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SWR Kultur Wort zum Tag
In meinem Wohnviertel gibt es ein Schaufenster, vor dem ich gerne stehen bleibe. Dort finde ich immer wieder neue originelle Kunstinstallationen. Manche Objekte leuchten, andere bewegen sich oder pulsieren.
Am Tag der Offenen Ateliers wage ich es endlich, die Klinke an der einfachen Türe zu drücken und den Raum dahinter zu betreten. Ich schlendere durch das Atelier. Ein altmodisches Telefon zieht mich an. Anstelle des Hörers liegt da eine schwere Hantel. Ich hebe die Hantel an, und lese auf dem Schildchen darunter „Heavy Talk“ – Schweres Gespräch. Witzig! Dann spreche ich mit dem Künstler. Konrad Wallmeier antwortet bereitwillig auf meine Fragen und zeigt mir seinen Arbeitsraum. Dort bemerke ich ein etwas schäbiges Kruzifix an der Wand. Keinen halben Meter misst die schmale Holzlatte des Kreuzes. Der ebenfalls hölzerne Jesus ist mit einer hellen Farbe angestrichen, die abblättert. Das Kruzifix wirkt irgendwie verloren.
Aber was ist das? Am Stamm des Kreuzes ist eine Diode angebracht. „Das ist ein Pulsmesser“, sagt der Künstler. Echt? Ich lege einen Finger auf die Diode. Sofort beginnen an dem Körper des Gekreuzigten fünf Stellen rot aufzuleuchten. Die Wundmale Jesu – jetzt blinken sie im Takt meines Pulses! Der Anblick berührt mich. Der Rhythmus meines Blutflusses, die Druckwellen meines Herzschlags, lassen die Wunden auf dem Jesuskörper leuchten. Und durch die roten Lämpchen wirkt es beinahe, als ob Jesus selbst blutet.
Eine ganze Weile lasse ich meinen Finger auf der Diode, dann legt Konrad Wallmeier seinen Finger auf. Die Wundmale leuchten in einem anderen Rhythmus, sie reagieren auf den Puls des Künstlers. Ich überlege, dass wahrscheinlich jeder Mensch nicht nur seinen eigenen Puls, sondern auch sein ganz eigenes Verhältnis zu Jesus hat. Und dass wir auf wunderbare Weise mit Jesus verbunden sind, auch wenn uns vielleicht gar nichts daran liegt. Es ist eine Blutsverwandtschaft der eigenen Art. Über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg.
Ich kann nicht anders: Ich lege meinen Finger nochmal auf den Pulsmesser. Die Wunden blinken wieder im Takt meines Pulses. Diese sichtbare Verbindung zu Jesus tut mir gut.
Als ich das Atelier etwas später verlasse, fühle ich instinktiv nach meinem Puls am Handgelenk. Das sanfte Pochen erinnert mich an den blinkenden Jesuskörper. Und mir wird klar: da liegt meine Verbindung zu Jesus. Im Leben und im Sterben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43305Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Wir müssen mal über Gott reden, sagt ein Freund, und erzählt, dass in seinen jungen Jahren vor allem der strafende Gott gepredigt wurde. Heute aber, so meint er, höre er allenthalben immer nur vom nahen Gott, vom zugewandten, nichts fordernden Gott.
Der ist immer da und wird möglichst so verkündet, dass es keinem wehtut.
Ja, ich muss meinem Freund recht geben. Das Sperrige im Leben, in der Bibel, im Reden von Gott - das glättet unsere Zunft schon mal ganz gerne und passt es ein in eine gefällige Form. Und so geraten wir in Gefahr, dass freundliche Bilder zum Gottersatz werden.
Ich denke, es ist ja erst mal gut, dass es verschiedene Gottesbilder gibt, und diese Vielfalt kann den Glaubenden davor bewahren, sich auf einen einzigen Entwurf dogmatisch festzulegen.
Fakt ist: Es sind Menschen, die von Gott reden und jedes Gottesbild ist darum menschlich, von Menschen gemacht. Zutreffend von Gott kann nur Gott selbst reden. Wo wir sagen, Gott ist so und so und handelt so und so, müssen wir uns bewusst machen, dass wir uns seiner Wirklichkeit immer nur annähern können.
