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SWR1 Begegnungen

18JUN2023
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Sr. Faustina Niestroj Foto: Manuela Pfann

… und mit Schwester Faustina Niestroj. Ich treffe mich mit der Ordensfrau und Kirchenmusikerin in der Bischofsstadt Rottenburg am Neckar. Sie erzählt mir vom Projekt „Friedensglocken für Europa“. Es geht um Glocken, die seit über 70 Jahren in katholischen Kirchen in Württemberg läuten – aber dort gehören sie eigentlich nicht hin. Die Geschichte dieser Glocken führt zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Nationalsozialisten hatten damals zehntausende Glocken von Kirchtürmen geraubt; um sie einzuschmelzen und Waffen daraus zu machen. Nur einige wenige Glocken sind nach Kriegsende erhalten geblieben. Die hat man an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben. Bis auf die Glocken, die im heutigen Polen oder in Tschechien mitgenommen wurden.

Diese Glocken konnten nicht zurückgegeben werden aufgrund des Eisernen Vorhangs und wurden leihweise hier den Gemeinden in Deutschland angeboten und auf die Kirchtürme aufgehängt.

Und dort läuten sie bis heute. Unter anderem in katholischen Kirchen, die hier nach dem Krieg neu gebaut wurden.

Und das war eigentlich eine schöne Geste, dass man gerade da, wo viele Vertriebene zu verzeichnen waren, hat man sich bemüht, ihnen so eine Glocke zur Verfügung zu stellen. … So war es auch zum Beispiel in Esslingen-Oberesslingen.

Die Glocken aus Esslingen werden jetzt in ihre Heimat zurückgebracht, nach Polen. Sr. Faustina hat diese Reise vorbereitet. Für das Projekt ist die polnisch-stämmige Ordensfrau eine glückliche Fügung, sie spricht beide Sprachen und hat zwei Länder als Heimat im Herzen. Sie freut sich auf die Reise …

… und natürlich freue ich mich für das Projekt, dass endlich nach vielen, vielen Jahren der Vorbereitungen und Planungen die Glocken wirklich zurückgehen.

Geboren wurde die Idee für das Projekt nämlich schon vor mehr als zehn Jahren. Damals kam der Zufall zur Hilfe. Als der Kirchturm des Doms der Diözese Rottenburg-Stuttgart renoviert wurde, hat man eine Glocke entdeckt, die nicht in das Geläut hineingepasst hat.

Das war damals eine Glocke aus Gorzów Śląski, Landsberg, in der Diözese Oppeln. Und Bischof Fürst hat 2011, die Initiative ergriffen und wollte diese Glocke an ihren Ursprungsort zurückgeben. Das ist auch geglückt und es war so eine überwältigende Erfahrung, dass er anschließend gesagt hat, falls es weitere solche Glocken gibt, möchte er alle zurückgeben.

Und genau das soll in den kommenden Jahren geschehen. Das Glockenteam der Diözese hat mittlerweile alle Kirchtürme besichtigt und überprüft und insgesamt mehr als 60 Glocken gefunden.

Die meisten Gemeinden haben gar nicht geahnt, dass bei ihnen im Turm eine ganz andere Glocke hängt. Und genauso in Polen. Die Menschen wussten nichts mehr vom Verbleib dieser Glocke. Gibt es sie noch? Existiert sie noch irgendwo?

Umso größer ist jetzt die Freude in Straszewo. In der kleinen Gemeinde in der Nähe von Danzig wird die 300-Kilo-Glocke aus Esslingen kommendes Wochenende ihre neue und alte Heimat finden. Die Feuerwehr der Gemeinde ist bei der offiziellen Übergabe in der Kathedrale vor Ort.

Sie haben einen Wagen dabei und werden nach der Übergabe die Glocke gleich verladen und in ihren Ort fahren und sind richtig stolz darauf, dass die Glocke zurückkommt.

Noch heute läuten Kirchenglocken aus Polen und Tschechien in katholischen Kirchen in Württemberg. In den kommenden Jahren sollen sie an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben werden. Sr. Faustina Niestroj stammt aus Polen und arbeitet für das Projekt „Friedensglocken für Europa“. Für sie geht es es dabei um viel mehr als die Übergabe von Glocken.

