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Orte, an die man sich manchmal hinwünscht, heißen „Sehnsuchtsorte“. Das kann ein Sandstrand am Meer, eine Berghütte oder die gemütliche Bar in der Nachbarschaft sein. Zu einem Sehnsuchtsort gehört für mich, dass ich dort dem entfliehen kann, was mich belastet. Dort fühle ich mich aufgehoben und leicht.
In biblischen Texten ist die Stadt Jerusalem so ein Ort. Heute ist davon in katholischen Gottesdiensten zu hören. Der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Baruch beschreibt Jerusalem als eine Frau, die ihre alten Kleider ablegen und neue anlegen soll. Ganz poetisch heißt es: „Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends, und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht! Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt! Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.“ (Bar 5,1-3)
Jerusalem als ein Sehnsuchtsort, wo einmal alles gut sein wird. Und das, obwohl die Stadt nicht nur heute, sondern auch zu biblischen Zeiten oft heftig umkämpft und sogar mehrmals zerstört wurde. Das haben auch die Menschen zur Zeit des Propheten Baruch am eigenen Leib erfahren. Und die schwere Zeit steckt ihnen noch in den Knochen. Aber – und davon spricht der Prophet Baruch – es wird anders werden. Weil Gott sie nicht vergessen hat. Er sorgt dafür, dass Jerusalem irgendwann wieder strahlen wird.
Ich glaube, wir Menschen brauchen solche Hoffnungsbilder. Nicht weil ich davon ausgehe, dass Gott alles Unglück mit einem Wisch beseitigt. Aber mir tut es gut, wenn ich von solchen Hoffnungsbildern höre – gerade jetzt im Advent. Sie erinnern mich daran, dass es unter dem, was schwer auf mir lastet, immer auch glänzt. Ein Glanz, den Gott in jeden Menschen gelegt hat. Und diesen gilt es zu suchen und freizulegen. Dann wird das Leben nicht nur an irgendeinem Sehnsuchtsort heller und schöner, sondern auch da, wo ich gerade bin.
Äußerlichkeiten, wie ein schickes Oberteil oder glänzender Schmuck, können dabei helfen. Doch noch besser gelingt das, wenn mich jemand ermutigt, mich nicht unterkriegen zu lassen, weil wir das gemeinsam schon hinbekommen. Oder wenn jemand wirklich versucht zu verstehen, wie es mir geht und mir dadurch zeigt, dass ich ihm wichtig bin. In solchen Momenten, kann ich den Glanz erahnen, mit dem Gott mich und die Menschen um mich herum ausgestattet hat.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41159Wenn ich als Pfarrerin sonntags einen Gottesdienst halte, dann gehört dazu natürlich auch „meine“ Predigt. Für die habe ich zuvor am Schreibtisch gebrütet, habe mir die Bibelstelle angesehen, die dran ist und habe mir überlegt, was ich sagen soll, damit die Gottesdienstbesucher auch etwas davon haben. Und ich habe oft wirklich gebrütet – und gebrütet und gebrütet – bis mir endlich etwas Brauchbares eingefallen ist.
Da hatte es Petrus, einer der engsten Freunde von Jesus, anscheinend leichter. Petrus war kein großer Redner - er war eigentlich Fischer von Beruf, da redet man nicht viel. Aber als er seine allererste Predigt halten muss, da erzählt die Bibel, wie Gottes Heiliger Geist ihm die richtigen Worte ins Herz legt. Aus dem Stand und ohne Vorbereitung hält er eine mitreißende Predigt vor einer großen Menschenmenge mitten in Jerusalem.
