SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

01APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Désirée Binder

Wolf-Dieter Steinmann trifft Désirée Binder, psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin aus Freiburg

Ostern ist existentiell

Im Auto nach Freiburg zu Désirée Binder bin ich in ne schwarze Wolkenwand geraten und hab gedacht: „Wie das Leben: Es wird nicht heller, wenn man älter wird, und unsere Welt, oje.“ Nach der Begegnung war ich heller: Die Räume, in denen die Psychologin mir begegnet ist. Und: Désirée Binder hat mir Ostern in die Seele erzählt, wie gut es tut.

Wenn so aus den Zweigen das erste Grün springt, dann springt mein Herz. Ich hab Ostern sehr, sehr gern.

Dabei kann man Ostern nicht ohne Karfreitag haben. Früher hat sie damit gehadert: warum immer Kreuz? Inzwischen macht genau das für sie Ostern lebensnah: Jesus ist auch dort gewesen, wo wir alle hingehen. Tot. Und er ist da durch. Das lässt hoffen.

Dass G_tt aus dem, was wir uns am wenigsten wünschen. Krankheit, Gewalt. Tod; dass G_tt aus diesem Schlimmen was Gutes wachsen lassen kann. Und dass es dann nichts mehr gibt, das in unserem Leben verloren ist. Eine Freundin, die hat über ihre tiefste Lebenskrise mal gesagt: ‚das wollte ich nie noch mal erleben müssen, aber ich wollte es auch nicht missen.‘

Ostern, also dass Jesus neu lebendig ist, wirkt weit über die Feiertage hinaus. Sie erlebt das auch in der Arbeit als psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin. Oft kommen Menschen zu ihr, die feststecken.

Wenn es dann gelingt, wieder dort anzuknüpfen, wo Menschen stark sind, wo sie ihre Lebendigkeit spüren, vielleicht auch im Ärger, auch im Widerstand gegen ne Situation, die ihnen zu schaffen macht und dann Vertrauen finden, es gibt da vielleicht einen Weg, dann ist es so ein bisschen was wie ne Ostererfahrung.

Was hilft, aufzustehen in Krisen und durch Täler zu kommen? Désirée Binder setzt darauf: tiefe menschliche Begegnungen wirken heilsam. Darum: bitte pflegen.

Ich glaube, wir müssen in Zeiten, in denen wir nicht im Tief sind, anfangen, uns einfach zu gönnen, ein Stück Leben zu teilen. Das kann helfen, in Situationen, in denen wir wirklich jemanden brauchen, darauf zurückzugreifen und zu sagen, da war doch mal jemand.

Die Erfahrung, ich bin nicht allein, die macht jede Situation weniger ausweglos.

Das geht auch per Telefon: Wenn Seelen sich einander öffnen und heilsam zusammen schwingen. Manchmal wird dabei auch klar, es ist jetzt dran, was aufzugeben. Sie nennt das ‚heilsam kapitulieren.‘ - Wenn ich endlich aufgeben kann, einen vertrauten Irrweg immer zu wiederholen. Dann kann Neues wachsen.

Es ist immer schön, wenn jemand sich einladen lässt, das Selbstbild mal upzudaten, zu sagen, ‚eigentlich bin ich da schon ein paar Schritte weiter, ich hab es nur noch nicht gemerkt.‘

Für Désirée Binder durchzieht Ostern das ganze Leben. Dabei ist manchmal auch ein „unbekannter“ Dritter im Spiel.

 

Désirée Binder mag Ostern. Erstaunlich. Hat sie doch schon früh wichtige Menschen verloren. Mutter, Großeltern. Das hat ihr Leben tief erschüttert. Und doch dieses Vertrauen in sie gelegt: Am Ende ist Licht. Anderen geht das ähnlich.

Ein Freund von uns, der hat es beim Verlust seiner Frau mal so ausgedrückt. ‚Ich bin zugrunde gegangen. Und an den Grund gekommen, der mein Leben trägt.‘
Den er Gott nennt. 
Und es war so, dass ich diesen Urgrund auch gespürt hab. Jetzt könnte passieren, was will, mich würde nichts mehr so tief erschüttern.

Dazu passt eine ihrer Lieblingsostergeschichten aus der Bibel: von zwei Freunden Jesu. Nach seinem Tod sind sie erschüttert, bodenlos. Sie fliehen aus Jerusalem. Auf einmal geht einer mit ihnen: ein „unerkannter“ Bekannter.

Sie erkennen ihn nicht. Und das Großartigste ist, dass sie ihn erkennen, als er mit ihnen isst. Das gemeinsame Essen. Das Brot teilen. An diesem Vorgang erkennen sie ihn.

Schon in der Bibel wird also erzählt: G_TT ist nicht einfach unübersehbar da. Man kann G_TT nicht ‚haben‘. G_TT erscheint eher für Menschen und dann können Gebeugte aufstehen. Désirée Binder glaubt an G_TT als ein großes Du.

Wenn ich dieses große Du anspreche. Dass das nicht ohne Resonanz bleibt. Dass es irgendwas gibt, was mich nicht als die gleiche zurücklässt. Ich ahne mehr, als ich weiß.

Das genügt. Dass man Gott nicht sicher weiß, sondern glaubt und hofft, ist kein Mangel. Es gibt „Sachen“ mit Geheimnis: Wie den Tod.
Aber ich finde, sie hat da eine schöne Hoffnung.

Ich habe so das Bild, dass Christus den Weg vorausgegangen ist und an dem anderen Ufer sozusagen wartet. Und dann die Hand, die ich loslasse, ablöst und mir ne Hand gibt und mich rüber holt.

Ich glaube, hoffen macht frei. Heute z.B., wenn man schön feiert. Für Désirée Binder gehört dazu: Die Auferstehungsfeier morgens um sechs.

Einander zurufen: ‚Christus ist auferstanden‘. Ein Osterfrühstück. Und was für uns unbedingt dazu gehört, ist, dann rauszugehen, uns Ostergeschichten zu erzählen, zu lachen.

Vielleicht überrascht es Sie, aber als sie das gesagt hat, hab ich an Alexej Nawalny gedacht. Wie er vor seinen Richtern steht, aufrecht, mit Humor. Trotzt der Gewalt und irgendwie auch dem Tod. Désirée Binder bestätigt, Ostern ist auch politisch existentiell.

Uneingeschränkt Partei ergreifen für die Menschenwürde und das Lebensrecht aller Beteiligten. Und ich hoffe, dass Gott nen Weg für uns hat.
Und so kleine Osterzeichen sind für mich wirklich so Friedensinitiativen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39615
weiterlesen...