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18MAI2025
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Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja

Aber dann wußte ich

Keine Auskunft zu geben

Wie das aussehen sollte

Wie ich selber

Aussehen sollte

Dort

 

So beginnt ein Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz. Aber das könnte genauso auch ich sagen, wenn mich jemand nach der Auferstehung fragt. Ja, ich glaube daran. Aber wie es dort aussieht im Himmel, wenn denn das Wort überhaupt passt, das weiß ich nicht. Das Gedicht von Kaschnitz trägt den Titel: Ein Leben nach dem Tode. Sie hat jahrelang um ihren Mann getrauert, sich immer wieder in Gedichten mit dem Thema Tod auseinandergesetzt  und dann zwei Jahre vor ihrem eigenen diese Verse aufgeschrieben. Sie sind ehrlich, weil sie sich nicht in bekannte Bilder flüchten, die eine scheinbare Sicherheit vorgaukeln. Kaschnitz trauert immer noch um ihren Mann. Und weiß nicht, was auf sie zukommt, wenn sie selbst einmal stirbt.

Wahrscheinlich muss ich das genauso aushalten, wenn ich ehrlich mit mir bin. Aber wirklich aushalten kann ich es nur, wenn dann noch etwas dazukommt. Etwas, das mich beschäftigt, solange ich in der Bibel lese, diese auslege und anderen daraus Hoffnung zuspreche. Die Gedanken der Bibel sind für mich mehr als Worte, die Menschen vor zweitausend Jahren aufgeschrieben haben. Die Bibel ist mein Hoffnungsbuch, in dem ich die Worte finde, die ich allein in mir nicht finden kann. Worte wie die, die heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen werden:

Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; (…) Er, (Gott) wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.

Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.

Daran richte ich mich auf, wenn ich nicht weiß, was das ist mit dem Tod, wenn ich zweifle und zu verzweifeln beginne, wenn ich an einem Grab stehe. Dann tröstet es mich, dass sich schon so viele Menschen daran aufgerichtet haben, denen es so ging wie mir.

Die Bibel erzählt mir von Gott, der den Tod nicht akzeptiert, weil er liebt. Dass ich auch lieben kann. Dass die Liebe stärker ist als der Tod. Und daran hat sich auch Marie-Luise Kaschnitz festgehalten, wenn sie in ihrem Gedicht schreibt, wie sie sich das Leben nach dem Tod vorstellt:

Nur Liebe frei gewordne

Niemals aufgezehrte

Mich überflutend.

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11MAI2025
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Ab und zu spiele ich gern mit ein paar Freunden das Rollenspiel Dungeons and Dragons. Ich mag daran, dass man in eine andere Rolle schlüpft und sich aussuchen kann, welche Fähigkeiten und Eigenschaften die Figur haben soll. Dabei habe ich etwas begriffen: Weisheit und Intelligenz sind nicht das Gleiche. Beide Eigenschaften kann man seiner Figur im Spiel geben, aber die Auswirkung ist ganz unterschiedlich: Der intelligente Charakter weiß, dass eine Tomate eine Frucht ist, ein Charakter mit Weisheit erkennt, dass die Tomate trotzdem nicht in den Obstsalat gehört.

„Intelligenz - das ist in dem Spiel das, was man weiß und lernen kann, Bücherwissen, Sprache, zum Beispiel. Eine Figur kann also hochintelligent sein, aber trotzdem unweise handeln. Und umgekehrt beschreibt „Weisheit“  eher die Kunst den richtigen Weg einzuschlagen, gute Entscheidungen zu treffen, richtig und falsch zu unterscheiden.

Von einer Weisheit, wie man ein gutes Leben führt, handelt auch der Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Gemeinden heute gepredigt wird.

Es ist ein Loblied auf die Weisheit, das so in der Bibel einmalig ist. Der Autor lässt die Weisheit wie eine Person von sich selbst sprechen:  „22Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. 23Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.“ Die Weisheit beansprucht hier einen Rang, wie ihn sonst kaum etwas in dieser Welt hat. Und darum rät die Weisheit im Sprüchebuch auch dringend, auf sie zu vertrauen.

