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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20JAN2024
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„Ich hab‘ dich lieb!“ Das sagt unsere kleine Tochter uns Eltern ganz oft – und nimmt uns dabei überschwänglich in den Arm. Sie ist sechs und in ihrem letzten Kindergartenjahr. Aber auch unsere Älteste mit ihren elf Jahren kennt den Satz noch. „Ich hab‘ dich lieb!“

Was davor gewesen ist, spielt gar keine große Rolle. „Ich hab‘ dich lieb!“ – dieser Satz kommt auch, wenn wir als Eltern Mist gebaut haben, wenn wir ungerecht waren oder laut geworden sind. Oder wenn der Tag irgendwie verkorkst läuft. An unseren Kindern merke ich, wie bedingungslos Liebe sein kann. Sie ist einfach da und geschieht.

Das ist nicht selbstverständlich. Und nicht logisch. Überhaupt ist Liebe nicht nur was für den Kopf. „Ich hab‘ dich lieb!“ – dieser Satz ist ja viel mehr als eine bloße Information. Dann wäre es sinnlos, ihn so oft zu sagen. Liebe ist auch was für das Herz und den Bauch. Und unser Innerstes will die Liebe immer wieder hören und erfahren.

Gottes Liebe ist auch so, erzählt die Bibel in vielen Geschichten. Sie ist einfach da, auch an dunklen Tagen oder wenn wir uns falsch fühlen. Sie geschieht wie eine überschwängliche Umarmung.

Diese Erfahrung wünsche ich auch unseren Kindern für ihr Leben. „Ich hab‘ dich auch lieb“, antworte ich deshalb, sobald ich wieder atmen kann. Sie sollen das wissen und immer wieder hören. Am besten nicht nur in schönen Momenten, wenn alles stimmt. Auch dann, wenn wir uns geärgert haben über unsere Kinder und sie es sind, die Mist gebaut haben. Liebe gilt immer – wenn sich diese Erfahrung tief einprägt, trägt sie sogar durch die Pubertät, glaube ich.

In allen anderen Beziehungen tut es genauso gut, das zu hören und zu spüren. „Ich hab‘ dich lieb!“ – „Ich bin froh, dass wir uns kennen.“ – „Ich freue mich über unseren Austausch.“ Wenn ich so was anderen Menschen sage, wird mir die Verbindung zu ihnen auch selbst neu bewusst. Und auch mein Gegenüber spürt das hoffentlich.

Wen lieben, schätzen oder mögen Sie? Und – wie wollen Sie es sagen?

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19JAN2024
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„Schönes Wochenende!“ Freitags, manchmal auch schon donnerstags, höre ich Menschen sich das gegenseitig wünschen. Zum Abschied oder an der Supermarktkasse oder auch mal hier im Radio.

„Schönes Wochenende!“ Ich höre das meistens mit gemischten Gefühlen. Mir klingt es manchmal zu sehr nach „Endlich frei!“ oder „Endlich Zeit für alles, was Spaß macht!“. Als würde das Leben nur am Wochenende so richtig stattfinden – und das muss man doch voll auskosten. Ich habe da gemischte Gefühle – nicht nur, weil ich am Wochenende oft gar nicht frei habe. Als Pfarrer und Klinikseelsorger arbeite ich regelmäßig auch am Wochenende. Meiner Frau geht es genauso – die arbeitet an anderer Stelle im Krankenhaus und hat dort zum Beispiel morgen Rufbereitschaft. Und es gibt noch viele weitere Berufsgruppen, die samstags und sonntags ganz selbstverständlich im Einsatz sind. Das Wochenende ist dann keine reine Freizeit, in der man locker-leicht abfeiert. Aber trotzdem kann es doch schön werden. Ganz nach dem biblischen Motto: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Lasst uns jubeln und uns freuen über ihn!“ [Psalm 118,24; BasisBibel]

