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24OKT2025
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Wenn ich an Büchereien denke, habe ich sofort diesen typischen Geruch von Papier in der Nase, und sehe meterlange Regale voller Bücher vor mir. Ich liebe Bibliotheken; schon immer. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sich das als Kind angefühlt hat, vor dem Regal zu stehen und endlich das Buch zu finden, das sich vor mir ständig jemand anderes ausgeliehen hatte. Endlich wissen, wie die Geschichte weitergeht. Oder wie überwältigt ich war, als ich das erste Mal in eine Universitätsbibliothek gekommen bin und gedacht habe: Selbst wenn ich jetzt mit Lesen anfangen würde und bis zum Lebensende nichts anderes täte: Ich würde nicht fertig werden mit so viel Lesestoff.

 

In der Uni-Bibliothek wird geforscht und gelernt. Meine Freundin Jana hat sich dort fast schon häuslich eingerichtet und schreibt ihre Master-Arbeit. Und in der Stadtbücherei gibt es regelmäßig Märchenstunden für Kinder, die mit leuchtenden Augen dasitzen, wenn Freiwillige die alten Geschichten für sie zum Leben erwecken. Heute ist der „Tag der Bibliotheken“, immer am 24. Oktober, schon 30 Jahre lang. Der Tag soll daran erinnern wie wichtig die über 8.000 Bibliotheken in Deutschland sind und was die Menschen leisten, die dort arbeiten.

 

Sogar in dem Dorf, wo ich lebe, in Hochdorf bei Freiburg, gibt es eine kleine Bücherei. Sie wird von der Kirchengemeinde getragen und Ehrenamtliche sorgen dafür, dass sie regelmäßig öffnet, dass neue Bücher angeschafft werden und dass man sich dort wohlfühlt. Alle paar Wochen kommen Kinder aus der Kita oder der Grundschule vorbei. So können schon die ganz Kleinen erleben, was eine Bibliothek ist und wie schön und spannend Bücher sind. Und vor den Ferien schleppen Kinder stapelweise Bücher nach Hause.

Toll ist auch ein Angebot, das es noch nicht so lange gibt: Das Bücherei-Café. Immer freitags werden Tische und Stühle rausgestellt, es gibt Kaffee, Kuchen und frische Waffeln und es ist immer was los. Das ist ein richtiger Treffpunkt fürs Dorf geworden. So wird die Bibliothek nicht nur ein Ort des Wissens und der Literatur, sondern man kann dort auch Zeit mit anderen zusammen verbringen.

Wenn mich jemand fragt, ob die Kirchen nicht Wichtigeres zu tun haben als eine Bücherei zu betreiben, dann erzähle ich ihnen genau von diesem Café. Denn das ist es, was Christen wollen: Dafür sorgen, dass Menschen zusammenkommen und über ihren eigenen Tellerrand rausschauen. Und das funktioniert einfach wunderbar bei und mit Büchern.

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23OKT2025
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Bei Lebkuchen scheiden sich ja die Geister. Die einen werden schon im Sommer schwach, wenn die ersten Lebkuchen in den Regalen liegen. Die anderen bleiben eisern und warten bis zum Advent. Bei mir geht die Vorfreude los, wenn ich sie im Supermarkt sehe. Bei 30 Grad mag ich zwar noch keine kaufen, aber jetzt im Herbst lege ich mir gern eine Packung in den Einkaufswagen. Ja, ich bin ungeduldig, aber ich stehe dazu. Und was mir auch gut gefällt: Dass Lebkuchen nicht nur lecker sind, sondern dass hinter diesem traditionellen Gebäck auch eine ganz reichhaltige Geschichte steht.

 

Bereits die alten Ägypter haben kleine Kuchen gebacken, die mit Honig gesüßt waren. Und schon in der Antike waren sie besonders geformt und die Leute haben sie verschenkt. Lebkuchen kann man lange lagern, ohne dass sie schlecht werden. Deshalb waren sie auch noch viele Jahrhunderte später als Kraftnahrung für unterwegs sehr beliebt. Oft wurden sie von Mönchen gebacken. Denn in den Klöstern hatte man Zugang zu den verschiedenen Gewürzen, die den charakteristischen Geschmack ausmachen. In der Zeit vor Weihnachten, in der viele Menschen weniger zu essen hatten, haben die Mönche Lebkuchen an Arme verteilt. Was muss das für eine Geschmacksexplosion und für ein nahrhafter Genuss gewesen sein.

