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04MAI2025
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Hilfe wofür

Vor ein paar Tagen bin ich auf dem Weg zum Bäcker fast vom Fahrrad gefallen. Da ist direkt neben mir ein Rasenmäher aus seiner Garage gefahren. Der Mähroboter war gar nicht laut. Aber das leise Surren hat mich trotzdem erschreckt.

Solche Roboter sieht man jetzt überall. In manchen Science-Fiction-Serien sind die von Menschen kaum zu unterscheiden. Die Realität im Haushalt sieht aber noch ganz anders aus. Da finden sich Saug- und Putzmaschinen, die im Wohnzimmer ihre Runden drehen. Mini Tischstaubsauger. Roboter für den Swimmingpool – wenn man denn einen hat. Fensterputzroboter gibt’s. Und auch Koch-Roboter. Maschinen, die ganze Mahlzeiten zubereiten, die schneiden, rühren und kochen können.

Viele solcher Haushaltshilfen sind praktisch. Putzen, Rasen mähen, Kochen. Das kann manchmal ganz schön lästig sein. Und wenn das Kreuz zwickt oder das Bücken schwer fällt, dann kann so ein Roboter entlasten. Aber sicher ist auch: Einen Haushaltsroboter muss man sich leisten können.

Als ich vom Bäcker zurückgefahren bin, da ist mir ein Gedanke durch den Kopf geschossen. Wenn ich einen Backroboter hätte, dann hätte ich mir die Fahrt heute Morgen wohl erspart. Nur: Will ich das wirklich? Maschinen, die mir alles abnehmen? Und damit meine ich nicht nur die Arbeit. Sicher, zum Bäcker fahren, das kostet Zeit. Aber ich bewege mich dabei auch, spüre die frische Luft, die letzte Schlafmüdigkeit wird weggeblasen. Ich freu mich unterwegs schon auf das Frühstück. Da fängt mein Tag gut an.

All das kann ein Backroboter nicht liefern. Der nimmt mir zwar vielleicht die Fahrt zum Bäcker ab. Aber alles anders würde mir fehlen. Ganz ähnlich geht’s mir bei den anderen Robotern. Wenn ich abends was koche, dann lasse ich den Tag an mir vorbeigehen. Oder ich muss mich so konzentrieren, dass ich all das vergesse, was mir heute Stress gemacht hat. Da bin ich froh, dass ich keinen Roboter habe.

 

 

Hand anlegen

Immer mehr Roboter gibt’s für Wohnung und Garten. Aber wofür brauche ich die eigentlich? Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken in SWR 4.

Saugen, putzen, kochen, Rasen mähen, reinigen, für all das und vieles mehr gibt es Roboter. Die können ein Segen sein, weil sie lästige Arbeiten abnehmen oder helfen, wenn ich etwas selbst nicht so gut kann. Trotzdem finde ich es wichtig, dass ich Dinge selbst mache.

Selbst machen. Klingt einfach. Fällt aber oft schwer. Eine Geschichte dazu. Ein paar Fischer fahren wie üblich nachts zur See. Sie werfen Netze aus. Warten. Holen die Netze wieder ein. Nichts. Kein einziger Fisch. Stundenlang geht das so. Bis der Morgen dämmert. Enttäuscht fahren Sie wieder ans Ufer. Da kommt ein Mann und sagt: Probiert es noch einmal. Ein letztes Mal. Die Fischer fahren raus, werfen das Netz ins Wasser – und tatsächlich: Nun fangen sie unzählige Fische.

Eine Erzählung aus der Bibel. Ich finde: ziemlich nah an der Realität. Gut, ich bin kein Fischer. Aber mir geht’s oft so: Dass ich was probiere und es einfach nicht schaffe. Ich such dieses eine verdammte Puzzleteil. Nicht zu finden. Und da kommt jemand anders und fischt es für mich aus 1000 Teilen heraus. Oder beim Einkaufen. Ich tue mich da so schwer. Keine Ahnung wieso, aber ich find einfach keine passenden Hosen. Mit Hilfe geht’s da leichter. Jemand der aus den vielen Hosen dann doch die passende heraussucht.

Ein anderer Blickwinkel wirkt manchmal Wunder. Ein Mensch, der mich unterstützt. Jemand, der mir auf die Sprünge hilft. Ein Mensch, der sagt: Komm, probiere es noch mal. Oder: Machs so. Und dann wird das Puzzle fertig. Und die Hose passt. Doppeltes Glück. Ich hab was erledigt. Und jemand teilt das mit mir. Dieses Glücksgefühl, das macht das Leben rund. Kein Roboter der Welt kann mir das schenken.

 

 

Joh 21, 1–7

In jener Zeit offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tibérias, und er offenbarte sich in folgender Weise. Simon Petrus, Thomas, genannt Dídymus, Natánaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr!

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Ein Feiertag wie der Erste Mai kann zwiespältig sein. Einerseits gut, vom Alltag ein bisschen Abstand zu gewinnen – gerade am Tag der Arbeit – und weil man einfach mal alles liegen lassen und raus kann, so zwischendurch. Andererseits: Was ist, aber wenn einem gerade an so einem Tag, die Sorgen und Ängste noch stärker packen als sonst?

Ich erinnere mich noch gut, wie es mir einmal mit einer neuen Aufgabe ging, auf die ich mich richtig gefreut hatte. Ein neuer Arbeitsbereich, neue Aufgaben. Aber es war dann schon nach kurzer Zeit alles wie blockiert. Ich hatte den Eindruck, da braucht man mich nicht. Im Gegenteil. Ich störe eher. Ich war freudig ins kalte Wasser gesprungen, aber auf die Untiefen und Strudel war ich nicht gefasst. Damals war ich echt verzweifelt, wusste auch nicht, wie ich das ändern kann. Und gerade in den ruhigen Stunden fragte ich mich: Soll ich einfach alles hinwerfen?

Aber freie Tage wie der Tag der Arbeit bieten auch die Chance, sich anders mit solchen Fragen und Problemen auseinanderzusetzen. Mir hilft oft ein Spaziergang über die Felder oder durch den Wald. Da werde ich ruhiger und kann auch wieder weitersehen, sogar über das Bedrückende hinaus. Damals habe ich viel gebetet, auch beim Laufen durch den Wald. Ich habe mit mir und mit Gott um den richtigen Weg und Ausweg gerungen, aber längere Zeit hat sich einfach keine Änderung ergeben. Es war, als ob sich nichts mehr vor oder zurückbewegen ließe. Alles war wie festgefahren.

Erst später wurde mir bewusst, dass genau dieses Gefühl und diese Situation zur Grunderfahrung fast jedes Menschen gehört. Und damit auch den Glauben an Gott betrifft. Wahrscheinlich kommt jeder Mensch irgendwann an so einen Punkt, an die Grenze der eigenen Möglichkeiten.

