute ist er ein Naturschutzgebiet. Es erinnert an eine karge Dünenlandschaft.

Auf einer der Info-Tafeln finde ich ein Gedicht von Hermann Hesse. „Welkes Blatt“ heißt es und beginnt so: „Jede Blüte will zur Frucht. Jeder Morgen Abend werden, Ewiges ist nicht auf Erden als der Wandel als die Flucht.“

Es ist ein Herbstgedicht. In ihm spiegelt sich der große Umbruch in der Natur – jetzt, wo der Sommer in den Herbst übergeht. Aber es ist zugleich ein Sinnbild für dieses Stückchen Erde vor mir, das einmal militärischen Zwecken diente.

„Auch der schönste Sommer will einmal Herbst und Welke spüren, halte, Blatt, geduldig still, wenn der Wind dich will entführen.“ Auch hier vor Ort ist zu beobachten, dass nichts bleibt, wie es ist. Die Wiese ist gelb und trocken. Das Welken ist überall zu spüren. In der Natur. Auf meiner Haut. Um mich herum.
Und so schließt das Gedicht: „Spiel dein Spiel und wehr dich nicht, lass es still geschehen. Lass vom Winde, der dich bricht, dich nach Hause wehen.“

Hermann Hesse war nicht fromm im herkömmlichen Sinn. Er stammte zwar aus einem strengen pietistischen Elternhaus. Aber er hat sich ein Leben lang gegen eine Religiosität gewehrt, die er als unfrei und einengend empfunden hat. Trotzdem hat er gewusst, dass es Dinge gibt, gegen die man sich nicht wehren sollte. Weil sie geradezu naturwüchsig auf einen zu kommen. Wie nach dem Sommer der Herbst. Wie nach dem Wachsen das Welken.

Einverstanden sein mit diesem Wechsel, das ist gut. Nicht krampfhaft festhalten wollen, das wäre eine lebensdienliche Haltung. Sie verhindert,   dass ich mich am Unabwendbaren aufreibe. Und ich denke: einverstanden zu sein mit dem Wandel, das geht leichter, wenn man die Richtung kennt.

Für Hermann Hesse heißt die Richtung: nach Hause. Ich finde, das ist eine gute Auskunft, mit der auch ich leben kann. Einverstanden zu sein, weil es bei allem Wechsel nach Hause geht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Es bleibt zwischen zwei Menschen, sie seien noch so eng verbunden, immer ein Abgrund offen, den nur die Liebe überbrücken kann" - der Dichter Hermann Hesse (1877 - 1962) hat das gesagt. Was für ein ehrlicher Satz! Je länger ich darüber nachdenke, um so deutlicher erkenne ich, dass das stimmt. Und dass es - so nehme ich an - für jede Art von Beziehung gilt. Jeder Mensch ist einmalig und einzigartig. Er hat aber auch seine persönliche Lebensgeschichte und ist geprägt von seiner familiären und sozialen Herkunft, von seiner Erziehung, von seinen Veranlagungen und seelischen Befindlichkeiten. Einer meiner besten Freunde ist Grieche, ich bin bodenständiger Schwabe. Was für unterschiedliche Mentalitäten. Das alles müssen noch keine „Abgründe" ergeben, von denen Hermann Hesse spricht. Wären da nicht noch ganz andere Störungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich gehe auf Sicherheitsabstand aus Angst, mein Gegenüber könnte zum Konkurrenten, zum Rivalen, gar zum Feind werden. Da tun sich - oft unbewusst  - tiefe Abgründe auf: Eifersucht, Neid, innere Verletzungen. Und das alles - sagt Hermann Hesse - „kann nur die Liebe überwinden". Und wie kann sie das? - Gewiss nicht einfach so, dass man sich voll von Gemütswallungen um den Hals fällt. Liebe, die die Abgründe überbrücken kann, ist der Respekt vor dem anderen. Dazu gehört auch, was mein Gegenüber fühlt, welche Erfahrungen sie/ihn geprägt haben, welche Biographie sie/er hat. Respekt haben heißt auch, dass der andere nicht sein muss, wie ich ihn haben möchte. Sie/Er darf anders sein als ich. Haben zwei in ihrer Beziehung Respekt voreinander, dann kann die Liebe Abgründe überbrücken. Dann sind zwei füreinander da, ohne einander zu bevormunden, ohne übereinander zu herrschen. Dann sind zwei füreinander da, ohne sich voneinander abhängig zu machen, ohne einander ständig kontrollieren zu müssen und besitzen zu wollen. Mit einem solchen Respekt voreinander kann Liebe Abgründe überbrücken, Vertrauen schenken und Freude machen.