 

Lebkuchen sind etwas Besonderes. Ich hab mal nachgeschaut, welche guten Zutaten dabei traditionell enthalten sind: Anis und Kardamom wirken beruhigend und sind gut für die Verdauung. Nelke und Ingwer stimulieren. Zimt ist gut für den Blutzucker und Muskatnuss sagt man gute Eigenschaften für Konzentration und Gedächtnis nach. Also sind Lebkuchen eine richtige Wohltat. Und passen deshalb wunderbar nicht nur in den Advent, sondern auch schon in den Herbst.

 

Denn wenn es draußen dunkler und kälter wird, ist es besonders wichtig, dass man sich was Gutes tut. Vielleicht mache ich einen Herbstspaziergang oder setze mich mit der Kuscheldecke aufs Sofa. Oder ich gönne mir eben einen würzigen und guten Lebkuchen. Und denke an die lange Geschichte, die damit verbunden ist. Wenn ich solche Traditionen kenne, dann geht so eine innere Tür in mir auf. Dann sitze ich nicht nur da und futtere einen Lebkuchen nach dem andern, sondern ich genieße viel bewusster und achte auf das, was hinter den Dingen steckt. Es ist die jahrtausendealte Tradition, dass man sich mit Lebkuchen in herben Zeiten gut stärken kann. Und dass es eine wunderbare Idee ist, alles was stärkt und nährt, auch an andere weiterzugeben.

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22OKT2025
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„Wem gehörst du?“, oder im badischen Dialekt gesprochen: „Wem g’härsch du?“ Das ist ein Satz, den Kinder im Schwarzwald oft zu hören bekommen. Meistens fragen ältere Leute noch so. Und dann sagt man zum Beispiel: „Ich g‘här em Wiesler Hans.“ Damit hat man dann erklärt, zu welcher Familie man zählt. Ich finde die Frage ein bisschen befremdlich. Denn es kann doch nicht gemeint sein, dass man jemandem gehört, sondern wo man dazugehört. Deswegen fände ich es schöner, wenn man fragen würde „Wer bist du?“ Denn im Leben geht es ja nicht darum, wem ich gehöre, sondern wer ich bin.

 

„Wer bin ich?“ die Frage begleitet einen das ganze Leben. Ich kann sie ganz unterschiedlich beantworten: ich kann davon erzählen, wo ich herkomme, von meiner Familie oder der Heimat, was ich beruflich mache oder womit ich meine Freizeit verbringe.

Immer geht es drum, was bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Welche Menschen mir wichtig waren und sind. Und was ich erlebt habe, das mich bis heute ausmacht.

Mir fällt eine Menge ein. Schöne Dinge, wie meine Zeit bei den Pfadfindern oder die Geburt meiner Kinder. Und ich bin heute sicher der, der ich bin, weil ich auch herausfordernde Zeiten durchgemacht habe oder Schicksalsschläge verarbeiten musste. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mich auch weiterhin entwickle.

 

Die Frage „Wer bist du?“ spielt auch bei der Taufe eine wichtige Rolle. Der Pfarrer sagt dem Täufling, dass Gott ihn in Liebe erschaffen hat und dass es gut ist, dass es ihn gibt. Ich glaube, dass Gott das zu jedem Menschen sagt, egal ob getauft oder nicht. Aber in der Taufe wird das ausgesprochen. Und dass man das persönlich gesagt bekommt, das kann schon prägen. Da verändert sich tief im Inneren der Person etwas. Auch wenn ich damals als Baby getauft wurde und mich natürlich nicht mehr daran erinnern kann: Ich erlebe bei jeder Taufe meiner Nichten und Neffen aufs Neue, wie schön und kraftvoll diese Botschaft ist.