Und ich an meinem Schreibtisch? Ich bin neidisch: Petrus, der musste nix vorbereiten - der musste nur den Mund aufmachen - und der Heilige Geist übernahm den Rest. Das wär‘ mal praktisch…
Eine kleine Anekdote aus Pfarrerskreisen bringt mich zum Glück aber auch wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Und die geht so: Drei Pfarrer treffen sich. Der erste klagt, wie lang er für seine Predigtvorbereitungen braucht. Da meint der zweite: „Lieber Amtsbruder! Uns ist doch der Heilige Geist geschenkt! Also ICH gehe einfach auf die Kanzel. Ich fange an zu reden und was ich sage, das bewirkt allein der Geist Gottes!“ „Wie recht du hast!“ schaltet sich darauf der dritte ein. „Auch ich habe schon die Stimme des Geistes vernommen, wenn ich nicht vorbereitet war! „Hans!“ hat sie gesagt „Hans, du bist faul gewesen! Hans, du hast dich nicht vorbereitet!““
Ich finde, die Geschichte ist nicht nur tröstlich, sondern sogar beruhigend. Denn man stelle sich vor, ich als Pfarrerin würde wirklich behaupten, meine Predigt käme direkt von Gott! Als wäre ich so etwas wie ferngesteuert vom Heiligen Geist. Genauso bei allem, was ich sonst tue oder sage als Christin.
Nein - so anmaßend dürfen wir Pfarrerinnen und Pfarrer auf keinen Fall sein. Es sind schon noch meine eigenen Worte und Gedanken, wenn ich im Gottesdienst eine Predigt halte. Der Heilige Geist spielt dabei trotzdem DIE zentrale Rolle. Denn der treibt mich an! Für seine Sache setzten sie mich ein! Und da bleibe ich auch dran - selbst, wenn es viel Zeit und Hirnschmalz braucht, bis die richtigen Worte auf dem Papier stehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41152Einige der schönsten Bibelstellen von Jesus sind mit einem seltsamen Wort verbunden: der Menschensohn. Jesus verwendet dieses Wort gern und häufig, wenn er von sich selbst spricht. Zum Beispiel, wenn er sagt: Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen[1]. Oder: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen könnte[2]. Offenbar findet er besonders passend, was mit diesem Wort verbunden ist, und er benutzt es deshalb gern, um sich selbst zu charakterisieren.
Der Menschen-Sohn, der Sohn des Menschen. Wer soll das sein? Wer sich an der männlichen Form „Sohn“ stört, kann auch Menschenkind sagen. Vielleicht kommen wir damit der Sache sogar näher, weil das ein Wort ist, das es in unserem geläufigen Sprachschatz noch gibt. Wenn wir nicht Mensch, sondern Menschenkind sagen, denken wir eher an die zarte und verletzliche Seite. Wir verbinden damit, dass ein Kind beschützt werden muss und nur überleben kann, wenn es von anderen akzeptiert, am besten geliebt wird. Sonst braucht ein Kind wenig von dem, was für uns Erwachsene oft so unverzichtbar zu sein scheint: Vermögen, Anerkennung, Status. Kinder haben sich noch keinen Panzer zugelegt, um sich gegen alle Seiten abzusichern. Wer so arglos ist wie ein Kind, so angewiesen auf Wärme und Schutz, der steht ganz oben in dem Reich, von dem Jesus immer wieder spricht, der ist noch am ehesten so, wie Gott sich den Menschen ursprünglich gedacht hat. Und er, Jesus, verkörpert das. Er, der Menschensohn.
Jesus hat das Wort nicht erfunden, sondern kennt es aus den heiligen Schriften seiner jüdischen Überlieferung. Besonders markant findet es sich an einer Stelle im Buch des Propheten Daniel, die heute in den katholischen Gottesdiensten vorgetragen wird. Dort heißt es: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. (…) Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. (…) Sein Reich geht niemals unter[3]. Damit wird eines unüberhörbar: Der Menschensohn ist der, den Gott sendet, um die Welt von Übel zu befreien und vor dem Untergang zu retten. Der Menschensohn ist der Messias. Aber er kommt nicht mit Gewalt, sondern er wirkt durch spürbare Menschlichkeit. Gott macht sich die besten Eigenschaften des Menschen zunutze, um zu überzeugen. Gerade so habe ich immer verstanden, was Menschwerdung bedeutet: Gott schickt uns seinen Sohn. Und indem er ganz Mensch ist, Kind eben auch von Menschen, überzeugt er mich, dass dies der einzige Weg ist, um unsere Welt zu retten.
