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22DEZ2024
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Nina Roller Foto: ekiba

Peter Annweiler trifft Nina Roller vom Mannheimer „Studio Herrlichkeit“

Teil 1: Überraschung in Gold

Die Mannheimer Pfarrerin mag es gerne schön. Und sie brennt für überraschende Begegnungen. Beide Vorlieben kann sie jetzt mitten in einer Mall in den Mannheimer Quadraten entfalten:

Wir merken, wenn Menschen vorbeikommen an unserem Pop Up, dann freuen die sich über die Aufmachung, über die Schönheit, über das viele Gold. Und dann gleitet der Blick über das Schaufenster. Und dann steht da Evangelische Kirche Mannheim. Und da sind Menschen schon irritiert. Was macht jetzt die Kirche in einem Laden?

Den Weihnachtsladen hat die 38-jährige zusammen mit der Grafikerin und Gestalterin Valentina Ingmanns entworfen – als Teil des Innovationsprojekts „Studio Herrlichkeit“. Kleine Geschenke kann man zum Beispiel da kaufen: Tassen, Mützen, Socken – mit einem aufgedruckten oder eingenähten Segenswort. Bei meinem Besuch krieg‘ ich zuerst eine Tasse Tee aus einem goldenen Samowar. Und dann seh‘ ich es immer wieder leuchten: Goldene Kerzen am Adventskranz, goldene Tischdecken, goldene Wandbehänge.  

Stilprägend ist, dass immer wieder die Farbe Gold auftaucht. Wenn man in die Kunst schaut, wenn man in Kirchen schaut, dann ist die Farbe Gold die Farbe, die für das Göttliche steht. Und Weihnachten bedeutet für uns: Gott kommt in die Welt und dafür steht diese Farbe Gold auch.

Angenehm und wohltuend empfängt mich dieser temporäre kirchliche Ort in der Konsumwelt.  Pfiffige Ideen, zugewandte Menschen und viel Herzenswärme umgeben mich. Und doch: In mir ist noch eine skeptische Stimme, die fragt: “Vergoldetes Design in allen Ehren – aber gibt es nicht wichtigeres für die Kirche: Etwa ihre Kraft gegen die Armut einzusetzen?“

Ich glaube, wirklich schön sind Dinge dann, wenn sie auch nicht die Augen verschließen vor dem, was schwierig ist und was wehtut. Und ich glaube, so was Schönes kann auch eine Form der Rebellion sein gegen all das, was schmerzt, gegen alles, was uns besorgt, gegen all das, was uns stresst.

Schönheit als Rebellion gegen das, was schlimm und schrecklich ist. - Ja, so überzeugt mich der Laden und mit ihm Nina Roller: Sie bringt Form und Inhalt, Schönheit und Tiefe zusammen. Und dadurch ist der Laden  ein Kraftort in einer taumelnden Welt. Wobei diese Kraft ja ganz unspektakulär aufkommt: Beim gemeinsamen Basteln oder beim Singen von Weihnachtsliedern. In der Dynamik von Begegnung und Gespräch.

Fast wie bei den Begegnungen an der Krippe, wo etwa Hirten und das junge Paar mit dem Kind aufeinandertreffen. Auf solche Momente wartet  Nina Roller.

Ich liebe die Überraschung. Ich liebe, dass ich selbst überrascht werde in der Begegnung mit Menschen. Von ihren Gedanken, von ihren Fragen, von ihrer Offenheit, von dem, was entsteht, wenn man sich wirklich füreinander öffnet.

Teil 2: Ganzjährig glänzend

Ihr „Christmas Pop Up“ ist Teil von  „Studio Herrlichkeit“ – und mit dem steht Nina Roller  für innovative Formate in der Kirche.  Zusammen mit ihrer Kollegin, der Grafikerin und Gestalterin Valentina Ingmanns, hat sie dafür ein frisches Erscheinungsbild entwickelt.

Irritationen stiftet für manche der Stil, also der doch sehr popkulturaffine, moderne Stil, der auch mit einem Augenzwinkern daherkommt.

Und der zeigt sich auch bei dem unkonventionellen Namen „Studio“. Nina Roller hat sich gut überlegt, was sie damit verbindet.

Zum einen eine Versuchsbühne, wenn man innovativ Dinge gestalten will. Dann verbindet sich für mich mit dem Studio zum anderen das Fitnessstudio. Das heißt, ein Studio ist ein Ort, an dem ich zu Kräften komme, im besten Falle. Und dann das Atelier:  Das Kunst-Studio. Kreative Kirche sein ist uns wichtig. Und dann ist das Studio ja auch die lichtdurchflutete Wohnung.

Auch für den Namen „Herr“lichkeit  hat sie gute Gründe gefunden, gerade wenn zwei Frauen dieses Studio leiten.

Die Herrlichkeit ist im Alten Testament übrigens eine weibliche Facette Gottes, ganz anders als der Name es im deutschen Sprachgebrauch nahe legt und es passt auch gut zu Weihnachten: Jesus kommt in die Welt, Gott kommt in die Welt – lässt sich gut in Verbindung bringen mit der Einwohnung Gottes in die Welt.

Wichtig ist Nina Roller, das Kreative und Innovative mit theologischem Tiefgang zu verbinden. Sie weiß, dass Segen nicht „konservierbar“ ist – und dass heilige Momente nicht „produzierbar“ sind. In dieser Haltung bietet sie „Glanz-Momente“ an: In einem Segenszelt auf dem Maimarkt, mit besonderen Beats zum Tanz im Kirchenraum, oder jetzt in einem Weihnachtsladen.

Wenn ich sage: Etwas ist herrlich, dann sind das Momente, in denen ich spüre: Da ist für einen Moment zumindest eine Erfüllung da. Und solche Momente wollen wir generieren und verschenken. Und das ist dann so eine Art Holy Glow, also ein heiliger Glanz, der sich ins Leben legt.

Im Gespräch mit Nina Roller spüre ich: Die Frau ist genau richtig bei diesem Projekt: Sie macht es Menschen leicht, Kirche sympathisch zu finden.  Und bei allem Glanz und Glitter bleibt sie auch dem Schweren verbunden.

Ich bin natürlich immer wieder herausgefordert. Dadurch, dass die Welt überhaupt nicht nur herrlich ist und  das auch in meinem pastoralen Handeln, also in dem, was ich predige und auch in dem, wie ich Seelsorge mache, nicht wegzuleugnen. Auch im Sinne dessen, was mein Auftrag ist: die Hoffnung und die Freude groß zu machen. Aber eben nicht blind für das, was schmerzt.

Hoffnung und Freude stärken – und gleichzeitig das Schmerzhafte sehen. Das ist die starke Basis von Kirche, längst nicht nur beim „Studio Herrlichkeit“ und längst nicht nur zur Weihnachtszeit.

Mehr Infos zu Studio Herrlichkeit, dem Innovationsprojekt der Ev. Kirche Mannheim und seinem Christmas Pop Up (bis 04.01.25)

https://studioherrlichkeit.de/

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15DEZ2024
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Abt Nikodemus Schnabel copyright: Dormitio-Abtei, Jerusalem

...und mit Abt Nikodemus Schnabel. Er ist Mönch, Benediktiner in der Dormitio Abtei in Jerusalem und da direkt auf dem Berg Zion und ein zweites Kloster gehört dazu, in Tabgha am See Gennesaret.
Nikodemus und seine Mitbrüder leben in einem Land, das von Konflikten und Kriegen gebeutelt ist. Ich will wissen, wie er den Advent erlebt und was für ihn Frieden bedeutet. Ich erreiche Abt Nikodemus im Kloster in Jerusalem und ich will als erstes wissen, wie es ihm geht. Er erzählt, dass es ihm und seinen Brüdern persönlich und geistlich gut gehe...

 

Auf der anderen Seite natürlich, wir sind umgeben von diesem Ozean von Leid. Es ist egal, ob wir über jüdische Menschen reden, muslimische, christliche, atheistische, Israelis, Palästinenser, die vielen Ausländer, die es hier im Land gibt.

Das sind die Mitglieder der deutschsprachigen Auslandsgemeinde, aber auch die Migranten und Asylsuchenden aus der ganzen Welt, um die Nikodemus Schnabel sich kümmert. Leiden, das tun hier alle.

Alle Menschen, ich kenne niemanden, der nicht leidet, der nicht unter der Situation ja entweder voller Trauer ist, voller Verletzung, Verwundung, Traumatisierung, Ungewissheit, Ängsten. Also da kommt sehr, sehr vieles hoch. In diesem Ozean von Leid versuchen wir Hoffnungsinseln zu sein. Aber wir erleben einfach, es kostet uns Energie.

Hoffnungsinseln? Das will ich genauer wissen.

Hoffnungsinseln zu sein, ist etwas, was gar nicht schwer ist. Es bedeutet erst mal, aushalten, nicht weggehen.

Warum bleiben die Brüder, obwohl es gefährlich ist?

