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12JUL2024
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Wenn ich als Pfarrerin eine Beerdigung halte, dann besuche ich vorher die Angehörigen, und gemeinsam bereiten wir die Feier vor und natürlich auch das, was ich bei der Beerdigung sagen soll. Vor kurzem habe ich zu meinem Erstaunen erlebt, wie eine Verstorbene beim Trauergespräch selbst mitgeredet hat. Und das kam so:

Ich habe eine ältere Dame getroffen, deren Freundin Hertha verstorben war. Hertha hatte keine Verwandten mehr aber einen großen Freundeskreis. Zu meinem großen Erstaunen hat mir nun die Freundin einen Brief vorgelegt. Einen Brief von Hertha. „Zu meiner Beerdigung“ war die Überschrift. Und die Freundin hat mir erklärt, dass Hertha schon seit einigen Monaten gewusst hat, dass sie bald sterben würde. Und dass sie sich deswegen überlegt hatte, aufzuschreiben, was bei ihrer eigenen Beerdigung gesagt werden soll.

Zuerst war ich sehr skeptisch, ob das funktioniert.

In wenigen Zeilen hatte Hertha aufgelistet, was die Stationen ihres Lebens gewesen sind: Schule, Ausbildung, Beruf, Hobbys. Der weitaus längste Teil ihres Briefes handelte dann aber weniger von ihr als von den anderen: „Ich danke dir, Peter, dass du mich immer zum Lachen gebracht hast. Ich danke dir, Renate, dass du mir immer die letzte Rose aus dem Garten gebracht hast. Ich habe sie dann immer in Ehren gehalten. Ich bin dankbar über meine Kolleginnen. Wir waren ein so wunderbares Team.“

So geht das viele Zeilen weiter. Eine große Liste und ausschließlich Danksagungen. Ganz herzlich, ganz liebenswürdig und so berührend!

Ich stelle mir vor, wie Hertha in ihrem Krankenbett sich Schritt für Schritt in Gedanken darauf vorbereitet hat, dass sie nicht mehr gesund werden würde. Sie hat sich aufs Sterben vorbereitet, indem sie noch einmal an alle Menschen gedacht hat, die ihr etwas bedeuten, die ihr beigestanden haben und gutgetan haben. Und offenbar haben sie diese Gedanken mit einer tiefen Dankbarkeit erfüllt. Mir kommt das Wort „abdanken“ in den Sinn. Im guten Wortsinn heißt das ja, dass ich mich verabschiede, indem ich das benenne, wofür ich dankbar bin.

In einem alten Lied in der Bibel denkt ein Mensch über das Sterben nach und sagt zu Gott:
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Ps 90, 12).

Danke, Hertha, dass ich Ihren wunderbaren Brief habe lesen und zum Abschied vorlesen dürfen und dass ich von Ihrer Dankbarkeit lernen durfte!

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11JUL2024
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In manchen Kirchen gibt es Orgeln, die man „Schwalbennestorgeln“ nennt. Sie stehen nicht auf dem Boden oder auf einer Empore, sondern hängen an der Wand. In der Kirche in Oppenheim hat es auch einmal eine gegeben. Leider ist sie im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 zerstört worden. Aber davor hat sie hoch oben an einer Wand über dem Kirchenschiff gehangen. Wie ein Schwalbennest eben. Heutzutage bemüht sich ein Verein darum, dass dieses zerstörte Instrument wieder gebaut wird.

Kürzlich habe ich etwas Interessantes über Schwalben gelernt: Schwalben sind Vögel, die den ganzen Tag über in der Luft sind. Das können sie, weil sie fürs Fliegen körperlich besonders gut ausgestattet sind, zum Beispiel durch die besondere Form des Schwalbenschwanzes. In ihrem Nest sind sie nur zum Schlafen und zum Brüten. Und sogar hier berühren sie niemals den Boden.

Das erklärt mir die Bezeichnung für das Musikinstrument noch besser: Eine Schwalbennestorgel – die schwebt eben auch ihr ganzes Leben lang über dem Erdboden. So wie Schwalbennester an Wänden hoch oben hängen.

Es gibt solche Instrumente in Freiburg und in Frankfurt, in Nürnberg, Straßburg, Köln und Berlin und an ein paar mehr Orten noch.

Es hat einen ganz besonderen Reiz, dass der Klang der Schwalbennestorgeln von hoch oben und irgendwie aus dem Himmel kommt.

