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SWR2 Wort zum Tag

04OKT2023
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Mit der Suche nach Gott muss man es sich gar nicht so schwer machen! Dafür steht ein Lebenskunst, die im biblischen Buch der Weisheit beschrieben wird. Es sind über 2000 Jahre alte Beobachtungen, Einsichten und Erkenntnisse, die helfen können zu einer bedachtsamen und umsichtigen, eben einer „weisen“ Lebensführung.

Um weise zu sein, braucht es demnach keine großen intellektuellen Aufschwünge. Wer weise sein will, so heißt es, muss am Morgen nur seine Haustür öffnen, um aufmerksam wahrzunehmen, was sich da alles den Sinnen bietet.

„Wer sich früh zu ihr aufmacht“, so ist im Buch Weisheit zu lesen, „muss sich nicht mühen; denn sie wartet schon vor seiner Tür... Die Weisheit ist schön und unvergänglich und lässt sich von denen finden, die sie suchen... Nach ihr zu trachten, ist vollkommene Klugheit.“

Das Buch der Weisheit gehört zu den Apokryphen, also den Schriften, die zwar nicht zum offiziellen biblischen Kanon gehören, aber doch – wie Martin Luther gesagt hat – „nützlich und gut“ zu lesen sind.

Ich finde, auch für heutige Zeiten bietet die Weisheit so etwas wie ein Therapeutikum gegen die Gottesblindheit. Impulse, wie ich die Augen öffnen und die Gegenwart Gottes im Alltag entdecken kann. 

Ich stelle mir das so vor, als würde ich in eine neues, mir bis dahin unbekanntes Land fahren. Auf Reisen geht es mir so, dass ich immer besonders neugierig und gespannt bin auf alles, was auf mich zukommt. Empfänglich für die fremde Sprache, die andere Art miteinander umzugehen, die unbekannte Landschaft.

Alles Routinemäßige lasse ich zurück. Viele Dinge sehe ich wie zum ersten Mal. Und wenn ich zurückkehre in mein normales Leben, versuche ich diese offene und interessierte Haltung beizubehalten.

Mit den Augen der Weisheit sehen heißt für mich dann: was ich schon längst zu kennen glaubte, erscheint mir in einem neuen Licht. Ich entdecke die kleinen und oft übersehenen Details in meinem Alltag. Alles wird mir zum Zeichen wird für das göttliche Geheimnis hinter den Dingen.

Weisheit, du Schöne, sage ich mir, am liebsten möchte ich mich unterhaken bei dir und mit dir täglich auf Entdeckungsreise gehen. An deiner Seite will ich meinen Blick auf die Welt verwandeln lassen. Und dankbar empfangen, was jeden Morgen vor meiner Tür darauf wartet, entdeckt zu werden.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04OKT2023
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„Ich bin nun mal so“. Diesen Satz höre ich immer mal wieder. Zum Beispiel von Leuten, die gerade eine abwegige oder bedenkliche Meinung geäußert haben. Vielleicht haben sie gerade alle Arbeitslosen in einen Topf geworfen und sich lauthals über deren Desinteresse an harter Arbeit beklagt. Oder sie entschuldigen so ihr eigenes Verhalten, das nicht ganz hasenrein ist. Haben vielleicht gerade einen Autofahrer angepöbelt, der ihnen die Vorfahrt genommen hat. Alles nicht ganz fein, aber was soll man machen: „Ich bin nun mal so“, das muss man verstehen, da kann man nichts machen, da kann man nichts ändern.

Dieser Satz „Ich bin nun mal so“ hat eine religiöse Parallele. Die lautet: „Gott liebt dich so, wie du bist“. Da kann ich ja aufatmen und muss nichts ändern, wenn Gott mich liebt, so wie ich bin. Also weitermachen wie bisher.

