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01MAI2023
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Arbeit ist das halbe Leben, sagt ein Sprichwort. Das könnte sogar hinkommen, ungefähr jedenfalls. Immerhin wird ein nicht unerheblicher Teil von uns am Lebensende auf 35 bis 45 Berufsjahre zurückblicken können. Grob gerechnet also wirklich auf ein halbes Menschenleben. Arbeiten, das gehört für die allermeisten von uns zum Leben einfach dazu. Mehr noch, ein Leben ohne Arbeit, das war über Jahrtausende hinweg für die ganz große Mehrheit der Menschen schlicht nicht vorstellbar. Leben bedeutete praktisch Arbeiten. Oft von Kindesbeinen an bis ins Alter. In einem Psalm in der Bibel klingt das so: „Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, sind es achtzig. Das Beste daran ist nur Mühsal und Beschwer.“ (Ps 90) Und ein anderer Psalm, der den Tagesanfang besingt, meint: „Nun geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend.“ (Ps 104) Arbeit ist nötig zum Lebensunterhalt und war doch immer auch mehr als das. Die Arbeit gibt meinem Leben eine Struktur. Sie sorgt für soziale Kontakte, für Begegnungen. Für den Austausch von Gedanken, mit meinen Mitarbeiterinnen im Büro und auch mit den Kollegen an entfernten Orten. Meine Arbeit weitet also auch meinen Horizont, gibt mir neue Impulse. Das habe ich ganz stark in der Zeit des Lockdowns erlebt, als die Büros geschlossen und Heimarbeit angesagt war. Ich habe es damals genossen, wenn ich hin und wieder trotzdem ins Büro fahren, Kollegen begegnen, mich austauschen konnte. In sicherem Abstand zwar, aber immerhin. Und nicht zuletzt: Arbeit verschafft Ansehen, verleiht mir einen Stand in der Gesellschaft. Nicht umsonst lautet eine oft gestellte Frage, wenn sich Menschen begegnen, die sich vorher nicht gekannt haben: „Und, was machst du so beruflich?“ Selbst die Bibel stellt uns Jesus als Sohn des Zimmermanns vor. Das beschreibt nicht nur den Beruf, den er selbst wohl erlernt hat, sondern auch seinen Status im Ort. Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben mir manchmal mit einem gewissen Stolz erzählt, dass sie etwa beim Chemieriesen BASF waren, oder in Stuttgart eben „beim Daimler“. Ihre Arbeit war für sie mehr als nur ein Einkommen.

Auch darum ist es so dramatisch, wenn Jobs einfach gestrichen werden, Menschen ihre Arbeit verlieren. Weil es für die Betroffenen eben nicht nur ein finanzielles Problem ist. Weil Arbeit etwas ist, das den ganzen Menschen betrifft, seine Familie und manchmal sogar das Dorf oder den Stadtteil. Für Menschen, die betroffen sind, gerät da manchmal das Leben aus den Fugen. Vor allem in Ostdeutschland haben Viele das traumatisch erfahren müssen und darum ist so manches Vorurteil über die „Ossis“, wie wir die Ostdeutschen manchmal hier nennen, auch nicht fair. Weil Arbeit tatsächlich immer mehr war und mehr ist als bloßer Gelderwerb. Viel mehr eben als ein halbes Leben.

Natürlich ist der Tag der Arbeit, den es seit über 100 Jahren gibt, kein kirchlicher Feiertag. Aber den sozialistischen Bewegungen, die ihn damals ins Leben gerufen haben, wollte die Kirche den Tag wohl nicht allein überlassen. So hat sie der Arbeit und allen arbeitenden Menschen gewissermaßen eine Art Denkmal gesetzt. Spät zwar, aber immerhin. In der Person des Josef, dem Vater von Jesus. Der Tag der Arbeit ist ihm gewidmet: Josef, dem Arbeiter. Auch, wenn das so nicht ganz stimmt, denn Josef war kein Arbeiter im heutigen Sinne. Er war Zimmermann, Handwerker also. Damals wohl so etwas wie ein Baumeister, der auch ganze Häuser errichtet hat. Viel mehr wissen wir eigentlich nicht von ihm. Im Wesentlichen noch, dass er der Mann der Maria war, die von der Kirche als „Mutter Gottes“ jedoch viel inniger verehrt wird als er. Doch er war es, der nach den biblischen Erzählungen stillschweigend akzeptiert hat, dass seine Verlobte Maria schwanger war – wenn auch nicht von ihm. Er war es, der dennoch zu ihr gehalten und die kleine Familie schließlich vor Verfolgung bewahrt hat. Danach aber verschwindet Josef aus der Bibel und wird auch später nirgends mehr erwähnt. Nur einmal im Jahr, da begegnet er uns noch. In den Weihnachtskrippen. Da steht er dann versonnen und still an der Futterkrippe mit dem Kind. Was aus ihm geworden ist, davon wissen wir nichts. Was von ihm aber bleibt, ist das Bild des ehrlichen, bescheidenen Menschen, der Tag für Tag gewissenhaft seiner Arbeit nachgeht. Einer, der nicht im Vordergrund steht, der kein Aufheben macht um seine Person. Der vielmehr tut, was getan werden muss. Und der so mit seiner Arbeit verlässlich dazu beiträgt, dass der sprichwörtliche Laden „am Laufen bleibt“. Er steht damit für so viele. Für all die Menschen, die auch nie im Rampenlicht stehen. Die einfach verlässlich ihre Arbeit machen und ohne die eine Gesellschaft wie unsere nicht funktionieren würde.

Vielleicht müssen wir heute aber noch weiter schauen. Denn die schlimmsten Schieflagen finden sich ja kaum mehr in den Bereichen, die gerade bestreikt wurden. Sie liegen oft im Verborgenen. In prekären Arbeitsverhältnissen. Bei Liefer- oder Sicherheitsdiensten. Bei billigen Leiharbeitern aus Osteuropa, die manchmal unter erbärmlichen Bedingungen schuften. Sie liegen bei Landwirten, die unsere Nahrung erzeugen und oft nur Dumpingpreise dafür erhalten. In undurchsichtigen Lieferketten rund um den Globus, die im schlimmsten Fall auch Ausbeutung und Kinderarbeit einschließen. Oft waren und sind es die Kirchen und ihre Hilfswerke, die diese Fälle sichtbar machen. Die den Finger in die Wunde legen und so daran erinnern, dass jede menschliche Arbeit wertvoll ist. Überall auf der Welt.

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10APR2023
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Ich mache mich gerne mal auf den Weg. Vor allem, wenn ich nicht weiterkomme mit etwas. Eine Entscheidung treffen muss. Mir eine Begegnung, ein Wort, ein anderer Mensch durch den Kopf geht. Wenn ich traurig bin. Dann schwinge ich mich aufs Fahrrad. Gehe eine Runde spazieren. Da lösen sich manche Gedankenknoten. Ist auch wissenschaftlich erwiesen. Bewegung sorgt für einen fitten Körper und ein fittes Gehirn. So können sich Schritt für Schritt Probleme lösen. Lassen sich Blockaden überwinden. Kann ich klarer sehen, was ich als Nächstes tun will.

