SWR4 Feiertagsgedanken
Die Emmaus-Jünger
Heute Morgen war in Waghäusel bei Heidelberg schon richtig was los: über hundert Leute haben sich um 6 Uhr auf dem Friedhof getroffen. Sie haben gebetet und gesungen und sind dann ein Stück gelaufen. Unterwegs haben sie sich unterhalten, meditiert und in der Bibel gelesen. Und sie haben zusammen gefrühstückt.
Diese Tradition heißt Emmaus-Gang. Sie geht auf eine Geschichte aus der Bibel zurück: Als Jesus stirbt, bricht für seine Jünger eine Welt zusammen. Alles, was sie erhofft haben, ist dahin. Zwar soll Jesus auferstanden sein; aber sie können es nicht glauben. Zwei der Jünger verlassen daraufhin Jerusalem und wandern mutlos nach Emmaus, einem Ort ganz in der Nähe. Sie reden gerade über die Ereignisse der letzten Tage, als ein Fremder dazu kommt. Der tröstet sie, indem er ihnen die heiligen Schriften auslegt. Gegen Abend kehren die drei zusammen ein. Am Tisch nimmt der Fremde ein Fladenbrot und einen Krug Wein in die Hand. Wie Jesus es getan hat, spricht er den Segen und teilt beides aus. Da erkennen sie ihn: es ist Jesus. Er war die ganze Zeit bei ihnen. Sie waren nur so mit sich beschäftigt, dass sie ihn nicht erkannt haben.
Auch die Menschen heute Morgen in Waghäusel waren unterwegs nach „Emmaus“: nur eben symbolisch. Sie wollten zeigen und feiern, dass Jesus auch heute da ist und Menschen begleitet, auch wenn sie ihn oft nicht gleich erkennen. Sie haben ganz bewusst auf dem Friedhof begonnen, im Halbdunkel: unterwegs ist dann die Sonne aufgegangen, und es wurde immer heller, ein Zeichen dafür, dass Jesus lebt und alles vertreibt, was dunkel ist und traurig macht. Ich mag solche Zeichen. Und doch will ich es genauer wissen: Wie ist Jesus denn konkret an meiner Seite, wo ich ihn doch für tot halten könnte – so wie die Jünger damals?
Der Emmaus-Gang legt für mich vier Spuren:
Zuerst mal: Jesus ist da, wo sich Menschen einander anvertrauen. Die zweite Spur: Ich spüre etwas von ihm, wenn ich in der Heiligen Schrift lese. Dann wird er für mich real, wenn sich Menschen am Tisch versammeln und dabei an ihn denken. Und zu guter Letzt: ich erkenne Jesus oft erst im Nachhinein, wenn ich mir anschaue, was ich so erlebt habe.
Jesus begegnen – auch heute noch
Jesus ist zum Beispiel da, wo sich Menschen einander anvertrauen. Es gibt Situationen, da bin ich wie die Jünger in dem gefangen, was ich erlebe: ich bin traurig, weil jemand stirbt. Ich werde krank oder erlebe Schlimmes und habe Angst. Wie gut tut es dann, wenn jemand für mich da ist, mit dem ich reden kann. Sich auszutauschen führt oft dazu, dass mir „die Augen aufgehen“ und es wieder heller wird. In solchen Momenten bin ich mir sicher: Jesus geht mit mir. Er begleitet mich – durch andere.
Ich kann Jesus aber auch spüren, wenn ich in der Bibel lese. Zu den Emmaus-Jüngern gesellt sich ein Mann, der ihnen die Heilige Schrift auslegt und so ein neues Licht auf das wirft, was Jesus passiert ist. Vielleicht sagt er ihnen, dass Gott aus dem, was für Menschen ausweglos erscheint, durchaus Neues und Gutes machen kann. Oder dass im Scheitern ein neuer Anfang steckt. Das alles steht in der Schrift. Es trifft die Jünger ins Herz und spricht auch mich an.
Die Emmaus-Geschichte legt für mich noch eine andere Spur, wie ich Jesus heute begegnen kann: in der Eucharistie, dem Abendmahl. Die Jünger erkennen den Fremden, als er das Brot teilt. Jesus hatte ihnen gesagt: wann immer ihr das tut und miteinander esst, bin ich bei euch.
Mir fällt dazu eine alte Schüssel ein, die bei mir zuhause steht. Mein Schwiegervater hat darin immer seine Dampfnudeln vorbereitet. Wenn ich die Schüssel sehe, sehe ich ihn: wie er den Teig knetet und seine Augen leuchten. Ich rieche die Hefe und die fertigen Dampfnudeln. Er selber ist schon gestorben, aber in diesem Moment ist er für mich lebendig. Es ist nur eine Schüssel; etwas Zufälliges; meine persönliche Erinnerung. Die Zeichen, die Jesus hinterlassen hat, sind da noch stärker! Denn er hat Brot und Wein ganz bewusst gedeutet. So bleibt er darin ganz lebendig. Es sind Symbole; aber für mich haben sie eine echte Kraft.
Dass Jesus auch heute wirkt und lebendig ist, erkenne ich manchmal auch im Rückblick auf das, was ich erlebt habe. Die Emmaus-Jünger lassen am Abend den Tag Revue passieren und merken, dass Jesus bei ihnen war. In der Bibel heißt es: „Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete?“
Manchmal läuft es nicht so, wie ich es will. Ich sehe kein Land mehr, bin traurig oder ratlos. Trotzdem geht es weiter. Erst später, wenn ich zurückschaue, merke ich, warum: ein Freund hat mich motiviert. Ich bin einem begegnet, der mir gutgetan hat. Oder ich musste bei in einer Sache scheitern, weil sich erst dadurch neue Wege eröffnet haben. Solche Momente können mir zeigen, dass es da einen gibt, der mich durchs Leben begleitet.
Heute Morgen sind an vielen Orten Menschen unterwegs. Wie die Jünger damals machen sie einen Emmaus-Gang: sie vertrauen sich einander an, beten, lesen in der Bibel und essen zusammen. Wo immer einem dabei die Augen aufgehen oder ein gutes Wort ein Herz berührt, wo immer sich dabei etwas zum Besseren wendet oder einer in seiner Not nicht alleine bleibt – da ist Jesus spürbar. Genau dort zeigt sich für mich: Jesus lebt – auch heute.
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