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SWR4 Abendgedanken

17JAN2025
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Manchmal, am Abend, nähern sich mir die Dämonen der Nacht. So nenne ich, was mir zuweilen abends in den Sinn kommt. Wenn mein Magen sich verkrampft, weil schon wieder ein Verblendeter in eine ahnungslose Menge gerast ist und Menschen getötet hat. Wenn schwer auf mir lastet, was vermeintlich alles von mir erwartet wird, und ich nicht weiß, ob ich das schaffen kann. Oder wenn Sorgen um meine Gesundheit mir den Schlaf rauben. Nicht, dass ich an Dämonen glaube. Gott ist Gott. Er hat alles in der Hand. Wohl und Wehe dieser Welt. Er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und (…) regnen über Gerechte und Ungerechte[1], wie Jesus es in der Bergpredigt formuliert hat. Gott ist alles in allem.

Antonius hat die Welt anders betrachtet, als ich das tue. Er lebte im 4. Jahrhundert und wird Wüstenvater genannt, weil er sich oft lange Zeit in die Einsamkeit zurückgezogen hat. Für ihn gab es leibhaftige Dämonen, die ihn dort heimgesucht haben und er glaubte an den Teufel, der gegen Gott kämpft. Er wusste aber auch, wie er dagegen ankommt. Folgender Gedanke ist dazu von ihm überliefert: „Ich sah alle Schlingen des bösen Feindes über die Erde ausgebreitet. Da seufzte ich und sagte: Wer kann ihnen entgehen? Da hörte ich eine Stimme, die zu mir sagte: Die Demut.“

Wer viel mit dem Dunklen und Bösen zu tun hat - wie offenbar der Einsiedler Antonius - muss überlegen, was er dagegen unternehmen kann. Menschen, die in Not waren, haben sich auf den Weg gemacht, um sich von ihm beraten zu lassen. Auch Gelehrte und solche mit großer Verantwortung. Überall gab es Probleme, nicht anders als heute. Bedroht mich mein Nachbar? Habe ich genug auf dem Konto? Muss ich mich besser verteidigen? Warum ist der andere gesünder und hat mehr in seinem Speicher?

Antonius rät zu Demut. Und er hat Recht, auch wenn das heute altmodisch klingt. Wo es doch in erster Linie darum geht, sich selbst anderen gegenüber zu behaupten. Trotzdem glaube ich, dass es eine Wende bedeuten könnte, demütiger zu sein. Nicht ständig danach zu fragen, was mir zusteht. Nicht immer mehr haben zu wollen. Nicht zuerst an sich zu denken, sondern zufrieden und dankbar zu sein.

Im Wort Demut stecken das Dienen und der Mut. Ja, es braucht Mut zu dienen, bescheiden zu sein und milde mit anderen. Wer solchen Mut hat, beginnt mit ihm die bösen Dämonen zu vertreiben. Und das braucht es mehr denn je.

[1] Matthäus 5,45

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17JAN2025
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In einem wunderbaren kleinen Gedicht hat Christian Morgenstern das „Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst“ festgehalten. Diese Schnecke fragt sich: „Soll i aus meim Haus raus? Soll i aus meim Haus nit raus?“ Und sie räsoniert weiter: „Einen Schritt raus? Lieber nit raus?“ Im Folgenden verliert sich die Schnecke dann in einem lautmalerischen Kauderwelsch zwischen „Hauseraus“ und „Hausenitraus“, bis sie ihr Selbstgespräch in einem langen Seufzer aushaucht: „Rauserauserauserause.“ Ein Beobachter stellt lapidar fest: „Die Schnecke verfängt sich in ihren eigenen Gedanken oder vielmehr diese gehen mit ihr dermaßen durch, dass sie die weitere Entscheidung der Frage verschieben muss.“

Ich mag diese Hausschnecke sehr, denn ich fühle mich ihr sehr nahe. Gerade jetzt im Winter verkrieche ich mich gern mal in den eigenen vier Wänden. Und damit meine ich nicht nur mein großzügiges Zuhause mit viel mehr Räumen als jedes Schneckenhaus sie hat, sondern auch einen inneren Rückzug von dem, was von außen an mich herangetragen wird, einen Rückzug von Aufgaben, Streitfragen und Entscheidungsprozessen.

