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SWR3 Worte

05NOV2024
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Bei der Amtseinführung von Joe Biden 2021 sprach eine junge Schwarze Schriftstellerin: Amanda Gorman. Sie berührte mit ihrer Lyrik die Menschen. Heute , am US-Wahlmorgen 2024, klingen die folgenden Auszüge aus ihrem Text „The hill we climb“ aktueller denn je:

„Ein neuer Tag, und wir fragen uns,

wo wir Licht finden sollen

im nicht enden wollenden Schatten.[…]

Wir treten das Erbe eines Landes und einer Zeit an,

da ein kleines, dünnes Schwarzes Mädchen,

Nachfahrin von Sklavinnen, Kind einer alleinerziehenden Mutter,

davon träumen kann, Präsidentin zu werden […]

Wir wollen nicht die Hand gegeneinander erheben,

sondern einander die Hände reichen. […]

Lasst die Welt wenigstens dies bezeugen:

Bei allem Gram, wir sind gewachsen.

Bei aller Not, wir haben gehofft.

Bei aller Ermüdung, wir haben uns bemüht.

Wir bleiben verbunden, werden überwinden.

[…] weil wir nie wieder Zwietracht säen werden.“

Quelle: Amanda Gorman: Was wir mit uns tragen. Call us what we carry. Zweisprachige Ausgabe. Gedichte Aus dem amerikanischen Englisch von Marion Kraft und Daniela Seel. 1.Auflage 2022, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2022, S. 403-407.

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SWR4 Abendgedanken

05NOV2024
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Angst zu haben, das gehört zu uns Menschen. Ängste sind wichtig, damit wir, wenn’s darauf ankommt, die Flucht ergreifen. Dieser Urinstinkt hilft uns, nicht unnötig in eine Gefahr hineinzulaufen. Wenn die Ängste aber außer Kontrolle geraten, wenn sie uns überwältigen, dann wird das Leben zur Hölle, und wir laufen auch dann weg, wenn gar keine echte Gefahr besteht. Deshalb sollte man mit der Angst von Menschen kein Spiel treiben. Aber genau das versuchen manche, leider auch die, die politische Verantwortung tragen. Weil sie wissen: Es ist eine Möglichkeit, Menschen zu beeinflussen. Ängste zu schüren, ist aber brandgefährlich!

Donald Trump hat genau das getan, als er im Fernsehduell mit Kamala Harris behauptet hat, dass die Flüchtlinge Hunde und Katzen fangen und essen. Ich liebe meinen Hund; und wenn ich mir das Bild vorstelle, das Trump hervorruft, dann graut es mir. Ich könnte denken: „Der wird verhindern, dass das passiert, also wähle ich den.“ Angst vor dem Fremden zu schüren, war und ist immer ein beliebtes Mittel, um auf Stimmenfang zu gehen. Leider hat das auch die Kirche lange praktiziert. Sie hat den Menschen Angst gemacht vor der Hölle, ihnen gedroht, um sie in ihrem Sinn gefügig zu machen, damit sie nicht auf vermeintlich falsche Gedanken kommen. Als ob sie die Wahrheit gepachtet hätte. Als ob es keine andere Meinung geben könnte.

Manchmal kommt es mir vor, als ob unsere Welt ein Stammtisch wäre. Man kann behaupten, was man will. Egal, ob es überhaupt wahr sein kann, oder doch falsch ist. Wer bei uns Asyl sucht, ist nicht grundsätzlich faul. Die Hautfarbe sagt nichts über den Charakter. Nicht jeder Priester vergreift sich an Kindern. Am Stammtisch geht es darum, wer am lautesten schreit und wem es gelingt, die Gefühle der anderen für sich zu gewinnen. Gefühle sind eine sensible Angelegenheit. Sie gehören zu uns, machen uns manchmal erst menschlich. Wer sie missbraucht, trifft uns an einer Stelle, wo wir besonders verwundbar sind. Deshalb bleibe ich vorsichtig. Wer leere Phrasen drischt, dem vertraue ich nicht. Wer es darauf anlegt, meine Gefühle zu manipulieren, den meide ich. Und halte mich um so mehr an die, die leise sind und nachdenklich und vorsichtig und zart.

