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SWR3 Gedanken

22APR2024
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„O mein Gott!“, sagt der Realitystar, als er von der kniffligen Mutprobe erfährt. „O mein Gott!“ sagt die Influencerin, als sie den Gürtel mit der Glitzerschnalle auf dem Tablet entdeckt. Und „O mein Gott!“ sagen auch meine Söhne, wenn sie einen krassen Zaubertrick bei Youtube sehen.

Jetzt könnte ich als Theologe natürlich anfangen zu schimpfen auf die ganze „O mein Gott!“-Sagerei. Tu ich aber nicht. Es heißt zwar, du sollst den Namen Gottes nicht gedankenlos benutzen, aber „O mein Gott!“ ist für mich ein Gebet. Und wem sollte ich das Beten verbieten!

Klar, je mehr es von Herzen kommt und je ehrlicher es gemeint ist, desto eher kann man auch von Gebet sprechen: „O mein Gott, wie viel Leid muss Tante Gisela noch ertragen?“ Oder: „O mein Gott, wie reißt mich diese Band mit!“ Oder: „O mein Gott, wie bunt blüht diese Blumenwiese!“

Der Ausruf „O“ steht dafür, dass etwas aus mir rausbricht, ich muss es einfach loswerden, was mich bedrückt, freut oder staunen lässt. Und das „mein“ steht dafür, dass Gott auch mir gehört, oder zumindest zu mir gehört. Dass er mein ist. Und das ist der beste Hinweis darauf, wo ich ihn suchen kann: Wohl weniger in der Realityshow, im Schaufenster oder bei Youtube. Sondern tief in mir, in meinem Herzen. O mein Gott!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22APR2024
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Ich habe einmal eine Fahrradtour die Donau entlang gemacht. Und wie ich so vor mich hinfahre, da ist sie auf einmal einfach weg. Die Donau. Zumindest an den meisten Tage im Jahr. Nach ihren ersten Kilometern als kleiner Fluss verschwindet die Donau plötzlich im Boden – nur um über 10 km später wieder aufzutauchen. Von diesem Phänomen – der Donauversickerung – bin ich seitdem fasziniert. Die Donau versickert, weil der Untergrund voll von kleinen Rissen und Klüften ist. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass man rausgefunden hat, dass nicht alles Wasser der Donau später wieder als Donau weiterfließt, sondern ein Teil des Wassers im Aachtopf wieder auftaucht und in den Rhein fließt. Ich finde das Phänomen richtig faszinierend, weil ich es verrückt finde, dass so ein Fluss einfach verschwindet und wieder auftaucht.

Mit meinem Glauben war es ein bisschen wie mit der Donau. Als junger Erwachsener – mitten im Studium war es so, als wäre mein Glaube einfach im Boden versickert. Das war anders als bei der Donauversickerung weniger faszinierend, sondern sehr, sehr belastend. Der Glaube hatte seit der Kindheit mein Leben mitbestimmt – und auf einmal begann er zu versickern und ich konnte es nicht aufhalten. Eine Zeit lang war es so, als wäre er einfach weg mein Glaube. Es hat gedauert, bis er langsam wieder aufgetaucht ist – und das ist dann doch so faszinierend, wie die Donauversickerung. Denn es gab keinen äußeren Grund, kein plötzliches Erlebnis, dass meinen Glauben zurückbrachte. Eher so ein langsames Wiederauftauchen. Wie ein kleines Rinnsal, das schließlich langsam wieder zu einem kleinen Strom wurde.

Seitdem steigt und sinkt der Wasserstand meines Glaubensflusses auch immer mal wieder. Versickert, wie damals, ist er nicht mehr. Aber mich lässt meine Erfahrung und das Bild der Donauversickerung entspannter auf den Glauben schauen: Nicht immer, wenn er gerade nicht greifbar oder sichtbar ist, ist der Glaube weg. Und nach längeren Durststrecken folgen auch wieder Zeiten, in denen der Fluss wieder kräftiger wird. Manchmal ist es auch wie beim Aachtopf: da kommt der Glaube wie die Donau an einer ganz anderen Stelle wieder raus und fließt dann weiter. Egal wo – er führt mich weiter mein Glaube, er fasziniert und beschäftigt mich. Wie die Donauversickerung eben.