Ich kann mit beiden Sätzen nichts anfangen. Ich halte sie beide für Ausreden, damit ich nichts ändern muss: Ich bin nun mal so, und Gott liebt mich so, wie ich bin. Nein, ich glaube nicht, dass Gott mich so liebt, wie ich bin. Ich glaube nicht, dass er an mir liebt, was ich selbst nicht an mir mag, meine Bequemlichkeit, meine Vorurteile, meine Rücksichtslosigkeit oder Schlimmeres. Ich glaube viel mehr, dass er mich als Mensch liebt. Dass er mich liebt als sein Kind. Nicht wegen meiner Fehler, auch nicht mit meinen Fehlern, sondern mich als Person. Aber wenn das so ist – muss ich dann noch was ändern? Schließlich bin ich doch geliebt. Um von Gott geliebt zu werden, muss ich nichts ändern. Er liebt mich ja schon. Aber wenn ich will, kann ich etwas ändern, kann ich mich ändern. Aus der Sicherheit und mit der Kraft von Gottes Liebe kann ich ruhig auf mich und mein Verhalten schauen. Ich muss nichts mehr beschönigen. Ich kann eingestehen, was mir an mir selbst nicht gefällt und was ich deshalb ändern möchte. Ich muss mich vor Gott nicht verteidigen oder entschuldigen für meine Fehler und Schwächen. Ich kann mich ändern und muss nicht mit der faulen Ausrede kommen „Ich bin nun mal so“. Ich kann nämlich auch anders.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03OKT2023
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Wenn ich mich auf Neues einlassen muss, kann das so schwierig sein. Denn das Neue hat meist mit Veränderungen zu tun, manchmal auch mit Brüchen und Abschieden. Und gleichzeitig ist es selbstverständlich Teil des Lebens, dass ich mit Neuem umgehen muss.

Ich kenne einige Leute, die von einem Tag auf den anderen durch die Wende ganz viel Neues erlebt haben und ihren Horizont radikal erweitern mussten und es auch getan haben. Achtzehn Jahre lang habe ich in Ostdeutschland gelebt, und da habe ich Mareike kennengelernt. Sie hat, wie ganz viele andere auch, viel auf sich genommen und riskiert.

Sie war meine Kollegin in der Schule. In den 90er-Jahren hat sich an den Schulen in Ostdeutschland ganz viel verändert. Da gab es keinen gültigen Lehrplan, und auch viele Schulbücher passten nicht mehr. Mareike hat sich in Windeseile in die neue Welt eingearbeitet, weil sie ihre Schüler gut aufs Abitur vorbereiten wollte. Auf eine Welt, die sie selbst nicht kannte.

Damals vor 34 Jahren haben so viele eine Revolution in Gang gesetzt und durchlebt, ohne zu töten. Sie haben von Freiheit geträumt und davon, eine eigene Meinung haben und sagen zu dürfen – und sind dann in einem neuen Staat aufgewacht. Sie haben die Herausforderung angenommen und sich dabei einen offenen Horizont bewahrt. Das diesjährige Motto aus Hamburg zum Tag der Deutschen Einheit heute – und das passt ja dann auch wieder – heißt: Horizonte öffnen.

Zum Glück gibt es viele, die genau das heute tun. Ich denke an meine Nachbarin Hasiye. Sie weiß, was es heißt, wenn man in einem anderen Land neu anfangen muss. Deshalb bringt sie geflüchteten Kindern Deutsch bei. Und heute steht Hasiye in der Moschee und begrüßt ihre Gäste. Denn heute ist auch Tag der offenen Moschee. Viele tausende Muslime öffnen die Türen ihrer Moscheen ganz bewusst am Tag der Deutschen Einheit. Weil auch sie ein Teil eben dieser Deutschen Einheit sind. 

Ich weiß, wir haben es oft schwer, gut miteinander umzugehen. Und genau deshalb machen mir Menschen Hoffnung, die sich mit offenem Horizont einbringen. Meine Freunde im Osten, damals wie heute, und die vielen Muslime heute. An sie denke ich. Und an alle, egal welcher Religion oder Nationalität, die in Umbrüchen einen weiten Horizont bewahren.

Ich kann mich auf Neues einlassen, auch auf das, was mir zunächst fremd erscheint. So wie Mareike und Hasiye. Alle, die ihren Blick und ihr Herz offen halten, leisten einen großen Beitrag für die Einheit in unserem Land. Was sie geschafft haben und immer noch schaffen, das feiere ich heute.