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SWR3 Gedanken

05NOV2024
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Der Spruch, der jetzt kommt, ist ganz nett – aber Hand aufs Herz: Der ist ne dreiste Lüge: „Wenn ich alt bin, dann möchte ich nicht jung aussehen, sondern glücklich.“
Natürlich wollen alle glücklich sein, aber ehrlich: ich will auch jung aussehen! Mir wäre es echt lieber, wenn ich etwas jünger und frischer morgens aus dem Bett performe.

Aber das Leben hinterlässt eben Spuren. Aber zum Glück auch schöne. Ich muss sofort an meinen Vater denken; der hat nämlich ganz viele, kleine Lachfalten um seine Augen rum. Und die verraten viel über ihn und wie er so drauf ist: Er ist total humorvoll, am liebsten lacht er über sich selbst. Ich freue mich immer über seine Lachfalten, wenn ich in sein Gesicht schaue. Dann sehe ich: Mein Vater ist glücklich.

Aber dort entdecke ich natürlich auch Sorgenfalten; die verraten, wie viele Gedanken er sich schon gemacht hat. Sein Job, die Kinder, schlimme Verluste oder Streit – so was beschäftigt ihn. Auch das hinterlässt Spuren.

Zu meinem Vater gehören die Lachfalten, genauso wie die Sorgenfalten. Jeden Tag wird er älter – so wie ich. Und ich bin mir sicher, dass auch er manchmal morgens lieber etwas frischer aus dem Bett performen würde. Aber wenn die Spuren an unserm Körper bedeuten, dass ich in vollen Zügen lebe – mit allem was dazu gehört – dann wandle ich diesen Spruch einfach ab. Und sage: „Wenn ich alt bin, dann will ich nicht jung oder glücklich aussehen, sondern erfüllt. Erfüllt vom Leben.“

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05NOV2024
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Auf den heutigen Abend freue ich mich granatenmässig. Ich habe Karten für ein BAP-Konzert mit Wolfgang Niedecken.

Ein Abend wie ein Fenster, aus dem warmes Licht herausscheint, wenn es draußen nasskalt ist und man genau weiß: Da drinnen wartet jemand auf mich. Ein Abend wie Heimkommen.

Auch, weil ich die Lieder des Sängers aus Köln jetzt schon über 40 Jahre lang im Gepäck habe. Auch, weil ich beim Konzert einen meiner besten Freunde treffen werde.
Heimkommen.

Wie gut, dass es Heimatorte auf Erden gibt. Nicht nur geografisch. Orte, an denen Vieles vertraut ist.
So wie es heute Abend sein wird, wenn als eine der Zugaben ziemlich sicher „Verdammt lang her“ durch die Halle schallen wird.

„Verdammt lang her“ hat Wolfgang Niedecken übrigens in Erinnerung an seinen Vater geschrieben. .
„Verdammt lang her, dass ich bei dir am Grab war“, so eine der Textzeilen.

Kürzlich war ich auf einem Friedhof und bin auch an einem Grabstein stehengeblieben. Gestaltet wie ein kleiner klassischer Tempel. Am First des baldachinartigen Daches nur ein Wort, geschrieben in großen, von Grünspan gezeichneten Jugendstil-Lettern: „Heimgegangen“.
Obwohl ich noch immer sehr gerne lebe: Ich glaube, das soll auch mal auf meinem Grabstein stehen. „Heimgegangen“. Das hat nämlich was Warmes. Das klingt nach warmem Licht aus einem Fenster an einem kalten Novemberabend.

