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21APR2024
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Kurz nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft, noch auf dem Spielfeld, steht ein Reporter plötzlich vor Frank Ribery, der mit der Meisterschale grinsend über den Rasen läuft. „Kannst du mal in die Kamera jubeln“, fragt er den Links-Außen-Spieler, der ursprünglich aus Frankreich stammt.  Und der hebt aus tiefster Überzeugung die Meisterschale in die Kamera und schreit „Jubeln“. Die Szene ist inzwischen legendär unter Fussballfans. Und der arme Frank Ribery hat inzwischen vermutlich das Wort Jubeln fest in seinem Wortschatz.

Klar, das Missverständnis ist zum Schmunzeln – aber wie hätte Ribéry denn sonst kameratauglich jubeln sollen? Winken vielleicht, oder Hüpfen? Jubeln ist ja mehr, als „sich freuen“. Wer macht das schon? So richtig aus sich herausgehen und laut – jubeln…Zu meinen alltäglichen Gefühlsausbrüchen gehört Jubeln jedenfalls nicht. 

Der heutige Sonntag ist in der evangelischen Kirche dem Jubeln gewidmet. Ein Sonntag, der daran erinnert, dass wir Grund zum Jubeln haben.

In der Bibel jubeln nicht nur die Menschen, sondern die ganze Erde: „Jauchzet, ihr Himmel, denn der HERR hat’s getan! Jubelt, ihr Tiefen der Erde! Ihr Berge, frohlocket mit Jauchzen, der Wald und alle Bäume darin!“, heißt es zum Beispiel im Jesajabuch. Die ganze Welt jubelt, weil Gott sein Volk Israel und die Erde erlöst. Die Menschen der Bibel fühlen sich hier leicht und befreit. Die ganze Schöpfung atmet auf, weil Gott auf ihrer Seite steht.  Ich finde die Vorstellung von singenden Tiefen, tanzenden Bergen und jubelnden Meeren großartig. Und in einem bisschen kleineren Maßstab jubelt die Natur ja jetzt wirklich, wo es Frühling ist. Zwitschernde Vögel, rausgeputzte Blumen, und wuselige Insekten.

Bejubelt wird in der Bibel aber nicht nur die Welt wie sie ist, sondern vor allem darüber, wie die Welt sein wird. Die Welt ist so schön und kann gleichzeitig so schrecklich sein. Wir leben in Freiheit und müssen doch Angst haben vor Krieg und Gewalt. Aber Gott verspricht, dass diese Schrecken einmal ein Ende haben werden. 

Wäre es nicht besser mit dem Jubeln so lang zu warten, bis es soweit ist? Bis Gerechtigkeit herrscht und keiner mehr leiden muss? Ich glaube, es ist gut schon jetzt darüber zu jubeln, wo wir Bruchstücke von Gott neuer Welt erahnen – eben in der Schönheit der Natur, beim bezaubernden Konzert am Abend oder dem duftenden Kaffee am Morgen. In der wiedergewonnenen Freundschaft im neugeborenen Kind. Ein bisschen neue Welt und Grund zum Jubeln.

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14APR2024
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Ostern hat in den Evangelien ein Nachspiel: Immer wieder, so wird erzählt, taucht der  auferstandene Christus unvermutet im Kreis seiner Anhänger auf. Die stehen noch gewaltig unter Schock, denn in Jerusalem haben sie den hingerichtet, der ihre ganze Hoffnung war. Und nun steht er, der „Meister“, plötzlich wie aus dem Nichts in ihrer Mitte – dringt durch Wände und verschlossene Türen. Die Versammelten spüren: Er ist da, anders zwar als zu seinen Lebzeiten, aber er ist es, gibt sich selbst zu erkennen. Sie erschrecken sich zu Tode. Er aber wünscht ihnen Frieden (Lukas 24,36; Johannes 20,19; 20,21; 20,26). Daran erinnert bis heute der „Friedensgruß“ in der katholischen Messe, den die Gläubigen einander mit einer freundlichen Geste weitergeben.   