Hier kommt die Überzeugung zum Ausdruck: „Wer nach Weisheit sucht, der führt ein gutes Leben. Wer die Weisheit nicht zu schätzen weiß, nicht nach ihr fragt, der führt ein selbstzerstörerisches Leben. Gar nicht so weit vom Dungeons and Dragons entfernt: Dort hilft Weisheit Gefahren früh zu erkennen und im richtigen Moment die Entscheidung zu treffen. Aber wie wird man weise?

Ein paar Verse weiter gibt es einen Hinweis: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit.“ Ich verstehe das so: Wer nicht nur sich selbst zum Maßstab hat, sondern bereit ist auf etwas Größeres zu schauen, der ist weise. Wer hinhört, wer erkennt, wo die eigenen Fähigkeiten und die eigenen Grenzen sind. Und: Wer einsieht, dass es keine einheitliche Antwort gibt, was es heißt, weise zu sein. Sondern, dass gerade das die Herausforderung der Weisheit ist: Dass sie für jeden Lebensweg etwas anderes bedeutet, auch wenn sie von der gleichen Quelle kommt.

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04MAI2025
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„Liebe macht blind“! Ein bekanntes Sprichwort. Wer einen anderen abgöttisch liebt, so unterstellt der Spruch, hat nur noch Augen für diesen geliebten Menschen. Blendet all seine Schattenseiten, all die Unzulänglichkeiten, die jeder von uns nun mal hat, einfach aus. Und wo Liebe völlig blind macht, ist das Verderben im schlimmsten Fall nicht weit.

Genau anders herum erzählt es dagegen eine Geschichte, die heute Morgen in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist. Jesus ist tot und sieben seiner Jünger, die große Hoffnungen in ihn gesetzt hatten, sind nun zurück am See Genezareth. Dort haben sie mal als Fischer gearbeitet und jetzt tun sie es wieder. Doch in der Morgendämmerung dieses Tages will ihnen einfach kein Fisch ins Netz gehen. Da entdecken sie einen Mann, der allein am Ufer steht. Er spricht sie an und rät ihnen: „Werft das Netz auf der rechten Seite aus, dann wird’s was.“ Kurz darauf ist das Netz so voll, dass sie es gar nicht mehr einholen können. Und dann sagt der Jünger, der Jesus am innigsten verbunden war: „Es ist der Herr!“, also Jesus. (Joh 21,1-14)

Vordergründig wird da eine Geschichte erzählt, wie Jesus, der vom Tod auferstanden ist, seinen Freunden erscheint. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt hinter dieser Geschichte noch mehr. Da wird mir etwa gesagt: Es gibt eine Auferstehung vom Tod. Aber die ist ganz anders, als man sich das vielleicht vorstellt. Denn die, die drei Jahre lang jeden Tag mit ihm zu tun hatten, erkennen den Auferstanden jetzt nicht mehr. Das kann heißen: Seine irdische Gestalt, mit der sie ihn kannten, ist vergangen, gestorben. Sie war einmalig, kommt nicht mehr wieder. Und so spürt auch nur einer der sieben Jünger im Boot, dass es der verstorbene Freund ist. Dass er lebt, wenn auch ganz anders als zuvor. Es ist der Jünger, der ihn am meisten geliebt hatte.

Verliebt sein, das kann blind machen. Wirkliche Liebe nicht. Liebe macht sehend. Wer wirklich liebt weiß, dass der Tod eine Zäsur ist. Dass er all das zerstört, was mich mit dem verstorbenen Menschen irdisch verbunden hat. Aber wirkliche Liebe kann und will nicht hinnehmen, dass ein geliebter Mensch damit einfach weg ist. Wer liebt spürt oft im Herzen, dass da eine Verbindung ist, die bleibt. Auch über den Tod hinaus.

