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SWR2 Wort zum Tag

02NOV2022
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„Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön!“ Mit wem rede ich da eigentlich, wenn ich dieses schöne Lied singe? Ja - Was ist eigentlich die Seele? An dieser Frage haben sich Theologen und Philosophen seit Jahrtausenden abgearbeitet. Ist die Seele irgendein unzerstörbarer Teil im Menschen? Gibt es überhaupt eine wirkliche Trennung von Seele und Leib? Ist die Seele sterblich wie der Leib oder lebt sie weiter und ist so gefährdet, dass die Lebenden für die Seele der Toten Sorge tragen müssen? Ziemlich viele Fragen an einem Mittwochmorgen, die kaum in wenigen Minuten zu klären sind. Doch da dieser Tag im katholischen Festkalender „Allerseelen“ heißt lohnt sich ein Blick auf unsere Seele. In der Bibel finden sich vielfältige Aussagen zu dem, was die Seele ist. Gemeinsam ist allen, dass es keine Trennung zwischen Leib und Seele gibt. Was modernen Psychosomatikern inzwischen völlig selbstverständlich ist, das wussten die biblischen Autoren schon lange sehr genau: Was den menschlichen Körper betrifft, betrifft auch seine Seele und umgekehrt. Der Mensch ist Leib und Seele, insofern hat der Mensch strenggenommen keine Seele, er ist Seele. Diese Seele kann lieben und durstig sein, verschmachten und hoffen, verzweifelt sein und außer sich vor Freude. Wie eng Leib und Seele miteinander verbunden sind, können wir erleben, wenn wir kleine Kinder beobachten. Sie sind ganz bei der Sache. Wenn sie traurig sind, dann bebt der ganze kleine Mensch und weint, und wenn sie fröhlich sind, dann jauchzt es aus ihnen mit einer Intensität, die einfach ansteckend ist. So lehren uns Kinder auch eine wichtige Dimension von Seele: Sie ist auf Beziehung aus. Wir Menschen sind Beziehungswesen, und unsere Seelen brauchen andere Seelen, um leben zu können. Aus christlicher Perspektive sehnt sich die Seele auch nach Gott, so wie sich Gott nach dem Menschen sehnt, dem er erst seinen Lebensatem eingehaucht hat. Christen vertrauen dann darauf, dass Leib und Seele auch nach dem Tod in Gottes Hand geborgen sind. Die Rede von der leiblichen Auferstehung in der Theologie verweist dabei darauf, dass auch nach dem Tod die Verbindung von Leib und Seele nicht aufgespalten wird. Ein komplizierter theologischer Gedanke, ich persönlich überlasse es gerne Gott, wie er nach meinem Tod die Angelegenheit mit meiner Seele regeln wird.

Bis dahin möchte ich mit meinem Leib und meiner Seele aber gut umgehen. Leider kann ich nicht mehr so unbefangen jubeln wie ein ganz kleiner Mensch, aber doch in Bewegung kommen, beim Tanzen, beim Beten, beim Lieben und Danken, ja, und auch in der Trauer um Menschen, zu denen ich in Beziehung war und die gestorben sind. Und vor allem: In der Musik, beim Singen, da spüre ich sie und rede ihr gut zu: Du, meine Seele singe, wohlauf und singe schön!

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SWR2 Wort zum Tag

31OKT2022
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Viele wichtige Impulse sind von der Reformation ausgegangen. Heute, am Reformationstag 2022, möchte ich über die Freiheit nachdenken. Denn von allem, was Martin Luther angestoßen hat, scheint mir die Freiheit heute am meisten gefährdet zu sein.

Das Wort Freiheit erinnert an den Freihals, den Hals des Menschen, dem kein Sklavenjoch aufgelegt ist und der seinen Kopf frei erheben und in alle Richtungen bewegen kann. Martin Luther war die bewegliche Freiheit des Denkens sogar wichtiger als sein Leben. Für das, was er als richtig erkannt hatte, riskierte er die Konfrontation mit Papst und Kaiser, den wichtigsten Machtzentren seiner Zeit. Es grenzt an ein Wunder, dass er das überlebt hat. Es gab dann doch Menschen, denen die Freiheit der Gedanken am Herzen lag und die ihn geschützt haben. Selbstverständlich ist das nicht.

