SWR1 Begegnungen

01NOV2023
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Johannes Wimmer Foto: Aempathy

Christopher Hoffmann trifft: Johannes Wimmer, Fernseharzt, Moderator, Buchautor

Dr. Johannes Wimmer ist Fernseharzt, Moderator und Autor des Buches „Wenn die Faust des Universums zuschlägt“.* Darin teilt der Vater von vier Kindern seine Erfahrungen aus einer schweren Zeit: Vor drei Jahren starb seine Tochter Maximilia mit nur neun Monaten an einem unheilbaren Hirntumor. Im Moment der Diagnose, da wollte er nur eins:

Jeden Weg gehen, um das Kind vor Schaden zu bewahren, ich würde mein Leben eher geben als das des Kindes und diese Hilflosigkeit, dass das nicht geht, das ist eine sehr bittere Erkenntnis. Gerade als Mediziner, ich habe ja nun schon viele Jahre auch in der Not-Aufnahme gearbeitet, Leben gerettet, Leben verloren und dann selber zu merken: Du kannst nichts tun, das ist als würde ein Feuerwehrmann nach Hause fahren und schon am Horizont sehen, dass es brennt und er weiß sofort: Das ist mein Haus. Und er steht da und hat kein Wasser.

Für den 40-Jährigen war es nicht die erste Begegnung mit dem Tod in der eigenen Familie: Als er vier Jahre alt ist, stirbt sein Vater an einem Herzinfarkt: 

Also ich habe ja mein ganzes Leben eigentlich darauf hingearbeitet diese Hilfslosigkeit, die ich kurz vor meinem 5. Geburtstag erlebt hab, als mein Vater vor meinen Augen zu Hause verstorben ist, nicht nochmal spüren zu müssen. Hab mich sehr unabhängig gemacht, hab Medizin studiert, wie so eine Superkraft oder eine Rüstung, die ich mir anlegen kann. Dieser Schmerz als Kind, den so früh zu erleben, der ist so groß und so lebensdefinierend, dass man sich nicht vorstellen kann, dass es einen schwereren Schmerz gibt. Und das gibt’s. Und das ist, wenn sich´s umdreht.

Das eigene Kind beerdigen - das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Trotzdem sitzt mir bei unserer Begegnung ein Johannes Wimmer gegenüber, der Humor hat, der gestalten will, der nicht am Tod seiner Tochter zerbrochen ist. Auch, weil er sich Zeit genommen hat, um zu trauern und mit anderen über seinen Schmerz zu reden:

Das ist dieses Annehmen. Es gibt genug Menschen, weil sie auch niemand zum Reden haben, niemand zum Verarbeiten, die schieben das immer vor sich her und sind nach zwei Jahren – ich merk das, so schreiben mir auch Leute auf Instagram usw., als wäre die Person gestern gestorben. Weil sie verharren in diesem Zustand.

Und deshalb teilt er in dem Buch, was er erfahren hat – viele Mütter, aber auch Väter melden sich bei ihm, die ähnliches erleben mussten:

Es hilft dem Gegenüber und es hilft auch oft mir. Dafür sind Menschen da – Menschen brauchen Menschen, und wenn wir nicht miteinander reden, das passiert immer mehr, dann rutschen wir in eine Einsamkeit, und Einsamkeit ist sogar medizinisch nachweislich nicht gut – wir brauchen uns.

Trauern muss aus der Tabuzone raus, findet Johannes Wimmer:

Trauern heißt ja nicht, mit einer Kiste Taschentüchern komplett verheult im abgedunkelten Zimmer in ner Ecke zu sitzen – das sind so Klischees, jeder Mensch trauert anders. Ich bin davon überzeugt: Trauer ist so negativ behaftet – Trauer ist aber eigentlich ja die Arbeit und das Auseinandersetzen und der Prozess aus dem Schmerz herauszukommen und dafür zu sorgen, dass der Schmerz nicht zu Leid wird.

Ganz wichtig: hier sollte das Umfeld auch nie urteilen. Johannes Wimmer ist nach Maximilias Tod mit ganz sensiblen Sensoren unterwegs. Schon kleine Gesten und gute Worte haben ihm geholfen. Er glaubt: Jede und jeder kann mit Empathie und offenen Ohren unterstützen:

Dann hilft es schon sehr, wenn jemand fragt, nicht nur „Wie geht es dir?“, sondern sich auch die Zeit nimmt das anzuhören und diese Last auch zu einem gewissen Teil mitzutragen.