Wenn ich wie so eine Schwalbe die ganze Woche unterwegs gewesen bin, zum Beispiel bei einer Reise, genieße ich es, in einer Kirche einen Moment auszuruhen. Und wenn dann von der Orgel hoch oben Musik erklingt in einem Konzert oder weil eine Organistin gerade übt, dann erinnert mich das daran, dass meine Seele geborgen ist und Ruhe findet bei Gott wie die Schwalbe in ihrem Nest. Und immer auch ein bisschen mit gutem Abstand zu dem, was unten auf dem Boden alles los ist.

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10JUL2024
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Manchmal sind Menschen untröstlich. Meine Freundin Andrea hat vor einiger Zeit ihren Mann verloren. Ganz plötzlich war er gestorben. Das ist nun schon drei Jahre her, aber Andrea trauert noch immer sehr um ihn. Sie schreibt mir in einem Brief, dass andere Menschen damit nicht zurechtkommen, dass sie noch immer so traurig ist. Sie geben ihr deswegen Ratschläge: Sie solle sich helfen lassen von einem Psychologen oder solle sich Tabletten verordnen lassen, die ihre Stimmung aufhellen. Mancher erinnert sie daran, dass sie eine gläubige Christin ist. Da müsste doch der Glaube sie trösten. Andere mahnen zu Geduld und sagen ihr „Die Zeit heilt alle Wunden.“

Andrea ist ziemlich verzweifelt, weil die Zeit bei ihr offenbar bisher gar nichts geheilt hat und weder ein Psychologe noch der Glaube noch die Apotheke ihr aus der tiefen Traurigkeit herausgeholfen haben.

„Meine Seele will sich nicht trösten lassen.“ Schreibt Andrea, und ich denke mir, wenn sie ihren Schmerz loslassen würde, dann wäre das, als würde sie ihren Mann irgendwie noch einmal verlieren.

So schmerzlich es ist: Ihre Traurigkeit ist ihr Weg, durch den sie mit ihrem Mann verbunden bleibt. Alle gutgemeinten Ratschläge können da nicht helfen. Auch wenn ich ihr noch so sehr wünschen würde, dass es leichter für sie werden darf.

„Meine Seele will sich nicht trösten lassen.“ (Ps 77, 3b) In einem alten Lied in der Bibel findet sich dieser Satz. Der Mensch, der das betet, kann nicht schlafen vor Kummer, liegt unruhig in seinem Bett und fragt sich, ob Gott ihm irgendwann wieder helfen wird.

Er erinnert sich an Geschichten, die davon erzählen, wie Gott geholfen hat. An Hoffnungsgeschichten.  Das scheint seine Trauer nicht wegzunehmen; aber er kann er sie damit besser aushalten. Mit Geschichten voller Hoffnung, dass Gott auch ihn nicht vergisst, selbst in seiner Traurigkeit. Davon will ich Andrea erzählen: Von einem, dessen Seele untröstlich war und der dafür Kraft gefunden hat und anderen so viel Tröstliches zu sagen hatte.

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09JUL2024
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Ein Kuss ist etwas Besonderes. Meistens etwas sehr Intimes und Persönliches. Und er kann sehr viel bedeuten. Bei der Hochzeit küsst sich das Brautpaar. Eltern küssen ihre Kinder; und wenn Kinder größer werden und sich irgendwann ein erstes Mal verlieben – dann werden sie ihren „ersten Kuss“ wahrscheinlich nie vergessen.

Auch Christen sollen einander küssen, fordert die Bibel immer wieder. Denn ein Kuss ist in biblischer Zeit eine weit verbreitete Form gewesen, um sich zu begrüßen: Etwas Formelles, das gleichzeitig eine besondere Form von Nähe ausgedrückt hat. „Grüßt einander mit dem Heiligen Kuss!“, schreibt der Apostel Paulus an die Christen in Rom (Röm 16,16). Und damit hat er gewiss nicht so einen Kuss gemeint wie bei einer Hochzeit. Sondern auch einen, der formal ist und gleichzeitig große Nähe zum Ausdruck bringt. Christen sind in Christus verbunden und einander nah – und sollen so friedlich miteinander umgehen, dass sie sich küssen können.  Lange haben sich Christen im Gottesdienst geküsst. Erst im Mittelalter war das der Amtskirche eine Zeitlang nicht mehr recht.