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SWR4 Abendgedanken

22APR2024
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Heute Abend beginnt das jüdische Pessachfest. Dieses Fest beginnt am Vorabend – wie wir das von Weihnachten oder manchmal von Geburtstagen kennen. Wir feiern in das Fest hinein!

Das jüdische Pessachfest ist auch für Christen von Bedeutung.  Jesus ist mit seinen Jüngern zum Pessachfest nach Jerusalem gegangen, und ist in dieser Nacht dann verraten worden.

Das Pessachfest wird zuhause gefeiert. Es nicht nur der enge Familienkreis, auch Freunde und Nachbarn werden eingeladen. Wenn dann alle um einen gedeckten Tisch versammelt sind, fragt der Jüngste am Tisch: „Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“  Dann wird die Geschichte des Auszugs aus Ägypten vorgelesen. Es wird erzählt, wie schwer es die Israeliten als Sklaven in Ägypten hatten, wie hoffnungslos ihre Situation war. Gott hört die Klage der Israeliten und beruft Mose, einen jungen Mann, sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten zu befreien. Und mit Gottes Hilfe verlassen die Israeliten Ägypten. Gott hält seine schützende Hand über sie. Höhepunkt der Erzählung ist der Durchzug durch das Rote Meer.  Das Rote Meer teilt sich, so dass die Israeliten trockenen Fußes hindurchkommen. Sie sind frei! Gott selbst hat sie gerettet und in die Freiheit geführt.

Diese Lesung vom Durchzug durch das Rote Meer hören wir auch in der Osternacht. In der Osternacht folgt dann die Erzählung, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern von Gott auferweckt wurde. Die Jünger erkennen das am Zeichen des leeren Grabes und in den Begegnungen mit dem auferstanden Jesus.

Jedes Jahr feiern über eine Milliarde Menschen diese beiden Feste. Was sie verbindet? Der Glaube, dass Gott uns befreit von Sklaverei und Tod. Der Glaube an einen Gott, der den Menschen sieht, den Einzelnen, aber auch das ganze Volk.

Und die Zusage Gottes, dass wir in Freiheit leben dürfen, frei von zerstörerischen Strukturen, frei von Unterdrückung.

Mich freut es, dass in unserem Land wieder die Vielfalt des Glaubens sichtbar und gefeiert wird. Juden, Christen, Muslime- uns eint der Glaube an den einen Schöpfergott, der sich der Menschen annimmt. Jede Religion hat ihren eigenen Akzent, und doch sind wir alle verbunden im Glauben an den einen Gott. Jenseits aller Unterschiede ist es wichtig und gut, die Gemeinsamkeiten in unserem Glauben zu sehen, statt die Unterschiede zu betonen.

In diesem Jahr liegen die großen Feste der Religionen nahe zusammen: Der muslimische Ramadan endete erst am 9. April und damit eine Woche nach dem christlichen Osterfest. Heute beginnen die Juden mit ihrem großen Fest, dem Pessach-Fest.

Pessach Sameach – ein frohes Pessachfest wünsche ich allen Menschen jüdischen Glaubens!

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SWR3 Worte

22APR2024
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„Alleine die Menschen anzusehen und sie willkommen zu heißen, ein freundliches Wort zu haben, freundlich zu gucken und echt über Gott und die Welt zu reden. Über Fußball, über das Wetter.
Wenn wir Marmeladenbrote haben, das macht ganz viel mit den Menschen. „Ah, das ist selbstgemachte Marmelade.“ Und dann geht das schon los.

Zeit geben und für die Menschen da sein.“

Aus: Kannste Glauben - der Podcast aus dem Bistum Münster - Bistum Münster (bistum-muenster.de)

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22APR2024
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Es ist Montag und der hat ja bei manchen ein schlechtes Image. Außer vielleicht bei Friseurinnen und Friseuren. Die haben frei. Was aber auch nicht mehr für alle stimmt.