[1] Markus 10,45
[2] Matthäus 8,20
[3] Daniel 7,13f.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41011Fahr weniger Auto! Das hilft der Umwelt. Iss weniger Fleisch! Denn die Fleischproduktion verbraucht viele Ressourcen, die anders besser genutzt werden könnten. Es gibt viele Beispiele, wie Menschen versuchen gesünder, nachhaltiger, solidarischer zu leben. Auch ich finde verantwortliches Handeln gegenüber der Natur und anderen Menschen wichtig.
Jede und jeder sollte berücksichtigen, welche Auswirkungen sein Handeln hat. Beziehungsweise… Kann ich das wirklich von anderen verlangen? Kann ich bestimmte Verhaltensweisen von ihnen fordern? Wer gibt mir das Recht dazu?
Dass ich zumindest mit meinem moralischen Urteil gegenüber anderen vorsichtig sein sollte, daran erinnert mich eine Stelle aus dem Römerbrief in der Bibel, über die heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird.
„Du Mensch, was bringt dich nur dazu deinen Bruder oder deine Schwester zu verurteilen“, heißt es da.
Ja, was bringt mich dazu, andere zu verurteilen? Gute Frage… Denn manchmal mache ich das schon. Ich störe mich am Verhalten anderer und urteile über sie. Sie handeln aus meiner Sicht nicht verantwortlich gegenüber Mensch und Natur. Kannst du dich nicht ein bisschen zusammenreißen und das Auto stehen lassen? Moralische Urteile wie diese fälle ich immer wieder. Nur – bin ich wirklich besser?
Denn ich stelle auch immer wieder fest: Selbst gelingt mir das nur bedingt. Das Auto mal stehen lassen… Manchmal bin ich einfach zu bequem dafür. Auf Fleisch verzichten… Es schmeckt mir halt, da bin ich dann schon auch mal egoistisch. Ja, eigentlich habe ich wirklich keinen Grund überheblich zu sein.
Verurteile niemand anderen! Denn das steht dir nicht zu. Daran erinnert der Römerbrief. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass andere mich nicht verurteilen sollen. Das finde ich ziemlich entlastend.
Ich muss Dinge nicht tun, weil andere bestimmte Verhaltensweisen von mir verlangen oder weil ich besser sein will als andere. Und trotzdem glaube ich, dass ich eine Verantwortung habe: vor der Natur, vor anderen Menschen, vor Gott. Das wird auch im Römerbrief deutlich. Es ist nicht egal, was ich tue. Über andere richten oder sie verurteilen sollte ich aber nicht. Und auch das finde ich ehrlicherweise entlastend.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40954Manchmal müsse man einfach zuspitzen und maßlos übertreiben um etwas deutlich zu machen. So ist immer wieder mal zu hören. Mein Ding ist das nicht, aber auch der Bibeltext, der heute in den katholischen Kirchen verlesen wird, klingt danach. (Mk 12,38-40) Da warnt Jesus nämlich mit scharfen Worten vor den sogenannten Schriftgelehrten. Studierte, angesehene Leute waren das. Unstrittig ist: Diese Schriftgelehrten gehörten zur Elite der damaligen Gesellschaft. Waren geschätzte Ehrengäste, die man hofierte, denen man die vordersten Plätze einräumte. Manch einer verliert da schon mal die Bodenhaftung. Doch Jesus wirft ihnen pauschal vor, dass sie alle geltungssüchtig seien und raffgierig obendrein. So sehr, dass sie sogar Witwen um ihren Besitz bringen. Scheinheilige Blender durch und durch. Ein richtiger Rundumschlag ist das, der doch sehr nach dem pauschalen Runtermachen ganzer Gruppen klingt, wie wir es auch heute oft erleben. Differenziertes Hinsehen stört da nur.