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SWR4 Abendgedanken BW

Geduld ist das Schwerste und das Einzige,
was zu lernen sich lohnt.
Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede,
alles Gedeihen und Schöne in der Welt beruht auf Geduld,
braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen.

Hermann Hesse hat diese Worte formuliert. Sie berühren mich, denn „Geduld haben“ ist für mich nicht immer so leicht. Manchmal fällt es mir richtig schwer mich auf eine Sache zu konzentrieren. „Schnell, schnell fertig werden“, sag ich mir, „nur nicht stehen bleiben“. Am liebsten würde ich vier Dinge gleichzeitig tun. Und wenn es nicht schnell genug geht, dann werde ich ungeduldig und zwar ziemlich.
Hermann Hesse ist hoffnungsvoll: Zwar gehört die Geduld zu den Eigenschaften eines Menschen, die am schwersten zu lernen wären. Aber wir können uns zum Beispiel von der Natur um uns herum etwas abschauen, gerade jetzt zum Frühlingsbeginn, wo alles wächst und gedeiht. Wir sehen, dass jede Pflanze sich die Zeit zum Reifen nimmt, die sie braucht. Alles Schöne braucht Zeit zum Erblühen. Das ist auch bei uns Menschen so. Gerade, wenn in uns etwas aufbricht oder etwas Neues entsteht, dann brauchen wir eine bestimmte Zeit dafür, um es entstehen zu lassen. Ohne zu hetzen und ohne Eile. Es ist schon eine tiefe Weisheit in diesen Sätzen, die Hermann Hesse schreibt, „alles Gedeihen und Schöne in der Welt beruht auf Geduld“, denn es braucht seine Zeit, bis die Samen, die wir in die Erde setzen, Frucht bringen. Aber es lohnt sich darauf zu warten und mit Vertrauen auf das zu schauen, was daraus wird. Ich bewundere Menschen, die die richtige Portion Geduld in sich tragen, die warten können. Sie strahlen so einen inneren Frieden aus. Ich denke mir oft, in dieser innerlichen Ruhe liegt die Kraft, die ich brauche. Vielleicht fängt die Geduld bei der Dankbarkeit an. Und dann kommt das Vertrauen dazu, dass ich nicht alles alleine schaffen muss. Dass ich manche Dinge auch abgeben kann. Ich habe ein Gebet entdeckt, das dieses Vertrauen ausdrückt:

Herr und Gott,
du hast mehr Geduld als ich.
Du hast mehr Zeit.
Wenn ich mich dir überlasse, habe auch ich Zeit.
Du forderst nicht alles auf einmal.
Während ich nicht mehr will,
nicht mehr kann oder nicht weiterweiß,
wirfst du den Samen aufs Land,
bis er in mir Wurzel schlägt und wächst
und aus meinem Leben Frucht reift: Deine Frucht.




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SWR3 Worte

04MAI2022
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„Bäume sind eindringliche Prediger“, davon war der Dichter Hermann Hesse überzeugt. In seinen Texten kommen deshalb auch die Bäume zu Wort. Was sie sagen klingt wie ein guter Rat auch an uns Menschen:   

„In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Leben vom ewigen Leben. (…) Meine Kraft ist das Vertrauen. Ich weiß nichts von meinen Vätern, ich weiß nichts von den tausend Kindern, die in jedem Jahr aus mir entstehen. Ich lebe das Geheimnis meines Samens zu Ende, nichts anderes ist meine Sorge. Ich vertraue, dass Gott in mir ist. Ich vertraue, dass meine Aufgabe heilig ist. Aus diesem Vertrauen lebe ich.“

 

Hermann Hesse, Wanderung, Suhrkamp Verlag, 1975, S. 68-69

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