Mir hat in dieser Situation ein Bibelvers geholfen. Er steht im Buch des Propheten Jesaja (43,16). Und dieses Wort des Propheten erinnert daran, dass es mit Gott weiter geht, auch wenn ich nicht weiterweiß. Da heißt es: „Der HERR macht im Meer einen Weg und in starken Wassern Bahn.“

Ein Bibelwort, das meine Erfahrungen von damals genau trifft: Ich war ins kalte Wasser gesprungen, bin dann aber fast untergegangen und mit meiner neuen Aufgabe nicht fertig geworden.
Aber Gott kennt einen Weg. Und hilft durch die Untiefen des Lebens hindurch. „Der HERR macht im Meer einen Weg und in starken Wassern Bahn.“

Gott schenkt einen Ausweg mitten durchs Meer? Sozusagen eine Wassertaufe in der größten Schwierigkeit, ohne dass die Menschen dabei nass werden? Diese Geschichte hat sich den Israeliten tief eingeprägt

Nach Jahren der Sklaverei in Ägypten wurden sie befreit. Sie erlebten, dass Gott sie von der Sklaverei befreite und sie machten sich unter der Führung von Mose auf den Weg in die Heimat ihrer Vorfahren. Aber der Pharao, der König Ägyptens gab nicht auf und verfolgte sie. Hinter ihnen das ägyptische Heer, also die Sklaverei oder sogar der Tod, und vor ihnen auch nichts anderes als der Tod, das unüberwindbar tiefe Wasser des Meeres. 

Und so, wie in der biblischen Erzählung fühlt sich das Leben manchmal an. Auch damals bei mir, als ich bei meiner Arbeit nicht weiterwusste: kein Ausweg, weder vorwärts noch zur Seite oder gar zurück. Wohin jetzt noch?

Mose suchte in dieser Verzweiflung Gott. Und von ihm erhielt er Zuspruch und auch die Weisung für den nächsten Schritt. Hinter den Israeliten baute sich eine Wolkensäule auf, dunkel und voller Blitze, ein wahres Unwetter, das die Ägypter von den Israeliten trennte und sie zurückhielt. Und Mose streckte seine Hand übers Meer aus. Ein starker Ostwind kam auf, das Wasser wich zurück, das Meer spaltete sich und die Israeliten, Männer, Frauen und Kinder, Wagen und Vieh, alle konnten trocken durchs Meer, durch die eigentlich tödlichen Fluten hindurchziehen, die sich nun irgendwie aufstauten. Als der Pharao ihnen kurze Zeit später mit seinem Heer folgen wollte, flutete das Wasser zurück und vernichtete die ganze Streitmacht.

Und wie geht es Ihnen? Was blockiert sie oder was sitzt Ihnen im Genick? Was ist Ihr Meer, Ihr Pharao, der sie verfolgt und bedrängt, Ihre Situation, die keinen Ausweg mehr lässt? Was verfolgt Sie bis in den Feiertag hinein scheint unüberwindbar?

Jesaja ermutigte die Menschen seiner Zeit dieser Erfahrung, die wegweisend wurde: „Der HERR macht im Meer einen Weg und in starken Wassern Bahn.“

Er macht Mut, Ausschau zu halten nach einem Ausweg, wo es bisher nichts gab. Nach einem kleinen oder großen Wunder. Und man kann nur staunen, wie Gott führt. Mir jedenfalls ging es in der damals verfahrenen Situation so.

Und das wünsche ich auch Ihnen, nicht nur eine vage Hoffnung, sondern Gottes Hilfe, einen gangbaren Weg, und heute einen gesegneten Feiertag.

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27APR2025
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Raumschiff Enterprise ist eine super Sciences Fiction-Serie. Sie gehört zu meiner Kindheit und ich mag sie bis heute. Diese Geschichten von einer Zukunft, die sehr wahrscheinlich gar nie so sein wird. Aber die Fragen stellen, ob es vielleicht mal so sein könnte. Das ist ja das Spannende. Wie sich Menschen heute ausmalen, wie wir in drei- oder fünfhundert Jahren leben werden.

Es gibt ein paar Elemente, die in diesen Geschichten um das Raumschiff Enterprise immer wieder auftauchen. Zum Beispiel Außerirdische oder Roboter, die sich fragen, was es heißt Mensch zu sein, weil sie merken, wie unterschiedlich sie sind. Sie fragen dann, wie das so ist, als Mensch zu fühlen und zu lieben. Diese Szenen mag ich besonders, weil dann plötzlich nicht nur etwas von der Zukunft erzählt wird, sondern ich mich selbst frage: „Was heißt das denn für mich, Mensch zu sein?“

An eine solche Szene erinnere ich mich besonders gut. Ein Roboter und Captain Picard stehen gemeinsam vor einer alten Weltraumrakete. Der Captain staunt und legt seine Hand vorsichtig auf die Hülle der Rakete und schließt seine Augen. Der Roboter fragt ihn dann: „Was tun sie da?“. Und bekommt die Antwort: „Menschen können durch Berührung eine Verbindung zu etwas aufbauen. Es ist eine sehr persönliche Möglichkeit, dass mir die Dinge wirklicher erscheinen.“ 

In dieser Szene wird ein Bedürfnis dargestellt, das zutiefst menschlich ist: Etwas zu berühren. Kindern merkt man das an, wenn sie alles Mögliche anfassen wollen und ihre Eltern dann sagen: „Mit den Augen wird geschaut, nicht mit den Händen.“ Ich verstehe, dass Eltern ihre Kinder abhalten, alles anzutatschen. Aber ich halte es für falsch. Wir schauen natürlich nicht mit den Händen, aber wir begreifen die Welt auch, indem wir Dinge anfassen. Daher kommt ja unser Wort: „Be-Greifen“. Wir haben etwas begriffen, wenn wir es ganz nah bei uns haben. Quasi mit Händen greifen können. Mir ist zum Beispiel bis heute ein gebundenes Buch lieber, als es digital zu lesen. Die Schwere des Buches in der Hand zu halten, darin zu blättern und es ins Regal stellen zu können. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir dadurch die Geschichte darin näher ist. Manche Bücher verbinden mich auch mit den Menschen, die sie mir geschenkt haben.

Beides kommt dann zusammen: Dass ich etwas berühren kann, aber auch selbst dadurch berührt werde.

 

Ich spreche heute in den SWR4-Sonntagsgedanken davon, dass wir unser Leben nicht nur mit dem Kopf begreifen, sondern auch mit den Händen. Wenn ich zum Beispiel die Rinde eines Baumes berühre, nehme ich den Baum anders war, als wenn ich ihn nur anschaue.

Was für die Dinge gilt, stimmt erst recht für menschliche Beziehungen. Während Corona ist mir das besonders aufgefallen. Als ich mit meinem guten Freund Peter nur noch telefonieren konnte. Da habe ich gemerkt, wie sehr mir seine Umarmung fehlt. Viele unserer Beziehungen bauen nicht nur auf Gespräche auf, sondern drücken sich auch körperlich aus.

