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24NOV2023
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Heute in einem Monat ist Heiligabend.

Wenn ich das höre, denke ich: Oh, nein, ich sollte mir langsam überlegen, wem ich an Weihnachten etwas schenken möchte und vor allem was. Und wann ich die Weihnachtpost erledige…denn das war bei mir in den letzten Jahren alles immer auf den letzten Drücker.

Ich mag Weihnachten sehr. Den Christbaum im Wohnzimmer, die Krippe, den Duft von Weihnachtsgebäck und ganz besonders die Lieder in der Christmette. Aber es kommt immer so plötzlich…

Zum Glück gibt es bis dahin noch die Adventszeit und die ist ja extra dafür da, dass ich mich auf Weihnachten vorbereiten kann. Und bis zum Ersten Advent ist es ja auch noch eine Woche.

Und die werde ich nutzen, weil ich weiß: Wenn ich mir nicht vorher ein paar Gedanken mache, was ich in dieser Adventszeit wann machen möchte, wird es wieder stressig.

Deswegen überlege ich mir jetzt schon, wie der Advent dieses Jahr für mich ablaufen soll. Am 4. Advent wird der Heilige Abend sein, das heißt der Advent ist in diesem Jahr genau drei Wochen lang.

Ich werde die kommenden Tage nutzen, um diese drei Wochen zu planen. So ganz klar habe ich es noch nicht, was ich machen werde, aber ein paar Dinge weiß ich: Eine Woche soll für mich sein, eine für meine Mitmenschen und eine für Gott.

In der ersten Woche will ich mir mehr Zeit für mich nehmen. Einen Abend lang nur ein gutes Buch lesen, einen langen Spaziergang möchte ich machen und ab und an einfach mal nichts tun. Auf jeden Fall den Kalender bewusst leerer lassen.

In der zweiten Woche sind dann meine Mitmenschen dran. Ich werde meine Weihnachtspost schreiben, mir in Ruhe Zeit nehmen, um zu überlegen, was ich dieses Jahr verschenke und die Geschenke auch besorgen und ich möchte den ein oder anderen anrufen, von dem ich schon länger nichts mehr gehört habe. Vielleicht auch jemanden besuchen.

Und in der letzte Woche? Die kriegt, wie gesagt, Gott. In diesen Tagen möchte ich mir mehr Zeit für Stille und Gebet nehmen, vielleicht auch für ein paar geistliche Gedichte, aber ganz sicher meine Krippe in Ruhe aufbauen. Denn die erinnert mich daran, warum wir Weihnachten feiern.

Ich bin schon gespannt, wie das wird.

Der Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten und die Tage der nächsten Woche sind für mich die Vorbereitungszeit für den Advent.

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23NOV2023
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Ich habe so großen Respekt vor Schwester Barbara.

Sie ist Dominikanerin, also eine Ordensfrau und wohnt in München. Sie hat dort lange als Krankenschwester in der mobilen Pflege gearbeitet.

Jetzt hat sie vor kurzem die Stelle gewechselt. Schon allein das beindruckt mich, dass sie sich mit Anfang sechzig nochmals aufmacht und sich in eine ganz neue und andere Aufgabe einarbeitet. Sie ist jetzt in einem Haus für psychisch kranke Frauen, die kein Zuhause mehr haben. Das klingt schon nicht einfach. Offiziell heißt es: ein Haus für psychisch kranke Frauen, die von Obdachlosigkeit betroffen oder gefährdet sind.

Schwester Barbara und ich haben vor vielen Jahren eine Fortbildung miteinander gemacht und uns lange nicht mehr gesehen. Sie erzählt mir von ihrer neuen Aufgabe. Und ich merke, wie ich still werde, weil mir das alles so fremd ist. Die Frauen dort wissen, dass Barbara eine Ordensfrau ist, auch wenn sie kein Ordensgewand trägt. Und wenn sie Nachtdienst hat und alleine im Haus ist, kommt immer wieder die eine oder andere zu ihr und erzählt ihre Geschichte.