Ein Bonmot sagt: Der Mensch zieht ein sicheres Gefängnis einer gefährlichen Freiheit vor. Leider wahr! Für mich unverständlich gibt es Menschen, die ihre persönliche Bequemlichkeit wichtiger finden als politische Freiheit. Die sich nach der DDR zurücksehnen, weil da angeblich alles für sie geregelt wurde. Oder die Freiheit mit Egoismus verwechseln und die Freiheit zu unbegrenzter Ressourcenverschwendung rücksichtslos für sich beanspruchen, Stichwort: Ich first. Was schert mich die nächste Generation! Dabei lässt sich, so paradox das klingt, wahre Freiheit nur durch teilweisen Verzicht auf persönliche Freiheiten erreichen. Wenn ich nicht in der Lage bin, auch einmal die Komfortzone zu verlassen, wenn ich Sklavin meiner persönlichen Bedürfnisse bin, dann bin ich ja gerade nicht frei. Freiheit bedeutet nicht, das zu tun, worauf man gerade Lust hat, sondern einzutreten für eine Welt, die potentiell für alle Menschen lebenswert ist. Aus dieser Motivation heraus kämpfen Menschen unter Einsatz ihrer persönlichen Freiheit oder gar ihres Lebens für Pressefreiheit und Menschenrechte.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir in einem Land leben, in dem Menschen nicht fürchten müssen, im Gefängnis zu landen, nur weil sie offen ihre Meinung sagen. Wenn ich mich in der Welt umschaue, ist das ein großes Privileg, das mir viel wert ist! Ich möchte nicht in China leben müssen, nicht in Nordkorea oder in Russland. Und ich bewundere alle, die in diesen Ländern den ganz persönlichen Einsatz für die Freiheit wagen.

Es ist nicht selbstverständlich, in einem freien Land zu leben. Ich glaube, wir müssen gemeinsam überlegen, was uns die Freiheit wert ist, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens, seien es Christen, Muslime, Atheisten, Buddhisten. Nicht jeder ist so mutig wie Martin Luther, ich ganz bestimmt nicht. Aber das Schöne ist: Wir sind nicht alleine, wir Liebhaberinnen und Liebhaber der Freiheit. Das stärkt, das macht Mut.

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SWR2 Wort zum Tag

27AUG2022
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Was ist gerade in meinem Leben dran? Manchmal ist das gar nicht leicht zu erkennen. „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“ heißt es in der Bibel im Buch des Predigers. Direkt im Anschluss wird dann die ganze Fülle des Lebens entfaltet: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit, weinen und lachen, klagen und tanzen, suchen und finden, schweigen und reden. Doch: Wann ist denn nun die Zeit, um zu suchen, und wann ist Finden angesagt? Ich glaube, dass es tatsächlich wichtig ist, dem richtigen „Timing“ im Leben auf die Spur zu kommen. Es gibt ja dieses gute Gefühl, das sich dann einstellt, wenn man den richtigen Zeitpunkt erkannt hat. Dann stimmt es, dann fließt die Energie. Und umgekehrt: Dass man sich abmüht und es will einfach nicht funktionieren. „Man mühe sich ab wie man will, so hat man keinen Gewinn davon“ heißt es wenige Verse weiter im biblischen Buch. Wenn es im Leben nicht richtig voran geht liegt das manchmal wirklich daran, dass es mit dem richtigen Timing nicht geklappt hat.

Meiner Erfahrung nach hilft es dann wenig, sich zu verbeißen und – wie es so schön in der deutschen Sprache heißt – auf Teufel komm raus weiterzumachen. Dann kommt nämlich meistens nichts Himmlisches heraus. Statt zu klagen könnte Tanzen eine gute Möglichkeit sein! Warum nicht eine Unterbrechung am Schreibtisch einlegen und es halten wie meine kleine Enkelin? Die tanzt ganz unbefangen zu jeder Musik, die im Radio erklingt und wiegt ihren kleinen Körper schwungvoll im Takt. Bei mir sieht das zwar nicht so elegant aus, aber es sieht ja keiner zu, wenn ich zu „I can´t get no satisfaction“ durch die Wohnung steppe. Und überhaupt: Bei Mick Jagger finden es alle toll, dass der mit knapp 80 Jahren noch über die Bühne rockt, dann kann ich das auch! Nach so einer musikalischen Unterbrechung spüre ich, was gerade geht und was ich besser lassen sollte.