In biblischen Texten und in Kirchenliedern wird Gott zum Beispiel dargestellt als König (Ps 10,16; 1. Tim.1,17), als Vater (Jes 63,16, Mt. 6,9), als Hirte (Ps 23), als Hebamme (Ps 22,10). Er hat Augen, Ohren (Ps 94) und Hände (Jes. 49,16) . Er erscheint manchmal in einer Wolken- oder Feuersäule (2. Mose 13,21); er ist eifersüchtig (Ex.20,5), es reut ihn schon mal was (Gen 6,6), und er verbirgt sich auch immer wieder.
Berühmte Religionskritiker haben uns gezeigt, dass wir dazu neigen, in den Entwürfen, die wir uns von Gott machen, auch eigene Projektionen und Wünsche einfließen zu lassen. Gott wird dann schnell mal zum Superman, der alles kann, was wir nicht können.
Wozu ich anregen möchte: behutsam sein im Reden über Gott. Gott ist anders und größer als unser Denken und Reden. Nicht so eng wie der Rahmen, in den ihn weichgespülte Bilder pressen.-
Wo man sich das immer wieder bewusst macht, kann man dann auch
mit Versen von Paul Roth sagen:
"Lasst mir meinen Gott,
ihr Schlauköpfe und Studierten.
Zerredet ihn nicht,
macht ihn mir nicht
zum Nebel, zur Formel …" 1)
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1) Paul Roth: „Wir alle brauchen Gott“ (Würzburg 1975, S. 94-96)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43284Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war von den ersten Klimastreiks 2019. So viele junge Leute waren auf die Straße gegangen, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Es gab bunte und manchmal ziemlich lustige Plakate: „Auch die Dinos damals dachten, sie hätten noch Zeit“, war da zum Beispiel zu lesen. Und es gab diese rhythmischen Rufe aus Frage und Antwort. „What do we want? Climate justice!“, „Was wollen wir? Klimagerechtigkeit!“
Heute gehen wieder international Menschen auf die Straße, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Sie wenden sich vor allem an die Politikerinnen und Politiker, die seit Montag in Brasilien beim UN-Klimagipfel über Klimamaßnahmen verhandeln. Klimagerechtigkeit: Das ist auch dort ein Riesenthema. Denn in den letzten Jahren wurde ja immer deutlicher: In der Klimakrise geht es brutal ungerecht zu. Die Länder, die sie am wenigsten verursachen, müssen am meisten darunter leiden. Vor kurzem war das wieder beim Hurrikan "Melissa" in der Karibik zu sehen.
Klimagerechtigkeit: Darum geht es auch in einem besonderen Brief zum Klimagipfel. Geschrieben haben ihn die katholischen Bischofskonferenzen von Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik. Wenn man so will: der ganze katholische globale Süden. Die Kirche kann nicht stumm bleiben, heißt es da am Anfang. Und weiter: „An der Seite der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Verwundbarsten auf diesem Planeten werden wir … die Stimme erheben, bis Gerechtigkeit hergestellt wird.“ Die Bischöfe aus dem Süden haben auch ganz konkrete Forderungen: den Stopp von Investitionen in Öl, Gas oder Kohle zum Beispiel und die Förderung von dezentralen Alternativen. Aber auch die Finanzierung von Klimamaßnahmen durch die reichen Länder aus dem Norden.
Neben großen Forderungen enthält der Brief aber auch einen großen Aufruf: einen Aufruf zu einem „historischen Bündnis“, das Menschen aus dem globalen Süden und dem globalen Norden zusammenbringt, Menschen, die miteinander dafür sorgen wollen, dass es gerecht zugeht auf unserem Planeten. Ich will bei diesem Bündnis mitmachen. Und mich einsetzen für ein gutes Leben für alle auf unserer Erde.
Linktipps:
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43274
SWR4 Abendgedanken
Haben Sie sich eigentlich schon Mal so richtig über die vielen Blätter auf dem Boden gefreut? Oder Ihren Kopf bis zu den Ohren in einen Blätterhaufen gesteckt? Oder haben Sie schon Mal beim Mittagessen jeden Bissen sehnsüchtig mit den Augen verfolgt: vom Teller Richtung Mund? Manches davon vermutlich noch nie. Aber unser Hund: jeden Tag.
