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20MAI2024
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Als ich noch Student gewesen bin, da gab es einmal im Semester ein Treffen mit einem sehr kuriosen Namen. „Bonzenbier“. Zu diesem Bonzenbier hat sich Menschen von verschiedenen christlichen Studierendengruppen getroffen: Evangelische und Katholische, konservative und liberale. Weil alle in irgendeiner Form etwas in ihrer Gruppe zu sagen hatten, waren es – mit einer guten Portion Selbstironie - eben die Bonzen der verschiedenen Gruppierungen. 

Was ich daran total geschätzt habe: Da kamen Leute bei einem einfachen Essen und Bier zusammen, die sich vermutlich stundenlang darüber heftig hätten streiten können, wie genau das mit der Auferstehung Jesu zu verstehen ist, oder ob die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare das Ende der Kirche bedeutet oder viel zu spät kommt. Wir haben gegenseitig anerkannt, dass uns alle das gleiche Ziel verbindet – nämlich Jesus Christus nachzufolgen und den Glauben richtig zu verstehen.  Ich glaube, der Verfasser des Epheserbriefs hätte sich in der Runde wohlgefühlt.

Der Epheserbrief ist in der Bibel zu finden, und über einen Abschnitt daraus wird heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt. Schon damals haben die ersten Christen darüber diskutiert und gestritten, was denn nun der „richtige“ Glauben ist. Und manche haben sich dabei wie die „Bonzen“ aufgeführt und wollten ihre Auffassung mit allen Mitteln durchsetzen. Der Autor des Briefes ruft zur Einheit Glauben auf. Als Motto für den Weg dahin gibt er ihnen mit: Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.

Einheit im Glauben, das ist ein großes Ziel. Und ich glaube nicht, dass wir uns jemals ganz einig sein werden. Aber das ist völlig in Ordnung, denke ich – solange wir gemeinsam in die gleiche Richtung gehen. So wie es der Epheserbrief sagt: in Liebe unterwegs zu dem, der das Haupt ist, Jesus Christus.

Auf diesem Weg gibt es unterschiedliche Reisegruppen und Menschen, die den Weg zusammen bestreiten. Evangelische, katholische, eher konservative oder auch liberale. Da gibt es auch mal Streit und die Reisegruppen sind sich gegenseitig nicht ganz grün. Dabei ist aber wichtig, und diese Überzeugung atmet der heutige Predigttext: Dass wir auch immer wieder Momente haben, an denen die unterschiedlichen Gruppen zusammenkommen.

Ich meine, dazu eignen sich Abende wie das Bonzenbier besonders. Wo die Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Und das Anerkennen, dass die anderen das gleiche Ziel verfolgen. Nicht der Fokus darauf, was uns unterscheidet.

Mehr Bonzenbier also. Mehr Abende mit gemeinsamen Essen und Trinken. Vielleicht in Zukunft aber lieber unter anderem Namen.

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19MAI2024
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Mit der Wahrheit ist es so eine Sache. Es ist gut, wenn wir sie suchen; aber kaum möglich, sie ganz zu finden. Als Menschen bleiben wir immer hinter dem zurück, was wir erreichen wollen. Einen Moment lang glauben wir zu wissen, was wahr ist, und schon im nächsten hat jemand etwas Neues entdeckt, dass eine Frage besser erklärt. Trotzdem ist es gut, nach der Wahrheit zu streben, also wissen zu wollen, was stimmt, was richtig ist. Das gilt ganz besonders in Zeiten, wo Tatsachen verdreht und Dinge für wahr hingestellt werden, die nicht der Wahrheit entsprechen.

Der Klimawandel, den wir erleben zum Beispiel, der ist eben auch von uns Menschen gemacht. Darüber sind sich alle ernstzunehmenden Fachleute einig. Wer das leugnet, täuscht andere und verhindert, dass wir die Maßnahmen ergreifen, die dringend nötig sind. Wer sich dieser Wahrheit verweigert, schaut zu, wie unsere Erde weiter zerstört wird. Und er nimmt in Kauf, dass wieder einmal die Reichen gewinnen und die Armen darunter leiden.