Wir Benediktiner versprechen klassisch Stabilitas: Beständigkeit.
Diese Beständigkeit, das Ausharren an einem Ort, für uns als Benediktiner ist ne ganz, ganz wichtige Berufung.
Wir bleiben hier, nicht nur in schönen Zeiten.

Wie erlebt Abt Nikodemus den Advent? Gerade in einer Zeit, die so schwierig, so komplex ist.

Also der Advent ist immer eine Zeit der Hoffnung. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, nie, es gab nie einen Tag, wo ich sage, ich resigniere.
Die Hoffnung hat bei mir durchaus einen ganz tiefen Grund.

Einen Grund, der interessanterweise auch mit den Orten zu tun hat, auf dem die beiden Klöster stehen. Weil Jesus sich nach seiner Auferstehung genau da gezeigt hat. Und das ist Hoffnung pur.

Also die Bibel sagt der Auferstandene, erscheint im Abendmahlsaal erscheint auf dem Zion, und der Auferstandene erscheint am Seeufer, also in Tabgha.
Das heißt, mir sind tatsächlich zwei der wenigen österlichen Auferstehungsorte anvertraut und dann muss ich das auch ernst nehmen. Und für mich ist halt Ostern der Ernstfall unseres Glaubens und das Zentrum unseres Glaubens.

Das ist die Oster-Hoffnung, dass am Ende nicht Hassen und Tod, sondern Miteinander und Leben das letzte Wort haben.

Und der Advent ist noch mal so eine Zeit, wo die Hoffnung neuen Auftrieb bekommt.

Die Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem ist schon immer ein Ort, wo Menschen Zuflucht suchen und finden. Die Mönche haben die Tür offen, die Herzen und die Ohren auch. Dazu gehört auch eine Tasse Kaffee und ein leckeres Stück Kuchen - wie gut, dass einer der Brüder gelernter Konditor ist.

Immer wieder ist Abt Nikodemus mit schwierigen Situationen konfrontiert, nicht nur im Krieg. Er beobachtet, dass das in Frage gestellt wird, was alle Menschen verbindet.

 

Das Menschenbild also Genesis, 1, 26-27 oder für Juden bereshit, das allererste Buch der Bibel, wo im 1. Kapitel halt steht, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Muslime kennen übrigens eine ähnliche Vorstellung. Im Koran, Sure 2 Vers 30 steht drin, dass jeder Mensch Stellvertreter Gottes ist. Das heißt, die abrahamitischen Religionen sind sich absolut einig über die nicht zu diskutierende unverlierbare Würde eines jeden Menschen. Und die kommt ja gerade voll unter die Räder. Und wir erleben ja in der Kriegspropaganda von beiden Seiten, dass dem anderen das Menschsein abgesprochen wird, dass man sagt, na ja, das sind Tiere in Menschengestalt oder Ratten, Hunde oder Monster.

Eigentlich ist das eine Erschütterung der gesamten Menschheitsfamilie.

 

An dem Punkt müssen alle Religionen zusammenstehen und sich dagegenstemmen, dass die Menschenwürde in Frage gestellt wird. 


Was bedeutet Frieden für Sie?

Frieden bedeutet für mich eigentlich diese ja Gottsuche und die Menschensuche. Das ist was sehr Aktives. Das heißt auf der Suche sein, im Ringen sein, ja wie kann die Menschheit wachsen, wachsen in der Liebe, im Glauben, in der Hoffnung, in der Kreativität? Das ist für mich Frieden.

Weihnachten steht vor der Tür. DAS christliche Friedensfest. Für Abt Nikodemus und seine Brüder sind das auch besondere Tage.
Danach geht die Gemeinschaft von der Dormitio 10 km zu Fuß nach Bethlehem. Sie pilgern in die Geburtskirche, beten dort und legen dann am Geburtsstern eine Riesenrolle ab. Darauf stehen Namen von Menschen aus aller Welt, die man online dort eintragen kann und für die dann am Heiligen Abend gebetet wird. Ich stand da auch schon drauf und das war was ganz Besonderes für mich. Das kann man auch jetzt noch machen auf dormitio.net/weihnachtsaktion .

Zum Schluss frage ich Abt Nikodemus Schnabel, was für ihn Weihnachten bedeutet - gerade in diesen Zeiten.

Ich glaube, dass an Weihnachten Gott Mensch wurde, einer von uns. Und eben nicht in einem Palast, nicht privilegiert, sondern er wurde Mensch mit all dem, was Mensch sein auch bedeutet, an Leid, Schmerz, Trauer, Verlust, Angst, Sorge.
Und für mich ist die große Botschaft von Weihnachten in all dem, was wir als Menschen tagtäglich erleben, das was uns anflutet in unserem Menschsein, dass das Gott vertraut ist, dass Gott darum weiß, und dass er das alles heilen kann.

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08DEZ2024
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Wolf-Dieter Steinmann Foto: Kirche im SWR

Seit drei Jahren genießt Wolf-Dieter Steinmann, der langjährige Rundfunkpfarrer seinen Ruhestand. Jetzt in der Adventszeit könnte die Entspannung sich besonders bemerkbar machen. Aber vor ein paar Wochen ist seine Mutter gestorben. In einem, wie man so sagt, gesegneten Alter. Wie sehr sie ihm fehlt, hat ihn selbst überrascht.   

Dieses diesjährige Weihnachten ist mein siebzigstes und das erste ohne meine Mutter. Je älter ich werde, umso mehr spüre ich diese Wurzeln. Die sind nicht so, dass sie mir quasi über 50 Jahre, nachdem ich weg war, meine Lebenskräfte zugespielt hätten. Das nicht, aber ich habe mich in diesem Haus immer sicher gefühlt.

Dieses Elternhaus steht im kurpfälzischen Walldorf. Mitten im Ort auf einem ehemaligen Bauernhof. Der war ein klassischer Rund-um-die-Uhr-Familienbetrieb: Kühe melken, Hühner füttern, Spargel stechen, Tabak aufhängen. Es gab immer was zu schaffen. Auch die drei Kinder mussten selbstverständlich mit anpacken. Und die Mutter?

Sie hatte ihren Selbstversorgergarten, der eine sechsköpfige Familie eine Zeitlang wirklich nahezu autark ernährt hat. Also, es ist nicht ein „Gärtle“ gewesen, das war ein richtiges Teil, und wenn die anderen Mittagspause gemacht haben, war sie im Garten.

Das ganze Leben nichts als Mühe und Arbeit. So steht es schon in der Bibel. Aber es blitzen auch andere Erinnerungsmomente auf. Zum Beispiel die jährlichen Weihnachtsfeste. Plötzlich ein Glanz in der Hütte. Das Christkind, in ein altes Brautkleid gehüllt. Und als der Schwindel aufgeflogen ist, bleibt die Ahnung von göttlichen Geheimnissen. Und die vielen, vielen Weihnachtslieder.

Also ich kann mir Weihnachten nicht vorstellen, ohne dass wirklich heftig gesungen wird. Da bist du endlich nicht mehr dieser Schaffknecht und diese Schaffmagd, sondern da fängt du an … im Singen fängst du an zu fliegen.

Wurzeln und Flügel. Was Eltern ihren Kindern im besten Fall mitgeben sollen, hat Wolf-Dieter tatsächlich erlebt: Gleich nach dem Abitur hat er erst einmal die Flucht ergriffen, raus aus der Welt, in der man nur im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen konnte. Vom Acker gemacht hat er sich, sagt sein Bruder. Aber er ist auch immer wieder zurückgekommen. Jedes Jahr an Weihnachten. In diesem Fest entdeckt er sogar den Kern der eigenen Frömmigkeit. Als Pfarrer hat er zwar gelernt, dass Ostern das Gründungsdatum des Christentums ist, aber …

… für mich ist es viel lebendiger, an Weihnachten in dieses Kind in der Krippe verliebt zu sein und darin Gott zu sehen und in allem, was neu wird, klein, winzig, verletzlich neu wird, die große Kraft Gott am Wirken zu sehen. Und das auch mit Licht und auch mit einem bisschen Kitsch zu verbinden, das gehört auch dazu.

Licht und Kitsch, jede Menge Weihnachtslieder und verliebt in ein Kind. Als Rundfunkpfarrer hat Wolf-Dieter Steinmann jahrzehntelang vielen Menschen Trost zugesprochen. Nun ist mit 98 Jahren seine Mutter gestorben und er ist überrascht, wie sehr ihn das beutelt. Andererseits:

Das ist die Frau, die sich der Mühe unterzogen hat, mir neun Monate lang ins Leben zu helfen. Ohne sie wäre ich nicht da. Ohne sie hätte ich keine Lebenschance gehabt. Der Anteil der Väter ist marginal.