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SWR3 Worte

03OKT2023
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Am Tag der deutschen Einheit ist es gut, wenn wir uns daran erinnern, dass aus Krisen Großartiges geschaffen werden kann. Die Worte von Pfarrer Siegfried Eckert machen Mut:    

„ich glaube
dass gott aus allem
auch aus den schwersten krisen
sinnvolles zustande bringen kann
dafür braucht er gute geister
die wesentliches von unwesentlichem
unterscheiden können

ich glaube
dass gott uns in jeder niederlage
so viel auferstehungskraft schenkt
wie wir brauchen
damit wir die schwerkraft
des schmerzes überwinden
gott überhäuft uns nicht mit tatkraft
damit wir nicht übermütig werden
sondern demütig bleiben
allein von gott her
sollen wir uns gehalten wissen
um in angemessener haltung
die herausforderungen anzugehen

ich glaube
dass selbst schwache momente
uns stärken können
versagen nicht unsinnig ist
wenn wir aus fehlern lernen
denn erst im rückblick unseres lebens
werden wir in allen hönen und tiefen
den roten faden göttlicher
bewahrung erkennen

Siegfried Eckert, herz geborenes. Gebete, EVA

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SWR3 Gedanken

03OKT2023
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Der Garten Eden liegt in Äthiopien. Da gibt es ihn sogar rund 20.000 Mal. Jeder Kirchenbau der äthiopisch-orthodoxen Kirche Tewahedo ist umringt von einer Waldoase. In der Lehre dieser Kirche braucht ein Kirchengebäude eine Umgebung, die dem Garten Eden ähnelt, dem Paradies. Nur dann ist es eine wahre Kirche.

Was für ein Glück für Äthiopien, dass diese Kirche am Paradies festhält. Denn in den letzten Jahrzehnten wurde viel Wald gerodet. Nur noch 5% der Fläche des Landes ist von Wald bedeckt. Und diese 5 % sind vor allem die Kirchenparadiese. Auf Luftaufnahmen bilden sie kleine grüne Inseln umgeben von einer kargen braunen Landschaft.

Auf dem Weg zum Gottesdienst erleben die Gläubigen den Reichtum an Tieren und Pflanzen darin.

Und sie bekommen eine Ahnung davon, wie die Erde von Gott her eigentlich gedacht ist. Inzwischen gibt es auch richtige Lernprogramme. Viele Menschen dort sammeln nun Saatgut und säen es auch an anderen Stellen aus. Und die Bauern bilden sich in nachhaltiger Landwirtschaft.

Zum Paradies wird Äthiopien damit noch nicht. Aber die vielen kleinen Abbilder des Garten Edens erinnern Menschen daran, dass es sich lohnt, die Schöpfung zu bewahren.

Der Garten Eden liegt in Äthiopien und überall da, wo Menschen Natur erhalten.

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SWR4 Feiertagsgedanken

03OKT2023
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Horizonte öffnen. Das ist das Motto des Tags der Deutschen Einheit in diesem Jahr. Zuerst habe ich mich schon gefragt, was mir dieses Motto eigentlich sagen will. Denn der Horizont, das ist ja erstmal die Linie, an der sich optisch quasi Himmel und Erde begegnen. Wenn ich etwa am Strand der Nordsee stehe und aufs Meer hinausschaue, dann kann ich sie sehen. Weit draußen. Da, wo das Meer scheinbar aufhört und der Himmel beginnt. Wenn ich im Urlaub an der See bin, dann könnte ich manchmal stundenlang dasitzen und mir dieses Bild anschauen. Ein Blick scheinbar bis ans Ende der Welt. Der Welt zumindest, die ich überblicken kann. Doch öffnen lässt sich dieser Horizont genau genommen eigentlich nicht.

Und dann kommt mir beim Horizont natürlich Udo Lindenberg in den Sinn. Wenn er davon singt, dass es hinterm Horizont weitergeht. Seine Ballade, fast 40 Jahre alt, ist inzwischen ein echter Klassiker. Geschrieben hat er sie damals als Hommage an eine enge Freundin, die viel zu früh gestorben ist. Und so eine Freundschaft, die hört nicht einfach so auf, meint der Song. Auch nicht mit dem Tod. Dem ultimativen Horizont jedes irdischen Lebens.