Der Ostermontag ist ein guter Tag, um sich auf den Weg zu machen. Viele tun das, weil sie spüren: Ein paar Schritte, die wirken Wunder. Als Verdauungsspaziergang. Aber auch, weil im Gehen vieles leichter fällt. Wir treffen uns zum Beispiel alle bei meinem Schwiegervater, frühstücken ausgiebig und gehen dann los. Auf so einem Spaziergang kann ich mal mit dem, mal mit der reden, mal nur auf den Weg achten, dann wieder fragen: Wie geht’s? und: Was machst du? Ganz zwanglos. Schritt für Schritt.

Für mich hat so ein Auf-dem-Weg-sein viel mit meinem Glauben zu tun. Im Grunde genommen ist der christliche Glaube ein Wegglaube. Das knüpft an jüdische Wurzeln an. Gott, so erzählen es die Schöpfungsgeschichten, macht die Welt und alles was ist – und schon geht’s los. Adam und Eva verlassen das Paradies, Noah baut sich ein Schiff und fährt der Flut davon, Abraham wandert mit seinem Sohn zu einem heiligen Berg, die Juden fliehen aus Ägypten und ziehen jahrelang durch die Wüste. Alles Geschichten vom Aufbruch, vom Weg, vom Unterwegs-Sein. Und in den Jesus-Geschichten ist das nicht anders. Jesus ist ein Wanderprediger, ist mal hier, mal dort, geht auf einen Berg, fährt mit dem Schiff, wandert schließlich nach Jerusalem.

Und auch Ostern erzählt vom Weg. Von einem Menschen, der den Weg vom Tod ins Leben findet. Von einem Menschen, der andere bewegt. Der sie zum Aufbrechen bringt. Da wandern zwei der Freunde Jesu nach Emmaus. Und auf ihrem Weg verändert sich etwas. Finden sie neues Leben.

Der Osterglaube erzählt davon, dass sich auf dem Weg was tut. Dass Menschen da das Leben spüren, Schritt für Schritt. Auferstehung erfahren, ganz praktisch.

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Von Aufbruch und Auf-dem-Weg-Sein erzählt eine biblische Geschichte. Sie handelt von zwei Männern. Jesus hatte sie fasziniert. Hat den richtigen Ton getroffen. Seine Botschaft vom Leben hat sie angezogen. Seine Botschaft, dass jeder Mensch wichtig ist und geliebt wird. Ganz egal, wer man ist, was man kann, wen man liebt, was man besitzt.

Aber jetzt ist dieser Jesu tot. Mit ihm wurde kurzer Prozess gemacht. Sein Leben ausgelöscht. Die beiden Männer machen sich auf. Traurig und enttäuscht. Gehen in ihr Heimatdorf zurück: Emmaus heißt es.

Ich stelle mir vor, dass das alles andere als leicht ist. Was sagen die Leute, wenn sie mit leeren Händen zurückkommen? Wenn sie zugeben müssen, dass sie sich getäuscht haben? Dass ihre Hoffnungen gescheitert sind?

Aber dann passiert etwas. Auf dem Weg. Sie bekommen Gesellschaft. Jemand geht mit ihnen, der sie versteht. Der ihnen den Weg leicht werden lässt. Die beiden Männer reden sich alles von der Seele. Ihre Trauer, dass ein geliebter Mensch getötet wurde. Ihre Enttäuschung, dass sich die Welt nicht verändert hat. Ihre Sorge um eine ungewisse Zukunft.

Der Mann, der sich zu ihnen gesellt, der hat eine seltene Gabe. Er kann zuhören. Stellt Fragen, die das Denken in Gang bringen – in andere Richtungen lenken. So wie jeder einzelne Schritt auf einem Weg neuen Boden unter den Füßen spüren lässt, so entdecken die beiden plötzlich andere Seiten an ihren Erfahrungen. Sie können ihr Leben neu deuten.

Die beiden Männer erleben eine kleine Auferstehung. In ihr erstarrtes Leben kommt wieder Bewegung. Auf dem Weg brechen sie aus ihrer Trauer, ihrer Enttäuschung aus.

Die Geschichte der beiden Männer auf ihrem Weg nach Emmaus ist also selbst eine Auferstehungsgeschichte. Sie macht klar, dass Menschen, die sich aufmachen, neue Perspektiven gewinnen können. Dass sie ihr Leben, ihre Träume und Wünsche, ja sogar ihre Trauer und den Tod anders und neu deuten können. Auf dem Weg finden sie neue Einsichten. Sie gehen in eine neue Zukunft. Einen neuen Morgen, einen neuen Tag. Auf dem Weg, da erschließt sich ihnen: Der Tod ist nicht endgültig, das Leben geht weiter.

 

Zum Evangelium am Ostermontag

Lk 24,13-35

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26DEZ2022
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Ich wünsche Ihnen fröhliche und gesegnete Weihnachten!

Und ich wünsche Ihnen heute, am zweiten Weihnachtsfeiertag Zufriedenheit. Nicht einfach Zufriedenheit darüber, wie das Weihnachtsfest gelaufen ist. Nein, ich meine das weihnachtliche Gefühl von innerem Frieden. Etwas Ruhe für die Seele.

Heute geht es in vielen Familien ja eher turbulent zu: Entweder die Kinder kommen mit den Enkeln, oder man setzt sich selbst ins Auto und geht auf Besuchsreise. Viele Menschen sind aber auch allein zu Hause – und das kann schwer sein, gerade an Weihnachten. Zu ihnen zu Besuch kommen höchstens Erinnerungen - an Früher. An Menschen, die man schmerzlich vermisst. Oder mit denen man sich gerne noch einmal ausgesprochen hätte – vielleicht wegen eines alten Streits oder einfach nur, um wieder einmal zu reden. Mir selbst fallen unterm Weihnachtsbaum manchmal meine Freunde aus Studientagen ein. Und ich frage mich, warum wir den Kontakt haben abreißen lassen. Das ist so schade.

Wenn mir solche Gedanken kommen, versuche ich, Frieden zu machen mit mir selbst. Ja: schade, dass wir den Kontakt verloren haben. Und trotzdem schön, dass ich als Studentin so gute Freunde gehabt habe. Was für ein Glück. Wir haben es so gut oder so schlecht gemacht, wie es uns eben möglich war. Wir können zufrieden sein.

So ist das mit vielen Dingen: Manches vermisse oder bedaure ich und denke gleichzeitig gerne daran zurück. Nur bei der Erinnerung an schlimmen Streit, bei dem etwas in die Brüche gegangen ist, und ich es nicht wieder flicken kann – da komme ich an meine Grenzen. Ich würde gerne etwas tun, um Frieden zu schließen, mit mir selbst und mit allen, die dabei gewesen sind. Aber ich kann es nicht.

In der Weihnachtsgeschichte singen die Engel vom Frieden, als Jesus geboren ist und als winziges Kind in der Krippe liegt. Frieden auf Erden. Und Frieden auch für mich und für meine Seele.