Die meisten haben eine schwierige Vergangenheit. Manche wohnten lange Zeit auf der Straße, einige haben Probleme mit Alkohol oder Drogen und viele haben sexuelle Übergriffe erfahren oder haben als Prostituierte gearbeitet. Und all das spielt bei manchen auch jetzt noch eine Rolle.

Schwester Barbara erzählt mir auch, dass sie dort gelernt hat, nur zu geben, ohne zu erwarten, dass sie etwas dafür zurückbekommt. Weil viele der Frauen kein „Danke“ mehr über die Lippen bekommen. Manche sind durch Sucht und schlimme Erlebnisse psychisch so verletzt, dass sie fast nicht mehr in der Lage sind eine Beziehung zu jemandem aufzubauen.

Ich kann mir kaum vorstellen, wie man das aushalten kann. Jeden Tag diese schlimmen Geschichten zu hören. Jeden Tag sich neu darauf einzulassen und immer nur zu helfen, aber oft nichts dafür zurückzubekommen.

Sie sagt zu mir, dass das nur geht, weil sie zuhause oft lange in Stille betet. Sie bekommt dadurch Abstand zu dem, was die Frauen ihr erzählt haben. Und gleichzeitig legt sie sie Gott ans Herz, wenn sie betet.

Dieses Haus in München ist für die Gesellschaft unsichtbar, wie viele solcher Einrichtungen. Für mich ja auch. Aber es ist so wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt. Und auch Menschen, wie Schwester Barbara. Die sich um die kümmern, die niemanden haben. Und denen zuhören, die keinen zum Reden haben.

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22NOV2023
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Ich hatte eine echt blöde Woche und ich habe mich viel zu viel geärgert.

Eine Kollegin hatte gekündigt und die Stelle musste neu ausgeschrieben werden. Sowas kann ich aber nicht alleine entscheiden. Denn bei solchen Ausschreibungen sprechen alle möglichen Leute mit. Dienstvorgesetzte, die Mitarbeitervertretung und die Personalabteilung. Natürlich möchte ich die neue Stelle so schnell wie möglich besetzen, weil meine andere Kollegin und ich sonst alles auffangen müssen. Und wir haben weiß Gott schon genug zu tun.

Was mich geärgert hat: Die ersten Mails von mir wurden teilweise einfach nicht beantworten. Aber mir saß diese Ausschreibung im Nacken. Also schreibe ich nochmals. Drängender. Es kommt eine Antwort. Aber nur: Der und der ist gerade im Urlaub oder das und das muss mit der Abteilung noch abgesprochen werden. Und so zieht sich das Ganze in die Länge.

Irgendwann werde ich im Ton echt ruppig. Und plötzlich geht es.

Die ganze Sache hat mich an sich schon genug Nerven gekostet. Aber was mich besonders geärgert hat: Warum muss ich erst unangenehm deutlich werden, bis etwas läuft und mir jemand zuhört? Eigentlich will ich so nicht sein.

Und dann weiß ich nur zu gut, was Jesus dazu sagt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

In solchen Situationen fällt mir beides schwer. Meinen Nächsten zu lieben, der mir nicht antwortet oder nicht so, wie ich will. Und mich selbst mag ich in solchen Situationen auch nicht mehr. Weder, wenn ich mich so ärgere, noch, wie ich dann meinen Ärger an anderen auslasse.

Mir hilft dabei ein Gedanke, den eine Kollegin neulich zu mir gesagt hat:

Es ist wichtig, sich immer auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber zu unterhalten. Noch besser ist es aber, sich auf Herzhöhe zu begegnen. „Herzhöhe“…was für ein wunderschönes Wort.

Das heißt: Ich kann versuchen, mein Gegenüber zu verstehen und mich nicht über ihn zu stellen. Und mehr noch: Ich kann immer versuchen, egal, wie die Situation auch ist, wohlwollend und freundlich zu bleiben.

Meinen Nächsten zu lieben ist manchmal wirklich schwer, aber ihm auf „Herzhöhe“ zu begegnen… ich glaube, dass krieg ich hin.