Einerseits amüsiert mich das total. Andererseits bin ich manchmal fast neidisch und denke: Eigentlich toll. Hunde leben ganz im Hier und im Jetzt. Wichtig ist das, was sich jetzt im Moment vor ihnen abspielt. Bei mir ist das ganz anders. Mein Tag ist meistens durchgeplant. Aufstehen, Kinder wecken, schauen, dass alle rechtzeitig aus dem Haus kommen. Dann Schreibtisch oder Termine. Mittagessen, Fahrdienste, zwischendurch noch ein Telefonat und abends dann noch eine Sitzung. So oder so ähnlich läuft das ziemlich oft.
Vielleicht hat sich Jesus deshalb auch Tiere als Beispiel genommen. Und zu seinen Freunden gesagt: „Darum sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euer Leben – was ihr essen oder trinken sollt, oder um euren Körper – was ihr anziehen sollt. Ist das Leben nicht mehr als Essen und Trinken? Und ist der Körper nicht mehr als Kleidung? Seht euch die Vögel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln keine Vorräte in Scheunen. Trotzdem ernährt sie euer Vater im Himmel.“
Dass wir was zu essen und was zum Anziehen brauchen, das war Jesus klar. Da bin ich mir sicher. Ich glaube, dass es ihm genau darum gegangen ist: Dass ich auch das Hier und Jetzt ganz bewusst wahrnehme. Und genau das kann ich von unserem Vierbeiner lernen, glaube ich.
Mich versuchen mehr an den Dingen zu freuen, die mir gerade im Moment begegnen. Also natürlich keine Blätter und Katzen und sowas. Aber das, was ich halt so jeden Tag erlebe. Keine Ahnung: Ein Lächeln am Morgen. Ein gutes Gespräch. Eine nette Begegnung. Ein Hund, der in einem Blätterhaufen verschwindet …
Unsere Hündin macht das. Vielleicht, weil sie weiß, dass sie sich keine Sorgen darum machen muss, dass sie was zu fressen bekommt. Vielleicht, weil sie weiß, dass sie zu unserer Familie gehört.
Ich muss mich schon darum kümmern, dass es was zu essen gibt. Dass ich was zum Anziehen habe.
Und ja, es ist völlig klar, dass das selbst bei uns in unserem reichen Land nicht mehr ganz selbstverständlich ist. Und trotzdem möchte ich wieder versuchen mehr darauf zu achten: Weniger planen und mir Sorgen machen. Und mehr im Hier und Jetzt leben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43270SWR3 Gedanken
Meine Sekretärin hält mir ein Blatt Papier hin: „Wieder ein Kirchenaustritt…“ murmelt sie. Ich nicke, seufze und nehme es an mich. Auch in unserer Kirchengemeinde häufen sich die Austritte in den letzten Jahren. Und natürlich: Es gibt gute Gründe aus der Kirche auszutreten. Ein Argument, das ich immer wieder höre, lautet: „Ich zahle für etwas, das ich nicht in Anspruch nehme. Ich gehe nicht in Gottesdienste und es gibt keinerlei Angebote für Menschen in meinem Alter: Single, kinderlos und um die 40. Ich kündige ja auch mein Fitnessstudio-Abo, wenn ich nicht hingehe und die Kurse mir nicht zusagen.“
Das klingt erstmal nachvollziehbar und trotzdem sage ich: es ist zu kurz gedacht. Das System Kirche funktioniert nur durch das Prinzip der Solidargemeinschaft. Ich zahle eben nicht nur für mich. Ich zahle auch für meinen Nächsten und all die Dinge, die Kirche für Menschen tut. Ganz besonders für Menschen in Not und Krisensituationen. Wenn jemand dringend ein Seelsorgegespräch braucht und die Therapeutin eine Wartezeit von einem halben Jahr hat, dann bin ich da. Bei mir bekommt man innerhalb kürzester Zeit einen Gesprächstermin. Auch abends und am Wochenende!
Und im vergangenen Jahr habe ich sieben Menschen beerdigt, die aus der Kirche ausgetreten sind, weil es ihr expliziter Wunsch war, dass ich die Trauerfeier halte. Und ich mache das, weil ich weiß: jetzt werde ich gebraucht, und das hat Vorrang. Und genauso taufe ich regelmäßig Kinder, deren Eltern längst keine Kirchensteuer mehr zahlen, weil ich das wunderbare Geschenk der Taufe, niemals jemandem vorenthalten will.
Aber ich weiß auch: das werden wir nicht mehr lange so machen können. Irgendwann wird es wahrscheinlich Gebühren geben müssen für die Dienstleistungen, die man in der Kirche in Anspruch nimmt. Und dann wird es Menschen geben, die sich das nicht leisten können. Mit der Kirchensteuer sorgen wir dafür, dass Kirche wirklich für alle da sein kann.