Wenn etwas kaputt gegangen ist in meinem Leben, dann stehe ich nicht alleine vor dem Scherbenhaufen. Ich werfe die Bruchstücke nicht einfach weg. Sondern ich gebe sie dem Kind in der Krippe. Was daraus werden wird? Da bin ich nicht sicher. Ich weiß, dass an Weihnachten nicht alles auf einen Schlag wieder gut ist: jeder Streit vergessen, und jede Traurigkeit verflogen ist. Ich kann dem Kind nur vertrauen, von dem die Engel singen, dass es Frieden bringen wird auf Erden. Und Frieden auch für mich und meine Seele.

Und nicht nur für mich, sondern für alle Menschen. Und nicht nur heute, sondern immer schon – solange die Erde steht. Das Gotteskind hat uns Menschen schon immer begleitet. Davon erzählet auch eine Bibelstelle, die heute in vielen Weihnachtsgottesdiensten zu hören sein wird. Es ist eine lange Liste von Namen: der Stammbaum mit allen Vorfahren von Jesus: Von Abraham bis zum großen König David, und von David durch die Geschichte der Bibel hindurch bis Joseph, dem Ehemann von Maria, die Jesus auf die Welt gebracht hat.

Wozu diese Aufzählung fragt man sich vielleicht. Ich denke, weil sie sichtbar macht, dass Gott das schon immer so geplant hat. Lange bevor es wirklich so weit war hat Gott beschlossen, seinen Sohn auf die Welt zu schicken. Und lange, bevor Jesus wirklich geboren worden ist, wollte Gott Frieden auf Erden für alle Menschen: Egal wann oder wo sie leben.

Gott will Frieden – immer schon. Und er schickt sein Kind zu uns – immer schon. Damit es die Scherben meines Lebens aufsammeln kann, und auch die Scherben der Menschen, die vor mir gelebt habe. Weil er da sein will in allen Krisen, die Welt geplagt haben. Und auch da sein wird bei allen Krisen, in denen wir gerade stecken.

Gott will Frieden. Auch Frieden für mich und meine Seele. Und wenn da Scherben liegen auf meiner Seele, Bruchstücke, Bedauern oder Traurigkeit – dann nimmt das Kind in der Krippe das in seine Hände. Da sind sie, denke ich, gut aufgehoben. Damit kann ich zufrieden sein

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01NOV2022
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Über eine Million Mal ist er verkauft worden: Martin Luther – als Playmobil-Figur. Martin Luther im Plastik-Talar und mit Feder und Bibel in der Hand. Keiner kann da mithalten. Keine Playmobilfigur wurde je so oft verkauft.

„Darf man das?“ haben manche seinerzeit gefragt: Den großen Reformator als kleine Spielfigur vermarkten und ein Spielzeug aus ihm machen? Ich denke:  Dem Ernst tut’s keinen Abbruch. Und Humor schadet sowieso nicht. Auch nicht in der Kirche.

Der berühmteste Satz von Martin Luther hat es sogar auf Socken geschafft: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Das ganze Selbstbewusstsein des protestantisch-trotzigen Reformators liegt in diesem Satz. Mit ihm wurde Martin Luther für die einen zum Mythos, für die anderen zum evangelischen Heiligen. Das kam so:

Vor 501 Jahren ist Martin Luther nach Worms zum Reichstag zitiert worden. Dort wurde er kurz und knapp zu seinen Schriften befragt. Luther hatte darin dem Papst widersprochen. Das war damals ungeheuerlich! Und es war gefährlich! Luther wusste, dass er dafür vor Gericht landen konnte, aber er konnte und wollte sie nicht widerrufen. Er war davon überzeugt: Der Mensch ist vor Gott uneingeschränkt wertvoll. Und Christenmenschen können und sollen das, was sie in der Kirche erleben, kritisch an der Bibel prüfen. Selbst wenn es Worte des Papstes sind. Daran hat Martin Luther unverrückbar festgehalten.

Martin Luther vor dem Kaiser und seinen Leuten in Worms. Das ist eine legendäre Szene aus seinem Leben. Unzählige Kunstwerke zeigen sie.  Mit ihr verbindet sich vieles, was engagierte Christenmenschen sich auf die Fahnen geschrieben haben – von bürgerbewegten Protestanten bis zu aufrechten Verfechterinnen von Maria 2.0: Zivilcourage und Geradlinigkeit. Und der lautstarke Einsatz dafür, dass die Kirchen sich immer wieder reformieren müssen. Martin Luther ist zu einem Vorbild für authentisches und standhaftes Eintreten für eigene Überzeugungen geworden, eben für jene Sturheit, die mehr mit Beharrlichkeit als mit Bockigkeit zu tun hat.

Martin Luther selbst muss sehr stolz auf seine Standhaftigkeit gewesen sein. Sein Leben lang hat er immer wieder über die Szene in Worms erzählt.

Und wie das so ist mit den Geschichten, die wir aus unserem Leben erzählen – sie wurde immer größer, er wurde immer standhafter und der Satz am Ende des Verhörs immer donnernder. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.

Die Geschichten, die Menschen aus ihrer Erinnerung erzählen, verändern sich mit der Zeit. Das Erlebte wird intensiver, schöner und dramatischer. Das war auch beim Reformator Martin Luther nicht anders. Im Laufe der Zeit verändert sich der Blick auf das, was ich erlebt habe. Die Geschichten meines Lebens verändern sich. Aus der harmlosen Episode am Rand des Schullandheims wird eine atemberaubende Mutprobe. Die Zufallsbegegnung mit weitreichenden Folgen wird zur großartigen Liebesgeschichte. Die Geschichten verändern sich, weil sich meine Sicht darauf verändert. Meist zeigt sich ja erst im Nachhinein, welche Momente im Leben Schlüsselmomente waren.

Das war bei Martin Luther nicht anders. Je älter er wurde, desto bedeutsamer kam ihm sein Auftritt beim Wormser Reichstag vor.

Dabei war der Luther der Tage in Worms nicht so sehr das unerschütterliche Mannsbild, sondern eher das mit sich und Gott ringende Mönchlein, das unter Magen- und Verdauungsbeschwerden litt.“

In unserer Erinnerung wird eben vieles größer. Manchmal wird es auch einfacher. Ich glaube, dass wir in diesen Tagen die Bereitschaft zum zweiten Blick brauchen. Wir brauchen den Mut, genauer hinzusehen und der Versuchung zu widerstehen, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu geben. Es wäre so viel einfacher, wenn es Menschen gäbe, die sich dem Bösen unerschütterlich entgegenstellen. Mutige Kraftprotze, die wir dann zu Helden und Heiligen erklären. Aber Martin Luther ist für mich kein Heiliger, schon gar nicht ist er unerschütterlich.

Erst 300 Jahre nach dem Ereignis in Worms wurde Martin Luther zum unerschütterlichen Mannsbild. Da wurde nämlich die Bronzestatue von Johann Gottfried Schadow geschaffen und auf den Marktplatz in Wittenberg gestellt. Sie ist das Vorbild der millionenfach verkauften Playmobilfigur. Aber heilig ist Martin Luther nicht.