Und wenn das Wochenende wirklich frei ist vom Schul- und Arbeitsalltag? Dann finde ich wichtig, es nicht mit Erwartungen zu überfrachten. Auch ein freies Wochenende kann herausfordern. Weil man einkaufen muss, kochen, putzen. Weil die Kinder anstrengend sind. Oder weil ganz unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderprallen. Da ist es wichtig, finde ich, nicht auch noch alles andere ins Wochenende zu quetschen, was unter der Woche zu kurz gekommen ist. Sonst ist man am Ende noch froh, wenn das Wochenende rum ist. Eine entspannte Haltung kann da viel bewirken – und das Wochenende wirklich schön werden lassen.

So kann ich den Wunsch dann auch gut hören und mich darüber freuen: „Schönes Wochenende!“ Selbst sage ich meistens etwas anderes. Ich wünsche lieber einen schönen Freitag. Oder Samstag. Oder Sonntag. Eben nach dem Motto: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat.“ Der mir jetzt gerade geschenkt ist, und der schön werden kann! Und das gilt für jeden Tag.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18JAN2024
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Ein Geschöpf Gottes zu sein, das ist ein Geschenk. Gott schenkt mir mein Leben – und auch meinen Körper. Ein positives Körpergefühl zu haben, ist mir deshalb wichtig – auch als Vater von drei Kindern. Ich darf die drei begleiten in ihrer Entwicklung. Jetzt, wo sie allmählich älter werden, ahne ich auch, wie schwierig es sich anfühlen kann, wenn sich der eigene Körper verändert.

Vor kurzem kam die „Zyklus-Show“ in die sechste Klasse unserer Tochter. So heißt ein Workshop für zehn- bis zwölfjährige Mädchen, in dem das weibliche Zyklusgeschehen anschaulich dargestellt wird. Eine Ärztin hat ihn vor gut zwanzig Jahren entwickelt, ein gemeinnütziger Verein führt ihn an Schulen durch. Begleitend wurde zu einem Info-Abend eingeladen – bei dem haben auch wir Eltern einen Einblick in das Programm bekommen.

Zyklus und Periode, Schwangerschaft und Geburt – das ist schon rein biologisch sehr faszinierend. Auch beim Elternabend jetzt habe ich wieder gestaunt, wie komplex die körperlichen Zusammenhänge sind, wie da alles ineinandergreift. Ein Geschöpf Gottes zu sein ist wirklich ein Geschenk und ein Wunder.

Innerlich berührt hat mich an diesem Abend aber noch viel mehr: Die Zyklus-Show arbeitet mit ganz farbenfrohen Materialien – da liegen bunte Tücher auf dem Boden, aufwändig verzierte Schachteln, Süßigkeiten. Die biologischen Fachbegriffe werden mit anschaulichen Bildern, Symbolen oder Geschichten verbunden. Das Körpergeschehen wird sachlich vermittelt – und zugleich auf einer emotionalen Ebene. Und das in einer ganz wertschätzenden, offenen Sprache und Haltung. Das Thema Periode ist ja bis heute oft mit Peinlichkeit verbunden oder mit Tabus besetzt. Ganz anders macht es die Zyklus-Show. Ihre zentrale Botschaft an die Mädchen lautet: „Was in dir vorgeht, ist der reinste Luxus!“ Und: „Du bist eine Gewinnerin! Du persönlich hast bereits gewonnen im wunderbaren Zyklus des Lebens. Du lebst. Und du trägst die Möglichkeit in dir, dieses Geschenk auch weiterzugeben.“

Ich bin überzeugt: Egal ob Mann oder Frau oder divers – wer sich so positiv mit dem eigenen Körper vertraut macht, bekommt einen guten Zugang zu sich selbst – und wird damit kompetent fürs Leben. Und übrigens auch für die Dinge, die da nicht so schön sind.