Heinrich Böll fällt mir dazu ein. Auch ein Kölner wie Wolfgang Niedecken. Er hat die Frage, warum er an Gott glaubt, so beantwortet:
„Ich glaube wegen der Tatsache, dass wir alle eigentlich wissen – auch wenn wir’s zugeben – dass wir hier auf der Erde nicht ganz zu Hause sind.“

Ich stimme ihm zu, dem großen Erzähler und Nobelpreisträger. Und ich glaube: Weil wir hier nicht ganz zuhause sind, gerade deshalb sind wir auf der Suche nach Heimat.

Deshalb sehnen wir uns alle danach, irgendwie und irgendwo anzukommen. Und deshalb sind viele Wege in unserem Leben, Versuche nach Hause zu finden. Also Heimwege.

Dass wir Heimatorte finden und Heimatklänge – wie ich hoffentlich heute Abend im Konzert, und dass es Orte gibt, an denen Menschen auf uns warten und dass wir unser Leben lang unterwegs sind zu einem Heimatort, einem Haus, aus dem warmes Licht herausscheint – das ist mein Wunsch für uns alle heute Morgen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05NOV2024
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Kennen Sie das Geräusch, wenn Kreide auf der Tafel quietscht? Es gibt ja Leute, denen macht das überhaupt nichts aus, wenn sie das hören. Andere halten sich schon vorher die Ohren zu. Obwohl man eigentlich nie genau weiß, wann die Kreide quietscht. Die Gesichter sehen dann aus als hätten die Leute Zahnschmerzen.

Menschen, die wir gut kennen, erkennen wir an der Stimme. Z.B. kenne ich sogar die meisten Tatort-Kommissarinnen und Kommissare aus dem Fernsehen an der Stimme.

Übrigens erkennen wir Stimmen von anderen leichter als dass wir die eigene Stimme erkennen. Ich wundere mich immer wieder, wenn ich mich selbst im Radio höre. Sie kennen das, wenn Sie sich selbst auf einem Anrufbeantworter hören, oder? Wir hören nach innen irgendwie anders als nach außen.

Manche Menschen sind ja in der Lage, gleichzeitig zu sprechen und zuzuhören, das bewundere ich. Und andere haben das, was man das absolute Gehör nennt. Das stelle ich mir nicht immer angenehm vor, denn es gibt ja so viele falsche Töne.

So oder so, Hören löst Gefühle aus und das hat dann auch Folgen: Ich höre Musik im Radio und ich kann nicht anders als mitzusummen. Oder die Musik bewirkt das Gegenteil und ich drehe das Radio leiser.

Ich höre, wie die Haustür geöffnet wird und entspanne, weil ich ein „Hallo“ von unten höre und weiß: Alle sind gut heimgekommen.

Salomo, ein Mann in der Bibel, wünscht sich ein „hörendes Herz“ von Gott. Er soll König werden und findet, dass er nicht der Richtige ist für diese ganze Verantwortung. Gott fragt ihn, was er ihm geben soll, damit er es sich zutraut: Ein hörendes Herz. Sagt Salomo. Nicht hörende Ohren oder ein absolutes Gehör für die ganzen falschen Töne. Wäre für einen König vermutlich auch nützlich.

Er möchte ein Herz haben, das hören kann, was andere Menschen zum Leben brauchen. Eins, das hört und das sich vor Schmerz zusammenzieht, wenn es in der Welt quietscht und kracht. Unsere Ohren als direkter Weg zum Herzen. Was für eine schöne Vorstellung.

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SWR Kultur Wort zum Tag

05NOV2024
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Immer wenn ich im weiteren Umkreis meiner schwäbischen Heimat über Land fahre, fallen mir die vielen Kirchen auf. Jedes Dorf hat seine eigene Kirche. Und das sind häufig keine bescheidenen Gotteshäuser, sondern im Verhältnis zu der kleinen Ortschaft oft riesige Gebäude. Ich wundere mich dann immer, wie das möglich ist, wer das wie finanziert hat. Ich glaube nicht, dass die Menschen dort damals besonders reich gewesen sind.