Manchmal würde ich jedenfalls einfach gerne einen langen Winterschlaf halten und erst im Frühling wieder zu mir kommen. Es gibt Schneckenarten, die das auch praktizieren. Noch vertrauter sind mir aber solche schneckenhauskreisenden Gedankengänge: Soll ich, soll ich nicht? Ich bin eine Meisterin im Abwägen unterschiedlicher Positionen. Lange Pro und Contra-Listen erstelle ich mit links. Eine Entscheidung zu treffen, mich für das eine oder andere auszusprechen, fällt mir dagegen oft schwer. Wie die Schnecke in ihrem Selbstgespräch verliere ich mich gerne im Für und Wider. Soll i aus meim Haus raus? Soll i aus meim Haus nit raus? Dabei weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ich unbedingt raus muss, das bequeme Schneckenhaus verlassen, einfach mal die Fühler ausstrecken, um zu erfahren, was da draußen in der Welt so alles vor sich geht. Mein Glaube hilft mir übrigens dabei, mich nicht zurückzuziehen. Er lockt mich immer wieder gegen viele Widerstände hinaus ins Leben.   

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SWR3 Worte

17JAN2025
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Sabine Wery von Limont ist Autorin, Traumatherapeutin, und war außerdem in der Sterbebegleitung tätig. Genau daraus nimmt sie Wichtiges für das Leben mit. Sie schreibt: 

Als ich vor vielen Jahren Sterbebegleitung gemacht habe, haben mir die Sterbenden immer wieder Hätte-ich-doch-Sätze erzählt. Diese offenen Lebenswichtigkeiten haben sie auch daran gehindert loszulassen und in Frieden mit sich, gehen zu können. (…) Da habe ich mir geschworen, dass meine letzten Gedanken nicht sein werden: „HÄTTE ICH DOCH…“

Selbst wenn das bedeutet:

Schmerzhaftem zu begegnen.

Über den eigenen Schatten zu springen.

Mut aufzubringen, wo eigentlich nur Angst ist.

Wut und Zorn in Vergebung zu wandeln.

Klärung durch Liebe zu ersetzen.

Für meine eigene, innere Heilung verantwortlich zu sein.

Hinter jedem dieser Wörter kenne ich das Gefühlschaos, was diese Aufgabe mit sich bringt.  Wir können versuchen, das unser gesamtes Leben zu vermeiden… und dann kommt doch dieser Moment, an dem auf dem Zettel am Zeh nicht unser Name steht, sondern

… Hätte ich doch.

Quelle: Sabine Wery von Limont, Instagram, https://www.instagram.com/reel/DCD8izisASe/?igsh=MTkyMnFrMXUwZW9mdg==  7.November 2024. (Zuletzt aufgerufen am 9. November 2024, 16.48Uhr).

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SWR Kultur Wort zum Tag

17JAN2025
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Die Jünger hatten keine Wahl. Die Geschichten, in denen Jesus seine ersten Jünger beruft, sind mir auch ein bisschen suspekt. Jesus spricht sie an und sofort lassen sie alles stehen und liegen und gehen mit?! Ihre Jobs, ihre Familien, das frühere Leben alles egal. Das hat ja auch was guruhaftes. Eine Person bindet alles an sich, und der Rest fällt hinten runter. Mir ist schon klar, dass Jesus sehr besonders war, und die Jünger erkannt haben, dass da was Göttliches im Spiel ist. Irgendwie hatten sie wohl keine Wahl.