Ich glaube, das ist auch ein entscheidender Punkt, um Ostern zu verstehen. In einer der biblischen Geschichten von Ostern geht es um den ungläubigen Thomas; der für mich gar nicht so ungläubig ist. Darin wird zunächst erzählt, wie Jesus nach seiner Auferstehung den anderen Jüngern erscheint. Thomas ist nicht dabei. Wir wissen nicht, wo er gerade war. Ob er im Keller einen Krug Wein geholt oder einen Freund besucht hat. Auf jeden Fall kommt er zurück und die anderen Jünger erzählen ihm brühwarm von ihrer Begegnung. Sie sagen: „Jesus lebt. Wie haben ihn gesehen“. Thomas glaubt das nicht. Ich halte ihn deswegen noch lange nicht für ungläubig. Im Gegenteil. Ich mag diesen Thomas genau deswegen. Wo kommt man denn hin, wenn man alles einfach glaubt, was andere einem erzählen? Thomas sagt seinen Freunden: „Wenn ich Jesus nicht anfasse, seine Wunden, die er vom Tod am Kreuz hat, nicht berühren darf, dann glaube ich das nicht, was ihr mir da erzählt.“ Er hätte genauso gut sagen können: „Wenn ich ihn nicht umarmen darf, begreife ich nicht, was ihr mir da erzählt habt.“

Ich verstehe diesen Thomas. Die anderen haben gut reden. Wenn sie Jesus wirklich gesehen haben, können die das alles leichter glauben.

Und eine Woche später sind die Jünger dann wieder zusammen. Dieses Mal mit Thomas. Und Jesus kommt wieder und bietet Thomas an, ihn zu berühren. Ob er es dann getan hat, werden wir nie erfahren. Das erzählt die Geschichte nicht. Aber er hätte es gekonnt. Und das hat etwas in ihm verändert. In seiner Beziehung zu Jesus. Er antwortet nämlich: „Mein Herr und mein Gott.“

Die Geschichten um Ostern erzählen nicht einfach von der Idee, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Zuallererst erzählen sie, dass dieser Jesus, der tot war, Menschen zum Greifen nahe kam.  Wie nach Corona. Als ich zum Beispiel meinen alten Freund Peter wieder umarmen durfte: Das war ein bisschen wie Ostern.

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21APR2025
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Vor kurzem habe ich meinen 50. Geburtstag gefeiert. So richtig groß. Und ich habe dazu Menschen eingeladen, die mich in meinem Leben begleitet haben. Manche von Anfang an; andere nur kurz. Ein paar Studienfreunde hatte ich bestimmt seit 25 Jahren nicht mehr gesehen. Wie das wohl sein würde, sich nach so langer Zeit wiederzusehen? Ob wir uns überhaupt noch erkennen würden? Uns noch sympathisch sein? Aber alle Befürchtungen haben sich schließlich als unbegründet erwiesen: Denn vom ersten Moment an war da wieder diese Vertrautheit, die uns einmal verbunden hat. Als wäre gar keine Zeit vergangen, war das Gefühl von damals wieder da, als wir zusammen in der WG-Küche gesessen und nächtelang geredet hatten. Sogar die alten Sprüche kamen uns sofort wieder über die Lippen.  

Von diesem Fest und seinen zahlreichen Begegnungen zehre ich noch heute. Und mich beschäftigt die Frage: Was ist es eigentlich, woran ich einen Menschen erkenne? Und was bleibt über all die Jahre unverändert? Was bleibt mir von Menschen, die inzwischen gestorben sind? Auch sie waren auf meinem Geburtstag plötzlich wieder sehr präsent. Bei den Menschen, die auf meinem Lebensweg prägend waren, finde ich bei jedem und jeder so etwas Unverwechselbares. Es sind oft kleine Dinge: Diese typische Art, sich das Haar in den Nacken zu werfen, die kleinen Gluckser in der Sprechmelodie, wenn sie sich freut, die selbstbewusste Art zu gehen, die ich auch von hinten im Dunkeln erkennen würde.  Und natürlich sind es auch die großen Sachen: Alles, was wir zusammen erlebt und erlitten haben – geteilter Schmerz schweißt ja oft mehr zusammen als ein gemeinsam verbrachter Sommerurlaub.  An all diesen Dingen erkenne ich sie wieder: Die Menschen, die mir etwas bedeuten. Was alle diese Momente verbindet:  Da pocht mein Herz lauter als sonst. Ich könnte auch sagen: Es brennt.  Ich bin dann tief berührt, bewegt und angefasst. Meistens fühlt sich das sehr gut an, manchmal tut es aber auch weh, so ein brennendes Herz. Erst später verstehe ich das auch mit dem Kopf. Erst nach meiner Geburtstagsfeier habe ich so richtig kapiert, was für ein großer Schatz dieses Netz von vertrauten Menschen ist – egal, ob ich sie schon ganz lang kenne oder erst seit kurzem, ob sie zu meiner Familie gehören oder Freundinnen, Freunde, Leidensgenossen oder Weggefährtinnen sind. Sie setzen mein Herz in Brand.  

In der Bibel wird erzählt, wie die Jünger den auferstandenen Jesus an genauso einer kleinen Geste wiedererkennen. Zwei von ihnen haben früh am Ostermontag einen Spaziergang nach Emmaus gemacht, einem beliebten Ausflugsziel. Sie wollten einfach nur weg aus Jerusalem. Dort hat sie alles an den Tod von Jesus erinnert. Erst drei Tage zuvor war er nach einem fürchterlichen Schauprozess zum Tod durch Kreuzigung verurteilt worden. Niemand konnte es aufhalten. Er musste elend sterben. Sie hatten es nicht mit ansehen können.  Nun waren alle ihre Hoffnungen auf eine neue Welt zerbrochen. Sie können es nicht fassen und sind traurig mit gesenktem Kopf unterwegs. Plötzlich gesellt sich ein Fremder zu ihnen.  Er hat keine Ahnung davon, was in den letzten Tagen ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Sie erzählen ihm alles. Das tut gut. Denn auch wenn sie ihn nicht kennen, spüren sie, dass das einer ist, der ihnen aufmerksam zuhört. Und als er endlich auch selbst das Wort ergreift, erweist er sich als bibelkundiger und kluger Gesprächspartner. Sie merken gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Plötzlich sind sie da, in Emmaus. Und sie wollen die neue Bekanntschaft noch nicht gehen lassen. „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“, sagen sie. Der Fremde nimmt die Einladung an. Sie setzen sich zum Essen hin. Nach der langen Wanderung haben sie ordentlich Hunger. Brot und Wein kommen auf den Tisch. Der Fremde nimmt das Brot aus dem Korb und bricht es in Stücke. Und da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. Diese Geste kennen sie. Das ist doch … Jesus? Ihnen stockt der Atem. Im Nachhinein merken sie: schon auf dem Weg hat uns das Herz gebrannt, als er mit uns geredet hat. Und jetzt brennt ihnen das Herz erst recht. Und sie begreifen alles auf einmal: Jesus ist gar nicht tot. Er lebt. Aber anders als vorher. Sonst hätten sie ihn doch gleich erkannt. Und nicht erst, als er das Brot brach. In dem Moment war es da:  Das, was das Herz brennen lässt. Seine ganz eigene Art zu sprechen und zu denken – und das, was die Gemeinschaft mit ihm ausgemacht hat.

Und auch ich beginne zu verstehen: Gott hat dem Tod an Ostern die Stirn geboten. Der Tod ist nicht das Ende, sondern es wird neues Leben und Auferstehung geben. Diesen Neuanfang und das neue Leben erkenne ich erst im Nachhinein. Wenn ich merke: hier hat mein Herz gebrannt.