Dabei war sein Vater zu seinen Lebzeiten für Wolf-Dieter die stärkere Bezugsperson, mit dem ihn sichtbar mehr verbunden hat als mit der Mutter. Aber er ist davon überzeugt, dass Familienbande auch unterschwellig wirken:   

Ein Mensch ist keine Insel, aber er ist auch sehr für sich. Das habe ich von meiner Mutter auch gelernt. Vielleicht sind wir so etwas wie eine Inselkette, und dazwischen gibt es eine kontinuierliche Fährverbindung, und man muss nicht immer diese Fähre benutzen. Manchmal steht man auch einfach nur am Hafen und guckt der Fähre zu. Fährt sie noch? Ja, sie fährt noch.

Im letzten Lebensjahr seiner Mutter hat Wolf-Dieter die Fähre wieder häufiger benutzt. Zu Besuchen in Walldorf, wo seine Schwester die tägliche und nächtliche Pflege der Mutter übernommen hat. Er spielt ihr auf dem Klavier vor, schaut mit ihr Sport. Und stellt fest, dass es diese ganz alltäglichen Momente sind, die ihm kostbar werden:  

Da habe ich zum ersten Mal meiner Mutter beim Mittagessen geholfen und ihr einen Löffel gereicht. Das war sehr zittrig am Anfang von meiner Seite aus, aber sie hat es völlig selbstverständlich, weil sie das erst mal nicht selber konnte, entgegengenommen. Das war eine unglaublich intensive Erfahrung.

Und nach ihrem Tod? Was glaubt er: Wo ist die verstorbene Mutter jetzt? Trösten die biblischen Bilder? Helfen sie über den Verlust hinweg? Wolf-Dieter Steinmann formuliert vorsichtig:

Ich sehe es nicht wirklich als Bild. Ich würd‘s ihr wünschen, dass das, was der Paul Gerhardt da in „Geh aus, mein Herz“ gedichtet hat, dass es einen Garten Christi gibt, in dem man dann hinterher auch spazieren gehen. Oder ich glaube, sie wird schon gerne schaffen da auch.

Die Geschwister haben beschlossen, Weihnachten in diesem Jahr noch einmal dort zu feiern. Ohne die Mutter, aber mit all den vertrauten Ritualen. Mit vielen Liedern. Und auch mit Wolf-Dieters Enkelkind, das in diesen Tagen geboren wird.  

… dann glaube ich – und das ist bei mir so- dass das Leben immer wieder neu geboren wird, und dass Gott die Kraft ist, die immer wieder Neues schafft.

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01DEZ2024
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Susanne Niemeyer copyright: Susanne Niemeyer

Caroline Haro-Gnändinger trifft die Autorin Susanne Niemeyer.

Sie schreibt kurze Geschichten auch für Adventskalender. Sie erzählt mir, wie sie sich für den Kalender in diesem Jahr eine Szene vorgestellt hat mit den Eltern von Jesus in der Bibel, Maria und Josef: Wie hat sich das wohl angefühlt – so in einem Stall im Stroh? Ganz ohne jede Krippenromantik:

Und natürlich: Maria ist schwanger. Das ist alles nicht das Tollste. Es ist zugig, es piekst, es gibt Spinnen. Ach, es ist alles nicht so, wie es geplant war.

Nicht gemütlich also. Und das passt für sie generell zu dem, was vor 2000 Jahren passiert sein soll. Dass Gott als kleines Kind auf die Welt gekommen ist. In einem Stall, ohne richtige Unterkunft.

Niemand ist da, der einen, der einen reinlässt. Alles ist belegt, also auch, dass es heute auch eine dramatische Vorstellung und dann bleibt nichts übrig, als irgendein Stall zu nehmen und es ist garantiert kalt. Es stinkt garantiert. Es ist trostlos. Und dann, glaube ich, gibt es Trost, weil Menschen kommen, also weil die Hirten kommen und weil die Könige kommen, weil Leute da sind. Ich glaube, das bringt die Wärme da rein.

So eine Wärme von anderen – das braucht es auch heute, findet sie. Und sie erzählt mir, was ihr Wärme gibt. Nämlich die sogenannte Wohnzimmerkirche – gibt’s mehrmals im Jahr in Hamburg, wo sie lebt, auch im Advent:

Da machen wir die Kirche zum Wohnzimmer. Also wir haben Sofas und Stehlampen, und wir singen zusammen, wir reden ganz viel zusammen, wir essen zusammen. Und da habe ich wirklich das Gefühl von okay, hier ist Gemeinschaft, wir gehen wieder auseinander, aber ein bisschen verwandelt. immer eine sehr innige, intensive Stimmung mit ersten Weihnachtsliedern, aber auch mit Pop Liedern. Also wenn man auf einmal „Fix You“ singt im Kerzenschein, dann ist es sehr, sehr besonders.

„Fix You“, ein Lied von der Band Coldplay. Ich mag’s sehr, aber hab‘ ich das richtig verstanden: Für sie ist es ein Adventslied?

Weil es darum geht, was Zerbrochenes zu reparieren, klingt zu technisch, aber zu heilen, zusammenzuflicken. Vielleicht deshalb finde ich, ist es auf jeden Fall ein Advents Song. Er hat was Gebrochenes und ich finde, darum geht es bei Adventsliedern, dass es dunkel ist, aber irgendwo gibt es kleine Lücken, durch die das Licht durchkommt.

Gott ist also gerade auch da, wo es im übertragenen Sinn dunkel und kaputt ist. Und will es ganz machen. Wenn es jetzt im Winter auch draußen dunkel ist, wird ihr das besonders klar:

Ich finde es so eine geheimnisvolle Jahreszeit. Also nach wie vor finde ich, dass ich glaube, dieses Kindheitsmoment von: Es wird irgendwas kommen und es gibt Überraschungen und es ist alles ein bisschen mit Neugier getränkt. Ich glaube, das habe ich immer noch in meiner Seele.

Ich treffe Autorin Susanne Niemeyer. Bei ihr steht jetzt im Advent ein Adventskalender mit kleinen Überraschungen von ihrem Freund. Und sie stellt sich schon eine Weihnachtskrippe ins Fenster.

Das ist für mich sehr besonders, weil ich nicht mit Krippen aufgewachsen bin und damit eigentlich auch nicht viel anfangen kann. Aber jetzt habe ich eine ganz schlichte Krippe, in der es vor allem Tiere gibt. Die Tiere strahlen Wärme aus. Und da haben es Maria, Josef und das Baby gut. Und diese Krippe stelle ich tatsächlich auf, die ist nicht angemalt, die ist ganz modern. Die steht auf einer weißen Fensterbank mit ein paar Kerzen. Und wenn ich diese Kerzen anzünde und ein bisschen so die Schattenspiele sehe - das, finde ich, ist ein guter Ankerpunkt für mich.

Sie nimmt sich immer wieder vor, ganz früh morgens eine Weile lang da zu sitzen, mit Kerzenschein und Stille. Und manchmal klappt es. Wenn sie auf die Krippe schaut und an die Notunterkunft denkt von Josef, Maria und Jesus, fragt sie sich auch, was ihr eigentlich Heimat gibt.

Ein großer Teil von Heimat, von dem Gefühl von: Okay, hier darf ich sein, hier kann ich sein, habe ich einen Ankerpunkt, sind Menschen. Ich glaube, wir brauchen Verbündete. Und ich glaube wirklich, in dieser Zeit brauchen die noch viel mehr. Also Menschen um uns herum, bei denen wir wissen, die meinen es gut mit uns, mit denen können wir reden, mit denen können wir auch streiten. In allem Respekt. Und die zuhören, mit einem lachen und einfach da sind.

Susanne Niemeyer begleitet übrigens viele Menschen jetzt im Advent, über ihre Texte. Die stehen in Adventskalendern und Büchern, sind ungewöhnlich und überraschen auch mich. Meinen Alltag und was ich so glaube, mal von einer ganz anderen Seite anzuschauen, darum geht‘s.

Mir hilft es, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn Gott jetzt hier säße, wenn er jetzt der dritte oder vierte in der Runde wäre, was es verändern würde und das versuche ich mir vorzustellen, wo auch immer ich bin.

Ja, was würde es denn ändern? In ihren Texten spenden Menschen dann einander Trost. Bekommen Mut und schließen Frieden. Und sie nutzen ihren freien Willen. Susanne Niemeyer schreibt zum Beispiel über Maria. Ein Engel sagt ihr ja, laut Bibel, dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen soll. Ob das so einfach für die junge Frau war?

Man muss sich ja klar machen, in welcher Zeit diese Geschichten aufgeschrieben worden sind. Das ist ja in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft geschrieben. Und ganz oft wird ein Gottesbild transportiert von einem Herrn, der einfach bestimmt. Und das ist nicht mein Bild von Gott. Ich glaube so ist Gott nicht.