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27APR2025
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Ostern war das letzte Kirchenfest, das Dietrich Bonhoeffer erlebt hat. Der evangelische Pfarrer war als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime verhaftet worden und hat zwei Jahre im Gefängnis gesessen. Am 9. April 1945 ist er hingerichtet worden. Das Osterfest ist in diesem letzten Kriegsjahr auf den 1. April gefallen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Menschen in einem völlig verwüsteten Europa das damals gefeiert haben. Und wie es bei Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle gewesen ist, weiß ich nicht. Ich frage mich aber, ob es ihm gutgetan hat, mit der Aussicht auf seinen bevorstehenden Tod noch einmal daran erinnert zu werden, was Christen an Ostern feiern: Dass dem Tod durch die Auferstehung von Jesus alle Macht genommen ist. Oder ist ihm das eher wie blanker Hohn vorgekommen? Dass draußen in den Trümmern der christlichen Welt mit dem Mut der Verzweiflung, Tod und Teufel verlacht und verspottet wurden, er selbst aber dem Tod und seinen Teufeln so brutal ausgeliefert war? Nur vier Wochen später, am 9. Mai 1945 hätte der ganze Spuk doch ein Ende gehabt.

„Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.“ Dieser Satz stammt von Dietrich Bonhoeffer. Und er deutet daraufhin, dass ihm sein letztes Osterfest im Gefängnis viel Kraft gegeben hat. Vielleicht hat er in diesen Tagen in seiner Bibel die Worte aus dem ersten Petrusbrief gelesen, über die heute, eine Woche nach Ostern, in vielen evangelischen Gottesdiensten gepredigt wird. Da steht: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus. In seiner großen Barmherzigkeit hat er uns neu geboren. Denn er hat uns eine lebendige Hoffnung geschenkt, weil Jesus Christus von den Toten auferstanden ist. Es ist die Hoffnung auf ein unvergängliches Erbe, das rein ist und nie seinen Wert verliert. Das hält Gott im Himmel für euch bereit, und er bewahrt euch durch seine Macht. Aber es ist trotzdem nötig, dass ihr jetzt noch eine kurze Zeit leidet.“ Das klingt doch, als wären diese 2000 Jahre alten Zeilen ganz persönlich für ihn geschrieben worden.

Oder heute ganz persönlich für Sie. In welchen Herausforderungen Sie auch stecken mögen, ich wünsche Ihnen, dass Sie zu einer lebendigen Hoffnung finden und dass die Kraft, die von Ostern ausgeht, auch Sie erfasst und stärkt.

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21APR2025
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Es ist ein Sonntagvormittag in München. 200 Frauen treffen sich zum Spazierengehen. Das Besondere ist: sie kennen sich nicht. Noch nicht. Erst während des Spaziergangs kommt man ins Plaudern. Nach knapp einer Stunde gehen die Frauen wieder auseinander – zufrieden über einen gemütlichen Sonntagsspaziergang in Gesellschaft, viele erfüllt von einem guten Gespräch und manche sogar mit einer Telefonnummer, um sich verabreden zu können.

Die Idee zu solchen Spaziergängen hat Clare Carrington[1] aus den USA mitgebracht. Zurück von ihrem Auslandsaufenthalt war sie so begeistert, dass sie über insta Frauen zum Spaziergang eingeladen hat. Und die Resonanz war riesig. Mittlerweile hat sich die Idee rumgesprochen, und die Spaziergänge sind ein richtiger Trend geworden. Und das nicht nur in München. Bereits in mehr als 30 Städten sind sogenannte „girlswalkingandtalking“-Gruppen zu finden, frei übersetzt „Mädels laufen und reden“.

 

Miteinander unterwegs sein, jemand anderem erzählen, wie das Leben gerade ist, und wie es mir geht – das geschieht auch in dem biblischen Text, der ganz eng zum heutigen Ostermontag gehört und in vielen katholischen Gottesdiensten zu hören ist.