Jana mag Montage. Sie ist Busfahrerin, ihre Tour geht montags morgens um 6.20 Uhr los. Sie findet, der Montag verdient mehr Aufmerksamkeit als die anderen Tage. „Guten Montag“, sagt sie deshalb statt, „guten Morgen“. Manche, die einsteigen, verziehen das Gesicht. Sie denken wahrscheinlich daran, wie lang es noch bis zum nächsten Wochenende dauert.

Ängstlich gucken diejenigen, denen in dieser Woche schweres bevorsteht. Montags, wenn die Woche anbricht, wirkt es so als würde die ganze Last der Woche auf einmal anstehen. „Guten Montag!“, ruft Jana deshalb nicht mit einem Grinsen, sondern ganz neutral. Jana weiß, dass Montage auch schwer sein können.

Sie mag die Schulkinder, vor allem die Kleinen, die sich montags immer am allermeisten zu erzählen haben.

Jana mag auch den Mann mit der Mütze. Er fährt nur manchmal montags mit. „Guten Montag“, sagt sie während er seine Karte rauskramt. Und er schaut hoch, als sei sie seit Freitag der erste Mensch, der mit ihm spricht. Vielleicht ist’s ja auch so. Für manche ist der Montag ein Segen. Sie alle sitzen montags so zusammen im Bus.

Vor langer Zeit haben Menschen aufgeschrieben, dass Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen hat. Irgendwann musste es angefangen haben mit der Welt. Und mit Gott. Vielleicht hatte der erste Tag damals auch schon so ein schlechtes Image. Weil wir Menschen immer ein bisschen Angst haben, wie wir alles schaffen sollen.

In der Bibel geht am ersten Tag alles mit zwei Wörtern los: Es werde.
Zwei Wörter, die der Startschuss sind für ein ganzes Gewusel an Stimmen, Ihre, meine, eben alle Stimmen. Stimmen, die sich austauschen, als hätten sie sich eine Ewigkeit nicht gesehen. Zwei Wörter, die das Chaos am Anfang der Welt ordnen. Und am Anfang der Woche wohl auch.

„Guten Montag!“, sagt Jana, die Busfahrerin. Und nimmt dem Montag ein bisschen von seinem schlechten Image. Was zwei Wörter alles können.

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SWR3 Gedanken

21APR2024
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Die letzten drei Tage waren für viele eine echte Herausforderung. Zumindest für über 100.000 junge Leute, die deutschlandweit bei der kirchlichen „72-Stunden-Aktion“ mitgemacht haben.  Sie haben dabei erfahren, dass helfen nicht nur Sinn, sondern auch Spaß macht.

Rückblende: Am Donnerstagnachmittag stehen 25 Kinder und Jugendliche aus Baden-Baden mit gespannten Mienen vor Rebekka und beobachten, wie sie endlich die Karte mit der Aufgabe aus dem Umschlag zieht. Rebekka liest vor: „In den nächsten 72 Stunden sollt ihr rauskriegen, was „Stolpersteine“ sind. 500 davon sind im ganzen Stadtgebiet verlegt und schon ziemlich verwittert. Organisiert geeignete Putzpaste, Schwämmchen und Lappen und bringt alle Stolpersteine wieder auf Hochglanz.“

Dann geht es los. Die Gruppe überlegt, recherchiert und telefoniert mit Firmen, die Material zur Verfügung stellen. Das Gemeindehaus dient als Hauptquartier. Hier laufen die Fäden zusammen, hier wird aber auch gekocht und gegessen. Schnell haben die Jugendlichen rausgekriegt, dass „Stolpersteine“ überall dort verlegt sind, wo Menschen gewohnt haben, die durch die Nazis ermordet oder deportiert wurden. Und bald schon ziehen sie in kleinen Putztrupps durch die Stadt. Sie suchen, reinigen und fotografieren die kleinen Mahnmale im Boden. Heute Nachmittag werden sie mit dem Rabbiner von Baden-Baden durch die Stadt spazieren und Orte besuchen, die für die deutsch-israelische Geschichte von Bedeutung sind.