Wenn ich das nächste Mal wieder so dasitze und mich aufrege, werde ich kurz meine Augen schließen, durchatmen und mich an die „Herzhöhe“ erinnern.

Und erst dann werde ich anfangen meine nächste Mail zu schreiben.

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21NOV2023
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Jeder Mensch hat einen Namen. Und doch lag da einer vor mir, der gerade formal keinen mehr hat.

Ich war in Tübingen in der Anatomie der Uni-Klinik. Und mir war ehrlich gesagt ein bisschen mulmig zumute. Denn vor mir lag dieses sogenannte „Präparat“.

Mir widerstrebt es eigentlich, so zu sprechen, denn das ist ja ein Körper, ein Mensch, ein Verstorbener, der einen Namen hat.

Aber jetzt ist es nur noch ein Präparat mit einer Nummer.

Das klingt für mich erst einmal richtig schlimm. Wie kann man jemandem einen Teil seiner Persönlichkeit so wegnehmen, ja, ihn so entmenschlichen? Aber der Medizinprofessor dort erklärt mir, dass dies ein Schutz für die Studierenden ist. Diese werden im sogenannten Präparationskurs vieles, was sie nur theoretisch gelernt haben, zum ersten Mal hier praktisch an einem menschlichen Körper sehen und üben.

Sie werden diesen Körper „präparieren“, d.h. aufschneiden und genau betrachten.

Für viele von ihnen ist das sicherlich auch nicht einfach, weil sie zum ersten Mal einen toten Menschen vor sich haben. Aber gerade für sie, als angehende Mediziner ist es wichtig, dass sie einen professionellen Abstand lernen und diese Menschen erst einmal nur als Körper, ja als Präparat sehen.

Deshalb verliert jeder Mensch, der seinen Körper für die medizinische Forschung spendet, dort an der Pforte der Anatomie seinen Namen und bekommt eine Nummer.

Ich bin als Pfarrer dabei, weil es am Ende des Semesters eine Gedenkfeier geben wird, die ich mit den Studierenden vorbereite. Zu der werden dann die Angehörigen derer eingeladen, die ihren Körper für die medizinische Forschung gespendet haben.

Wunderschön an dieser Feier finde ich, dass dort deren Namen wieder verlesen werden. Sie bekommen dann sozusagen ihre Namen zurück.

Sie bleiben zum Glück nicht namenlose Präparate, denn dies ist nur eine zweckmäßige Notwendigkeit.

Und die Gedenkfeier ist auch dafür da, „Danke“ zu sagen. Danke, dass es Menschen gibt, die Ihre Körper für die Medizin zu Verfügung stellen. Damit junge Studierende lernen können und so die Möglichkeit bekommen, gute Ärzte zu werden.

Ich finde es wichtig, dass es am Ende des Kurses die Möglichkeit zu so einer Feier gibt. Dass es eben nicht nur um Präparate und Unikurse geht, sondern um Menschen, um ihren Namen, um ihre Würde. Und die geht auch nicht verloren, wenn deren Körper präpariert wird.

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20NOV2023
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Ich war gerade zum Studium nach Rom gezogen und musste gleich wieder zurück.

Die Freundin meines Bruders war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Wie furchtbar!

Ich bin also mit dem Nachtzug heimgefahren, und dann direkt nach der Beerdigung wieder aufgebrochen, um den Nachzug nach Rom zurück zubekommen. Denn mein Studium hat dort am nächsten Tag begonnen – und das wollte ich nicht verpassen.

Ich glaube, ich hatte in München eine knappe dreiviertel Stunde Aufenthalt.

Was ich aber nicht erwartet habe. Dort am Bahnsteig sitzt Christian, ein guter Freund von mir. Er ist extra nach München mit dem Zug gekommen, um mich für die paar Minuten zu sehen. Um mich in den Arm zu nehmen. Und eine halbe Flasche Wein mit mir zu trinken.

Ich habe es immer noch im Ohr, wie er zu mir sagt: „Ich konnte Dich nicht einfach so alleine wieder zurückfahren lassen.“

Das ist jetzt 19 Jahre her.

