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05NOV2023
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Holm-Hadulla, Rainer Matthias Bildrechte: Rainer Matthias Holm-Hadulla

Sein ganzes Leben hat der Arzt und Psychotherapeut Rainer Matthias Holm-Hadulla über das Thema „Kreativität“ geforscht. Und er ist überzeugt: Verzweiflung, Hass und Gewalt kann man kreativ bewältigen. Für ihn ist es auch die wichtigste Aufgabe unsrer Kultur. Ich denke an die aktuellen Kriege in der Ukraine und Israel und frage mich: Wie ist sowas heute möglich?

Ich denke, das sind die Rückfälle in die Barbarei. Freud sagte: das Eis der Vernunft ist dünn. Eine dauerhafte Kulturarbeit versagt immer wieder. Und ich denke, dass man da immer wieder neu anfangen muss und neu aufbauen muss.

Immer wieder neu anfangen? Also ich spüre eher den Wunsch, abzutauchen, nichts wissen zu wollen.  Dabei weiß ich ja – Probleme, vor denen man sich drückt, verschwinden nicht, sie tauchen immer wieder auf und werden eher. Also hinschauen und – was dann?

Wir müssen die Information, die wir bekommen, auch verarbeiten, wir müssen sie transformieren können in Gedanken, in Ideen, in Pläne und auch in alle Strategien, wie wir damit umgehen können.

Informieren ja, aber sich nicht überfluten lassen. Also nur so viel aufnehmen, dass man handlungsfähig bleibt. Rainer Holm-Hadulla nennt das „Alltagskreativität“. Man kann aber auch eine außergewöhnliche Kreativität entwickeln.

Also ich unterscheide ja außergewöhnliche und alltägliche Kreativität. Der wichtigste Unterschied ist, dass die außergewöhnliche Kreativität auch für viele andere von Bedeutung ist.

Rainer Holm-Hadulla hat sich die Lebensgeschichten von außergewöhnlich kreativen Menschen angeschaut wie Mozart, Goethe, Madonna, Mick Jagger und andere. Und da ist ihm aufgefallen:

Wenn man dann außergewöhnliche Kreative betrachtet, dann merkt man doch, dass die große Kreativität immer – ich würde sagen immer aus einer Bewältigung von Leid, Verzweiflung, Hass und Gewalt entsteht. Kunstwerke, die das nicht spüren lassen, ist Kitsch. Nehmen wir das Jahrtausendgenie Mozart. Von frühester Kindheit an muss er sich mit dem Tod auseinandersetzen, sein Vater und seine Mutter haben 5 Kinder vor ihm verloren.

Ähnliches gilt für Goethe und Musikgrößen wie John Lennon, Madonna oder Jimi Hendrix.
Sie schaffen wunderbare Werke, weil sie es müssen. Weil sie einerseits ein persönliches Leiden bewältigen müssen und andererseits andere damit inspirieren wollen.

Gerade, wenn man an die Großen denkt, das machen sie immer, immer ganz radikal in Bezug auf einen anderen. Ja, Mozart spricht Menschen an. Seine Musik besteht darin, andere zu verlebendigen, nicht nur sich selbst.

Die Welt ist in Aufruhr. Nachrichten von entfesselter Gewalt fluten unsere Wohnzimmer. Wie damit umgehen? Bei den Menschen mit außergewöhnlicher Kreativität fällt auf: Sie sind offen für die Not Anderer. Und zugleich können sie sich abgrenzen und diszipliniert an Lösungen arbeiten.

Ich glaube, das wird ein bisschen auch in unserer – sagen wir mal „hedonistischen“ Kunstauffassung unterbelichtet. Dass die Arbeit – also etwas für andere zu tun und nicht nur für mich, ein Lebenselixier ist.

Dazu aber brauchen wir Schutzräume. Schutzräume durch gute Beziehungen. Und Schutzräume, in denen wir mit anderen das Leben feiern. Für Rainer Holm-Hadulla sind das auch die Kirchen.

Also ich bin kein bibeltreuer Christ, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Christ bin und an was ich genau glaube. Aber was ich weiß, ist, dass dieser Begegnungsraum mir Ideen ermöglicht. Und die Musik, die ich sonst nicht hätte... im Sinne einer erfüllten Erfahrung.  

Ich würde das Ritual eines Gottesdienstes so beschreiben: Ich trete gemeinsam mit anderen vor Gott, mache mich ganz ehrlich mit dem, was mich bedrängt. Und mit Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus vertraue ich darauf, dass sich Böses in Gutes verwandelt. Das ist mein Glaube an die Auferstehung. Hier und jetzt. Das kann ich nicht machen. Aber ich kann es spüren. Auch als so etwas wie ein neues Urvertrauen.  

Der alt werdende Picasso sagt „jetzt kann ich endlich malen wie ein Kind“. Und das ist ja auch die Gotteskindschaft, die, an die wir glauben.  Dass wir durch dieses Transformationsritual irgendwie erlöst werden.

Ich wünsche mir, dass wir erlöst werden von Verzweiflung, Hass, Gewalt und Dummheit. Dass wir darin nicht versinken, sondern dem etwas dagegensetzen. Unsere Kreativität! Mit der wir anfangen zu arbeiten und einfach mal was machen. Etwas Neues probieren, auch wenn es Angst macht. Rainer Holm-Hadulla hat zum Beispiel in Heidelberg ein Betreuungsangebot für geflüchtete Kinder eingerichtet. Und er hat Studierende dafür gewonnen, etwas für traumatisierte Kinder zu tun.

Und da war eine Studentin, die hatte schon Angst. Und die ist dann doch hingegangen und hat einen halben Tag dort verbracht. Und ich bin dann dazugekommen und bevor wir gesprochen haben, kam ein Kind, hat diese Studentin an der Hand genommen „Bitte, bitte, komm wieder!“ Und diese Studentin hatte Tränen in den Augen und hat gesagt: „Ja, das ist es.“ 

 

Lit: Rainer M. Holm-Hadulla, Die kreative Bewältigung von Verzweiflung, Hass und Gewalt, Psychosozial- Verlag 2023

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01NOV2023
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Johannes Wimmer Foto: Aempathy

Christopher Hoffmann trifft: Johannes Wimmer, Fernseharzt, Moderator, Buchautor

Dr. Johannes Wimmer ist Fernseharzt, Moderator und Autor des Buches „Wenn die Faust des Universums zuschlägt“.* Darin teilt der Vater von vier Kindern seine Erfahrungen aus einer schweren Zeit: Vor drei Jahren starb seine Tochter Maximilia mit nur neun Monaten an einem unheilbaren Hirntumor. Im Moment der Diagnose, da wollte er nur eins:

Jeden Weg gehen, um das Kind vor Schaden zu bewahren, ich würde mein Leben eher geben als das des Kindes und diese Hilflosigkeit, dass das nicht geht, das ist eine sehr bittere Erkenntnis. Gerade als Mediziner, ich habe ja nun schon viele Jahre auch in der Not-Aufnahme gearbeitet, Leben gerettet, Leben verloren und dann selber zu merken: Du kannst nichts tun, das ist als würde ein Feuerwehrmann nach Hause fahren und schon am Horizont sehen, dass es brennt und er weiß sofort: Das ist mein Haus. Und er steht da und hat kein Wasser.

Für den 40-Jährigen war es nicht die erste Begegnung mit dem Tod in der eigenen Familie: Als er vier Jahre alt ist, stirbt sein Vater an einem Herzinfarkt: 

Also ich habe ja mein ganzes Leben eigentlich darauf hingearbeitet diese Hilfslosigkeit, die ich kurz vor meinem 5. Geburtstag erlebt hab, als mein Vater vor meinen Augen zu Hause verstorben ist, nicht nochmal spüren zu müssen. Hab mich sehr unabhängig gemacht, hab Medizin studiert, wie so eine Superkraft oder eine Rüstung, die ich mir anlegen kann. Dieser Schmerz als Kind, den so früh zu erleben, der ist so groß und so lebensdefinierend, dass man sich nicht vorstellen kann, dass es einen schwereren Schmerz gibt. Und das gibt’s. Und das ist, wenn sich´s umdreht.