Zwei Jünger sind unterwegs nach Emmaus und vertrauen einander an, was sie beschäftigt. Vor allem, wie traurig sie sind, da ihr Freund Jesus gestorben ist. Unterwegs treffen sie auf einen Fremden, der wissen will, was sie bedrückt. Sie erzählen ihm, wie enttäuscht und traurig sie sind. Er hört ihnen zu, er baut sie auf, und er erzählt, dass er voller Hoffnung ist. Erst im Nachhinein, beim Essen am Abend, kapieren sie, dass der Fremde, der mit ihnen gegangen ist, Jesus war. Und dass sie das eigentlich schon unterwegs gespürt haben. (vgl. Lk 24, 13-35)

 

Ich kann mich gut in die Situation der beiden Jünger hineinversetzen. Wenn ich traurig bin oder ein belastender Gedanke sich in meinem Kopf festgekrallt hat, dann tut es mir gut, wenn ich nicht alleine bleibe. Wenn ich rausgehe, in Bewegung komme und mich jemandem anvertrauen kann. Zu merken „Ich bin nicht allein“, macht mein Herz leichter. Und ich bin mir in solchen Momenten sicher: Jesus geht mit. Er begleitet mich, und das kann ich durch andere spüren.

 

„Ich bin nicht allein.“ Das sagt übrigens auch Clare, die mit den Frauenspaziergängen. Wenn man sie fragt, ob man zu den Spaziergängen wirklich alleine kommen kann, antwortet sie: „Genau darum geht es, das ist das Schöne: Jede kommt zwar alleine, aber keine geht alleine.“

 

[1] vgl. Fasten-Wegweiser 2025 „wandeln“ von AndereZeiten, S. 38f. oder auch: https://www.brigitte.de/aktuell/gesellschaft/clare-carrington--macherinnen-im-check-13858566.html

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20APR2025
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„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Dieser Satz stammt aus dem Buch des Propheten Jesaja und ich spreche ihn nicht nur bei jeder Taufe, sondern auch auf dem Friedhof. Ein Satz Gottes für uns Menschen, der uns meint, wenn wir geboren werden und genauso wenn wir sterben.

Dieser Satz könnte auch die Überschrift sein für die Ostergeschichte, wie der Evangelist Johannes sie uns erzählt. Denn die Ostergeschichte beginnt auch auf einem Friedhof: Maria geht auf den Friedhof. Sie braucht einen Ort, um zu trauern. Denn mit Jesus ist die Freude in ihrem Leben gestorben. Sie hat ihn geliebt; und die dunkle Schwester der Liebe ist die Trauer. Denn auch jetzt sehnt sie sich nach ihm, will ihm nahe sein, wenigstens an seinem Grab. Aber dort bekommt sie es noch deutlicher zu spüren, dass ihre Liebe kein Gegenüber mehr hat. Dass sie den Menschen auch hier nicht mehr finden kann. Und die Tränen fließen.

Da können auch Engel nicht helfen. Zwei sitzen im offenen Grab, da wo Jesus eigentlich liegen sollte. Sie bekommen auf ihre Frage, warum Maria weint, nur eine knappe Antwort: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ Noch immer sucht sie nach einem Toten – sucht nach einem Ort für ihre Trauer und kann die Zeichen nicht deuten. Weder die Engel sagen ihr etwas, noch das leere Grab.

Maria geht weg. Und als sie dann dem auferstandenen Jesus begegnet – er leibhaftig vor ihr steht - öffnet ihr das auch nicht die Augen: „Warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie erkennt ihn nicht, weil es das einfach nicht gibt. Einen, der von den Toten zurückkehrt. Die Trennung zwischen Lebenden und Toten ist fürchterlich endgültig – da gibt es kein Wiedersehen. Erst als Jesus sich Maria wirklich zuwendet, sie bei ihrem Namen ruft, erst da erkennt sie ihn. „Maria“ – und ihr Herz wird warm.

