SWR4 Feiertagsgedanken

SWR4 Feiertagsgedanken

16JUN2022
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Katholiken sind manchmal schon ein seltsames Volk. Heute, an Fronleichnam, stellen sie sich vielerorts auf einen öffentlichen Platz, um Gottesdienst zu feiern. Und am Schluss ziehen sie mit einem goldenen Schrein durch die Straßen und zeigen ein Stück Brot. Keine Frage: Auf Menschen, die das noch nie gesehen haben, die nicht mit dem katholischen Brauchtum vertraut sind, muss das befremdlich wirken. Wie aus der Zeit gefallen. Von gestern oder gar vorgestern. Und mancher mag sich denken, dass das ja gut zu dieser Kirche passt, die sich mit Veränderungen schwertut und mit ihren Vorstellungen von dem, was richtig und falsch ist, so oft im 19. Jahrhundert stecken geblieben ist.

Aber mit Fronleichnam ist das anders. Fronleichnam ist einfach und aktuell. An Fronleichnam geht es unmittelbar um den Kern des Menschseins, um das Wesentliche. Fronleichnam stellt nämlich die Frage: Was braucht der Mensch, um zu überleben? Also: Was ist unverzichtbar, damit er noch ein Mensch ist?  Dafür steht das Stückchen Brot, das herumgetragen und gezeigt wird. Soviel kann ich an dieser Stelle schon verraten.

Und was braucht der Mensch? Wirklich, unbedingt, damit er lebt? Es ist wohl leichter zu sagen, was er nicht braucht. Ich habe mir das mal für mich überlegt. Ich brauche keinen teuren Urlaub, verbunden mit einer Reise in ein fernes Land. Ich muss nicht wegfliegen oder 1000 km mit dem Auto fahren. Es genügt mir, wenn ich hin und wieder Zeit habe, um nichts zu tun, etwas anderes sehe als die gewohnten vier Wände. Ich brauche keine rauschenden Feste, wo alles perfekt organisiert ist. Mir genügt es, wenn ich mich mit ein paar Freunden treffen kann und wir dann erzählen, was uns gerade beschäftigt. Ein Glas Wein dazu, ein guter Happen zu essen. Aber das Wichtigste ist in jedem Fall die Gemeinschaft: dass ich die anderen wieder sehe und dass wir uns an dem Anteil geben, was wir denken. Überhaupt sind für mich tiefgehende Gespräche ein großes Geschenk. Wenn wir nicht im Small-Talk stecken bleiben, sondern es gelingt, offen und ehrlich und gleichberechtigt unsere Meinungen zu einem Thema auszutauschen. Ohne Rechthaberei. Großes Publikum dagegen brauche ich nicht. Und dann gibt es da noch einen Bereich, der mir am schwersten fällt: das Essen und Trinken. Ich koche gern und ich esse gern und trinke gern ein gutes Glas Wein. Aber brauche ich das wirklich, also grundsätzlich für mein Leben? Nein. Es ist schön und es macht Spaß und schafft Genuss. Aber lebensnotwendig ist es nicht. Eher Kür als Pflicht. Eher „schön zu haben“, aber kein Muss. Wie so dies und das, über das ich mir Gedanken mache und das manchmal viel Raum einnimmt, aber nicht wesentlich ist.

Wesentlich sind nur wenige Dinge. Ich brauche keine zwanzig Hemden im Schrank. Ich brauche kein großes Auto. Ich brauche kein nobles Essen. Das ist alles oft praktisch und bequem und angenehm, aber wirklich wichtig ist es für mein Leben nicht. Mir fällt das auf, wenn ich einen Laib Brot anschneide und ein Stück davon esse. Trocken, ohne Butter. Wenn das Brot knusprig ist, gut gebacken, frisch – dann ist das das Größte. Es ist wie ein Aha-Erlebnis: So wenig kann so gut sein. Und wunderbar satt machen. Und dann ist das wie ein Hinweis darauf, ruhig mal zu überprüfen, was unnötiger Ballast ist und was wirklich nötig. Genau so verstehe ich auch das Stück Brot, das heute in der Monstranz ausgestellt wird. Zum Hinschauen. Zum Nachdenken. Zum Anbeten. Denn was wirklich wichtig ist, elementar und wesentlich, das ist mit einem anderen Wort auch: heilig. Heilig ist mir der Freund, dem ich vertraue, und der immer da ist, wenn ich ihn brauche. Heilig ist für mich das Dach über dem Kopf, das mich beschützt. Heilig ist für mich das rechte Maß an Nahrung und Liebe, das ich brauche um glücklich zu sein. Nicht mehr, nicht im Überfluss, nicht so, dass ich anderen etwas wegnehme und es denen dann fehlt. Aber auch nicht weniger. Wenn ich heute auf die Hostie in der Monstranz schaue, dann denke ich daran. Und ich erinnere mich an den, der von sich gesagt hat: Ich bin das Brot des Lebens[1]. Jedenfalls hatte Jesus ganz offensichtlich ein klares Gespür dafür, was wesentlich ist, was er zum Leben braucht. Keinen Stab, keine Vorratstasche, kein zweites Hemd[2]. So empfiehlt er seinen Jüngern, als er sie aussendet, um zu den Menschen zu gehen. Er wusste genau, was sie davon abhalten könnte, glaubwürdig zu sein. Wovon sie sprechen und wie sie leben, das soll zusammenpassen. Und Jesus wusste auch, was die Menschen von Gott abhält. Denn dabei gab es für ihn keine Trennung. Ein einfaches glückliches Leben, das ist im Sinne Gottes. Das mehr haben wollen, immer mehr, das führt ins Unglück.

So werde ich also heute wieder auf das Stückchen Brot schauen, das Christen Leib Christi nennen. Ich werde beschämt sein von dem, was ich zu viel habe. Und gleichzeitig werde ich dankbar daran denken, was mir wirklich heilig ist. Und mir vornehmen, mein Leben mehr daran auszurichten.

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[1] Johannes 6,35
[2] vgl. Matthäus 10,10

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35587
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