Also „Friede, Freude, Eierkuchen?“ „Friede“ ist in der Bibel mehr als eine Schleckerei. Er meint Glück, Wohlergehen, Zu-frieden-heit, wie die deutsche Sprache treffend sagt. Friede bedeutet, dass Leben gelingt und Beziehungen tragen. Er beginnt im eigenen Herzen. Wer mit sich selbst im Reinen ist, sich aushalten kann auch mit seinen Macken und Fehlern, der wird auch mit andern im Frieden leben, weil er sie achtet und respektiert. Achtung und Respekt sind auch die Basis für das friedliche Zusammenleben der Völker. Friede ist für Christen nicht zuletzt Friede mit dem „Gott des Friedens“, „der seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“, wie Jesus einmal sagt (Matthäus-Evangelium 5,9).

Zwei Milliarden Getaufte würden zu einer weltweiten „Friedensbewegung“, wenn sie Frieden in ihrem Alltag leben. Da bliebe für Bosheit und Hass kaum noch Raum. Denn das ist mein Verdacht: Es ist zu viel Unfriede in der Welt. Der verdichtet sich in den Knallköpfen unfähiger Politiker immer wieder zu einem explosiven Gemisch, das sich dann in verbrecherischen Kriegen entlädt.

Friede im eigenen kleinen Leben bedeutet, einem streitsüchtigen Nachbarn doch die Hand hinzureichen. Einen lächerlichen Erbschaftsstreit zu begraben, weil wir nackt und bloß, wie wir gekommen sind, auch wieder gehen müssen. Friede heißt: sprechen, verhandeln, sich aussöhnen, für Ausgleich sorgen, mit Kompromissen leben.  

Friede ist kein Wort – Friede ist ein Programm. Daran denke ich, wenn ich heute der Gemeinde zuspreche: „Der Friede des Herrn sei allezeit mit Euch!“

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07APR2024
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Obwohl ich es besser weiß, habe ich mir wieder eine weiße Hose gekauft. Ich mag weiße Klamotten – gerade im Frühling: sie sind luftig, hell, freundlich – richtig strahlend, wenn die Sonne drauf scheint. Und: Ich werde sie heute anziehen – und ein weißes T-Shirt. Weil’s mir gefällt und als kleines Zeichen für mich selbst, was heute für ein Tag ist: nämlich der erste Sonntag nach Ostern. Und den nennen Christen seit alters her den „Weißen Sonntag“.

Ein weißes Outfit ist allerdings gefährlich. Ich weiß genau, dass Weiß nicht lange Weiß bleibt – zumindest nicht bei mir. Aber genau das passt zur Symbolik des Weißen Sonntags: Eine weiße Weste haben wir Menschen nämlich auch im übertragenen Sinne nur selten. Die ersten Flecken holen wir uns schnell – durch die kleinen Unfreundlichkeiten und Mogeleinen des täglichen Lebens. Da sind aber auch die großen, hässlichen Schmutzflecke. Die hartnäckigen, die auch mit Ariel oder Persil kaum rauszukriegen sind: Untreue, Betrug und Eigennutz. Wenn zum Beispiel die einen das billig einkaufen, was andere zu einem Hungerlohn hergestellt haben. Am Weißen Sonntag geht es um die Ursachen von Krieg, Zerstörung und Ungerechtigkeit und wie jeder einzelne von uns darin verstrickt ist. Und das sind wir! Jeder einzelne von uns - davon bin ich überzeugt.

Den heutigen Sonntag nennen die Christen von alters her den „Weißen Sonntag“. In früheren Zeiten war das der Tag, an dem die Gemeinde ihre neuen Mitglieder aufgenommen hat. Im Gottesdienst haben sie die Heilige Taufe empfangen: Die Neuen haben sich ganz und gar in Wasser untertauchen lassen und waren dann – beim ersten Atemzug nach dem Auftauchen – wie neu geboren. Und wie neugeborene Kinder frei von Schuld und den hässlichen Flecken und Narben ihres bisherigen Lebens. Sie waren jetzt getauft: auf den Namen von Jesus Christus.