Und um auch noch ein Beispiel aus dem Bereich der katholischen Kirche zu nennen. Wer darauf beharrt, dass die Kirche kein Recht habe, Frauen zu Priesterinnen zu weihen, weil Jesus ein Mann gewesen ist, kann in meinen Augen nicht behaupten, dass das die ganze Wahrheit ist. Ich habe jedenfalls in meinem Studium bei ernstzunehmenden Wissenschaftlern gelernt, dass Biologie nicht alles ist, wenn es um religiöse Wahrheiten geht. Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen, weiblich und männlich, ganz gleich. Jesus hatte unter seinen Jüngern etliche Frauen, denen er Verantwortung gegeben hatte. Das sind für mich schwerwiegende Fakten, die ich nicht ignorieren kann.

Und dann gibt es da noch etwas. Etwas, das wichtiger sein könnte als alles andere. Den Geist Gottes. Heute an Pfingsten erinnert die Christenheit daran, dass es diesen Geist gibt. Er wird im Johannesevangelium wie folgt charakterisiert: Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.[1] Dafür also ist Gottes Geist in erster Linie verantwortlich: Er hilft mir, die Wahrheit zu finden. So gut wie möglich. Vorausgesetzt, dass ich mich diesem Geist öffne. Wie ich das tue? Indem ich mich an die Weisungen Jesu halte; mich von seinem Geist inspirieren lasse.

Es ist wahr, dass nach Gottes Gesetz die Welt allen Menschen darauf in gleichem Maß gehört; also muss ich teilen. Es ist wahr, dass Jesus Barrieren abbauen wollte, um mehr Gemeinsames zu entdecken, weniger, was uns trennt. An solche Wahrheiten erinnert mich Gottes Geist. Nicht nur an Pfingsten.

 

[1] Johannes 16,13a

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12MAI2024
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Als junger Teenager – ich war ungefähr 13 Jahre alt – da war ich einmal allein zu Hause. Und da hat das Telefon geklingelt. Ich bin ran gegangen, am anderen Ende habe ich eine ältere Frau gehört, und die hat nach meinem Vater gefragt. Ich weiß nicht mehr warum, aber obwohl mein Vater gar nicht da war, haben wir beide nicht gleich aufgelegt. Ich weiß nicht einmal mehr genau, worüber wir uns dann eine geschlagene halbe Stunde unterhalten haben – mindestens so lange haben wir telefoniert, obwohl wir uns nie zuvor getroffen hatten. Aber wir haben geredet, und es war interessant. Ich meine, sie hat mir etwas über ihre Arbeit als Sprachforscherin erzählt. Ich weiß noch, dass sie sich für meine Meinung interessiert hat. Und nach besagter halber Stunde hat sich die fremde Frau bei mir bedankt für das anregende Gespräch.

Und ich? Ich war ein bisschen stolz, dass sich eine kluge und interessante Frau für meine Meinung interessiert hat – einfach so. Eine halbe Stunde am Telefon – haben wir beide einander zugehört. Die eine hat der anderen ihr Ohr geliehen.

Der heutige Sonntag trägt den lateinischen Namen „Exaudi“. Auf Deutsch: Gott, höre mich! Höre meine Stimme!“ Es ist der sehnsüchtige Ruf aus einem biblischen Gebet, aus Psalm 27. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit: „Herr, höre doch meine Stimme. Höre mir zu und leih mir Dein Ohr!

Mir fällt das Telefongespräch mit der fremden Frau von damals wieder ein. Das tolle Gefühl, das ich damals hatte: Wirklich beachtet zu werden – obwohl ich doch eigentlich ganz unbedeutend für meine Gesprächspartnerin gewesen bin. Ich merke, wie sehr ich mich immer wieder aufs Neue nach solcher Aufmerksamkeit sehne. Denn oft genug fühle ich mich nicht gehört oder nicht verstanden von meiner Umgebung. Da geht es mir wahrscheinlich wie den meisten Menschen. Ich glaube, jeder Mensch bracht das Gefühl, beachtet zu werden.