Ein Horizont, der sich öffnet. Das soll wohl vor allem ein Bild sein für eine Hoffnung, die Menschen haben. So, wie im Song von Udo Lindenberg. Dass es irgendwie weitergeht. Und dass diese Linie, die ich da in weiter Ferne sehen kann, eben nicht das Ende der Welt markiert. Und auch nicht das Ende des Lebens. Und dass es deshalb auch nie gut ist, den Kopf hängen zu lassen, Frust zu schieben und zu sagen: „Es hat ja doch alles keinen Sinn“.

Die Bibel kennt etliche von solchen Geschichten. Von Menschen, die sich nicht damit zufriedengegeben haben, dass da eine Linie sein soll, hinter der es nicht weitergeht. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, aufgebrochen sind. Oft, ohne zu wissen, was sie erwartet. Aber in der Überzeugung, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Da ist zum Beispiel Abraham. Die heiligen Schriften von Juden, Christen und Muslimen erzählen von ihm. Er ist ihr gemeinsamer Urahn. Von Abraham wird erzählt, dass Gott eines Tages zu ihm spricht und ihm sagt, er solle aufbrechen. Land, Heimat, Verwandtschaft. Alles soll er zurücklassen. Losziehen in ein unbekanntes Land, das Gott ihm erst noch zeigen will. Und Abraham macht sich tatsächlich auf. Lässt alles hinter sich und zieht einfach los. Im Vertrauen darauf, dass die Sache gut ausgehen wird.

Oder da sind die Freunde von Jesus, die sich im Haus einschließen, nachdem ihr Freund nicht mehr da ist. Angst haben sie, wissen nicht, wie es weitergehen soll. Und dann fassen sie plötzlich neuen Mut, machen Fenster und Türen auf und gehen raus. In der Hoffnung, dass es doch weitergeht. Für sie und für die Sache Jesu.

33 Jahre jung ist die Deutsche Einheit heute. Im besten Alter eigentlich. An die Bilder kann ich mich noch gut erinnern. Ich selbst war damals 28 und was war das für eine Aufbruchstimmung? Was für Hoffnungen haben sich da verbunden mit der Zukunft? Nicht nur im Osten war das so. Auch bei vielen Menschen hier im Westen. Sicher, wie immer bei den ganz großen Hoffnungen, war manches davon vielleicht naiv. Haben viele Wünsche der komplizierten Wirklichkeit am Ende dann doch nicht standgehalten. Und dennoch, das ist mein Eindruck, ist unglaublich viel geschafft worden. Eine riesige gemeinsame Kraftanstrengung.

Inzwischen aber hat sich bei so vielen Leuten Wut und Frust angestaut. So viel Unzufriedenheit und auch Angst vor der Zukunft. Mir kommt das heute manchmal vor, als ob viele Menschen zwar den Horizont sehen, aber ängstlich dahin blicken. Vielleicht, weil sie Zweifel haben, ob es dahinter wirklich weitergeht oder eher das Ende der Welt lauert. Manches kann ich sogar verstehen. Weil ich hin und wieder auch dieses Gefühl habe, dass die vielen Krisen mich überfordern und ohnmächtig machen. Weil die Welt so unübersichtlich geworden ist, wie nie zuvor und ich selbst kaum noch mitkomme. Und weil die Zuversicht, die mal da war, dass es immer weiter aufwärts geht, ziemlich brüchig geworden ist.

Mir hilft da manchmal ein Blick auf meine Töchter. Die sehen wie viele junge Leute in ihrem Alter ziemlich deutlich, was los ist. Ihnen ist auch klar, dass es so nicht mehr weitergeht und dass sich was ändern muss. In der Art etwa, wie sie in Zukunft leben und arbeiten werden. Sie wissen auch, dass Wohlstand, Frieden und Freiheit keine Selbstläufer mehr sind. Und dass es jetzt an ihnen liegt, etwas dafür zu tun. Aber sie motzen und jammern nicht, sondern packen an. Mit der festen Zuversicht, dass es hinterm Horizont weitergeht. Irgendwie. Sicher anders als bisher. Aber weiter.