Heilig sind für mich die Erschütterten und die Ringenden, die Zweifelnden und die Sehnenden, die, die an der Hoffnung trotz allem festhalten, die Verletzlichen und die Verletzten. Sie alle tragen an sich etwas von Gottes Glanz und von seiner Heiligkeit. So sind sie alle Heilige. Heute und an allen anderen Tagen des Jahres.

Ich wünsche Ihnen einen glänzenden Sonntag und eine gesegnete Woche.

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03OKT2022
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Der Satz ist inzwischen legendär: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“. Willy Brandt hat ihn am 10. November 1989 in Berlin gesagt. Es war der Tag nach dem Mauerfall. Ein Gänsehautmoment. Und seitdem ist tatsächlich ja auch viel zusammengewachsen zwischen den beiden Deutschlands. So hat etwa meine Tochter, die einige Jahre nach dem Mauerfall geboren worden ist, im Osten Deutschlands studiert. In meiner Jugend unvorstellbar. Sie dagegen kennt nur ein einziges Deutschland. Und dennoch erzählt sie mir immer wieder, dass dort manches noch immer anders ist. Und dieses „Anders“, das merke man halt auch im Alltag. In Begegnungen mit den Leuten. In der Art, wie Menschen im Westen und Menschen im Osten auf das eigene Leben schauen. Daran, wie sie über politische Abläufe denken und was sie sich von der Politik erwarten. Und nach wie vor sprechen manche ja von „wir“ und „die“, oder gar von „denen drüben“, von „Wessis“ oder „Ossis“. Machen schon durch ihr Reden klar, dass es da deutliche Grenzen gibt. Auch mehr als 30 Jahre später gibt es offenbar noch jede Menge, das zusammenwachsen könnte. „Zusammenwachsen“, das ist in diesem Jahr das Leitwort des Tags der Deutschen Einheit.

Allerdings ist es ein Thema, das sich bei weitem nicht nur auf West oder Ost beschränkt. Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Gesellschaft, also wir alle, eher weiter auseinanderdriften. Als ob wir uns zerlegen in Gruppen und Grüppchen, die kaum noch miteinander sprechen können. Weil viele sich in ihren Blasen häuslich eingerichtet haben. Oft im Digitalen. Ist irgendwie ja auch verständlich. Da treffe ich genau die Menschen, die ich mag und von denen ich weiß, wie sie ticken. Die sich für dieselben Dinge interessieren wie ich. Wir sind uns einig darin, was wir mögen und haben dieselben Themen, über die wir uns aufregen. Im Prinzip ist das auch in der Kirche nicht anders. Wenn ich mir etwa meine Katholische Kirche anschaue, dann sehe ich auch da weit auseinanderliegende Ansichten, die nur schwer vereinbar sind. Über die Frage, welche Rolle Frauen in der Kirche spielen sollen. Wie mit vielfältigen sexuellen Orientierungen umgegangen werden soll. Darüber, wie das Evangelium auch in Zukunft sinnvoll verkündet werden kann. Dabei gibt es in einer Rede Jesu einen ziemlich klaren Satz:  Alle sollen eins sein. (Joh 17,21) Gemeint sind damit alle Menschen, die an ihn glauben. Alle Christinnen und Christen also. Doch auch die, so scheint es, bekommen es nicht wirklich hin. Und das schon seit mehr als zwei Jahrtausenden. Die Frage ist also, was das sein kann: Eins sein. Und wie das gehen soll mit dem Zusammenwachsen.

Vom „Zusammenwachsen“ ist heute, am Tag der Deutschen Einheit, viel die Rede. Ich frage mich manchmal allerdings, ob ich das auch immer will? Will ich mit Leuten, die mir innerlich zutiefst suspekt sind, überhaupt irgendwie zusammenwachsen? Eins werden sogar, wie es sich die Bibel von den Christinnen und Christen wünscht? Ein Herz und eine Seele sollen sie in der allerersten Christengemeinde gewesen sein. So heißt es jedenfalls verklärend in der Bibel. Mal abgesehen davon, dass sicher schon bei den ersten Christen nicht nur heile Welt war, hat es die große, traute Einigkeit nie gegeben. In der Gesellschaft nicht und auch nicht in der Kirche. Weil wir Menschen halt so sind, wie wir nun mal sind. Grundverschieden eben. Und ich finde das auch gar nicht schlimm.

Zum Problem wird das ja erst, wenn ich mich nur noch in meiner Wohlfühlclique bewege. Wenn ich Menschen ausschließe und diskriminiere, nicht mehr bereit bin, zumindest ansatzweise zu verstehen, warum der Andersdenkende eigentlich so anders denkt. Wenn es nicht mehr möglich ist, miteinander zu reden, sich zuzuhören. Sich, wenn nötig, auch mal zivilisiert zu streiten.

Vor vier Jahren hatte die Redaktion der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT die Idee, Leute zum Gespräch zusammenzubringen, die ganz gegensätzliche Ansichten haben. Entstanden ist daraus die Aktion „Deutschland spricht“. Sie läuft noch immer. Das Fazit eines Gesprächsteilnehmers bringt gut auf den Punkt, worum es letztlich gehen sollte: Wenn ich den Menschen sehe, der hinter der Meinung steckt, dann ändert das komplett die Situation für mich. Eine Erfahrung, die gerade auch einige Katholikinnen und Katholiken in den Diskussionen auf dem sogenannten Synodalen Weg machen. Er ist eine Reaktion auf die tiefe Krise, in der die Katholische Kirche in Deutschland steckt. Ein kirchliches Bullerbü wird auch er nicht hervorbringen. Das große Eins-Sein in Harmonie wird es nicht geben. Es bleibt wohl ein Ideal, ein in dieser Welt unerfüllbarer Wunsch. Und dennoch geschieht ja etwas, wenn wir aufeinander zugehen, uns austauschen, miteinander streiten. Vielleicht werden wir uns am Ende nicht einig sein. Mit unvereinbaren Positionen auseinandergehen. Und doch wird nichts mehr sein wie vorher, wenn ich mich intensiv bemüht habe, den anderen zu verstehen. Und wenn auch er sich intensiv bemüht hat, mich zu verstehen. Zusammengewachsen sind wir deswegen nicht. Aber näher gekommen sind wir uns schon. Und sind im besten Fall gerade darum ein kleines Stück menschlich miteinander gewachsen.

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16JUN2022
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Katholiken sind manchmal schon ein seltsames Volk. Heute, an Fronleichnam, stellen sie sich vielerorts auf einen öffentlichen Platz, um Gottesdienst zu feiern. Und am Schluss ziehen sie mit einem goldenen Schrein durch die Straßen und zeigen ein Stück Brot. Keine Frage: Auf Menschen, die das noch nie gesehen haben, die nicht mit dem katholischen Brauchtum vertraut sind, muss das befremdlich wirken. Wie aus der Zeit gefallen. Von gestern oder gar vorgestern. Und mancher mag sich denken, dass das ja gut zu dieser Kirche passt, die sich mit Veränderungen schwertut und mit ihren Vorstellungen von dem, was richtig und falsch ist, so oft im 19. Jahrhundert stecken geblieben ist.