Sie findet: Gott respektiert den freien Willen der Menschen. Deshalb lässt sie in ihrer Geschichte Maria und Gott miteinander diskutieren. Gott bestimmt nicht einfach, dass Maria schwanger wird, sondern am Ende sagt sie ganz bewusst Ja dazu. Susanne Niemeyer schaut bei biblischen Texten einfach genau hin. Ihr bedeutet sehr viel, was an Weihnachten passiert ist:

Da geht es nicht um die starken Männer. Es geht nicht darum, den anderen zu zeigen, wer der Größte ist, sondern es geht tatsächlich um den Kleinsten oder die kleinste Person. Und wie was ganz Kleines groß werden kann und was ganz Zartes auch, und dass es um Mitgefühl und Vertrauen geht und um Miteinander.

Sich das wieder mehr klar machen, das möchte auch ich, besonders jetzt im Advent.

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24NOV2024
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Manu Theobald

Stille als Widerstandskraft?

Die Tage werden kürzer und so wie sich die Natur immer weiter in sich zurückzieht, spüre auch ich: Ich sehne mich nach Einkehr und Ruhe. So bin ich auf die Fotografin und Autorin aufmerksam geworden. Sie hat ein Buch über die Stille geschrieben. Darin porträtiert sie ganz unterschiedliche Menschen, die etwas über Ihre Erfahrungen mit Stille erzählen:

beginnend mit dem Astronauten, der einen Blick von oben auf die Welt wirft und kurz daran erinnert, was für ein wahnsinniges Wunder es ist, dass Leben auf diesem Planeten entstanden ist. Gefolgt von der Höhlenforscherin und Mikrobiologin, die dasselbe veranschaulicht, was für ein wahnsinniges Wunder ist, wie vom Einzeller der Mehrzeller bis zu unserer Menschheit eben entstand. Dann kommt die Hebamme, die uns … mit der Geburt in die Welt bringt, was alle Wesen auf dieser Welt eint. Und am Schluss endet das mit dem Sterbehelfer und Hospiz Begründer, der eben über Stille und den Tod spricht. Und alle anderen dazwischen wollen uns daran erinnern, dass wir eine Hommage an das Leben geben und dass Stille eine große Einladung ist, die uns hilft, dieses Leben zu feiern.

Für Manu Theobald ist klar: Stille verbindet die Menschen: miteinander, aber auch mit etwas, das über jeden und jede einzelne hinausgeht:

Also die Stille ist auf jeden Fall eine Brücke, ein großer Verbinder in einen wesentlich größeren Raum.

Ich erlebe diese stille Verbindung zu einem größeren Raum im Gebet. Aus christlicher Sicht ist das eine Möglichkeit, sich Gott zu nähern. Manu Theobald möchte den Begriff jedoch weiter fassen. Für sie sind es allgemeine menschliche Fragen, die sich in der Stille klären können. Ganz unabhängig davon, zu welchem Glauben man sich bekennt oder ob man überhaupt glaubt:

Also wie kann ich der Unvorhersehbarkeit des Lebens aus einer inneren Stabilität heraus begegnen? Wie kann ich mit so viel Prägung und gesellschaftlichen Vorgaben zu einem selbstbestimmten Leben finden? Wie kann ich meine Sinne weiter befeuern und nicht verkümmern lassen?

Die unterschiedlichen Menschen in Theobalds Buch haben diese Fragen auf verschiedene Weise für sich beantwortet. Was sie alle miteinander verbindet ist, dass die Stille ihnen dabei geholfen hat. Und noch etwas haben die Porträtierten gemein:

Menschen … die vor allen Dingen eint, dass sie große Widrigkeiten in ihrem Leben überwunden haben und damit uns wahnsinnig beispielgebende Vorbilder sind, auch in ihren Geschichten, an denen sie uns teilhaben lassen. Wie sie rangegangen sind, wie sie Ängste überwunden haben, wie sie Berufsziele verwirklicht haben, obwohl Fakten erstmal dagegen sprechen, wenn eine Frau, die  …  ihr Gehör verloren hat, Musikerin werden möchte oder ein Mann, der ohne Augenlicht zur Welt kommt, eben Extremkletterer werden möchte und sie es aber trotzdem hinbekommen haben.

Stille als Lebenskraft

Manu Theobald ist Fotografin und Autorin. In ihrem Buch hat sie verschiedene Menschen porträtiert, die erzählen, was Stille für sie bedeutet. Was mich beim Lesen besonders erstaunt hat: Alle verbinden Stille mit Lebendigkeit und Vitalität. Manu Theobald unterstreicht diesen Eindruck:

In der letztendlichen Konsequenz ist das Gegenteil von Stille tatsächlich der Tod, weil mit der Stille fängt ein bewussteres Leben an und damit auch ein sicherlich reichhaltigeres Leben. … Im Alltag, könnte man sagen, gibt es viele Gegenstücke zu Stille, die natürlich mit Lärm zu definieren sind. Oder auch Bewegungsstarre. … vielleicht auch Grobheit, Unbewusstheit, all das, was eigentlich verhindert, das Lebenzu huldigen.

Darum geht es Manu Theobald – dem Leben zu huldigen und es zu feiern.

eine Hommage an das Innehalten und Lauschen. Eine Einladung, sich mit allen Sinnen für das Wunder Leben zu öffnen.

Und dabei zu neu zu spüren, wie alles Lebendige miteinander verbunden ist. Als Theologin würde ich sagen: einzuüben, sich als Geschöpf zu verstehen. Manu Theobald kann das am Besten in der Natur:

weil die Natur uns natürlich sofort vergegenwärtigt, dass wir Teil eines größeren Konzeptes sind. Und das ist jedem Menschen klar, wenn er in den Sternenhimmel guckt, dass die Dimensionen sehr groß sind und die Relationen auch. Und oftmals relativiert das auch tatsächlich die Probleme oder das Um-sich-selbst-Kreisen… Und tatsächlich ist es in der Natur so, dass man sehr schnell Beobachter wird, anderer und selbstvergessener wird. Und das schätze ich sehr daran, dass es sofort so ein Shiftwechsel gibt.

Neben der Natur sind für mich auch Kirchen solche Orte der Unterbrechung. Wo ich zur Ruhe kommen kann – und es durch die äußere Stille auch still wird in mir. In der Stille spüre ich, wie ich wieder in Kontakt komme mit mir selbst. Meistens hilft mir das im Alltagstrubel besser zu bestehen. Manu Theobald wünscht sich, dass immer mehr Menschen, die Stille für sich entdecken.

Ich würde mich freuen, wenn viele Menschen versuchen, Stille in ihren Tag einzubauen, indem sie immer wieder innehalten und anfangen, eine Art geistige Hygiene zu kultivieren. Indem man mitbekommt, was denke ich überhaupt, was passiert gerade eben überhaupt, was gibt es zu tun und damit vielleicht etwas in ihrem Leben kultivieren, was sie mit einer körperlichen Hygiene selbst längst als selbstverständlich empfinden.

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17NOV2024
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Alvaro Soler (c) Jakob Furis

Der Musiker Álvaro Soler hat Millionen Fans rund um den Globus. Ein Weltbürger sein - das lebt er und das ist auch Teil seiner eigenen Biografie. Denn seine Vorfahren kommen aus Spanien, Belgien und Deutschland. Álvaro wuchs zunächst in Barcelona auf, als Kind zog er mit der Familie nach Japan, später wieder zurück nach Spanien und seinen musikalischen Durchbruch feierte er 2015 in Berlin mit dem Lied: „El mismo sol“, auf deutsch: „Unter derselben Sonne“. In Zeiten von wieder erstarkendem Nationalismus verkörpert Álvaro Soler eine Solidarität aller Menschen auf diesem Planeten:

„El mismo sol“ ist ja das, wofür ich stehe- dieses Internationale. Alle Leute zusammenbringen ist halt das, was mich am meisten definiert, glaub ich. Weil ich hab in verschiedenen Kulturen gelebt - und ich hab nie wirklich unterschieden zwischen „du kommst von hier und du kommst von da“ … also ich hab unterschieden, aber im positiven Sinn, es war so eher:,,Cool du kommst ja aus Korea, du kommst aus Japan, mega, wie sagt man das und das auf Japanisch?

Heute spricht der 33-jährige sechs Sprachen fließend und sagt: Wir müssen uns für die Menschen unter dieser selben Sonne wieder mehr interessieren, sie sind unsere Geschwister und es muss uns beschäftigen, wie und unter welchen Umständen sie leben:

Wenn ich ein Wort habe für mein Leben, dann ist wirklich Neugier das Wort, also die gute Neugier, weil das ist der Motor für alles, was ich gemacht hab in meinem Leben

Neugierig ist Álvaro Soler auch, wenn es um Sinnfragen geht – etwa: Wozu bin ich auf dieser Welt?

Das ist eine sehr interessante Frage und eine sehr große Frage: es gibt ja so viele sehr begabte Musiker, die viel besser Musik spielen als ich, auf jeden Fall, aber ich hab irgendwann gedacht: ich bin einfach auf dieser Welt, um den Leuten was mitzugeben, was einfach positiv ist und ich glaube das ist meine Arbeit auf dieser Welt. Wirklich meine Berufung ist den Leuten gute Laune zu geben, in dieser Zeit, wo wir hier sind.