Übermäßig fromm ist keine und keiner der jungen Leute, die ich kenne. Auch meine Töchter nicht. Aber als Christ kann ich trotzdem von ihnen lernen, was es heißt, aus dem Geist der Bibel zu leben. Aus dem Geist der Hoffnung, dass es eine gute Zukunft geben kann, auch wenn ich sie noch nicht kenne. Und dass es sich immer lohnt, mich für diese Zukunft zu engagieren. Auch hier und jetzt. Mit dem, was mir möglich ist. Und dann markiert der Horizont auch nicht mehr das Ende der Welt, sondern jene Linie, an der die Erde den Himmel berührt.

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SWR4 Abendgedanken

03OKT2023
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Tag der Deutschen Einheit – Das heißt für viele heute: Feiertag. Einheit was für ein großes Wort. Und auch ein schönes Wort. Es signalisiert: „Wir halten zusammen“. „Wir sind gemeinsam auf dem Weg“. Und vielleicht: „Wir sind uns einig“.

Allerdings finde ich, dass das, vor allem in den letzten Wochen und Monaten – vielleicht sogar Jahren – so gar nicht der Fall war. Dabei meine ich weniger die Diskussionen über Ost und West. Sondern ich erlebe beinahe täglich, dass das nicht so ist:

Wer darf denn alles nach Deutschland kommen und wer nicht? Kaum ein Thema in der Politik, um das nicht gestritten wird. Der Klimaschutz erhitzt die Gemüter. Wir haben einen Krieg auf unserem Kontinent. Und Nachbarn streiten sich um das Laub von Bäumen.

Mir ist klar, dass das auch die ganz großen Themen unserer Zeit sind. Und, dass es schwierig oder unvorstellbar wäre, dass wir zu jedem Thema eine einheitliche Meinung haben.

Jesus war immer mit ganz unterschiedlichen Leuten unterwegs. Mit seinen Freundinnen und Freunden und ganz fremden Leute. Kurz vor seinem Tod, hat er sich von seinen engsten Freunden verabschiedet und zu ihnen gesagt: Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander! Genauso wie ich euch geliebt habe, sollt ihr einander lieb haben. 

Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass sich auch in dieser kleinen Gruppe nicht immer alle einig waren. Auch da gab es Diskussionen, welchen Weg man nehmen soll. Wie man am besten die Leute erreichen kann. Und überhaupt, wie das alles werden wird. Mit diesem Jesus …

Es fanden sich auch sicher nicht alle gleich sympathisch. Ich glaube nicht, dass das Jesus so gemeint hat, dass sich alle nur in die Arme fallen sollen.

Ich glaube eher, dass es ihm um eine gewisse Grundhaltung gegangen ist. Dass man sich miteinander leidenschaftlich streiten kann – aber wohl immer weiß, dass das Gegenüber kein schlechter Mensch ist. Vielleicht eine gewisse Einigkeit darüber, dass wir uns gegenseitig als Menschen wahrnehmen und auch schätzen. Und mit dieser Grundhaltung auch diskutieren und unsere Konflikte austragen.

Ich glaube, das ist es, was ich mir im Moment in unserer Gesellschaft am meisten wünsche. Diese Wertschätzung von anderen – trotz aller Unterschiede.

Ich finde, dass so etwas von der Einheit spürbar werden könnte. Und das nicht nur am Tag der Deutschen Einheit.

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SWR2 Wort zum Tag

03OKT2023
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„Was wird bloß aus unseren Träumen in diesem zerrissenen Land?“, so hat er damals gefragt und gesungen: Wolf Biermann, der Liedermacher, der in Deutschland West und Deutschland Ost gleichermaßen fremd wie zu Hause war.

Das war im Jahr 1976, in jenem unvergesslichen Konzert in Köln, das in der Folge zu seiner Ausbürgerung aus der DDR geführt hat.

Ich erinnere mich gut, wie ich zusammen mit einem Freund das Konzert am Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgt habe. Wolf Biermann war für uns ein faszinierender musikalischer und politischer Grenzgänger. Unangepasst, frech, aber immer auch witzig. Die etablierten Autoritäten hat er mit kratziger Stimme und den Klängen seiner Gitarre aufs Korn genommen.