Ohne Kirchensteuer sind wir wie ein Fitnessstudio – wer es sich nicht leisten kann, hat keinen Zutritt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43264SWR3 Worte
Pfarrer Alexander Brandl hat einen Kuddelmuddelstuhl, auf dem alles landet, wofür er sonst keinen Platz findet, zum Beispiel Wäsche, die eigentlich gewaschen gehört oder Sachen, die erst mal nirgends hinpassen. Und er findet, der Kuddelmuddelstuhl passt auch gut als Bild für Gott:
Die Bibel hat viele Bilder für Gott: König, Freund. Lebensatem. Mutter. Allmächtiger. Ich finde aber eins fehlt: „Kuddelmuddel-Stuhl. Schließlich heißt es im ersten Petrusbrief: „All eure Sorgen werft auf ihn“ Ja – auf wen denn? Richtig: Bei Gott darf ich die Dreckwäsche meines Lebens ablegen. Es hat das Platz, von dem andere sagen, dass ich es längst hätte einmotten sollen. Meine Ticks, meine Spleens. Auch das peinliche: Die bunten Socken, die zu keinem meiner Outfits passen, aber die nun mal zu mir gehören. Manchmal auch das Extravagante, das ihn den Menschen auf der Straße nicht zeige. Auf dem Kuddelmuddel-Stuhl ist es gut aufgehoben. Was für ein Glück, wenn man so einen hat, auf den man alles werfen darf.
edition chrismon, Sternstunden. Geschichten und Gebete für eine gute Nacht
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43257SWR Kultur Wort zum Tag
Ikonen malen - das ist eine jahrhundertealte Kunst. Viel Aufwand und Kenntnis stecken in den Heiligenbildern auf den Holztafeln. In den orthodoxen Kirchen gehört das Betrachten von Ikonen zu einem frommen Leben unbedingt dazu. Gläubige vertiefen sich in den Kirchen in den Anblick der Bilder und erleben so die Nähe Gottes. Fenster zum Heiligen, werden Ikonen deswegen auch genannt.
Es bedarf einer speziellen Ausbildung, um die Holzflächen entsprechend zu behandeln und dann – im Gebet – die Farben aufzutragen. Manche Ikonen sind dadurch nach Hunderten von Jahren noch voller Strahlkraft. Und sie sind nicht nur ein großer Kunstschatz in den Kirchen, sondern werden auch innerhalb von Familien von Generation zu Generation weitergegeben. So verwebt sich auch Familiengeschichte in die besonderen Bilder hinein.
In der Ukraine sind nun neue Ikonen entstanden. Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko haben dafür Reste leerer Munitionskisten verwendet. Kisten, die vielen den Tod gebracht haben. Das russische Militär hat sie zurückgelassen. Auf die rohen Seitenbretter und Deckel dieser Todeskisten malt das Künstlerpaar klassische Ikonen. Sie arbeiten ohne Grundierung und benutzen Farben, die sie teilweise aus der Asche, dem Rost und der Erde um die Kisten herum anmischen.
Ich schaue mir die Bilder an, die zurzeit in Freiburg ausgestellt sind und stelle fest: Die Umrisse der Madonna mit Kind haben einen grauen Farbton, das Rot im Gewand des Erzengels Michael hat einen Stich ins Rostige. Doch ansonsten zieren die Bretter die vertrauten Bildnisse von Heiligen, Engeln, Christus und Maria. Nur dass hin und wieder verbogene Nägel im Bildnis stecken, das Holz zersplittert ist oder ein Militärstempel durchschimmert. Eine Madonna hat sogar einen Heiligenschein aus platt gedrückten Patronenhülsen. Und auf einer anderen Ikone wirkt die Spaltung im Holz wie eine Tränenspur im Gesicht Marias. Durch die unbehandelten Bretter ist der Krieg in seiner Rohheit beängstigend präsent. Und gleichzeitig spricht aus diesen Ikonen die tiefe Überzeugung: Leben ist und bleibt heilig. Egal wieviel Tod Menschen über Menschen bringen, es gibt einen Bereich, den kein Mensch zerstören kann. Diesen Bereich bezeugen die Heiligen, bezeugt der auferstandene Christus, die Madonna mit dem Kind.