Das eigene Kind beerdigen - das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Trotzdem sitzt mir bei unserer Begegnung ein Johannes Wimmer gegenüber, der Humor hat, der gestalten will, der nicht am Tod seiner Tochter zerbrochen ist. Auch, weil er sich Zeit genommen hat, um zu trauern und mit anderen über seinen Schmerz zu reden:

Das ist dieses Annehmen. Es gibt genug Menschen, weil sie auch niemand zum Reden haben, niemand zum Verarbeiten, die schieben das immer vor sich her und sind nach zwei Jahren – ich merk das, so schreiben mir auch Leute auf Instagram usw., als wäre die Person gestern gestorben. Weil sie verharren in diesem Zustand.

Und deshalb teilt er in dem Buch, was er erfahren hat – viele Mütter, aber auch Väter melden sich bei ihm, die ähnliches erleben mussten:

Es hilft dem Gegenüber und es hilft auch oft mir. Dafür sind Menschen da – Menschen brauchen Menschen, und wenn wir nicht miteinander reden, das passiert immer mehr, dann rutschen wir in eine Einsamkeit, und Einsamkeit ist sogar medizinisch nachweislich nicht gut – wir brauchen uns.

Trauern muss aus der Tabuzone raus, findet Johannes Wimmer:

Trauern heißt ja nicht, mit einer Kiste Taschentüchern komplett verheult im abgedunkelten Zimmer in ner Ecke zu sitzen – das sind so Klischees, jeder Mensch trauert anders. Ich bin davon überzeugt: Trauer ist so negativ behaftet – Trauer ist aber eigentlich ja die Arbeit und das Auseinandersetzen und der Prozess aus dem Schmerz herauszukommen und dafür zu sorgen, dass der Schmerz nicht zu Leid wird.

Ganz wichtig: hier sollte das Umfeld auch nie urteilen. Johannes Wimmer ist nach Maximilias Tod mit ganz sensiblen Sensoren unterwegs. Schon kleine Gesten und gute Worte haben ihm geholfen. Er glaubt: Jede und jeder kann mit Empathie und offenen Ohren unterstützen:

Dann hilft es schon sehr, wenn jemand fragt, nicht nur „Wie geht es dir?“, sondern sich auch die Zeit nimmt das anzuhören und diese Last auch zu einem gewissen Teil mitzutragen.

Ich treffe den Fernseharzt Johannes Wimmer in seiner Heimatstadt Hamburg. Hier in seinem Studio in Altona produziert er Gesundheitsvideos für die sozialen Netzwerke. Auch in Heidelberg hat er schon gedreht: Gemeinsam mit dem Kindertumorzentrum. Vor drei Jahren ist seine eigene Tochter an Krebs gestorben. Wie haben Verwandte, Freunde, Nachbarn ihm in dieser Zeit geholfen?

Das Schlimmste ist der Satz „Meld dich, wenn ich irgendwas tun kann“. Helfen tut, wenn jemand sagt: Ich kann mir vorstellen, dass euer Kühlschrank leer ist – soll ich euch mal was einkaufen? Wie sieht es denn bei euch zu Hause aus, soll ich mal durchputzen? Kann ich die Kinder zum Fußballtraining fahren? Also ganz konkret anbieten.

Ganz konkret – das ist auch die Hilfe einer Seelsorgerin. Pfarrerin Susanne Zingel ist in den schlimmsten Stunden für die Familie da, tauft die Tochter vor einer Not-OP auf den Namen Maximilia, hält die Situation mit aus. Für Johannes Wimmer, katholisch, und seine evangelische Frau Clara eine echte Stütze:

Also Susanne Zingel ist eine begnadete Seelsorgerin, sehr belesen, witzig, eine gute Rednerin, also ein Mensch, wo ich wirklich eine große Dankbarkeit verspüre, dass ich sie überhaupt kennen darf, ihre Predigten hören darf. Und dass sie in den Momenten für uns auch da war und in der Gluthitze sich in den Zug gesetzt hat, um uns beizustehen. Und das auch mit einer gewissen Religiosität zu tun hat und einem Glauben.

Der Glaube – sehr vorsichtig wird der sonst so wortgewandte Johannes Wimmer, als wir über ihn sprechen. Als Kind hat er seinen Vater und als Vater hat er sein Kind verloren. Er kennt auch die Wut gegenüber Gott. In unserem Gespräch nennt er das Leben immer wieder ein Geschenk. Vor der Not-OP flüstert Johannes Wimmer seiner Tochter ins Ohr: „Du darfst gehen. Grüß meinen Papa von mir.“ Sein Glaube hat viel mit dem zu tun, was er an Mitmenschlichkeit in seinem Leben erfahren hat. Und er glaubt, dass sich darin auch etwas Göttliches zeigt: 

Der Glaube besteht für mich aus dem, was zwischen Menschen passiert und Susanne Zingel hat das so schön gesagt: Wenn zwei Menschen im Raum sind, sind das ja nicht nur X-Liter Wasser, bisschen Calcium und noch ein bisschen Collagen, sondern da passiert ja was und da sagt sie zum Beispiel „Das kann man als Heiligen Geist beschreiben“. Da passiert irgendwie mehr. Das ist ja auch das, was uns abhebt von dem Rest der Natur. Das Bezaubernde an uns Menschen ist und ich würde auch sagen, das, was dem Göttlichen am nächsten kommt, ist das Miteinander.

Ein wunderschöner Gedanke, finde ich. Das passt auch dazu, wie er seine Berufung als Mediziner versteht: nicht nur mit Fachwissen, sondern auch menschlich für den Patienten da zu sein. Und sei es digital in Videos, die teilweise millionenfach geklickt werden. Der Hanseat ist eine ehrliche Haut und lässt auf seinen Kanälen auch das Schwere nicht außen vor, weil es zum Leben dazugehört:

Und wenn man versucht – merkt man heute in den sozialen Medien – nur das Positive darzustellen, tut man sich selbst keinen Gefallen und anderen Menschen schon gar nicht.

Ich glaube: Einen großen Gefallen tut Johannes Wimmer durch seinen offenen Umgang mit Trauer allen, die einen lieben Menschen vermissen und an deren Gräbern stehen – wie heute an Allerheiligen.

*Dr. Johannes Wimmer: Wenn die Faust des Universums zuschlägt, Gräfe und Unzer, München 2021

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29OKT2023
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Weiss_Mira Foto: Joel Weiss

Mira Weiss ist Studentin, Unternehmerin und Influencerin. Ich treffe sie zum Interview am Institut für Medienwissenschaften in Tübingen, wo sie studiert. Mira Weiss hat vor 5 Jahren den Instagram-Kanal „herzstärkend“ gegründet, aus dem mittlerweile auch ein kleines Unternehmen erwachsen ist. Und Mira Weiss erzählt mir, wie es dazu kam:

Herzstärkend ist tatsächlich aus dieser Motivation geboren, dass ich sehr viel darüber nachgedacht habe, was Instagram für ein Einfluss auf mich und meinen Selbstwert hat und ich eben Instagram oft als Ort wahrnehme, der negativen Einfluss auf den eigenen Selbstwert hat und dann dachte ich: Ich möchte einen Ort schaffen auf Instagram, der den Selbstwert bestärkt, der junge Frauen ermutigt und auch empowered, dass sie sich stark fühlen und Dinge reißen können.

Ein Jahr nach Start holte Mira Weiss ihre Schwester Luka und ihre Freundinnen Hanna, Lea und Josefine ins Projekt dazu. Auch wenn Sie sehen, dass Sie mit ihrer Arbeit Einfluss auf junge Menschen haben, wollen sie weniger belehren, sondern vor allem ermutigen.

Uns ist wichtig, dass wir keine keinen dogmatischen Glauben vermitteln, sondern in erster Linie Glaube vermitteln als Zusagen und Sprüche, die wir aus der Bibel lesen oder in der Beziehung mit Gott quasi erleben, dass wir diese Zusprüche weitergeben. Und das hat wenig damit zu tun, dass wir konkret sagen, wie der Glaube gestaltet werden soll.

Wenn Gott im eigenen Leben vorkommt, dann ist das für Mira und ihre Mitstreiterinnen bereichernd, vielleicht sogar befreiend. Auf ihrem Instagram-Kanal kann man das miterleben.

Herzstärkend ist auf der einen Seite ein Instagram-Kanal, auf dem wir Inhalte teilen rund um die Themen christliche Spiritualität und Kreativität und auch Nachhaltigkeit und die Dinge, die uns so politisch, gesellschaftspolitisch beschäftigen und auf der anderen Seite ein Unternehmen. Und wir entwickeln und verkaufen und vertreiben Produkte rund ums Thema Spiritualität und Kreativität. Wir haben Production-Partner in Indien und verstehen uns als Social-Business. Wir wollen Produkte entwickeln, die einen Mehrwert für diejenigen haben, die die Produkte produzieren und für unsere Kundinnen.