Hört Gott mir zu? Ist da überhaupt ein Gott? Eine Kraft, die sich für mich interessiert? Ich hoffe, vertraue und bete es:  Exaudi! Gott, höre mir doch zu. Schenke mir Dein Ohr. Ich bin einer von Milliarden von Menschen – aber ich bin auch Dein Kind. Meine Sorgen und Probleme sind nicht wichtiger als die von anderen Menschen – aber Dir sind sie wichtig.

Meine Sehnsucht nach Aufmerksamkeit lege ich heute in die Worte von Psalm 27: Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe. Sei mir gnädig und antworte mir.“ Schenke mir Dein Ohr.

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09MAI2024
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Wo ist Opa jetzt, oder Oma, oder die Mama? Das sind Fragen, die sich ja nicht nur Kinder stellen, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. Im Himmel, beim lieben Gott, so lautet eine gängige Antwort, wenn man nicht glauben kann und will, dass mit dem Tod alles aus und vorbei ist.

Doch wenn das Kind dann weiterfragt, dann wird es oft knifflig. Nun erzählen alle vier Evangelien ja davon, dass Jesus vom Tod auferstanden ist und Menschen hier auf der Erde sogar leibhaftig begegnet sei. Bloß, wo ist er dann jetzt? Noch im ältesten Evangelium, das Markus aufgeschrieben hat und aus dem heute in den Katholischen Kirchen gelesen wird, findet sich dazu nichts. Markus selbst hat sein Evangelium schlicht damit beendet, dass Jesus auferstanden ist. Punkt! Erst später hat man es noch um ein paar Zeilen ergänzt. Und seitdem heißt es dort: Er wurde in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. (Mk 16,19) Sein Evangelistenkollege Lukas malt die Geschichte sogar weiter aus. Erzählt davon, wie Jesus seinen Jüngern begegnet. Wie er vor aller Augen zum Himmel emporgehoben wird. Und wie seine Freunde sprachlos dastehen und ihm in die Wolken hinterherschauen. (Lk 24,51; Apg 1,9-11) Nicht nur ich tue mich heute schwer mit solchen Geschichten.

Hilfreich finde ich da immer einen Blick auf die englische Sprache, die manchmal genauer differenziert als das Deutsche. Der Himmel, in den die Jünger starren, im Englischen heißt er Sky. Er ist blau, manchmal auch bewölkt und Vögel fliegen da oben herum. Dort aber ist der Auferstandene nicht zu finden. Der ist in einem anderen Himmel und dieser Himmel hat keinen Ort. Im Englischen heißt er Heaven. Für Menschen, die glauben, ist Heaven da, wo Gott ist. Und das meint auch die Bibel, wenn sie sagt, dass Jesus in den Himmel aufgenommen wurde. Eben, dass er jetzt bei Gott ist. Und genau das hoffen gläubige Menschen ja auch für ihre Verstorbenen. Wie das sein wird, das kann ich mir nicht vorstellen und muss es auch nicht. Heaven, das ist die Hoffnung auf eine andere Welt, in der Opa und Oma und all die geliebten Menschen sind, von denen ich Abschied nehmen musste. Einer Welt, von der es am Ende der Bibel heißt, dass es dort keinen Tod, keine Trauer und keine Klage mehr geben wird. Gottes andere Welt, auf die auch ich hoffe.

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05MAI2024
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Wie entsteht eigentlich Streit? Eigentlich streitet sich ja keiner gerne. Und doch tun wir es immer wieder.

Das hat sicher unterschiedliche Gründe. Streit entsteht aus Emotionen. Wenn jemand enttäuscht wurde. Wenn persönliche Überzeugungen im Spiel sind oder das Gerechtigkeitsempfinden betroffen ist.