Natürlich hat das alles einen Beigeschmack. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, die Kirche hat ihren Besitz in Prachtbauten gesteckt, anstatt sich um die Menschen zu kümmern. Hat sie vielleicht auch noch besonders geschröpft, um all diese Projekte zu verwirklichen. Das ist alles möglich. Wahrscheinlich auch wahr. Zugleich könnte man aber auch sagen, die Leute haben all diese Kirchen gebaut, weil sie ihnen wichtig waren. Weil Gotteshäuser wichtig waren. Und wenn man all den eitlen, menschlichen Popanz, die ganze Protzerei und die Machtspielchen mal beiseite lässt, hat das, wie ich finde, etwas sehr Schönes: Dass das Göttliche einen Platz in unserer Mitte hat. Und keinen Kleinen. Gerade heute ist das ein wichtiger Gedanke.

Früher hatte der Glaube noch eine viel stärkere Relevanz. Eigentlich war alles irgendwie vom Göttlichen oder von göttlichem Wirken durchdrungen. Im Guten wie im Schlechten. Heute schauen wir ganz anders in die Welt, die weitgehend erschlossen, in großen Teilen entzaubert ist. In der Geschäftigkeit des Alltags gibt es kaum Platz für Göttliches oder Heiliges. Aber auch wenn wir offenbar nicht mehr so genau hinschauen, ist es dennoch da. Gibt es Bereiche in unserem Leben, die eben noch nicht erschlossen, noch nicht gänzlich entzaubert sind, die geschützt sind.

Wir haben heute in der wahrscheinlich kein so klares Bild mehr von Göttlichem oder Heiligem. Diese Dinge sind unschärfer geworden. Weniger definiert. Es gibt nicht mehr den einen Glauben, religiöses oder spirituelles Leben ist viel weiter gefasst und viel breiter gefächert. Und es gibt weniger Zeit und weniger Raum dafür.

Da bin ich dankbar für all diese Kirchen. Sie sind für mich ein steinernes Zeichen dafür, dass das Göttliche auch in unserer heutigen Welt da ist. Egal wo ich bin, ich gehe immer in die örtliche Kirche. Nicht weil ich besonders fromm wäre, sondern weil sie für mich ein Ort ist, an dem ich herausgenommen bin. An dem es nicht um mich und nicht um all das geht, was auf mich draußen so einprasselt. In diesen Kirchen schwappt das Göttliche oder meinetwegen allgemeiner gesprochen, das Transzendente in unsere Welt hinein. Ich finde es wichtig, dass das möglich ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40627
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SWR3 Worte

04NOV2024
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Die Komikerin und Familientherapeutin Cordula Stratmann hat sich in ihrem Buch „Wo war ich stehen geblieben? Grübeleien und Geistesblitze“ auch Gedanken zur Liebe von Eltern gemacht. Sie schreibt über die zentrale Aufgabe, die eigenen Kinder bedingungslos zu lieben:

„ Liebe ist absichtslos. (…) Bringschuld. Gibt es nicht. Offene Rechnungen. Gibt es nicht. Dann lieben wir nicht, wenn wir den Kapitalismus in unsere Liebe einziehen lassen. Dein Kind will dir nichts. Es braucht dich. […] Liebe es in seinen 100 Prozent, ob mit Eins oder einer Sechs.“

Quelle: Cordula Stratmann: Wo war ich stehen geblieben? Grübeleien und Geistesblitze, dtv, München 2024, S. 148-149.