Das wünsche ich unseren beiden Töchtern. Und genauso unserem Sohn. Und allen anderen Kindern und Jugendlichen auch.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17JAN2024
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Neulich an meinem Arbeitsplatz, mittags in der Kantine: Ich sitze alleine am Tisch und bin in ein gutes Buch vertieft. Da setzt sich eine Kollegin zu mir. Wir grüßen uns freundlich. Und ich bin innerlich hin- und hergerissen. Eigentlich würde ich jetzt gerne weiterlesen und dranbleiben an meiner Lektüre. Sonst habe ich gar nicht so viel Zeit dafür. Aber ist das nicht unhöflich, wenn ich so gar nicht eingehe auf meine Kollegin? Was für einen Eindruck macht das? Soll ich also lieber ein Gespräch beginnen? Erwartet sie das vielleicht auch?

In diese Situation gerate ich immer wieder mal. Auch in der S-Bahn lese ich gerne – und dann kommt jemand, den ich kenne. Oder spricht mich sogar an. Im Wartezimmer beim Arzt ist es mir auch schon passiert. Oft ist es mir dann unangenehm, bei meiner Sache zu bleiben. Da komme ich mir egoistisch vor. Also gehe ich ins Gespräch. Das kann dann auch gut laufen. Aber trotzdem bleibt ein Gefühl von Unzufriedenheit. Weil ich sozusagen nachgegeben habe und nicht getan habe, was ich eigentlich will.

An diesem einen Mittag in der Kantine habe ich es bewusst anders gemacht. Nach unserem Gruß habe ich nochmal freundlich gelächelt – und mich wieder deutlich meinem Buch zugewandt. Zuerst war das irgendwie komisch. Aber dann habe ich aus den Augenwinkeln wahrgenommen, wie die Kollegin ebenfalls ein Buch aus der Tasche gezogen hat, um zu lesen. Ich musste innerlich lachen. Vielleicht hatte sie ja auch keine Lust gehabt, aus Pflichtgefühl ein Gespräch anzufangen. Sicher eine Viertelstunde lang haben wir dann für uns gegessen und gelesen – und waren doch irgendwie in Verbindung dabei.

Ich habe da gemerkt: Es ist wichtig, dass ich meine Bedürfnisse gut wahrnehme – und nicht vorschnell überlege, was der andere wohl so wollen könnte. Auch in Beziehungen kann das wichtig sein, in der Familie oder im Freundeskreis. „Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst“ [Markus 12,31 bzw. Matthäus 22,39; BasisBibel], sagt Jesus mal in der Bibel. Da steckt das auch drin, finde ich. Nur wenn ich auf mich selbst achte, werde ich anderen Menschen gerecht. Manchmal möchte ich eben gern etwas für mich machen und nicht pflichtschuldig für andere da sein. Ich muss mich auch um mich selbst kümmern, darauf achten, was mir im Moment gut tut. Nur so kann ich dann auch ganz für andere da sein, wenn es darauf ankommt.

Wie geht das Ihnen so? Wann wollen Sie ganz beim anderen sein – und wo ist es Ihnen wichtig, auf sich selbst zu achten?

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16JAN2024
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Die Vergangenheit ist vergangen – und die Zukunft noch weit weg. Unmittelbare Bedeutung für mein Leben hat vor allem die Gegenwart. Ganz im Hier und Jetzt sein – das ist wahrscheinlich wichtiger als zu grübeln, was war und was vielleicht irgendwann einmal sein könnte.

In einer biblischen Geschichte wird das in besonderer Weise deutlich. Da ist ein Mann gestorben, schon vier Tage lang ist er tot. Als Jesus in die Stadt kommt, läuft ihm die Schwester des Toten entgegen. In ihrer Trauer macht sie Jesus Vorwürfe: „‚[W]enn du hier gewesen wärst, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.‘“ [Johannes 11,21; BasisBibel] Jesus hätte helfen können – ja. Aber „Hätte, hätte“ … Die Vergangenheit ist vergangen – und was damals nicht war, lässt sich nicht mehr nachholen. Jesus antwortet der Schwester und verweist sie auf ihren jüdischen Glauben: „‚Dein Bruder wird auferstehen!‘“ [Johannes 11,23; BasisBibel] Wie soll die Schwester das verstehen? Sie geht von einer fernen Zukunft aus und erwidert: „‚Ich weiß, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung der Toten am letzten Tag.‘“ [Johannes 11,24; BasisBibel] So hat sie es von klein auf gelernt. Aber das ist noch lange hin – und klingt hier eher wie ein schwacher Trost.

