Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

     

SWR2 / SWR Kultur

    

SWR3

  

SWR4

      

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

15SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es muss gegen Ende der Sommerferien gewesen sein, denn ich erinnere mich noch genau an den großen Blumenstrauß aus Dahlien und Sonnenblumen, der neben dem Telefon stand, als dieser Anruf kam. Die Frau am anderen Ende der Leitung klang verzweifelt. Unter Tränen hat sie mir erzählt, dass ihr Vater im Sterben liege; jeden Moment könne es zu Ende gehen, und sie könne einfach keinen katholischen Priester für eine Krankensalbung erreichen. Überall nur die freundlichen, aber nutzlosen Stimmen auf Anrufbeantwortern. Ob ich nicht kommen könnte? In der Not würde sie, würde wohl auch der Vater, auch mit einer evangelischen Pfarrerin vorliebnehmen. Ich versicherte ihr, dass ich mich sofort auf den Weg machen würde. Und während ich mein Buch mit Gebeten am Sterbebett suchte, ratterten in mir die Gedanken. Ob ich einfach so eine Krankensalbung vollziehen könnte? Und wie ging das überhaupt? Was war wichtig dabei? Wem würde ich helfen und wen damit vielleicht in Schwierigkeiten bringen? Und warum, habe ich mich damals gefragt, ist man auf das richtige Leben eigentlich immer so schlecht vorbereitet?

Der Weg zum Haus, in dem gestorben wurde, war nicht weit; ich klingelte und wurde eingelassen. In der Wohnung hat mich schier der Schlag getroffen. Ein gutes Dutzend Menschen hatte sich da versammelt, alle wuselten hektisch hin und her. Mein erster spontaner Gedanke: Mein Gott, wie soll man hier sterben können bei diesem Betrieb? Vorsichtig habe ich versucht, einen Teil der vielen Leute aus dem Schlafzimmer zu bugsieren. Ein Sohn blieb am Bett sitzen, um einen Psalm, ein Gebet nach dem anderen vorzulesen. Sein Vater sei ein gläubiger Mensch; es würde ihm gefallen. Ich blieb einen Moment bei ihm, hörte die vertrauten Worte eines biblischen Psalms: „Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen und nicht zugeben, dass dein Geschöpf für immer in die Grube muss. Auch mein Leib wird sicher wohnen.“ Dann habe ich ihn alleingelassen, bin den anderen ins Wohnzimmer gefolgt. Einige weinten, andere rauchten; alle redeten durcheinander und wollten nur das Beste, nur waren sie sich uneins, was in dieser Situation wohl das Beste war. Nun, wer weiß das schon; ich wusste es jedenfalls auch nicht, habe sie erzählen lassen, nachgefragt, versucht, die vielen Gesprächsfaden zu entwirren und nicht abreißen zu lassen. Zwischendurch ging ich nach nebenan, um nach dem Sterbenden zu sehen. Ich habe ihm die Hand auf die Stirn gelegt, seine Handrücken gestreichelt. Ich hatte keine Ahnung, ob der Mann wirklich in seinen letzten Zügen lag.

Endlich hat es an der Tür geklingelt und ein Priester ist aufgetaucht. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, aber er wusste, was zu tun war.

An den genauen Ablauf oder den Wortlaut der Gebete kann ich mich nicht mehr erinnern; sehr wohl aber an die Ruhe, die sich plötzlich auf alle Anwesenden übertragen hat. Alle Verzweiflung, alle Hektik war mit einem Mal wie weggeblasen. Auch ich konnte mich einfach dem Ritual überlassen und musste nicht mehr nachdenken, was denn nun zu tun wäre. Mit den andern sah ich zu, wie der Priester den Sterbenden an denselben Stellen berührte, die auch ich zuvor intuitiv gewählt hatte, auf der Stirn und an den Händen; nur dass er dazu noch ein extra Salböl verwendete. Schön war das.

