SWR4 Sonntagsgedanken

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24MRZ2024
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Mit einem lebendigen Esel beginnt heute am Palmsonntag der Gottesdienst bei uns. Auf dem Marktplatz von Blieskastel im Saarland wird er auf seinen großen Auftritt warten. Bis zur Kirche wird er von den Kommunionkindern und ihren Eltern begleitet. Alle tragen bunte Palmsträuße. Mehr oder weniger geduldig wird der Esel mitgehen. Geführt vom Pfarrer an einer Leine. Seit dem 10. Jahrhundert gibt es diese Tradition. Die Pfarrer ritten am Palmsonntag auf einem Esel durch die Stadt zur Kirche. Sie spielten einfach nach, wie es Jesus damals erlebt hatte. Wie er begrüßt wurde von jubelnden Menschen auf den Straßen von Jerusalem. Bis zur Kirche war es weit und der Esel nicht selten störrisch. So mussten die Prozessionen öfters so lange anhalten, bis der Esel wieder bereit war weiterzugehen.

Irgendwann hatte man es satt mit den Launen des eigensinnigen Tiers. Die Lösung war ein sogenannter „Palmesel“ mitsamt einer Jesusfigur aus Holz. Auf Rädern montiert ging alles seinen geordneten Weg, ohne das ungebührlich störrische Verhalten eines Esels.

Nach altem Brauch wurde früher am Palmsonntagsmorgen so mancher Langschläfer mit den Worten „Du bist der Palmesel“ begrüßt. Das hatte seinen guten Grund. So störrisch wie ein Esel erschienen auch die Spätaufsteher. Sie kamen nicht voran, oder in diesem Fall, aus ihrem Bett.

Der Esel ist zwar ein Nebendarsteller in der Geschichte vom Palmsonntag. Aber ein wichtiger. Erzählt er doch viel von dem, den er trägt. Von diesem Jesus, denn auch der geht seinen eigenen Weg. Unbeirrt. So ganz anders, als all die andern es wollen. 

Heute beginnt für Christen die wichtigste Woche im Jahr. In den Gottesdiensten werden dramatische und emotionale Geschichten erzählt. Vom letzten Mahl Jesu mit seinen Freunden kurz vor seiner Gefangennahme. Von seinem Prozess und dem brutalen Mord am Kreuz. Aber auch von einer glücklichen Wende an Ostern. Alles beginnt heute, mit dem Palmsonntag. Wie bei einem Event. Es ist ganz großes Kino. Voller lebendiger Bilder.

In der Geschichte vom Palmsonntag wechselt Jesus sein Fortbewegungsmittel. Nicht mehr zu Fuß ist er unterwegs, sondern auf dem Rücken eines Esels kommt er daher.

Am Rand der Straße jubeln ihm die Menschen zu. Sie kennen all die uralten Prophezeiungen. Die erzählen davon, wie ein König kommen wird. Sanftmütig sei er, erzählt man sich. Nicht hoch zu Ross. Auf einem Esel werde er reiten. Nicht Krone und Schwert trägt er. Bewaffnete Begleiter an seiner Seite braucht er nicht. Es sind einfache Leute in seinem Freundeskreis. Jetzt ist es so weit, sagen sich die Menschen in der jubelnden Menge. Dieser Jesus wird Frieden bringen im von den Römern besetzen Land. Im Eselreiter kommt der lang ersehnte König zu uns.

Und es kommt, wie es so oft kommt. Erst hören wir, dass Jesus unter lautem Jubel durch Jerusalems Straßen zieht. Wie er als der lang ersehnte Retter gefeiert wird. Und dann kurz darauf brüllt man: „Ans Kreuz mit ihm.“ Die Menschen, die ihm erst nachlaufen und zujubeln, stehen Tage später schweigend am Kreuz, oder verfolgen das grausame Geschehen aus Angst von der Ferne.

Die Stimmung der Öffentlichkeit ist wankelmütig. Bis heute ist das so. Nicht nur in den sozialen Medien. Erst viele Likes und dann ein tödlicher Shitstorm. Daumen hoch. Daumen runter. Von jetzt auf nachher. Was für ein krasser Umbruch. Jubel und Hass, Leben und Tod sind ganz nah beieinander. All das erleben auch wir. Wir freuen uns an der Wärme des Frühlings. Der Natur, die endlich wiedererwacht. Und sehen die bedrückenden Bilder des Krieges. Die Menschen auf der Flucht. Das Sterben der Kinder. Wir freuen uns auf das Osterfest und betrauern die Toten.

Sanftmütig kommt er daher, steht in den uralten Prophezeiungen. So ganz anders als erwartet. Kann uns der Mann auf dem Esel heute noch Vorbild sein? Unzählige machen es so wie er. Sie gehen ihren Weg entschieden. Ganz anders, als die Mächtigen es wollen. Sanftmütig. Ohne Gewalt. Der Liebe und der Menschenwürde verpflichtet. All die Frauen, die jetzt im Krieg das Leben ihrer Kinder retten wollen. Sie tragen keine Waffen. Wurden unschuldig hineingezogen in den Wahn des Krieges. Ich denke an mutige Menschen, die irgendwo auf der weiten Welt auf die Straßen gehen und für den Frieden demonstrieren. Selbst auf die Gefahr hin festgenommen und verhaftet zu werden. All die Jüdinnen und Juden, die noch immer auf Freiheit warten. Ihre Familien, die seit dem 7. Oktober sehnlichst erwarten, sie wieder in den Arm nehmen zu können. Ich denke an den mutigen Alexei Nawalny. Seinen Kreuzweg. Entschieden und unbeirrt ging er seinen Weg. Das Ende einer mörderischen Diktatur war seine Vision. Das bezahlte er mit seinem Leben.

Mit dem Palmsonntag beginnt die wichtigste Woche der Christen. Der Mann auf dem Esel hat der Welt keinen Frieden gebracht. Aber eine Botschaft, die nicht totzukriegen ist.

Mitten im Leid bleibt er ihr treu. Es ist die Botschaft der Liebe und der Gerechtigkeit. Die Botschaft von der Würde eines jeden Menschenkindes. Ich will ihn mir zum Vorbild nehmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39566
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