Die Vergangenheit ist vergangen – und die Zukunft noch weit weg. Aber Jesus holt das Geschehen in die Gegenwart – er ist ja jetzt da, bei der Schwester und auch ihrem verstorbenen Bruder. Deshalb sagt er in der Geschichte: „‚Ich bin die Auferstehung und das Leben! Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.‘“ [Johannes 11,25; BasisBibel] Was die Frau von klein auf gelernt hat und worauf sie hofft, das hat tatsächlich unmittelbar Bedeutung, im Hier und Jetzt. Und in der Geschichte kommt der verstorbene Mann dann durch Jesus und mit Gottes Hilfe wundersam ins Leben zurück.

Mich ermutigt das, nicht nur in der Vergangenheit zu graben. Das ist wichtig, um Zusammenhänge zu verstehen. Aber es reicht nicht, um zu leben. Und genauso will ich meinen Blick nicht nur in die Zukunft richten. Es ist gut, immer wieder zu träumen und auf Dinge zu hoffen. Aber mein Leben ist hier und jetzt. Und das, worauf ich hoffe und woran ich glaube, das entscheidet auch, wie es mir jetzt gerade persönlich geht.

Die Vergangenheit ist vergangen – und die Zukunft noch weit weg. Gott finden will ich in der Gegenwart. Überall dort, wo sich mein Leben gerade abspielt. Und dann brauche ich gar nicht so viel, um mich lebendig zu fühlen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15JAN2024
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Haben Sie sich etwas vorgenommen für das neue Jahr? Haben Sie vielleicht gute Vorsätze? Oder – hatten Sie welche, wo inzwischen schon Mitte Januar ist?

Ich tue mich meistens schwer mit Vorsätzen – ob zum Jahreswechsel oder überhaupt. Es gibt schon Dinge, die ich gerne anders hätte in meinem Leben. Und manche liegen auch mit in meiner Hand. Aber wozu bin ich denn bereit? Was kann ich überhaupt selbst bestimmen – und was hängt von den Umständen um mich herum ab? Den Lauf des Lebens an sich kann ich ja nicht beeinflussen. Und Dinge in meinem Leben mal eben äußerlich verändern – das geht nicht so einfach.

Eine Vorstellung hat mir dabei geholfen, ein anschauliches Bild: Vielleicht ist das Leben ja wie ein großer Flusslauf – und ich sitze mittendrin in einem Boot. Ich steuere es ein Stück weit, aber wo mich die nächste Biegung hinträgt, weiß ich trotzdem nicht so genau. Ich kann offen sein für das, was kommt, und möglichst gut vorbereitet. Und dann sehen, was passiert.

Dann bin gar nicht mehr ich es, der mein Leben kontrolliert und verändert, – sondern das Leben ändert sozusagen mich. Es fordert mich heraus, entwickelt mich weiter, lockt mich, schüttelt mich vielleicht durch – und manchmal gibt es mir einen Schubser. Das ist dann etwas anderes als äußerliche Veränderung oder gute Vorsätze, sondern eher Verwandlung von innen her nach und nach.