Produkte rund ums Thema Spiritualität und Kreativität – das sind zum einen Stifte zum kunstvollen Schreiben, Postkarten, Plakate, Notizbücher und Kalender. Fair produziert und gehandelt. Gerecht eben, mit Respekt vor dem Wert der Arbeit. Ein Weg, ihre christlichen Überzeugungen zu leben.

Mich hat an herzstärkend fasziniert, wie offen und transparent die jungen Frauen arbeiten. Auch als sie im Team um Glauben und Meinungen intensiv diskutieren, sprechen sie darüber in den sozialen Medien. Von Beginn an waren sich die fünf jungen Frauen bewusst, dass sie sehr unterschiedlich sind und das schwierig werden könnte.

Wir hatten dann so unterschiedliche theologische Meinungen und uns waren so unterschiedliche Themen wichtig, dass unsere gegenseitigen Grenzen so groß waren und so stark waren, dass wir uns eigentlich nur noch ausgebremst haben. Also am Ende hat keiner mehr irgendwas gesagt, weil wir uns in dem Team nicht mehr wohlgefühlt haben. Und gleichzeitig war es uns immer ein riesen Anliegen. Das auszuhalten und diese Spannung auch zu leben und das gemeinsam zu schaffen.

Nach einem langen Prozess und intensiven Gesprächen trennen sich Lea und Josefine, zwei der Mitglieder von herzstärkend vom Projekt. Ein Scheitern?

Es fühlt sich immer mal wieder ein bisschen nach Scheitern an, gerade weil mein Ideal so hoch ist, dass wir das doch schaffen, gemeinsam. Und ich sehe immer irgendwie so uns als Gesellschaft, dann als großes Ganze, dann denken wir ja, wenn, wenn wir es im Kleinen nicht schaffen, zusammenzuarbeiten, dann schaffen wir es auch nicht im Großen. Und das müssen wir üben und das kostet was.

Andererseits war die neue Entwicklung aber auch ein notwendiger Schritt und die richtige Lösung. Trennung ja – aber trotzdem bleiben die jungen Frauen freundschaftlich verbunden. Die Trennung lässt Mira Weiss nicht aufgeben, am Ideal der Einheit festzuhalten.

Weil wir das hinbekommen haben, in Freundlichkeit, in Respekt miteinander und vor allem mit sehr viel Empathie uns zu trennen. Deswegen würde ich auch sagen Einheit funktioniert, weil wir immer noch eine Einheit sind und wir im Privaten diese Spannung aushalten können, wenn wir miteinander im Gespräch sind. Wir hatten, so große Diskussionen, aber das hat funktioniert, weil wir so diesen menschlichen Blick aufeinander hatten und immer wussten und diese Grundannahme hatten, dass mein Gegenüber die Dinge in Liebe tut und vor allem positive Absichten hat.

Ob das auch ein Modell für den Umgang mit Spannungen unserer Gesellschaft sein kann. Mira Weiss will es auf jeden Fall versuchen. Und positiv und mutmachend auf ihrem Kanal „herzstaerkend“ davon erzählen. Trotz aller Probleme und trotz allem Streit in der Gesellschaft. Mira Weiss hält an ihrem positiven Menschenbild fest. Auf meine Frage, ob sie Krieg und Gewalt nicht daran zweifeln lassen, antwortet sie. 

Ich weiß auch, dass der Mensch böse ist und schlecht ist. Aber es ist auch für mich ein bisschen eine Coping-Strategie und ein Trotzen, dass ich sage: Nein, der Mensch ist gut und ich habe die Hoffnung, dass er gut ist, und ich glaube an das Gute im Menschen. Diese Glaubenssätze - sich das einfach zuzusagen, dass der Mensch gut ist - ist konstruktiver als alles andere.

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22OKT2023
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Ralf Knoblauch Foto: Johanna Vering

… und mit Ralf Knoblauch. Der aus einem Hobby ein besonderes Lebensprojekt aufgebaut hat: er haut aus alten Eichenholzblöcken Königsfiguren. Die sehen nicht aus wie die Royals, mit schicken Klamotten und Juwelen. Es sind schlichte, freundliche Königinnen und Könige aus Holz.
Warum eigentlich Könige?

Dieses Motiv des Königs oder der Königin hat mich immer schon angesprochen. Ich hab im Urlaub mal vor vielen Jahren ein schweres Stück Treibholz gefunden in Kroatien und da war für mich ein König drin. Ich hab mir gesagt, den holst du jetzt in drei Wochen einfach da raus.

Ralf Knoblauch geht’s um das Thema Würde! Er arbeitet als Diakon in einem sozialen Brennpunkt in Bonn und erlebt dort tagtäglich, wie die Würde von Menschen mit Füßen getreten wird. Er trifft immer viele Leute, die auf der Straße leben. Wie kann jetzt so ein Holzkönig Menschen zeigen, dass es um ihre eigene Würde geht?

Ganz konkret, indem ich diesen Menschen den König oder die Königin einfach in die Hand drücke und gucke, was passiert. Und in dieser Berührung allein schon und in diesem offen herzlichen Gesichtsausdruck entsteht relativ schnell bei den vielen Menschen eine Kommunikation. Ja, letztlich spiegeln sie dann in diesem Augenblick: du bist auch ein König oder eine Königin wie ich, wie jeder.
Das verändert natürlich nicht seine Lebenssituation von jetzt auf gleich, aber es lässt sich Rausbrechen für einen Augenblick in eine andere Wahrnehmung. Und da setze ich dann natürlich auch in meiner Rolle als Seelsorger an. Zu gucken, was kann ich dir tun oder wo möchtest du vielleicht, dass ich dir helfe.

Und dann kann Ralf Knoblauch was tun. Er ist von der Kirche ganz konkret da und hilft: er hört zu, macht Kontakte oder geht mit auf Wohnungssuche. Die Königsfiguren sind dafür oft Gesprächsöffner. Auch weil sie nicht aussehen, wie ich mir eine Königin so klassisch vorstelle.

Die Könige von mir, die haben keine Macht, die wollen auch nicht im Mittelpunkt stehen, die wollen nicht regieren, die sind alle zurückgenommen, ein gerades Rückgrat. Sie sind sehr stark bei sich selber, in sich gekehrt.
Die Gesichtsmimik ist eigentlich das entscheidende: Auge, Nase, Mund. Deswegen immer dieses leichte Grinsen, Schmunzeln im Gesicht. Aus einer Begegnung mit einem König muss man immer positiv gestimmt herausgehen.
Ja, und dann spiele ich halt mit der Symbolik der Krone. Die muss nicht immer auf dem Haupt sein, die kann auch schon mal danebenliegen, zu groß sein, zu klein sein. Die Königinnen und die Könige tragen immer ein weißes Hemd und eine schwarze Hose. Das ist meinerseits eine Anspielung auf die Taufwürde. Dem Täufling, der Priesterin, der Königin, wird in der Tradition das weiße Kleid übergezogen.

Mit den Figuren ist eine richtige Bewegung entstanden. Viele nehmen sie mit an besondere Orte – schöne und schreckliche.

Es kann natürlich so sein, dass mit dem König gewandert wird. Dass der König bei kranken Menschen in Hospizen am Sterbebett steht, dass der König bei Exerzitien, bei geistlichen Tagen mit unterwegs ist, dass der König nach Santiago pilgert.

Ein großes Projekt waren die Königinnen und Könige am Frankfurter Flughafen. Überall waren sie ausgestellt und haben auf die Menschenwürde aufmerksam gemacht. Tolle Idee an diesem Ort, wo es um Abschied, um Wiedersehen, aber auch um Flucht, Vertreibung und Abschiebung geht.
Die Könige sind auch im Krieg: kurz nachdem der Ukrainekrieg ausgebrochen ist, waren Könige in Kiew und auch nach dem Erdbeben in Syrien waren schnell welche dort. Irgendwer meldet sich immer und nimmt eine Figur mit.
Manche Figuren kann Ralf Knoblauch übrigens auch nicht aus den Händen geben. Er ist zu stark mit ihnen verbunden. Ralf Knoblauch hat eine feste Routine, wie die Könige entstehen…

…von montags bis freitags in einer Zeit von 5 bis 06:00 Uhr, wo ich mich eine Stunde dem Thema aussetze. Um 06:00 Uhr lasse ich alles stehen und liegen und mein Berufs- und mein Familienalltag beginnt. Und am darauffolgenden Morgen setze ich letztlich genau da an, wo ich aufgehört habe. So dass das ein kontinuierlicher Prozess ist, der im Grunde nie unterbrochen wird.
Diese Stunde ist für mich auch im weitesten Sinne eine Form des Gebetes.