Heute, am ersten Sonntag nach Ostern, ist Weißer Sonntag. Und ich werde meine neue weiße Hose anziehen und dazu ein weißes T-Shirt. Auch wenn das dumm ist und ich ganz schnell wieder voller Flecken sein werde. Die Hose kann ich waschen. Und was die hässlichen Flecken auf meiner Seele und in meinem Leben angeht: Ich bin doch getauft. Das was für die Christen vor Jahrhunderten galt, gilt auch für mich: Ich bin getauft auf den Namen von Jesus Christus – und der macht mich und mein Leben rein – und gibt mir die Chance es besser zu machen.

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01APR2024
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Monte Scherbelino. So heißt im Volksmund ein Hügel in Stuttgart. Eigentlich heißt er Birkenkopf. Aber weil es ein Schuttberg aus Trümmern des Zweiten Weltkriegs ist, nennen die Leute ihn so: Monte Scherbelino. In Stuttgart wie in vielen anderen deutschen Städten konnte man sehen, wo man nach einem Krieg steht: Vor einem Scherbenhaufen. So viele kaputte Häuser, so viele Tote, so viele zerstörte Lebenspläne.

Eine Gruppe von Christen in Stuttgart trifft sich heute Nachmittag um 15 Uhr auf dem Monte Scherbelino, um sich daran zu erinnern. Und sich darin zu bestärken, dass Krieg das Schlimmste ist, was Menschen einander antun. „Nie wieder Krieg!, ist deshalb ihre gemeinsame Parole. Gleichzeitig wissen sie, dass es wieder Krieg gibt auf unserer Welt. In der Ukraine schlagen jeden Tag russische Bomben ein; und das ist näher, als wir glauben. Israel wurde von der Hamas heimtückisch attackiert. Und als Deutsche liegt uns besonders daran, Israel und seine Menschen zu unterstützen.

Ostermontag auf dem Monte Scherbelino. Oben auf dem Hügel steht ein Kreuz. Seit Karfreitag hängen dort vier Dornenkronen. So eine, wie Jesus sie auf seinem Kopf hatte, um ihm Schmerz zuzufügen, ihn leiden zu sehen. So böse kann der Mensch sein, so grausam, so gewalttätig. Das gehört auch zu Ostern, weil die Auferstehung keine andere Welt schafft, sondern mitten im Leben geschieht. Damals wie heute. Bevor Gott seinen Sohn auferweckt hat, musste der Leid und Tod durchmachen. So scheint das geregelt zu sein auf dieser Welt. Und wer klug ist, täuscht sich nicht über diese harte Realität. Auf dem Scherbelino stehen die vier Dornenkronen für vier Aspekte, die dem Frieden dienen, wenn wir sie beachten. Nicht zu vergessen, was war, und aus der Erinnerung lernen. Sich nicht dem Krieg hinzugeben, ihm nicht das letzte Wort zu überlassen. Zu akzeptieren, dass es keine Welt ohne Leid gibt, es aber gilt, das Leiden erträglich zu machen. Die vierte Dornenkrone steht für meine persönliche Schuld, die Schattenseiten, mit denen ich anderen das Leben schwer mache.

Wer Ostern feiert, glaubt daran, dass es einmal anders sein wird als bisher. Kein Leid mehr, kein Krieg. Alles, was ist, lebt in Harmonie – mit sich, mit anderen, und mit Gott. Er beendet den Kreislauf des Todes, wo ein Geschöpf dem anderen nach dem Leben trachtet. Die Stuttgarter Christen laden heute auf den Scherbelino ein. Um das nicht zu vergessen. Nie!

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31MRZ2024
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Christus ist auferstanden! Jesus lebt. Das ist die Botschaft am Ostermorgen. So grüßen sich Christen heute auf der ganzen Welt. Und ich grüße Sie von Herzen auch so. Aber was, wenn sie kein Christ sind und nicht an die Auferstehung glauben? Ich bin überzeugt, dass Ostern für alle da ist und jeder davon profitieren kann.