Die haben wir aber. Früher als gedacht, nächsten Monat, wählen wir den nächsten Bundestag. Dass wir eine Wahl haben, ist für mich das allergrößte. Ich kenne es gar nicht anders - Gott sei Dank. In meinem Leben hatten Menschen immer die Möglichkeit, mitzubestimmen, ihren Teil beizutragen. Wenn Bundestagswahl war, hat es bei uns Zuhause wochenlang kein anderes Thema mehr gegeben. Fernseh-Debatten, Kommentare, die Zeitungen, alles wurde auf mögliche Wahlentscheidungen hin beobachtet und dann diskutiert. Heiße Zeiten früher bei uns zuhause.

Und auch heiße Zeiten jetzt bei uns gesellschaftlich. So gefährdet war unsere Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Und der ist das schrillste Alarmzeichen überhaupt. Ich kann nicht nachvollziehen, dass so laut nach Beschränkungen und harter Hand geschrien wird. Viel lauter als die Stimmen, die sich wünschen mitzubestimmen, in einer freien und toleranten Gesellschaft zu leben. Ich sehe auch, dass nicht alles rund läuft bei uns in Deutschland. Aber deshalb so weit gehen, andere abzuwerten und wegzuschicken und auf einen deutschen Alleingang zu setzen? Das kann nicht die Lösung sein. Demokratie heißt direkt übersetzt „Herrschaft des Volkes“. Ja klar, ich höre schon: „Dann lasst auch jetzt das Volk entscheiden und wenn viele rechtsnationale Parteien wählen, dann wisst Ihr Bescheid.“ Ja, einerseits.
Andererseits heißt Demokratie, also „Herrschaft des Volkes“, dass ich alle im Blick haben muss, also das ganze Volk. Dass es um das Gemeinwohl geht. Darum, dass unsere Gesellschaft zusammenhält und zusammenwächst. Dass wir uns sehen und miteinander klarkommen, auch wenn wir unterschiedlich denken und aus unterschiedlichen Ländern kommen. Und es geht darum, dass wir frei leben können. Wo, mit wem und wie wir wollen. Diese große Errungenschaft bin ich nicht bereit, aufzugeben.

Die Jünger damals hatten keine Wahl. Aber wir haben sie heute. Und damals wie heute ist es doch eine gute Richtschnur, was Jesus umgetrieben hat: Gott und die Menschen und wie sie in einer Gesellschaft zueinander finden.

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SWR3 Gedanken

16JAN2025
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„Und er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder.“ Der Satz ist aus dem Buch „Hiob“ von Joseph Roth. Es ist schon Jahre her, dass ich es gelesen habe, aber an diesen Satz erinnere ich mich bis heute. „Und er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder.“ Erst fand ich ihn etwas seltsam. Warum soll Glück schwer sein? Glück fühlt sich doch leicht an. Glück ist, wenn alles passt und so gar nichts schwer ist. Oder?

Ich liege manchmal im Bett neben meinem kleinen Sohn und schaue ihm beim Schlafen zu. Dann bin ich überglücklich; dass er da ist und es ihm gut geht. So unglaublich glücklich, dass ich schon wieder Angst habe, dass es gleich vorbei sein könnte. Dass es ein Leben ohne diesen kleinen Menschen geben könnte, der mir alles bedeutet. Dann läuft mein Herz über vor Glück – und gleichzeitig fühlt es sich schwer an.

Das geht mir oft so; dass die richtig intensiven Glücksmomente sich auch schwer anfühlen. Weil mir dann bewusst wird, wieviel ich zu verlieren habe.

Die „Schwere des Glücks“. Für mich sind das kostbare Momente. Tief und schön und schwer. Aber auch so intensiv, dass ich es manchmal kaum aushalte. Mir hilft es dann, wenn ich etwas von der Schwere abgebe. An Gott. Ich bitte Gott, dass er bei allem, was kommt – dem Leichten und dem Schweren, an meiner Seite ist. Und die Schwere des Glücks gemeinsam mit mir trägt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

16JAN2025
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Phileas Fogg, ein reicher englischer Gentleman, reist um die Welt. Er riskiert Kopf und Kragen, nur um an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit wieder am Ausgangspunkt seiner Reise einzutreffen. So in etwa lässt sich der Roman „In 80 Tagen um die Welt“ von Jules Verne zusammenfassen. Die Geschichte hält allerlei Verwicklungen bereit und ist ein spannendes Abenteuer. Im 19. Jahrhundert, zur Zeit des Gentlemans Phileas Fogg, war eine Weltreise nämlich noch komplizierter als heute. Damals konnte man nicht einfach in ein Flugzeug steigen. Phileas Fogg war auf alle möglichen anderen Transportmittel angewiesen und musste sich wahnsinnig anstrengen auf seiner Reise.