Dass Gott das bei der Taufe sagt, das gilt für immer. Ich kann mich innerlich von der Kirche entfernen und aus der Kirche austreten. Aber für Gott bleibt diese Zusage bestehen. Das kann mir niemand wegnehmen.

Gott und die Gemeinschaft unter Christen ist mir wichtig. Und das sage ich, wenn mich jemand fragt: „Wem gehörst du?“

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21OKT2025
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Von Freiburg nach Italien in knapp fünf Minuten. Das schaffe ich jeden Mittag, wenn ich mir nach dem Essen eine Tasse Espresso koche. Ich zelebriere das richtig: Wärme meine Tasse vor, lege mir ein Stück Schokolade bereit, freue mich am Duft, wenn der heiße Kaffee aus der Maschine kommt. Und wenn ich das herbe Aroma genieße, fühle ich mich sofort nach Italien versetzt. Mit diesem kleinen Ritual fliehe ich vor dem nass-kalten Herbstgrau und katapultiere mich in Windeseile mitten rein in Sonne und Dolce Vita.

Meine Tochter hat mittags auch so ein Ritual. Sie kommt aus der Schule, pfeffert den Ranzen in die Ecke und verkrümelt sich mit Kopfhörern und Tablet erstmal aufs Sofa. Dort macht sie es sich gemütlich und verbringt ihre täglichen 20 Minuten Medienzeit mit ihrer Lieblingsserie. Vorher brauchen wir Eltern gar nicht fragen, wie es in der Schule war oder welche Hausaufgaben anstehen. Wir würden keine Antwort bekommen.

Ich mag solche Rituale und im Laufe des Tages gibt es viele davon. Manche haben mit Genießen zu tun, andere sind ganz praktisch. Zum Beispiel wenn ich morgens als erstes die Spülmaschine ausräume und alle anderen noch schlafen. Diese zehn Minuten Ruhe sind mir heilig, weil sie mir helfen wach zu werden und im Tag anzukommen. Und ich kenne auch liebe Gewohnheiten, die mit Gott zu tun haben: Wenn ich ein Kreuzzeichen mache, immer wenn ich in eine Kirche reinkomme. Oder wenn ich vor einem schwierigen Gespräch ein Stoßgebet spreche.

Das sind alles keine großen Sachen. Aber diese kleinen Unterbrechungen sind wie Inseln im Alltag. Sie setzen ein Stopp-Schild bei den vielen To-Dos, an die man denken muss. Und so strukturieren sie den Tag und geben mir Sicherheit und die Gelegenheit, mal durch zu schnaufen. Sei es der gedankliche Mini-Urlaub mit der Tasse Kaffee oder die Pause nach der Schule mit der Lieblingsserie. Oder dass ich mir ein bisschen Zeit für Gott nehme. Dass ich mir bei Gott bewusst werde, was mir gerade schwerfällt und wofür ich dankbar bin. Dass ich innerlich an das rankomme, was mir auf dem Herzen liegt, und ich damit auch zu Gott kann.

Gott ist in meinem Alltag da. In allem Trubel und bei allem, das auch mal schiefgeht oder Schmerzen bereitet. Ich bin behütet und darf einfach sein.

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20OKT2025
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Mit über 30 Neuntklässlern zum Schulausflug auf den Friedhof? Das hab ich gemacht. Mit dem lässigen Finn und der stillen Mathilda. Und den anderen Jugendlichen aus meiner Religionsklasse.

Davor haben wir darüber gesprochen, wie unterschiedlich Menschen mit Tod und Trauer umgehen und welche Möglichkeiten es gibt, jemanden zu beerdigen. Soweit die Theorie – jetzt schauen wir wie das in echt ist. Und so schwärmen die Jugendlichen aus und schauen sich den Friedhof und die Gräber genauer an.