Die Ikonen aus den Munitionskisten sprechen zu mir darüber, dass Gewalt niemals das letzte Wort haben wird. Gerade weil diese Ikonen nicht für die Ewigkeit gemacht sind, bin ich überzeugt: Bis ihre Farben eines Tages verblassen oder das Holz so morsch wird, dass es bricht, wird der Krieg in der Ukraine Geschichte sein. Und das Land hoffentlich im Frieden wieder aufblühen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43304Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Sorgsam hat Papst Leo XIV. den Faden seines Vorgängers Franziskus aufgenommen und in seinem ersten Rundschreiben weitergesponnen 1): Es geht ihm um die „Vorliebe“ Gottes für die Armen, wie Jesus von Nazareth sie gelebt hat (21). Nächstenliebe ist nämlich keineswegs nur ein hübsches, sympathisches Accessoire der christlichen Kirchen, sondern bildet den Glutkern unseres Glaubens, so der Papst (15). Daher nimmt er die Getauften in die Pflicht: Durch unsere Liebe müsse jeder Arme erfahren, dass ihm die Zusage Jesu gilt: „Ich habe dir meine Liebe zugewandt“ (Buch der Offenbarung 3,9).
Mit den „Armen“ meint Leo nicht nur die Habenichtse, die bettelnd auf dem Asphalt hocken. Er meint auch die „Armseligen“, wie wir sagen, die „keine Stimme haben und deren Würde man missachtet“ (76). Jene, die man gar nicht wahrnimmt und die ihre Armut ausleiden in kalten Kammern der Einsamkeit. Arme Alte etwa mit mickrigen Renten. Alleinerziehende Frauen in der Sorge um ihre Kinder und ein ausreichendes Einkommen. Verwahrloste junge Menschen ohne Perspektive. Es gibt so viel verschämte Armut, manchmal schon gegenüber der eigenen Wohnungstür.
Auch der jetzige Papst fordert wie sein Vorgänger, „weiterhin die Diktatur einer Wirtschaft, die tötet, anzuprangern“ (92) und die Güter neu zu verteilen. Das gilt auch für uns, wo 10 % der Reichsten im Lande über 60 % des Volksvermögens verfügen. Kein Wunder, dass die Armut steigt und nun 13 Millionen Menschen von Armut betroffen oder bedroht sind.2)
Und nun gerät auch noch der Sozialstaat aus den Fugen, weil wir 5 % der Wirtschaftskraft in Rüstung verpulvern. Die bezahlen vor allem die Arbeitenden und die Armen über rigorose Einsparungen. Für die Kapitalanleger hingegen waren Rüstung und Krieg schon immer ein Geschäftsmodell. Die Aktienkurse der Rüstungskonzerne schießen durch die Decke!
Da ist sozialer Unfriede vorprogrammiert. Die steigende Arbeitslosigkeit wird die Spaltung noch vertiefen. Daher möchte ich der Politik die Mahnung des Papstes in die Parteibücher schreiben: Wir müssen alles dran setzen, „die strukturellen Ursachen der Armut zu beseitigen“ (97).
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1) Papst Leo XIV.: „Dilexi te“ – Über die Liebe zu den Armen (Rom 2025)
2) Der Paritätische Armutsbericht 2025
Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Seit Montag bete ich jeden Morgen ein besonderes Gebet. Ich zünde eine Kerze an und spreche es, ganz bewusst. Es ist das „Gebet für unsere Erde“. Der verstorbene Papst Franziskus hat es geschrieben, 2015, und damals ans Ende seines berühmten Umweltschreibens „Laudato si“ gesetzt. Übrigens ein paar Monate, bevor in Paris der Klimagipfel getagt hat. Jetzt haben kirchliche Umweltinitiativen dazu aufgerufen, dieses „Gebet für unsere Erde“ zu beten, während in Belém in Brasilien wieder der Klimagipfel tagt.
Es ist ein großartiges Gebet, finde ich. Ich hab es auch schon in den letzten zehn Jahren oft gebetet, mit anderen im Gottesdienst oder allein. Es spricht Gott an als eine Kraft, die in der „Weite des Alls“ genauso gegenwärtig ist wie „im kleinsten seiner Geschöpfe“. Gott, so heißt es da, „du umschließt alles, was existiert, mit deiner Zärtlichkeit“.