Manchmal braucht es dann aber eine längere Unterbrechung, damit ich herausfinde, was gerade für mich an der Zeit ist. Dann reicht ein Song der Rolling Stones nicht aus. Dann ist nicht Tanzen, sondern Schweigen angesagt. Jedes Jahr zum Sommerausklang ziehe ich mich daher für zehn Tage in Schweigeexerzitien zurück. Und ich bin manchmal ziemlich überrascht, wie sich in der schweigenden Zeit die Dinge sortieren, so dass ich schließlich das Gefühl habe: Gerade so stimmt es, so ist es richtig. „Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit“ heißt es im Buch des Predigers. Das ist dann auch meine Empfindung. Wenn ich weiß, in welche stimmige Richtung es gehen sollte, kann ich meine Arbeit mit Schwung angehen. Oder, wie es neudeutsch heißt: das Leben rocken.

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SWR2 Wort zum Tag

26AUG2022
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„Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß“ – jetzt ist eine gute Zeit, das wunderschöne Gedicht von Rilke zu meditieren. In seinen Zeilen schwingt durchaus Wehmut mit, die Erinnerung an heiße Sommertage, an laue Abende, an alles, was einen Sommer groß gemacht hat. Zugleich erscheint es dem Dichter jedoch auch stimmig, dass der Sommer zu Ende geht, die Zeit erfüllt ist. Der Blick kann sich nach vorne richten, auf den Herbst. Selbst Gott hat nach Ansicht Rilkes nur noch Weniges zu tun: „Befiehl den letzten Früchten voll zu sein, gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein“. Dann wird der Sommer endgültig vorbei sein. An Rilkes Gedicht gefällt mir, dass der Übergang der Jahreszeiten so bewusst wahrgenommen und beschrieben wird. In der Tat scheint es mir, als ob in den letzten Sommertagen die Luft am Morgen schon ein wenig nach Herbst schmeckt, nach reifen Pfirsichen und Trauben. An diesen letzten Tagen im August möchte ich daran denken, was gerade in meinem Leben seine Sommerzeit vollendet und sich auf den Herbst vorbereitet. Vielleicht bin ich ein wenig traurig darüber, dass diese Tage nun vorbei gehen oder sogar schon vergangen sind. Zugleich kann ich spüren, dass etwas seine Zeit hatte und es nun gut ist. Ich kann eine Lebensphase ausklingen lassen und die Früchte meiner Arbeit genießen. Mag sein, dieser Herbst wird mir nachdenkliche Stunden bereiten, in denen ich wache, lese und lange Briefe schreibe, spazieren gehe und die Blätter um mich treiben lasse.

Rilkes Gedicht ist ein Gebet: „Herr, es ist Zeit! Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los.“ Der Dichter legt die Jahreszeiten seines Lebens in die Hand Gottes. Und ich spüre, dass mir diese Haltung auch gut tut: Sommer, Herbst, Winter und Frühling meines Lebens aus Gottes Hand zu nehmen und ihm auch wieder zurück zu geben. Doch auch, wer keinen Gottesbezug in den Jahreszeiten seines Lebens wahrnehmen kann oder will, kann spüren: Es kann im Leben nicht immer Sommer sein, es ist sinnvoll, dass das Leben so abwechslungsreich ist wie die Jahreszeiten. Ein ständiger Sommer wäre unsäglich langweilig. Ich bin jedenfalls neugierig darauf, was nun kommen mag, bin gespannt auf das, was Gott mit mir vorhat. Und bete, mit Rilkes Worten: „HERR, es ist Zeit.“

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SWR2 Wort zum Tag

25AUG2022
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Diese letzten Tage im August lassen schon ein wenig das Ende des Sommers erahnen. Die Blätter der Bäume sind nicht mehr frisch und jung wie im Frühling, ein feiner Staub hat sich auf sie gelegt, den auch ein gelegentlicher Schauer nicht mehr abwischen kann. Die Adern der Blätter treten stärker hervor. Mir scheint, selbst der Wald ist ein wenig müde geworden. Es wird noch warme Tage geben, doch der Herbst steht schon vor der Tür. Der Altweibersommer ist nicht mehr fern.