Die Mitorganisatorin Rebekka freut sich, dass die jungen Menschen so begeistert und tatkräftig mitmachen. Sie sagt: „Es ist so schön zu sehen, dass die kids sich für Frieden und andere Menschen einsetzen und dabei gleichzeitig Gemeinschaft und fröhliche Momente entstehen.“ Und das nicht nur in Baden-Baden, sondern die letzten 72 Stunden in ganz Deutschland.

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SWR2 Lied zum Sonntag

21APR2024
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Mit viel Schwung und Energie beginnt unser heutiges Lied zum Sonntag. Wie passend. Denn seit Donnerstag sind überall in Deutschland viele zehntausende Kinder und Jugendliche mit viel Power und Begeisterung dabei, die Welt, in der sie leben, ein bisschen besser zu machen. Sie machen mit bei der 72h Aktion, der Sozialaktion der Deutschen katholischen Jugend.

Sein ist die Erde und was auf ihr lebt.
Dass Gutes auf ihr werde, ist in unsre Hand gelegt.
Sein ist die Zeit, die uns dazu bleibt.
Nur eine Zeit, keine Ewigkeit.

Musik 1

 

„Sein ist die Erde und was auf ihr lebt.
Dass Gutes auf ihr werde, ist in unsre Hand gelegt.“

So beginnt der Kanon von Gregor Linßen, der für mich ganz wunderbar zur 72h Aktion passt. Ursprünglich wurde er vor 25 Jahren geschrieben zur Eröffnung der Hilfsaktion Adveniat. Doch ich finde, der Kanon trifft auch den Kern der 72h Aktion. Denn es geht darum, in der begrenzten Zeit, die wir Menschen zur Verfügung haben, Gutes zu tun. Verantwortung zu übernehmen – für unsere Erde und für alle Geschöpfe, die auf ihr leben.

Schon am Anfang der Bibel, in den Schöpfungserzählungen, wird klar: die Erde, auf der wir leben, dürfen wir genießen. Aber Gott trägt uns auch auf, dass es an uns liegt, dass Gutes auf ihr werde. Das legt er in unsere Hand.

Musik 2

 

Am Donnerstagnachmittag ging die 72h Aktion los, und seitdem bauen junge Menschen Insektenhotels, renovieren Spielplätze oder bringen Menschen im Stadtteil zusammen. Auch in der Kirchengemeinde, in der ich lebe. Anna und eine Gruppe Studentinnen und Studenten begleiten die Bewohnerschaft des benachbarten Seniorenheims bei Spaziergängen, erzählen und singen mit den alten Menschen. Und Johannes und seine Gruppe legen „Pocket Parks“ an, also „Taschen-Parks“: das sind kleine, öffentlich zugängliche Grünlagen mittendrin zwischen Häusern und Straßen. Kleine Oasen für die Menschen, die hier leben.

All diese jungen Menschen machen mir Mut. Denn ich finde es unglaublich, was sie in so kurzer Zeit auf die Beine stellen. Und sie zeigen mir: gemeinsam können wir was bewegen. Auch wenn es noch so viele Krisen in unserer Welt gibt, wir haben es jeden Tag aufs Neue in der Hand, dass Gutes entsteht. Egal wie jung oder alt wir sind, wie auch immer wir leben, was auch immer wir glauben. Es braucht jede und jeden von uns. Unsere Kreativität. Unseren Verstand und unser Herz.

Noch sind die Jugendlichen mittendrin. Endspurt für viele Gruppen. Heute Abend werden sie bestimmt müde und kaputt ins Bett fallen. Im Kopf den Ohrwurm des offiziellen Aktionssongs. Und hoffentlich können sie auf die 72 letzten Stunden stolz und zufrieden zurückschauen und die Erfahrung gemacht haben, wie es in dem Aktionssong heißt: Unser Glaube kann Berge versetzen.

