SWR4 Feiertagsgedanken

SWR4 Feiertagsgedanken

01MAI2023
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Arbeit ist das halbe Leben, sagt ein Sprichwort. Das könnte sogar hinkommen, ungefähr jedenfalls. Immerhin wird ein nicht unerheblicher Teil von uns am Lebensende auf 35 bis 45 Berufsjahre zurückblicken können. Grob gerechnet also wirklich auf ein halbes Menschenleben. Arbeiten, das gehört für die allermeisten von uns zum Leben einfach dazu. Mehr noch, ein Leben ohne Arbeit, das war über Jahrtausende hinweg für die ganz große Mehrheit der Menschen schlicht nicht vorstellbar. Leben bedeutete praktisch Arbeiten. Oft von Kindesbeinen an bis ins Alter. In einem Psalm in der Bibel klingt das so: „Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, sind es achtzig. Das Beste daran ist nur Mühsal und Beschwer.“ (Ps 90) Und ein anderer Psalm, der den Tagesanfang besingt, meint: „Nun geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend.“ (Ps 104) Arbeit ist nötig zum Lebensunterhalt und war doch immer auch mehr als das. Die Arbeit gibt meinem Leben eine Struktur. Sie sorgt für soziale Kontakte, für Begegnungen. Für den Austausch von Gedanken, mit meinen Mitarbeiterinnen im Büro und auch mit den Kollegen an entfernten Orten. Meine Arbeit weitet also auch meinen Horizont, gibt mir neue Impulse. Das habe ich ganz stark in der Zeit des Lockdowns erlebt, als die Büros geschlossen und Heimarbeit angesagt war. Ich habe es damals genossen, wenn ich hin und wieder trotzdem ins Büro fahren, Kollegen begegnen, mich austauschen konnte. In sicherem Abstand zwar, aber immerhin. Und nicht zuletzt: Arbeit verschafft Ansehen, verleiht mir einen Stand in der Gesellschaft. Nicht umsonst lautet eine oft gestellte Frage, wenn sich Menschen begegnen, die sich vorher nicht gekannt haben: „Und, was machst du so beruflich?“ Selbst die Bibel stellt uns Jesus als Sohn des Zimmermanns vor. Das beschreibt nicht nur den Beruf, den er selbst wohl erlernt hat, sondern auch seinen Status im Ort. Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben mir manchmal mit einem gewissen Stolz erzählt, dass sie etwa beim Chemieriesen BASF waren, oder in Stuttgart eben „beim Daimler“. Ihre Arbeit war für sie mehr als nur ein Einkommen.

Auch darum ist es so dramatisch, wenn Jobs einfach gestrichen werden, Menschen ihre Arbeit verlieren. Weil es für die Betroffenen eben nicht nur ein finanzielles Problem ist. Weil Arbeit etwas ist, das den ganzen Menschen betrifft, seine Familie und manchmal sogar das Dorf oder den Stadtteil. Für Menschen, die betroffen sind, gerät da manchmal das Leben aus den Fugen. Vor allem in Ostdeutschland haben Viele das traumatisch erfahren müssen und darum ist so manches Vorurteil über die „Ossis“, wie wir die Ostdeutschen manchmal hier nennen, auch nicht fair. Weil Arbeit tatsächlich immer mehr war und mehr ist als bloßer Gelderwerb. Viel mehr eben als ein halbes Leben.

Natürlich ist der Tag der Arbeit, den es seit über 100 Jahren gibt, kein kirchlicher Feiertag. Aber den sozialistischen Bewegungen, die ihn damals ins Leben gerufen haben, wollte die Kirche den Tag wohl nicht allein überlassen. So hat sie der Arbeit und allen arbeitenden Menschen gewissermaßen eine Art Denkmal gesetzt. Spät zwar, aber immerhin. In der Person des Josef, dem Vater von Jesus. Der Tag der Arbeit ist ihm gewidmet: Josef, dem Arbeiter. Auch, wenn das so nicht ganz stimmt, denn Josef war kein Arbeiter im heutigen Sinne. Er war Zimmermann, Handwerker also. Damals wohl so etwas wie ein Baumeister, der auch ganze Häuser errichtet hat. Viel mehr wissen wir eigentlich nicht von ihm. Im Wesentlichen noch, dass er der Mann der Maria war, die von der Kirche als „Mutter Gottes“ jedoch viel inniger verehrt wird als er. Doch er war es, der nach den biblischen Erzählungen stillschweigend akzeptiert hat, dass seine Verlobte Maria schwanger war – wenn auch nicht von ihm. Er war es, der dennoch zu ihr gehalten und die kleine Familie schließlich vor Verfolgung bewahrt hat. Danach aber verschwindet Josef aus der Bibel und wird auch später nirgends mehr erwähnt. Nur einmal im Jahr, da begegnet er uns noch. In den Weihnachtskrippen. Da steht er dann versonnen und still an der Futterkrippe mit dem Kind. Was aus ihm geworden ist, davon wissen wir nichts. Was von ihm aber bleibt, ist das Bild des ehrlichen, bescheidenen Menschen, der Tag für Tag gewissenhaft seiner Arbeit nachgeht. Einer, der nicht im Vordergrund steht, der kein Aufheben macht um seine Person. Der vielmehr tut, was getan werden muss. Und der so mit seiner Arbeit verlässlich dazu beiträgt, dass der sprichwörtliche Laden „am Laufen bleibt“. Er steht damit für so viele. Für all die Menschen, die auch nie im Rampenlicht stehen. Die einfach verlässlich ihre Arbeit machen und ohne die eine Gesellschaft wie unsere nicht funktionieren würde.

Vielleicht müssen wir heute aber noch weiter schauen. Denn die schlimmsten Schieflagen finden sich ja kaum mehr in den Bereichen, die gerade bestreikt wurden. Sie liegen oft im Verborgenen. In prekären Arbeitsverhältnissen. Bei Liefer- oder Sicherheitsdiensten. Bei billigen Leiharbeitern aus Osteuropa, die manchmal unter erbärmlichen Bedingungen schuften. Sie liegen bei Landwirten, die unsere Nahrung erzeugen und oft nur Dumpingpreise dafür erhalten. In undurchsichtigen Lieferketten rund um den Globus, die im schlimmsten Fall auch Ausbeutung und Kinderarbeit einschließen. Oft waren und sind es die Kirchen und ihre Hilfswerke, die diese Fälle sichtbar machen. Die den Finger in die Wunde legen und so daran erinnern, dass jede menschliche Arbeit wertvoll ist. Überall auf der Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37579
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