Wie war mein Sommer? Habe ich mir Zeit genommen, die warmen Sonnenstrahlen auszukosten? Konnte ich an manchen Tagen einfach nur da sein, in die Sonne blinzeln, die Gedanken schweifen, mir Haut und Seele wärmen lassen? Träge kann ein Sommertag sein, schläfrig und genießerisch, auch ein wenig faul. Wenn es heiß ist, fällt es schwer zu arbeiten, jede Bewegung ist schweißtreibend und mühsam. Meine Kräfte, das zeigt mir ein heißer Sommertag sehr deutlich, sind beschränkt. Dafür sind die Tage lang und der Sommer gönnt laue Abende mit herrlichen Sonnenuntergängen. Es ist wunderschön, am Rhein zu sitzen und zuzuschauen, wie die Sonne über meiner Stadt Mainz untergeht und ihre Strahlen die Fenster im Domturm zum Glühen bringen, so als ob Gott selbst ein Licht anzünden und schließlich wieder löschen würde. Gott, „Dein Abendrot führt mich in Weiten, ich ahne meine Zeit“, heißt es in einem Gebet. Meine Zeit, das zeigt mir der vergehende Sommer, ist eine kostbare, begrenzte Zeit.


Mir scheint, den Sinn meines Lebens werde ich nicht im Spiegel finden, auch nicht im Spiegel, den mir andere Menschen vorhalten. Ich meine, der Sinn des Lebens erschließt sich in der Dankbarkeit für das Leben. Es ist so wenig selbstverständlich, leben zu dürfen. Glücklich der Mensch, der dafür dankbar sein kann. Ich persönlich entdecke für meine Dankbarkeit auch ein Gegenüber. Meine schönen und meine verregneten Sommer, meine faulen und meine schaffensfrohen Tage - ich nehme sie aus der Hand meines Gottes entgegen, dessen Abendrot mich meine Zeit erahnen lässt. Doch Gott schenkt mir nicht nur meine Sommertage, er schenkt mir auch Gelassenheit meinen verregneten Tagen gegenüber, Geduld mit den Menschen, die mit mir die Jahreszeiten meines Lebens teilen, und zuletzt, als größtes Geschenk, die Freude darüber, dass ich lebe, dass ich all diese wunderschönen, heißen und kalten Sommertage auskosten und genießen darf.

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SWR2 Wort zum Tag

10AUG2022
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Meine Großeltern mütterlicherseits waren Bauern. Der Sommer war für sie keine Ferien-, sondern eine Arbeitszeit, in der sie von früh bis spät gefordert waren. Eigentlich kein Wunder, dass die Kinder der Familie meistens nicht vor Mai auf die Welt gekommen sind. Erst wenn die Felder abgeerntet und nur noch die späten Pflaumen und die Äpfel aufs Pflücken gewartet haben, blieb auch wieder Zeit für Muße und Liebe.

Meine Großeltern haben allerdings bei aller Mühe im Stall und auf dem Feld für kleine Auszeiten im Tageslauf gesorgt. Ich kann mich gut daran erinnern, denn als Kind habe ich immer wieder Teile meiner Ferien auf ihrem Bauernhof verbracht und dabei natürlich auch selbst mit angepackt. Abends saßen alle zusammen und haben gemeinsam gesungen. Meine Großeltern kannten die schönen alten Volkslieder auswendig, und ich habe sie im Hören und Mitsingen gelernt. Klar, wir haben auch mal vor dem Fernseher gesessen und Wim Thoelke und Rudi Carell geschaut. Aber das gemeinsame Singen blieb ein fester Bestandteil des Feierabends.

Ich glaube, meine Großeltern wussten sehr genau, dass es auch im stressigsten Arbeitstag wenigsten kleine Oasen geben muss. Moderne Resilienzforscher würden ihnen da sicherlich zustimmen. Die Lieder am Abendbrottisch haben nämlich auch dazu beigetragen, dass sich die Menschen auf dem Hof ihre Arbeitskraft und auch ihre Lebensfreude gut bewahren konnten. Sie haben ein Gemeinschaftsgefühl gestiftet, außerdem konnten dabei die unterschiedlichsten Stimmen gemeinsam erklingen.

Mir scheint, diese kleinen klangvollen Auszeiten sind insgesamt ein Segen für die Arbeit auf dem Hof gewesen. Und sie haben nicht nur für gute Stimmung gesorgt, sondern konnten darüber hinaus den ganzen Leib ins Schwingen und Klingen bringen.