Ich wünsche Ihnen solche Momente mit brennendem Herzen und einen gesegneten Ostermontag.

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13APR2025
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Heute, am Palmsonntag, führt uns die Geschichte aus der Bibel, die im katholischen Gottesdienst vorgelesen wird, mitten hinein in die Stadt Jerusalem. Und dort ist ganz schön was los. Unzählige Menschen kommen zusammen um ein ausgelassenes Fest zu feiern. Es soll erinnern an die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei damals in Ägypten.

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich in der Stadt, dass auch Jesus unter den Gästen sein wird. Von ihm wird Unglaubliches erzählt und die Gerüchteküche über ihn brodelt. Er sei so ganz anders als all die jüdischen Gelehrten. In seiner Nähe geschehe Außergewöhnliches, sagen die Menschen auf den Straßen von Jerusalem.

Wie in einem Drehbuch beschreibt der Text der Bibel den Auftritt von Jesus. Er wird begleitet von seinen Freunden, die buchstäblich alles stehen und liegen ließen um ihm zu folgen. Es sind einfache Leute: Fischer. Tagelöhner. Nicht gebildet und ganz einfach gekleidet. Unter Jubel reitet ihr Held nun bescheiden auf einem Esel durch die Straßen der Stadt.

Die Menge legt Kleider und Tücher auf die staubige Straße. Wie einen roten Teppich. Mit Palmzweigen in den Händen winken sie Jesus zu.  Und einige sind davon überzeugt: Er ist unser Retter. Der Messias. Denn schon in der Bibel steht, so erinnert man sich, dass der herbeigesehnte Erlöser einmal auf einem Esel in die Stadt Jerusalem einziehen wird.

Was für ein Kontrast zu den damaligen Herrschern Roms. Denn diese liebten pompöse Auftritte und Einzüge hoch zu Ross, und die kannten die Bewohner von Jerusalem zu Genüge. Auch der römische Stadthalter Pontius Pilatus ließ sich von Behörden und der jüdischen Obrigkeit bejubeln und huldigen. Für die römischen Besatzer dürfte der Empfang Jesu mit Palmzweigen und seinem Ritt auf einem Esel einer Provokation gleichgekommen sein.

 

Bis heute lieben die Mächtigen dieser Welt pompöse Auftritte. Das ganz große Spektakel. Minutiös wird alles inszeniert. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Ein Wladimir Putin zum Beispiel. Wir kennen die Bilder. Er mit nacktem Oberkörper kraftstrotzend auf einem Pferd. Oder mit ernster Miene emotionslos durch die endlosen und prunkvollen Flure des Kremls schreitend. Die Türen öffnen sich vor ihm. Flankiert von herausgeputzten Uniformierten mit goldenen Schwertern.  Und dann Bilder, die zeigen, wie er seine Rede mit großem Abstand zu seinen Zuhörern hält und nichts dem Zufall überlässt. Auch ein Donald Trump liebt seine narzisstischen Auftritte.  Immer wieder schiebt er Menschen beiseite, die ihm im Wege stehen, damit er auf jeden Fall gesehen wird. Kürzlich erst wurde medial verbreitet, wie er den Präsidenten der Ukraine zurechtweist, vor laufender Kamera. Inszeniert bis ins Detail.

Jesus, der getragen von einem Esel in die Stadt Jerusalem kommt, geht einen anderen Weg als all die Despoten. In dieser Woche erinnern wir uns an seine letzten Lebenstage bis zum gewaltsamen Tod am Kreuz. Wie im Brennglas bündeln sie noch einmal all das was ihm wichtig ist. Er wird sich mit seinen Freunden zusammensetzen. So wie er es immer wieder getan hat. Besonders mit denen, die niemand einlädt. Er wird etwas tun was nur Sklaven tun. Ihnen die Füße waschen. Sie werden zusammen essen und ihre Freundschaft mit Gott und auch untereinander feiern, und er wird von seinem nahen Tod sprechen. Auch Judas, sein Verräter wird mit am Tisch sitzen. Die Bibel erzählt von seiner Todesangst in der Nacht vor seiner Hinrichtung und seinem Beten, selbst dann noch, als er sich von Gott verlassen fühlt. Am nächsten Tag sind die Jubelrufe verstummt. Erst einzelne, dann immer mehr werden den römischen Stadthalter Pontius Pilatus auffordern, ihn zu kreuzigen. Doch so schwach er auf dem Esel daherkommt, so stark ist sein Glaube, dass Gott ihn halten wird. Gott ist für ihn wie ein Vater.

Immer wieder treten Menschen in seine Nachfolge. Sie nehmen es buchstäblich mit den Despoten und Narzissten ihrer Zeit auf. Ohne Waffen. Nicht kraftstrotzend. Scheinbar schwach und klein kommen sie daher, doch ihr Handeln und Sprechen ist kraftvoll und mutig. Sie bleiben unvergessen. So kürzlich die Bischöfin Mariann Edgar Budde. Sie empfing Donald Trump zum Gottesdienst anlässlich seiner Amtseinführung in der Kathedrale von Washington. Sie hatte ihm etwas zu sagen angesichts all seiner menschenverachtenden Pläne: Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie um Erbarmen für die Menschen in unserem Land, die jetzt Angst haben, sagte sie und nannte sie beim Namen. Es gebe schwule, lesbische und transgeschlechtliche Kinder in Familien aller politischen Parteien, von denen einige um ihr Leben fürchteten. Und auch Putzkräfte, Pfleger, Tellerwäscherinnen und Erntekräfte seien oft keine Staatsbürger. Die Mehrheit all dieser Einwanderer zahle aber Steuern. Sie seien gute Nachbarn und auch nicht kriminell. Massiv attackiert wurde daraufhin Frau Budde von Trump und seinen fanatischen Fans. Es hat bis heute Konsequenzen dem Mann auf dem Esel zu folgen. Der brasilianische Bischof Dom Helder Camara hat das einmal so im Gebet ausgesprochen:

 

Jesus, lass mich dein Esel sein, auf dem Du zu den Menschen kommst. Gib mir die Genügsamkeit und Eselsgeduld, die Kraft zum Tragen und auch die Sturheit, die ich brauche, um Träger deiner Liebe in einer Welt des Hasses zu sein.

Lass mich dein Esel sein, Christus, dass ich dich zu anderen trage.

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06APR2025
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„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – sagt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Ist das wirklich so? Man könnte ja auch sagen: Leben ist erstmal Atmen, Essen, Trinken, Schlafen. Die Grundbedürfnisse in unserem Leben. Und dann kommen später noch so Bedürfnisse wie Arbeit, Sinn, Sicherheit, Sexualität und so weiter dazu.

Wenn ich mir das recht überlege, mit dem Satz von Buber „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, dann entdecke ich dazu tatsächlich Parallelen im Alltag. In meinem Umfeld habe ich ein paar Menschen, die leben allein. Die fühlen sich oftmals sehr einsam und suchen bewusst Kontakte. Sie suchen Begegnungen mit Menschen, bei denen sie sich angenommen, wohl und sicher fühlen. Wenn sie das nicht tun, haben sie das Gefühl, das Leben geht an ihnen vorbei. Wer sich isoliert, von anderen Menschen fernhält, wird manchmal komisch, entwickelt merkwürdige Ansichten, wird weltfremd und menschenscheu.