Ich bin ihm heute noch dankbar dafür. Und wir sind immer noch Freunde. Es gibt immer noch Umarmungen, manchmal auch Wein und auch Treffen an Bahnsteigen. Gott sei Dank.

Denn es ist schrecklich, wenn Menschen in schweren Situationen allein sind. Und es ist schrecklich, wenn ich daran denke, wie viele Menschen in schweren Situationen sich alleingelassen fühlen. Zum Beispiel im Alter, wenn die Kinder inzwischen aus dem Haus sind und es dort so still geworden ist. Oder die Menschen auf der Flucht, wenn sie Heimat und Familie verlassen mussten und bei uns weder Sprache noch Kultur kennen. Oder eben, wenn ein lieber Mensch verstorben ist.

Deshalb bete ich heute Abend zuhause für die Menschen, die mich in schwierigen Situationen begleitet haben. Mich eben nicht alleine gelassen haben. Ich möchte im Gebet „Danke“ für diese Menschen sagen, dass es sie gibt.

Und anschließend werde ich einen von ihnen anrufen. Einen, von dem ich weiß, dass er es gerade nicht leicht hat und sich alleine fühlt.

Denn ich muss nicht warten, bis etwas ganz Schlimmes passiert, um mich bei jemanden zu melden oder ihn in den Arm zu nehmen. Und dafür braucht es auch nicht unbedingt immer einen Bahnsteig oder eine Flasche Wein.

Aber ich bin davon überzeugt: Es ist wichtig, dass wir Menschen haben, die uns immer wieder in den Arm nehmen und sagen: „Ich kann dich nicht so einfach alleine lassen!“

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17NOV2023
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Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich bei uns Fuchs und Hase gute Nacht sagen – wirklich. Denn direkt hinter unserem Garten beginnt der Wald. Und mehr als einmal stand auch wirklich ein Fuchs schon bei uns im Garten.

Abends ist es bei uns einfach still und ruhig. Nur hier und da brennt noch Licht in den Wohnzimmern. Man sieht, wo ein Fernseher läuft und wer vielleicht gerade noch den Müll vor die Türe bringt.

Wenn ich abends noch eine letzte Runde mit dem Hund drehe, ist mir dabei schon oft die Zeile von einem Abendlied eingefallen: „Abend ward, bald kommt die Nacht. Schlafen geht die Welt …“  Ja genau so fühlt es sich hier an. Als ob die Welt schlafen gehen würde. Und sich Fuchs und Hase noch schnell eine gute Nacht sagen würden. 

Ich weiß natürlich, dass es in der Stadt um diese Zeit oft erst richtig los geht. Und dass nachts auch viel gearbeitet wird. In den Krankenhäusern, bei der Feuerwehr, den Notdiensten, auf den Autobahnen und an vielen Schreibtischen. Unsere Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, dass die wichtigsten Posten ständig besetzt sind. Irgendjemand ist immer wach. Trotzdem hoffe ich, dass auch die später Ruhe finden, die jetzt noch unterwegs sind oder arbeiten müssen.

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass es eine Zeit gibt, in der ich loslassen kann. In der alles ruht, was mich tagsüber so beschäftigt hat. Und mich eben auch die Welt mal in Ruhe lässt. Da wird nicht mehr an meiner Haustür geklingelt, das Telefon hat mal Pause und ich muss keine Termine einhalten. Und selbst die ganzen Konflikte und Kriege auf unserer schönen Welt, kann ich für den Moment zumindest loslassen.

Abend ward, bald kommt die Nacht. Und In dem Lied heißt es weiter: „Einer wacht und trägt allein unsre Müh und Plag, der lässt keinen einsam sein, weder Nacht noch Tag.“

Ich vertraue darauf, dass Gott für alle Menschen sorgt. Für die, die schon im Bett sind. Für die, die nicht schlafen können, weil sie ihr Alltag nicht loslässt. Und für die, die noch arbeiten müssen. Das alte Lied sagt mir. Ich darf abends einfach loslassen, denn jemand anderes sorgt sich. Ich darf Kraft schöpfen für den nächsten Tag.

