SWR1 Begegnungen

28APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Andrea Müller Foto: Hansjörg Fuchs

Martina Steinbrecher trifft Pfarrerin Andrea Müller bei der Evangelischen Landeskirche in Baden zuständig für den Bereich Mitgliederorientierung.

Andrea Müller hat ihren Job als Pfarrerin in einer pfälzischen Gemeinde an den Nagel gehängt, um sich verstärkt den vielen Kirchenmitgliedern zu widmen, die vor Ort nicht erreicht werden. Beim Evangelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe entwickelt sie nun Ideen und Projekte für eine gezielte Mitgliederorientierung.

Es ist ja so, dass viele Menschen kommen. Aber die, die kommen, sind ja nicht die hundert Prozent unserer Kirchenmitglieder, sondern das sind oft zehn, zwanzig Prozent, die wir im Blick haben und für die wir auch Angebote machen, die die dann auch gerne beanspruchen. Aber zu den 80% haben wir ganz wenig Kontakt und dadurch haben wir die auch wenig im Blick und können sie auch nicht so gut fragen, was wollt ihr eigentlich?

Für die Kirche und ihre Amtsträger geht es dabei ans Eingemachte, nämlich um einen echten Perspektivwechsel: Die gelernte Sesshaftigkeit und Selbstverständlichkeit aufgeben. Hinaus auf den Markt der Möglichkeiten und hinein in den Wettbewerb um das, was Menschen Halt und Sinn geben kann. 

Ich glaube, der Punkt ist vielleicht, dass wir Amtskirche waren, eine Institution, wo die Menschen hingegangen sind. Und heute hat sich die Gesellschaft so geändert, dass man auch super ohne Kirche leben kann. Und man kann woanders auch Gemeinschaft finden und auch spirituelle Erfahrungen anderswo machen. Und da ist es jetzt unsere Aufgabe geworden, auch zu werben, auf die Leute zuzugehen und zu sagen, wir haben immer noch eine gute Botschaft. Aber wir müssen eben eine Sprache finden und Formen finden, wo wir wirklich einladend sind.  

Stichwort Einladung: Das erste Projekt, das Andrea Müller entwickelt hat, setzt genau hier an: Jemand ist umgezogen, muss sich neu orientieren. Wo gibt es den Bäcker mit den leckersten Brötchen? Wie finde ich eine neue Zahnärztin? Und obwohl die Kirche nach wie vor oft unübersehbar in der Ortsmitte steht, ist noch lange nicht gesagt, dass das neu zugezogene Gemeindeglied auch den Weg in den Gottesdienst findet … 

Das Projekt, das heißt Brot und Salz. Dazu haben wir einen Brotbeutel entwickelt. Da kann man dann hinterher auch sein Brot gut verstauen. Es ist ein schöner Baumwollsack. Eine Karte dazu, da ist auch ein kleines Salztütchen aufgeklebt. Und auf dieser Karte sind eben die Kontaktadressen der Kirchengemeinden.

Die Brot-und-Salz-Aktion kommt gut an. Bei den Gemeinden vor Ort, die die ansprechend gestalteten Materialien bei Andrea Müller einfach bestellen können. Bei den Ehrenamtlichen, denen es Spaß macht, den schönen Willkommensgruß unter die Leute zu bringen. Und sie kommt an bei den Zugezogenen, die von dieser Form der Willkommenskultur oft freudig überrascht werden. Schließlich bietet die Aktion auch noch Anknüpfungspunkte für Quartiersarbeit. Denn neben Brotbeutel und Salz enthält das Päckchen auch noch einen Gutschein:

Ein Gutschein für ein Brot beim Bäcker vor Ort. Da suchen die Gemeinden Kooperationspartner, wo das Brot abgeholt werden kann. Und der Bäcker stellt es dann entweder der Kirchengemeinde in Rechnung, oder viele sagen auch: Das ist für uns eine absolute Win-win-Situation: Sie machen Werbung für uns, und wir geben gerne das Brot.

Brot und Salz als Willkommensgruß. Und wer mag, nimmt die Einladung an, mit der Gemeinde vor Ort zu entdecken, dass der Mensch eben nicht vom Brot allein lebt.

Pfarrerin Andrea Müller ist zuständig für die Mitgliederorientierung der Badischen Landeskirche. In ihrer Arbeitsstelle in Karlsruhe entwickelt sie Ideen und Materialien, um vor allem mit den passiven Kirchenmitgliedern in Kontakt zu kommen. Zum Beispiel die Kirchenpost.

Die Kirchenpost, das sind bunte selfmailer, also bunte Briefe, mit denen wir Jugendliche und junge Erwachsene einmal im Jahr kontaktieren wollen. Die sind zwischen zwölf und 30 Jahre alt. Diese Altersgruppe, die ist für uns als Kirche natürlich ganz wichtig. Das ist unser Nachwuchs.

Im Austausch mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat Andrea Müller versucht herauszufinden, welche Themen in welchem Alter interessant sein könnten:

Zum Beispiel mit 19 ist ja so die Frage, wie treffe ich eigentlich Entscheidungen? Was will ich nach der Schule machen? Oder fühle ich mich wohl in meiner Ausbildung und plane vielleicht was ganz anderes. Und wo haben wir als Kirche Ansprechpartner, wo man sich auch hinwenden kann? Oder wo gibt es Informationen, die hilfreich sein könnten in so einer Frage.

Aber nicht nur in inhaltlichen Fragen wirken die Vertreter der angepeilten Zielgruppen mit. Auch was das Layout für die geplante Kirchenpost anbelangt, hat ihr Urteil Gewicht: 

Und die sagen dann, ob ihnen erst mal das Design gefällt und die Ästhetik, ob sie es überhaupt öffnen würden, wenn da plötzlich so ein Brief vor ihnen liegt oder ob die sagen: Ne, das geht direkt in den Papierkorb. Und dann ist da die Frage, lest ihr das oder ist es zu viel Text? Und das ist wirklich überraschend, wie wenig Text oft schon zu viel ist.

Weniger textlastig, mehr mitgliederorientiert möchte die Kirche in Zukunft werden. Und das große Potenzial ihrer passiven Mitglieder heben.

Wenn wir uns trauen, unsere Formen zu öffnen, aus den Kirchen rauszugehen und mit den Menschen Kirche zu gestalten, dann kommt da was ins Fließen und Ins Sich-Entwickeln. Und dann kann Neues entstehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39807
weiterlesen...