Als der Mann etwa eine Stunde später tatsächlich starb, war nur die Tochter bei ihm im Zimmer, die mich angerufen hatte. Gefasst kam sie herüber, bat uns hinein, die wir noch im Zimmer nebenan ausharrten. Sie hatte das Fenster geöffnet, damit, wie sie sagte, die Seele sich nun auf den Weg machen konnte. Und noch einmal fielen mir die Worte aus dem Psalm ein, die ich kurz zuvor gehört hatte: „Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen. Du wirst nicht zugeben, dass dein Geschöpf für immer in die Grube muss. Auch mein Leib wird sicher wohnen.“ Die schlichte Zuversicht dieser Worte schien sich auf die Anwesenden übertragen zu haben in dem Moment, als der Priester sie dem Sterbenden quasi auf den Leib geschrieben hatte. Als hätte er damit einen Weg geöffnet, auf dem nun alles seinen geregelten Gang gehen, seine natürliche Bestimmung finden konnte. Ein Leben ging zu Ende, und andere Leben gingen weiter, und der Vollzug eines alten Rituals hat dafür gesorgt, dass alle ihren Platz gefunden haben.

Ich habe das nie vergessen. Und es hat mir auch ein bisschen die Angst genommen vor vielen weiteren Begegnungen an Sterbebetten. Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, wie liebevolle Segensgesten, Berührungen, die gemeinsame Feier eines Abendmahls oder biblische Worte, die so viel älter sind als die Lebenden und die Toten im Raum, eine ruhige Zuversicht vermittelt haben, dass alles sich fügen wird. Ganz so, wie der Psalm es verspricht: „Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen. Du wirst nicht zugeben, dass dein Geschöpf für immer in die Grube muss. Auch mein Leib wird sicher wohnen.“

Wenn es so weit ist, wünsche ich Ihnen das auch. Und haben Sie keine Scheu, einen Priester zu rufen oder eine Pfarrerin. Rituale tun der Seele gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40660
weiterlesen...

SWR Kultur Lied zum Sonntag

15SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein bisschen Wehmut schwingt schon mit: Nun sind die Sommerferien vorbei. Und überall im Land hat wieder der normale Arbeitsalltag angefangen. Auch wer keine Kinder oder Enkel im schulpflichtigen Alter hat, konnte in den letzten Wochen von der entspannteren Stimmung profitieren: auf Straßen, in Geschäften, bei der Arbeit. Jetzt müssen sich alle wieder ins Zeug legen. Da heißt es, sich einen Ruck geben. Vielleicht auch mit einem Lied:  

In Gottes Namen fang ich an, was mir zu tun gebühret;
mit Gott wird alles wohlgetan und glücklich ausgeführet.
Was man in Gottes Namen tut, ist allenthalben recht und gut
und kann uns auch gedeihen.

Eigentlich erstaunlich: Nur vier Lieder finde ich im Evangelischen Gesangbuch in der Rubrik „Arbeit“. Und im katholischen Gotteslob suche ich das Stichwort vergeblich. Dabei verbringt der Mensch doch nicht erst im 21. Jahrhundert einen Großteil seiner Zeit mit Arbeiten: Mit Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, Hausarbeit, Erziehungsarbeit. Und es gibt sogar eine eigene protestantische Arbeitsethik. Vor allem in den auf Calvin zurückgehenden Kirchen der Reformation wird da Erfolg im Beruf auch als Zeichen göttlicher Gnade und Zuwendung verstanden. Etwas davon klingt auch in diesem Lied an:

Gott ist’s, der das Vermögen schafft, was Gutes zu vollbringen;
Er gibt uns Segen, Mut und Kraft und lässt das Werk gelingen;
Ist er mit uns und sein Gedeihn, so muss der Zug gesegnet sein,
dass wir die Fülle haben. 