Martin Buber geht so weit, dass er sagt „Erst am Du werde ich zum Ich“. Nur durch den Kontakt zu anderen werde ich zu dem Mensch, der ich bin. Schon die ersten Begegnungen mit meinen Eltern prägen meine Entwicklung als Mensch. Wenn ich als Kind geknuddelt und geherzt, mit lautem Hallo in die Familie aufgenommen werde und alle mich am liebsten auf dem Arm haben wollen, hat das andere Auswirkungen auf mein Leben, als wenn ich abgelehnt oder abgelegt werde, weil ich übrig und lästig bin. 

Auch meine Einsichten und Ansichten entwickeln sich erst in der Begegnung und im Austausch mit anderen Menschen. So entsteht meine Meinung oft erst beim Sprechen. Das fühlt sich für manche sehr selbstbewusst an. Aber ich habe keine Schwierigkeiten, das Ausgesprochene dann auch wieder zu ändern oder zurückzunehmen. Aber ich brauche einfach die Begegnung mit anderen Menschen, um mich selber entwickeln zu können.

Martin Buber meint das mit der Begegnung aber auch religiös als Beziehung zu Gott. Erst in der Begegnung mit Gott als einem Du, einem Gegenüber, mit dem ich reden kann, werde ich zu der Person, die ich bin. Es ist ein Werden, kein Sein. Ein Sich-Entwickeln, nicht ein Standpunkt. Und das geschieht in der Begegnung mit Gott. Im Gebet zum Beispiel oder im Gottesdienst, beim Lesen der Bibel oder in der Musik.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ hat Martin Buber im Zwanzigsten Jahrhundert gesagt.

In der Coronazeit wurde das besonders spürbar.  Damals hat meine Kirche eine Umfrage durchgeführt zu der Frage, was die Menschen während der Pandemie am meisten vermisst haben. Die Antwort war überraschenderweise nicht die Predigt, der Gottesdienst oder die Musik. Sondern der Kirchenkaffee. In vielen Gemeinden gibt es nach dem Gottesdienst Kaffee, Tee, Getränke, Gebäck oder Kuchen. Dabei können die Leute sich austauschen und einander begegnen.

Diese Beobachtung hat meine Kirche dazu gebracht, unsere Kernbotschaft neu auszurichten. Wir haben uns ein neues Motto gegeben: „Bring & Share“. Das kann man mit „mitbringen und teilen“ übersetzen. Gemeint ist: wenn wir uns treffen, dann bringen alles etwas mit, das wir miteinander teilen. Das kann Essen und Trinken sein. Dann gibt es ein buntes Büfett - bislang hat es immer für alle gereicht. Das können aber auch Erfahrungen sein, die wir mitbringen und teilen. Erfahrungen mit Gott, meinem Glauben, mit anderen Menschen, aus meiner Lebensgeschichte. Es können aber auch Nöte, Verluste und Verletzungen zur Sprache kommen. Oder Einsichten und Erkenntnisse.

Die Begegnung mit anderen Menschen lässt mich als Persönlichkeit wachsen und reifen. Ich bin noch nicht fertig. Auch nicht mit meinen Überzeugungen und Meinungen. Sie dürfen sich verändern, ja müssen sich veränderten Gegebenheiten anpassen. Und dazu brauche ich Ansichten und Einsichten von anderen Menschen, dazu brauche ich auch die Begegnung mit Gott. Darum gehe ich gerne in die Kirche. Da begegne ich Menschen, die auch Gott begegnen. Die einen Draht zu ihm haben. Die Gespräche, der Austausch mit ihnen bauen mich auf, ermutigen mich, geben mir Hoffnung. Klar gibt’s manchmal auch Differenzen und Konflikte. Aber im Großen und Ganzen erlebe ich die Leute in der Kirche entgegenkommend, freundlich und wertschätzend.

Wenn Sie sich also einsam und allein fühlen, suchen Sie andere Menschen auf! Gehen Sie in einen Verein! Oder in ein Stadtteilprojekt. Engagieren Sie sich ehrenamtlich! Sie werden sehen, es kommt unglaublich viel zurück, wenn wir anderen etwas geben. Oder gehen Sie wie ich in eine Kirche und nehmen sie an Kirchengemeindeveranstaltungen teil. Hier können sie Gott begegnen. Vielleicht machen sie dann die Erfahrung, dass Gott auch Ihnen begegnen will. Für mich ist das das Beste, was einem passieren kann.

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30MRZ2025
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Weinberg copyright: Manuela Pfann

Als Kind hatte ich ein Poesiealbum. Auf der ersten Seite steht da ein Vers, der anders ist als all die Einträge von Freundinnen und Lehrern. Mein Vater hat mir diese Zeilen vor über 40 Jahren mit auf den Weg gegeben:

„Freiheit ist der Zweck des Zwanges, wie man eine Rebe bindet, dass sie, statt im Staub zu kriechen, froh sich in die Lüfte windet.“*

Echte Freiheit hat also immer mit Regeln zu tun. Ich konnte lange nicht viel anfangen mit den Worten. Im Gegenteil: Frei sein hieß für mich, mir am besten gar nichts vorschreiben zu lassen. Und zu etwas gezwungen werden, das passte für mich überhaupt nicht mit Freiheit zusammen. Mein Vater hat die Zeilen trotzdem bei allen wichtigen Familienfesten wiederholt:

„Freiheit ist der Zweck des Zwanges, wie man eine Rebe bindet, dass sie, statt im Staub zu kriechen froh sich in die Lüfte windet.“

Es war eine kluge und wohlgemeinte Erinnerung: Freiheit kannst Du Dir nicht willkürlich nehmen. Weil es Folgen hat, wie Du Dich verhältst. Und wir sollten verstehen: Auch das, was wir uns wünschen, wovon wir träumen, braucht eine Ordnung, um gut zu gedeihen.

Heute sehe ich viel klarer, was diese Zeilen tatsächlich bedeuten: In den letzten Jahren hat sich unsere Gesellschaft verändert. Das Wort „Freiheit“ ist dabei zu einem Wort verkommen, das viele falsch verstehen – so ist jedenfalls mein Eindruck. Menschen berufen sich auf ihr Recht, frei zu sagen, was sie denken – selbst wenn das dann andere verletzt oder sie falsche Informationen verbreiten. Andere bestehen auf ihre freie Entscheidung, so viel und so schnell Auto zu fahren, in der Weltgeschichte umherzufliegen oder so viele Steaks und Bratwürste zu essen, wie sie Lust haben. Die Konsequenzen für Umwelt und Klima interessieren sie nicht. Manche Unternehmer pochen auf ihre Freiheit, so zu wirtschaften, wie sie es für richtig halten. Wenn dadurch soziale Ungerechtigkeit entsteht, dann spielt das für sie keine Rolle.