Der Lauf meines Lebens – eingebettet und getragen wie von einem Fluss. Und ich als Christ bin überzeugt: Eingebettet und getragen von der Kraft Gottes. Gott thront nicht einfach über mir und den Dingen, sondern umgibt, umfließt und trägt mich. In der Bibel wird das an einer Stelle so ausgedrückt: „[K]einem von uns ist […] [Gott] fern. Durch ihn leben wir doch, bewegen wir uns und haben wir unser Dasein.“ [Apostelgeschichte 17,27b.28a; BasisBibel]

So ein Gott ist tatsächlich ganz nah, glaube ich. Und er überlädt mich nicht mit Veränderungs-Forderungen. Sondern lädt mich einfach ein, mit ihm in Bewegung zu sein. Zu leben. In der Bibel heißt es deshalb auch: „[…] [Gott] wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können.“ [Apostelgeschichte 17,27a; BasisBibel]

Mich Gott und dem Fluss des Lebens anvertrauen, wach sein für die Entwicklungen um mich herum und die Verwandlung in mir – diesen Vorsatz habe ich dann doch gefasst für das neue Jahr. Und er gilt auch jetzt Mitte Januar noch.

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Anstöße sonn- und feiertags

14JAN2024
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In diesen ersten Tagen im neuen Jahr kommen mir ganz grundsätzliche Fragen auch zu meinem Leben. Und dazu, wo ich gerade stehe. Manches lasse ich geklärt zurück, manche Lebensfragen habe ich ins neue Jahr mit hinübergenommen. Sie sind kompliziert, vielschichtig – und ich kann sie im Moment nicht lösen. Schon gar nicht, indem ich mir viele Gedanken mache. Dann komme ich im Kopf nur hierhin und dorthin – und aus dem Grübeln nicht mehr raus.

Meistens sind das Fragen, die eng mit mir persönlich zu tun haben. Und damit, wer ich eigentlich bin und was genau ich will. Deshalb finde ich nicht die eine einfache Antwort. Und vielleicht gibt es die ja auch gar nicht.

Der Dichter Rainer Maria Rilke war zu genau diesem Thema mal im Austausch mit einem jungen Kollegen. In einem Brief schreibt er ihm: „Ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten […], Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben“.

Die Lebensfragen selbst liebhaben. Mich spricht das sehr an. Es nimmt mir den Druck, alles sofort lösen, eine eindeutige Antwort finden zu müssen. Wenn ich erst mal nur bei den Fragen bleibe, habe ich viel mehr Zeit und Ruhe. Und vielleicht steckt ja wirklich schon in meinen Fragen ganz viel Wichtiges. Schließlich bin ich selbst es, der auf diese Fragen gestoßen ist. Es sind meine persönlichen Fragen – und die verraten immer auch was über mein eigenes Leben.

Wie das im Leben ganz praktisch aussieht, davon schreibt Rilke in seinem Brief auch. Er gibt seinem Gesprächspartner mit auf den Weg: „Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen.“

Mit anderen Worten: Wenn ich die Antwort auf meine innersten Fragen schon hätte, dann wäre das vielleicht gar nicht hilfreich für mich. Vielleicht würde ich sie nicht hören wollen oder sie wären jetzt noch zu groß und zu schwer für mich. Persönliche Entwicklungen geschehen mitten im Leben und brauchen viel Zeit. Und nicht nur der Kopf ist daran beteiligt, sondern auch das Herz – mit all seinen Gefühlen.

„Leben Sie jetzt die Fragen“, schreibt Rilke. Fragen sind ein lebendiger Teil des Lebens, nicht nur ein Störfaktor, den man mit einer schnellen Antwort rasch loswerden sollte. Und dann schreibt Rilke noch: „Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein.“

Brief an Franz Xaver Kappus vom 16. Juli 1903, siehe https://www.rilke.de/briefe/160703.htm

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14OKT2023
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„Du bist für mich gestorben!“ Ein heftiger Satz. Aber manchmal sagen Menschen das – zu einem Freund oder Familienmitglied zum Beispiel. Vielleicht war ihnen die andere Person früher einmal sehr nah, vielleicht war es auch immer schon irgendwie schwierig. Jedenfalls ist jetzt nochmal was Schlimmes passiert – so dass man einen deutlichen Schlussstrich zieht. „Du bist für mich gestorben!“ Geht es danach noch weiter?