Und hat deshalb die „Kusstafel“ erfunden. Das waren Tafeln aus Holz, Elfenbein, aus Kristall, Silber oder Gold, die jeder Gottesdienstbesucher geküsst und dann an seinen Nebenmann oder seine Nebenfrau weitergegeben hat. Geküsst wurde also nur noch symbolisch. Mancherorts hat man solche Tafeln „Pax“ genannt – Friede. Weil es dabei um den Friedenskuss ging: Ich grüße und küsse dich und wünsche dir Frieden.

Und irgendwann hat man solche Tafeln auch benutzt, wenn irgendwo Streit ausgebrochen war. Und wenn eine Familie sich mit einer anderen wieder versöhnen wollte, dann hat sie eine Friedenstafel verschickt, um eine Versöhnung damit vorzubereiten.

Eigentlich schade, dass es diesen Brauch heutzutage nicht mehr gibt. Wie hilfreich könnte es sein, wenn manche Familien oder gar ganze Nationen sich solche Kusstafeln zuschicken würden. Und damit sagen würden: Ich suche Deine Nähe und Dein Vertrauen – und gebe Dir den Kuss des Friedens.

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08JUL2024
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Wenn wir in der Kirche ein Kind taufen, dann sind auch seine Paten mit dabei. Und die Patinnen und Paten versprechen, dass sie es begleiten auf dem Weg zum Glauben. Das ist ein großes Versprechen. Ich kenne viele Menschen, die ihr Patenamt sehr ernst nehmen und sich um einen guten Kontakt zu ihrem Patenkind bemühen. Aber ob sich die Kinder darüber auch Gedanken machen? Darüber habe ich bisher noch gar nicht nachgedacht.

Aber vor kurzem hat mir ein Freund einen alten Brief gezeigt: In der alten deutschen Süterlin-Handschrift geschrieben und bestimmt schon hundert Jahre alt. Der Brief ist in sauberer Handschrift auf inzwischen ziemlich vergilbtem Papier geschrieben. Die wahrscheinlich 14 Jahre alte Luise schreibt darin an ihre

„Geliebte Taufpatin!
Der wichtige Tag rückt heran, an dem ich durch die heilige Konfirmation in die Zahl der evangelischen Christen aufgenommen werden soll, und ich empfinde es als heilige Pflicht, Ihnen meinen innigsten Dank abzustatten für alles Gute, das Sie mir erwiesen haben.
Es ist mein innigster Wunsch, daß Gott der Herr Ihnen reich vergelte, wie Sie an mir so liebreich gethan haben und Ihnen ein langes Leben, dauernde Gesundheit und Wohlergehen schenke.Um Ihr fernes Wohlergehen bittet,
Ihr dankbares Patenkind
Luise (…)“

Ich habe mir Luise vorgestellt – eine Teenagerin vor hundert Jahren – wie sie dasitzt und sorgfältig schreibt. Vielleicht hat der Pfarrer geholfen. Oder vielleicht haben ihr die Eltern gesagt, was sie schreiben soll. Selbst wenn es ein von einem Erwachsenen diktierter Brief gewesen ist: Mir gefällt die Haltung in diesem Brief: Das Patenkind Luise bedankt sich für den guten Kontakt zu ihrer Patentante, der ihr gutgetan hat. Jetzt, wo sie mit der Konfirmation selbst Verantwortung für ihren Glauben übernimmt, würdigt sie das, was die Patin für sie getan hat.

Der Brief ist feierlich. Er erzählt von der Liebe der beiden und davon, dass das Patenkind für die Patentante betet. Schade, dass solche Briefe aus der Mode gekommen sind. Denn es ist so schön, wenn wir uns das sagen oder schreiben: Danke. Ich liebe Dich. Und ich bete für Dich.  

Ich finde, auch heute noch haben Menschen, die das Patenamt übernehmen und liebevoll erfüllen, einen solchen Brief verdient.

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05JUL2024
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Schwimmbadpommes sind für mich einfach die besten Pommes, am liebsten eine große Portion mit ordentlich Ketchup und Mayo. Ich esse Pommes eigentlich immer gern. Aber im Freibad schmecken sie ganz besonders gut. Vielleicht ist es dieser besondere Mix aus frischer Luft, Sonnencremeduft und Chlor, der Schwimmbadpommes so unwiderstehlich macht. Oder vielleicht lechzt mein Körper nach Kalorien, die er nach einem langen Tag mit Schwimmen und Rutschen dringend braucht.