Die Königsfiguren sind politisch. Er drückt mit ihnen sehr klar aus, worum es ihm geht: alle Menschen sind gleichwertig! Das ist gerade in meiner katholischen Kirche ein Riesenthema, wenn es zum Beispiel um Frauen oder queere Menschen geht.

Letztlich sind alle aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Ich weiß, dass viele, viele Kollegen, Kolleginnen aus solchen Königen und Königinnen viel Kraft schöpfen, um überhaupt noch in dieser Kirche arbeiten zu können.
Innerkirchlich habe ich mich auch mit diesen Königen sehr klar positioniert. Also sie sind sehr stark mit der Maria 2.0 Bewegung unterwegs. Sie sind
auch bei vielen Menschen von out in church dabei. Also das ist mir einfach wichtig, die Gleichwürdigkeit aller Menschen.

Menschenwürdig leben: dafür schnitzt und arbeitet Ralf Knoblauch jeden Tag. Das geht für ihn nicht ohne seinen Glauben. Gott begegnet ihm in jedem Menschen - davon ist er überzeugt. Dazu passt auch seine persönliche frohe Botschaft zum Schluss.

Meine Botschaft ist, die den Menschen zu spiegeln -da meine ich jetzt auch wirklich jeden Menschen: du hast Würde. Du hast Würde, die dir keiner nehmen kann. Wie gut und schlecht es dir auch immer geht im Moment. Werd dir dessen immer wieder neu bewusst!

 Weitere Infos unter www.ralfknoblauch.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38629
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15OKT2023
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Gerd Humbert Foto: privat

Peter Annweiler trifft Gerd Humbert, Referent für Männerarbeit

Teil 1: was die da machen

Der Mann brennt für seine Arbeit. Das spüre ich sofort, als ich Gerd Humbert besuche. Der Referent für Männerarbeit zeigt mir gleich ein Foto mit lachenden und begeisterten Männern aus seiner letzten Gruppe. 

Das ist für sie ein Ort,.. ein Schutzraum, in dem sie sich zeigen können wie sie sind. In der Gesellschaft gibt’s eher so ein traditionelles Männerbild: wie Karriere, schnell, net zum Arzt, keine Schmerzen und auf keinen Fall Gefühle zeigen – und in diesem Schutzraum konnten die Männer auch grad ihre Gefühle zeigen, sie konnten ihre Verletzungen, ihre Schwächen, ihre Niederlagen zeigen – sie konnten aber auch ihre Erfolge zeigen.

Ich gebe zu: Zuerst denke ich an Klischées der 90er Jahre: Männer lernen Gefühle zeigen. Der bewegte Mann. Schwitzhütte und Lagerfeuer. Männergruppen als Antwort auf die Frauenbewegung. Und irgendwie dachte ich, in der Kirche gäbe es so was gar nicht mehr. Doch Gerd Humbert beweist mir das Gegenteil. Seit 15 Jahren macht der 62jährige Pfälzer Männerarbeit in der evangelischen Kirche. Und sein Feld „brummt“.  Vielleicht gerade durch die Krisen der vergangenen Jahre:  Vier Männergruppen leitet er in Baden und der Pfalz und dazu noch drei Onlinegruppen. Mittlerweile hat er 60 Männer zu Leitern von Männergruppen ausgebildet.

Ich merke, dass die Krisen auch Fragen, Irritationen auslöst und die Männer auch so Schutzräume suchen wo sie auch mal ihre Fragen und Ängste besprechen können ohne gleich immer den Starken spielen zu müssen. Und je mehr Krisen es gibt, desto größer ist das Bedürfnis nach kleinen Gemeinschaften, die sich gegenseitig unterstützen.

Gesellschaftlich nimmt die Sehnsucht nach „starken Männern“ wohl eher wieder zu: Dass da einer mal draufhaut und dann alles wieder gut wäre. Wie wichtig, wenn Männer da anders mit Krisen umgehen lernen

Manche Männer kommen auch vor oder nach einer Krise. So die Hauptthemen sind … gesundheitliche Problematiken, die man als Mann ja hat, so mit Herzinfarkt oder Übergewicht…. das zweite Thema ist so der Druck aus der Arbeit… Und das dritte Thema ist so das ganze Beziehungsthema, mit Partnerin oder Kindern und Alleinleben – alles, was damit zusammenhängt.

Wir Männer reden zu wenig. Über Gesundheit, Schwächen und Beziehungen. Das kenne ich ja auch von mir – und gerade aus der Seelsorge weiß ich, wie wichtig es ist, nicht nur den Gesunden und Starken zu mimen, wenn es innen drin ganz anders aussieht.
Deswegen führt kirchliche Männerarbeit auch zu dem Punkt, wo Schwachheit keine Schande ist. Das ist für mich durch und durch ein biblisches Motiv: Im Durchleben von Schwachheit reifer und stärker zu werden. Gerd Humbert formuliert das so:

In den Männergruppe stärken wir unsere Persönlichkeit und gehen dann raus und übernehmen Verantwortung. Im Nahbereich ist das die Familie, aber auch im politischen Bereich. Wir sorgen net nur für uns selbst, dass es uns noch besser geht als uns eh schon geht. Wir gehen gestärkt raus, um Verantwortung zu übernehmen …im Nah- und Fernbereich – das ist mir ganz wichtig.

Teil 2: wie sich das auswirkt

Gerd Humbert macht Männerarbeit in der evangelischen Kirche. Für den Religionspädagogen und Soziotherapeuten erreichen die traditionellen kirchlichen Formen zu wenige Männer. Deshalb bietet der Pfälzer Männergruppen an – und er scheint der richtige Typ dafür zu sein. Seine sanfte und zugleich kraftvolle Art – irgendwie Kumpel zugleich Leiter – zieht viele Männer an. In seinen Gruppen geht es um eine tragende Gemeinschaft – und weniger um den Einzelkämpfer. Ganz gegen den Trend macht Gerd Humbert überraschende Entdeckungen.

Die Gruppe ist so intensiv, dass man denkt: Was ist denn eben passiert? … Da gibt es so ne Verbundenheit auch bei schweren Themen, wo wir uns … tragen und unterstützen. Das ist für die Männer oft ne spirituelle Erfahrung, wo sie sich fragen: Das war jetzt aber … eine größere Energie … So ne Gruppe ist wie ne kleine Lebensgemeinschaft oder wie ne Gemeinde in der Kirche, die sich über ihr Leben austauscht.

Der echte Austausch und die gegenseitige Unterstützung. Scheint unter Männern so selten, dass es ein spirituelles Erlebnis sein kann. Vielleicht gerade bei denen, die sich selbst als kirchenfern einschätzen. Gar nicht so selten erlebt Gerd Humbert, dass gerade die sagen:

Gerd, sprich doch mal n Gebet. … dass ich dann am Schluss noch ein freies Gebet formuliere und merke dann: Es ist eine große Sehnsucht nach Spiritualität, die ich aber nie missionarisch einbringe, sondern es kommt immer aus der Gruppe.

Der Protestant trägt eher einen „klassischen“ Lebenshintergrund in seine Gruppen: Seit 30 Jahren verheiratet, zwei erwachsene Töchter, keine Trennung. Dennoch kommen ganz unterschiedliche Männer in seine Gruppen: Väter und Kinderlose, Gläubige und Zweifler, Sportler und Unbewegliche. Da geht es um viel mehr als um „Vater, Mutter, Kind.“ Es ist Gerd Humbert wichtig, mir zu versichern:

Wir sind offen auch für … neue Geschlechterthemen. Es sind ein paar schwule Männer dabei. Und wir sind auch offen für Männer, die ne neue Orientierung suchen und finden. Wir stellen uns auch diesen Fragen.