Dabei kommt mir Jesus in der Bibel sonst anders entgegen. Als einer, der genau hinschaut, jeden einzelnen Menschen ernst nimmt. Aber hier spitzt er zu. Offenbar stehen für ihn die Schriftgelehrten für alle, die unter ihren Möglichkeiten bleiben, obwohl sie es besser wissen müssten. Für Menschen, die viel haben, ein komfortables Leben genießen und der Gesellschaft doch so vieles schuldig bleiben. Denn wer viel hat, könnte ja viel zurückgeben. Nur, das tun manche dieser Leute nicht oder zumindest viel zu wenig, sehen vor allem sich selbst. Und das passt einfach nicht zur Vision von Gottes neuer, anderer Welt. Dem Herzensthema Jesu. Bei euch aber, so schärft er seinen Jüngern ein, bei euch soll es nicht so sein. (Mk 10,43)
Ist es aber. Weil es halt so menschlich ist. Und weil es so schwer ist, sich frei zu machen vom Drang, immer noch mehr zu haben. Mehr Geld, mehr Besitz, mehr Ansehen. Sich frei zu machen von dem Wunsch, auch groß und wichtig zu sein. Angesehen und umworben. Weil das einfach guttut, aufbaut, die Seele streichelt. Schon seine Jünger konnten dem nicht widerstehen. Und viele ihrer Nachfolger in den Kirchen erst recht nicht. Ich merke das auch an mir. Auch ich hinke ja dem hohen Anspruch, den Jesus da formuliert, oft nur hinterher. Weil auch ich zum Beispiel viel mehr spenden, an Ärmere abgeben, die Welt ein wenig zu einem besseren Ort machen könnte – und es dann doch nicht tue. Und trotzdem gibt es sie schon: Diese neue, andere Welt Gottes, von der Jesus geträumt hat. Auch hier und heute. Klein oft und unscheinbar, aber es gibt sie. Überall, wo Menschen es schaffen, in Gottes Sinn zu leben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41012„Gott steht im Regimente und führet alles wohl“. So heißt es in einem alten evangelischen Kirchenlied. Gott regiert und alles wird gut. Allerdings… Wenn ich mir unsere Welt gerade so ansehe… Wäre unsere Erde wirklich ein Staat und Gott der gewählte Regierungschef, ich weiß nicht, ob er wiedergewählt werden würde. S viel Krieg, Hass, hungernde Kinder und Menschen, die zu Hungerlöhnen arbeiten. Und dann ist in der Bibel sogar davon die Rede, dass Gott selbst alle Regierungen und Herrscher eingesetzt hat. Im Römerbrief, im 13 Kapitel schreibt Paulus den Christinnen und Christen in Rom zur Frage weltlicher und göttlicher Macht:
„Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.“
Paulus stellt erst einmal die Machtverhältnisse klar: Gott steht über allem. Ihm ist alles untergeordnet. Auch der Herrscher über das damalige riesige römische Imperium – auch er ist der Herrschaft Gottes unterstellt. Aber es geht Paulus nicht darum, alle zu blindem Gehorsam aufzurufen. Sogar im Gegenteil! Er will den Leserinnen und Lesern Hoffnung machen. Zu wissen, dass das der römische Kaisertrotz all seiner Macht auch ihrem Gott untergeordnet ist – das war befreiend für die Christinnen und Christen damals. Sie mussten sich nicht weiter damit quälen, ob sie sich eigentlich schuldig machten, weil sie Bürger des römischen Staats waren, in dem heidnische Götter angebetet wurden. Paulus ermutigt: Auch dieses übermächtige Regime untersteht der Macht Gottes.
Aber auch wenn Paulus seine Glaubensgeschwister ermutigen wollte: Trotzdem müssen sich die Menschen damals gefragt haben: Wie zeigt sich das? Wenn auch die Mächtigen Gottes Macht unterstehen, warum spricht er nicht ein Machtwort.