Mir gefällt diese Definition von Berufung. Dass er das kann, das sieht er als ein Geschenk. Und dass es funktioniert, erlebe ich in den vielen strahlenden Gesichtern auf seinem Konzert in Leverkusen, wo ich den Künstler treffe. Für Álvaro Soler ist Lebensfreude aber mehr als billiger Spaß:

Das klingt natürlich sehr banal, wenn man sagt: „Party und so“. Es ist aber nicht Party – es geht einfach darum von diesen Problemen ein bisschen Perspektive zu bekommen, von deinen eigenen Routinen rauszukommen. Auch in den Konzerten finde ich, dass mein Job ist: wenn Leute zu den Konzerten kommen, dass die nach Hause gehen und denken: Krass, ich bin jetzt kurz für zwei Stunden weg gewesen und jetzt geht es mir besser – und das ist meine Berufung, dass ich sowas bekommen habe, weil es pusht mich selber auch, ich bin ja nicht immer positiv gelaunt, es gibt ja auch Momente, wo ich denke: Das ist so schwer oder das krieg ich nicht hin. Und es ist für mich eine super Aufgabe diese Verantwortung zu haben.

Verantwortung empfindet er auch für die Zukunft unseres Planeten und macht sich ehrlich:

Ich muss auch ganz ehrlich sagen – ich bin nicht der Nachhaltigste auf der ganzen Welt. Allein das Fliegen in Länder, weil ich Konzerte habe oder so. Wir nehmen ja schon einen Tourbus sooft wie wir können, und versuchen ja schon alles zu reduzieren, aber bestimmt kann ich viel mehr machen. Aber da bin ich nicht der Einzige. Ich glaub: Jeder von uns kann vielmehr machen, und ich glaube, man muss sich nur hinsetzen und planen und sagen: jetzt ändere ich was in mir.

Und weil er vor seiner Karriere Industriedesign studiert hat, weiß er, dass auch die Wirtschaft noch viel nachhaltiger werden muss. Wie dramatisch die Auswirkungen des Klimawandels sind, erfährt Álvaro Soler gerade, wenn er in seine spanische Heimat -etwa nach Valencia - schaut. Auf seinem Konzert sammelt er Spenden. Ich muss dabei sofort an die Flut im Ahrtal 2021 denken. Und wie wichtig jede Hilfe in so einer Situation ist.

Ich treffe den international erfolgreichen Musiker Álvaro Soler. Er hat schon mit Künstlern wie Jennifer Lopez Songs produziert – sein neuestes Lied „Cero“ ist hingegen eine ganz besondere Zusammenarbeit, die ihren Ursprung auf einer Reise mit der Hilfsorganisation „World vision“ in Kenia hat. Dort hat er sich verschiedene Projekte angeschaut hat, um auf Hunger und Not der Menschen aufmerksam zu machen:

Wir waren in Marsabit, das ist zehn Stunden von Nairobi mit dem Auto, das braucht zwei Tage bis du da bist. Das sind Schäferfamilien, die wohnen so bisschen Nomaden mäßig.

Und dort begrüßt ihn der „Namayana womens choir“.  Frauen, die als Gospelchor auf ihrer Heimatsprache Rendile singen. Alvaros Kollege fängt die Situation ein und diese Melodie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Jetzt hat er aus den Aufnahmen einen neuen Song gebastelt:

Es ist eigentlich ein christian song und sie singen das normalerweise in so Gospelgemeinden  – das ist einfach ein Dankbarkeitsgesang und das finde ich total schön, das passt mega zu dem Soing. Sie haben mir noch mal gesagt, was das alles heisst, was sie sagen. Also sie sagen: „ Oh Lord, it is by your might, that we are here “

Übersetzt: „Gott, es ist deiner Macht zu verdanken, dass wir hier sind.“ Es geht um Demut und das Geschenk des Lebens. Und wie hält es Álvaro ganz persönlich mit dem Glauben. Ist er ein religiöser Mensch?

Ich bin ja katholisch aufgewachsen in Spanien und ich bin getauft, aber irgendwann hab ich sozusagen meinen eigenen Weg und Bezug dazu gefunden. Und bei mir ist es so: ich hab dann irgendwann auch durch Meditation meinen eigenen Frieden dann gefunden.

Und ihm geben die 10 Gebote Orientierung. Ich nehme den Künstler als Menschen war, der offen ist für Spirituelles. Der in seinen Liedern immer wieder von der Seele singt. Glaubt er an eine größere Kraft? Hat er einen Draht nach oben?

Ja, es gibt eine größere Kraft, auf jeden Fall-100 Prozent! Also guck mal: Wenn man Musik macht, Kreativität, ich finde: Musik und alles was kreativ ist, ist verbunden mit einer größeren Kraft –und manchmal ist man einfach nur das Medium dafür, wenn man es schafft sich so zu öffnen, dass es klappt, dass dieser Fluss passiert, dann ist es das Schönste, was es gibt auf der Welt. Deshalb bin ich sehr oft sehr, sehr dankbar für all das ,was passiert ist in meiner Karriere.

Ich frage ihn nach seiner Lieblingszeile in seinem neuen Song und in seiner Antwort spiegeln sich dann auch wieder Momente aus seiner Keniareise. Da hat er erfahren, dass absolut nichts selbstverständlich ist:

„Será que nos hemos olvida'o - Que aquí todo es un regalo- haben wir vielleicht vergessen, dass hier alles ein Geschenk ist. Und jeder Tag, an dem wir aufwachen ein Geschenk ist und alles andere was passiert, ist ein Extra.

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10NOV2024
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Margret Köpfer vor einem Bild der Mutter mit Bibel von Hans Thoma Copyright: Sylvia Vetter

Martina Steinbrecher trifft Margret Köpfer, Leiterin des Hans-Thoma-Museums in Bernau

Die Leiterin des Hans-Thoma-Museums in Bernau im Schwarzwald hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Grund dafür sind gleich zwei Jubiläen: Das Museum feiert sein 75-jähriges Bestehen.  Und dann jährt sich in diesen Tagen der 100. Todestag des „Lieblingsmalers der Deutschen.“ Auf den Tag genau heute vor 100 Jahren ist er in Karlsruhe mit Glanz und Gloria beerdigt worden. Der Weg zu so viel Ruhm war allerdings lang und beschwerlich:

Hans Thoma stammt aus ärmlichen Verhältnissen und fürs 19. Jahrhundert auch sehr schwierigen Familienverhältnissen. Denn erst starb sein älterer Bruder, der Hilarius, dann starb sein Vater, und so war er das einzige männliche Mitglied der Familie, von dem natürlich auch irgendwie erwartet wurde, dass er in Zukunft die Familie ernährt. Die Familie bestand dann noch aus seiner Mutter Rosa und seiner Schwester Agathe. Und die Mutter Rosa hat also sehr viel darangesetzt, dass der Bub was G‘scheits wird.

Mutter und Schwester: Die beiden Frauen, die ihn ihr Leben lang begleitet und geprägt haben, hat Hans Thoma immer wieder portraitiert. Das vielleicht bekannteste Ölgemälde der beiden stammt aus dem Jahr 1866 und zeigt die 62-jährige Rosa und die 18-jährige Agathe, wie sie zusammen in einer Bibel lesen. Zum Jubiläum ist das Bild in der aktuellen Ausstellung zu bewundern. 

Oder dann haben wir Mutter in der Bibel lesend. Das hängt im Schwarzwaldraum, da liest sie natürlich auch in der Bibel und hat ihre Brille auf. Diese Brille, irgendwie so dieses Symbol des Gebildetseins. Dann die Bibel, das Zeichen der Frömmigkeit. Das taucht schon immer wieder bei ihm auf.

Auch wenn die Familie Thoma katholisch ist und Hans erst durch die Heirat mit der Künstlerin Cella Berteneder evangelisch wird, zeigen die Bilder der lesenden Frauen ein zutiefst protestantisches Programm. Denn es war ein wichtiges Anliegen der Reformatoren, auch Menschen aus einfachen Verhältnissen Zugang zu Bildung zu verschaffen, und zwar Männern wie Frauen, nicht zuletzt, um die Bibel in ihrer Muttersprache lesen zu können. Dass das Bibelstudium im Hause Thoma ein alltägliches Ritual war, sieht man an der abgebildeten Bibel: Sie zeigt starke Gebrauchsspuren. Aber auch die Haltung von Mutter und Schwester lässt keinen Zweifel: Diese Frauen leben nicht vom Brot allein, sondern - gemäß einem Bibelvers - von jedem Wort, das ihnen aus Gottes Mund entgegenkommt. Ein Bild der Mutter mit Bibel ist zurzeit auch das Lieblingsbild von Margret Köpfer:

Das hängt so genial jetzt in der neuen Ausstellung. Wir haben praktisch die Fenster verdunkelt. Und da ist das Geburtshaus von Hans Thoma drauf, und zwischen den beiden Fenstern ist ein Stück Wand. Und da ist genau das Hauseck vom Geburtshaus. Und genau da hängt jetzt die Mutter, und es ist für mich so Inside-outside. Ja, ich sehe von außen das Geburtshaus, und ich sehe die Mutter von innen, die genau in diesem Eck des Hauses vorm Fenster sitzt und die Bibel liest. Ja, das find ich einfach irgendwie kongenial.