Lebens-Fülle wird heute aber vermehrt in den Zeiten gesucht, die nicht der Arbeit gewidmet sind. In der Generation meiner Kinder ist es recht selbstverständlich, sich auch nach einem langen Studium nicht mit vollem Elan ins Arbeitsleben zu stürzen. Viele jungen Menschen wollen keinen 100% Job annehmen, um möglichst schnell Karriere zu machen, sondern lieber ihre Zeit mit anderen sinnvollen Dingen füllen: Sie möchten Zeit mit anderen verbringen, Zeit für eigene Interessen haben, Zeit zum Entspannen und ja, auch Zeit für ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement. Denn die eigene Arbeit soll auch denen zugutekommen, die mit wirtschaftlichem Erfolg nicht gesegnet sind – auch davon singt unser Lied:

Wer erst nach Gottes Reiche tracht‘ und bleibt auf seinen Wegen,
der wird von ihm gar reich gemacht durch seinen milden Segen.
Da wird der Fromme froh und satt, dass er von seiner Arbeit hat
auch Armen Brot zu geben. 

Wenn also ab sofort wieder überall im Land fleißig in die Hände gespuckt wird, dann wünsche ich Ihnen, dass sich dadurch nicht nur das Bruttosozialprodukt steigert, sondern dass Sie Freude haben an ihrer Arbeit und Segen erfahren:

Drum komm, Herr Jesu, stärke mich, hilf mir in meinen Werken,
lass du mit deiner Gnade dich bei meiner Arbeit merken;
gib dein Gedeihen selbst dazu, dass ich in allem, was ich tu,
ererbe deinen Segen.

Fangen Sie es morgen in Gottes Namen gut an!

-------------------------------

Musikangaben:
Text: Salomo Liscow (vor 1672), 1674
Melodie: Johann Crüger (1653)
Aufnahme: Detlev Korsen am 27.09.2018 in der St. Johannis-Kirche in Verden an der Aller(Youtube)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40659
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

15SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Teresa hat ein schwieriges Leben gelebt. Ich kenne sie schon seit Jahren. Sie kommt aus Polen, seit über zwanzig Jahren lebt sie auf der Straße. Übernachtet seit Jahren in einer Tiefgarage; ein unbehaustes Leben. Mal war sie im Gefängnis, weil sie schwarz gefahren ist mit der Bahn, mal ihr Mann. Als er im Gefängnis war, ist Teresa abgestürzt. ‚Ich kann nicht ohne ihn sein, sagt sie, er ist doch mein Mann! Ich weiß, er ist nicht immer gut, zu viel Wodka, zu viel Gewalt.‘ Teresa hat immer von nichts als Freundlichkeiten gelebt: Geld, Essen, gute Worte. Es gibt Menschen, die sie unterstützen, Streetworker, Passanten.

Teresa ist seit Jahren krank, sie hatte zunächst Brustkrebs. Obwohl sie keine Papiere hat und nicht versichert ist, ist es gelungen, sie operieren zu lassen. Aus dem Krankenhaus ist sie abgehauen. Dann ist der Krebs in ihre Knochen gewandert. Jetzt lebt sie seit Jahren im Rollstuhl auf der Straße. Das schafft nicht jeder; für Frauen ist es besonders schwierig, ohne Badezimmer, ohne Toilette. Bei alledem ist sie unglaublich freundlich geblieben, ein herzliches und offenes Wesen. Wenn ich ihr begegnet bin, ein Leuchten auf ihrem sanften Gesicht. Seit einigen Monaten geht es Teresa immer schlechter, sie war wieder im Krankenhaus. Die Ärzte sagen, sie wird bald sterben. Und da ist einem der Leute, die sie seit Jahren begleiten, ein Wunder gelungen: Teresa ist in einem Hospiz, ohne Papiere, ohne Versicherung! Dort wird sie sterben, liebevoll gepflegt, umsorgt, beschützt, geborgen. Sie bekommt regelmäßig Essen und Medikamente gegen die Schmerzen.

‚So gut ging es mir seit Jahren nicht mehr!‘, sagt sie. Sie ist sehr dankbar, sagt: ‚Ich fühle mich wie in einem Hotel‘, sie lebt auf. Ich bin sehr dankbar für jeden Tag, den Teresa in diesem Wunder lebt. Ich wünsche ihr nur eins: ein gesegnetes Ende.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40652
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

15SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Sr. Maria Hanna Löhlein, Baustelle Kloster Reute Copyright: Klaus Mellinger

Manuela Pfann trifft die Generaloberin aus dem Kloster Reute, Schwester Maria Hanna.