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SWR4 Abendgedanken

04NOV2024
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Ein Orchester aus Russen und Ukrainern. Bringt das was für den Frieden? Iván Fischer ist fest davon überzeugt, dass es so ist. Fischer stammt aus Ungarn und ist Jude. Er ist Dirigent von Weltrang, dirigiert in den USA und in Israel, in Wien und natürlich in Budapest. So zuletzt am 31. August dieses Jahres bei einem Konzert für den Frieden, kostenlos für alle auf dem Heldenplatz der ungarischen Hauptstadt. Das interessante dabei ist: Das Orchester war zusammengesetzt aus Russen und Ukrainern, aus Israelis und Arabern. Das soll zeigen, dass Musik Ängste und Misstrauen abbauen kann. Der Dirigent Iván Fischer formuliert es so: „Mit der Musik wollen wir unsere gemeinsame Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass das durch den bewaffneten Konflikt verursachte Leid ein Ende haben kann und die Zukunft von gegenseitigem Respekt und Frieden geprägt sein wird.[1]“ Schon früher hat Fischer solche Konzerte organisiert und als junger Dirigent das Budapest Festival Orchestra gegründet – ganz ausdrücklich zur Verständigung mit den Juden in seinem Heimatland Ungarn.

Ich höre gern Musik, besonders am Abend. Dann lasse ich oft nochmals vorüberziehen, was den Tag über so war. Nicht nur, was sich bei mir so getan hat, sondern auch, was in der großen weiten Welt passiert ist. Oft bin ich dann niedergeschlagen oder traurig. Weil es so viel Schlimmes gibt, und weil ich an die vielen Unschuldigen denken muss, die unter den Kriegen in ihrem Land leiden. Aber auch, weil ich mich so hilflos fühle. Ich bin kein berühmter Dirigent. Was kann ich tun, dass sich an diesem Hass etwas ändert? Mit dieser Frage bleibe ich dann oft ratlos zurück.

Manchmal frage ich aber auch, ob das stimmt, und ob das Wenige, das Kleine und Unscheinbare, das mir möglich ist, wirklich so rein gar nichts bringt. Immerhin bete ich für die Armen und Ausgebombten. Ich betone in Diskussionen wie wichtig es ist nicht nur vom Krieg und den Waffen zu sprechen, sondern so oft wie möglich über den Frieden. Ich rufe hier im Radio zur Verständigung auf, weil böse Gedanken und Hass im Kleinen, im eigenen Herzen beginnen. Ich suche den Kontakt mit Andersdenkenden. Ich versuche zuzuhören und zu verstehen, warum andere anders denken als ich. Und ich mache den Mund auf, wo ich sehe, dass jemand sich rücksichtslos verhält.

Das sind Kleinigkeiten im Vergleich mit der großen Gewalt eines Krieges. Aber es ist das, was ich tun kann. Kleine Zeichen. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch sie etwas bewirken.

 

 

[1]https://ungarnheute.hu/news/budapester-festivalorchester-veranstaltet-kostenloses-friedenskonzert-auf-dem-heldenplatz-75667/#:~:text=Ungarn%20Heute%202024.08.08.&text=Iván%20Fischer%20und%20das%20Budapester,Respekt%2C%20Freundschaft%20und%20Liebe%20werben.

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SWR3 Gedanken

04NOV2024
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„Ich habe ein riesengroßes Loch im Bauch“ – das sagt mir meine Freundin Leonie. Unter ganz vielen Tränen. Immer wieder. Sie fühlt es ganz genau; sie hat da ein Loch im Bauch, aber nicht weil sie Hunger hat; sie hat ihr ungeborenes Kind in der zehnten Schwangerschaftswoche verloren. Ich bin sprachlos. Und auch ich muss weinen.

Was danach kommt, habe ich nicht ansatzweise geahnt: Viele geben Leonie „Ratschläge“. Ungefragt bekommt sie Tipps und Kommentare. Fehlgeburt – bisher ein Tabuthema – wird für sie nun – ungewollt – ein Dauerthema.