Und so kann ich ihm abschließend die Frage stellen, ohne die keine Sendung keine über Männer enden kann – und die auch zum heutigen „Männersonntag“ in der evangelischen Kirche passt: Wann ist ein Mann ein Mann? - Gerd Humbert:

Ein Mann ist ein Mann, wenn er auf dem Weg ist, wenn er sich weiter entwickelt, wenn er wächst. In der Natur haben wir Wachstum. Da gibt’s manchmal trockene Phasen und feuchte Phasen, wo wir uns weiter entwickeln. Und für mich ist ein Mann ein Mann, wenn er auf den Weg geht und sich weiter entwickelt.

Mehr Infos zu Gerd Humberts Gruppen:
www.maennernetzpfalz.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38587
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08OKT2023
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Tomáš Halík Foto: Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Manuela Pfann trifft den Priester und Soziologen Tomáš Halík

Wie geht es weiter mit der Kirche, vor allem mit der katholischen Kirche? Hat sie überhaupt eine Zukunft? Darüber beraten in Rom gerade Bischöfe, Priester und Laien mit Papst Franziskus. Sie treffen sich in diesem Monat zur sogenannten Weltbischofssynode. Ich habe mich mit dem tschechischen Priester und Soziologen Tomáš Halík getroffen, um ihm genau diese Fragen zu stellen. Denn er ist ein scharfsinnigerer Beobachter - von Kirche und Gesellschaft und von politischen Entwicklungen in Europa. Tomáš Halík sagt ganz klar, dass es schlecht steht um die katholische Kirche.

Die Geschichte der Kirche, das ist nicht nur ein Progress, das ist ein Drama. Aber jede Krise ist auch eine Chance zur Erneuerung. Und die heutige Krise der Kirche, die so tief ist, ist auch eine Herausforderung.

Er redet gar nicht groß drum herum als ich ihn frage, was denn in und mit der Kirche passieren muss.

Ja, alles muss aussterben, und das ist ganz normal. Und das war schon ein paar Mal in der Geschichte der Kirche eine Notwendigkeit für eine große Reform.

Genau davor stehen wir jetzt, sagt er. Vor der großen Reform. Kleine Reparaturen helfen nicht mehr.

Also dieser Skandal mit dem Missbrauch, das war nur ein Aspekt von einer Krankheit des ganzen Systems. Papst Franziskus nennt diesen System Klerikalismus. Klerikalismus ist ein Missbrauch von Macht und Autorität.

Tomáš Halík kennt Papst Franziskus – und er schätzt ihn. Ich möchte von ihm wissen, ob der Papst ein Reformer ist.

Papst Franziskus ist für mich eine mutige prophetische Figur. Er hat, wie der heilige Franziskus, den Ruf Gottes gehört: „Franziskus, geh und erneuere mein Haus“ und auch der Franziskus von Assisi meinte zuerst, er sollte eine kleine Kapelle in Assisi erneuern. Aber dann hat er begriffen, dass seine Aufgabe ist, die ganze römische Kirche zu erneuern.

Ob der Papst das wirklich schaffen kann? Ich bin skeptisch. Was denkt Tomáš Halík über die Weltbischofssynode, die ja in dieser Woche in Rom begonnen hat. Kann die ein Teil der großen Reform werden?

Eine synodale Kirche, das ist die Kirche für die reife Epoche der Kirchengeschichte. Synodalität, das ist ein gemeinsamer Weg. Und wir brauchen die Kirche als eine Reisegesellschaft, eine communio viatorum. Wir sind alle unterwegs und wir brauchen die anderen, uns bereichern mit ihren Visionen, Erfahrungen usw.

Ich spreche mit dem katholischen Priester und Soziologen Tomáš Halík. Er beobachtet die Entwicklung der Kirche ganz genau. Dabei fällt mir etwas positiv auf: Ich habe nicht den Eindruck, dass er versucht, die katholische Kirche zu schützen, irgendetwas zu beschönigen oder zu rechtfertigen. Vielleicht liegt es daran, dass seine Ausbildung zum Priester unter besonderen Umständen geschehen ist. Tomáš Halík hat heimlich in Prag Theologie studiert und war Priester der sogenannten Untergrundkirche. Das war zu Zeiten des Kalten Krieges. Wer da in den Ostblock-Staaten mit der Kirche zu tun hatte, der wurde verfolgt. Er selbst sieht diese Umstände heute positiv:

Gott sei Dank, ich war nie im Priesterseminar. Ich meine, viele junge Kandidaten waren in Priesterseminaren zur Gehorsamkeit im Sinne von einem Konformismus.

Und noch etwas hat ihn immer von einem „normalen“ Priester unterschieden. Weil er eben nicht offiziell als Priester arbeiten durfte, brauchte Tomáš Halík einen zweiten Beruf, um Geld zu verdienen.

Ich hatte immer meinen Zivilberuf. Ich war immer in der Gesellschaft, auch von Nichtgläubigen oder Suchenden. Also, ich kenne die Sprache des Menschen außerhalb der Kirche, ich kenne ihre Probleme.

Und er weiß, wovon er spricht. Als Psychotherapeut hat er unter anderem mit Drogensüchtigen gearbeitet.

Mittlerweile ist Tomáš Halík 75 Jahre alt. Er lebt einen sehr politisch engagierten Glauben. Geprägt haben ihn da sicher die Jahre des politischen Umbruchs in seiner Heimat.

Mein Glaube ist eine Einladung zum reflektierten Glauben. Glaube kann die kritischen Fragen integrieren, viele offene Fragen, viele Paradoxe ertragen. Also Glauben ohne Denken und kritisches Denken ist sehr oberflächlich. Aber Glaube ohne Zweifel kann zum Fundamentalismus oder Bigotterie führen.

So ein Glaube braucht aber mehr denn je eine Kirche, in der offenes und kritisches Denken möglich ist. Für Tomáš Halík ist klar, wie eine künftige Kirche aussehen muss:

Die Kirche von morgen muss eine wirklich ökumenische Kirche im weiteren und tieferen Sinne des Wortes sein. Eine Gemeinschaft mit den nicht-katholischen Kirchen, aber auch mit vielen Suchenden in unserer Welt.

Zum Abschluss unseres Gesprächs fasst er seine aktuelle Sicht auf die Lage der katholischen Kirche nochmals mit einem eindrücklichen Bild zusammen.

Also, die synodale Reform der Kirche besteht nicht nur in Änderung von den äußeren Strukturen. Das wäre nur Verschiebung von Liegen auf der Titanic. Also wir müssen neue Formen suchen, die sind flexibel, und die können auch helfen, die Identität des Glaubens neu entdecken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38540
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01OKT2023
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Wolf-Dieter Steinmann trifft Landesbischöfin Dr. Heike Springhart zu Erntedank. Ernte und Dank sind ganz „weite Felder“, für sie. Und bringen zum Denken und Handeln.

Ernte: danken und handeln

Ernte-Dank. Wird heute in vielen Gemeinden gefeiert. Im Gespräch mit der badischen Landesbischöfin Heike Springhart spür ich, was da alles drin steckt in „Ernte und Dank“. Ernte auf dem Feld oder Weinlese erlebt sie wie die meisten von uns nicht unmittelbar. Aber sie war dieses Jahr zu Fuß unterwegs auf dem Land. Hat Menschen zugehört, was sie bewegt.

Da waren etliche Landwirte dabei, die konnten zum Teil auch nur zeitweise dabei sein, weil sie gerade in der Ernte waren. Das hat mich schon beeindruckt, vor allen Dingen eine Familie, wo die - vielleicht war die 16 -  Tochter dann auch dabei war und erzählte, dass sie natürlich auch dann in die Landwirtschaft geht und warum sie das faszinierend findet.

Ich arbeite nicht mehr auf dem Feld für die Ernte, ich kaufe Lebensmittel. Für Menschen in der Stadt nimmt Erntedank Umwege. Zb. wenn im Gottesdienst Kita-Kinder Lebensmittel zum Altar bringen.

Im großstädtischen Bereich finde ich gut, wenn eher der Fokus darauf ist: die Lebensmittel, die wir haben, sind nicht selbstverständlich und das dann eine Gelegenheit ist, Spenden zusammenzutragen, die dann wiederum weitergegeben werden an Menschen, die es brauchen.

Gut, wenn „Ernte“ dankbar macht. Wie Heike Springhart bei einer Hochzeit. Sie hat gefeiert mit Menschen aus der akademischen Welt. Das war ihre, bevor sie Bischöfin wurde. Da wuchsen keine Früchte auf dem Feld, aber so was wie Ernte hat sie auch empfunden.