Weil Jesus von den Toten auferstanden ist und Christen glauben, dass deshalb kein Mensch, überhaupt kein Leben auf dieser Erde endet, ist das für mich keine exklusive Angelegenheit. Es ist nicht für die Christen reserviert. Im Gegenteil: Ostern ist ein universales, ein alles umfassendes Ereignis. Johannes hat das in seinem Evangelium genau so aufgeschrieben, wenn er Jesus sagen lässt: Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen[1]. Alle werden von Jesus mitgenommen in den Himmel. Alle werden davon befreit sein, was sie auf der Erde bedrückt und unglücklich gemacht hat. Alle werden neu leben. Das ist das Versprechen, an das ich als Christ glaube. Aber wie profitieren alle schon heute von Ostern?

Eine Schülerin sagt mir, dass ja sowieso jeder sterbe müsse, früher oder später. Und dass es keine so große Rolle spiele, wann das geschieht. Ob mit fünfzehn oder fünfzig oder fünfundneunzig. Da hat sie schon recht, wenn sie dann sagt: Es bringt nichts, wenn ich mein bisschen Leben für allzu wichtig, gar unverzichtbar halte. Wer sein Leben nach Tagen berechnet, muss unglücklich werden. Ich halte der Schülerin entgegen: Mein Leben ist doch nicht egal. Es ist nicht bedeutungslos, wie ich lebe, wer ich bin. Für mich bedeutet es einen großen Unterschied, ob ich darauf hoffe, dass ich nicht umsonst hier bin. Ich hoffe auch darauf, nicht ins Nichts zu fallen, wenn ich sterbe. Und diese Hoffnung hat Konsequenzen. Ich schaue dann mit größtem Respekt auf alles, was lebt – auf Menschen, Tiere, Pflanzen. Ich kämpfe um jeden Menschen, wenn ich etwas für ihn tun kann. Ich investiere so viel wie möglich in die Liebe. Weil das die Botschaft des Kreuzes ist, an dem Jesus starb. Dort oben, erhöht am Kreuz, umarmt er jeden von uns und bindet ihn an sich. Es ist dieses Vorzeichen der Liebe über den Tod hinaus, von dem alle nur profitieren können.

[1] Johannes 12,32

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24MRZ2024
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Noch eine Woche bis Ostern. Mit dem heutigen Palmsonntag beginnt die Karwoche. Unglaublich, was in dieser Woche, den biblischen Berichten zufolge, alles passiert ist. Bis ins Detail ist alles dokumentiert, was Jesus erlebt hat. Wenn ich die Berichte darüber in den Evangelien lese, wirkt es auf mich fast so, als wollten sie herausfinden, an welcher Stelle die Dinge doch noch einen anderen Verlauf hätten nehmen können, einen, der nicht zu seinem schrecklichen Tod am Kreuz geführt hätte.

Und so erlebe ich es auch, wenn ich als Pfarrerin zu einem Todesfall gerufen werde. Die Angehörigen erzählen mir oft in allen Einzelheiten von den letzten Lebenswochen oder -tagen. Wie bei einer Spurensuche: Haben wir etwas übersehen? Worauf hätten wir mehr achten sollen? Wäre der Tod noch einmal zu vermeiden gewesen? Oder hätte er wenigstens leichter sein können? 

Jesus hat wohl sehr klar und deutlich vorausgesehen, was in Jerusalem auf ihn zukommen würde. Immer wieder hat er in Gesprächen Andeutungen gemacht, dass er damit rechnet, sterben zu müssen. Die Jünger, die ihn auf Schritt und Tritt begleitet haben, konnten oder wollten das aber nicht verstehen. Schon gar nicht an diesem fantastischen Palmsonntag. Richtig high waren sie am Abend dieses Tages. Die Ankunft ihrer kleinen Gruppe in der Stadt, Jesus mittendrin auf einem Esel, war zu einem regelrechten Triumphzug geworden. Die Menschen auf den Straßen hatten ihm zugejubelt, einzelne sogar Palmzweige abgerissen und ihm aus Kleidern einen roten Teppich vor die Füße. Er war ihr Held; wie einen König hatten sie ihn begrüßt, mit lauten Hoch-Rufen.