Am nächsten Morgen ist mein Alltag wieder da. Aber erst einmal kann ich ausruhen. Soll ich ausruhen. Zu Ruhe kommen. Gott nimmt mir die Mühe und die Plage ab. Und morgen wird er mir Kraft geben für den neuen Tag.

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16NOV2023
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„Ich schalte lieber schnell um …“ bei dem Gedanken erwische ich mich gerade ziemlich oft – wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin oder Fern sehe. Und Nachrichten kommen. Es sind mir zu viele Tote. Zu viele Opfer. Zu viele Kriege und Konflikte. Und zu viel Gewalt.

Ich weiß, dass ich meine Kinder davor nicht ganz schützen kann. Aber das würde ich so gerne. Alles von ihnen fernhalten, was mir selbst so weh tut.  Weil ich es einfach nicht verstehe. Und weil es mich so hilflos macht. Ich verstehe nicht, warum man Kriege führen muss. Und das dann auch noch mit dem Glauben rechtfertigen will. Ich verstehe nicht, warum manche immer noch mehr haben müssen. Immer Recht haben müssen. Und sich nicht einfach daran freuen können, was sie haben. Zumindest ein Stück weit. Am Ende leiden immer die am meisten, die eigentlich am wenigsten dafür können.

Unterm Strich bin ich mir sicher, dass die meisten Menschen doch eigentlich in Frieden leben wollen. Für ihre Kinder ein Leben in Frieden wollen – so wie ich auch. Und trotzdem geht unsere Welt in Gewalt geradezu unter. Und das macht mich so hilflos.

Ich bete. Ja. Aber selbst das erscheint mir im Moment zu wenig.

Vielleicht ist das aber auch etwas, das es so schon immer gegeben hat. In einem alten Gebet in der Bibel lese ich: „Rette mich, Gott! Das Wasser steht mir bis zum Hals. Ich bin versunken in tiefem Schlamm und finde keinen festen Grund. In tiefes Wasser bin ich geraten. Eine Flutwelle spülte mich fort. Erschöpft bin ich von meinem Schreien. Meine Kehle ist schon heiser.“

Ich habe keine Ahnung, was dieser Mensch erlebt hat. Aber scheinbar hat er sich auch so hilflos gefühlt. Ohne Halt. Vielleicht auch ohne Hoffnung. Und – Er betet trotzdem. Das scheint für ihn absolut klar und logisch zu sein. Egal, was passiert ist. Und egal, wie weit weg Gott in dem Moment zu sein scheint. Er ist und bleibt ansprechbar.

Ja, ich kann im Moment vielleicht wenig tun. Und Ja, das macht mich ein Stück weit hilflos. Und trotzdem will ich nicht damit aufhören. Für Frieden zu beten. Über Frieden zu sprechen. Frieden zu wollen und an ihn zu glauben.

Wir leben in keiner perfekten Welt. Das erleben wir jeden Tag. Das muss ich auch meinen Kindern zumuten. Ich kann nicht immer die Nachrichten wegschalten. Und trotzdem will ich für mich und für sie weiter beten, glauben und hoffen.

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15NOV2023
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„Die meisten Leute suchen sich das Motiv aus, das ihnen am wichtigsten ist. Es geht schließlich unter die Haut …“. Das hat mir neulich eine junge Frau aus der Gemeinde erzählt. Denn genau das macht sie. Sie arbeitet in einem Tattoo-Studio und zeichnet Menschen Bilder unter die Haut. Tattoos, oder Tätowierungen sieht man in den letzten Jahren ja immer häufiger. Und man kann davon halten was man will. Aber ich habe mir das noch nie so klar gemacht: Dass Menschen sich ein Motiv tätowieren lassen, damit es ihnen buchstäblich unter die Haut geht. Weil es ihnen so wichtig ist und Spuren hinterlassen soll. Sichtbare Spuren, die etwas erzählen. Vielleicht hoffen sie, dass jemand die Spuren auf ihrer Haut sieht und nachfühlen kann, was sie erlebt haben.