Geboren wurde Biermann 1936 in einem Land, das seiner jüdischen Familie nach dem Leben getrachtet hat. Und von dessen Sprache er doch gelebt hat wie einst sein großes Vorbild Heinrich Heine. Genau wie der war er hin und hergerissen zwischen West und Ost. „Ich möchte am liebsten weg sein, und bliebe am liebsten hier“, so heißt der Refrain in diesem Lied.

Während der letzten Jahre habe ich dann wenig von Wolf Biermann gehört. Und hätte nicht einmal sagen können, ob er überhaupt noch am Leben ist. Dann plötzlich habe ich seinen Namen in Karlsruhe auf einem Konzertplakat gesehen. Und da habe ich ihn tatsächlich nach Jahrzehnten wieder getroffen. Quicklebendig. Der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Mittlerweile 87 Jahre alt, steht er da wenige Meter vor mir auf der Bühne, schlägt ein paar Akkorde an und legt dann los. Mit diesem Lied, das von der Zerrissenheit eines Vaterlandes erzählt, wo allein der Himmel nicht geteilt ist.  Und wo es noch immer um diese Frage geht: „Was wird bloß aus unsern Träumen in diesem zerrissenen Land? Die Wunden wollen nicht zugehn unter dem Drecksverband“.

In diesem Moment habe mich gefragt: Sind die Wunden zwischen Ost und West denn inzwischen zu gegangen? Und was wurde aus unseren Träumen? Aus dem rauschhaften Gefühl der ersten Nachwendezeit, sich endlich wieder frei bewegen und ungehindert reisen zu dürfen? 

Wolf Biermann ist über all die Jahre ein frecher Zweifler und gläubiger Ketzer, wie er von sich selbst sagt, geblieben. Nur hat er nach einem langen Leben genug von allen Weltverbesserungsideologien, von denen er heute sagt, dass sie doch nur ins Schlechtere führen.

In seiner Biographie schreibt er: „Heute habe ich begriffen, wie hochmütig mein Spott auf die bürgerliche Demokratie war. Sie ist das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden und ausprobiert haben.“

Natürlich durfte am Ende des Konzertabends auch sein Lied „Ermutigung“ nicht fehlen. Das wird inzwischen sogar auf Kirchentagen gesungen und findet sich in manchen Gesangbüchern. Es passt, finde ich, heute nicht weniger als damals:

„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind brechen, die allzu spitz sind stechen und brechen ab sogleich... Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit... du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit“

Ich meine, darum geht es doch heute, am „Tag der deutschen Einheit“, neben all den Rückblicken auf das, was vor 33 Jahren war, die Träume nicht zu vergessen, die wir geträumt haben von einem geeinten und demokratischen Deutschland.

Dankbar zu sein für unsere Demokratie. Und die vielen Möglichkeiten, die wir haben, sie zu verbessern. Sie ist tatsächlich „das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden haben und ausprobiert haben.“

Und auch darum geht es: Sich nicht entmutigen zu lassen von manchen Unzulänglichkeiten. Sondern zur Stelle zu sein, wenn es gilt, alte und neue Barrieren zu überwinden.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03OKT2023
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Hole ich meine Enkel von der Kita ab, führt uns der Weg an einem Tafel-Laden vorbei. Hier werden gespendete und gesammelte Lebensmittel an bedürftige Mitmenschen ausgegeben. Die lange Warteschlange vor der Tafel weckt in mir zwiespältige Gefühle. Auf der einen Seite steht die Bedürftigkeit, wenn nicht gar Armut der Menschen, die sich hier bis auf die Straße anstellen und auf die Lebensmittel offensichtlich angewiesen sind. Und ich habe großen Respekt vor den Ehrenamtlichen, die helfen und den Laden am Laufen halten. Auf der anderen Seite finde ich es unerträglich, dass sich Menschen in der Öffentlichkeit in eine solche Reihe stellen müssen, als Arme für alle sichtbar. Dabei ist nicht das Schlange-Stehen das Problem, auch in der Kantine und im Supermarkt stehe ich in der Schlange. Aber vor der Tafel macht mich die Schlange als Armer peinlich sichtbar. Die Lösung wäre gewiss, den Menschen so viel Geld zu geben oder – noch besser - ihnen solche Verdienstmöglichkeiten zu verschaffen, dass sie keine Tafel mehr brauchen. Aber so lange das noch nicht erreicht ist, brauchen wir Formen, die die Würde der Armen schützen.