Ich glaube, diese Balance, was ist mir persönlich wichtig und gleichzeitig gut für andere, die kippt in unserer Gesellschaft gerade.

Der griechische Philosoph Platon hat übrigens schon vor über 2000 Jahren vor dieser Situation gewarnt: Er hat nämlich über die Demokratie gesagt: Das ist eine Staatsform, die Gefahr läuft sich selbst zu zerstören - wenn eben genau diese individuelle Freiheit im Vordergrund steht.

Für den zweiten Teil der SWR4 Sonntagsgedanken kehre ich nochmals zum Zitat in meinem Poesiealbum zurück, verlasse dazu aber den Schreibtisch und gehe in einen Weinberg. Ich werde mir den Weinstock und die Reben genau anschauen. Wie sieht das praktisch aus, wenn „die Rebe gebunden“ wird?

 

Ich schaue mir das vor Ort an und fahre nach Weinstadt im Remstal. Dort habe ich mich verabredet. Mit Karl-Heinz, er ist Theologe und lebt schon immer dort, wo Wein angebaut wird.

Es geht steil bergauf, wir haben eine traumhafte Aussicht über die Weinberge in Richtung Stuttgart! Noch sind die Rebstöcke kahl, keine Blätter, der Winter ist ja gerade erst vorbei. Aber eines können wir sehr gut sehen, Karl-Heinz zeigt es mir: Da wachsen neue, frische Triebe. Und jeder einzelne der jungen Triebe ist an einem Drahtgestell festgebunden - was für eine Mühe, was für ein Aufwand für die Arbeiter im Weinberg!

Karl-Heinz: Also, bis eine Rebe Frucht bringt, braucht es seine Zeit. Die wird beschnitten, muss zusammenwachsen, die muss gereinigt werden; das erfordert schon viel Anstrengung und Disziplin und Kraft.

Die Winzer sprechen tatsächlich davon, dass eine Rebe „erzogen“ wird, damit sie gut wachsen kann. Karl-Heinz hat fünf Kinder, er weiß, was Erziehung bedeutet, und kann sie deshalb ganz gut mit der Pflege einer Weinrebe vergleichen:

Karl-Heinz: Da musst du dich sorgen um einen Menschen, der dir lieb ist. Du musst mit ihm fühlen, Du musst für ihn beten. Du denkst an ihn. Du opferst Zeit und Kraft in die Beziehung. Und das ist manchmal alles andere als angenehm und sieht nach außen auch aus, als ob es deine Freiheit einschränkt. Aber es kommt dann was raus am Schluss, ja.

Und genau darum geht es; auf die Frucht kommt es an, auf die Qualität, die rauskommt. Der Weinstock muss so behandelt werden, dass er das Beste aus sich selbst herausbringen kann. Und dazu brauchen die Reben Halt.

Was hält mich, woran orientiere ich mich? Eine mögliche Antwort, die finde ich direkt hier, am Fuß des Weinbergs. Auf der Tafel eines Bildstocks stehen die passenden Worte aus der Bibel: Jesus sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt reiche Frucht“. (Joh. 15,5) Wenn ich mich also daran orientiere, wie Jesus gelebt hat, welche Werte er vertreten hat, wie er mit Menschen umgegangen ist – dann ist das zumindest ein gutes Gerüst … und eben so, hat es mein Vater ja gemeint: Ich und wir alle brauchen einen Rahmen, der uns hilft, die Persönlichkeit zu werden, die in uns steckt – und das bedeutet für mich ein Stück Freiheit zu spüren.

 

* Das Zitat wird Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894) zugeschrieben.

 

Wer selbst Anregung oder Entspannung in den Weinbergen rund um Weinstadt sucht, für den haben wir zwei Empfehlungen.

Skulpturenpfad - Karl Ulrich Nuss | Bildhauer

PILGERN IM REMSTAL | Willkommen

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23MRZ2025
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Sind Sie gerade auch so gereizt? Können schon kleine, unerwartete Belastungen etwas in Ihnen zum Kochen bringen (von den großen ganz zu Schweigen)? Dann sind Sie nicht allein! Bei Umfragen kommt immer öfter heraus: Die Befragten fühlen sich gestresst und gereizt. Als Jugendpfarrer bin ich natürlich an Jugendstudien interessiert. Und auch da: 20-jährige sind im Dauersorgenmodus.

Bei allen Unterschieden haben die Jungen und die Alten also doch etwas gemeinsam: ihre Zukunftssorgen. Und damit auch ihre Gereiztheit.

Ich behaupte mal: Das liegt daran, dass wir als Gesellschaft schon eine ganze Weile um unsere Überzeugungen kämpfen. Es ist ja alles nicht mehr so klar, wie es früher vielleicht einmal war. Mein Vater zum Beispiel, der kam 1953 zur Welt. Für ihn war es immer klar: Amerika ist Europas wichtigster Verbündeter. Das ist heute nicht mehr so klar. Vor acht, neun Jahren wäre für die Mehrheit im Land noch klar gewesen: Man tritt nicht aus der Kirche aus. Das ist heute nicht mehr so klar. Vor vier Jahren war der Klimaschutz noch ein zentrales Zukunftsthema. Das ist heute nicht mehr so klar.

Ganz viel scheint heute nicht mehr so klar; stattdessen gibt es unzählige Meinungen zu allem und jedem: da ist es doch klar, dass man gereizt ist.

Das ist kein neues Phänomen. Genau genommen, ist es sogar ein sehr altes. Schon in Geschichten aus der Bibel, die ungefähr 600 Jahre vor Christus spielen, kommt das vor.

Da gibt es einen Propheten namens Jeremia in Jerusalem. Er ist einer von vielen, denn es sind unsichere Zeiten: Eine neue Großmacht namens Babylon könnte die gewohnten Machtverhältnisse verändern; Jerusalems Herrschende wissen nicht genau, wohin die Zukunft führen wird. Aber trotzdem versuchen sie, ihren Vorteil daraus zu ziehen. Und auch die Priester am Tempel wollen den Menschen nicht sagen, dass die Lage schwierig werden könnte. Und dass es gilt, zusammenzuhalten, statt auf den eigenen Vorteil zu schielen. Jeremia unterscheidet sich von den Priestern und den vielen anderen Propheten. Er steht für seine Überzeugungen ein. Er sagt: Vertraut auf den Gott, den wir kennen. Auf ihn müssen wir hören und nicht auf eigene Machtinteressen. Wir dürfen uns nicht von Angst bestimmen lassen – und einfach über Bord werfen, was richtig ist: Gott und sein Gebot, dass wir füreinander einstehen sollen.  Gott hält eine Zukunft für uns bereit.

Die Menschen, die ihn hören, reagieren extrem gereizt. „Frevler“, rufen sie und, „wir werden Dich verklagen“ und auch seine Freunde wenden sich einer nach dem anderen von ihm ab. Jeremia aber bleibt bei seiner Überzeugung, seinem Glauben und seinem Gott. Obwohl er unter den Anfeindungen fast zusammenbricht. Manchmal wünscht er sich sogar, nie geboren worden zu sein.

Nun sollte so eine biblische Geschichte, die von Gott handelt, nicht eins zu eins als Beispiel für das eigene Leben gedeutet werden.