Ich glaube das können sehr schöne Sachen sein, aber auch ganz schlimme. Und trotz Tattoo kann niemand in die Haut eines anderen schlüpfen und nachfühlen, was der erlebt hat – sei es nun etwas Schönes oder etwas Schreckliches. Kein Mensch kennt das Leben eines anderen Menschen so genau. So genau kennt es nur Gott. Denn ihm war es wichtig, es ganz genau zu wissen.

Deshalb ist Gott irgendwann in unsere Haut geschlüpft. Als er als Mensch zur Welt kam. Direkter geht gar nicht. Er hat es an der eigenen Haut erlebt, das Menschsein. Und ich bin Gott dankbar dafür. Er kennt mich. Und er weiß wie sehr mir gerade all die Konflikte auf dieser Welt und das viele Leid unter die Haut gehen. Er weiß aber auch, dass es mich immer wieder sehr bewegt, wenn meine Kinder mich umarmen.

Und genau das hat er selber erlebt. Genau das ist es, was Menschsein bedeutet. Dass wir hier auf unserer schönen Erde leben. Und dass wir mit all dem irgendwie klarkommen müssen, was wir jeden Tag so erleben.

Damit lässt das auch Gott nicht alles kalt, was mich beschäftigt. Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn dadurch trägt er alles mit. Und er versteht, dass mir manches eben unter die Haut geht. Er freut sich mit mir, wenn ich mich freue. Er ist mit mir traurig, wenn ich traurig bin. Und er ist mit mir wütend, wenn ich wütend bin. Nur so verstehe ich es, dass mir manche Sachen so nahe gehen. Und sie mir eben so nicht nur unter die Haut gehen. Sondern noch viel tiefer.

Gott weiß alles von mir, weil er nicht nur in unsere Haut geschlüpft ist, sondern weil jede Zelle meines Körpers von ihm durchdrungen ist.

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14NOV2023
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„Die schenke ich Ihnen.“ Mit diesen Worten hat mir neulich ein Mann zwei Haselnüsse in die Hand gedrückt. Und sich dann verabschiedet. Ich war mit dem Zug unterwegs und er hatte sich mit seinem Rollator neben mich gesetzt. Und hat angefangen zu reden. Dass er oft mit dem Zug fährt, dass er es so schön findet, wenn er hier und da aussteigen kann, um spazieren zu gehen. Und wo es die schönsten Parkbänke zum Ausruhen gibt.

Er hatte in dem Netz von seinem Rollator ein paar Blätter gesammelt. Ein besonders schönes hat er mir dann auch gezeigt und erklärt, dass das ein Gingko-Blatt sei. Wo er es her hat, wie man diese Bäume am besten pflegen muss und was sie für Standorte mögen. Vom Gingko kam er dann noch zu den Haselnusssträuchern. Ich weiß jetzt vermutlich alles, was man so über Haselnüsse wissen kann. Deshalb hat er mir dann zum Abschied die Haselnüsse geschenkt.

Meine Begegnung mit dem Mann war eine absolut zufällige Situation. Und jeder andere, der zufällig neben ihm gelandet wäre, hätte sich vermutlich denselben Vortrag anhören dürfen. Trotzdem hat mich diese Begegnung noch lange begleitet. Und ich habe mich gefragt, warum?

Vielleicht, weil ich die zwei Haselnüsse jetzt in meiner Hosentasche gespürt habe? Vielleicht, weil es für den Mann so normal war, mir das alles zu erzählen? Vielleicht, weil uns die Zeit nebeneinander für diesen einen Moment miteinander verbunden hat?

Vermutlich ein bisschen was von allem. Der Mann hat mich im besten Sinne beeindruckt. Wir sind uns wirklich begegnet – und nicht einfach nur nebeneinandergesessen. Der Mann hat mir das mitgegeben, was er weiß und was er gut kann. Einfach, weil ich in dem Moment zufällig da war. Und weil ich bereit war, zuzuhören. Jetzt weiß ich alles über Haselsträucher, und wer weiß, was ich damit noch anfangen werde.