… und mit Schwester Maria Hanna Löhlein. Ich treffe die Ordensfrau auf einer Baustelle - auf ihrer Baustelle – auf dem Klosterberg in Reute in Oberschwaben. Um uns herum sind Kräne und Baumaschinen, Schutt und eingerissene Wände. Nein, das Kloster wird nicht abgerissen, Gott sei Dank. Aber 150 Jahre nach dem Einzug der Franziskanerinnen passiert dort etwas Außergewöhnliches: Der Klosterberg wird umgebaut, er wird zu einem kleinen Quartier.

Also wenn alles klappt, wie ich mir das vorstelle, dann sind es ungefähr 120 Menschen, die um das Kloster herum leben, zwölf Parteien, die im Kloster im Klosternahen Wohnen leben und 40 Schwestern.

Nur noch 40 Schwestern von heute weit über 100. In gut zehn Jahren wird es wohl so weit sein. Doch obwohl der eigene Nachwuchs fehlt, wird die Klosterpforte eben nicht geschlossen, sie öffnet sich.

2014 im September hatten wir Generalkapitel, und da haben wir uns nochmal unsere Situation vor Augen gehalten mit allen Zahlen, mit unserem Alter, mit der Anzahl der Schwestern und da war ganz klar: Wir müssen, wenn wir in die Zukunft schauen, unseren Klosterberg umgestalten. Wir müssen auch Flächen anderweitig nutzen. Wir müssen andere Mitplayer hier reinkriegen und der Not der Zeit begegnen.

Für Maria Hanna und ihre Mitschwestern hieß das schon damals zu fragen: Was braucht die Stadt, was brauchen die Menschen von uns? Mit dem Umbau antwortet das Kloster auf zwei Themen unserer Zeit: die Vereinsamung und die Schwierigkeit, passenden und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deshalb wird im Quartier genossenschaftlich gebaut werden, und: Kleine Appartements entstehen mitten im Klostergebäude. Für dieses sogenannte klosternahe Wohnen gibt es jetzt schon deutlich mehr Bewerbungen als Plätze. Warum ist die Nachfrage so groß?

Weil die Sehnsucht nach Gemeinschaft groß ist. Es gibt da viele, die sagen, ich möchte sinnvoll leben oder ich habe einen Bruch in meiner Lebensgeschichte. Und von daher ist es dann auch gut, wenn man Perspektiven hat mit anderen zusammen, dass man dann neu ansetzt und sinnvoll miteinander etwas tut.

Ich finde das eine schöne Idee. Und gleichzeitig stelle ich mir das nicht einfach vor, mit den Schwestern zusammen zu leben, und nicht nur Gast zu sein für ein paar Tage. Was müssen Menschen mitbringen, die da einziehen wollen?

Die müssen auf jeden Fall Gemeinschaft leben wollen. Also wenn jemand hierherkommt, weil er so ein Bild von Kloster hat, da ist es still und da will keiner was von mir. Das geht nicht, da können wir keine Schweigemönche brauchen, sondern richtige Leute, die zupacken wollen.

Und mit anpacken kann man in Reute an vielen Stellen: Im großen Kräutergarten, oder man kann Dienste an der Pforte übernehmen, im Gottesdienst Orgel spielen oder Kurse im Bildungshaus anbieten.

 

Sr. Maria Hanna Löhlein ist die Generaloberin im Kloster Reute bei Bad Waldsee, also die Chefin. Über ihrem Schwestern-Schleier trägt sie regelmäßig einen Bauhelm, bei ihr laufen die Fäden für den großen Umbau des Klosters zusammen. Dabei schimmert immer auch das Erbe ihres Ordensgründers, des heiligen Franziskus, durch, die Verantwortung für die Schöpfung.