Nach einer halben Stunde treffen wir uns wieder. Mathilda hat die Ruhe und die Natur gefallen. Und sie hat es genossen, sich zwischendurch in die Sonne zu setzen und die Eichhörnchen zu beobachten. Finn ist überrascht, dass so viele Menschen unterwegs sind. Sie gehen kurz bei einem Grab vorbei oder haben Gartenwerkzeug mitgebracht, um die Bepflanzung wieder auf Vordermann zu bringen. Und man sieht einige, die miteinander reden. Friedhöfe können ein wichtiger Treffpunkt sein. Wenn man ein Grab regelmäßig besucht, lernt man manchmal auch die Angehörigen kennen, die zu den umliegenden Gräbern gehören. Es tut gut, wenn man sich über die eigene Trauer unterhalten kann. Solche Begegnungen können trösten und man merkt, dass man mit dem Gefühl des Verlusts nicht allein ist.

Was vielen Schülerinnen und Schülern aufgefallen ist, sind die Symbole auf den Grabsteinen. Es gibt Segelschiffe, Musikinstrumente, Sterne oder Tiere, die den Verstorbenen wichtig waren. So erfahre ich gleich auf den ersten Blick etwas mehr von den Toten als nur den Namen: Da war jemand leidenschaftliche Seglerin oder ich denke: Der Mann hat seinen Hund sicher sehr geliebt.

Dann hat meine Schülerin Helena noch erzählt, dass sie vor ein paar Wochen in Frankreich auf dem Rhein bei der Flussbestattung ihres Opas war. Das hatte er sich so gewünscht. Gleich berichten andere, dass sie schon bei Beerdigungen im Friedwald dabei waren. In den letzten Jahren hat sich die Bestattungskultur verändert. Das ist gut so, wenn die Wünsche der Menschen auch nach dem Tod noch berücksichtigt werden. Und es tut gut, wenn der Ort der Trauer auch zu den Hinterbliebenen passt. 

Gleichzeitig stellen auch heute noch vielen Menschen ganz bewusst ein Kreuz auf dem Grab ihrer Lieben auf. Für mich persönlich sind diese Kreuze Hoffnungszeichen. Sie erinnern daran, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Und ich glaube daran, dass ich einmal wieder mit meinen Verstorbenen vereint sein werde.

Überall, wo Menschen an ihre lieben Verstorbenen denken sind besondere und reiche Orte: Wo man die Natur genießen und andere Menschen treffen kann, und wo trotz Tod und Trauer auch Leben und Hoffnung wohnen.

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17OKT2025
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Ich sitze in einem Café in Karlsruhe und warte auf meinen Sohn. Ich bin ein wenig aufgeregt. Seit einem Jahr lebt er hier, ein paar hundert Kilometer von uns entfernt. Es war sein Traum, hier zu studieren. Fast auf den Tag genau an seinem 18. Geburtstag hat er sein winziges Zimmer in einem Wohnheim bezogen. „Mama, schön, dass Du kommst. Am besten treffen wir uns in einem Café, mein Zimmer ist zu klein!“

Sein Umzug, oder besser sein Auszug aus dem Elternhaus war eine enorme Umstellung. Für ihn, aber auch für uns als Familie. 18 Jahre haben wir zusammengelebt. Der Anfang war für uns als junge Eltern abenteuerlich: Durchwachte Nächte, weil unser Sohn einfach nicht durchschlafen wollte. Dann die spannende Zeit, als er begann, die Welt kennenzulernen: Er staunte über Blumen und Bienen – und wir mit ihm. Er fing an zu sprechen, hat Worte erfunden, sie in kindlicher Logik zusammengesetzt. „Oh Papa, hast du einen neuen Bartfeger?“ Wir haben uns weggeschmissen. „Bartfeger?! Ja, der Papa hat einen neuen Bartfeger, das nennt man Rasierer.“ „Ah!“ Die Schulzeit hatte Höhen und Tiefen, Hobbies wurden ausprobiert und wurden abgelegt. Fußballspielen war eine Zeitlang toll, dann reichte es. Dafür kam dann irgendwann das Schlagzeugspielen. Meine Güte, was hat es da hier und da in unserem Haus gekracht und gescheppert! Es war seine Art, sich vom Stress abzureagieren. Nun ist es bei uns zu Hause viel ruhiger – und ich vermisse es. Ich habe mich immer gefragt, wie es sein wird, wenn unser Sohn das Haus verlassen wird. Wird es wie bei der Geschichte vom verlorenen Sohn aus der Bibel sein?  Auf und davon, das Leben in vollen Zügen auskosten und dann nichts mehr mit zu Hause zu tun haben? Nur wieder aufschlagen, wenn alles schiefgelaufen ist?