So ist das auch bei Gott. Die Bibel erzählt, wie Mose, der Anführer der Israeliten, Gottes Wut und Emotionen voll abkriegt. Über ein Gespräch zwischen den beiden wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt.

Gott fühlt sich von seinem Volk, den Israeliten, verraten. Er will sie vernichten. Denn während Mose auf einen Berg gestiegen ist, um mit Gott zu sprechen, haben sich die Israeliten einfach einen neuen Gott erschaffen: ein goldenes Kalb. Etwas Sichtbares, das sie anbeten können. Den Gott, der sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat, den haben sie abserviert. Obwohl er ihnen Hoffnung geschenkt und eine bessere Zukunft ermöglicht hat.

Und Gott reagiert sehr emotional auf diese Untreue. Er ist tief verletzt und möchte die Israeliten vom Erdboden tilgen. Als Mose das hört, bittet er für die Israeliten. Er ruft Gott ins Gedächtnis, was er schon alles mit seinem Volk, durchgemacht hat. Dass er sie befreit hat. Und das wirkt. Gott lässt sich umstimmen. Ja, er bereut, was er gedacht und gesagt hat. (2. Mose 32,7-14)

Gott erscheint in dieser biblischen Erzählung als jemand, der emotional ist. Der zürnt und hasst und gleichzeitig liebt und vergeben kann. Zuerst einmal wirkt es auf mich abschreckend, dass Gott zu solcher Wut fähig ist. Wo ist da der „liebe Gott“?

Aber es zeigt eben auch: Gott fühlt etwas für die Menschen; Sie sind ihm wichtig. Es ist ihm nicht egal, was ich mache. Und Gott kann mich auch verstehen, wenn ich wütend bin oder emotional überreagiere, weil er diese Seite selbst kennt.  

Trotzdem bin ich froh, dass Mose Gott beschwichtigt und er ihn an seine liebende, vergebende Seite erinnert hat. Er hat Gott davon abgehalten, etwas zu tun, was er hinterher vielleicht bereut. Und das erscheint mir auch in der Emotion wichtig. Dass man nicht überreagiert und etwas tut, das man nicht wiedergutmachen kann. Gut, wenn man Menschen an seiner Seite hat, die einen beschwichtigen können.

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28APR2024
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Woher Menschen ihre Kraft bekommen können – davon ist heute in katholischen Gottesdiensten zu hören. Nämlich dann, wenn Jesus das Bild vom Weinstock verwendet und sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ (Joh 15,5)

 

Das Bild vom Weinstock hat Kraft. Besonders, wenn ich an den Weinstock denke, der bei meinen Eltern im Garten steht. Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie viel Trieb- und Lebenskraft in dieser Pflanze steckt: die Zweige wachsen jedes Jahr meterweit und im Herbst hängen jede Menge Trauben dran.

 

Von dieser schier unerschöpflichen Kraft kann ich gut etwas brauchen. Denn die Zeiten kenne ich, in denen mir die Kraft auszugehen droht, und in denen ich gut mit meiner Energie haushalten muss, um durch die nächste Woche zu kommen. Dann hilft es mir, mich daran zu erinnern, woher meine Lebenskraft kommt.

Der Sonntag ist da für mich ganz wichtig – ein Tag, um durchzuschnaufen, und an dem sich nicht alles darum dreht, ein Ergebnis vorweisen zu können. Aber es gehören auch gutes Essen und Trinken für mich dazu. Genügend Schlaf, um abzuschalten und aufzutanken.

Andere Menschen, die frischen Wind in meine Gedanken bringen. Ein liebevolles Wort, das mich strahlen lässt. Wertschätzung, die mich innerlich aufbaut und stärkt.

Ganz entscheidend dazu gehört für mich auch mein Glaube. Der Zuspruch, dass ich von Gott geliebt bin. Dass ich wertvoll bin – unabhängig davon, was ich leiste. Und wenn Jesus mir so nahe ist wie der Weinstock den Reben, dann versteht er auch alles, was in meinem Leben so los ist. Und ich vertraue darauf, dass er mir nahe bleibt – egal in welcher Situation.