Wichtig ist, dass wir uns aufeinander zubewegen, dass wir in Dialog treten, dass wir wirklich Beziehungen knüpfen zwischen den Völkern, dass wir uns besser kennenlernen. Wir sehen, wie wichtig das ist.

Nicht nur heute. Es geht auch, immer noch, um die Vergangenheit und das Thema Versöhnung. Für mich ist das schwer vorstellbar, seit Kriegsende sind ja schon beinahe 80 Jahre vergangen. Da erzählt mir Sr. Faustina von einem alten Mann aus Tschechien, der schon lange in Deutschland lebt. Er hat als Kind, miterlebt, wie die Nationalsozialisten Glocken in seiner Heimat abgenommen haben. Sie sagt, der Mann war total gerührt…

… von dieser Initiative, von diesem Projekt, dass es so etwas gibt, dass er das noch erleben darf, dass diese Geschichte, diese ungerechte Geschichte und sehr schmerzliche Geschichte, wie er sie in seinem Leben erfahren hat, doch eine Wende genommen hat und eine Heilung hier erfährt.

Gleichzeitig nimmt Sr. Faustina wahr, dass junge Leute in ihrer Heimat mit dem Thema „Versöhnung“ ganz anders umgehen. Die sagen ihr:

Wir brauchen keine Versöhnung in dem Sinne, weil wir keine Feinde sind. das sind offene Menschen, die eigentlich für die internationalen Beziehungen ohnehin sehr, sehr offen sind.

Sr. Faustina Niestroj lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Durch ihr Engagement im Projekt „Friedensglocken“ erlebt sie selbst auf neue Weise, was Heimat ausmacht:

Ich merke, dass sich vieles verändert, dass die Zeit weitergeht. Die Menschen wandeln sich auch … Aber dennoch gibt es etwas, was bleibt. Etwas, was einfach dazugehört, wo man spürt: Aha, das ist einfach die Heimat, das ist etwas, was es nur dort gibt.

Auch der Klang einer Kirchenglocke kann Heimat schenken. Trotz der schmerzlichen Geschichte, die mit diesen Glocken verbunden ist - ich finde es eine schöne Vorstellung, dass es jetzt zwei Gemeinden gibt, die eine gemeinsame Heimat haben. Damit endet die Geschichte der Glocken aber nicht. Denn für jede Glocke, die in ihre Herkunftskirche zurückkehrt, wird eine neue gegossen, eine Friedensglocke. Eine Taube ist darauf abgebildet, sie erinnert an Noah und das Ende der Flut und daran, dass Gott mit den Menschen Frieden schließt. Und ein Kranz mit zwölf Sternen steht für die Muttergottes und gleichzeitig für die Europäische Union.

Ich glaube, es gibt leider nicht den Zeitpunkt, wo wir sagen können wir haben den Frieden, es genügt. Wir brauchen nichts mehr tun.

Sr. Faustina hat in Polen selbst erlebt, wie lange es dauert, bis Versöhnung möglich ist, bis man sich wieder vertrauen kann. Der Ukraine-Krieg hat dem Projekt Friedensglocken jetzt auf traurige Weise Aktualität verliehen, sagt sie zum Ende. Und deshalb es ist ihr sehr wichtig festzuhalten,

dass ein Frieden zwischen den Völkern wirklich auch mit Engagement, nicht selten mit einer gewissen Mühe verbunden ist und dass wir nie nachlassen dürfen in den Bemühungen um Abbau jeglicher Vorurteile, um neue Offenheit füreinander und Abbau von nationalistischem Denken und ja, wirklich Verständnis für die Völker innerhalb von Europa.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17JUN2023
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Meine Mutter hat diese Woche mit ihrer Freundin telefoniert; mit Lotte. Die lebt im Osten von Deutschland. Lotte ist eine Freundin aus Kindertagen. Die beiden haben auch dieses Mal davon gesprochen, wie das war, als sie sich für sehr lange Zeit zum letzten Mal gesehen haben.