Auch ich suche auf diese Frage eine Antwort. Suche nach Gottes Frieden in der Welt -und finde ein wenig davon in mir selbst und bei Paulus. Dort klingt das so „Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.“ Gottes Macht äußert sich nicht in Unterdrückung, Statussymbolen, mit Schwert und Gewalt. Seine Macht zeigt sich darin, dass wir uns gegenseitig lieben und respektieren. Und die Geschichte, trotz aller grausamer Diktatoren und auch christlich legitimiertem Unrecht, macht Hoffnung: Egal wie hart die Repressionen waren, egal wie sehr die Mächtigen versucht haben, Menschen zu unterdrücken: Die Liebe, die Gemeinschaft und die Freiheit wurde nie ganz erstickt.
Dass keiner, der Macht hat und Macht haben wird, über Gott steht – das ist etwas, was mir Hoffnung gibt. Meine Hoffnung ist, dass es keine staatliche Macht, keinen Diktator und keinen Präsidenten gibt, die Gottes Liebe ersticken können. Wo Gott ist, ist auch Raum für Liebe. Und Gott ist hier und dort, egal wer regiert.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40918Seit gut vier Jahren gibt es auf Instagram das Projekt „eswarnichtimmereinfach“. Dort werden Geschichten von Heiligen erzählt. Aber nicht über sie, sondern aus der Perspektive der Heiligen selbst. Bekanntere Heilige, wie Nikolaus und Martin, aber auch Unbekanntere mit teilweise schrägen Lebensläufen werden so zugänglich und nahbar. Wenn ich in den Lebensgeschichten lese, gibt es meistens irgendetwas, was ich für mich herausziehen kann. Wie z.B. bei Alfred Delp, der davon überzeugt war, dass ein Mensch so viel Mensch ist, wie er liebt. Oder Hildegard von Bingen, die über sich sagt: „Ich habe gezeigt, dass es wichtiger ist, dem Herz zu folgen, als Gehorsam zu leisten.“
Bei allen Lebensgeschichten zeigt sich aber auch, warum die Macher für ihr Projekt die Überschrift „es war nicht immer einfach“ ausgesucht haben. Denn im Leben der Heiligen gibt es auch viel Schweres. Sie ringen mit sich, der Welt und Gott und sind dabei lange nicht perfekt. Oft brauchen sie eine riesige Portion Mut, um sich gegen ihr Umfeld zu stellen. Sie müssen manches aus- und durchhalten – oft richtig lang. Wie Alfred Delp, der von den Nazis inhaftiert, gefoltert und zuletzt sogar erhängt wurde. Oder eben auch Hildegard von Bingen, die von sich schreibt: „In mir sah man allzu oft nur eine kränkliche Frau.“
Doch so unterschiedlich die Lebensgeschichten der Heiligen sind: immer hat sich Gott in ihrem Leben bemerkbar gemacht. Und zwar so, dass sie verstanden haben, dass Gott da ist. Und dass sie von Gott geliebt sind, dass Sie „Geliebte Gottes“ sind.
Geliebte, genauso werden heute auch alle angesprochen, die in katholischen Gottesdiensten sind. Denn es wird ein Abschnitt aus der Bibel gelesen, in dem es heißt: „Geliebte, wir sind Kinder Gottes.“ Und: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat.“ (1 Joh 3, 1f.) Was für eine Zusage. Und: gar nicht so leicht zu begreifen. Eigentlich eine Nummer zu groß für mich. Doch mit der Liebe ist es vermutlich immer so. Ich kann die Liebe nicht verstehen und bis ins Letzte erfassen. Aber ich kann mich von ihr tragen lassen. Kann üben, dass ich dem, der mich liebt, vertraue.