Ich treffe den Fernseharzt Johannes Wimmer in seiner Heimatstadt Hamburg. Hier in seinem Studio in Altona produziert er Gesundheitsvideos für die sozialen Netzwerke. Auch in Heidelberg hat er schon gedreht: Gemeinsam mit dem Kindertumorzentrum. Vor drei Jahren ist seine eigene Tochter an Krebs gestorben. Wie haben Verwandte, Freunde, Nachbarn ihm in dieser Zeit geholfen?

Das Schlimmste ist der Satz „Meld dich, wenn ich irgendwas tun kann“. Helfen tut, wenn jemand sagt: Ich kann mir vorstellen, dass euer Kühlschrank leer ist – soll ich euch mal was einkaufen? Wie sieht es denn bei euch zu Hause aus, soll ich mal durchputzen? Kann ich die Kinder zum Fußballtraining fahren? Also ganz konkret anbieten.

Ganz konkret – das ist auch die Hilfe einer Seelsorgerin. Pfarrerin Susanne Zingel ist in den schlimmsten Stunden für die Familie da, tauft die Tochter vor einer Not-OP auf den Namen Maximilia, hält die Situation mit aus. Für Johannes Wimmer, katholisch, und seine evangelische Frau Clara eine echte Stütze:

Also Susanne Zingel ist eine begnadete Seelsorgerin, sehr belesen, witzig, eine gute Rednerin, also ein Mensch, wo ich wirklich eine große Dankbarkeit verspüre, dass ich sie überhaupt kennen darf, ihre Predigten hören darf. Und dass sie in den Momenten für uns auch da war und in der Gluthitze sich in den Zug gesetzt hat, um uns beizustehen. Und das auch mit einer gewissen Religiosität zu tun hat und einem Glauben.

Der Glaube – sehr vorsichtig wird der sonst so wortgewandte Johannes Wimmer, als wir über ihn sprechen. Als Kind hat er seinen Vater und als Vater hat er sein Kind verloren. Er kennt auch die Wut gegenüber Gott. In unserem Gespräch nennt er das Leben immer wieder ein Geschenk. Vor der Not-OP flüstert Johannes Wimmer seiner Tochter ins Ohr: „Du darfst gehen. Grüß meinen Papa von mir.“ Sein Glaube hat viel mit dem zu tun, was er an Mitmenschlichkeit in seinem Leben erfahren hat. Und er glaubt, dass sich darin auch etwas Göttliches zeigt: 

Der Glaube besteht für mich aus dem, was zwischen Menschen passiert und Susanne Zingel hat das so schön gesagt: Wenn zwei Menschen im Raum sind, sind das ja nicht nur X-Liter Wasser, bisschen Calcium und noch ein bisschen Collagen, sondern da passiert ja was und da sagt sie zum Beispiel „Das kann man als Heiligen Geist beschreiben“. Da passiert irgendwie mehr. Das ist ja auch das, was uns abhebt von dem Rest der Natur. Das Bezaubernde an uns Menschen ist und ich würde auch sagen, das, was dem Göttlichen am nächsten kommt, ist das Miteinander.

Ein wunderschöner Gedanke, finde ich. Das passt auch dazu, wie er seine Berufung als Mediziner versteht: nicht nur mit Fachwissen, sondern auch menschlich für den Patienten da zu sein. Und sei es digital in Videos, die teilweise millionenfach geklickt werden. Der Hanseat ist eine ehrliche Haut und lässt auf seinen Kanälen auch das Schwere nicht außen vor, weil es zum Leben dazugehört:

Und wenn man versucht – merkt man heute in den sozialen Medien – nur das Positive darzustellen, tut man sich selbst keinen Gefallen und anderen Menschen schon gar nicht.

Ich glaube: Einen großen Gefallen tut Johannes Wimmer durch seinen offenen Umgang mit Trauer allen, die einen lieben Menschen vermissen und an deren Gräbern stehen – wie heute an Allerheiligen.

*Dr. Johannes Wimmer: Wenn die Faust des Universums zuschlägt, Gräfe und Unzer, München 2021

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38708
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