Ich bin froh, dass es diesen Palmsonntag, für Jesus am Ende seines Lebens gegeben hat. Ein Tag wie unter einer warmen, wohligen Segensdusche, voller begeisterter Zuwendung. Ich hoffe, dass die Jubelrufe und die Sympathie, die ihm da entgegengeschlagen sind, ihn noch eine Weile getragen haben, so wie der Esel, das sanftmütige Tier. Ich wünsche mir, dass all das ihm Kraft gegeben hat in den Situationen, in denen er schon bald ganz allein gewesen ist. Ich wünsche uns allen solche Tage, die bis ans Ende tragen. 

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17MRZ2024
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Im Alten Testament gibt es eine ganz eigenwillige, auf den ersten Blick fast abstoßende Geschichte. Dort führt Gott seinen Propheten Ezechiel im Traum in eine weite Ebene. Über diese Ebene verstreut liegen lauter Totengebeine. Gott fragt den Ezechiel, ob er denn glaube, dass diese ausgetrockneten Gebeine wieder lebendig werden könnten? Und Ezechiel antwortet weise: „Herr und Gott, das weißt nur Du.“

Die toten Gebeine sind ein Bild für das zerschlagene Volk Israel, das zur Zeit des Propheten in der Verbannung lebt. Gott scheint seinen Propheten zu fragen: „Glaubst du daran, dass das Schicksal sich wenden kann, erhoffst du noch etwas?“ Ezechiel jedoch spielt den Ball ein zweites Mal zurück. „Es liegt an dir, ich lege es in deine Hand.“ Und Gott will, dass diese zerschlagenen Gebeine wieder lebendig werden. Ein Ruck geht durch die Szene, aus toten Gebeinen werden nach und nach Menschen aus Fleisch und Blut.

Der Künstler und Pfarrer Sieger Köder hat diese Vision in einem Buntglasfenster der Heilig-Geist-Kirche in Ellwangen dargestellt.

Dem Fenster hat er den Titel „Belebung“ gegeben. Diese Belebung hat er so gestaltet: Am unteren Rand sieht man den Propheten sitzen, wie er auf eine Schriftrolle schreibt: „Ich bringe Leben in Euch“.Wie durch einen gewaltigen Sog werden rechts und links von ihm Gebeine nach oben gezogen und wieder zu Skeletten zusammengefügt. Gefesselte Hände werden frei, wie im Zeitraffer werden nach und nach Gesichter und Körper sichtbar. Menschen aus Fleisch und Blut sitzen miteinander um einen Tisch, essen und trinken zusammen, sind sozusagen zurück im Leben.

Diese Geschichte beim Propheten Ezechiel mit den Totengebeinen wird oft auch als Vision für die Auferstehung gedeutet.

Für mich ist es auch ein Bild für die kleinen und großen Auferstehungen mitten im Tag, mitten im Jahr. Wenn ich mich ausgemergelt und wie tot fühle, wenn Trauer mich zerschlägt, ich erschöpft bin von Pflichten und Nöten oder entseelt durch allzu viel Alltagstrott – dann denke ich an dieses Fensterbild in der Kirche. Es ermutigt mich, dass auch wieder andere Zeiten kommen. Es lässt mich hoffen, dass auch das, was in mir wie versteinert ist, wieder lebendig wird. Und es entlastet mich, dass ich das alles nicht selbst schaffen muss. Dass da noch ein Anderer am Werk ist, der mir hilft, der mich belebt.