Die Geschichte wurde mehrfach verfilmt und ist immer noch unterhaltsam. Man fiebert richtig mit, ob Phileas Fogg es schafft, seine Weltumrundung rechtzeitig zu beenden.

Denn das ist sein einziges Ziel, und der Grund, aus dem er sich überhaupt erst auf den Weg gemacht hat: Er hat mit anderen darum gewettet, dass er das in 80 Tagen schaffen kann. Auf so eine Idee käme ich nie. So viel Energie aufzuwenden, nur um eine Wette zu gewinnen!

Obwohl: Manchmal macht es ja schon Spaß, sich selbst und andere herauszufordern. Im Kleinen mache ich das manchmal mit meinen Kindern. Wetten, dass ich es länger aushalte, mein Handy nicht anzufassen?

Mit anderen solche Wetten abzuschließen ist ja eigentlich nichts anderes, als sich selbst herauszufordern. Sich selber aus der Komfortzone zu locken, um über sich hinauszuwachsen. Das geht mit einer Wette besser, als wenn man sich nur für sich alleine etwas vornimmt.

Sowas ähnliches wird auch in der Bibel einmal vorgeschlagen: „Lasst uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten anspornen.“ (Hebr 10,24)

Vielleicht wäre das ja doch was für mich. Mal überlegen, was ich eigentlich gut finde, wozu ich mich aber oft nicht aufraffen kann. Und dann eine Wette abschließen. Zum Beispiel mit meinem Mann: Wetten, dass ich es dieses Jahr länger durchhalte, einmal die Woche Sport zu machen, als Du?
Oder mit den Nachbarn: Wetten, dass wir es diesen Sommer wirklich schaffen, ein Straßenfest zu organisieren und die Neuen aus unserer Straße einzuladen?

Top, die Wette gilt!

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SWR4 Abendgedanken

16JAN2025
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Typisch für Gedichte ist, dass sie Dinge auf den Punkt bringen. Sie sagen oft in wenigen Worten mehr als große philosophische Abhandlungen. So ging es mir auch mit einem Gedicht von Else Lasker-Schüler. Sein Titel: „Ein Lied an Gott“. Es ganz zu zitieren, würde den Rahmen so eines Abendgedankens sprengen. Deshalb greife ich nur zwei Strophen heraus. Hier die eine davon( – gesprochen von Isabelle Demey):

 

Ich suchte Gott auf unbeschienenen Wegen

Und kräuselte die Lippe nie zum Spott.

In meinem Herzen fällt ein Tränenregen.

Wie soll ich dich erkennen lieber Gott . . . .

 