Man merkt es ihr an: Die gebürtige Bernauerin Margret Köpfer ist begeistert von ihrem kleinen Museum und seinen vielfältigen Möglichkeiten, den Maler und sein Werk bekannt zu machen. Bevor Hans Thoma im Alter von knapp 60 Jahren Direktor der Karlsruher Kunsthalle wird, Abgeordneter in der badischen Landeskammer und schließlich 1924 als hochbetagter A-Promi zu Grabe getragen wird, hat er als Künstler jahrzehntelang mit vielen Vorurteilen zu kämpfen:

Er war bei seinen Kollegen als „Hühnermaler“ verschrien, weil er so an seinen ländlichen, bäuerlichen Motiven festhielt. Und wir haben wunderschöne Hühner von ihm, also da weiß man dann überhaupt nicht, warum das ein Schimpfwort sein soll, weil er hat sie wirklich saugut drauf.

Mutter und Schwester unterstützen die Karriere des brotlosen Hühnermalers, und jahrelang lebt die Familie vom Erlös der Blumenbilder seiner Ehefrau Cella, die sich viel besser verkaufen lassen. Erst am Anfang des 20. Jahrhunderts stellt sich auch für Hans Thoma der Erfolg ein. Dann aber durchschlagend. Er wird zum Lieblingsmaler der Deutschen.

Das hat auch ein bisschen was mit der Zeit zu tun, weil eben die Industrialisierung in vollem Gange war. Und da hat sich der Mensch halt irgendwie so nach dieser Natur gesehnt, so wie Hans Thoma halt auch. Und für ihn war halt das Idealbild der Natur eigentlich oft einfach die Bernauer Landschaft.

Diese heimische Landschaft findet sich übrigens auch auf Bildern mit Szenen aus der Bibel. Als im Jahr 1912 endlich die beiden Altarbilder geliefert werden, die Hans Thoma seiner Heimatgemeinde für die Kirche St. Johannes schon lange versprochen hat, sind die Bernauer freudig überrascht. Denn auf dem einen sieht man …

… Maria über dem Bernauer Tal, das zeigt ja auch wieder irgendwie seine Heimatverbundenheit, wie die da über dem Ortsteil Innerlehen schwebt. Und es ist was zwischen Heiligenbild und Landschaftsbild. Und na ja, Johannes, der Täufer, das ist halt Rheinebene. Und er hat es bestimmt irgendwie ein bisschen angleichen wollen an die biblische Landschaft, aber eindeutig Rheinebene.  

Hans Thoma hat wohl verstanden, was Mutter Rosa ihm aus der Bibel zu vermitteln suchte, und er hat mit seinen künstlerischen Mitteln umgesetzt, was die biblische Botschaft zu allen Zeiten will: Mitten im Leben der Menschen ihre Wirkung entfalten. 

 

Überblick Hans-Thoma-Kunstmuseum in Bernau im Schwarzwald.

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03NOV2024
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Günter Caszny copyright: Manuela Pfann

… und mit Günter Czasny. Ich treffe mich mit ihm, weil er ein Experte für Friedhöfe ist und weil er eine ungewöhnliche Vision hat. Gemeinsam mit der Initiative „Raum für Trauer“ möchte er Friedhöfe zu Begegnungsorten machen. Das macht mich neugierig – und irritiert mich. Weil ich mir das nicht vorstellen kann. Egal wer aus meiner Familie oder meinem Bekanntenkreis gestorben ist - nach einer Beerdigung bin ich nur selten zurückgekommen an den Ort der Beisetzung. Und da bin ich nicht die Einzige. In einer Studie[1] sagen zwei von drei Befragten: Das Grab oder den Friedhof brauche ich nicht zum Trauern. Für mich stellt sich daher die Frage: Brauchen wir künftig gar keine Friedhöfe mehr?

Meine Sicht ist da ein bisschen anders, weil ich natürlich auf vielen Friedhöfen sehe, was dort geschieht, wie sich Menschen auf Friedhöfen verhalten, wie viele Menschen eben doch auf den Friedhof gehen, die vorhin sagten ist gar nicht wichtig. Ganz so ohne ist der Friedhof vielleicht doch nicht.

Günter Czasny ist seit vielen Jahrzehnten auf Friedhöfen unterwegs; er arbeitet in einer Kunstgießerei und gestaltet Skulpturen für Friedhöfe und Schmuck für Gräber, zum Beispiel Kreuze oder Figuren. Und er beobachtet die Veränderungen auf den Friedhöfen: Es gibt inzwischen viel mehr Urnengräber und anonyme Bestattungen. Die Angehörigen wollen oder können sich nicht mehr um die Grabpflege kümmern, sagt er. Oft hinterlassen auch die Verstorbenen selbst die Botschaft: Macht Euch keine Arbeit mit meinem Grab, ich will niemandem zur Last fallen. Doch an genau diesem Punkt gibt es ein Problem:

Das, was Menschen an diesen Beisetzungsorten tun, das Ablegen von Blumen, Kerzen hinstellen, Engelchen, all diese Dinge hat nichts mit Grabpflege zu tun. Grabpflege ist was anderes. Das sind Trauerhandlungen.

Aber die sind auf den traditionellen Friedhöfen oft nicht vorgesehen; zum Beispiel bei Urnengräbern oder wenn ein Baum als Bestattungsort gewählt wurde. Wird dann ein Brief oder ein Stofftier hinterlassen, räumt die Friedhofsverwaltung das in der Regel wieder weg. Aber genau das ist aus Sicht der Trauerforschung so wichtig, sagt Czasny. Die Verbindung mit dem Verstorbenen zu pflegen.

Eine gelebte Beziehung, die ist selbst durch den Tod nicht beendet. Die bleibt, die schwingt in uns nach. Und gerade durch Verlustschmerz pulsiert die, die blubbert unglaublich in uns. Das tut weh und sie wird immer in uns bleiben. Und Beziehung lebt von Kommunikation. Nur wer kommuniziert hat Beziehung. Aber wenn wir es dann verbieten, dann nehmen wir was ganz Wesentliches an diesen Orten weg. Somit sind das auch keine gut funktionierenden Trauerorte.

Deshalb müsse man die Perspektive ändern. Das hat sich die Initiative „Raum für Trauer“ um Günter Czasny zur Aufgabe gemacht. Soziologen arbeiten da beispielsweise mit, Landschaftsarchitekten, Trauerforscher, Steinmetze und Bestatter. Den Friedhof also nicht mehr als Ort der Toten verstehen, …

… sondern zu sehen, was passiert eigentlich mit denen, die die Friedhöfe besuchen. Dass das ja eigentlich die Zielgruppe ist und sich darauf zu konzentrieren. Was brauchen diese Menschen, wie ist deren tatsächliches Bedürfnis?

Die Antwort, die die Initiative auf diese Fragen gefunden hat – die fasziniert mich. Man kann sie anschauen. Auf einem Modellfriedhof in Süßen bei Göppingen. „Campus Vivorum“ heißt er – übersetzt: „Feld für die Lebenden“. Wie es da aussieht - davon erzähle ich nach der Musik.

Teil 2

Günter Czasny ist Experte für Friedhöfe und ausgebildeter Trauerbegleiter. Und er ist der Initiator des „Campus Vivorum“, das ist ein Modellfriedhof in Süßen bei Göppingen. Überall zwischen den Gräbern gibt es da kleine Sitzgelegenheiten, ein wunderschöner Sinnesgarten zum Durchspazieren ist angelegt. Es gibt einen nach oben offenen Raum aus braun-rotem Stein mit einer großen Tafel, um was aufzuschreiben. Und mitten auf dem Campus steht ein großer Steintisch mit Wasserlauf und Bänken. Muss ein Friedhof in Zukunft so aussehen, damit Menschen gut trauern können?

Wie muss er wirken? Würde ich gern ergänzen. Er sollte die Menschen so empfangen, dass sie spüren: Die, die diesen Friedhof gestaltet haben und verantworten, haben sich Gedanken gemacht über mich und vor allem über meine Trauersituation. Mir geht es nicht gut. Dass ich da vielleicht auch mal eine Kerze aufstellen darf oder mal was ablegen darf, obwohl ich gar kein Grab habe. Oder da ist gar niemand gestorben. Ich habe tiefste Trauer, weil eine Beziehung zu Bruch gegangen ist. Arbeitsstelle, Gesundheit verloren, egal. Eins von diesen Dingen. Und dann wird der Friedhof für mich menschenzugewandt. Und ich glaube, das sind dann die Friedhöfe, die in der Zukunft bedeutsam werden.