Die Lebensgeschichten der Heiligen zeigen, was dann möglich ist. Sie hatten so ein tiefes Vertrauen in Gottes Liebe, dass es nicht nur in ihrem Leben, sondern auch für andere heller und leichter wurde. Für mich sind Heilige deshalb Menschen, durch die Gottes Liebe einen Weg in die Welt findet. Menschen, durch die diese Liebe nicht abstrakt bleibt, sondern wirklich sichtbar wird.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40931Ich kann es absolut nicht leiden, wenn andere mir sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Andererseits – manchmal wünsche ich mir genau das. Sehnlichst! Dass mir jemand sagt, was richtig ist und was falsch. Hier ein kleines Beispiel dafür:
Mein Smartphone gibt allmählich den Geist auf – aber soll ich wirklich wieder ein Neues anschaffen? Wo die Dinger doch alle in Ländern hergestellt werden , in denen kein ordentlicher Lohn gezahlt wird? Andererseits haben alle anderen doch auch ständig neue. Und die Welt wird auch nicht besser, wenn ich da nicht mehr mitmache . Eigentlich schade ich mir nur selbst damit.
Was also soll ich tun? Was ist richtig und – gut? Eine Frage, die schon den Propheten Micha in der Bibel vor über 2000 Jahren umgetrieben hat. Heute ist in vielen evangelischen Gottesdiensten davon die Rede. Damals wie heute wollen sich die Menschen nicht so gerne reinreden lassen, was sie zu tun haben und was zu lassen. Aber damals wie heute gibt es eben auch Gewinner und Verlierer eines solchen Systems. Und da müssen sich die, die auf Kosten von anderen ein gutes Leben haben, eben doch auch mal etwas sagen lassen.
Micha hat genau das getan. Im Namen Gottes. Und die Botschaft Gottes lautet:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Micha 6, 8)
Das Gebot ist keine detaillierte Verhaltensregel, was ich kaufen darf und was nicht– natürlich nicht. Aber Michas klare Aufforderung ist dennoch der Leitfaden, nach dem ich mich richten kann, wenn ich frage: „Was soll ich tun?“ Es kommt eben nicht darauf an, was alle andren machen. Nicht einmal, ob ich mir damit selbst schade. Wichtig ist, dass ich meine Entscheidungen treffe in Respekt vor Gott und in Liebe zu allen Menschen, die ich mit meiner Entscheidung beeinflusse.
Mein jetziges Smartphone – wenn ich ehrlich bin, braucht es nur einen neuen Akku. Die verbaute Kamera ist auch noch zeitgemäß – also erst mal kein Neues. Ressourcen schonen. Irgendwann werde ich aber wieder eins kaufen. Möglichst eins, das seriös und unter menschenfreundlichen Bedingungen hergestellt worden ist. Vielleicht bewirke ich etwas damit, vielleicht auch nicht. Ich kann die Welt nicht retten und sollte trotzdem das richtige tun. Vom Propheten Micha lasse ich mir gerne sagen: Lieber seltener etwas Neues, dafür aber nachhaltig!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40924Bei euch aber soll es nicht so sein. Hinter diesen Satz aus dem heutigen Sonntagsevangelium setze ich ein Ausrufezeichen. Weil ich ihn für die vielleicht wichtigste grundsätzliche Forderung halte, die Jesus überhaupt ausgesprochen hat. Bei euch, die ihr zu mir gehört, die ihr euch auf mich beruft, bei euch soll es nicht so sein. Wie soll es nicht sein? Das sagt er einen Satz zuvor. Und den zitiere ich auch noch, weil er an Deutlichkeit ebenfalls nichts zu wünschen übriglässt: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein! Es geht also um die Einstellung zur Macht, genauer: wie man mit den Menschen umgeht, die einem anvertraut sind. Solche „Macht“ gibt es überall: in der Politik, im Berufsleben, in der Schule, in der Familie, in einer Partnerschaft. Die Rollen können zwar wechseln, aber fast immer ist einer der Stärkere. Der oder die kann dann seine Macht ausspielen, kann sie sich zum eigenen Vorteil nutzen. Oder eben nicht. Und exakt das verlangt Jesus. Christen sollen ihre Macht, ihren Einfluss über andere nicht missbrauchen. Darin sollen sie sich ausdrücklich unterscheiden, daran soll man erkennen, dass sie Christen sind und zu Jesus gehören wollen.