Das war kurz vor dem 17. Juni 1953. An diesem Tag gab es einen Aufstand in der damaligen DDR. Die Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone hatte sich gewehrt. Gegen schlechte Lebensbedingungen, gegen Enteignung und gegen die SED-Diktatur. Viele haben schon vorher gespürt, da liegt was in der Luft, die Situation wird schlimmer und deshalb haben sie versucht zu fliehen. Genau das war auch der Plan meiner Oma. Für sie und ihre drei Kinder hatte sich die Lage damals auf besondere Weise zugespitzt: Die Staatssicherheit hatte mitbekommen, dass die Familie katholisch ist und heimlich Gottesdienst feiert. Christen wurden in der DDR genau beobachtet, meine Mutter und ihre Geschwister wurden in der Schule deswegen sogar verhört.

Darum hat meine Oma geplant, aus ihrem Dorf zu fliehen. Alles musste heimlich geschehen. Wer erwischt wurde, der wurde eingesperrt, „Republikflucht“ lautete der Vorwurf. An jenem Tag also stand meine Mutter mit ihrer Mutter am Bahnsteig. In der Tasche die Ticktes nach Berlin. Die beiden großen Geschwister waren schon vorausgefahren. Kurz vor der Abfahrt dann eine Schrecksekunde; Lotte ist auch am Bahnhof, zufällig, und will mit ihrer Mutter in die nächste Stadt, einkaufen. Sie freut sich, ihre Freundin zu sehen und fragt: „Wohin fahrt ihr?“ Meine Mutter beißt sich auf die Lippen und antwortet ganz kurz: „Nach Berlin, zu Tante Martha, heute Abend kommen wir zurück“. Die Rückfahrtickets hatte meine Oma tatsächlich in der Tasche.

Knapp zwei Stunden später hatten sie es geschafft: Berlin, amerikanische Zone. Der Kontrolleur hat keinen Verdacht geschöpft. Sie waren extra ohne Koffer gefahren und hatten alles zurückgelassen an diesem Tag kurz vor dem 17. Juni 53. Bis meine Mutter ihre beste Freundin Lotte wiedersieht, wird es mehr als 30 Jahre dauern.

Meine Oma ist mit ihren Kindern damals von Ost- nach Westdeutschland geflohen. Heute fliehen Menschen aus der ganzen Welt zu uns. Es ist egal, von wo aus sich jemand auf den Weg macht, für alle gilt: Es braucht Mut, um zu fliehen und es ist schwer, neu anzufangen. Und, davon bin ich überzeugt: Niemand verlässt seine Heimat einfach so. Denn er lässt immer jemanden zurück. 1953 genauso wie 2023.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16JUN2023
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Auf der Bundesgartenschau gibt es einen Acker. Dort stehe ich und denke an das Vater Unser. Und zwar an die Zeile: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Wenn Christen das beten, geht es um zwei Dinge; zum einen: Ich vertraue auf Gott, dass er mir das gibt, was ich jeden Tag zum Leben brauche. Zum anderen ist diese Zeile eine Mahnung, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen; und an die Menschen zu denken, die nicht wissen, wo sie ihr tägliches Brot herbekommen sollen.

Der Acker auf der Bundesgartenschau in Mannheim heißt: Weltacker. 2000 m² groß, also etwa 50 Meter lang und 40 Meter breit. Die Größe ist wichtig, weil darin eine Information steckt: Würden wir die gesamte Ackerfläche unserer Welt gerecht unter allen Menschen aufteilen, dann müssten jedem genau diese 2000 m² zur Verfügung stehen. Und darauf müsste alles wachsen, was wir zum Leben brauchen.

So ist es aber nicht. Die Ackerfläche ist eben nicht gerecht aufgeteilt. Wir in Deutschland verbrauchen durch unseren Lebensstil mehr als doppelt so viel Ackerland, wie jedem von uns zustehen würde. Wir nutzen dazu Ackerland in Afrika und Asien, zum Beispiel für Soja, Kaffee oder Palmöl. Das hat Konsequenzen, weil diese Fläche der lokalen Bevölkerung dann nicht zur Verfügung steht! Wir nehmen ihnen also durch unseren Verbrauch ihr Land weg!

Auf dem Weltacker ist noch etwas sehr anschaulich zu sehen. Die Hälfte der Mannheimer-Acker-Fläche ist mit Getreide bepflanzt, mit Mais, Weizen, Reis und Gerste. Das entspricht genau den Verhältnissen auf der Welt. Jetzt könnte man glauben, dann müssten doch eigentlich alle satt werden. Nein, so ist es eben nicht. Denn abgesehen vom Reis, wird der größere Teil des Getreides an Tiere verfüttert oder man macht Treibstoff oder Energie daraus. Hungrige Menschen, die haben davon nichts.