Jetzt verstehe ich besser, weshalb Günter Czasny vom Friedhof als „Begegnungsort“ spricht. Wir leben in einer Zeit, in der er es viele Krisen und viele Verluste gibt. Das betrifft jeden von uns. Da braucht es einen Ort, wo Verlust Platz hat und wo ich mich darüber austauschen kann, wenn mir danach ist; wo ich nicht allein bin - da muss nicht erst einer sterben. Und einen Friedhof gibt es ja in jedem Dorf.

Dann wird er ein Begegnungsort sein, wo man sich gerne trifft, aber nicht gleich mit der Gießkanne losmarschieren muss, sondern vielleicht mal einen kleinen Picknickkorb dabei hat. Und da ist ein kleines Fläschchen Prosecco drin und man trifft sich und hat kein schlechtes Gefühl dabei.

Wenn es nach Günter Czasny geht, soll es für Kinder einen kleinen Spielplatz geben. Da schlucke ich aber doch nochmal. Ein Friedhof war in meiner Kindheitserinnerung immer verbunden mit: anständig benehmen, nicht zwischen den Gräbern rumspringen und auf keinen Fall laut sein.

Wir müssen ihn so ein bisschen aus dieser Verbotszone herausentwickeln, wir fremdeln ja ein bisschen. Und das Fremdeln geht nur weg, wenn man wieder Vertrauen entwickelt. Und dann braucht es einfach Beispiele. Und dieses Experimentierfeld soll ja nur ein Beispiel sein.

Allerdings eines, das auf sehr großes Interesse stößt. Den Modellfriedhof in Süßen gibt es jetzt sei gut einem Jahr. Seither kann Czasny sich vor Anfragen kaum retten. Bürgermeister kommen, Leute von der Kirche, Friedhofsverwalter, Stadtplaner. Es scheint, als ob die Zeit für diese Idee tatsächlich reif ist; den Friedhof zu einem Begegnungsort zu machen.

Am Ende unseres Gesprächs fasst Günter Czasny diese Vision noch ein bisschen weiter. Sie klingt ein bisschen verrückt, aber gleichzeitig auch verheißungsvoll. Die Trauerpsychologie spricht vom Friedhof als möglichem Therapieort.

Wir haben in Deutschland 32.000 Friedhöfe und wenn wir uns die dann als Therapieorte vorstellen und die ordentlich funktionieren und dem Bürger guttun und die Bürger sagen ja, ich finde das schön mit unserem Friedhof, der tut mir gut, ich habe ihn ein bisschen liebgewonnen. Vielleicht brauchen wir dann 30 Jahre, bis es so weit ist. Aber wenn ich mich dort hindenke, ist es ein gutes Gefühl.

 

 

 

 

 

https://raum-fuer-trauer.de/campus-vivorum/

 

[1] Raum für Trauer – Erkenntnisse und Herausforderungen, Hg. Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Kassel.

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01NOV2024
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Annegret Lingenberg Foto: Gerhard Krämer

Wolf-Dieter Steinmann trifft Annegret Lingenberg, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Die erste Pfarrerin in Baden „im Ehrenamt“ ist auch Oblatin einer evangelischen Kommunität. Sie lebt als evangelische Frau nach der Regel des „Heiligen“ Benedikt. „Bete und arbeite“ überzeugt sie. Warum? Weil es zu ihr passt. Eine evangelische Heilige habe ich nicht getroffen. Aber sie ist überzeugt, dass wir mit dem Heiligem in Berührung kommen. Beim Beten und Arbeiten, also im Leben. Nicht erst danach. Annegret Lingenberg, inzwischen über 80, hat einen spannenden Lebensweg. Mit fast 60 ist sie noch Pfarrerin geworden, im Ehrenamt. Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Heilig ist für sie: Gott kommt ins Spiel.

Gott kann mir überall begegnen, also wenn ich zum Beispiel hier ein Begleitgespräch habe oder ein Seelsorgegespräch, das kann zum heiligen Ort werden, wenn hier spürbar Gott dabei ist. Und das ist geschieht nicht selten. Ja, ich würde sagen, es kann jeder Ort heilig werden.

 Und Menschen, die dort sind. Wobei, in der Bibel erschrecken die meisten, wenn sie vom Heiligen berührt werden. Weil das ins Leben greift.

Es wäre nicht normal, das zu wollen. Insofern bin ich auch sehr zurückhaltend, etwa zu behaupten, ‚ich will heilig werden‘. Wenn Gott mich anrührt, dann hmm; ich nehme es an und gehe damit um, aber ich strebe nicht danach.

Gott kann berühren: Mich, Sie, viele. Wichtig ist Annegret Lingenberg, dass man bei „heilig“ nicht zuerst an Moral denkt. Sie spürt das Heilige oft in einer evangelischen Kommunität in Franken. Sie lebt dort nicht fest, sondern ist Oblatin; heißt:

Ein Mensch, der sich Gott darbringt, und zwar ganz konkret, indem er sich bindet an eine benediktinische Kommunität, um zusammen mit den Schwestern, den Brüdern dieser Kommunität, diesen Weg zu gehen. In dieser Weggemeinschaft für Gott verfügbar zu sein.

Mindestens zwei Dinge an der Regel des Benedikt haben sie überzeugt. Es geht wirklich um das Miteinander mit Christus, als getaufter Christ. Und das unglaublich realistische und menschliche Maß: Es gab ja vorher auch schon Klosterregeln, die viel fordernder und viel rigider waren. Er setzt einfach voraus, was ein Mensch normalerweise leisten kann und was nicht, und verlangt nicht irgendwelche asketischen Purzelbäume.

„Bete und arbeite.” Das Gute ist, diese Regel hält beides im Gleichgewicht. Arbeit ist nie wichtiger als das Gebet. Nur arbeiten ist nicht Sinn des Lebens. Man braucht Quellen zum Leben und Zeiten, in denen man zu ihnen kommt. Tief prägend hat sie das erlebt vor Jahren, bei einer Schweigewoche in der Kommunität.

Ne Gemeindesituation, die mich sehr beschäftigt hat. Zum anderen eine Krebserkrankung. Das hab ich dann in so ner Schweigewoche durchgearbeitet und durchlebt. Und dann wieder rausgefunden, mit einem Ja zum Weitergehen. Es gibt durchaus mystische Momente, die man da erleben kann.

Ihre “Lieblingsheilige” ist Teresa von Avila. Die ist erst heilig geworden, nachdem sie aufgehört hatte, es sein zu wollen.

Die liebe ich heiß und innig. Sie war eine sehr kluge Frau, mystisch veranlagt und sie hatte viel Humor und sie hatte eine unglaublich gute Art, mit Menschen umzugehen.

Annegret Lingenberg fände schön, wenn sie das auch so könnte. Sie probiert es.
Annegret Lingenberg strahlt unaufdringliche Freundlichkeit aus. In ihrer Diele begrüßt mich ein Ikonengemälde, Thema: Gastfreundschaft. Geprägt ist sie von der Ordensregel des heiligen Benedikt: “bete und arbeite” und eng verbunden mit einer evangelischen Kommunität in Franken. Dort kann sie Heiliges spüren.

Weil sie eine sehr schöne Liturgie feiern und weil man in den Gottesdiensten wirklich etwas spürt von der Heiligkeit Gottes, um den es geht. Und ich glaube, es kommt von selber, dass auch in den Gottesdiensten, die ich feiere, ein bisschen durchscheint von der Heiligkeit Gottes und von meiner Ehrfurcht vor dem, was ich da mache.

Die zweite Säule, “arbeiten”, das ist für sie bis heute, mit über 80: Seelsorge. Menschen begleiten auch in Tiefen. Leben geistlich verstehen. Gott darin entdecken und gute Wege finden. Sie hat oft erfahren: Arbeiten und beten brauchen einander.

Die Psalmen umfassen ja so unendlich viel. Der ganze Hass, die ganze Gewalt und alles, was uns heute im Augenblick so aufregt, kommt ja alles schon, in den Psalmen vor. Indem ich Psalmen bete, bin ich mittendrin in dieser Welt, die ich vor Gott bringe.

Ja, es ist gut, dass man das Heilige ersehnen kann, erbeten. Und arbeiten? Mir ist auf einmal Oskar Schindler eingefallen, der in seiner Fabrik über 1000 jüdische Menschen vor den Nazis gerettet hat. Schindler: Lebemann, Spion, kein klarer Charakter. Bis zu dem Tag, als er gesehen hat, was die Nazis verbrechen. Ab da haben die Schindlers alles drangesetzt, jüdische Menschen zu retten. Sind sie so was wie weltliche Heilige?