Aber mit Fronleichnam ist das anders. Fronleichnam ist einfach und aktuell. An Fronleichnam geht es unmittelbar um den Kern des Menschseins, um das Wesentliche. Fronleichnam stellt nämlich die Frage: Was braucht der Mensch, um zu überleben? Also: Was ist unverzichtbar, damit er noch ein Mensch ist?  Dafür steht das Stückchen Brot, das herumgetragen und gezeigt wird. Soviel kann ich an dieser Stelle schon verraten.

Und was braucht der Mensch? Wirklich, unbedingt, damit er lebt? Es ist wohl leichter zu sagen, was er nicht braucht. Ich habe mir das mal für mich überlegt. Ich brauche keinen teuren Urlaub, verbunden mit einer Reise in ein fernes Land. Ich muss nicht wegfliegen oder 1000 km mit dem Auto fahren. Es genügt mir, wenn ich hin und wieder Zeit habe, um nichts zu tun, etwas anderes sehe als die gewohnten vier Wände. Ich brauche keine rauschenden Feste, wo alles perfekt organisiert ist. Mir genügt es, wenn ich mich mit ein paar Freunden treffen kann und wir dann erzählen, was uns gerade beschäftigt. Ein Glas Wein dazu, ein guter Happen zu essen. Aber das Wichtigste ist in jedem Fall die Gemeinschaft: dass ich die anderen wieder sehe und dass wir uns an dem Anteil geben, was wir denken. Überhaupt sind für mich tiefgehende Gespräche ein großes Geschenk. Wenn wir nicht im Small-Talk stecken bleiben, sondern es gelingt, offen und ehrlich und gleichberechtigt unsere Meinungen zu einem Thema auszutauschen. Ohne Rechthaberei. Großes Publikum dagegen brauche ich nicht. Und dann gibt es da noch einen Bereich, der mir am schwersten fällt: das Essen und Trinken. Ich koche gern und ich esse gern und trinke gern ein gutes Glas Wein. Aber brauche ich das wirklich, also grundsätzlich für mein Leben? Nein. Es ist schön und es macht Spaß und schafft Genuss. Aber lebensnotwendig ist es nicht. Eher Kür als Pflicht. Eher „schön zu haben“, aber kein Muss. Wie so dies und das, über das ich mir Gedanken mache und das manchmal viel Raum einnimmt, aber nicht wesentlich ist.

Wesentlich sind nur wenige Dinge. Ich brauche keine zwanzig Hemden im Schrank. Ich brauche kein großes Auto. Ich brauche kein nobles Essen. Das ist alles oft praktisch und bequem und angenehm, aber wirklich wichtig ist es für mein Leben nicht. Mir fällt das auf, wenn ich einen Laib Brot anschneide und ein Stück davon esse. Trocken, ohne Butter. Wenn das Brot knusprig ist, gut gebacken, frisch – dann ist das das Größte. Es ist wie ein Aha-Erlebnis: So wenig kann so gut sein. Und wunderbar satt machen. Und dann ist das wie ein Hinweis darauf, ruhig mal zu überprüfen, was unnötiger Ballast ist und was wirklich nötig. Genau so verstehe ich auch das Stück Brot, das heute in der Monstranz ausgestellt wird. Zum Hinschauen. Zum Nachdenken. Zum Anbeten. Denn was wirklich wichtig ist, elementar und wesentlich, das ist mit einem anderen Wort auch: heilig. Heilig ist mir der Freund, dem ich vertraue, und der immer da ist, wenn ich ihn brauche. Heilig ist für mich das Dach über dem Kopf, das mich beschützt. Heilig ist für mich das rechte Maß an Nahrung und Liebe, das ich brauche um glücklich zu sein. Nicht mehr, nicht im Überfluss, nicht so, dass ich anderen etwas wegnehme und es denen dann fehlt. Aber auch nicht weniger. Wenn ich heute auf die Hostie in der Monstranz schaue, dann denke ich daran. Und ich erinnere mich an den, der von sich gesagt hat: Ich bin das Brot des Lebens[1]. Jedenfalls hatte Jesus ganz offensichtlich ein klares Gespür dafür, was wesentlich ist, was er zum Leben braucht. Keinen Stab, keine Vorratstasche, kein zweites Hemd[2]. So empfiehlt er seinen Jüngern, als er sie aussendet, um zu den Menschen zu gehen. Er wusste genau, was sie davon abhalten könnte, glaubwürdig zu sein. Wovon sie sprechen und wie sie leben, das soll zusammenpassen. Und Jesus wusste auch, was die Menschen von Gott abhält. Denn dabei gab es für ihn keine Trennung. Ein einfaches glückliches Leben, das ist im Sinne Gottes. Das mehr haben wollen, immer mehr, das führt ins Unglück.

So werde ich also heute wieder auf das Stückchen Brot schauen, das Christen Leib Christi nennen. Ich werde beschämt sein von dem, was ich zu viel habe. Und gleichzeitig werde ich dankbar daran denken, was mir wirklich heilig ist. Und mir vornehmen, mein Leben mehr daran auszurichten.

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[1] Johannes 6,35
[2] vgl. Matthäus 10,10

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06JUN2022
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An Pfingsten feiern die Kirchen, dass Gott seinen Geist zu uns Menschen schickt - als Beistand und treuen Begleiter fürs ganze Leben. Das hört sich großartig an. Aber – wie sieht das konkret aus?

In der Bibel wird dazu eine Geschichte erzählt, die ich sehr mag. Mose zieht mit dem Volk Israel durch die Wüste. Gott steht seinem Volk treu bei und sorgt für genug Essen auf dem Weg, allerdings recht einseitig: Jeden Tag gibt es Manna, das nach Honigkuchen schmeckt. Das hört sich erstmal gut an, aber 40 Jahre Honigkuchen können einem Menschen auch lang werden. Deshalb beschwert sich das Volk bei Mose immer wieder. Sie sagen: Wir wollen zurück nach Ägypten, auch wenn es Sklaverei bedeutet. Da gab es Kürbisse, Melonen, Fische, Zwiebeln und Knoblauch.

In dem Moment bricht Mose innerlich zusammen. Er hält es nicht mehr aus, wie krass falsch das Volk seine Lage einschätzt, und was für Luxus-Probleme es hat. Die Freiheit von der Sklaverei ist erreicht – und das soll eingetauscht werden gegen Fische und Knoblauch? Mose will nicht mehr derjenige sein, der die Menschen motiviert, weiterzugehen. Er will nicht mehr der einzige sein, der unbeirrt in die Zukunft blickt und Optimismus ausstrahlt. Er kann einfach nicht mehr und betet: Gott, wenn Du mir sonst keine Hilfe angedeihen lässt, dann töte mich lieber. Ich hab es satt!

Gottes Antwort lautet: Suche 70 Männer. Denen will ich von meinem Geist geben, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst (Num, 11, 17). So zum Beispiel sieht es konkret aus, wenn Gott seinen Geist schickt. Mose bekommt Menschen geschickt, die ihm helfen, seine Last zu tragen.