In der Bibel gibt es eine Geschichte [vgl. Lukas 15,11-32], in der am Anfang genau das passiert: Da fordert ein junger Mann seinen Vater auf, ihm das zukünftige Erbe schon vorzeitig zu überlassen. Als ob der Vater schon jetzt gestorben wäre. Der Sohn macht das Erbe komplett zu Geld, bricht alle Zelte ab und verlässt sein Zuhause.

Eine Erzählung mitten aus dem Leben. Und sie könnte damit auch schon wieder zu Ende sein. Aber es geht dramatisch weiter: Der Sohn kann sein Leben in Freiheit nur eine kurze Zeitlang genießen. Das viele Geld ist bald weg, und er landet auf der Straße. Der Sohn ist „tot“, heißt es später dazu. Er hat seinen Vater für tot erklärt, sich dabei aber auch selbst vom Leben abgeschnitten.

Wenn Beziehungen enden, betrifft das ja alle Beteiligten. Und alle sind davon herausgefordert, tragen ihre Verletzungen mit sich herum. Ein anderer Mensch lässt sich nicht einfach mal so eben für tot und weg erklären. So wie auch wirklich Verstorbene nicht sofort aus der Welt sind, sondern noch weiter Bedeutung haben und die anderen prägen.

Die biblische Geschichte vom für tot erklärten Vater und vom gestorbenen Sohn hat Jesus erzählt. Und er wollte damit sagen: Mit Gottes Hilfe können Menschen neu anfangen. Wer vom Leben abgeschnitten ist, kann neue Kraft bekommen. Egal, was in der Vergangenheit vorgefallen ist.

In der Geschichte findet sogar die beendete Beziehung zwischen Sohn und Vater eine Fortsetzung. Die beiden versöhnen sich miteinander, teilen wieder Leben. Der Sohn „war tot und ist wieder lebendig“ [Lukas 15,32], heißt es zum Schluss.

Mir persönlich macht das Mut. Ich merke: Bei Gott haben auch meine Verletzungen Platz, ich muss sie nicht kleinreden. Und gerade auf diese Weise können sie heil werden, so dass es gut weitergeht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13OKT2023
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Freitag, der dreizehnte. Wie ist es an diesem Datum um Ihren guten Morgen bestellt? Soll ich Ihnen den überhaupt wünschen heute? Ist es da vielleicht gar nicht sinnvoll? Oder gerade besonders nötig?

Freitag, der dreizehnte – für manche Menschen ist heute ein Unglückstag. Sie sind deshalb besonders vorsichtig unterwegs – oder gehen gar nicht erst aus dem Haus. In vielen Hotels gibt es kein Zimmer Nummer 13, und manche Fluglinien verzichten auf die entsprechende Sitzreihe.

Begründet wird das oft mit Zusammenhängen aus dem Christentum. Bevor Jesus verraten und am Kreuz umgebracht wurde, hat er mit seinen zwölf Jüngern zusammengesessen. Insgesamt waren da also 13 Menschen am Tisch, unter ihnen auch Judas, der Verräter, – also einer zu viel. Und das alles ist am Kar-Freitag passiert. Passend dazu wurden angeblich die ersten Menschen an einem Freitag aus dem Paradies vertrieben …

Ganz ehrlich? Mich ärgern solche Herleitungen. Dass die biblischen Berichte für solche schrägen Begründungen herhalten müssen. Und dass Menschen auf diese Weise Angst gemacht wird. Mir sind nämlich ganz andere Dinge wichtig an meinem Glauben. Er macht mir Mut, befreit mich von beengenden Vorstellungen.