Ich sehe von meinem Platz im Café aus auf einmal einen jungen Mann kommen. Hochgewachsen ist er, fröhlich schaut er aus, er strahlt und breitet seine Arme aus. Es erinnert mich an das Spiel, das wir in seiner Kindheit so oft gespielt haben „Wer kommt in meine Arme?“ Und während er mich in seine Arme schließt, spüre ich: Er ist groß geworden – und doch bleibt er mein Kind. Nicht verloren, sondern unterwegs. Und ich darf ihn weiter begleiten, auf neue, andere Weise.

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16OKT2025
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„Sie haben da irgendwas an den Fingern!“ Jemand zeigt auf meine Hände und ich denke mir: „Nicht schon wieder, irgendwann musst Du das doch mal hinkriegen!“ Die Flecken an meinen Fingern sind - ich weiß es sofort -   Tintenflecken. Irgendwie gehören sie zu mir, denn ich schreibe gerne und oft mit dem Füller. Und dann kleckst es hier und da. Meistens, weil die Tinte im Füller nicht richtig in den Fluss kommt und ich dann ein wenig nachhelfen muss.

Früher, als ich klein war und in die Schule gekommen bin, da war das Schreiben mit Füller in den ersten Schuljahren Pflicht. Die meisten aus meiner Klasse sind dann irgendwann auf Kugelschreiber oder Tintenroller umgestiegen. Aber ich mag das Schreiben mit dem Füller noch heute, und ich habe sogar noch den aus meiner Schulzeit. In der Welt, die immer schneller wird, in der Nachrichten in Sekunden getippt, gesendet und gelesen werden können, ist mir das handschriftliche Schreiben sogar noch wichtiger geworden. Es ist für mich ein Akt der Entschleunigung. Vielleicht sogar ein kleines Ritual. Beim Schreiben fühle ich mich dem Menschen, dem ich schreibe, ganz nah, ganz gleich, wie viele Kilometer zwischen uns sind.

Manchmal habe ich einen konkreten Anlass zum Schreiben -ein Geburtstag, eine kleine Dankeskarte oder, leider immer öfter, wenn ein Mensch gestorben ist. Manchmal schreibe ich einfach so.  Wie geht es Dir? Ich denke an Dich!

Inzwischen habe ich auch verschiedene Tinten, je nach Anlass. Gedeckte Farben bei einem Trauerfall, ein warmes Orange für einen fröhlichen Anlass, ein klares Blau, wenn ich etwas Durchdenken möchte.

Ein Brief ist für mich eine intensive Form des Gesprächs und des Austauschs. Ich nehme mir Zeit für meine Gedanken, ich sehe mein Gegenüber vor mir, es ist mir viel näher als bei einer Whatsapp. Hier und da stockt der Fluss der Tinte, dann wieder reihen sich die Buchstaben schnell aneinander. Meine Gedanken sortieren sich, ich stelle meinem Gegenüber Fragen, nehme Vergangenes auf. Mit der Zeit wird mein Schriftbild ruhiger, weil ich ganz und gar im Schreiben aufgehe. Manchmal wird das Schreiben so auch zu einem Gebet: Ich wünsche Dir, dass es Dir bald besser geht, ich wünsche Dir Gottes Segen für alles, was ansteht.

Die Tintenflecken an meinen Fingern, sie sind mir im ersten Moment ein wenig peinlich.

Ich frage mich aber immer mehr, warum. Im Grunde sind es doch Spuren der Begegnung und des Lebens. Was könnte es Schöneres geben?

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15OKT2025
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Mittwochs ist Wochenmarkttag. In meiner Kindheit war das ein ganz wichtiger Tag, denn meine Eltern haben auf dem Wochenmarkt einen kleinen Stand mit Wurst und Käse betrieben.Den gibt es schon lange nicht mehr, aber meine Liebe zum Wochenmarkt, die ist geblieben.