Wir haben keine Tapete oder irgendwelche Kleber, sondern werden jetzt mit Lehm glätten, unsere Wände auch entsprechend naturgemäß machen. Wir haben eine Planung von der Heizung, dass wir nicht mehr Gas und nicht mehr Öl verfeuern, sondern dann eben mit entsprechenden regenerativen Energien arbeiten. Also da ist ganz viel, was der Franziskus uns eigentlich auch als Stachel setzt.

Ich staune, wie fachkundig Sr. Maria Hanna von diesem Bau-Projekt spricht; für eine Ordensfrau ist das doch alles Neuland. Aber da täusche ich mich. Die Eltern zuhause waren im Baugewerbe tätig und sie hat vor ihrem Studium eine Banklehre gemacht.

Also es ist schon irgendwie kurios, aus einer Zieglereifamilie zu kommen, in einer Bausparkasse zu landen, dann ins Kloster zu gehen und dann so ein Projekt irgendwann zu tragen. Also das glaube ich schon, dass sich da auch was abrundet und dass es ein Stück weit auch Berufung ist. Aber ausgerechnet oder angestrebt habe ich das nie.

Wie passend, dass die Schwester von Maria Hanna Architektin ist. Es lag also nahe, sich auch mit ihr über die Pläne und Visionen für die Zukunft des Klosters auszutauschen. Sie hat die Schwester über den Klosterberg geführt und gefragt:

Was denkst du und wie soll man denn anfangen? Und dann hat sie ganz nüchtern gesagt: „Euer Kloster hat keine Mitte. Ihr habt hier einen schönen Klosterberg, aber man weiß nie, wann man wirklich da ist. Es gibt hier viele Mauern, viele Türen, aber es erschließt sich nichts von allein.“ Und das hat gesessen. Da habe ich gemerkt: Wie muss ich jetzt diesen Klosterberg anschauen, dass da eine Mitte entsteht, in der auch Menschen spüren können ja, da, um das geht es denen.

Die Architektur muss also zum Inhalt passen. Es braucht einen Ort, wo alle zuerst einmal ankommen und wo sie die Gastfreundschaft der Franziskanerinnen spüren. Ich glaube, das wird gelingen, die Pläne für diese neue Mitte habe ich schon gesehen: Ein heller Raum, mitten auf dem Gelände, mit großer Empfangstheke. Und von dort aus geht es weiter: ins Klostercafé, zum Gespräch, in den Klosterladen oder in einen Raum der Stille. Warum auch immer Menschen ins Kloster Reute kommen werden – für Schwester Maria Hanna bleibt eines wichtig:

Egal mit welcher Schuld oder mit welchem Mist oder mit welchem Schutthaufen an gescheiterten Träumen man gerade gelandet ist. Dass dieser Gott mich sieht in all dem drin und dass er will, dass ich lebe. Und wenn man das vermitteln kann, dann ist ganz viel Gutes geschehen und dann kann man auch aus Scherben was machen.

 

https://www.klosterberg-reute.de/

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40650
weiterlesen...

SWR1 3vor8

15SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Herr Jericke, beten Sie?“ Eine Schülerin hat mich das im Religionsunterricht gefragt? „Nun ja, ich bin Pfarrer, natürlich bete ich“, habe ich ihr geantwortet. Im Nachhinein finde ich diese Antwort etwas irreführend. Denn bete ich nur, weil es zu meinem Beruf dazugehört?

Ehrlicherweise fällt es mir manchmal schwer zu Beten. Insbesondere dann, wenn ich nicht mit meinen eigenen Worten bete, sondern vorgefertigte Gebete nutze. So wie zum Beispiel das Vaterunser. Oder die Psalmen in der Bibel. Drücken diese Worte anderer wirklich das aus, was ich sagen will? Über einen Psalm wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt. Da heißt es:    

Gott steht mir immer vor Augen. Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht hin. Darum ist mein Herz so fröhlich und meine Seele jubelt vor Freude.

Ich finde, das sind schöne, hoffnungsvolle Worte. Und ich finde es beeindruckend, wenn jemand so ein unerschütterliches Gottvertrauen hat. Und aus diesem Vertrauen heraus betet.