Im letzten Monat war ich für ein paar Tage in Paris. Beim abendlichen Spaziergang durch die sommerlich warme Stadt sind wir auf ein paar Leute getroffen, die auf einem kleinen Platz einen Tanzparcours abgesteckt hatten. Aus einem Lautsprecher klang Tangomusik, und etwa ein Dutzend Paare haben miteinander getanzt. Wir haben uns zu den Leuten gesellt, ab und zu hat sich ein Paar aus der Menge gelöst und mitgetanzt. Alt und Jung sind unterwegs gewesen, Kinder haben zugeschaut, wie sich ihre Eltern im Rhythmus der Musik bewegt haben. Wir hatten das Gefühl, dass sich die Menschen regelmäßig zu diesem abendlichen Tanzvergnügen zusammenfinden. Ein Genuss zum Feierabend. Was für eine wundervolle Idee! Ich habe mich an die Abende auf dem Bauernhof erinnert.

Was auch immer einen Arbeitstag unterbricht und ausklingen lässt, am besten gemeinsam, sehr gerne musikalisch: es ist ein Segen.

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SWR2 Wort zum Tag

09AUG2022
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Ich mag höfliche Menschen. Ich freue mich darüber, wenn mir die Tür aufgehalten wird und mir der Verkäufer an der Kasse einen guten Morgen wünscht. Ich käme mir komisch vor, wenn ich in der Straßenbahn nicht aufstehen würde, wenn eine alte Dame oder ein gebrechlicher Herr einsteigt, und ich schätze es, wenn mir pünktliche Menschen die Höflichkeit der Könige erweisen. Es ist mir auch wichtig gewesen, das an meinen Sohn weiterzugeben. Es geht mir dabei um mehr als um ein überkommenes Tanzstundenwissen oder darum, wie „man“ sich eben zu benehmen hat. Ich finde, dass Höflichkeit den Mitmenschen einen angemessenen Respekt erweist. Höflichkeit achtet die Würde der Menschen. Das hat durchaus etwas mit meiner Gottesbeziehung zu tun. Ich bin der Ansicht, dass mir in jedem Menschen ein Wesen begegnet, das Gott nach seinem Bild geschaffen hat - auch wenn ich manchmal nicht genau weiß, was Gott sich bei den ein oder anderen Exemplaren gedacht haben mag. Doch Menschenwürde ist unabhängig davon, ob ich einen Menschen mag oder nicht. Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht nur, weil das so in unserem Grundgesetz steht. Für Christen hat jeder Mensch als Ebenbild Gottes eine göttlich zugesprochene Würde. Und wer Würde hat, verdient Respekt und Höflichkeit.

Die genauen Regeln der Höflichkeit unterliegen dem Wandel der Zeit. Zu Luthers Zeiten hat es zum guten Ton gehört, nach dem Essen als Zeichen des Wohlbefindens zu rülpsen, heute kommt das weniger gut an. Auch Knicksen oder ein Diener sind aus der Mode gekommen, es sei denn, man ist bei Queen Elisabeth zum Tee geladen. Welche konkreten Vereinbarungen Menschen auch immer treffen mögen, um sich Respekt zu erweisen - entscheidend ist weniger die einzelne Verhaltensregel als die grundsätzliche Haltung, die sich darin zeigt. Wahre Höflichkeit ist deshalb unabhängig von der sozialen Stellung eines Menschen. Mag die Arbeitsleistung oder der Rang in der Gesellschaft sehr unterschiedlich sein - der Hilfsarbeiter hat die gleiche Würde wie der Bundespräsident, sie sind beide Geschöpfe eines Gottes. Wer dem einen Höflichkeit entgegenbringt und sie dem anderen verweigert, hat nicht begriffen, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Außerdem verpasst er oder sie die Resonanz, die Höflichkeit häufig mit sich bringt: Das freundliche und dankbare Lächeln eines Menschen! 

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SWR2 Wort zum Tag

08AUG2022
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Gerade sind Ferien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Sonst höre ich immer die Stimmen der Kleinen vom nahen Schulhof, jetzt ist nichts los. Die Kinder haben frei. Ich frage mich allerdings, wie viele Schüler in diesen Ferien wirklich freie, unverplante Zeit genießen können. Einige Eltern, die es sich leisten können, schicken ihr Kind auf einen Sprachkurs, um die Englisch-Note zu verbessern, andere Kinder müssen büffeln, um im nächsten Schuljahr den Anschluss nicht zu verpassen. Und selbst wenn die Ferien nicht mit Lernstoff gefüllt sind: Hat irgendein Kind nach dem Stress in der Schulzeit überhaupt noch Lust, im Sommer freiwillig ein Buch in die Hand zu nehmen, einfach so, ohne dass damit eine Note verbessert oder ein Lernziel angestrebt würde?