Musik 3[1]

 

[1]https://www.72stunden.de/informieren/aktionssong

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SWR4 Sonntagsgedanken

Von Hirten und Schafen
Im Moment wird über vieles diskutiert. Um Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe geht es, um Klimaschutz und Tempolimit und vieles mehr. Viele wünschen sich da weniger Regeln und mehr Freiheit. Wollen selbst bestimmen. So entscheiden, wie sie es wollen. Über ihren eigenen Tod, ob sie das Auto nutzen oder ein Fahrrad, ob sie Fleisch essen oder Veganer sind. Andere rufen nach starken Politikerinnen. Wollen, dass die sagen, wo es lang geht. Wollen klare Ansagen in den strittigen sozialen Themen.
Selbst bestimmen oder geführt werden – was ist da richtig? Um diese Frage zu beantworten, kann ich auch auf alte christliche Bilder zurückgreifen. Eins davon: Der gute Hirte.
Bis heute gibt es die Rede vom Hirten. So stammt etwa das Wort „Pastor“ aus dem lateinischen und heißt genau das: Hirte. Und von Bischöfen wird gesagt, sie üben ein Hirtenamt aus. Sollen Oberhirten sein.
Doch die Rede vom Hirten ist älter als das Christentum. Auch das Judentum kennt dieses Bild. Viele wichtige biblische Personen sind Hirten. Das reicht von Abel, der von seinem Bruder Kain erschlagen wird, bis hin zu Abraham, auf den sich Judentum, Christentum und der Islam berufen. Auch Mose, der die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit, war Hirte.
Hirte, das ist mehr als ein Beruf. Denn der Hirte hat besondere Verantwortung für seine Herde. Für Schafe, Ziegen, Kühe oder Pferde. Ein Hirte oder eine Hirtin setzt sich für die Tiere ein. Kümmert sich um sie. Führt sie von Weide zu Weide, zu frischem Futter. Sorgt für einen Stall. Beschützt mit Hütehunden die Herde. Und zugleich entscheiden Hirten auch über ihre Tiere. Scheren sie, verarbeiten ihre Milch und ihr Fleisch, setzen sie für die Arbeit ein.
Hirten stehen damit für zwei Aspekte des Lebens: Sie sorgen sich um andere – und geben zugleich die Richtung vor, bestimmen, was Sache ist. Wenn ich also nach Hirten rufe, nach Führung, nach Vorgaben, dann muss mir klar sein: Ich mache mich selbst zu einem Schaf, zum Teil einer Herde. Das macht mir manchmal das Leben leichter. Aber zugleich gebe ich damit die Freiheit ab, selbst entscheiden zu können.


Sich selbst einbringen
Das Bild vom guten Hirten ist im gesamten Orient seit Jahrtausenden verbreitet. Es steht für die Art und Weise, wie Menschen ihre Macht und Herrschaft ausüben. Das Bild enthält damit zwei Elemente. Erstens: Der Hirte will bestimmen. Schafe oder andere Tiere sollen ihm als Herde folgen. Zweitens: Herrschaft geht mit Fürsorge einher. Hirten haben sich um ihre Herden zu kümmern.
Aber das ist nicht alles. Als Jesus vor gut zweitausend Jahren auftritt, da prägt er ein drittes Element. Der gute Hirte, so sagt Jesus, ist der, der sogar sein Leben für die Schafe einsetzt. Der alles tut, damit kein Schaf verlorengeht, stirbt, verhungert, erfriert, von wilden Tieren gerissen wird. Ein Hirte ist nur dann ein guter Hirte, wenn er sich selbst für seine Herde einsetzt.
Das finde ich einen ziemlich spektakulären Gedanken. Er hat viele Menschen inspiriert. Es gibt unzählige Darstellungen in der Kunst, die Jesus als guten Hirten zeigen. Meist trägt er dabei ein Schaf auf seiner Schulter. Die Idee dahinter: Der gute Hirte, der geht so weit wie jedes einzelne Schaf. Holt es aus jeder kniffligen Situation. Und riskiert dabei, sich selbst zu verletzten, abzustürzen, zu sterben.
Damit wird das Verhältnis von Hirte und Herdentier quasi umgedreht. Statt dass der Hirte über seine Tiere bestimmt, macht sich zu ihrem Diener. Setzt die Tiere an die erste Stelle – und eben nicht mehr sich.
Ich finde das ein starkes Bild, auch für meine Gegenwart. Denn wenn ich die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen ansehe: Da könnten wir durchaus mehr Führungsgestalten brauchen, die für die Menschen da sind. Ich würde mir da oft mehr vom guten Hirten wünschen, wie Jesus ihn vorstellt. Natürlich in Politik und Wirtschaft, aber auch bei vielen ganz normalen Menschen. Und da schließe ich mich ein. Denn es gibt ja die guten Hirten, die riskieren, für ihr Engagement auch angefeindet zu werden: Die Nachbarin, die für einen syrischen Flüchtling da ist; die Schule, die sich gegen Rassismus einsetzt; die Familie, die wegen des Klimaschutzes wochentags kein Fleisch mehr isst. Das kostet nicht das Leben. Aber es macht deutlich: Hier setzen sich Menschen radikal für andere ein – wie der gute Hirte.