Die Praxis in einer anderen Kirchengemeinde macht mir da Hoffnung: Sie unterhält keine Tafel, sondern eine Suppenküche. Oft bestehen Suppenküchen aus einem großen Raum mit einfachen Stühlen und Tischen und einer Ausgabestelle, an der man sich für das Essen anstellt. Die Warteschlange ist dann immerhin nach innen verlegt. Aber diese Suppenküche macht es anders. Im Essensraum hängt ein Schild: Es wird am Tisch serviert. Wie in der Familie oder in einem Restaurant nehmen die Hungrigen am Tisch Platz und die Ehrenamtlichen bedienen sie. Und dann setzen sie sich zu den Gästen und essen mit.

Es wird am Tisch serviert. Dieser Satz macht für mich einen großen Unterschied. Am Tisch wird dem Gast und dem Familienmitglied serviert. Sie sind willkommen und gehören dazu. Und am Ende gibt es keinen Unterschied zwischen denen, die bedienen, und den Bedienten. Alle sitzen an einem Tisch und bilden eine Tischgemeinschaft. Und keiner kann mehr sagen: Seht da, da sitzen sie: Die Armen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02OKT2023
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Manchmal reicht ein kurzer Moment, und eine verfahrene Situation kann sich verändern. Meine Freundin Tanja hat das vor ein paar Tagen erlebt. Es war so:

Tanja und ihr Freund Marco waren auf dem Heimweg von einem herrlichen Ausflug. Von unterwegs haben sie sich Pizza bestellt. Als die beiden ihre Pizza abholen wollten, war da auf dem Hof vom Pizzaservice eine ganz seltsame Stimmung. Da standen sich ein paar junge Leute gegenüber und haben heftig gestritten. Tanja erzählt: „Ich weiß nicht genau, worum es da gegangen ist. Irgendwas zwischen einem der Jungs und dem Pizzabäcker. Als Marco und ich aus dem Auto ausgestiegen sind, haben uns die so misstrauisch angeguckt. Wer weiß, was sie gedacht haben, vielleicht dass wir uns einmischen oder Partei ergreifen.“

Ich frage Tanja: „Und was habt ihr dann gemacht?“ Sie antwortet: „Wir sind auf die beiden zerstrittenen Gruppen zugegangen und haben kurz in die Runde geguckt. Marco hat gesagt: „Hi, wir wollen unsere Pizza abholen. Dürfen wir mal durch?“ Da hat die Freundin von einem der beiden Streithähne angefangen zu lachen.“ „Und dann?“, frage ich. Tanja meint: „Na ja, durch uns haben sie ihren Streit kurz unterbrochen. Ich glaub, so haben sie selbst kurz Abstand zu der Situation bekommen. Jedenfalls hat sich da was verändert. Denn als wir ein paar Minuten später wieder mit unserer Pizza rausgekommen sind, haben die fast schon normal miteinander geredet. Zum Glück!“

Soweit zu Tanja, Marco und dem Pizza-Streit. Was ich davon mitnehme, ist eine Idee, wie Streitigkeiten gelöst werden können. Da war diese kurze Unterbrechung, und die hat die Wende gebracht. Tanja und Marco sind gekommen, und dank ihnen war kurz „Pause“. In richtig heftigen und komplizierten Konflikten kann es natürlich äußerst anspruchsvoll sein, zu so einer Pause zu kommen. Ich denke da zum Beispiel auch an Familienstreit, wo solche Zeiten des Abstands, in denen ich mich neu sortieren kann, gut tun.

Es kann sich etwas Neues zeigen, wenn jeder erstmal einen Schritt zurücktritt. Erst hat jeder die Möglichkeit, sich zu sortieren, und es zeigt sich, ob ich auch wieder einen Schritt auf die anderen zugehen kann. Dass das gelingt und dass Menschen den Mut aufbringen zu ihrer Pause im Streit, das wünsche ich mir heute. Denn das hat etwas Gewaltloses. Und es kann Streitigkeiten lösen, auch heute am offiziellen Tag der Gewaltlosigkeit. 

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