Als ich auf diesem Weltacker gestanden bin, war mir selten so klar, wie ungerecht Nahrung auf der Welt verteilt ist. Und meine Zweifel sind groß: Wie soll sich das jemals ändern? Gleichzeitig macht mir Hoffnung, was ich dort erlebe: Es sind vor allem junge Leute, die Besucher über den Acker führen; Schüler sehen ganz genau, wieviel Ackerfläche ein Hamburger benötigt. Eine junge Gärtnerin probiert auf dem Acker etwas Neues aus – sie pflanzt Reis an, der wenig Wasser braucht.

Unser tägliches Brot gib uns heute. Keine Frage, dankbar zu sein, für das, was wir haben, ist wichtig. Aber das Vater Unser will mehr: es fordert uns auch dazu auf im Blick zu behalten, wie ungerecht Nahrung verteilt ist.

 

https://www.2000m2.eu/de/
https://www.deab.de/themen-programme/weltacker-und-weltgarten

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15JUN2023
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In wenigen Tagen sind vier große Kirchenglocken wieder zuhause. Nach über 80 Jahren treten sie die Heimreise an. Bis vor kurzem haben diese Glocken noch in Kirchengemeinden in Württemberg geläutet, zwei davon in Esslingen am Neckar. Nun geht es über 1000 Kilometer in Richtung Osten. Vier Kirchengemeinden in Polen sind das Ziel. Dort werden die Glocken mit großer Freude erwartet. Sie kehren als Friedensglocken zurück.

Genau so heißt das Projekt der katholischen Kirche in Württemberg, „Friedensglocken für Europa“. Im Rahmen dieser Initiative werden in den kommenden Jahren rund zwei Dutzend Glocken zurückgegeben; alle an Gemeinden in den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Die Nationalsozialisten hatten dort im zweiten Weltkrieg zehntausende Glocken von Kirchtürmen geraubt. Die meisten wurden eingeschmolzen und zu Waffen verarbeitet. Nur einige wenige Glocken sind nach Kriegsende erhalten geblieben. In der Zeit des „Kalten Krieges“ konnten sie aber nicht in die Heimat zurückgebracht werden. Und so landeten sie schließlich als so genannte Leihglocken auch in Kirchtürmen im Südwesten. Dort, wo ebenfalls Glocken nach dem Krieg fehlten, auch in etlichen katholischen Kirchen, die nach dem Krieg neu gebaut wurden – für die vielen Heimatvertriebenen aus Osteuropa. Woher diese Glocken ursprünglich stammten, das wusste man damals nicht.

Heute ist das klar. Weil die Projektgruppe viele Jahre geforscht hat und in allen Glockentürmen in Württemberg nach Hinweisen auf diese Glocken aus Osteuropa gesucht hat. Manche von ihnen sind beschriftet und graviert und haben wichtige Hinweise gegeben. So wissen jetzt beispielsweise die Esslinger Katholiken, dass ihre beiden Glocken richtig alt sind, dass sie der Gottesmutter Maria geweiht sind und im 18. Jahrhundert in Danzig und im damaligen Königsberg gegossen wurden.

Während die schweren Glocken nun nach Polen unterwegs sind, bleiben die Glockentürme in Esslingen und in den anderen Kirchen aber nicht stumm. Denn für jede Glocke, die zurückgegeben wird, wird eine neue gegossen – und diese neuen Glocken tragen Symbole des Friedens. Eine Taube, die an Noah und das Ende der Flut erinnert und daran, dass Gott mit den Menschen Frieden schließt. Ein Kranz mit zwölf Sternen, der auch für die Europäische Union steht. Wenn diese Glocken läuten, geht es um den Frieden. An dem wir hoffentlich ein Leben lang mitarbeiten, und den wir doch nicht aus eigener Kraft zustanden bringen.“

Mit den historischen Glocken kehrt jetzt ein vertrauter Klang in die polnische Heimat zurück. Ein Klang, der lange ausgeliehen war. Und jetzt Menschen, Gemeinden und Länder miteinander verbindet. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen in unruhigen Zeiten.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14JUN2023
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200 Kilometer für ein Antibiotikum. So weit ist mein Bruder gefahren, um das dringend benötigte Medikament für seinen Sohn zu bekommen. Er hat genau das erlebt, was seit Monaten immer wieder Thema ist: Zahlreiche Medikamente sind knapp und einige kaum noch zu bekommen.

