SWR1 Begegnungen

20MAI2024
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Nicole Stockschlaeder copyright: Volker Lambert

Christopher Hoffmann trifft: Nicole Stockschlaeder, Theologin und Leiterin der Lebensberatungsstelle in Mayen in der Eifel
Sie begegnet dort Menschen, die in ihrem Leben vor großen Herausforderungen stehen:
Menschen, wo das Leben in irgendeiner Art und Weise aus dem Tritt gerät, also wo es gerade stockt, wo wir stolpern, wo wir in einer Krise sind, wo wir nicht mehr weiterwissen.
Ich spüre in unserem Gespräch schnell: Die Theologin ist nah dran an den Menschen in Mayen und Umgebung, denn zu ihr und dem multiprofessionellen Team mit Psychologin, Pädagogin und Sozialarbeiterin, kommen die unterschiedlichsten Personen:
Das kann die Frau sein, die gerade ihren Mann verloren hat und jetzt mit einem zweijährigen Kind alleine da ist. Das kann das Paar sein, das jetzt seit 17 Jahren verheiratet ist und sich fragt: Wer sind wir jetzt noch füreinander? Das können Themen sein von hochstrittigen Eltern, die in der Trennungsphase sind und sich als Paar wirklich überhaupt nichts mehr zu sagen haben und kaum mehr ertragen können, aber dennoch eine gemeinsame Erziehungsaufgabe haben und einen Auftrag. Mit denen wir dann gucken: wie können sie gut die Entwicklungsaufgaben ihrer Kinder begleiten in dieser Phase.
Auch einsame Menschen oder Paare, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, suchen die katholische Lebensberatungsstelle auf. Eine von deren Hauptaufgaben ist es, Familien in schwierigen Situationen zu begleiten. Was ist für die katholische Seelsorgerin und systemische Familientherapeutin denn alles Familie?
Mir gefällt eigentlich die Definition ganz gut, dass Familie da ist, wo Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen. Das sind alle Lebensformen, in denen Menschen heutzutage unterwegs sind. Also ganz vielfältig und bunt. Das gefällt mir gut und so ist auch mein Familienverständnis.
Und diese Menschen kommen auch wirklich vorbei in einer katholischen Einrichtung?
Wir sagen in unseren Erstkontakten immer, dass wir ein Haus mit kirchlicher Trägerschaft sind und manche Klientinnen oder Klienten sagen dann: „Ah, ich bin ja gar nicht katholisch, darf ich dann trotzdem zu euch kommen?“ Und mich beschämt diese Frage immer sehr- ich bin dann immer sehr offen und sehr werbend -natürlich: wir stehen offen für Konfessionslose, für gläubige Menschen, für Junge, für Alte, also ganz unabhängig welcher Hintergrund.
Und trotzdem ist es für Menschen in einer Krise oft ein langer Prozess, sich Hilfe zu holen. Man kann in der Lebensberatungsstelle anrufen, oder vorbeigehen. Man kann aber auch anonym bleiben und erhält im Internet Beratung:
Es ist möglich, dass ich mich anonym anmelde über unsere Homepage und eine Onlineberatung mache, das heißt ich schreibe was und ich habe die Zusage, dass innerhalb von 48 Stunden jemand mir antwortet und dann bin ich direkt in Kontakt mit einem Berater, einer Beraterin.
Und alle Angebote der Lebensberatung sind kostenfrei und vertraulich. Ich treffe Nicole Stockschlaeder, die in Mayen in der Eifel eine von insgesamt 20 Lebensberatungsstellen im Bistum Trier leitet. Solche Beratungsstellen gibt es im gesamten Sendegebiet. Welche Hilfe ist denn aktuell sehr gefragt? Die 49-Jährige, die selbst Mutter von zwei Teenagern ist, erzählt, dass besonders viele junge Menschen Hilfe suchen:
Wir haben gerade sehr viele Jugendliche auf dem Weg ins Erwachsenwerden: Wie kann ich diesem Druck standhalten? Mobbing ist immer ein Thema: Wie komm ich an meine Stärken ran, wenn alle anderen sagen: „Du bist doof und mit dir wollen wir nichts zu tun haben und du kannst nichts!“
Sehr viele Menschen sind auch auf der Suche nach einem Therapieplatz und sind dann mit langen Wartezeiten konfrontiert:
Das ist gerade auch ein sehr großer Sorgenpunkt und beschäftigt uns in den Beratungsstellen sehr.-Wir haben immer schon stabilisierende Arbeit gemacht mit Menschen, die auf Therapieplätze warten, aber im Moment nehmen wir es schon so wahr, dass das Netz gerade sehr fragil und löchrig ist. Die stabilisierenden Aufgaben werden immer größer.
Es fehlen so viele Psychotherapieplätze und die Lebensberatungsstellen können mit ihrem Angebot keine Therapie ersetzen. Aber sie sind eine erste Anlaufstelle, um Menschen zu stabilisieren und mit ihnen die Zeit bis zur Therapie zu überbrücken. Ohne Vorurteile das anschauen, was ist und nach Lösungen suchen. Das ist Nicole Stockschlaeder ganz wichtig. Die gebürtige Westerwälderin, die heute in Sinzig am Rhein lebt, wurde 2001 im Trierer Dom als Pastoralreferentin beauftragt und ihr Beauftragungsvers ist für sie heute noch ganz zentral. Der steht im Alten Testament beim Propheten Jeremia und lautet: „Ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.“(Jer 29,11).
Wir sind unterwegs mitten im Leben und da sehe ich auch den Auftrag von uns als Kirche: mitten im Leben unterwegs zu sein.
Und auch Pfingsten als Geburtsstunde der Kirche und das Wirken des Heiligen Geistes ist der Leiterin der Lebensberatungsstelle ganz wichtig:
Und zwar ist die Blickrichtung Zukunft, in die wir sehen. Und wir schauen von der Gegenwart aus und schauen was ist und alles darf sein gerade. Und mit dem Blick drehen wir dann und gucken in die Zukunft. Und ich finde das ist bei Pfingsten auch so. Wir öffnen die Türen, wir gehen raus und lassen das Leben rein und sind bereit für die Zukunft.
Das Gespräch mit ihr macht mir Mut: auch heute sind Menschen motiviert, mit anderen eine gute Zukunft zu gestalten. Ihr Glaube ist für Nicole Stockschlaeder ganz zentral und ihr Gottesbild gefällt mir. Denn Gott ist für sie ein Co-Pilot:
Was mich gerade trägt ist der Begriff des Co-Piloten, der an meiner Seite ist. Also ich kann vieles steuern und kann vieles tun und weiß aber trotzdem mich gehalten von dem der da neben mir steht und der schützt und der vielleicht gegebenenfalls irgendwie – irgendwie - eingreift, wenn ich nicht mehr fähig bin zu steuern und das ist eigentlich gerade aktuell mein Bild, was mich trägt.

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