Die Geschichte von Mose erzählt von einer Erfahrung, die viele auch heute kennen:
Ich denke zum Beispiel an Erika. Erika verteilt in ihrer Kirchengemeinde regelmäßig ein kostenloses Mittagessen an Bedürftige. Diese Arbeit hat ihr immer Spaß gemacht. Aber dann kam Corona:  viele Helferinnen und Helfer aus ihrem Team sind  ausgefallen. Die Arbeit ist ihr irgendwann über den Kopf gewachsen. Irgendwann hat sie der Gemeindeleitung gesagt, dass sie es nicht mehr schafft, und hat das auch in einem Gottesdienst öffentlich zugegeben. Das hat sich herumgesprochen, und Tage später haben sich lauter junge Familien gemeldet, um zu helfen.

Erika hat mir erzählt: „Es ist unglaublich, wie viele Menschen plötzlich da sind. Damit war überhaupt nicht zu rechnen. Das ist so eine Entlastung.“

Ich finde, das ist genau die Mosegeschichte aus der Bibel - bloß in der Gegenwart. Ich bin mir sicher: Die Geschichte von Mose ist brandaktuell. Menschen fühlen sich auch heute schwach, allein und hilflos.

Mein Eindruck ist aber auch: Schwäche zeigen, erzählen, dass man sich alleine fühlt – das ist nicht einfach. Schon in der Schule müssen Kinder immer mehr zu Alleskönnern werden. Nur ja keine schlechte Note in irgendeinem Fach. Ja keine Schwachstelle zeigen.Im Beruf geht das weiter, und Ellbogen sind immer noch wichtig. Facebook, Instagram, TikTok und YouTube produzieren Bilder von Schönheit und Perfektion, die unerreichbar sind.

Gleichzeitig erlebe ich in meiner Arbeit mit Jugendlichen, dass die Not größer wird, über die eigenen Schwächen, über Einsamkeit und Hilflosigkeit zu sprechen. Ich merke immer wieder: Erwachsene sollten offene Ohren für die Jugendliche haben. Einfach damit wir als Gesellschaft nicht unfähig werden, Schwäche, Einsamkeit und Hilflosigkeit wahrzunehmen.

Und das ist, denke ich, wieder sehr nah an Gottes Antwort an Mose dran. Er hat ja gesagt: andere sollen Dir tragen helfen, damit Du nicht alleine tragen musst. Es geht also bei Gott gar nicht darum, dass plötzlich alles, was schwer ist, verschwindet. Aber Gottes Geist sorgt dafür, dass andere mittragen.

Und das tolle ist: Schwächen zuzugeben bedeutet keine Niederlage. Wer die eigene Überforderung ausspricht, der öffnet die Tür für Gottes Geist. So wird aus Schwäche gemeinsame Stärke. Aus Einsamkeit Gemeinschaft und aus Hilflosigkeit wird Zupacken. Und mal ehrlich: wenn ich die Nachrichten schaue über Corona und Krieg in Europa – dann wünsche ich mir so einen Geist für die Menschen und zwischen den Menschen sehr.

Jetzt muss ich noch eines sagen: Es klingt vielleicht zu wunderbar, was ich hier beschreibe. Und Hilfe kommt trotzdem nicht automatisch nach dem Motto: Einfach sagen „ich kann nicht mehr“ und schwupps kommt der Heilige Geist und sorgt für Abhilfe. Das wäre schön. Die eigene Schwäche auszusprechen ist nicht die fertige Lösung - aber nötig, damit sich eine Tür auftut.

Aber ich glaube, dass Pfingsten ein gutes Datum ist, um an den Geist zu erinnern. Ein gutes Datum dafür ist, zur eigenen Schwäche zu stehen. Weil sie von Gott gesehen wird und danach hoffentlich auch von Menschen, mit denen man nicht rechnet.

Also: Nutzen Sie dieses Datum und sagen Sie es jemandem ehrlich, wenn es Ihnen einmal alles zu viel wird. Es besteht Grund zur Hoffnung, dass Ihre Worte dann auch von Gott gehört werden, der seinen Geist sendet, damit Ihnen beim Tragen geholfen wird.

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18APR2022
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Die Emmaus-Jünger

Heute Morgen war in Waghäusel bei Heidelberg schon richtig was los: über hundert Leute haben sich um 6 Uhr auf dem Friedhof getroffen. Sie haben gebetet und gesungen und sind dann ein Stück gelaufen. Unterwegs haben sie sich unterhalten, meditiert und in der Bibel gelesen. Und sie haben zusammen gefrühstückt.

Diese Tradition heißt Emmaus-Gang. Sie geht auf eine Geschichte aus der Bibel zurück: Als Jesus stirbt, bricht für seine Jünger eine Welt zusammen. Alles, was sie erhofft haben, ist dahin. Zwar soll Jesus auferstanden sein; aber sie können es nicht glauben. Zwei der Jünger verlassen daraufhin Jerusalem und wandern mutlos nach Emmaus, einem Ort ganz in der Nähe. Sie reden gerade über die Ereignisse der letzten Tage, als ein Fremder dazu kommt. Der tröstet sie, indem er ihnen die heiligen Schriften auslegt. Gegen Abend kehren die drei zusammen ein. Am Tisch nimmt der Fremde ein Fladenbrot und einen Krug Wein in die Hand. Wie Jesus es getan hat, spricht er den Segen und teilt beides aus. Da erkennen sie ihn: es ist Jesus. Er war die ganze Zeit bei ihnen. Sie waren nur so mit sich beschäftigt, dass sie ihn nicht erkannt haben.

Auch die Menschen heute Morgen in Waghäusel waren unterwegs nach „Emmaus“: nur eben symbolisch. Sie wollten zeigen und feiern, dass Jesus auch heute da ist und Menschen begleitet, auch wenn sie ihn oft nicht gleich erkennen. Sie haben ganz bewusst auf dem Friedhof begonnen, im Halbdunkel: unterwegs ist dann die Sonne aufgegangen, und es wurde immer heller, ein Zeichen dafür, dass Jesus lebt und alles vertreibt, was dunkel ist und traurig macht. Ich mag solche Zeichen. Und doch will ich es genauer wissen: Wie ist Jesus denn konkret an meiner Seite, wo ich ihn doch für tot halten könnte – so wie die Jünger damals?

Der Emmaus-Gang legt für mich vier Spuren:
Zuerst mal: Jesus ist da, wo sich Menschen einander anvertrauen. Die zweite Spur: Ich spüre etwas von ihm, wenn ich in der Heiligen Schrift lese. Dann wird er für mich real, wenn sich Menschen am Tisch versammeln und dabei an ihn denken. Und zu guter Letzt: ich erkenne Jesus oft erst im Nachhinein, wenn ich mir anschaue, was ich so erlebt habe.

Jesus begegnen – auch heute noch

Jesus ist zum Beispiel da, wo sich Menschen einander anvertrauen. Es gibt Situationen, da bin ich wie die Jünger in dem gefangen, was ich erlebe: ich bin traurig, weil jemand stirbt. Ich werde krank oder erlebe Schlimmes und habe Angst. Wie gut tut es dann, wenn jemand für mich da ist, mit dem ich reden kann. Sich auszutauschen führt oft dazu, dass mir „die Augen aufgehen“ und es wieder heller wird. In solchen Momenten bin ich mir sicher: Jesus geht mit mir. Er begleitet mich – durch andere.