Maria konnte ihren geliebten Freund nicht mehr finden – aber er hat sie gefunden. Gott hat sie gefunden und gerufen – bei ihrem Namen. Gott ruft uns mit Namen – unser ganzes Leben lang und darüber hinaus. An Gottes Liebe zu uns kann auch der Tod nichts ändern. Und das ändert alles. Frohe Ostern wünscht Ihnen Anne Waßmann-Böhm, aus Ingelheim, von der evangelischen Kirche

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18APR2025
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Kein Tag fühlt dem Christentum so auf den Zahn wie der Karfreitag heute. Weil heute der gekreuzigte Jesus im Mittelpunkt steht wie sonst nie. Und die Christen darauf ihren Glauben bauen. Gott lässt zu, dass Jesus stirbt. Jesus wählt ausdrücklich diesen Weg, weil er weiß, dass er ohnehin nicht daran vorbeikommt. Und Gott lässt es nicht nur zu, sondern geht mit ihm in den Tod. Christen glauben an einen Gott, der in der Ohnmacht, im Tod zeigt, wer er ist.

An Karfreitag wird in den katholischen Gottesdiensten stets die Johannespassion vorgetragen. Sie unterscheidet sich von der Leidensgeschichte wie die anderen drei Evangelisten sie erzählen. Zwar beschreibt auch Johannes, wie Jesus zu Unrecht verurteilt und gedemütigt wurde und einen qualvollen Tod stirbt. Aber zwischen den Zeilen merkt man, wie er den Akzent verschiebt. Deutlicher als die anderen zeigt er, dass der, der da am Kreuz stirbt, ein Sieger ist. Sieger über den Tod. Der Gekreuzigte trägt bei Johannes eine Krone, die nicht aus Dornen ist. So wie die Künstler der Romanik dies stets in ihren Gemälden darstellen.

Es bleibt dabei, auch bei Johannes: Jesus stirbt. Er ist Gottes Erwählter, ja sein geliebter Sohn. Aber eben ohne jene Macht, auf die unsere Welt aufgebaut ist. Er hat keine Armee, kein Geld, keinen Status. Am Ende hat er kaum noch Freunde. Und es ist der Christen-Glaube, dass Gott eben auf diese Weise zeigt, worauf es ihm ankommt. Dass die Letzten bei ihm an erster Stelle stehen[1]. Dass der gewinnt, der schwach ist und bereit, seine Schwäche zu zeigen[2]. Dass die Liebe stärker ist als der Tod[3] und womöglich erst dort ihre wahre Größe zeigen kann, wo einer bereit ist, sein Leben für seine Freunde hinzugeben[4].

Das letzte Wort, das Jesus am Kreuz spricht, lautet in der Passion des Johannes: Es ist vollbracht[5]. Mich hat dieses Wort früher ratlos zurückgelassen. Es ist aus mit Jesus, sein Leben auf der Erde ist vorbei. Wenn das mit „vollbracht“ gemeint sein soll… Zufrieden war ich damit nicht, bis ich verstanden habe: Jesus spricht da gar nicht selbst. Es ist die Stimme Gottes, die da aus ihm spricht. Oder wenn ich es noch radikaler sagen soll: Gott selbst spricht da am Kreuz. Erst jetzt – im Tod - ist vollkommen zu erkennen, wie er ist. Ein Gott, der ganz im Menschen ist, der überall mit uns hingeht, der uns durch den Tod die Tür zu neuem Leben öffnet.

 

[1] Vgl. Matthäus 20,16

[2] Vgl. 2. Korintherbrief 12,9

[3] Vgl. Hohelied 8,6

[4] Vgl. Johannes 15,13

[5] Johannes 19,30

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13APR2025
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Von klein auf kenne ich das „Vater unser“ – das Gebet von Jesus für seine Anhänger. Es gehört zu jedem Gottesdienst dazu, und ich habe ich es schon oft gebetet, und – zugegeben - manchmal fast mechanisch.