Zu Johannes 10, 11-18
In jener Zeit sprach Jesus: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.

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Anstöße sonn- und feiertags

21APR2024
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Kurz nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft, noch auf dem Spielfeld, steht ein Reporter plötzlich vor Frank Ribery, der mit der Meisterschale grinsend über den Rasen läuft. „Kannst du mal in die Kamera jubeln“, fragt er den Links-Außen-Spieler, der ursprünglich aus Frankreich stammt.  Und der hebt aus tiefster Überzeugung die Meisterschale in die Kamera und schreit „Jubeln“. Die Szene ist inzwischen legendär unter Fussballfans. Und der arme Frank Ribery hat inzwischen vermutlich das Wort Jubeln fest in seinem Wortschatz.

Klar, das Missverständnis ist zum Schmunzeln – aber wie hätte Ribéry denn sonst kameratauglich jubeln sollen? Winken vielleicht, oder Hüpfen? Jubeln ist ja mehr, als „sich freuen“. Wer macht das schon? So richtig aus sich herausgehen und laut – jubeln…Zu meinen alltäglichen Gefühlsausbrüchen gehört Jubeln jedenfalls nicht. 

Der heutige Sonntag ist in der evangelischen Kirche dem Jubeln gewidmet. Ein Sonntag, der daran erinnert, dass wir Grund zum Jubeln haben.

In der Bibel jubeln nicht nur die Menschen, sondern die ganze Erde: „Jauchzet, ihr Himmel, denn der HERR hat’s getan! Jubelt, ihr Tiefen der Erde! Ihr Berge, frohlocket mit Jauchzen, der Wald und alle Bäume darin!“, heißt es zum Beispiel im Jesajabuch. Die ganze Welt jubelt, weil Gott sein Volk Israel und die Erde erlöst. Die Menschen der Bibel fühlen sich hier leicht und befreit. Die ganze Schöpfung atmet auf, weil Gott auf ihrer Seite steht.  Ich finde die Vorstellung von singenden Tiefen, tanzenden Bergen und jubelnden Meeren großartig. Und in einem bisschen kleineren Maßstab jubelt die Natur ja jetzt wirklich, wo es Frühling ist. Zwitschernde Vögel, rausgeputzte Blumen, und wuselige Insekten.

Bejubelt wird in der Bibel aber nicht nur die Welt wie sie ist, sondern vor allem darüber, wie die Welt sein wird. Die Welt ist so schön und kann gleichzeitig so schrecklich sein. Wir leben in Freiheit und müssen doch Angst haben vor Krieg und Gewalt. Aber Gott verspricht, dass diese Schrecken einmal ein Ende haben werden. 