Diese Kombination aus einem bestimmten Ort und einer Sache, die für mich dort besonders gut oder intensiv ist, kenne ich auch in anderen Zusammenhängen. Zum Telefonieren gehe ich zum Beispiel am liebsten nach draußen. Ich laufe meistens eine ganz bestimmte Route, auf der ich nicht so vielen Leuten begegne. Unterwegs freu ich mich an den Feldern und dem schönen Ausblick. Und ich merke, dass ich dort draußen auf meinem Weg freier sprechen kann. Und ich kann meinem Gegenüber auch besser zuhören.

Ort und Stimmung sind auch für mein Glaubensleben wichtig: Ich gehe nämlich ganz klassisch zum Beten gern in eine Kirche. Ich glaube schon, dass Gott mich jeden Tag begleitet und bei mir ist. Und dass ich deshalb auch überall beten kann. Im Bett, im Auto oder am Schreibtisch. Aber so ganz in Ruhe kann ich beten, wenn ich dafür in eine Kirche gehe. Ich rieche das Wachs der Kerzen, die andere Leute vor mir angezündet haben. Vielleicht schwebt auch noch ein Hauch von Weihrauch durch das Kirchenschiff. Die Sonne bricht sich in den bunten Fenstern. Vielleicht spielt sogar jemand Orgel. Ich suche mir einen Platz irgendwo in den Kirchenbänken. Und dann setze ich mich einfach und fahre innerlich runter. Und auch hier ist es wieder meine Umgebung, die mich das Ganze intensiver erleben lässt. Es ist die besondere Mischung aus Düften, Licht und Einrichtung, die dafür sorgt, dass ich in Kirchen schnell ins Gebet finde und das Gefühl habe, dass Gott mir hier besonders nahe ist. Natürlich klappt das nicht immer und es gibt Tage, da spüre ich nichts von Gottes Nähe. Aber Ort und Atmosphäre helfen mir oft beim Runterkommen und Kraft tanken.

Ich bin froh, dass ich immer wieder spüre, was mir guttut: in einer Kirche, beim Telefonieren oder im Schwimmbad. Dass ich weiß, wie ich am besten mit Gott zur Ruhe komme. Wie ich aufmerksam zuhören und selbst erzählen kann. Oder an welchem Ort die Pommes unvergleichlich lecker sind.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

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04JUL2024
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Mein Bruder ist Förster und sieht den Wald mit ganz anderen Augen als ich. Wenn ich im Wald bin, höre ich die Vögel zwitschern, sehe wie das Licht durch die Baumkronen bricht und finde das einfach idyllisch. Doch mein Bruder sieht überall um sich herum Entscheidungen, die Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte zurückliegen. Denn im Wald ist vieles gestaltet und ganz bewusst gelenkt worden. So haben die Vor- und Vorvorgänger meines Bruders einmal entschieden, welche Baumarten es geben soll oder wo im Bestand etwas gefällt wurde, damit bestimmte Pflanzen besser wachsen konnten. Mein Bruder weiß haargenau: Im Wald dauert es oft viele Jahrzehnte, bis man sieht, ob eine Entscheidung weise und richtig war oder ob sie in die falsche Richtung geführt hat.

Ich bin beeindruckt, dass auch mein Bruder solche Entscheidungen trifft, von denen er wahrscheinlich selbst nicht mehr erleben wird, ob der Plan dahinter einmal aufgeht oder nicht. Zwei Dinge helfen ihm dabei: Er macht sich ein gründliches Bild der Lage, bevor er dann sorgfältig nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet. Und außerdem vertraut er darauf, dass seine Kollegen vor ihm das damals auch so gemacht haben. Und dass seine Förster-Nachfolger einmal verstehen werden, welches Ziel er mit seiner Arbeit im Wald hatte. Und dass sie das in guter Weise weiterführen oder anpassen, wenn etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommt.

Von der Art, wie mein Bruder im Wald Entscheidungen trifft, kann ich viel lernen, zum Beispiel für die Kindererziehung: Auch hier tut es gut, wenn Erwachsene sorgfältig entscheiden, weitsichtig sind und viel Geduld mitbringen. Denn es dauert oft Jahrzehnte, bis man sieht, wie sich entwickelt, was man gesät hat. Und wenn die Kinder später groß sind, will ich ihnen vertrauen und sie loslassen können. Vertrauen, dass meine Kinder später als Erwachsene selbst überlegt handeln und ihr Leben gelingen wird. Da kann es gut sein, dass ich vielleicht nicht verstehe, warum sie etwas tun. Aber ich kann darauf zählen, dass sie dafür gute Gründe haben und dass sie aus der Situation das Beste machen wollen.