Bis eines Tages mich jedes einzelne Wort getroffen hat – bis ins Mark. Mich gepackt und fast geschüttelt hat mit aller Wucht seiner Bedeutung.

„Vater unser im Himmel“ – Das war, als ich vor ein paar Jahren das Grab meiner Großtante Olga besucht habe. Es befindet sich in Dänemark. Vor 80 Jahren ist sie dort gestorben – auf der Flucht aus Ostpreußen, in einem Auffanglager kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Hals über Kopf hatte sie aufbrechen müssen und alles zurücklassen, was doch ein paar Stunden zuvor noch Heimat war: ihr Zuhause, ihre Familie. Ihre Kräfte reichten nur bis Dänemark. Dort liegt sie in einem Gräberfeld für Flüchtlinge, zusammen mit anderen Frauen, Kindern, Babys und ein paar Soldaten im Teenager-Alter.

An einem wunderschönen Spätsommertag stehe ich dort und fühle mich meiner Tante nahe, obwohl ich sie ja nie getroffen habe. Da beginnt in der benachbarten Kirche die Vater-Unser-Glocke anzuläuten. Gerade ist dort im Gottesdienst, und die Glocke zeigt, dass gerade das Vater-unser gebetet wird. Und ich fange an, mitzubeten: „Vater unser im Himmel – sei da, wenn hier auf Erden kein Vater und keine Mutter mehr trösten können...“

„Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme.“ Und ich denke: Und nicht das Reich irgendwelcher Despoten, die bereit sind, für ihren eigenen Ruhm andere zu vertreiben, zu töten. Nicht deren Wille - nein – DEIN Wille geschehe.

„Herr, gib uns unser tägliches Brot“ unser tägliches Auskommen. Um mehr zu bitten, ist nicht nötig – nicht wichtig. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – weil Vergebung wie ein Neuanfang ist. Und uns befreit von Rachegedanken und Vergeltung.

„Herr Gott – Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.“ Zu diesem Reich gehöre ich. Und zu diesem Reich gehört meine Großtante. Sie und alle anderen, die jemals überwältigt worden sind von der Bosheit in dieser Welt. Ich schließe mit meinem Gebet: „Herr: dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit - in Ewigkeit Amen.“

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06APR2025
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Der Stab ist schnell gebrochen. Über Leute, die nicht ins Raster passen, nicht meinen Vorstellungen entsprechen. Weil sie anders aussehen oder ticken. Anders leben oder lieben wollen. Sich nicht penibel an Regeln halten, die mir wichtig sind. Wenn ich ehrlich bin, ertappe ich mich auch selbst immer mal wieder, dass ich abwertend und auch urteilend über andere denke. Vor allem, wenn ich die Leute gar nicht kenne. Dass das offenbar nicht nur bei mir so ist, zeigt der Volksmund, der dafür einige Sprichwörter gefunden hat: „Wer selbst im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“ Oder: „Kehr erst mal vor deiner eigenen Tür.“ Die Angewohnheit, über andere zu urteilen, ohne sie und ihre Beweggründe zu kennen, hat schon Jesus kritisiert. Hat seine Zuhörer ermahnt, nicht zu urteilen, damit auch über sie selbst nicht geurteilt wird. Stattdessen sollen sie Fehler vergeben. Gegenseitig. Am nachdrücklichsten wird das, wo es um alles geht, um Leben oder Tod. Etwa in der biblischen Geschichte einer Frau, die in flagranti beim Ehebruch ertappt wurde. Von ein paar Männern wird sie deshalb zu Jesus geschleppt. Es ist ein Vergehen, auf das im jüdischen Gesetz damals der Tod durch Steinigen stand – und zwar nicht nur für die Frau, sondern für beide Beteiligten.
Für Jesus, der sich dazu verhalten soll, ist es eine Falle. Verurteilt er das Vergehen nicht, setzt er sich über das Gesetz hinweg, das ihm selbst heilig ist. Unterstützt er hingegen das Todesurteil, erscheint alles zweifelhaft, was er über den barmherzigen Gott gesagt hat. Eine Zwickmühle. Zu dem, was der Frau vorgeworfen wird, schweigt Jesus. Doch was er sagt ist so einfach wie genial: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein.“ Niemand rührt sich. Stattdessen verlässt einer nach dem anderen wortlos den Platz.
Es ist ein Lehrstück über eine Tugend, die zum Kern des Christlichen gehört: Barmherzigkeit.
Barmherzigkeit ist kein wurstiges „Passt schon. Schwamm drüber!“ Barmherzigkeit nimmt Versagen und Schuld absolut ernst. Aber wer barmherzig ist, ist sich immer bewusst, dass kein Mensch makellos und fehlerfrei ist. Jeder auch selbst mal auf Milde und Barmherzigkeit angewiesen ist. Barmherzigkeit ist das Gegenstück zum gnadenlosen Furor, der sich immer öfter in der Gesellschaft austobt. Ganz besonders in sozialen Netzwerken, wo Gegner oder Andersdenkende niedergemacht werden. Am Ende der biblischen Geschichte steht Jesus mit der Frau alleine da und sagt zu ihr: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh nach Hause und sündige von jetzt an nicht mehr!“