Da war ich einfach nochmal sehr dankbar dafür, was ich da an Früchten ernten konnte. Ja, und zu sagen, Die sind jetzt in meinem Korb und mit dem Korb gehe ich jetzt weiter. Also ich habe das Gefühl, dass ich lange Jahre in meinem Leben gesät und gehegt und gepflegt und gezogen hab und gegossen und so das Gefühl an manchen Stellen ist jetzt auch Ernte. Das sind so Momente, die mich wirklich auch einfach tief dankbar machen, weil sie berühren, mich erheben und uns zusammenschweißen.

Ernte. Dank. Was für ein weites Feld tut sich da auf: Eigentlich alles, wovon wir leben. Heike Springhart macht mir klar. Ernte-Dank: da geht es ums Ganze. Und wie man sich in die Welt einlebt. In die Schöpfung.

Wir sind in einer Welt, die Schöpfung ist, zu der wir auch gehören. Die Schöpfung ist nicht nur das andere. Dafür dankbar zu sein, dass uns das geschenkt ist und gleichzeitig damit zu verbinden: lass uns bewusst machen, wir haben dafür auch eine Verantwortung.

Im Wort „Schöpfung“ da steckt beides drin: Die Welt ist Umwelt und Mitwelt. Ich bin ein Teil davon. Und ich bin auch verantwortlich dafür. Weil wir Menschen so viel Macht darüber haben.
Heike Springhart spürt „Schöpfung“ besonders zB. am Meer: sie, umgeben von Wind, Wellen, weitem Himmel. Oder auch:

Wenn ich so die Fülle des Lebens spür. Wo man einfach lebt oder feiert, aus sich selber raus und mit anderen und nicht sich die Welt erdenkt und sie behandelt und bespricht, sondern sie unmittelbar erlebt.

Erntedank bedeutet für Heike Springhart auch für die Schöpfung sorgen. Ohne sie retten zu wollen. Heike Springhart mag den Tag heute: „Ernte-Dank“. Und die badische Landesbischöfin dankt ganz weit. Für die Schöpfung. Weil das Gute nicht selbstverständlich ist. Und vieles ist auch nicht gut, was Menschen der Schöpfung zumuten. Und die Natur den Menschen. Was haben wir dieses Jahr nicht schon für Bilder gesehen. Ich mag oft nicht mehr hingucken. Heike Springhart weiß, Bilder können fatalistisch machen. Ihr ist wichtig, wie man da positiv sein kann.

Diese Schreckensszenarien vor Augen halten, das motiviert nicht. Ich bin sehr geprägt davon, dass mein Vater uns immer weitergegeben hat. Ihr müsst positiv denken, danach fragen, was kann daraus Positives werden. Wenn ich eine positive Motivation habe, dann kann ich auch sehr radikale Änderungen angehen.

‚Radikal‘, ja. Ich merk bei mir, beim Sorgenmachen um die Schöpfung, da bin ich radikal. Nicht so radikal bin ich, mein Verhalten zu verändern. Man guckt auf die anderen und denkt: ‚Was nützt mein Mini-Beitrag, wenn andere Länder scheinbar weitermachen wie immer.‘ Aus christlicher Sicht ist es ihr darum ganz wichtig, zwei Dinge zusammenzuhalten.

Dass wir nicht die Retter der Welt sind und auch nicht sein müssen. Ich kann als Christin auch nicht davon ausgehen, dass diese Welt zerstört wird. Weil uns zugesagt ist, dass Gott sie erhält als der Schöpfer dieser Welt.
Das heißt aber für mich jetzt nicht, die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen, dann ist auch grade egal.
Und das ist, glaube ich, ein bisschen die Gefahr, dass manche irgendwie zu sagen, Na ja. Also wieviel ändert sich denn wirklich, wenn ich jetzt was ändere?

Sie ist überzeugt: gegen solche Erschöpfung hilft kein „Du musst“. Und auch nicht Menschen zu beschämen, zB. wenn sie fliegen. Sie setzt darauf: wir können grundlegend verantwortlich handeln. Aber sollten nicht meinen, wir könnten unseres Glückes Schmied sein und Weltretter. Sie setzt auf Dankbarkeit.

Wir verdanken uns dem Schöpfungshandeln Gottes. Aber wir verdanken uns eben auch den anderen, die, die vor uns waren, uns Wege geebnet haben, die uns hier und heute helfen, nicht zu verzweifeln; Freunde, Familie. Kirchengemeinden können so Orte geteilter Dankbarkeit sein. Es ist ein bisschen gegen diese Krisenstimmung, die im Moment sehr prägend ist. Dankbarkeit führt eigentlich auch zu einer Haltung von Demut.

Ich wünsche mir das für unsere Welt und unsere Gesellschaft und auch für unsere Kirche, dass wir den Blick nicht verlieren für das, was gelingt. Was Menschen miteinander teilen und welchen Mut sie haben, sich einander und Gott zu öffnen.

Heike Springhart hofft, dass wir so die Probleme gründlich anpacken, sozial- und klimagerecht. Ohne Hass und Verzweiflung. Der Hoffnung traut sie enorm viel zu. Dass sie Schwungkraft gibt. Und was frischt ihre Hoffnung auf?

Diese Welt, wie sie ist, ist nicht das letzte, Wir sind nicht die letzte Generation. Uns ist das Reich Gottes verheißen. Und das kommt noch. 
Mich lässt auch hoffen, dass ich nicht alles erledigen muss, sondern ich habe hier eine bestimmte Zeitspanne.
Was mir ganz konkret Hoffnung vermittelt, ist, wenn andere mir die Fensterchen dafür aufmachen, wo ich sie nicht habe.

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24SEP2023
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Matthias Orth Foto: Privat.

… und mit Matthias Orth. Fünfzehn Jahre Knast, acht Jahre Bundeswehr und nun bei der Polizei. So könnte man den beruflichen Werdegang von Matthias Orth knapp beschreiben. Der 62-Jährige ist Pastoralreferent im Bistum Speyer und seit vielen Jahren als Seelsorger in Bereichen tätig, die man vielleicht nicht sofort mit Kirche in Verbindung bringt. Aber wieso gibt es das überhaupt? Seelsorge bei der Polizei. 

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat man diese Polizeiseelsorge aus der Taufe gehoben. Und eines der Hauptargumente war damals und ist auch heute noch: das Gewaltmonopol liegt bei dieser Personengruppe und ein verantwortungsvolles Umgehen damit bedeutet natürlich auch, dass es Werte geben muss. Wir brauchen an der Stelle die Unterstützung der beiden Kirchen, auch eine Seelsorge, Einzelseelsorge oder eine Nachsorge. Das war damals auch schon im Blick.

Ein Angebot, das für alle Polizistinnen und Polizisten da ist, ob sie nun gläubig sind oder nicht.

Nun ist Gewalt ja ein heikles Thema. Vor allem, wenn sie von Polizisten ausgeübt wird, weil die Recht und Gesetz mitunter eben auch durchsetzen müssen.

Ein wichtiges Stichwort: Verhältnismäßigkeit. Die Frage: wann gehe ich zu welchem Mittel über? Das ist ja ein fließender Prozess. Kann ich ruhig bleiben in der Situation oder fällt mir das eher schwer? Und dann muss ich vielleicht auch an mir arbeiten, an mir persönlich.

Und wenn es doch brenzlig wird? Bei Hochrisikospielen der Bundesliga etwa, oder bei Demos?

Also wir gehen ja auch zu Einsätzen. Einsätze, die von vornherein Gewaltpotenzial vermuten lassen, wo Polizisten in schwierige Situationen kommen können. Da werden wir gefragt. Ich habe immer den Eindruck gehabt: Da wird sehr wohl überlegt, welche Schritte gegangen werden. Also es wird wirklich probiert, schon im Vorfeld mögliche Situationen zu erfassen und runter zu kochen.

Und dennoch kann auch bei einem scheinbar alltäglichen Einsatz eine Situation urplötzlich eskalieren. Im Extremfall sogar die Schusswaffe zum Einsatz kommen. Anders als in manchen Krimis übrigens ein sehr belastendes Erlebnis, auch für die Beamtinnen und Beamten.

In Rheinland-Pfalz gibt‘s ein Kriseninterventionsteam der Polizei. Da arbeiten wir Seelsorger mit. Und wenn der Schusswaffengebrauch mal passiert ist, dann sind die Seelsorger zum Beispiel die einzigen, die Aussageverweigerungsrecht vor Gericht haben, und von daher ist dann ein Gespräch mit dem Schützen oder der Schützin unter vier Augen immer auch das angezeigte Mittel. 