Ich kann Jesus aber auch spüren, wenn ich in der Bibel lese. Zu den Emmaus-Jüngern gesellt sich ein Mann, der ihnen die Heilige Schrift auslegt und so ein neues Licht auf das wirft, was Jesus passiert ist. Vielleicht sagt er ihnen, dass Gott aus dem, was für Menschen ausweglos erscheint, durchaus Neues und Gutes machen kann. Oder dass im Scheitern ein neuer Anfang steckt. Das alles steht in der Schrift. Es trifft die Jünger ins Herz und spricht auch mich an.

Die Emmaus-Geschichte legt für mich noch eine andere Spur, wie ich Jesus heute begegnen kann: in der Eucharistie, dem Abendmahl. Die Jünger erkennen den Fremden, als er das Brot teilt. Jesus hatte ihnen gesagt: wann immer ihr das tut und miteinander esst, bin ich bei euch.
Mir fällt dazu eine alte Schüssel ein, die bei mir zuhause steht. Mein Schwiegervater hat darin immer seine Dampfnudeln vorbereitet. Wenn ich die Schüssel sehe, sehe ich ihn: wie er den Teig knetet und seine Augen leuchten. Ich rieche die Hefe und die fertigen Dampfnudeln. Er selber ist schon gestorben, aber in diesem Moment ist er für mich lebendig. Es ist nur eine Schüssel; etwas Zufälliges; meine persönliche Erinnerung. Die Zeichen, die Jesus hinterlassen hat, sind da noch stärker! Denn er hat Brot und Wein ganz bewusst gedeutet. So bleibt er darin ganz lebendig. Es sind Symbole; aber für mich haben sie eine echte Kraft.

Dass Jesus auch heute wirkt und lebendig ist, erkenne ich manchmal auch im Rückblick auf das, was ich erlebt habe. Die Emmaus-Jünger lassen am Abend den Tag Revue passieren und merken, dass Jesus bei ihnen war. In der Bibel heißt es: „Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete?“
Manchmal läuft es nicht so, wie ich es will. Ich sehe kein Land mehr, bin traurig oder ratlos. Trotzdem geht es weiter. Erst später, wenn ich zurückschaue, merke ich, warum: ein Freund hat mich motiviert. Ich bin einem begegnet, der mir gutgetan hat. Oder ich musste bei in einer Sache scheitern, weil sich erst dadurch neue Wege eröffnet haben. Solche Momente können mir zeigen, dass es da einen gibt, der mich durchs Leben begleitet.

Heute Morgen sind an vielen Orten Menschen unterwegs. Wie die Jünger damals machen sie einen Emmaus-Gang: sie vertrauen sich einander an, beten, lesen in der Bibel und essen zusammen. Wo immer einem dabei die Augen aufgehen oder ein gutes Wort ein Herz berührt, wo immer sich dabei etwas zum Besseren wendet oder einer in seiner Not nicht alleine bleibt – da ist Jesus spürbar. Genau dort zeigt sich für mich: Jesus lebt – auch heute.

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01JAN2022
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Zu Beginn des Neuen Jahres grüße ich Sie sehr herzlich! Ich wünsche Ihnen ein gutes, gesegnetes und gesundes Jahr 2022! Das neue Jahr ist wie ein Buch, das noch unbeschrieben vor uns liegt. Heute wird die erste Seite aufgeschlagen, mit ersten Worten, ersten Sätzen aber auch mit vielen Fragezeichen, was dieses Jahr wohl alles bringen wird.

Auf die erste Seite meines Buchs klebe ich das Bild eines Engels.  Ich habe es von meinem Adventskalender für das Neue Jahr aufgehoben. Es ist das Bild eines Engels. Der Engel hat ein nachdenkliches und konzentriertes Gesicht. Seine Arme  sind auf der Brust gekreuzt, als wolle er etwas Kostbares aufbewahren.  Aber trotz seines Gewichts schwebt er leicht über der Erde. Er wird  von einer Kette gehalten, die oben im Kirchengewölbe festgemacht ist. Der Künstler Ernst Barlach schuf den schwebenden Engel 1927 als Mahnmal für die Toten des Ersten Weltkriegs. Das Original wurde von den Nationalsozialisten vernichtet, weil die Darstellung des Engels nicht in deren Verherrlichung von Gewalt und Rasse gepasst hat. Gott sei Dank ist es den Nazis nicht gelungen, dieses Kunstwerk aus der Welt zu schaffen. Sie haben zwar das Original vernichtet, aber konnten nicht verhindern, dass Freunde des Bildhauers noch rechtzeitig einen Abguss von dem Friedensengel gemacht haben. Und so finden sich heute sowohl in der Antoniterkirche in Köln wie im Dom zu Güstrow Kopien dieses eindringlichen Mahnmals. Ernst Barlach hat einmal über seinen Engel geschrieben, er plane „eine schwebende Figur, die ganz in sich geschlossen ist und das Höchste an Konzentration darstellt. Sie soll über den Alltag hinausführen in eine andere Welt.“

Für mich geht von dem Engel eine große Ruhe aus. Es ist kein Wunder, dass Menschen still werden, wenn sie den Schwebenden betrachten.  Niemand muss sie dazu anhalten. Auf mich wirkt es so: Nur in der Stille kann man seine Botschaft hören. Mir ist dieser Engel am Beginn des Neuen Jahres ein wichtiger Begleiter. Er strahlt eine wunderbare Gelassenheit aus und vermittelt das Versprechen, dass er bei allem, was kommen mag, dabei ist und nicht von meiner Seite weicht.

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Ein Engel, der nicht von meiner Seite weicht, das ist heute mein Thema in den SWR 4 Feiertagsgedanken zum Neuen Jahr. Barlachs schwebender Engel ist nicht abgehoben und unberührt, von dem, was auf der Erde los ist. Im Gegenteil: Bis in seine Gesichtszüge hinein kann man die Spuren menschlicher Angst entdecken. Er ist kein Überflieger, sondern hält es aus, immer wieder zwischen die Fronten zu geraten. Ich stelle mir vor: Er hört das Stöhnen des Schwerkranken und vernimmt gleichzeitig seine große Hoffnung. Er spürt den riesigen Hunger eines jungen Menschen nach Leben und spürt gleichzeitig, wie enttäuscht er ist. Er sieht fröhliche und unbekümmerte Menschen und weiß doch wie verletzbar und gefährdet sie sind. Der Engel schwebt zwischen Himmel und Erde und kann in dieser Lage das tun, was seine Aufgabe ist. Er soll über den Alltag hinausführen in eine andere Welt, so wie es Ernst Barlach selber gesagt hat.

