Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23MAI2024
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Unsere jüngste Tochter hat sich zu einer leidenschaftlichen Sammlerin entwickelt. Egal, wo wir gerade unterwegs sind, – irgendwas findet sie immer: Einen Holzstab vom letzten Silvesterfeuerwerk, die Metallöse eines Kleiderhakens, Dachziegel-Bruchstücke – nichts entgeht ihrem aufmerksamen Blick. Manchmal fragt sie uns noch: „Kann ich das mitnehmen?“ Aber meistens wandern die Sachen gleich in ihre Jackentasche und zu uns nach Hause.

Für uns Eltern sind diese Fundstücke in der Regel nur Müll. Dinge, die man nicht mehr braucht, die andere weggeworfen haben. Manchmal sagen wir das auch genervt: „Was willst du denn damit wieder?“ Aber dann hören wir, was unsere Tochter schon damit plant, – und bekommen mit, was sie dann tatsächlich daraus macht: Persönliche Taschen, Spielfiguren, neulich sogar eine ganze Wichtelstadt. Ihr ganzes Zimmer ist voll von solchen Basteleien, regelmäßig auch Wohnzimmer und Esstisch. Und ich denke mir: Etwas einfach nur als Müll zu bezeichnen, ist halt erst mal meine Erwachsenen-Sicht. Und vielleicht bin ich manchmal zu schnell mit dieser Bewertung. Das vermeintlich Wertlose kann doch Bedeutung haben.

„Was für die Welt keine Bedeutung hat und von ihr verachtet wird, das hat Gott ausgewählt“, heißt es mal in der Bibel [1. Korinther 1,28a; BasisBibel]. Da geht es darum, dass Christen an Jesus glauben, der gekreuzigt wurde – also aus der Gesellschaft aussortiert und hingerichtet. Ausgerechnet in diesem einen allerschwächsten Menschen soll sich Gott zeigen. Und das stellt natürlich alles komplett auf den Kopf. Die gesamte Sicht auf die Welt ist dann plötzlich eine andere. Denn dann kann ja alles von Bedeutung sein, was nach normalen menschlichen Maßstäben eigentlich nichts wert ist. Ja, noch mehr: Gerade das kleine, mickrige ist unter Umständen ganz viel wert.

Indem unsere Tochter Dingen einen Platz gibt, die wir schon aussortiert haben, führt sie uns also eine tiefere Wahrheit vor Augen, ändert unseren Blick auf die Dinge. Klar – manchmal setzen wir der Sammelleidenschaft unserer selbstbewussten Sechsjährigen auch Grenzen. Das neulich im Badezimmer ausgetauschte alte Waschbecken durfte sie nicht behalten. Aber trotzdem: Meine erwachsen-eingefahrene Weltsicht, die will ich mir auch in Zukunft von ihr hinterfragen lassen. Und offen sein dafür, was alles von Wert sein kann.

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