Ein befreundeter Lehrer hat mir erklärt: heute ist die Oberstufe so anspruchsvoll, dass tatsächlich nach der Schule keine freie Energie bleibt für Lektüre, die nicht für den Stundenplan ausgewertet werden kann. Ganz offensichtlich: Die Schulzeit wird immer mehr von einer ökonomischen Logik geprägt. Das angestrebte Leistungsziel wird durch ununterbrochene Arbeit meiner Ansicht nach aber gerade verfehlt. Ein Blick in die Geschichte zeigt nämlich, dass viele weiterführende Ideen in kreativen Pausen entstanden sind.

Der Chemiker August Kekulé hat träumend den Benzolring entdeckt, der große Dichter Eduard Mörike ist immer wieder dem strengen Reglement im Stift Urach entflohen und hat in seinem geheimen Refugium die ersten Gedichte geschrieben. Gerade Unterbrechungen ermöglichen also Kreativität. Und große Entdeckungen sind dann möglich geworden, wenn Menschen ihre Gedanken einfach fließen lassen konnten.

Ich möchte daher meine Stimme für die unverplante, freie Mußezeit erheben. Wenn selbst Gott sich nach der Anstrengung des Schöpfungswerkes eine Auszeit gegönnt und am 7. Tag einfach gar nichts unternommen hat, dann sollte sich auch der Mensch solche Phasen zugestehen. Überhaupt: was soll aus jungen Menschen werden, die vor lauter Arbeit keine Energie mehr für Spiel und Spaß im Sommer haben? Einmal ganz abgesehen davon, dass uns Gott sicher nicht deshalb geschaffen hat, damit wir Dauerleistungen vollbringen.  Ich gönne allen Schülerinnen und Schülern solche Ferien, mit viel freier Zeit, ganz für sie und so, wie es ihnen gefällt. Und ich finde, das gilt auch für die Erwachsenen.

Ich glaube, alle Menschen brauchen die Unterbrechung ihres Alltags, sie brauchen Ferien, Urlaub, das süße Nichtstun. Wir brauchen Oasen, in denen wir nicht funktionieren und nicht arbeiten, sondern einfach nur da sein dürfen.

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SWR2 Wort zum Tag

29JUN2022
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Heute ist Neumond und der Junimond hat sich verabschiedet. Bye bye Junimond. Nach einem grandiosen Supermond am 14. Juni, der besonders hell und groß gestrahlt hat, bleibt der Himmel heute ohne Mond. Jedenfalls ist er nicht zu sehen. Bye bye Junimond. So heißt übrigens auch eines der bekanntesten Lieder von Rio Reiser, mehrfach gecovert von Künstlern wie den Prinzen oder Herbert Grönermeyer.

Bye bye Junimond ist wohl auch deshalb so oft kopiert worden, weil es eine merkwürdig innige Verbindung von Liebeskummer und Mondnächten gibt, die viele Menschen kennen und die förmlich danach schreit, künstlerisch verarbeitet zu werden. Mir fällt da etwa die Mondscheinsonate ein – auch wenn Beethoven diesen Titel nicht selbst gewählt hat. Unglücklich Verliebte kennen das Gefühl, eben noch im strahlenden Mondlicht zu baden, um kurz darauf in der Dunkelheit zu sitzen und den eigenen Schmerz in die mondlose Nacht heulen zu wollen. Bye bye Junimond.

Im Lied erzählt der Verlassene allerdings, dass er den Liebeskummer überwunden hat. Er sitzt auf seiner Wolke und schaut auf seine Exfreundin herab. Jetzt tut der Schmerz nicht mehr weh, heißt es im Lied. Ich hab' getrunken, geraucht und gebetet. Hab′ dich flussauf- und flussabwärts gesucht. Doch jetzt tut's nicht mehr weh.