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10MRZ2024
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Volltreffer! Auf den Gottesdienst heute freue ich mich total. Heute wird nämlich Till getauft. Er geht in die dritte Klasse, und er hat ganz allein beschlossen, dass er das gerne möchte, als im Religionsunterricht von der Taufe die Rede war.

Ein Lied für seinen Taufgottesdienst hat Till sich auch selbst ausgesucht: Ein Volltreffer Gottes bist du, singt man da im Refrain. Und jede Strophe beginnt mit der Zeile: Wunderbar bist du gemacht...

Und es stimmt: Till ist ein Volltreffer. Ja, er kann nicht so gut sehen und auch sonst fällt ihm manches schwer. In der Schule braucht er teilweise Unterstützung. Manchmal ist Till davon selbst genervt. Aber er hat eine der wichtigsten Botschaften des christlichen Glaubens gründlich verstanden. Nämlich, dass jeder einzelne Mensch wunderbar geschaffen ist – auch und gerade weil niemand von uns perfekt ist.

Was ist der Mensch, dass du, Gott, an ihn denkst,
das Menschenkind, dass du dich seiner annimmst?
So fragt jemand in einem Psalmgebet aus der Bibel (Psalm 8, 5-6). Und staunt:
Kaum geringer als Gott – so hast du den Menschen geschaffen.
Du schmückst ihn mit einer Krone – so schenkst du ihm Herrlichkeit und Würde.

Till hat das verstanden. Er glaubt daran, dass er wunderbar gemacht ist – ein Volltreffer eben: Obwohl er nicht perfekt ist, und obwohl er weiß, dass er auch nicht immer alles gut macht, es manchmal Streit und Ärger gibt.

Deshalb fand Till es auch ganz stimmig, als ich mit ihm darüber gesprochen habe, warum Wasser in der Taufe eine so wichtige Rolle spielt:
Weil sich das Leben manchmal leider auch so anfühlt, als ob einem das Wasser bis zum Hals steht – oder man sogar untergeht. Und weil das Wasser ein Zeichen dafür ist, dass wir immer wieder Mist bauen – und es guttut, den abzuwaschen zu können. Aber das alles ändert eben nichts an der einzigartigen Würde, mit der Gott jeden Menschen krönt.

Ich wünsche Till, dass er diese Botschaft mitnimmt aus seinem Taufgottesdienst – und sie im Herzen behält. Und vielleicht sogar weitergibt an andere: Auch du, ja genau du, bist ein Volltreffer. Und wunderbar gemacht.

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03MRZ2024
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Mein Kollege Andreas hat mal wieder gezeigt, dass es auch anders geht.
Mitten in Heidelberg, auf einem belebten Platz, steht ein laut fluchender Mann. Vermutlich ist er obdachlos, auf jeden Fall sieht er mitgenommen und wenig gepflegt aus. Doch nicht nur deshalb wollen viele Leute lieber schnell an ihm vorbei. Mit den übelsten Schimpfwörtern beleidigt er alle um sich herum. Am besten schnell weitergehen – ich jedenfalls habe mich nicht getraut, diesen Mann anzusprechen. Doch Andreas, mein Kollege, macht etwas völlig Anderes. Er geht auf den Mann zu und fragt: „Warum schreist Du so? Was ärgert Dich?“ Die Antwort überrascht mich, denn der Mann sagt: „Niemand achtet auf mich und gibt mir ein bisschen Kleingeld. Mir fehlen doch nur 50 Cent.“ Andreas kramt in seinen Taschen. Er findet noch ein 50-Cent-Stück, gibt es dem Mann, wünscht einen schönen Tag und geht weiter. Laute Schimpfwörter waren dann erstmal nicht mehr auf dem Platz zu hören.

Ich bin sprachlos. So einfach kann es gehen. Andreas hat nicht spekuliert, was mit dem Mann los ist. Statt einen großen Bogen um ihn zu machen, geht er auf ihn zu. Fragt nach. Und das verändert alles.