Dass sich die Arbeit der Polizei verändert, das bekommt auch er mit. Polizeiliche Maßnahmen werden nicht nur immer öfter in Frage gestellt, die Leute reagieren inzwischen auch schneller aggressiv.

Die Erfahrung von vielen erfahrenen Polizisten geht schon in die Richtung, dass viele Konflikte schneller eskalieren. Und auch wenn jetzt größere Gruppen zusammen sind, man schneller auch noch mal nochmal Verstärkung hinzuzieht, weil man nicht genau weiß, wie manche Situationen sich entwickeln.

Doch auch wenn man noch so sehr auf Sicherheit achtet. Manchmal passiert einfach Unfassbares. So wie in jener Nacht im Januar 2022.

Wir haben in Kusel leider diese Situation gehabt, die dann zu dem schrecklichen Mord an den beiden geführt haben. Eine ganz normale Regelkontrolle, nichts Außergewöhnliches. Aber die Situation hat sich ja so entwickelt, wie niemand die erwartet hat und leider dann zum Tod von einem Polizisten und einer Polizistin geführt.

Eine Situation, in der natürlich auch die Polizeiseelsorge gefordert war. Matthias Orth unterrichtet auch an der Hochschule der Polizei auf dem Hahn im Hunsrück und einige der angehenden Polizist:innen dort haben die beiden jungen Beamten persönlich gekannt.

Viele haben ein neues Bild natürlich für sich auch selber entworfen, das so ein bisschen von dieser heilen Welt - Polizei und Polizeifamilie - natürlich abweicht. Also, es kann was passieren. Es kann mir was passieren und im schlimmsten Fall kann mir das das Leben kosten. Und da ist noch mal bewusst geworden, was das für ein Einsatz ist, auch für unsere Gesellschaft.

Haben die jungen Leute denn Zweifel bekommen an ihrer Berufswahl?

Das war auch Anspruch von uns Seelsorge, zu sagen: Nix beschönigen. Es bringt überhaupt nix, an der Stelle irgendwas schönzureden, sondern die Realität in den Blick zu nehmen und zu sagen: Leute, ihr habt euch diesen Beruf jetzt ausgewählt mit großem Idealismus, jetzt müsst ihr vielleicht noch ein zweites Mal euch entscheiden, dabei zu bleiben. Und bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen sind die dabeigeblieben.   

Am Ende möchte ich von ihm wissen, welche Rolle denn Gott für ihn in seiner Arbeit spielt.

Wenn ich in den Einsatz fahre, mache ich das häufig. Ich schnauf noch mal durch, gehe in den Einsatz und sage nach dem Einsatz: Ich habe das getan, was ich konnte. Den Rest musst du erledigen. Und ohne dieses Vertrauen - wenn ich das sehe, wie viel Leid und wie viel Konflikte und wie viel Probleme in diesem Feld da mir begegnen - da könnte ich ja nur verzweifeln. Ich bringe mich ein mit meinen Möglichkeiten, mit meinen Erfahrungen. Aber den Rest muss ER machen.

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17SEP2023
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Steffen Kern

Ich bin mit meinem Kollegen Steffen Kern zu einem Online-Gespräch am Bildschirm des Computers verabredet, denn ich möchte von ihm wissen, was es mit dem Titel seines neuen Buches auf sich hat, das gerade erschienen ist: „Hoffnungsmensch“. Wie kommt er auf dieses Thema?

Das Buch ist bei mir in den letzten Jahren gereift (…) Wenn ich an Leiderfahrung denke, auch in der Familie, schwere Krankheiten, die ich im engeren Kreis miterlebt habe. Die Frage, was gibt einem Menschen eigentlich Hoffnung.

Dazu kommen die Krisen unserer Zeit: Krieg, Inflation, Umweltzerstörung. Junge Menschen sprechen von sich selbst als der „letzten Generation“, meint Steffen Kern. Hoffnung zu haben ist also nicht mehr selbstverständlich. Und das meint nicht nur er.

Herbert Grönemeyer hat in seinem neuen Album – ich bin ein bisschen Grönemeyer-Fan – als seinen ersten Satz (…) „Hoffnung ist gerade schwer zu finden. Ich suche sie.“ Und genau das empfinde ich auch.

Aber sie ist zu finden, sagt Steffen Kern. Man kann sie zu spüren bekommen, wenn man „Hoffnungsmenschen“ begegnet. Von denen erzählt er in seinem Buch. Zum Beispiel von Wilbirg Rossrucker, die mit Anfang 50 ihren Beruf aufgegeben hat, nach Stuttgart ins Rotlichtviertel gezogen ist und dort das „Hoffnungshaus“, eine Anlaufstelle für Prostituierte leitet.

Warum macht jemand das? Wieso nimmt sie so etwas auf sich und geht in eine Arbeit, in einen Stadtbezirk, wo es wirklich wenig Hoffnungsvolles gib? (...) Sie geht aber da rein und stellt sich dem und ist für die Frauen da und erlebt sehr viel Schlimmes, Schreckliches und auch Frustrierendes und trotzdem auch wertvolle Begegnungen. Sie kann Menschen helfen, so ein Stück weit durch ihren Tag zu kommen.

Ein Beispiel für einen Menschen, für den Hoffnung eine Lebenshaltung, eine Herzenshaltung ist – und nicht einfach ein fest formulierter christlicher Glaubenssatz. Eine Herzenshaltung, die sich traut, Altes hinter sich zu lassen. Gerade das, was scheinbar nicht zu ändern ist.

 (…) Ich find’s persönlich wichtig, dass wir als einzelne Menschen sagen: Hey, Heute fang ich was Neues an. Vielleicht was ganz Neues. Wer legt mich denn fest auf das, was war? Ich kann doch neu beginnen. Und das kann man mit Mitte 50, mit Mitte 60 sagen, das kannst du mit Anfang 20 sagen. 

Das kann man von Hoffnungsmenschen lernen, sagt Steffen Kern. Fürs persönliche Leben. Das kann aber auch die Kirche, die Institution Kirche lernen.
Mit „Kirche“ kennt er sich bestens aus – und mit ihren Nöten, den rückläufigen Mitgliederzahlen, dem nötigen Strukturwandel usw. Aber davon sollte sich die Kirche nicht lähmen lassen, findet Steffen Kern. Lieber sich inspirieren lassen von Hoffungsmenschen und ihrer Herzenshaltung. 

Wir sind nicht festgelegt auf die letzten Jahrhunderte. Wir sind nicht gebunden an unsere Privilegien und auch nicht an unsere institutionelle Stärke, sondern wir können eine Hoffnungsgemeinschaft sein, die heute neu beginnt. Kirche mit leichtem Gepäck.

Und die dann vielleicht auch nicht so schwer und sorgenvoll daher kommt, sondern der man lebendige Hoffnung abspüren kann. Steffen Kern lässt Hoffnungsmenschen zu Wort kommen: in seinem Buch und auch in seinem neuen Podcast „Hoffnungsmensch“. Zu Gast sein werden z.B. Kira Geiß, die amtierende Miss Germany oder auch der württembergischen Landesbischof Gohl. Ihre Hoffnungsquelle ist ihr christlicher Glaube. Und deshalb findet Steffen Kern es auch so passend, dass das hebräische Wort der Bibel für „hoffen“ noch eine weitere Bedeutung hat:

Das hebräische Wort für Hoffen ist ja kiwa. Und Kiwa bedeutet ja zugleich: ein Seil spannen – eine Schnur spannen. Und für mich ist das ein Bild für Hoffnung, dass sehr, sehr anschaulich ist, Das eine Ende der Schnur, das ist bei mir, das ist da, wo ich bin. Wo ich stehe, wo ich lebe, mit meinen Empfindungen und wie es mir gerade geht. Und das andere, das ist dort, worauf ich hinlebe, das ist in der Zukunft, was uns versprochen ist, das ist so ein Bild für Hoffnung.

Hoffnung, die will Steffen Kern spürbar werden lassen. Aber nicht als einen festen christlichen Glaubenssatz. Für ihn ist Hoffnung eine Haltung des Herzens.

