SWR4 Sonntagsgedanken

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14APR2024
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Da ist eine vollkommen verzweifelte Frau: eine Sklavin, die aus ihren fürchterlichen Lebensverhältnissen geflohen ist. Die jetzt auf der Flucht ist, völlig allein, ohne Anlaufstelle und noch dazu – schwanger. Die Bibel erzählt von ihr im Alten Testament. Die Frau heißt Hagar. Sie ist völlig am Ende – da findet sie ein Engel, also ein Bote Gottes; mitten im Nirgendwo. Offensichtlich hat er Hagar gesucht. Ein Engel! Die Rettung für Hagar – könnte man meinen.

In der biblischen Erzählung hört sich der Engel Gottes Hagars Leidensgeschichte an – und schickt sie dann zurück. Zurück zu ihrer Herrin Sarah und damit zurück ins Elend. Und ich denke nur: Wie kann das sein? Der Bote Gottes macht Hagar auch keine Versprechungen, keine Illusionen, dass es besser werden würde. Dass die Herrin ihre Sklavin nun besser behandeln würde oder sie sogar gleichberechtigt leben dürfte. Nein, der Engel schickt sie zurück und sagt ihr ausdrücklich, dass sie sich weiter demütigen lassen soll. Wie kann das sein? Warum ist Gott derart unbarmherzig?

In meinem Hinterkopf tauchen sofort die Bilder von den vielen Flüchtlingen weltweit auf. Und natürlich die Diskussion bei uns über Migration, Integration und Abschiebung. Um auf die Parallele zu kommen, braucht’s nicht viel Phantasie, finde ich. Gerade bei der Diskussion rund um die Abschiebung. Denn selbst wenn geflüchtete Menschen in ihrer alten Heimat nicht mit dem Tod bedroht sind. Und selbst wenn man die Ansicht vertritt, dass wir so viele Menschen bei uns nicht aufnehmen können – ist es nicht unfassbar unbarmherzig von unserer Gesellschaft, diese Menschen zurück in ihre hoffnungs- und perspektivlose Lebensumstände zurückzuschicken?

Der Sonntag heute trägt den altkirchlichen Namen „Misericordias Domini“. Das heißt: „Die Barmherzigkeit des Herren.“ Und gerade heute geht es in den evangelischen Gottesdiensten genau um die Geschichte von Hagar und dem Engel Gottes. Ich finde, man sollte diese Geschichte noch etwas genauer anschauen.

Also noch einmal: Hagar ist geflohen, weil ihre Herrin sie bei jeder Gelegenheit gequält hat. Hagar ist nämlich schwanger. Sie soll an Stelle von Sarah ein Kind austragen, weil Sarah selbst keine Kinder bekommen kann. Eine üble Konstellation. Sarah ist eifersüchtig und lässt ihren Frust an ihrer Sklavin aus.

Und genau in diese Situation schickt der Engel Gottes Hagar zurück. Aber eben nicht, um sie einfach abzuschieben – aus den Augen aus dem Sinn. Der Engel Gottes hatte Hagar ja selbst gesucht und hat ihre Geschichte hören wollen. Und er gibt ihr eine Perspektive für die Zukunft mit. Und Hagar geht zurück – mit der Gewissheit, dass sie einen Sohn zur Welt bringen wird und dass ihr Sohn ein gutes Leben haben wird. Das ist es, was Hagar wohl mehr braucht als alles andere: Die Gewissheit, dass es Hoffnung gibt. Für sie und für ihr ungeborenes Kind!

Wieder muss ich an die Bilder der Flüchtlingsströme unserer Zeit denken. An die vielen Männer, Kinder und Frauen – und auch die schwangeren Frauen – die aus Verzweiflung ihre Heimat verlassen und hoffen, dass sie irgendwo jemanden finden, der ihnen hilft.

Und im reichen Europa und bei uns in Deutschland, da ringen wir um die Frage, ob es vertretbar ist, verzweifelte Menschen einfach zurückzuschicken. Die biblische Geschichte von Hagar lässt mich auf diese Frage klar mit einem „Nein!“ antworten. Selbst wenn wir nicht alle aufnehmen können oder wollen, wir dürfen Menschen in Not nicht einfach abschieben nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn.  Wenn wir Menschen ohne Hoffnung lassen, dann wäre das wirklich unbarmherzig.

Wie das gehen kann? Wie unsere Gesellschaft Menschen auf der Flucht eine Perspektive geben kann – ob nun hier oder in einem anderen Land? Das ist eine riesige Herausforderung, denke ich. Aber eine, der wir uns stellen müssen. Wir müssen barmherzig sein und Menschen, die zu uns kommen auf der Suche nach Hilfe eine Perspektive geben. Ich denke, das ist es, was mehr braucht als alles andere. Wir brauchen – Hoffnung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39739
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