Aber passt das zu mir? Denn ja: ich glaube an Gott, aber er steht mir nicht immer vor Augen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, er ist weit weg. Dann zweifle ich an Gott.

Und ja, der Glaube an Gott macht mich sicher auch manchmal fröhlich. Ich glaube, mein Leben wird dadurch in vielen Bereichen leichter. Aber dass meine Seele vor Freude jubelt? Selbst würde ich das so nicht sagen.

Und trotzdem merke ich: Es tut mir gut, mit diesen alten Worten zu beten. Weil Glaube für mich auch immer mit Gemeinschaft zu tun hat. Alleine Glauben, das gibt es für mich nicht. Da hilft es mir zu wissen, dass es auch vor vielen Jahren schon Menschen gab, die auf Gott vertraut haben.

Manchmal bin ich selbst auch sprachlos oder finde keine oder nicht die richtigen Worte finde. Dann helfen mir diese alten Gebete, eine Sprache für das zu finden, was ich denke oder fühle. Und auch der bedingungslose, der zweifelsfreie Glaube, der in diesem Psalm zur Sprache kommt, hilft mir. Weil ich glaube, dass Vertrauen abfärbt. Wenn jemand anderes glaubt und vertraut, hilft das mir zu vertrauen. Und deshalb bete ich heute mit, wenn es in der Kirche heißt: Mit Gott an meiner Seite falle ich nicht hin!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40651
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

14SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Vor Kurzem ist Monika in Rente gegangen. Sie hat mir davon erzählt. Erst einmal ausschlafen. Keine Verpflichtungen. Den Alltag neu strukturieren. Und dann hat sie gesagt: „Und ich habe mir eine Karaokemaschine gekauft.“ Ich habe sie wohl sehr erstaunt angeguckt, denn sie hat gesagt: „Ich wollte schon immer mehr singen. Und wenn nicht jetzt, wann dann?“

Dietmar ist einundachtzig. Ich besuche ihn. Er erzählt, was er noch gerne alles machen will. Aber die Kräfte lassen nach. Und er sagt: „Ich würde mir gerne ein E-Bike kaufen, aber ich habe schon zwei Fahrräder. Aber dann könnte ich noch mal mehr Touren machen.“ Dieses Mal sage ich den Satz: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Dietmar hat sich ein E-Bike gekauft und ist jetzt viel unterwegs.

Lena arbeitet seit kurzem in einer Behinderteneinrichtung. Eigentlich hat sie mal Frisörin gelernt. Aber ihr neuer Beruf gefällt ihr total und sie sagt: „Das ist voll mein Ding. Das gibt mir so viel. Wenn ich das vorher gewusst hätte.“ Der Arbeitgeber hat ihr jetzt angeboten, noch eine Ausbildung als Heilerziehungspflegerin zu machen. Aber sie ist doch schon über Vierzig. Doch eigentlich: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Paulus hat einmal geschrieben: „Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ ( 2Kor 6,2)

Sicherlich hat Paulus diesen Satz mit Blick auf Gottes Ewigkeit geschrieben. Aber ich finde darin auch ein Stück Himmelreich auf Erden. Wenn du nämlich hier und jetzt die Zeit findest, um dir etwas Gutes zu tun oder um Neues auszuprobieren oder um deinem Leben eine andere Richtung zu geben, dann bringt dir das heilvolle Tage. Wenn du diese Chance hast, dann ergreife sie. Denn: Wenn nicht jetzt, wann dann?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40649
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute möchte ich über eine Frage reden, die ich wichtig finde, die aber nicht unbedingt Spaß macht, am frühen Morgen. Es ist die Frage: „Wie geht trösten?“

Ich habe dazu meinen Freund Stefan gefragt. Er ist Trauerredner und Trauerbegleiter. Und er hat mir als erstes gesagt, was auf keinen Fall irgendjemandem hilft. Überhaupt nicht hilfreich sind so Sätze wie „Du bist ja noch jung, du kannst noch mal heiraten“. Oder „Zum Glück ging es schnell.“ Oder „Sei froh, dass du noch ein Kind hast.“

Solche Sätze fühlen sich für diejenigen, die jemanden vermissen, wie eine Ohrfeige an und machen, dass sie sich noch einsamer fühlen.