Die Schöpfung ist so wunderbar und wertvoll – und wir Menschen sollen sie behüten und bewahren. Im Gebet heißt es: „Heile unser Leben, damit wir Beschützer der Welt sind, und nicht Räuber, damit wir Schönheit säen und nicht Verseuchung und Zerstörung.“
Das „Gebet für unsere Erde“ ist übrigens bewusst nicht nur für Katholikinnen gedacht – der Papst hat sich damals mit seinem Umweltschreiben nicht nur an seine Kirche gewandt, sondern, Zitat, an „jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt“ (LS Nr. 3). Auch die Gebetsinitiative jetzt zum Klimagipfel ist ökumenisch und offen für alle. Denn wir wohnen ja, egal, wie wir glauben und welche Ansichten wir haben, alle auf dieser Erde. Dieser Planet ist unsere gemeinsame Heimat.
Viele Menschen werden in diesen Tagen an den Klimagipfel in Belém in Brasilien denken – und Gebete dorthin schicken, dafür, dass die Verantwortlichen dort zu guten Ergebnissen kommen. Zu Ergebnissen, die unsere Erde wirklich schützen und bewahren. Wer mitbeten möchte: Im Netz findet sich das „Gebet für unsere Erde“ auf der Seite des ökumenischen Netzwerks „Eine Erde“.
Linktipp:
www.netzwerk-eine-erde.de/artikel/Gebet-fuer-unsere-Erde/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43273SWR4 Abendgedanken
Neulich morgens, da war bei uns plötzlich der Strom weg – im ganzen Ortsteil. Mit einem Schlag – kein Strom mehr, kein Licht, kein WLAN, keine Heizung. Ich hatte abends auch vergessen mein Handy einzustecken, also auch kein Telefon mehr. Und auch die Verbindung über meinen Computer-Bildschirm: ich war mit ein paar Kollegen in einem online-Meeting – alle plötzlich weg.
Später habe ich dann mitbekommen, dass bei Bauarbeiten ein Hauptstromkabel erwischt wurde. Aber in dem Moment war es plötzlich dunkel. Von jetzt auf gleich: Steinzeit. Offline. Alles wie tot. Wie oft ich in der Zeit in ein Zimmer reingelaufen bin und vergeblich auf den Lichtschalter gedrückt habe ….
Zwei Stunden hat das gedauert. Dann war alles wieder da. Aber das Gefühl ist bei mir geblieben. In einem Moment ist noch alles normal und plötzlich ist alles anders.
Gerade im Herbst und vor allem im November dreht sich bei uns in den Gottesdiensten alles um den Tod und was da vielleicht noch kommt. Volkstrauertag jetzt am Sonntag. Und nächste Woche dann der Totensonntag, wo nochmal an die Menschen erinnert wird, die in diesem Jahr in der Gemeinde gestorben sind.
Ich habe auch schon Menschen verloren, ich weiß, wie das ist: Da ist eine Verbindung weg, die sonst immer da war. Der Gesprächspartner am Esstisch fehlt. Der Sessel in der Stube ist plötzlich leer. Manchmal sind Mama oder Papa plötzlich nicht mehr da. Immer, wenn ein Mensch stirbt, dann reißt da etwas ab. Eine Verbindung. Oder sogar ein Teil von einem selbst. Es fehlt einfach was.
Ein kaputtes Stromkabel kann man wieder reparieren. Einen gestorbenen Menschen können wir nicht wieder zurückholen. Die Verbindung scheint tot. Und trotzdem glaube ich: Das Leben geht weiter – bei Gott. In der Bibel klingt das so: „Und Gott wird jede Träne abwischen von ihren Augen. Es wird keinen Tod und keine Trauer mehr geben […]. Denn was früher war, ist vergangen; sieh doch: Ich mache alles neu!“
Geborenwerden – leben – sterben. Alles gehört in diese Geschichte mit hinein. Gott umfasst alles. Und gerade deshalb glauben wir Christen, dass wir am Ende auch wieder bei Gott sind.
Meine direkte Verbindung zu einem Verstorbenen mag abgerissen sein. Aber die Verbindung zu Gott reißt niemals ab. Weil Gott sie nicht abreißen lässt. Er bleibt bei mir. Und er ist den Menschen nahe, die gestorben sind. Damit ist Gott sowas wie ein Verbindungsglied zwischen uns. Diese Verbindung beginnt jetzt schon in meinem Herzen und meinen Erinnerungen. Und sie geht garantiert nie offline.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43269Zeige Beiträge 1 bis 10 von 41843 »