Ich würde jetzt nicht sagen, also ja, ja, natürlich auch ein Heiliger, aber ich denke, Gott hat ihn auch als Werkzeug benutzt. Und er nicht mehr an Eigenes dachte, sondern wirklich an diese Unmenschlichkeit. Und vielleicht ist es ne Gottesberührung gewesen, dass er erkannt hat.
Sind Gottes Geschöpfe, mit denen kann man so nicht umgehen. Und wenn man es tut, ist es ganz furchtbar und man muss was dagegen tun.

Ich finde Oskar Schindler inspirierend. Er war nicht der Typ „moralisch gut”. Aber er hat sich aufrütteln lassen. Vielleicht sollten wir auch heute andere nicht zu schnell „moralisch“ festlegen.

Es ist für mich eben nicht das ethische Handeln Grund der Heiligkeit, sondern in der umgekehrten Reihenfolge: Angerührtsein von Gott wird sich äußern. Dann packt man an oder man geht und hilft. Und das ergibt sich oft mehr von selber. Ich glaube, manche Menschen, die uns so vorkommen, als seien sie wirklich kleine Heilige, die würden sehr erstaunt gucken, wenn man ihnen sagen würde, also ich finde, dass du heilig bist. Wahrscheinlich würden sie sagen: ‘Öh’.

 Wenn man heilig angerührt wird, kommt es wohl darauf an, dass die Emotion nicht verweht, sondern Hand, Kopf und Fuß kriegt. Dass man nicht hasst oder resigniert. Annegret Lingenberg hat noch ein überraschendes Wort dafür.

Angerührt werden von Gott kann man sich vielleicht so vorstellen, als würde man angesteckt. Er berührt mich und steckt mich an mit seiner Heiligkeit.

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27OKT2024
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Tommy Bright copyright: Privatfoto

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Michael Albrecht aus dem Rems-Murr-Kreis.

 Er hat sich einen Künstlernamen zugelegt: Tommy. Und als Tommy ist er Zauberer. Dabei geht’s ihm um Sinnestäuschungen, aber auch um Sinnfragen und die stellt er aus seinem christlichen Glauben heraus. Das macht mich neugierig. Denn mich faszinieren Zaubertricks - und ich bin gläubige Christin. Tommy erzählt, wie er bei einem Jugendtreff vom CVJM, dem Christlichen Verein Junger Menschen, mit dem Zaubern angefangen hat:

Da war ich noch Jugendreferent und wir hatten ein offenes Jugendcafé, in dem tatsächlich, glaube ich, ein Jugendlicher war, der nicht vorbestraft war. Es waren wirklich schwere Jungs, die da waren. Aber wenn man da so einen kleinen Münztrick oder irgendwas mit Karten gemacht hat, dann standen die alle außen rum und wollten das noch mal sehen. Also da habe ich gemerkt, Zauberkunst zieht einfach unheimlich Aufmerksamkeit.

So erlebe ich es auch, als ich ihn besuche - bei einer Show für Ehrenamtliche in einem Kirchengemeindehaus. Er verwandelt ein Messer in eine Gabel oder befreit sich von Handschellen. Zwischendrin erzählt er dem Publikum auch davon, was er mit Gott verbindet. Dass der Glaube an Gott ihm ein Gefühl von Freiheit gibt.

Eigentlich geht es mir darum, dass die Leute lachen und staunen und vor allem staunen über die Botschaft, die ich ihnen erzähle. Also die ist ja nicht von mir, sondern aus der Bibel, weil ich finde, diese Botschaft ist es wert, dass man sie erzählt und dass auch Leute drüber staunen und auch fröhlich sind dabei. Wenn die Leute lachen können und hinterher sagen, das bleibt mir im Kopf, dann finde ich es gelungen.

In seiner Show zeigt er einen kleinen Spiegel – den scheint er mit Nägeln zu durchstechen, aber am Ende ist der Spiegel ganz.

Ich habe einen Spiegel dabei, in den ich auch reinschaue, den ich den Leuten vor‘s Gesicht halte und sage: Was siehst du? Die ganzen Verletzungen, alles, was du schon erlebt hast und so. Was siehst du eigentlich, wenn du in den Spiegel guckst? Und dann die Frage: Was sieht Gott, wenn er dich anschaut?

Tommy glaubt: Gott sieht mit Liebe auf jeden. Mich berührt das deshalb, weil er mir erzählt, dass es für ihn zuerst nicht so eindeutig war. Mit Gott konnte er als Jugendlicher wenig anfangen, hatte große Versagensängste und seine Kindheit war schwierig. Über seine Schwester kommt er damals zu einer Jugendgruppe einer Kirchengemeinde:

Dann bin ich in diesem Jugendkreis gelandet. Und habe plötzlich dort Leute kennengelernt, die mich angenommen haben, wie ich bin, die mir ein Zuhause gegeben haben, das ich vorher nirgends hatte, weder in der Schule noch wirklich zu Hause. Und ich habe relativ schnell so ein Gefühl davon bekommen, dass das nicht einfach nur nette Menschen sind, sondern dass die an einen Gott glauben, der anders ist, als ich immer dachte. Nämlich ein Gott, der eine Beziehung will.

Das sehe ich auch so. Und für mich als Christin ist Gott jemand, der ein gutes Leben will – für mich und für alle Menschen. Ein Leben in Fülle, so heißt es in der Bibel. Dafür muss ich auch aktiv werden. Tommy hat da Vorbilder:

Also Mutter Teresa zum Beispiel finde ich unheimlich spannend, wie jemand so sich aufopfern kann für arme Menschen. Das inspiriert mich. Da denke ich: Mensch, würde ich nie schaffen. Da bin ich wahrscheinlich viel zu egoistisch dafür.

Klar, wer würde das schon schaffen, sich so für kranke und sterbende Menschen einzusetzen. Aber wie er finde ich: Vorbilder können mir helfen, Menschlichkeit in meinen Alltag zu bringen.

Ich treffe Michael Albrecht mit dem Künstlernamen Tommy bei einer seiner Zaubershows in einer evangelischen Kirchengemeinde. Immer wieder staunen die Zuschauer: Das Seil war doch eben noch durchgeschnitten, warum ist es jetzt ganz? Wie konnte aus der Seifenblase eine glänzende Glaskugel werden? Und ich frage mich – kann Tommy eigentlich noch staunen?

Mein Blick auf die Welt hat sich auch dadurch, dass ich an Gott glaube, sehr verändert. Dass ich irgendwann gemerkt habe: Warum muss ich denn groß nach Wundern suchen? Es reicht doch, wenn ich mir diese Welt angucke. Diese ganzen Mechanismen auch in Physik und Biologie und so, wie das alles funktioniert. Sogar an den schlimmsten Orten in der Wüste und in der Antarktis und so gibt es irgendwo Leben. Also überall trifft man auf Leben.

Da wo Leben möglich ist, sich wieder Türen auftun, da ist Gott auch, so stelle ich‘s mir auch vor. Und ansonsten: Wo erlebt Tommy Gott noch? Im Auto, wenn er Musik hört, bei der es auch um Glauben geht:

Das ist so eine total abwechslungsreiche und groovige Musik und trotzdem unheimlich tiefgehende Texte. So was baut mich unheimlich auf.

Tommy erzählt mir davon, dass er Gott immer wieder auch in schwierigen Situationen erlebt hat, zum Beispiel im Krankenhaus.

Also es war zum Beispiel so, dass meine Eltern relativ kurz hintereinander gestorben sind, beide an Krebs. Als mein Vater im Krankenhaus war, in diesem Sterbebett dann lag, haben meine Frau und ich die Gitarre mitgebracht, wir haben gesagt, wir wollen einfach noch ein paar Lieder für ihn singen. In dem Moment, als wir da gesungen haben, habe ich plötzlich so sehr Gottes Gegenwart in diesem Krankenzimmer gespürt.

Ein intensives Erlebnis. Ich frage mich: Kennt er eigentlich auch Zweifel?

Bevor mein Vater gestorben ist, war ich tatsächlich ein bisschen im Zweifel. Liebt Gott mich noch, weil ich habe oft gebetet dafür, dass mein Vater wieder gesund wird und es hat halt nicht geklappt. Und ich habe mich gefragt: Ist er noch da? Also hört er mich noch? Interessiert es ihn, was ich bete?

Ich finde, wer zweifelt, nimmt seinen Glauben auch ernst. Und ihm ist es ernst, trotz Zweifel glaubt er: Gott ist da und interessiert sich. Und das erlebt Tommy auch durch andere Menschen. Deshalb betet er bis heute sehr oft.

Ich weiß noch: Meine Mutter hat mal gesagt, sie will nicht so viel bitten, weil Gott was Besseres zu tun hat. Und das glaube ich nicht. Ich glaube, Gott ist so groß, dass er sich wirklich um all unsere Kleinigkeiten kümmert. Er wird die natürlich nicht alle erfüllen, aber ich glaube, wenn es um eine Beziehung geht, dann geht es auch darum, alles miteinander zu teilen. Und das ist das, was ich dann auch mache.

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