Was auch nicht hilft, so erzählt er mir, ist, wenn Leute, aus Angst, etwas Falsches zu sagen, plötzlich einen Bogen um die Trauernden machen und schnell die Straßenseite wechseln

„Und wie macht man es besser?“ - habe ich Stefan gefragt - „stehen bleiben, hallo sagen, und was danach, wenn ich mich doch unsicher fühle?“

„Sag doch genau das“ hat mir Stefan zur Antwort gegeben: „es tut mir sehr leid, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“. Du kannst auch nachfragen: „Wie geht es Ihnen heute?“ Diese Frage ist eine von Stefans Lieblingsfragen, denn sie ist nicht zu groß, sondern fragt nur nach dem Hier und heute.

Stefan hat noch viele gute Ideen für Begegnungen mit Menschen in Trauer: „Zeige, dass du offen bist und bereit zuzuhören. Erzähle, wenn es passt, von eigenen Erinnerungen mit dem Verstorbenen. Und gut ist auch praktische Hilfe. Dazu kannst du fragen: „gibt es etwas, das ich heute oder in den nächsten Tagen für Dich tun kann? Ein Essen kochen, mit dem Hund Gassi gehen, oder eventuell Papierkram abnehmen?“

Manche sind richtig kreativ beim Trösten.
Von einer guten Idee habe ich gelesen. Die Freundin einer jungen Witwe hat 29 Frauen gefragt, ob sie mit ihr einen ganz besonderen Kalender gestalten. Jede war einmal im Monat an einem bestimmten Tag eingeteilt und hat sich dann bei der Witwe gemeldet. Entweder hat sie eine Textnachricht oder eine Postkarte geschickt oder sie hat angerufen. Die Witwe hat hinterher berichtet: „Ich konnte auf den Kalender schauen und sehen, wer heute für mich da ist. Dadurch habe ich gewusst, bei wem ich mich melden kann. Das ist eine schöne Art zu trösten, finde ich, wenn auch nach Monaten noch jemand fragt „wie geht es dir heute?“ oder „was brauchst du?“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40641
weiterlesen...

SWR3 Worte

14SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Der Comedian Bülent Ceylan erzählt, wie er sich Gott vorstellt:

„Gott ist die Dreifaltigkeit: Vater, Sohn, Heiliger Geist. Mein Vater war Muslim, meine Mutter ist katholisch – und was kommt raus? Evangelisch. Erst war das ein Witz, am Ende war´s die Wahrheit, 2019 habe ich mich evangelisch taufen lassen.
Damals hatte ich viele Fragen, und dann habe ich die Erfahrung gemacht, ihn zu spüren. Es war in einem Hotel. Ich habe mich hingekniet und bat ihn: „Lieber Gott, gib mir bitte ein Zeichen.“ Auf einmal veränderte sich etwas, es fühlte sich an wie eine Präsenz, als sei Gott ganz nah. Kurz darauf habe ich mich von einem evangelischen Pastor, mit dem ich befreundet bin, taufen lassen. Bis heute habe ich immer wieder das Gefühl, seine Nähe in Begegnungen und Gesprächen zu spüren.“

 

Aus: chrismon. Das evangelische Magazin 03/2024, Rubrik Fragen an das Leben Folge 202, gep, Frankfurt am Main 2024, S. 24.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40600
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

14SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich bin der größte Fan unserer Grundschule. Genauer gesagt bin ich Fan der Lehrerinnen dort. Ich bewundere diese Frauen. Aber nicht dafür, dass sie so gut Mathe oder Deutsch unterrichten, sondern wegen was anderem: Sophia zum Beispiel hat Leidenschaft ohne Ende. Wenn sie mit den hundert Kindern an unserer Dorfschule eine Aufführung vorbereitet, dann kann ich nicht fassen, was diese Frau alles auf die Beine stellt. Da sind perfekte Kostüme, sie schreibt Noten um und ermutigt immer wieder diejenigen, die sich noch nicht so trauen.