Wäre es nicht besser mit dem Jubeln so lang zu warten, bis es soweit ist? Bis Gerechtigkeit herrscht und keiner mehr leiden muss? Ich glaube, es ist gut schon jetzt darüber zu jubeln, wo wir Bruchstücke von Gott neuer Welt erahnen – eben in der Schönheit der Natur, beim bezaubernden Konzert am Abend oder dem duftenden Kaffee am Morgen. In der wiedergewonnenen Freundschaft im neugeborenen Kind. Ein bisschen neue Welt und Grund zum Jubeln.

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SWR1 Begegnungen

21APR2024
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Tobias Breer, Marathonpater copyright: Tobias Breer

Caroline Haro-Gnändinger trifft Pater Tobias Breer, Marathonläufer und Seelsorger

 

Und mit dem sportbegeisterten Ordensmann Tobias Breer. Ich spreche mit ihm, weil er dieses Jahr bei einem Marathon in der Antarktis mitgemacht hat, als einziger Deutscher. Das heißt: Viele Kilometer und das bei großer Kälte. Er ist auf einer der südlichen Shetlandinseln gelaufen und wegen Unwettern sogar nachts:

Wir hatten -18 Grad gehabt. Das war jetzt nicht so dramatisch. Wir haben natürlich Mundschutz gehabt, sodass die kalte Luft nicht direkt in die Lunge kommt, und, ja gut, der ganze Bart war alles voll mit Eis und so weiter.

Der Bart voll mit Eis – da friert‘s mich schon beim Zuhören. Es haben Leute aus der ganzen Welt mitgemacht. Am Ende hat Tobias Breer einen Halbmarathon geschafft, also etwa 21 Kilometer, in weniger als drei Stunden. Einer der ersten Plätze ist es nicht, aber für ihn zählt, dass er es überhaupt durchgezogen hat. Gequält haben ihn dabei leider Knieschmerzen:

Dann war es eigentlich die letzten Kilometer nicht mehr so eine große Freude zu laufen, sondern ich musste da schon sehr kämpfen. Also, ich musste mich dann selber wieder überreden: Komm, du musst weitermachen, weitermachen. Dann ruft man sich die Bilder vor, dass man dann die Medaille bekommt und wofür ich eigentlich laufe - für die Kinder und für die bedürftigen Kinder. Und wenn man die strahlenden Kinderaugen sieht.

Denn Tobias Breer läuft fast immer für einen guten Zweck. In der Antarktis hat er mehr als 20.000 Euro zusammen bekommen und eine Förderschule konnte damit Sport-Rollstühle für die Schülerinnen und Schüler kaufen. Schon viele solcher Spendenläufe hat er hinter sich: fast 200 Marathons und etliche Halbmarathons. Trotzdem bleibt Kinderarmut ein strukturelles Problem, das sieht er auch. Er will aber in kleinen Schritten etwas verbessern und behält einen langen Atem.

Ich kann nicht die Welt retten letztendlich. Aber wo ich helfen kann, das tut meiner Seele besonders gut. Für mich ist es einfach gut, für die Seele, für den Geist, für den Körper und dass ich dann, wenn ich laufe, meine Sponsoren habe, die dann ein neues Projekt, Kinderprojekt, mit unterstützen oder mitfinanzieren.

Damit ermöglicht er Kindern aus ärmeren Familien, Sport im Verein zu machen, Fußball oder Schwimmen zum Beispiel. Oder dass Kinder mit Behinderung ein Therapiepferd bekommen oder Kinder in der Ukraine in Schutzzentren Spielräume. Das finde ich toll! Er verknüpft also konkrete Nächstenliebe mit seinem Hobby. Er läuft immer wieder los, weil er weiß, wofür.

Da habe ich immer diese gelben kleinen Aufkleber, mit einem kurzen Satz oder nur drei, vier oder vier Wörter ist vielleicht noch besser. Und die klebe ich immer bei mir im Badezimmer, wo ich dann morgens und abends reinschaue. Das heißt, ich werde immer wieder an diese Ziele erinnert.

Und das Laufen selbst spornt ihn natürlich auch an. Deshalb schnürt er seit fast 20 Jahren seine Sportschuhe.

Laufen ist für mich mehr als Sport, pure Leidenschaft, pure Meditation, etwas, das Körper, Seele und Geist immer wieder in Einklang bringt.

