Anstöße sonn- und feiertags

Anstöße sonn- und feiertags

03MRZ2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mein Kollege Andreas hat mal wieder gezeigt, dass es auch anders geht.
Mitten in Heidelberg, auf einem belebten Platz, steht ein laut fluchender Mann. Vermutlich ist er obdachlos, auf jeden Fall sieht er mitgenommen und wenig gepflegt aus. Doch nicht nur deshalb wollen viele Leute lieber schnell an ihm vorbei. Mit den übelsten Schimpfwörtern beleidigt er alle um sich herum. Am besten schnell weitergehen – ich jedenfalls habe mich nicht getraut, diesen Mann anzusprechen. Doch Andreas, mein Kollege, macht etwas völlig Anderes. Er geht auf den Mann zu und fragt: „Warum schreist Du so? Was ärgert Dich?“ Die Antwort überrascht mich, denn der Mann sagt: „Niemand achtet auf mich und gibt mir ein bisschen Kleingeld. Mir fehlen doch nur 50 Cent.“ Andreas kramt in seinen Taschen. Er findet noch ein 50-Cent-Stück, gibt es dem Mann, wünscht einen schönen Tag und geht weiter. Laute Schimpfwörter waren dann erstmal nicht mehr auf dem Platz zu hören.

Ich bin sprachlos. So einfach kann es gehen. Andreas hat nicht spekuliert, was mit dem Mann los ist. Statt einen großen Bogen um ihn zu machen, geht er auf ihn zu. Fragt nach. Und das verändert alles.

Jesus hat das ähnlich gemacht. Auch er hat nicht einfach irgendwas vermutet, sondern hat die Menschen, die zu ihm gekommen sind, gefragt: „Was willst Du, dass ich Dir tue?“ Und er ist auch denen nicht aus dem Weg gegangen, die – so heißt es in der Sprache der Bibel – von einem unreinen Geist oder von Dämonen besessen sind. Diese unreinen Geister zerren die Menschen hin und her. Vielleicht sind es Ängste, die einen von innen auffressen. Oder Mächte, die übermächtig geworden sind. Doch egal, wie man sie nennt – all diese Gedanken, die Besitz ergreifen und viel zu groß werden, – sie schaden den Menschen. Und sie isolieren sie. Wer besessen ist, wird anderen fremd und wird ausgrenzt. Jesus lässt sich davon nicht aufhalten. Er will, dass alle Menschen gut und ohne Angst miteinander leben können.

Wahrnehmen und ansprechen, nachfragen statt vermuten – das will ich mir merken. Nicht nur für extreme Situationen, wie bei meinem Kollegen Andreas. Sondern auch, wenn jemand mürrisch und sogar beleidigend ist. Wenn jemand etwas tut, was ich nicht verstehe. Anstatt mich angegriffen zu fühlen, schaffe ich es vielleicht nachzufragen. Und wer weiß – vielleicht endet das Gespräch dann nicht in lautem Geschrei, sondern mit einem freundlichen Wort.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39447
weiterlesen...