Völlig verletzend, Sätze wie: „Das ist ganz normal, jede dritte Schwangerschaft bricht ab.“

Oder völlig übergriffig, Sätze wie: „Du musst das positiv sehen, jetzt weißt du, dass du schwanger werden kannst. Das nächste Mal klappt es. Sei nicht traurig.“

Das ist so unfair. Denn es tut meiner Freundin und ihrer Trauer gar nicht gut. Denn all die Sätze versuchen, ihre Trauer und ihren Schmerz zu bewerten, klein zu reden, weg zu machen, oder mit leeren Hoffnungen zu füllen. Dabei geht es doch erstmal darum: Meine Freundin hat ein Loch im Bauch. Das ist da. Und das gilt es nun nicht einfach zu füllen. Sondern zu heilen. Leonie braucht dafür ihre Zeit. Und das muss dringend respektiert werden. Sie soll dafür nicht kämpfen müssen, nicht dafür, dass sie auf ihre Weise trauern kann. Wie sie das tut, wie lange sie braucht, das kann nur sie selbst rausfinden.

Egal wie groß oder klein die Trauer von Leonie ist – wie traurig oder gar nicht traurig sie sich fühlt. Wie auch immer sie damit umgeht – das alles ist so wie es ist gut und richtig.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04NOV2024
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Mir gegenüber sitzt ein Mann, Ende 50. Graumeliertes Haar, leuchtende Augen. Er spricht mit klarer, aber bewegter Stimme.
Vor ein paar Tagen ist sein Vater gestorben. Mit 92 Jahren. Gemeinsam bereiten wir nun die Beerdigung vor.

Es ist eines dieser Trauergespräche, das mir in Erinnerung bleiben wird. Weil offen geredet wird. Vom Leben des Verstorbenen, in dem es durchaus auch sehr schwierige Zeiten gab: den Krieg, die Flucht, den Neustart im Schwabenland auf einem Gutshof, der mit viel Misstrauen dem Fremden gegenüber verbunden war.
Auch die Schwächen des Vaters wurden benannt. Und da gab es einige.
Aber dann dieser eine Satz:
„Aber wenn ih mir nomal an Vaddr aussucha dürft, ich würde genau den nomal nemma.“

Ich kann mir keine schönere, keine versöhnlichere Aussage vorstellen, die ein Kind gegenüber einem Elternteil formuliert.

Wie kam es dazu?
Ich glaube, da wusste ein Vater, dass das Wichtigste, was Eltern ihren Kindern entgegenbringen können, das Vertrauen ist und die Großzügigkeit  

Nicht schimpfen und enttäuscht sein, wenn eines der vom Vater liebevoll zusammengebauten Modellflugzeuge mal wieder in einem Baum hing. Nein, dann vielmehr gemeinsam alles geben, um das Malheur zu beheben, sich zuhause in der Werkstatt an die Reparatur machen.
Dem Sohn dabei zeigen, wie es geht, und es ihn dann auch selber machen lassen.

Um es dann wieder fliegen zu lassen, bis zum nächsten Sturzflug.

Ja, weil er Abstürze akzeptiert hat, nicht nur beim Modellfliegen, und weil er gemeinsam mit dem Sohn immer Wege gesucht und gefunden hat, wie es weitergehen kann.

 Ich glaube, deshalb würde der Sohn sich genau diesen Vater nochmal aussuchen.

Ich frage mich, ob meine Kinder das von mir auch sagen würden. Ganz sicher bin ich mir nicht.
Weil auch zwischen uns nicht alles immer gut gelaufen ist und es manche Abstürze gegeben hat.
Aber auch wir haben miteinander erlebt, dass man Dinge reparieren kann.  Ja, sogar, dass Vertrauen wieder wächst.
Auch weil das so ist, kann ich heute sagen, auch mit klarer und etwas bewegter Stimme:
„Wenn ich mir mein Leben nochmal aussuchen könnte, ich glaube, ich würde genau dieses nochmal nehmen.“ Weil ich dankbar bin.

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