Ich finde es spannend, mit welchen Strategien der Liebeskranke mit seinem Kummer umgeht. Denn neben Trinken und Rauchen hat er: gebetet! Mit Sicherheit ist es die gesündere Alternative, aber neben diesem Aspekt ist es doch interessant, dass er – ganz selbstverständlich – Gott mit dem eigenen Liebeskummer behelligt. Der Schöpfer der Welt wird mit den persönlichen Herzensangelegenheiten beschäftigt. Das ist ganz biblisch, denn in der Bibel erzählt Jesus von einem Menschen, der mitten in der Nacht seinen Freund mit einem dringenden Anliegen bedrängt, ja ihm regelrecht lästig wird, bis der Freund endlich nachgibt. Gerade so sollt ihr beten, mit dieser Intensität und diesem Vertrauen. Meint Jesus. Und warum nicht auch darum beten, dass der geliebte Mensch sein Herz wieder öffnet. Oder eben der Liebeskummer nachlässt. Beides ist möglich.

Bye bye Junimond. Mag sein, aufgeklärten Theologen kommt das naiv vor. Doch zumindest Jesus hat nichts gegen naive Gebete gehabt. Gott so vertrauensvoll angehen wie einen guten Freund, den man sogar mitten in der Nacht behelligen darf, wenn es darauf ankommt. Ich bin mir sicher, dass solche Gebete eine große Kraft haben bei der Bewältigung der großen und kleinen Krisen des Lebens. Und auch bei Liebeskummer helfen können. In mondhellen Nächten und auch bei Neumond, wenns zappenduster ist.

Bye bye Junimond.

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SWR2 Wort zum Tag

28JUN2022
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Wir Menschen brauchen Lebenslehrerinnen und Lebenslehrer. Menschen, die uns wichtige Hinweise geben. Johannes der Täufer war solch ein Richtungsweiser. Matthias Grünewald hat ihn so gesehen und gemalt. Auf seinem Isenheimer Altar sieht man Johannes, der mit einem riesigen Zeigefinger auf den gekreuzigten Christus weist. Der berühmteste Zeigefinger der Welt, hat mal jemand über dieses Bild gesagt. Johannes der Täufer zeigt auf Christus und sagt zugleich, dass der wichtiger ist als er selbst. Nach dem Matthäusevangelium weigert sich Johannes sogar zunächst, Jesus zu taufen, weil er sich als nicht würdig genug einschätzt. Gute Lebenslehrerinnen und -lehrer sind uneitel und können es aushalten, dass es neben ihnen auch andere gibt, die möglicherweise kompetenter sind als sie oder dass ihre Schüler sie sogar einmal überflügeln werden. Jeder Mensch braucht Lebenslehrerinnen und -lehrer, die nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern über sich hinausweisen. Gute Lebenslehrerinnen und -lehrer sind keine Gurus, die angebetet werden wollen. Sie sind vielmehr Menschen, die an wichtigen Schnittstellen des Lebens den richtigen Hinweis geben. Manchmal kommt es ja darauf an, dass einem überhaupt erst klar wird, dass man sich gerade an einer wichtigen Schnittstelle befindet. Dann lernt man von diesen wichtigen Menschen die Kunst der Unterscheidung zwischen Sinn und Unsinn, Gut und Böse, Chance oder Falle. Und den Mut, auch umzukehren, wenn man sich einmal falsch entschieden hat.

Die Resilienzforschung hat festgestellt, dass es für die seelische und körperliche Widerstandsfähigkeit von Menschen entscheidend wichtig ist, dass sie als Kinder mindestens einem solchen Lebenslehrer oder einer solchen Lebenslehrerin begegnet sind. Das müssen nicht die Eltern sein, es können auch Großeltern sein oder die Lehrerin in der Schule. Jedenfalls ein Mensch, auf den sich ein Kind verlassen kann, das ist wichtig. Dann entwickeln die Kleinen die Fähigkeit, später auch schwierige Lebenssituationen heil zu überstehen. Oder sogar an ihnen zu wachsen.

Im Rückblick bin ich daher sehr dankbar dafür, dass ich in meinem Leben solchen Menschen begegnet bin. Einer davon ist ein alter Jesuit aus Indien, der mich ein sehr schönes Gebet gelehrt hat, gut geeignet dazu, die Kunst der Unterscheidung zu lernen. Dabei halte ich die Hände wie eine Schale und bete: Ich bin wie eine Schale, bereit zu empfangen und zu geben. Und: Lass mich unter den vielen Stimmen deine Stimme heraushören.

Dass Sie heute unter den vielen Stimmen die für Sie gute Stimme heraushören und den für Sie guten Weg finden, das wünsche ich Ihnen.

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