Das wünsche ich mir: Dass ich es ab und zu schaffe, in Ruhe und sorgfältig zu entscheiden und dass ich dann auch mit Vertrauen in Richtung Zukunft loslasse. So wie mein Bruder als Förster im Wald.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

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03JUL2024
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Da ist er, der Gipfel! Meine Familie und ich sind ziemlich außer Puste. Gleichzeitig sind alle stolz, dass wir am Ziel unserer Bergtour angekommen sind. Doch bevor wir die Aussicht von hier oben genießen und es die wohlverdiente Vesperpause gibt, stellen wir uns alle ums Gipfelkreuz und machen ein Selfie fürs Familienalbum. Wir haben zwar schon eine Menge solcher Fotos, aber wir sammeln trotzdem gerne weiter. Denn Gipfelkreuze sind immer etwas Besonderes, auch wenn es so viele davon gibt. Allein in den West- und Ostalpen zieren rund 4.000 davon die Berggipfel.

Gipfelkreuze markieren einen höchsten Punkt, aber nicht nur das. Sie zeigen an, dass man es nach langer Wanderung endlich geschafft hat. Sie gehören zum Bergpanorama einfach dazu, so wie Kühe oder Almhütten. Die ersten Gipfelkreuze wurden schon im Mittelalter aufgestellt. Im 20. Jahrhundert gab es dann eine richtige Blütezeit: Denn nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten viele Gemeinden Gipfelkreuze, um der Gefallenen zu gedenken oder als Dank dafür, dass Männer wieder nach Hause zurückgekehrt sind. Und so gibt es heute in manchen Regionen kaum einen Berg ohne Kreuz.

Ich schaue mir unser Familienselfie nochmal an und sehe, wie wir alle ziemlich geschafft und gleichzeitig glücklich aussehen. Und hinter uns das Gipfelkreuz. Es zeigt erstmal, dass wir gemeinsam eine anstrengende Herausforderung gemeistert haben. Außerdem ist es als Kreuz ein Zeichen für meinen Glauben und meine Beziehung zu Gott. Und dann bin ich auch beeindruckt davon, dass es Menschen gab, denen es offenbar wichtig war, dass hier ein Kreuz steht. Die dafür gespendet haben oder selbst Material hier raufgebracht und mitgebaut haben. Bergkreuze faszinieren mich einfach, weil in ihnen so viel steckt.

Kein Wunder also, dass ich auf dem Foto mit dem Gipfelkreuz so strahle. Und dazu kommt noch was anderes, was ich jedes Mal erlebe, wenn ich auf einem Gipfel stehe. Ich fühle mich erhaben und werde gleichzeitig demütig, weil ich im Vergleich zu diesem riesigen Berg so klein bin. Oben auf dem Gipfel ist es ruhiger, ich fühle mich dem Himmel ein Stück näher und ich bekomme eine neue Perspektive. Sie lässt mich anders auf meinen Alltag blicken und ich erkenne, dass es noch so viel mehr gibt, als die Probleme oder Sorgen, die sich so oft in den Vordergrund schieben.

Diese Gedanken nehme ich gerne vom Berg oben mit runter für den Rückweg ins Tal. Und unser Familienfoto vor dem Gipfelkreuz erinnert mich daran.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

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02JUL2024
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Heute, genau um Mitternacht, ist Halbzeit. Dann ist die erste Hälfte des Jahres vorbei und die zweite bricht an. 2024 ist ein Schaltjahr, also sind heute Nacht 183 Tage vergangen und genauso viele kommen noch. Jahresrückblicke kenne ich aus dem Dezember. Doch mitten im Sommer hat so ein Blick zur Halbzeit auch was für sich. Dann kann ich auf die erste Jahreshälfte zurückblicken, und gleichzeitig kann ich überlegen, was das zweite Halbjahr noch bereithalten mag.

Der große Experte in Sachen Rückblick ist für mich Ignatius von Loyola. Er hat im 16. Jahrhundert in Südeuropa gelebt und ist der Gründer des Jesuiten-Ordens. Ignatius hat jeden Abend auf seinen Tag zurückgeschaut. Das war ein wichtiger Teil seiner Spiritualität. Schon vor 500 Jahren war das eine echte Achtsamkeitsübung und noch heute beten viele Menschen nach seinem Vorbild das sogenannte „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“.