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30MRZ2025
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Brot ist etwas Wunderbares. Das Knacksen der frischen Kruste kann einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Und kostbar – besonders, wenn man nicht so viel davon hat.

Als ich ein Kind war, hat mir mein Vater eine Geschichte erzählt, aus seiner eigenen Jugendzeit. Passiert sein muss sie kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Mein Vater – als junger Teenager -  war damals gerne unterwegs mit dem Fahrrad, wenn möglich auch für ein paar Tage. Seine Mutter hat ihm dann immer etwas Proviant mitgegeben: Brot - ein paar Scheiben, bestreut mit ein wenig Salz, manchmal hat es sogar für etwas Butter gereicht.

Einmal – allein auf dem Weg zurück nach Hause – da wollte er sein letzte Stück auspacken – und es lag vor ihm: total verschimmelt. Bestürzung! Denn das war doch – Brot!

Als ich die Geschichte zum ersten Mal als Kind gehört habe, da hat mich besonders berührt: dass mein Vater damals nicht gewusst hat, was er tun soll. Er konnte „Brot“ doch nicht einfach so wegschmeißen. In seiner Not ist mein er ein paar Schritte in den Wald hineingegangen und hat es – sorgsam! – dem Erdboden übergeben. Er hat es sozusagen „beerdigt“: Brot – lebenserhaltende Nahrung, auf die er nicht genug aufgepasst hatte.

Brot ist etwas Wunderbares - etwas so Elementares: unentbehrliche Nahrung – so unentbehrlich wie Vertrauen und wie Hoffnung. Ich denke, darauf spielt Jesus an, wenn er sich in der Bibel mit Brot vergleicht. Zu seinen Jüngern sagt er: „Ich bin solches Brot: lebendiges Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“ (Joh 6, 51)

Diese Worte sind gar nicht so leicht auszuhalten, finde ich: Jesus als Leben-stiftendes Brot? Das verzehrt werden wird – sterben muss, um Kraft zu geben für die Ewigkeit? Jesus wird tatsächlich sterben am Kreuz und in ein Grab gelegt werden – die Passionszeit erinnert daran.

Aber damit ist seine Kraft nicht verloren, anders als bei dem Brot, das mein Vater einst in die Erde gelegt hat. Die Lebenskraft von Jesus reicht weiter. Sie schenkt Hoffnung auf neues Leben - sogar über den Tod hinaus.

Brot ist etwas Wunderbares. Es schmeckt für mich auch immer nach Hoffnung: dass Jesus Christus meinen Hunger nach Frieden, nach Leben und nach Gerechtigkeit stillen wird.

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