SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Der herbeigeführte Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny durch das Regime hat mich traurig und wütend gemacht. Ein Gefühl der Ohnmacht schleicht sich ein. Gleichzeitig bewunderte ich, dass Nawalny sich alles andere als ohnmächtig zu fühlen schien. Aber wie war es ihm möglich, vor Gericht stets so selbstbewusst und ungebrochen aufzutreten?
Eine Antwort darauf habe ich kürzlich in einem seiner Schlussworte gefunden, die er vor Gericht gehalten hat. Dort erklärte der ehemalige Atheist: „Jetzt bin ich ein gläubiger Mensch und das hilft mir sehr bei dem, was ich tue. Denn es gibt so ein Buch, das mehr oder weniger genau beschreibt, was man in welcher Situation zu tun hat. Es ist natürlich nicht immer einfach, sich daran zu halten, aber ich versuche es im Großen und Ganzen.“
Mit dem Buch meinte er die Bibel. Und sein Leitsatz war das Wort von Jesus: Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Diese Aussicht, dass einmal Gerechtigkeit herrschen wird, hat Nawalny aufrecht gehalten. Diese Erwartung prägte seine Haltung.
Was erwarten wir angesichts zahlreicher Krisen? Was prägt unsere Haltung? Es ist schlimm und kann nur noch schlimmer werden? Oder hungern wir einer Gerechtigkeit entgegen, die nicht aufzuhalten sein wird?
Meine Erwartung entscheidet darüber, ob ich aktiv durchs Leben gehe oder ob ich die Flügel hängen lasse.
Wieso hat das etwas mit dem Glauben zu tun? Im apostolischen Glaubensbekenntnis, das heute in den Gottesdiensten gesprochen wird, heißt es, von Jesus Christus, der im Himmel ist: Von dort wird er kommen.
So wie Jesus vor 2000 Jahren erwartet wurde und auf diese Erde gekommen ist, so will er nach seiner Ankündigung wiederkommen und für Frieden und Gerechtigkeit sorgen. Das ist die Erwartung der Christen. Das ist der Grund, nicht zu resignieren, sondern sich weiter zu engagieren.
Und so kann ich Nawalny in seiner Unbeugsamkeit rückblickend besser verstehen. Sicher war sein Weg ein unglaublich schwerer Weg. Und für ihn blieb sein Hunger nach Gerechtigkeit ungestillt. Doch die Ungerechtigkeit und ihre Handlanger werden nicht den Sieg behalten. Es gilt, je länger die Nacht desto näher der Morgen.
Wie sagte doch der ehemalige Bundespräsident Heinemann: Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt.
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