Ich habe in meinem Pfarrersleben unzählige Predigten gehalten und schreibe seit über zehn Jahren Beiträge fürs Radio. Und habe den Eindruck: Ich tue das, weil ich mich an genau diesem Gedanken abarbeite: „Wie soll ich dich erkennen, lieber Gott?“ Weil ich eben darauf keine klare Antwort finde. Aber sehr wohl weiß, dass es keinem Menschen zu Lebzeiten gelingen kann, Gott zu erkennen. Um so mehr nehme ich wieder und immer wieder einen neuen Anlauf. Ich bilde mir nicht ein, dass ich jemals endgültig damit fertig werde. Ich suche und verstehe etwas, aber nie ganz. Dazu ist Gott zu groß und ich zu klein. Trotzdem lähmt mich das nicht oder lässt mich enttäuscht zurück. Im Gegenteil: Es treibt mich an, nicht damit aufzuhören. Obwohl es in all den Jahren und bei den vielen Versuchen auch jene Situationen gab, die Lasker-Schüler in der gleichen Strophe erwähnt. Da waren „unbeschienene Wege“, wenn ich mich in einen Gedanken verrannt hatte, mir dann aber die Zeit oder Kraft gefehlt hat, mehr Licht ins Thema hineinzubringen. Ich hätte zum Beispiel mehr darüber lesen können, weshalb Väter und Söhne ein so brisantes Verhältnis zueinander haben. Wie es bei mir und meinem Vater war. Es gab auch Zeiten voller „Tränenregen“, von denen das Gedicht spricht. Als mir mit Mitte vierzig mein Leben aus den Händen zu gleiten schien. Ich habe bei allem und immer daran festgehalten, nach Gott zu suchen. Und war dabei doch wohl am ehesten so, wie es die zweite Strophe von Else Lasker-Schülers Gedicht ausdrückt: ein Kind, das mehr vertraut als weiß. Da war auch im Dunkeln immer Hoffnung. Und ein Mensch, der mir dabei geholfen hat.

 

 

Da ich dein Kind bin, schäme ich mich nicht

Dir ganz mein Herz vertrauend zu entfalten.

Schenk mir ein Lichtchen von dem ewigen Licht! - - -

Zwei Hände, die mich lieben, sollen es mir halten.

 

So ein Licht und Hände, wenn sie gebraucht werden, wünsche ich Ihnen auch.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16JAN2025
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„Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Dieses Lied singe ich gerne auch als Neujahrsgruß. Auch meiner Schwiegermutter habe ich es gerade vorgesungen. Sie ist vor vierzehn Tagen in ein Pflegeheim umgezogen. Mit zunehmender Demenz ist es für meine Schwägerin nämlich immer schwieriger geworden, die 24Stunden/7 Tage-Pflege alleine zu stemmen.

Mein Mann und ich wohnen viele hundert Kilometer weit weg und können den Alltag nur wenig entlasten. Aber ein letztes Weihnachtsfest wollten wir gerne noch zusammen feiern in dem Haus, in dem meine Schwiegermutter fast ihr ganzes Leben verbracht hat: Sie hat dort eine Schneiderwerkstatt betrieben, die eigenen Eltern gepflegt und ihre beiden Kinder großgezogen.

Ich bin erst spät in ihr Leben getreten; da hatte die Demenz schon angefangen. Deshalb hat es mich immer besonders gefreut, dass sie mich bei unseren Besuchen noch lange beim Namen genannt hat: „Martina, wie schön, dass du da bist!“ Viele und vieles andere war aus ihrem Gedächtnis schon lange verschwunden. Nur an zwei traumatische Erlebnisse aus ihrer Kindheit im Krieg hat sie sich immer und immer wieder erinnert und sie uns in stereotyper Art und Weise vorgetragen.

Aber mindestens genauso oft hat sie uns innerhalb einer Stunde gefragt, ob sie uns nicht etwas anbieten könnte, Kaffee kochen, Brote schmieren. Auch in der Demenz hat sich der zugewandte, liebenswürdige, fürsorgliche Mensch gezeigt, der sie ein Leben lang gewesen ist. Das ist jetzt anders geworden. Oft geht ihr Blick ins Leere; die Hände sind unruhig und suchen am Saum ihres Pullovers entlang nach einem Halt. Und sie durchlebt nun auch zunehmend Phasen von Angst und Verzweiflung, fühlt sich bestohlen und bedroht. Beruhigende Worte verfangen schon lange nicht mehr, und was mich besonders schmerzt, ist, dass sie nun auch liebevolle Gesten nicht mehr richtig einordnen kann. Wenn ich ihr behutsam über den Handrücken streichle, schlägt sie die Hand weg, die ihr zu nahegekommen ist. Wie kann ich ihr zeigen, dass sie nicht alleine ist, wenn sie selbst solche elementaren Gesten wie ein Streicheln nicht mehr versteht?