Gerade jetzt im Herbst schlendere ich gerne über einen Wochenmarkt. Denn dann wird das Kind in mir wieder wach, das dort zwischen den Buden aufgewachsen ist. Ich lasse mich durch die Reihen treiben und sauge die unvergleichliche Wochenmarktluft in mich auf. Diese Mischung von reifen Pflaumen und Trauben, von Rosenduft, Bratwurst, Bauernbrot, Petersilie und würzigem Rosmarin. Ich spüre den Düften nach, freue mich, wenn ich etwas richtig zuordne. Ich sehe mir die Verkäufer an, die oft noch selbst die Erzeuger sind. Ihr Strahlen, ihr Stolz auf ihre Ware, von den Feldern, aus ihren Backstuben. Und mitten in dieser Atmosphäre kommen mir noch mehr Erinnerungen: an den Pflaumenkuchen meiner Oma, immer mit einer riesigen Portion schneeweißer Sahne dazu; Erinnerungen an meinen Vater, wie er sich jedes Mal gegen Mittag, kurz vor Ende der Marktzeit, eine Bratwurst am Stand gegenüber geholt hat. 

Wochenmarkt, das ist für mich die Fülle des Lebens. Eine Ausstellung der guten Gaben Gottes. Ein Ort der Begegnung von Menschen. Eine Explosion der Sinne.

„Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist,“ heißt es einmal in der Bibel. Wenn es einen Ort gibt, an dem dieses Wort zur Wirklichkeit wird, dann ist es für mich der Wochenmarkt. Darum gehe ich so gern dorthin und bin immer wieder neu dankbar für die Fülle und Pracht, die ich da sehen und erleben darf.

Die herrlichen Farben, das leuchtende Orange der Kürbisse, das Rot der letzten Himbeeren, die violetten Herbstastern, goldener Rapshonig, farbenfroher Mangold.

Einen Nachteil hat das Ganze allerdings, ich brauche unendlich lange, bis ich mich entschieden habe, was ich denn nun wirklich als Einkauf mit nach Hause nehmen möchte. Aber eines ist sicher: Am Ende ist nicht nur mein Korb mit Waren voll, sondern auch mein Herz mit wunderbaren Eindrücken.

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14OKT2025
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Letzte Woche haben wir in unserem Haus die Heizung angestellt. Wir machen das jedes Jahr, wenn es nachts kälter als zehn Grad wird. Und in den vergangenen Jahren konnte ich mir sicher sein, dass um diese Zeit und bei diesen Temperaturen Charly Bergmann in unserem Pfarramt auftauchen würde. Es ist ungefähr zehn Jahren her, dass er das erste Mal geklingelt hat und um Geld für eine Jahreskarte des Verkehrsverbundes gebeten hat.

Er meinte damals: „Die Karte ist meine Lebensgrundlage, damit ich überall rumkomme und arbeiten kann“. Charly war obdachlos, aber, wie er immer wieder hervorgehoben hat, nicht arbeitslos. Das tägliche Betteln war für ihn sein Beruf. Er hatte einen festen Stamm von „Kunden“, die er regelmäßig aufgesucht hat, so wie mich zum Beispiel. Und er ist mit einer gewissen Leidenschaft gezielt zu Auftritten von Politikern gegangen. Einmal, weil es dort etwas zu essen gab, und dann, um die Politiker direkt um eine Unterstützung zu bitten. Und so wusste Charly Bergmann zu berichten, welcher Politiker großzügig und welcher aus seiner Sicht ein Geizhals war, und, was ihm noch wichtiger war, wer ihn als Mensch ernst nimmt oder einfach als Obdachlosen in die Ecke stellt. „Weißt du,“ hat er einmal zu mir gesagt, „in der Bibel heißt es: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber schaut ins Herz! Ich kann auch ins Herz der Menschen schauen.“

Charly Bergmann war eine unglaublich treue Seele. Eines Tages kam eine Postkarte von ihm: „Ich feiere meinen Geburtstag! Feierst Du mit mir?“ Keine Frage, da musste ich hin! Was für ein Fest! Charly Bergmann hatte Menschen aus der ganzen Region eingeladen, die ihm wichtig waren. Eine kleine, sehr bunte Truppe. Und er hatte Torten da. Jede Menge herrlichster Torten, denn einer seiner Lebensfreunde war Konditormeister und erfüllte seinem Freund an diesem Tag damit einen Traum. Und so strahlte Charly Bergmann wie ein kleiner Junger.