Zum Beispiel, wenn ganz am Anfang der Bibel erzählt wird, wie die Welt erschaffen wird. Zur Zeit, als dieser alte Schöpfungsbericht entstanden ist, wurden die Gestirne oft als Gottheiten angebetet, die über das menschliche Schicksal bestimmen. Aber in der Bibel hängt Gott Sonne, Mond und Sterne einfach wie Lichter an den Himmel [vgl. 1. Mose 1,14-18]. Wie um zu zeigen, dass auch sie in Gottes Hand sind, so wie wir Menschen. Und dass es nichts gibt, was außerhalb seiner Macht steht. Dann ist auch nicht entscheidend, welcher Tag genau ist.

Als Jesus später über das Ende der Welt spricht und das, was drumherum passieren wird, macht er deutlich: „Ihr kennt weder den Tag noch die Stunde“ [Matthäus 25,13; BasisBibel]. Auch das höre ich als Entlastung. Es ist nicht unsere Aufgabe, auf bestimmte Tage zu warten. Und kein noch so markantes Datum führt den Weltuntergang herbei.

Übrigens: Statistisch gesehen passieren am Freitag, dem dreizehnten, nicht mehr Unfälle als sonst. Und bei Versicherungen gehen genauso viele Schadensmeldungen ein wie an anderen Tagen. Auch das zeigt mir: Was mir und anderen Menschen heute passiert, hängt nicht am Datum, Gott sei Dank.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12OKT2023
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Auf Facebook entdecke ich den Post einer ehemaligen Schülerin: „Mutter zu sein ist das Schönste auf der Welt!“ Diese Aussage berührt mich. Denn dass ausgerechnet diese junge Frau das einmal schreiben würde, hätte ich nie gedacht. Von ihr war mir ein ganz anderer Satz in Erinnerung geblieben. Den hatte sie in einer Religionsstunde rausgehauen, in der achten Klasse: „Ich habe Angst, dass ich auch mal meine Kinder schlage!“

In der Austauschrunde zu Beginn war das. Da dürfen alle sagen, wie es ihnen geht. Die meisten haben an diesem Morgen von ganz normalen Alltagssachen erzählt. Aber aus dieser Schülerin ist es richtig herausgebrochen: „Ich habe Angst, dass ich auch mal meine Kinder schlage!“

Der Satz war ein Hilferuf. Im Blick auf sich selbst – und auch die Zukunft. Dieses Mädchen muss gespürt haben: Was meine Eltern mir antun, das prägt mich ganz tief. Das bohrt sich ein in mein Fühlen, Denken, Handeln. So dass ich möglicherweise eines Tages vom Opfer selbst zur Täterin werde. In der Familientherapie ist das längst bekannt, viele Statistiken erzählen davon, dass Menschen in ihren Strukturen gefangen sind und manchmal selbst nicht anders handeln können. Und vielleicht findet sich diese dunkle Wahrheit sogar schon in der Bibel. Da heißt es mal: Gott „sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied“ [2. Mose 34,7b; BasisBibel].

Wenn Menschen Unrecht an andere weitergeben – ist daran auch Gott beteiligt? Diese Behauptung finde ich erst mal beklemmend. Und auch gefährlich. Menschen bleiben doch verantwortlich für das, was sie tun!

Aber wir haben eben nicht alles im Griff. Und dann hilft mir der Gedanke, dass auch das größte Unrecht nicht einfach so passiert. Sondern sich zumindest ein Stückweit einordnen lässt.

Außerdem erzählt dieser Bibelvers zuerst noch etwas anderes. Nämlich, dass „Gott Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde“ [2. Mose 34,7a; BasisBibel]. Dieser Einstieg ist für mich das Entscheidende. Und ich verstehe das so, dass Menschen ausbrechen können aus ihren Verstrickungen. Gott sei Dank gibt es da viele Möglichkeiten, nicht zuletzt therapeutischer Art.

Auch die Achtklässlerin hat damals Hilfe bekommen. Es gab Fachleute an der Schule, die über Jahre mit ihr gearbeitet und sie begleitet haben. Und sie konnte dann bald ausziehen zu Hause, ist in ein neues Umfeld gekommen. Ich bin sicher, dass sie heute eine liebevolle Mutter ist.

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