Jesus hat das ähnlich gemacht. Auch er hat nicht einfach irgendwas vermutet, sondern hat die Menschen, die zu ihm gekommen sind, gefragt: „Was willst Du, dass ich Dir tue?“ Und er ist auch denen nicht aus dem Weg gegangen, die – so heißt es in der Sprache der Bibel – von einem unreinen Geist oder von Dämonen besessen sind. Diese unreinen Geister zerren die Menschen hin und her. Vielleicht sind es Ängste, die einen von innen auffressen. Oder Mächte, die übermächtig geworden sind. Doch egal, wie man sie nennt – all diese Gedanken, die Besitz ergreifen und viel zu groß werden, – sie schaden den Menschen. Und sie isolieren sie. Wer besessen ist, wird anderen fremd und wird ausgrenzt. Jesus lässt sich davon nicht aufhalten. Er will, dass alle Menschen gut und ohne Angst miteinander leben können.

Wahrnehmen und ansprechen, nachfragen statt vermuten – das will ich mir merken. Nicht nur für extreme Situationen, wie bei meinem Kollegen Andreas. Sondern auch, wenn jemand mürrisch und sogar beleidigend ist. Wenn jemand etwas tut, was ich nicht verstehe. Anstatt mich angegriffen zu fühlen, schaffe ich es vielleicht nachzufragen. Und wer weiß – vielleicht endet das Gespräch dann nicht in lautem Geschrei, sondern mit einem freundlichen Wort.

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25FEB2024
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Der herbeigeführte Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny durch das Regime hat mich traurig und wütend gemacht. Ein Gefühl der Ohnmacht schleicht sich ein. Gleichzeitig bewunderte ich, dass Nawalny sich alles andere als ohnmächtig zu fühlen schien. Aber wie war es ihm möglich, vor Gericht stets so selbstbewusst und ungebrochen aufzutreten?

Eine Antwort darauf habe ich kürzlich in einem seiner Schlussworte gefunden, die er vor Gericht gehalten hat. Dort erklärte der ehemalige Atheist: „Jetzt bin ich ein gläubiger Mensch und das hilft mir sehr bei dem, was ich tue. Denn es gibt so ein Buch, das mehr oder weniger genau beschreibt, was man in welcher Situation zu tun hat. Es ist natürlich nicht immer einfach, sich daran zu halten, aber ich versuche es im Großen und Ganzen.“

Mit dem Buch meinte er die Bibel. Und sein Leitsatz war das Wort von Jesus: Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

Diese Aussicht, dass einmal Gerechtigkeit herrschen wird, hat Nawalny aufrecht gehalten. Diese Erwartung prägte seine Haltung.

Was erwarten wir angesichts zahlreicher Krisen? Was prägt unsere Haltung? Es ist schlimm und kann nur noch schlimmer werden? Oder hungern wir einer Gerechtigkeit entgegen, die nicht aufzuhalten sein wird?

Meine Erwartung entscheidet darüber, ob ich aktiv durchs Leben gehe oder ob ich die Flügel hängen lasse.

Wieso hat das etwas mit dem Glauben zu tun? Im apostolischen Glaubensbekenntnis, das heute in den Gottesdiensten gesprochen wird, heißt es, von Jesus Christus, der im Himmel ist: Von dort wird er kommen.

So wie Jesus vor 2000 Jahren erwartet wurde und auf diese Erde gekommen ist, so will er nach seiner Ankündigung wiederkommen und für Frieden und Gerechtigkeit sorgen. Das ist die Erwartung der Christen. Das ist der Grund, nicht zu resignieren, sondern sich weiter zu engagieren.

Und so kann ich Nawalny in seiner Unbeugsamkeit rückblickend besser verstehen. Sicher war sein Weg ein unglaublich schwerer Weg. Und für ihn blieb sein Hunger nach Gerechtigkeit ungestillt. Doch die Ungerechtigkeit und ihre Handlanger werden nicht den Sieg behalten. Es gilt, je länger die Nacht desto näher der Morgen.

Wie sagte doch der ehemalige Bundespräsident Heinemann: Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt.

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