Ich denke, die Geschichte von Jeremia ist auch für uns heute interessant. Weil auch wir in unsicheren Zeiten leben und viele gerade so gereizt sind. Jeremia hat nicht aufgegeben, sich für das Richtige einzusetzen – obwohl seine Mitmenschen gereizt reagiert und ihn sogar drangsaliert haben.

Jeremia hatte Recht. Allerdings hat sich das erst im Nachhinein gezeigt: Als Jerusalem von den Babyloniern zerstört wurde. Das möchte ich nicht vergessen, wenn ich an die Diskussionen und unsere Probleme von heute denke: Denn wer dabei recht hat und die richtigen Lösungen weiß, wird sich auch erst in Zukunft zeigen. Und trotzdem sollten wir es machen, wie Jeremia: für die eigene Überzeugung einstehen und sich von den anderen nicht mundtot machen zu lassen – egal wie gereizt die auch reagiert haben mögen.

Ich finde, die Geschichte hat uns außerdem noch etwas zu sagen. Nämlich: Nicht ständig gereizt sein! Es wäre viel reizender, wenn statt der ständigen „Frevler“-Rufe mal jemand rufen würde „Aha, das hab ich ja noch nie so gesehen. Anregend!“ Denn Jeremia benennt ja, wie er sich fühlt: Es wäre besser, nie geboren worden zu sein. Der dauernde Kampf um Überzeugungen macht mürbe.

Weltwandelzeiten waren das damals bei Jeremia. Und auch unsere heutige Welt wandelt sich. Der Ausgang ist ungewiss. Diese Ungewissheit gilt es, zu akzeptieren. Ich denke, es gilt, wie Jeremia zu den eigenen Überzeugungen zu stehen. Er leidet zwar an den Reaktionen auf das, was er sagt. Aber er gibt die Zukunft nicht auf. Und er gibt auch die Hoffnung nicht auf, dass die Menschen ihre eigenen Interessen eben doch hinten anstellen können. Und aufhören, so gereizt zu sein und lieber gemeinsam in die Zukunft zu gehen.

Dazu gehört dann für mich, geduldig zu ertragen, dass momentan alles nicht mehr so klar ist wie noch vor 10 Jahren. Für meine Überzeugungen einzustehen, und aufzupassen, dass ich nicht selbst überempfindlich und gereizt reagiere, wenn jemand anderer Meinung ist.  Und aber auch auszuhalten, dass wir alle irgendwie gereizt sind und auch im Kleinen mit der Ungewissheit ringen, wie die Zukunft wird.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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16MRZ2025
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„Vertrauen ist der Anfang von allem.“ Das war mal ein erfolgreicher Werbeslogan einer großen Bank. Ob er da wirklich immer so gepasst hat, das weiß ich nicht. Aber grundsätzlich stimmt der Satz ja. Denn wenn ich nichts und niemandem mehr vertraue, dann werde ich es mächtig schwer haben. Wer vertrauen kann, hat es einfach leichter im Leben. Dabei fängt Vertrauen tatsächlich schon beim Geld an. Wenn ich etwa nicht mehr darauf vertrauen kann, dass mein 50-Euro-Schein auch in zwei Wochen noch genau 50 Euro wert ist, dann habe ich ein echtes Problem. Wenn ich Menschen, die ein politisches Amt innehaben, grundsätzlich nicht vertraue, dann hat unsere Demokratie ein Problem. Und wenn ich überhaupt niemandem mehr vertraue, der mir begegnet, dann werde ich schon bald nur noch ein missmutiger und ziemlich einsamer Mensch sein. Misstrauen entfremdet Menschen voneinander, macht echte Nähe unmöglich, zerfrisst jede Beziehung. Man könnte den Satz darum auch umdrehen: Misstrauen ist das Ende von allem.

Weil Vertrauen so unglaublich wichtig ist, spricht auch die Bibel immer wieder davon. Schon ganz am Anfang, im allerersten Buch. Da wird von Abraham erzählt. Bis heute spielt der für den Glauben von Juden, Christen und Muslimen eine entscheidende Rolle. Die Geschichte geht so: Jahre zuvor schon hatte Gott dem Abraham, der als Nomade in der Wüste lebte, und seiner Frau Sara versprochen, dass sie mal ganz viele Nachkommen haben werden. Das Problem war nur: Die beiden haben bis dato einfach keine Kinder bekommen. Trotzdem vertraut Abraham blind auf Gottes Zusage. Danach jedoch passiert dann viele Jahre einfach gar nichts. Eines nachts nun, in einer Vision, wendet sich Abraham erneut an Gott. Er will wissen, was denn nun aus Gottes damaligem Versprechen geworden ist. „Das wird doch eh nichts mehr mit Kindern“, hält er Gott vor. Und Gott? Wiederholt einfach sein Versprechen. Mehr noch. Er schickt Abraham nach draußen, vor sein Zelt. In den Nachthimmel über der dunklen Wüste soll er schauen - in jenes grenzenlose Meer an Sternen, das man nachts dort sehen kann. So viele Sterne, wie du da oben siehst, so zahlreich werden mal deine Nachkommen sein, verspricht ihm Gott. Manch einer hätte da wohl gesagt: „Na klar, wer‘s glaubt wird selig.“ Aber Abraham vertraut ihm. Wieder mal. „Und das“, so heißt es in der Bibel, „rechnete Gott ihm als Gerechtigkeit an“.

Für mich gehört diese Geschichte vom nächtlichen Sternenhimmel zu den schönsten in der Bibel. Weil sie so viel darüber erzählt, was Glauben bedeutet. Nämlich, vertrauen zu können. Grenzenlos. Gegen jede Einflüsterung, die mir sagen will: Ist doch alles Quatsch. Bringt ja eh nichts. Ein Mensch der vertrauen kann, der kann glauben.

                                                                                                                                                                      

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein geflügeltes Wort, das sich schon lange in unserer Alltagssprache eingenistet hat. Ist ja auch was dran. Wenn es um Abrechnungen oder Bankauszüge geht. Um Firmenvertreter, die an der Haustür klingeln. Um unbekannte Anrufer, die mir irgendwas aufschwatzen wollen. Und obwohl wir das im Prinzip ja alle wissen, fallen trotzdem Menschen darauf rein. Weil sie anderen vertraut haben, obwohl gesundes Misstrauen und Kontrolle sinnvoller gewesen wären.

Aber auch in Glaubensfragen halten es viele heute eher mit Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser und gehen lieber auf Abstand. Vielleicht, weil ja bisher noch keiner irgendeinen Gott gesehen oder bewiesen hat. Weil jene, die an so einen Gott glauben, immer so ein Geruch von Selbstbetrug umweht. Der Verdacht, dass sie sich etwas zurechtphantasieren, was es nicht gibt und nie gegeben hat. Eine Krücke für schwache Gemüter eben, die mit den Zumutungen der realen Welt nicht klarkommen und sich darum was vormachen müssen. Ich kann Menschen, die so denken, sogar verstehen. Glauben in einer rationalen, durchorganisierten Welt ist eine ständige Zumutung. Auch für mich.