Ich wünsche ihr so sehr, dass sie die guten Mächte spüren kann, von denen sie zweifellos noch immer umgeben ist. 

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SWR3 Worte

16JAN2025
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Der Begriff Resilienz beschreibt die psychische Widerstandskraft. Puh, wenn ich mir überlege, mit wie vielen Herausforderungen die aktuelle Zeit aufwartet, dann brauche ich aber eine üppige Portion von dieser Resilienz. Die gute Nachricht: Man kann Resilienz trainieren wie eine Sportart. Die Autorin Cheryl Rickman behauptet:

Je öfter wir uns Herausforderungen stellen, desto erfolgreicher bewältigen wir das Leben. Genau wie Muskeln stärker werden, wenn wir sie benutzen, wird auch der Geist umso stärker, je mehr wir unsere Resilienz einsetzen. Das Wissen, dass wir mit jeder Herausforderung kräftiger werden können, macht uns stark. Es kann uns befähigen, selbst in schwierigsten Zeiten die gesamte Schönheit des Seins zu erfahren und unsere einzigartige Lebensreise zu genießen. Stress, Trauer, Angst und Depressionen schwächen oft. Doch die Fähigkeiten der Resilienz kann uns aus diesen heraushelfen wie einem Schmetterling aus seinem Kokon. Über dieses Wachstumspotential verfügen wir alle.

Quelle: Quelle: Rickman, Cheryl: Das kleine Buch der inneren Stärke. Die besten Übungen für Resilienz und Zuversicht. Heyne-Verlag, München 2020, S.28.

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SWR Kultur Wort zum Tag

16JAN2025
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Ich betrete einen fensterlosen Raum, stecke in einem Schutzanzug mit Helm und Visier. An der Wand hängen verschiedene Werkzeuge, zum Beispiel ein Hammer oder ein Baseballschläger.
Es kann losgehen. Ich wähle den Baseballschläger und kloppe drauf los. Irgendwann mit lautem Gebrüll. Mal so richtig die Wut rauslassen.

Ich bin in der Randalezentrale. Das ist ein sogenannter „Wutraum“ im Ruhrgebiet. Solche Räume gibt es aber auch an anderen Orten in Deutschland. Und das sind wirklich bewusst eingerichtete Räume mit gebrauchten Gegenständen, die kaputt gehen dürfen. Alte Fernseher, Regale, Glasbausteine, Geschirr, Waschbecken.

Wut ist oft ein Tabu. Aber wir kennen das ja alle – wie geht man damit jetzt sinnvoll um?
Eine Möglichkeit sind diese Wuträume.
Interessant ist, dass viele Frauen diese Räume nutzen, v.a. von Frauen, die in sozialen Berufen arbeiten: Lehrerinnen, Erzieherinnen, Altenpflegerinnen. Frauen, die sehr gefordert sind, die viel helfen und viel geben und die hier ihren Stress abbauen. Psychologen sagen, dass das einmalig richtig gut tun kann. Schwierig wird es dann, wenn Körper und Geist sich diesen Mechanismus merken, und ich dann irgendwann zuhause die Kaffeetasse an die Wand schmeiße, weil ich gespeichert habe, dass das gut tut.

Ich verstehe, warum so viele Leute die Randalezentrale nutzen. Sich körperlich austoben, Kraft aufwenden, einfach mal was kaputt machen, das hat mir sogar Spaß gemacht. Aber es bleibt auch ein bisschen Sorge vor zu großem Spaß daran, was kaputt zu machen. Weil es in meinem normalen Leben keine Lösung ist. Da muss ich selbst runterfahren oder andere Wege finden, mit meiner Wut umzugehen. Wütend sein ist ja per se nicht schlecht. Ich gehe manchmal einfach alleine in einen Raum, einfach weg. Manchmal werde ich auch stumm, spreche gar nicht mehr oder ich gehe raus und fege.

In die Randalezentrale kann ich nicht immer gehen. Wut gehört zum Leben und es ist sinnvoll, sie ins Leben zu integrieren - damit sie auf Dauer kein Eigenleben entwickelt.

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