Oder Miriam. Sie hat eine super Augenhöhe mit den Kindern. Wenn sie mit meiner Tochter spricht, dann nimmt sie sie ernst und traut ihr was zu. So hat sie meiner Tochter schon viel Selbstvertrauen gegeben.

Und dann wären da noch Dorothea mit ihrer klaren Art, Beate, die immer den Überblick bewahrt und Alwina mit ihrer Engelsgeduld.

Ich ziehe meinen Hut vor diesen Frauen. Und natürlich auch vor ihren männlichen Kollegen, die so unermüdlich ihre Arbeit leisten. Nur deswegen können Kinder lernen, was außer Mathe und Deutsch vor allem wichtig ist: das, was zwischenmenschlich passiert, dass man aufeinander achtet und füreinander einsteht. Dass man sagen kann, wenn es einem nicht gut geht und dass man dann auch gehört wird. Das lässt im besten Fall jedes Kind wachsen – und das nicht nur an Körpergröße.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40533
weiterlesen...

SWR Kultur Wort zum Tag

14SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Welt ist voller Gewalt, das bekommen ja alle zu spüren - angefangen bei der alltäglichen Gereiztheit bis zur raffiniertesten Ausbeutung und Unterdrückung. Nein, ich will hier das Leben nicht anschwärzen und Trübsal blasen, am Morgen eines Tages schon gar nicht. Aber dass es eine Überlebensaufgabe ist, den Gewaltpegel wenigstens zu senken, dürfte niemand bestreiten. Im Prinzip jedenfalls. Im Grunde ist es das alte Lied seit Kain und Abel, aber derzeit steht weltweit besonders viel auf dem Spiel: die ökologische Balance nämlich und damit die Frage, wie wir der Um- und Mitwelt weniger Gewalt antun, und uns selber auch.

Ich kenne – im Ernst – kaum eine Religion, die das Thema Gewaltüberwindung derart in den Mittelpunkt stellt wie der christliche Glaube. Immerhin geht es da zentral um einen unschuldig Gekreuzigten, das Opfer mitmenschlicher Gewalt. Dass der gute Jesus derart brutal beseitigt wurde, hängt ja zentral mit seiner Botschaft der Feindesliebe zusammen; man wollte den Störenfried loswerden und sein Plädoyer für Gewaltlosigkeit auch. Aber der Kick am christlichen Glauben heißt Ostern: Gott hat diesen Jesus aus dem Tod erweckt und ihm für immer Recht gegeben. Nie hat Gewalt das letzte Wort, und immer produziert sie Leiden. Glaubhaft ist nur Liebe.

Deshalb ist mir das heutige Kirchenfest so wichtig: Kreuz Erhöhung. Äußerer Anlass dafür war die Legende, dass damals die Kaiserin Helena das Kreuz Jesu in Jerusalem gefunden habe, gut 300 Jahre nach der Hinrichtung Jesu. Viel wichtiger ist mir die innere Botschaft dieses Festes: das Kreuz Jesu erhöhen, heißt ja: dessen Leben und Werk in den Mittelpunkt stellen und großmachen. „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“, heißt es dazu im Johannes-Evangelium (Joh 19,30). Also genau hinschauen auf dieses Opfer von Gewalt und Folter, auf das globale Ausmaß von Gewalt überhaupt – aber eben nicht wie die Maus auf die Schlange, sondern mit den Osteraugen der christlichen Hoffnung. Weil mit der Auferweckung Jesu der verfluchte Bann tödlicher Gewalt prinzipiell gebrochen ist, können wir endlich illusionslos und angstfrei hinschauen, auch auf uns selbst in den Spiegel. Wir brauchen nicht länger Blinde Kuh zu spielen, wir können hinschauen und vor allem anpacken wie dieser Jesus. Sein Kreuz wird zum Siegeszeichen, zum Notenschlüssel, zum Durchbruch in eine gewaltfreie Welt. Feindesliebe ist möglich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40487
weiterlesen...