Als ich vor einigen Jahren am Sarg meines Vaters gestanden habe, da habe ich zu ihm gesagt: „Wir sehen uns wieder!“ Ich weiß noch, dass mir damals Zweifel kamen, noch während ich das sagte. Wird das so sein? Machst du dir nicht was vor? Zweifel gehören aber dazu, sind die Rückseite jedes erwachsenen Glaubens. Und doch kann ich noch immer glauben, was ich damals gesagt habe. Weil ich immer noch auf diesen Gott vertraue. Denn wenn ich dieses Vertrauen nicht hätte, dann würde letztlich auch der Satz, dass die Liebe stärker ist als der Tod, keinen Sinn mehr machen. Auch so ein Satz aus der Bibel. Ich kann ihn sogar spüren, immer wieder.

Hier kommt Abraham nochmal ins Spiel, der schließlich doch noch Kinder bekam, gegen jede Lebenserfahrung. Abraham, den nichts und niemand erschüttern konnte in seinem Vertrauen auf Gottes Zusage. Oder anders gesagt: In seinem Glauben. Damals, am Sarg meines Vaters, habe ich gemerkt: So unerschütterlich glauben wie dieser Abraham kann ich nicht. Aber vertrauen will ich trotzdem darauf, dass das Leben und die Liebe größer sind als der Tod. Und dass an Gottes Wort, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, etwas dran ist. Vertrauen ist vielleicht nicht der Anfang von allem. Aber es ist der Anfang des Glaubens.

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09MRZ2025
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Gerade war Aschermittwoch, der Fasching – die Fasnettszeit ist vorbei. Einerseits schade, denn es ist gut, dass wir mal Dampf ablassen konnten. Einfach feiern und auch lachen: über uns selbst, über die Verspätungen der Bahn, über Trump und Putin, über den alltäglichen Wahnsinn in einer Beziehung. Die Alten haben über die Jungen gelästert und die Jungen haben den Alten den Spiegel vorgehalten…

Einerseits tut das gut. Anderseits ist irgendwann doch die Luft raus. Man kann nicht immer lachen, sonst wird’s künstlich. Und wenn dann noch so schreckliche Dinge passieren, wie am Rosenmontag in Mannheim– dann kann es eigentlich nur noch verstummen.

Heute ist der erste Sonntag in der Passionszeit. Für uns Christen beginnen damit eine eher ruhige Zeit - um nachzudenken über die letzten Wochen im Leben von Jesus, vor bald 2000 Jahre. An seinen Weg nach Jerusalem, an die wachsende Feindschaft, die er dort erleben musste, und wie er schließlich verhaftet wurde und unschuldig am Kreuz gestorben ist.

Ein harter und abrupter Wechsel nach Fasching. Vom Lachen zum Weinen. Vom Feiern an die Seite Jesu auf seinem Leidensweg. Aber der Wechsel ist wichtig, denke ich. Zu lachen hat geholfen: um das auszusprechen, was uns Angst macht und woran wir leiden. Und was einmal ausgesprochen ist, das können wir auch angehen. Immer Lachen geht nicht. Irgendwann müssen wir uns auch auf den Weg machen, durch unsere Ängste und Sorgen hindurch. Und am besten nicht allein, sondern mit Jesus von Nazareth an der Seite.

Jesus hat seinen Weggefährten einmal versprochen: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Das heißt doch: Jetzt schon berührt der Himmel die Erde. Es gibt Hoffnung, dass der schwere Weg irgendwann einmal endet! Dass es Ostern wird. Und die ganze Welt aufatmen kann – erlöst von allem Bösen: von Angst, Krieg, Gewalt, Einsamkeit, Verlorenheit… 

Aber ist diese Hoffnung nicht doch Selbstbetrug? Und dass der Himmel die Erde berührt – erlebe ich das, wenn ich Jesus in der Passionszeit auf seinem Weg begleite? Sein Weg führt schließlich ans Kreuz. Die Weggefährten damals verlieren ihre Hoffnung. Und ich kann verstehen, dass heutzutage immer weniger Menschen an einen Himmel glauben können.

Was, wenn der Himmel leer ist? Und wo kann ich das spüren – dass der Himmel die Erde berührt?

Die Passionszeit hat begonnen. Die Zeit, in der wir Christen an die letzten Wochen und Tage im Leben von Jesus erinnern. Und ihn in Gedanken auf seinem Weg begleiten. Ich denke, es ist eine tiefe Sehnsucht, die uns dazu bringt: danach, dass es am Ende dieses Weges Ostern wird. Der Tod besiegt ist und mit ihm alle unsere Angst und alle Ungerechtigkeit.

Allerdings kann man diese Hoffnung und Sehnsucht auch sehr leicht verlieren. Eben, im ersten Teil der Sonntagsgedanken, habe ich erzählt, dass ich es durchaus verstehen kann, dass auch heute immer weniger Menschen an einen Himmel glauben können. Angst, Wut, Leid, Einsamkeit, Hunger… Das alles scheint kein Ende nehmen zu wollen. Wo kann man das sehen, dass Himmel und Erde sich berühren?

Tja, wo? Eine alte Legende erzählt, dass sich zwei Mönche einmal dieselbe Frage gestellt haben. Sie haben zufrieden in der Gemeinschaft ihres Klosters gelebt. Aber eines Tages lasen sie in einem alten Buch, dass es da irgendwo, in weiter Ferne, vielleicht am Ende der Welt, einen Ort gäbe, wo unermessliches Glück herrschte. Einen Ort, an dem der Himmel die Erde berührt. Die beiden Mönche machten sich auf die Suche nach diesem Ort. Der Weg war lang und voller Entbehrungen. Doch irgendwann erreichten sie eine Tür, wie sie im Buch beschrieben war. Hinter dieser Tür sollte es sich befinden: das große Glück, der Ort, an dem der Himmel die Erde berührt. Sie klopften an. Die Tür öffnete sich. Sie traten ein. Da standen sie nun – in ihrer eigenen Klosterzelle, von wo sie aufgebrochen waren.

Auf der Suche nach dem Glück landen die beiden wieder in ihrem Kloster. Der Ort, an dem sich Himmel und Erde berühren ist: in ihrer Gemeinschaft. In ihrem Alltag, den sie gemeinsam jeden Tag meistern: Seite an Seite.

Ein bisschen kitschig, diese Legende – ich gebe es zu. Vielleicht auch ein bisschen zu einfach. Vielleicht aber auch nicht. Denn als Jesus am Kreuz gestorben war, und seine Freunde erst einmal kopflos auseinandergelaufen sind. Was hat ihnen da neuen Halt gegeben? Die Ermahnung von Jesus vor seinem Tod, beieinander zu bleiben. Gemeinsam ihren Weg weiterzugehen.

Bis heute sind deshalb Menschen an der Seite von Jesus unterwegs – obwohl sein Weg kein leichter ist. Obwohl wir manchmal das Vertrauen verlieren, dass der schwere Weg wirklich einmal endet. Wir wirklich alles überstehen und es Ostern wird.

Aber wenn wir es wagen und den Weg der Hoffnung gemeinsam gehen, dann können wir einander zeigen, wie der Himmel die Erde doch immer wieder berührt.

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