Bei Jesus muss das damals auch so gewesen sein. Er hat die Menschen wohl auch beeindruckt. Mit dem, was er ihnen erzählt hat. Mit dem, wie er gelebt hat. Er hat Geschichten davon erzählt, wie das Leben auch sein könnte. In Bildern erklärt: Wie schön es wäre, wenn wir miteinander leben würden und nicht gegeneinander. Oder alle nicht nur nach sich selber schauen würden. Von Samenkörnern, die gepflanzt werden und aufgehen.

Im Vergleich dazu waren die Geschichten des Mannes neben mir im Zug vielleicht nicht so wichtig. Aber– wer weiß: die zwei Haselnüsse habe ich bei uns daheim im Garten in die Erde gesteckt – vielleicht geht ja was auf.

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13NOV2023
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Ich liebe den Herbst. Die bunten Blätter sind mittlerweile fast alle unten. Und ich finde es einfach immer wieder toll, wenn unser Hund fast in einem Blätterhaufen verschwindet. Weil alles so spannend riecht.

Schade – denke ich deshalb manchmal – dass der Herbst in Sprichwörtern nicht so richtig gut wegkommt, wenn es um das Leben geht. Wenn vom „Herbst des Lebens“ die Rede ist, klingt das immer so nach alt sein. Nach sich verabschieden. Nach Endlichkeit und sogar nach Sterben. Ich meine ja, es stimmt schon. Die Bäume verlieren ihre Blätter und manche Menschen verlieren ihre Haare. Die Blätter werden vorher bunt. Die Haare grau oder weiß.

„Ich bleibe euch treu, bis ihr alt seid. Ich trage euch, bis ihr graue Haare habt. Das habe ich getan und werde es weiter tun. Ich bin es, der euch trägt und rettet!“

Das sagt Gott, wenn es um den Herbst des Lebens geht. In der Bibel finden sich die Geschichten dazu, wie Gott die Menschen trägt: bis ins Alter und selbst dann noch immer weiter. Mose z.B. war schon nicht mehr der Jüngste, als er eine ganze Nation aus der Sklaverei führen sollte. Und auch die die ganzen 40 Jahre in der Wüste, hat Gott ihn begleitet. Und auch darüber hinaus. Oder wie Abraham und Sarah – beide hochbetagt – am Ende doch noch Eltern werden.

Vielleicht ist es ja genau das, was mit dem „Herbst des Lebens“ gemeint ist. Nicht, dass das Leben schon vorbei ist, sondern eher, dass da vielleicht nochmal was Spannendes passieren könnte. Dass ich auch nochmal was machen oder lernen kann, was ich bisher noch nie gemacht habe. Dass es bunt wird, voller Farbe.

Dass ich aber vielleicht selber die Farben anders wahrnehme als in früheren Zeiten in meinem Leben. Wann das sein wird, weiß ich auch nicht so genau – meinen Haaren nach zu urteilen, könnte das bei mir schon anfangen …

Deshalb verstehe ich das Bild vom Herbst des Lebens mittlerweile so, dass ich einfach schon einige Jahre auf unserer schönen Welt lebe. Dass ich vieles ausprobiert habe. Ganz viel Schönes erlebt habe und so manches, auf das ich auch hätte gerne verzichten können. Das alles hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Und: es bedeutet für mich, dass ich eben nicht nochmal von ganz vorne anfangen kann. Ich kann kein Kind mehr sein. Und kein Teenager. Das will ich eigentlich aber auch gar nicht mehr. Und: Ja. Irgendwie heißt das auch, dass ich mir klar machen muss. Irgendwann ist mein Leben Mal zu Ende. Aber dazwischen liegt eine Zeit, die man Herbst des Lebens nennt. Bunt und farbenreich. Und auch in dieser Zeit gilt Gottes Versprechen für mich: „Ich bleibe euch treu, bis ihr alt seid.“ Gott begleitet uns zu jeder Jahreszeit – auch im Herbst und noch darüber hinaus.

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