Mich bestärkt der schwebende Engel in dem Gedanken, dass über mir, über uns allen, kein dunkles und anonymes Schicksal schwebt, sondern ein Gott, der alles in seinen Händen träg. Hände, die nicht fesseln und zwingen, Händen, die nicht schlagen und verletzen. Sondern Hände, die heilen und segnen. Engel haben immer den Auftrag, diesen Gott vernehmbar zu machen und dadurch den Menschen ihre Angst zu nehmen. Darum heißt ihr erstes Wort, wo immer sie in der Bibel auftreten: “Fürchte dich nicht!

Barlachs Engel führt über den Alltag hinaus. Er zeigt mit seinem ganzen Gewicht, dass wir von oben her gehalten und getragen sind. Auch und gerade dann, wenn uns Angst und Sorgen niederdrücken. Er verkörpert buchstäblich, was Dietrich Bonhoeffer unnachahmlich ins Wort gebracht hat: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Ich wünsche Ihnen, dass sie behütet und gesegnet ins neue Jahr gehen. Dass Sie zwischen den Seiten in ihrem Jahrbuch immer wieder Engelsspuren entdecken. Und denken sie daran, Engel müssen nicht Männer mit Flügeln sein. Manchmal wohnen sie mit uns Wand an Wand, manchmal sagen sie uns ein gutes Wort, manchmal geben sie uns schweigend die Hand. Und manchmal schweben sie kurz vorbei, lächeln uns still an und verschwinden wieder.

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01NOV2021
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Jemand sagt zu mir: „Ich bin kein Heiliger!“ Er meint damit: „Ich hab meine Fehler. Ich lang schon mal tüchtig daneben. Tret‘ ins Fettnäpfchen. Na, und die eine oder andere Versuchung … Ich bin kein Heiliger.“

Ich höre mir das an und frage mich: Gut, aber wer ist denn eigentlich ein Heiliger? Haben wir nicht alle unsere Schwächen und Fehler? Und machen die uns nicht gerade menschlich?

Ich habe neulich Holzfiguren von Leuten gesehen, die immer „heilig“ genannt werden. Die standen in einem alten Altarbild in einer großen Kirche. Wunderschön geschnitzt, viel Gold.

Da war einmal Petrus, ein Jünger von Jesus. Der wird immer mit einem Schlüssel in der Hand dargestellt, den kann man leicht erkennen. Neben ihm Maria, die Mutter von Jesus: Für Katholiken bestimmt die Heilige schlechthin! Aber auch mir als Evangelischem ist sie sehr wichtig. Und Petrus auch. So unterschiedlich die beiden sind.

Ich fang mal bei Petrus an. Den mag ich wirklich sehr! So wie die Bibel von dem erzählt, war der aber ein ziemliches Großmaul! Petrus, der hat Jesus schon richtig nachgeeifert. Mit ganzem Herzen. Aber ein paar Mal hat er den Mund dann doch zu voll genommen. Übers Wasser wollte er zu Jesus gehen. Und ist dann vor Angst untergegangen. Immer und überall hin wollte er Jesus nachfolgen. Selbst in den Tod. Und ist dann doch weggelaufen, um seine Haut zu retten.  

Ich stelle mir Petrus wie einen gutmütigen, ziemlich lauten Riesen vor. Kräftig wie drei – und mit dem Herzen eines kleinen Kindes. Und der ist heilig? Dieser Raufbold, dieses Großmaul! Dieser Kindskopf – aber eben auch: dieses reine kindliche Gemüt.

Maria passt da schon besser. Die fügt sich immer in das, was passiert. Was Gott auch mit ihr vorhat, sie macht mit, ohne sich zu beschweren. Dabei ist sie blutjung, als wir sie in der Bibel kennenlernen. Aber sie hat keine Flausen im Kopf. Gott wird schon wissen, wie’s weitergeht, denkt sie. Und geht mit.

Ja, Maria ist ganz bestimmt so, wie man sich Heilige allgemein vorstellt: demütig und sanft. Na ja, denke ich: Das ist auch das Bild, was man sich jahrhundertelang von Frauen gemacht hat. Aber langsam: die Heiligenfigur, die ich da neulich gesehen habe, die hatte den Teufel fest unter ihren Fuß geklemmt. Der hatte keine Chance mehr!

Und Petrus, der ist ja auch mit Jesus überall hin mitgegangen. Na ja, er hat es wenigstens versucht. Hat halt nicht immer und nicht immer auf Anhieb geklappt. Aber am Ende dann schon.

Vielleicht waren die beiden einfach nur sehr unterschiedlich, Petrus und Maria? Ganz unterschiedliche Typen? Könnten sie dann nicht für uns als Vorbild dienen? So unterschiedlich, wie auch wir sind?

Wir Menschen lernen ja durch Abgucken und Nachmachen. Ein kleines Kind guckt ganz genau, was Mama und Papa und die anderen Erwachsenen tun. Und vor allem die großen Geschwister, die sind fast noch interessanter! Könnten Petrus und Maria nicht so etwas wie große Geschwister für uns sein? Petrus wäre ein ziemlich draufgängerischer und großmäuliger großer Bruder. Aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck! Und Maria wäre eine sehr sanftmütige und geduldige große Schwester. Aber auch eine sehr starke und mutige. Eine, die immer dranbleibt. Die sich nie beirren lässt.

Es gibt noch viele andere Figuren in der Bibel, die solche Vorbilder sein können. Menschen, von denen wir uns etwas abgucken können. Und natürlich gibt es die nicht nur in der Bibel. Die gibt es überall. Zuerst sicher in der eigenen Familie. Ich denke an meine Mutter, die mir die Geschichten aus der Bibel eröffnet hat. Meinen Vater, der mir schöne Kirchen gezeigt hat. Auch die, in der ich gerade wieder die Heiligenfiguren gesehen habe. Meine Oma, die mich immer zum Abschied gesegnet hat. Meinen Patenonkel, der mir zur Taufe ein wunderschönes Marienbild geschenkt hat. Der war übrigens auch evangelisch! Und das Bild hing dann über meinem Bett.

Diese Menschen haben mir von ihrer Hoffnung erzählt. Mir von ihrem Vertrauen abgegeben. Diese Erinnerungen sind mir wirklich heilig. Und ich bin noch vielen anderen Heiligen begegnet in meinem Leben. Menschen, die sich selbst nie für Heilige gehalten hätten. Aber die es gewesen sind. Für mich und für andere.

Manche von denen hatten es selbst nicht leicht. Die hätten allen Grund gehabt, sich zu beklagen. Aber ihre Hoffnung und ihr Gottvertrauen waren stärker. Darauf haben diese Menschen gebaut und weitergemacht. Sich nicht zurückgezogen. Sie sind einfach da gewesen, wenn sie gebraucht wurden. So haben sie es geschafft, dass jemand wieder lächeln konnte, unter den Tränen. Dass jemand wieder den Kopf heben und nach vorne blicken konnte. Dass sich jemand einfach nur gefreut hat, am Leben zu sein.

Das sind für mich Heilige. Vorbilder, ein großer Bruder, eine große Schwester. Jemand, der ein Stück mehr vom Weg sieht. Der eine Hand reicht. Der einen Arm um einen legt. Der seine Schulter anbietet, an die man sich lehnen kann.

Ich meine: Wir alle können solche Heiligen sein. Sie und ich. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Feiertag Allerheiligen!

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