 

Der Weinstock bei meinen Eltern muss immer wieder zurückgeschnitten werden. Nur dann, kommt Saft in die Trauben. Ich glaube, auch das gehört dazu, damit mir nicht die Kraft ausgeht. Ich darf mich nicht verzetteln, tausend Baustellen aufmachen, sondern muss die Kräfte konzentrieren, die ich habe. Und vielleicht ist es gut, auch mal „Nein“ zu sagen – auch wenn es mir schwer fällt.

 

Ich glaube, Jesus kommt es nicht auf Leistung an. Sonst hätte er vermutlich gesagt: „Strengt euch an und gebt alles, um erfolgreich zu sein.“ Sondern für ihn ist entscheidend, mit ihm als Kraftquelle verbunden zu bleiben. Deshalb sagt er: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“

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21APR2024
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„Wir werden nicht müde“, schreibt der Apostel Paulus im Predigttext für den heutigen Sonntag. „Auch wenn unsere äußeren Kräfte aufgezehrt werden, bekommen wir innerlich Tag für Tag neue Kraft.“ Das finde ich eine wunderbare Vorstellung.

Dabei kenne ich viele Arten von Müdigkeit. Die Müdigkeit nach einer durchgemachten Nacht, wenn hinter dem Gähnen noch das Adrenalin in den Adern hämmert. Die Müdigkeit in den Knochen nach so vielen schlaflosen Nächten, in denen Kinder gestillt, getröstet, in den Schlaf gewiegt werden wollten. Und jeden Morgen trotzdem raus und arbeiten gehen. Die Müdigkeit der Alltagsroutine, die mich oft beim Ausräumen der Spülmaschine befällt. Als ob das Leben nur aus den immer gleichen Handgriffen bestünde. Ich kenne aber auch die schwere Lebensmüdigkeit einer Depression, die mich niedergestreckt hat, als ich beruflich noch einmal voll durchstarten wollte. Viel zu müde habe ich mich da gefühlt für die simpelsten Sachen, mich tief in mir verkrochen. Und als ich meine eigene Depression endlich überwunden hatte, war da um mich auf einmal die Müdigkeit einer ganzen Welt, die sich mit zu vielen Krisen auf einmal heillos überfordert sieht.   

„Wir werden nicht müde“, schreibt Paulus all dem zum Trotz. „Auch wenn unsere äußeren Kräfte aufgezehrt werden, bekommen wir innerlich Tag für Tag neue Kraft.“ Woher nimmt er bloß diese Zuversicht? Nun, Paulus zieht sie aus der Kraft der Auferstehung. Drei Wochen ist es erst her, dass wir an Ostern diese Kraft gefeiert haben, die Christus von den Toten auferweckt hat. Und sollte diese Kraft, die sogar den allertiefsten Todesschlaf bezwungen hat, es nicht erst recht mit allen Lebens-Müdigkeiten erst recht aufnehmen können? Gott, davon ist Paulus zutiefst überzeugt, ist eine unerschöpfliche Kraftquelle.

„Nicht müde werden“, schreibt die Dichterin Hilde Domin etwas vorsichtiger als Paulus, aber mit derselben Zielrichtung: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.“

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14APR2024
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Am liebsten möchte man ihn weglassen, den Bibeltext, der heute in der katholischen Liturgie vorgesehen ist. Er ist wie ein Wespennest, in das man hineinsticht, und dann am besten das Weite sucht, um der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Dort heißt es, dass Petrus zum Volk, also zu den anwesenden Juden, das Folgende gesagt hat:

Der Gott Abrahams, Ísaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr ausgeliefert und vor Pilatus verleugnet habt …[1] Petrus attackiert hier scharf seine eigenen Leute, seine Herkunft, von der er sich nun deutlich distanziert. Er wirft ihnen vor: Ihr seid schuld, dass Jesus tot ist. Ihr habt es so weit kommen lassen. Ihr seid – nein, das sagt er nicht, aber das wird man auch wegen dieser Bibelstelle später den Juden vorwerfen – ihr seid die Gottesmörder! Zwar mussten das Töten damals die Römer übernehmen, weil sie als Besatzer die Gerichtsbarkeit hatten. Aber Schuld daran waren eben die Juden. Wie häufig geht man mit seinen eigenen Leuten am härtesten ins Gericht. Petrus ist dafür ein gutes Beispiel. Er ist selbst Jude, jetzt aber auf dem neuen Weg unterwegs. Und der grenzt sich strikt gegenüber dem ab, was vorher war. Deshalb überzieht Petrus, wenn er sagt: Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt[2]. Das hatte furchtbaren Konsequenzen, die er zwar nicht vorhersehen konnte, aber die trotzdem bis heute wirken und eine Spur des Grauens mit sich ziehen. Menschen jüdischen Glaubens wurden und werden angefeindet, ausgegrenzt, beleidigt und in ihrer Existenz bedroht. Obwohl viele, die das tun, gar nicht gläubig sind, geschweige denn über diese religiösen Feinheiten Bescheid wissen, liegt eine Wurzel eben hier. Dass die Christen sich so schroff gegen die Juden abgegrenzt haben. Und ich als Christ trage heute Verantwortung, dass die lange Tradition der christlich motivierten Judenfeindschaft aufhört. Zumal das Judentum eine meiner Wurzeln ist. Woran Petrus ja keinen Zweifel lässt, wenn er sagt: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist der Gott unserer Väter. Ja, das sind die Juden, Mütter und Väter im Glauben. Und Jesus ist ein Sohn meiner jüdischen Herkunftsfamilie.

Viele werden es nicht wahrnehmen, wenn sie heute den Bibeltext hören. Aber dieser Text ist gefährlich. Er kann missverstanden und missbraucht werden. Er muss gedeutet und klug interpretiert werden. Damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet.

 

[1] Apostelgeschichte 3,13

[2] Apostelgeschichte 3,15

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07APR2024
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Schnellstes Tor der DFB-Geschichte! Nach dem Länderspiel der Herren-Fußballnationalelf-Elf gegen Frankreich waren die Schlagzeilen voll davon. Der Fußballer Florian Wirtz hatte nur acht Sekunden nach dem Anpfiff den Ball im Tor der französischen Elf versenkt. Unglaublich. Ich hatte das Spiel nicht gesehen, aber als ich das gelesen hab, musste ich die Szene sofort bei Youtube nachschauen. Mit eigenen Augen sehen, wie das funktionieren soll – ein Tor in 8 Sekunden. Erst als ich den Steilpass auf Wirtz, seinen kurzen Sololauf und den anschließenden Torschuss gesehen hatte, habe ich wirklich verstanden, wie das funktioniert hat: ein Tor nach 8 Sekunden.

In der Bibel wird von Jesus Auferstehung erzählt und von dem unglücklichen Jünger Thomas, der gerade nicht da war, als der auferstandene Jesus zu seinen Freundinnen und Freunden gekommen ist. Schon die dabei waren, konnten es kaum fassen, dass ein Totgeglaubter plötzlich wieder ganz lebendig unter ihnen war. Erst recht für Thomas:  Ohne das gesehen und gefühlt zu haben, kann er das nicht glauben. Ob eine Youtubevideo zum Nachschauen vor 2000 Jahren die Situation verändert hätte?

Über Thomas Geschichte wird heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt. Thomas hat Glück. Jesus erscheint auch ihm noch einmal und fordert ihn sogar auf, die Wundmale der Kreuzigung an seinen Händen zu berühren. Auf mich wirkt das, als hätte Jesus Verständnis für Thomas Lage. Dass es einfacher ist, an so etwas Unglaubliches wie die Auferstehung zu glauben, wenn es dafür handfeste Beweise gibt. Jesus sagt zu Thomas: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Aber auch diejenigen dürfen sich glücklich schätzen, die mich nicht sehen und trotzdem glauben.