Dieser Rückblick geht so: Zuerst werde ich still und bitte Gott darum, dass ich offen bin, damit ich nüchtern und ehrlich auf mein Leben schauen kann. Dann gehe ich meinen Tag Stunde für Stunde durch. Ich erinnere mich daran, wo ich war, wen ich getroffen und was ich gemacht habe. Wie war das für mich? Eher befreiend und leicht oder hat es runtergezogen? Das, was ich jetzt empfinde, gebe ich Gott. Das, was mich belastet, kann ich so vielleicht besser loslassen. Und für das Gute kann ich dankbar sein.

Dann schaue ich auf den kommenden Tag. Wovor habe ich Angst? Und worauf freue mich ich schon so lange? Was sind die nächsten Schritte? Ich bitte Gott, dass er segnet, was kommt und um Kraft, wenn es für mich mühsam und schwer wird.

Das tut abends gut und ordnet, was an Erlebnissen und Gedanken in mir ist. Und heute – genau in der Mitte dieses Jahres – schaue ich weiter zurück und lasse den Blick über die letzten Monate schweifen. Was hab ich dieses Jahr schon erlebt und geschafft? Was war einfach wunderbar?  Was belastet mich noch? Was sind Meilensteile und was ist noch offen? Und ich schaue nach vorn. Was die nächsten sechs Monate wohl kommt? Manches kann ich schon erahnen, doch bestimmt wird mich auch Vieles kräftig überraschen.

Heute Abend bete ich passend zur Mitte des Jahres so: Gott, bitte segne mein Jahr. Alles, was in der ersten Hälfte schon war, und auch die zweite Jahreshälfte. Segne die Menschen, die mir begegnen. Begleite mich, wenn ich enttäuscht werde, wenn ich mich über etwas freue und bei allen anderen Abenteuern. Amen.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

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01JUL2024
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Ist das Bad geputzt? Habe ich überall staubgesaugt? Und haben wir genug von den hübschen Tellern?

Das geht mir durch den Kopf, wenn wir Besuch bekommen. Denn ich will, dass es unsere Gäste schön haben. Dass sich alle wohlfühlen. Und zum Essen oder Trinken soll es ja auch was Besonderes sein. Sind eigentlich schon Getränke kaltgestellt?

So helikoptere ich durch die Wohnung, bis der Besuch endlich da ist. Ich muss zugeben: Als Gastgeber bin ich ganz schön angespannt.

In der Bibel gibt es eine Gastgeberin, die ähnlich tickt wie ich. Die Frau heißt Martha und ihr gibt Jesus einen Ratschlag, der es für angespannte Gastgeber in sich hat.

Die Episode geht so: Jesus besucht Martha und ihre Schwester Maria. Die beiden wohnen zusammen. Maria setzt sich zu Jesus und hört ihm zu. Ganz anders Martha. Sie wirbelt durchs Haus und ist völlig davon eingenommen, dem hohen Besuch einen würdigen Empfang zu bereiten. Alles muss stimmen. Doch dann ist sie irgendwann genervt davon, dass ihre Schwester Maria ihr nicht hilft. Prompt sucht Martha Unterstützung bei Jesus. Nach dem Motto: „Das findest du doch auch nicht ok, dass meine Schwester nichts tut. Sag doch mal was.“ Aber Jesus bleibt cool und meint: „Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“

Na super – da erhofft sich Martha Unterstützung und will bestätigt werden für das, was sie alles hinkriegt. So liebevoll, fleißig und voller Mühe. Und dann kommt Jesus mit so einem Spruch. Der hätte mich an Marthas Stelle völlig auf die Palme gebracht. Doch ich ahne, worauf Jesus vermutlich hinaus will: Maria ist ganz bei ihrem Besuch. Das ist wohl das, was Jesus „notwendig“ nennt. Maria steht nicht dauernd auf oder überlegt, was noch zu tun ist. Sie kostet die Zeit mit ihrem Gast aus.

Davon kann ich mir als angespannter Gastgeber eine Scheibe abschneiden. Natürlich hab ich mir beim Backen Mühe gegeben und der Kuchen ist lecker geworden. Aber jetzt ist es wichtig, dass ich mir Zeit nehme, ihn zusammen mit meinen Gästen zu genießen.

Ganz beim Anderen sein: Das ist das „Notwendige“, „der gute Teil“, den Maria gewählt hat. Und der umtriebigen Gastgeberin Martha, und auch mir, tut es sicher gut, wenn ich es schaffe, irgendwann mit dem Wirbeln aufzuhören. Und wenn ich schlicht und einfach „da bin“.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

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