Im vergangenen Herbst, so um die Zeit, in der man die Heizung einschaltet, ist Charly nicht gekommen. Es musste etwas passiert sein. Doch wo hätte ich ihn erreichen können?  Monate später kam ein Anruf: „Sie waren doch eine Freundin von Charly. Sie waren auf seinem Geburtstag! Charly ist gestorben. Er lag friedlich an seinem Schlafplatz.“

Seine Besuche fehlen mir, er fehlt mir, weil er mir wie kein anderer beigebracht hat, dass das Wichtigste an einem Menschen sein Herz und nicht sein Aussehen ist.

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13OKT2025
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„So ein Mist!“ Ein Mann mit gelber Warnweste steht mitten auf der Straße und leitet alle Autos in eine Nebenstraße um. „Was soll das jetzt?“ Ich will jetzt meine Freundin besuchen, schon auf der Autobahn habe ich im Stau gestanden. Bis zu meiner Freundin sind es nur noch ein paar Minuten, und jetzt stecke ich in dieser Gasse fest. Meine Geduld ist aufgebraucht. Die Zeit verrinnt und mir wird klar: Der Besuch wird nichts werden, kein Spaziergang durch den Park. Ich kann nicht einmal parken, um zu Fuß die letzten Meter zu meiner Freundin zu gehen.  Mein Herz pocht, Ich bin kurz vorm Platzen. Der Mann in dem Auto vor mir ist es bereits. Er steigt aus, rennt nach vorn, kommt wieder und brüllt: „Alles ist gesperrt. Da geht ein Halbmarathon lang. Die Helfer meinen, dass es in einer halben Stunde weitergeht!“ Und schon geht es los: „Absolute Sackgasse ist das hier!“ „Wieso steht nirgends, dass dieser Lauf ist?“  Die Stimmung ist gekippt. Fassungslosigkeit breitet sich aus.

Da kommt von vorn auf einmal ein kleiner Junge, vielleicht zehn Jahre alt. Voller Stolz trägt er seine gelbe Helferweste. Er geht durch die Straße, die zur Sackgasse geworden ist, auf und ab. Man sieht, wie er nachdenkt und dann kommt‘s: „Ihr müsst alle umdrehen! Hört ihr: Alle umdrehen. Dann geht es doch!“ „Das ist eine Einbahnstraße!“ wird da schon dem Jungen entgegen gebrüllt. „Eine Ein-bahn-straße!“ „Hier darf keiner umdrehen!“ „Außerdem ist es zu eng!“

Der Junge stutzt. Er verschwindet und kommt dann mit einem zweiten Helfer wieder: „Ihr seid fünfzehn Autos in dieser Einbahnstraße. Ihr fahrt jetzt alle rückwärts raus. Einer nach dem anderen. Und dann könnt ihr weit um den Marathon rumfahren!“ Sein Kollege sichert die Aktion nach hinten und schon beginnt der Junge, die Autos beim Rückwärtsfahren zu lotsen. Geduldig. Freundlich. Fest von seinem Plan überzeugt. Fünfzehn Autos lotst er so nacheinander. Begabte und unbegabte Rückwärtsfahrer, bis alle aus der Sackgasse raus sind. Irgendwann beginnt er zu lachen und zu strahlen und winkt – bis auch das letzte Auto aus der Sackgasse raus ist.

Dieser Junge hat mich beeindruckt. Ein kleiner Engel, der sich nicht von der Menge hat mitreißen lassen, sondern nach einer Lösung geschaut. Ich hoffe, dass ich mich an ihn erinnere, wenn ich das nächste Mal meine, in einer Sackgasse festzustecken.

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