Was Jesus da sagt, tut mir gut. Wenn ich mir mal wieder wünsche, dass ich die Auferstehung Jesu so leicht nachschauen könnte wie das letzte Länderspiel – weiß ich, dass das nichts mit einem zu kleinen Glauben zu tun hat. In Jesu Worten kommt zum Ausdruck, dass es nicht selbstverständlich ist, so etwas Unglaubliches zu glauben. Es ist ein Geschenk, darauf vertrauen zu können, dass das Leben über den Tod gesiegt hat. Nichts, was man verstandesmäßig leisten kann. Ich bleibe ein wenig neidisch auf Thomas zurück – der den auferstandenen Jesus erleben konnte. Und vertraue darauf, dass Jesus auferstanden ist und mich begleitet – ganz ohne Beweis.

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01APR2024
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Unter all den biblischen Geschichten gibt es eine, die ich ganz besonders mag. Sie ist heute Morgen in den katholischen Gottesdiensten zu hören. Da machen sich zwei Menschen auf den Weg. Sie wollen zu einem Dorf namens Emmaus, einen Tagesmarsch von Jerusalem entfernt. Drei Tage vorher ist dort ihr Freund und Lehrer Jesus brutal hingerichtet worden. Voller Trauer sind die beiden jetzt und ernüchtert, denn alle Träume und Hoffnungen, die sie mit ihm verbunden hatten, sind geplatzt. Leere und Sinnlosigkeit machen sich breit. Sie wollen nur noch weg von dort. Unterwegs können sie gar nicht anders, als immer wieder von ihm zu sprechen. Sich immer wieder zu erinnern, wie es war mit ihm. Das kenne ich auch. Ich weiß noch, wie gut mir das vor ein paar Jahren getan hat, als mein Vater gestorben war. Dass ich von ihm erzählen konnte, immer wieder. Es hat mir geholfen, den Verlust zu begreifen. Weil Menschen da waren, die mir geduldig zugehört haben. So, wie in dieser biblischen Geschichte, in der sich ein unbekannter Fremder zu den beiden gesellt. Er hört ihnen zu, fragt nach. Ganz behutsam. Und sie spüren, wie gut ihnen das tut. Der fremde Zuhörer lässt sie nicht allein, bleibt bei ihnen, begleitet sie. In diesen beiden Wanderern finde ich mich wieder.

Am Ende der Geschichte wird den beiden Freunden klar, dass es Jesus selbst gewesen sein muss, der sie da begleitet hat. Er ist nicht mehr der, den sie mal gekannt haben. Der ist gestorben. Und doch ist er da. Bei ihnen, ganz nah. Das spüren sie in ihren Herzen. Und in dem Augenblick, in dem ihnen das bewusst wird, sehen sie ihn nicht mehr, heißt es in der Geschichte.

Als ich damals ganz am Anfang meiner Trauer stand, musste ich mir das Bild meines Vaters immer wieder anschauen. Wie in einer Angst, ich könnte ihn verlieren oder vergessen. Am Ende aber ist mir immer deutlicher geworden, dass diese Angst unbegründet war. Weil ich gemerkt habe, dass er mir nah ist und bleibt, auch wenn ich ihn nicht mehr sehe. Trauer ist ein mühsamer Weg, der Zeit und Raum braucht. Kein Sprint, eher eine Langstrecke. Und der Weg ist erst dann geschafft, wenn Leere und Hoffnungslosigkeit nach und nach einer gewissen Dankbarkeit Platz machen. Für diesen Menschen, den ich kennen und lieben durfte, und der nun da ist, wo ich nicht sein kann.

Es gibt einen Weg von der Verzweiflung zu neuer Zuversicht, von der Dunkelheit ins Licht. Davon erzählt die Geschichte. Davon erzählt Ostern.

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