Es gibt viele Möglichkeiten, das in die Tat umzusetzen, dieses christliche Anders-Sein. Wenn ein Mensch krank wird, bleibt er Mensch. Und zwar mit aller Würde, die ihm prinzipiell zusteht. Er wird nicht weniger Mensch, weil er nicht mehr allein laufen kann oder aus eigener Kraft seinen Haushalt bewältigt. Im Gegenteil. Je schwächer ein Mensch wird, desto mehr Hilfe verdient er wegen seiner Würde, die unantastbar bleibt. Das zu betonen und sich entsprechend einem Kranken, einem Schwächeren gegenüber zu verhalten, das macht den Unterschied. Als Christ überlasse ich niemanden seinem Schicksal, sondern kümmere mich, wenn ich sehe, dass einer des Lebens müde ist.
Gleichgültig, anonym, ja argwöhnisch – so ist das Zusammenleben unter uns oft. Bei euch soll es nicht so sein, sagt Jesus. Macht es anders. Diese Unterschiede werden andere bemerken, zumal wenn Menschen, die zur Kirche gehören, dabei gemeinsam anpacken. Dann klärt sich auch die Frage, ob Religion und Glauben heutzutage noch einen Wert haben, von ganz allein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40793Das Ergebnis zählt, würde ich sagen. Ja! Das Ergebnis zählt– wie ich da hinkomme, ist doch eigentlich egal. Na ja, besser gesagt: Wie ich da hinkomme ist nicht egal, sondern es sollte der beste Weg dahin sein. Und das ist eben auch mal ein ganz neuer Weg. Einer, der mit alten Gewohnheiten bricht.
Und da fangen manchmal die Probleme an. „So haben wir das immer gemacht!“, höre ich dann. Schon möglich – aber was, wenn die alten Wege ihre Schwächen haben, wenn sie überholt sind, weil es etwas Neues gibt – dann sollte man sie doch verlassen, oder etwa nicht? Das Ergebnis zählt doch, da nehme ich doch den besten Weg.
Der Apostel Paulus in der Bibel war so einer, der nach dem besten Weg zu Gott gesucht hat. Ihn hatte die Überzeugung gepackt, dass Jesus Christus den Menschen Gott ganz nahe bringt. Auf eine ganz neue Art. Nach dieser Gottesnähe hatte Paulus sich selbst schon immer gesehnt, hatte sie aber nie wirklich gefunden. Hier, in der Nachfolge Jesu schon. Paulus hat deshalb angefangen zu predigen. Er hat Gemeinden gegründet und war ganz beseelt von der Aufgabe, die unterschiedlichsten Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenzubringen, in der die Liebe Gottes, Gerechtigkeit, Vergebung, Vertrauen ins Leben und in die Zukunft spürbar werden.
Paulus hat also etwas völlig Neues gepredigt – und das mit Erfolg! Für Paulus war es deshalb aber auch ein Schock, als er feststellen musste, dass andere Prediger ihm vorgeworfen haben. „So, wie Du von Jesus predigst, so macht man das nicht. Da fehlt was, die alte Tradition und die alten Gesetze der Bibel. Hier – wir haben ein Empfehlungsschreiben aus anderen Gemeinden. Da steht drin, dass wir es richtig machen.“
„Eure Empfehlungsschreiben brauche ich nicht“, antwortet Paulus im zweiten Brief an die Gemeinde in der Stadt Korinther. Um diese Bibelstelle geht es heute in vielen evangelischen Gottesdiensten. Paulus sagt: „Es kommt doch aufs Ergebnis an. Ich habe die Herzen der Menschen erreicht. Der lebendige Beweis: all die Leute, die jetzt zur Gemeinde Gottes dazugehören. Was braucht es mehr für den Neuanfang, den Gott mit uns Menschen machen will?“
Aufs Ergebnis kommt es an. Und auch, wenn die alten Gebote und Traditionen der Bibel für Paulus heilig und gültig bleiben, so schickt Gott ihn eben auf neue Wege. Es kommt aufs Ergebnis an. Es kommt darauf an, dass Gottes Liebe die Herzen der Menschen erreicht.
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