Jedem Anfang wohnt ein Glaube inne. Frei nach Hermann Hesse, der ja bekanntlich gedichtet hat: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und mir geht es um diese Anfangshaltung, diesen Anfängerglauben zu vermitteln. Und ich glaube tatsächlich, dass jedem Neustart jeder Haltung, Neues anzufangen, ein gewisses Grundvertrauen innewohnt. Ein Glaube, dass es gut gehen kann, dass wir begleitet sind, dass es einen Gott gibt, der mit uns geht und der Gelingen schenkt.

 

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10SEP2023
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Ingo Zamperoni Copyright: Jennifer Fey

Mr. Tagesthemen und Halbitaliener Ingo Zamperoni, der in Wiesbaden aufgewachsen ist, aber auch Wurzeln in Venetien hat, ist zu einer ganz persönlichen Reise zu Familie und Freunden nach Italien aufgebrochen. Am 18. September ist das Ergebnis in der ARD zu sehen. „Mein Italien unter Meloni“ heißt die Reportage. Der Anlass: Die italienische Regierungschefin Georgia Meloni:

Zum ersten Mal auch eine Frau aus einer Partei mit postfaschistischen Wurzeln, da waren viele Fragen: Italien als Gründungsmitglied der EU und auch ein ganz wichtiger Pfeiler Europas – was passiert da?  Und welche Auswirkungen hat das auf das Land, das uns Deutschen ja so nah ist: Sehnsuchtsland, Lieblingsurlaubsland für viele. Aber eben auch für Europa an sich- da waren ja sehr, sehr schrille, sehr schroffe, krasse antieuropäische Töne vor der Wahl, aber auch eben mit Blick auf die große Thematik Migration, Ein- und Auswanderung.

Dazu hat der Journalist auf Sizilien auch Giovanna di Benedetto besucht, eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation „Save the children“, die die Abschottungspolitik von Georgia Meloni, aber auch von Europa insgesamt, kritisch sieht:

Giovanna sagt eben halt auch oder stellte die Frage zurecht: Hat diese Politik der Abschottung etwas gebracht? Nein! Die Leute sind trotzdem gekommen und zwar sogar mehr als noch in den vergangenen Jahren, also seit Meloni an der Macht ist, kommen sogar mehr. Das heißt: Die schreckt nicht ab, diese Politik. Und da gibt es diesen Satz, den ich immer wieder gehört hab: Man kann die Mauer 10 Meter hoch machen, die Leute werden nach elf Metern hohen Leitern suchen – weil die Fluchtursachen einfach so gravierend sind, vor denen sie flüchten: vor Krieg, vor Gewalt, vor absoluter Perspektivlosigkeit und zunehmend auch vor Klimawandel.

Den dreifachen Familienvater Ingo Zamperoni bewegt besonders, dass ungefähr 10 % der ankommenden Menschen unbegleitete Minderjährige sind: Teenager, die allein unterwegs sind oder Kinder, die auf der Flucht ihre Familien verloren haben:

Auch sehr bewegend den jungen Mann, den wir da getroffen haben. Der ist mit fünf Menschen aufgebrochen, mit vier anderen aus seinem Alter, und er ist der Einzige, der es geschafft hat nach Italien.

Einfache Lösungen gibt es nicht. Weggucken ist für den Anchorman der Tagesthemen aber auch keine Lösung:

Ich zeig es ja nicht zum Selbstzweck, sondern einfach, um auch zu zeigen: So ist die Realität. Und natürlich zeigt es einmal mehr wieder, mit was für einem großen Glück wir hier in Deutschland und in Europa gesegnet sind und dass wir in der Geburtslotterie den großen Sechser mit Superzahl gezogen haben, bei allen Problemen, die jeder einzelne im Alltag so hat. Und deswegen sollte man auch zumindest mit einem gewissen Respekt und nicht mit einer abweisenden Haltung eingehen auf diese Realität.  

Denn es sind eben ganz reale Menschen. Zamperoni ist es wichtig zu zeigen, welche Menschen da kommen, weil das große Narrativ auf der Rechten ist, da kommen ja nur die gewalttätigen Verbrecher, die Drogenschmuggler, die Menschenschmuggler und die bringen die ganze Kriminalität hier her, - und so ist es ja nicht. Natürlich kann es sein, dass da auch gewalttätige Menschen oder Kriminelle oder vor allem auch Drogenschmuggel dadabei sind, aber die allermeisten suchen eine Chance - eine Überlebenschance.                                                        

Ich spreche mit Ingo Zamperoni. Seine italienisch-katholischen Wurzeln prägen den 49-Jährigen bis heute. Bei der Erstkommunion seiner Kinder engagierte er sich als Katechet in der Pfarrei in Hamburg, wo der „Tagesthemen“-Moderator nun lebt. Er findet, dass die katholische Kirche dringend Reformen einleiten muss – Stichwort Frauenfrage oder Machtmissbrauch – und gleichzeitig bezeichnet er sie in unserer Begegnung als einen wichtigen Ort, an dem Menschen Halt finden, und auch als seine Heimat. Was ist ihm an der christlichen Botschaft besonders wichtig? 

Ich glaube, der elementare Gedanke ist eben dieser Aspekt der Nächstenliebe. Erstmal den anderen als Menschen wahrzunehmen und nicht als Gegner, als Feind, als Konkurrent und eben zu gucken, wie wir Gemeinschaft leben können.                                  

Ingo Zamperoni findet: die Kirche kann und sollte auch heute einen wichtigen Input in die Gesellschaft geben, weil viele ihrer Themen den Alltag der Menschen betreffen: Sinnfragen und Seelsorge, aber auch Fragen rund um Armut, Obdachlosigkeit und Umweltschutz:

Wenn wir um Erhalt der Schöpfung diskutieren: wir haben eine Verantwortung, ich glaube wir sind in gewisser Weise Gast auf Erden, wir haben eine gewisse, gegebene Zeit. Und das macht das Leben so wertvoll und so kostbar. Und der Umgang auch eben mit diesem Planeten - da spielt, glaube ich, die Religion auch eine wichtige Rolle!                                                      

Am Ende jeder „Tagesthemen“-Sendung sagt Ingo Zamperoni: „Bleiben Sie zuversichtlich!“ Nach all den Meldungen von Krieg und Klimakrise für mich ein ganz wichtiger Satz. Erstmals sagte der Moderator ihn zu Beginn der Pandemie und traf damit auch bei mir einen Nerv:

Und dann, so in Woche vier oder fünf des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020, hatte ich den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble zum Gespräch. Gerade in den Anfangswochen war viel Solidarität, und dann sagte Schäuble sowas wie: Vielleicht werden wir zurückblicken auf diese Zeit, als etwas wo wir doch auch ein bisschen zusammengewachsen sind, wo ein neuer Geist auch war, und dass wir da zuversichtlich auch bleiben sollten und da dachte ich: Ach, guck mal - genau den Gedanken hatte ich die letzten Tage doch auch! Und vielleicht gebe ich da sowas mit: Bleibt doch zuversichtlich!

Die Pandemie ist vorbei, aber Gründe für Zuversicht gibt es immer noch genug, findet Zamperoni:

Ich hatte gerade noch einen Brief in der Zuschauerpost, der sagte: ich hatte eine schwere Operation vor mir und hatte eine schwierige Zeit und dann hab ich an Ihren Satz gedacht und das hat mir geholfen, und das hat mir die Kraft gegeben durch diese Operation zu gehen, und dann ist es auch gut ausgegangen, vielen Dank dafür.  

Danken - das will auch Ingo Zamperoni, der weiß, dass vieles im Leben nicht selbstverständlich ist. Beten heißt für ihn deshalb: immer wieder „Danke“ sagen!

Dass tatsächlich manche Dinge einfach zu entscheidend waren, dass es nicht einfach nur ein dummer Zufall gewesen sein kann, und deswegen glaube ich, dass da schon dieser Gedanke der Dankbarkeit einem selber auch hilft. Das ist dann so wie ein Dankesgebet, wie so ein Stoßgebet. Das hilft einem selber auch so eine gewisse Demut zu entwickeln, dass man nichts für selbstverständlich betrachtet und als gegeben und auch einen gewissen Anspruch auch hat, so nach dem Motto „Aber das ist doch jetzt mein Recht“ und „Das muss doch so sein“, sondern dass man selbst die kleinen Geschenke und Begebenheiten des Alltags eben auch als nicht so selbstverständlich erachtet. Und darüber sollte man sich freuen und vielleicht ist das dann auch ein Quell der Freude.

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