SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben, schreibt Hermann Hesse in seinem Stufengedicht. Er fasst in Worte, was jeder kennt. Das Leben ist voller Anfänge: Geburt, Schulbeginn, Ausbildung, Studium, Familie, Beruf, Rente und viele mehr. Gerade steht bei mir auch wieder ein Anfang an - ein Stellenwechsel. So ein neuer Anfang heißt immer beides. Man lässt etwas zurück und bekommt die Chance etwas Neues zu machen. Die Menschen, mit denen ich jeden Tag zusammengearbeitet habe, werde ich in Zukunft nicht mehr so oft sehen. Und die Arbeit hat  Spaß gemacht. Andererseits freue ich mich auf neue Herausforderungen. Neue Menschen, neue Aufgaben, neues Umfeld. Also Koffer packen und los gehts.
Den ersten Jüngern von Jesus ist es damals bestimmt ähnlich gegangen.[1] Als Jesus so plötzlich am Seeufer stand und von einer ganz neuen Aufgabe gesprochen hat. Simon und Andreas waren wie jeden Tag fischen, sie waren ja Fischer. Jesus ist am Ufer vorbeigelaufen und hat gerufen, dass sie ihm nachfolgen sollen. Und das haben sie gemacht - einfach so. Wie konnten sie das?
Ich glaube, Vertrauen ist das Zauberwort. Simon und Andreas haben diesem Jesus vertraut. Haben darauf vertraut, dass es das Richtige ist, was sie tun. Das hat ihnen Mut gemacht. Vielleicht ist das der Zauber, der uns beschützt und hilft zu leben, von dem Hermann Hesse spricht.
Ich finde es jedenfalls sehr mutig, dass sie einfach ins Ungewisse mitgegangen sind. Und die Geschichten der Bibel zeigen ja auch, dass es nicht immer einfach war. Was wäre denn gewesen wenn die Jünger sich nicht getraut hätten. Wenn sie einfach Fischer geblieben wären? Hermann Hesse spricht in seinem Gedicht davon, dass sich dann lähmende Gewohnheit breit macht, wenn man sich irgendwo zu heimisch fühlt.
Die Geschichte von Simon und Andreas macht mir Mut für meinen neuen Anfang. Weil in ihrem Vertrauen zu Jesus dieser Zauber spürbar wird, von dem Hesse spricht. Und die Geschichte hilft mir zu spüren, dass ich diesen Weg nicht allein gehen werde. Das wünsche ich auch Ihnen heute Abend: Dass Sie Ihre Anfänge, die Sie vielleicht in der nächsten Zeit erwarten, auch mit dieser Gewissheit beginnen können, wie sie Hermann Hesse beschreibt:

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

(Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!)
[2]


[1] Markus 1,16-18
[2]http://www.lyrikwelt.de/gedichte/hesseg1.htm oder Das Lied des Lebens - die schönsten Gedichte von Hermann Hesse, Suhrkamp Verlag, 1986.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9887
weiterlesen...