Das kann ich nachvollziehen, mir geht es zum Beispiel bei längeren Fahrradtouren so. Es fühlt sich gut an, sich zu bewegen, draußen zu sein und neue Gegenden zu entdecken. Und manchmal bringt mich das in Gedanken auch zu Gott. Pater Tobias Breer hat als Seelsorger übrigens viele unterschiedliche Aufgaben und ihm hilft, dass jeder Tag mit Ruhe anfängt.

Der Tag beginnt morgens bei mir immer mit einer persönlichen Meditation. Also ich kann auch ruhig sitzen. Es ist nicht so, dass ich immer in Bewegung bin.

Danach betet er gemeinsam mit den anderen Ordensleuten. 19 Mönche im Orden der sogenannten Prämonstratenser leben zusammen in der Abtei in Duisburg – er mag die Gemeinschaft:

Ich habe noch sechs Geschwister damals zu Hause war schon eine große Familie und ich muss da Menschen um mich haben und bin auch ganz gerne aber alleine. Ich laufe auch gerne alleine, aber dann bin ich auch froh, wenn ich mal wieder nach Hause komme und da sitzt der eine oder andere Pater noch im Wohnzimmer oder wie auch immer und kann mit ihm noch sprechen.

In seinem Büro, wo er Trauergespräche führt oder Gottesdienste vorbereitet, hängen an der Wand Medaillen und Urkunden. Mehrere Schuhe stehen bereit und am Kleiderständer hängen Laufshirts.  Er nennt es auch sein kleines Sportstudio. Fast jeden Tag startet er von dort aus eine kleine Runde:

Ich ziehe gerne farbenfrohe Kleidung an und dann gehe ich vor die Tür und schalte meine Uhr ein auf GPS und dann starte ich und dann laufe ich. Ich weiß: Heute muss ich zum Beispiel zehn Kilometer laufen. Es geht an einem Kanal vorbei, in Oberhausen. So eine wunderschöne Strecke. Und jetzt gerade, wo der Frühling beginnt, genieße ich natürlich die ersten warmen Sonnenstrahlen.

Er ist schon viele Marathons, Ultra- und Halbmarathons gelaufen, zum Beispiel in Oman in der Wüste und in Großstädten wie Paris und Tokio. Dabei sammelt er Spenden für Kinder in Togo oder in Syrien oder bei sich in der Umgebung. Durchs Laufen Not zu lindern, bedeutet ihm nämlich auch, als Christ zu handeln. Und es verbindet ihn manchmal mit Gott. Mal kommen ihm Ideen für die nächste Predigt, mal staunt er über die Natur.

Es war ein wunderschöner Lauf an der Wupper entlang und ich sah dann die ersten Tiere, Kälber, auf der Wiese. Und das berührt mein Herz, weil hier in der Stadt in Duisburg sieht man diese Tiere kaum und das ist einfach ein tolles Gefühl. Und das ist auch eine Begegnung mit Gott letztendlich, weil Gott hat alles erschaffen.

Dem Schöpfer in all seinen Geschöpfen begegnen – für Tobias Breer eine Art, Gott dankbar und nahe zu sein. Einmal wollten Jugendliche vor ihrer Firmung mit ihm das Laufen starten – und zwar direkt nach dem Gottesdienst. Für Pater Tobias Breer auch Seelsorge:

Gemeinsam unterwegs zu sein, nicht in einem Raum zu sitzen, in einem Kreis, wo dann mittendrin irgendwo eine Kerze steht und eine Blume, wie man es kennt. Das ist auch sehr schön und mag ich auch sehr gerne, aber nicht so oft, sondern ich bin immer draußen unterwegs. Da sehe ich auch ganz viele Blumen. Und während des Laufens kommen halt diese tollen Gespräche dann auch zusammen.

Gespräche über Gott und die Welt und das, was junge Menschen bewegt. Läuft also bei Pater Tobias Breer! Und auch mich spornt die Begegnung an, beweglich zu bleiben, sportlich und im Glauben.

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