Wie kann das bei uns möglich sein? Die Folgen des Krieges spielen eine Rolle, auch die Pandemie. Aber das eigentliche Problem ist älter und viel grundsätzlicher: Verantwortliche im Gesundheitswesen stellen immer noch die falsche Frage! Nämlich: „Wieviel verdiene ich, wenn ich Dich gesund mache?“ Das ist jetzt vereinfacht formuliert. Aber es trifft den Kern des Problems: Die Krankenkassen haben den Pharmaherstellern immer weniger für ihre Arzneimitteln bezahlt; weshalb die ihre Produktionen eingestellt oder nach Asien verlagert haben. Das Ziel: Kosten sparen und Gewinn erwirtschaften. Mit der Folge, dass Medizin dann nicht da ist, wenn sie gebraucht wird.

Was in diesem ganzen System allerdings keine Rolle zu spielen scheint ist: da sind Menschen, die krank sind und Hilfe brauchen; die Sorge um sie, dass sie gesund werden, die scheint an zweiter Stelle zu stehen.

Dazu passt das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Jesus erzählt von einem Mann, der unter die Räuber gefallen ist und halb totgeprügelt wurde. Um zu überleben, brauchte er einen, der stehenbleibt, der sich kümmert. In der Bibel steht: „Als der Samariter ihn sah, wurde er innerlich bewegt; und er trat hinzu und verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge.“ (Lukas 10, 25-37)

Damit noch nicht genug: Weil der Samariter weiterreisen musste, hat er dem Herbergs-Wirt Geld dagelassen, damit der den Verletzten gut pflegen kann. Keine Frage, Medizin kostet Geld. Der Samariter hat es ausgeben, damit der Verletzte gesund wird. Er selbst hatte nichts davon.

Von der Pharmaindustrie erwartet man nicht, dass sie selbstlos oder gar aus reiner Nächstenliebe arbeitet. Dennoch haben auch Arzneimittelhersteller eine Verantwortung. Wer sich um die Gesundheit von Menschen kümmert, der ist dazu verpflichtet.

Der überfallene Mann hatte Glück, weil zufällig einer vorbeikam, der Mitleid hatte und die Not gesehen hat. Mein Bruder hatte Glück, weil unser Cousin Apotheker ist und zufällig genau das richtige Medikament im Schrank hatte.

Aber Menschen sollten nicht zufällig gesund werden oder deshalb, weil ein Konzern mit ihnen gut Geld verdienen kann. Gesundheit zählt zu den Menschenrechten. Deshalb muss die bestmögliche Versorgung immer an erster Stelle stehen!

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SWR4 Abendgedanken

09JUN2023
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Das Kind ist getauft, der Bischof hat die Taufe ausnahmsweise selbst gespendet. Anschließend ist er von den Eltern zum Essen eingeladen. An seiner Seite, wie immer, sein Chauffeur. Die Taufgesellschaft hat ein gutes Lokal ausgesucht. Als der Bischof bemerkt, dass kein Platz für seinen Chauffeur vorgesehen ist, ruft er laut in die Gaststube hinein: „Herr Professor, ja glauben Sie denn, mein Chauffeur hat keinen Hunger?“

Ja, so war er. Bischof Georg Moser. Er hatte die im Blick, die gerne von anderen vergessen wurden. Morgen wäre der gebürtige Allgäuer 100 Jahre alt geworden. Ich habe den ehemaligen Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart nie persönlich erlebt – aber ich kenne zahlreiche Geschichten aus seinem Leben. Und es lohnt sich, sich davon erzählen zu lassen.

Als der Bischof an einem Ort erfährt, dass die alleinerziehende Mutter eines Firmanden große finanzielle Sorgen hat, kümmert er sich nicht nur um Unterstützung. Jedes Mal, wenn er wieder in der Gegend war, hat er sie getroffen und sich erkundigt, wie es ihr und dem Sohn geht[1].

Mein Gemeindepfarrer war Mitte der 80er Jahre Mitglied der Diözesansynode, die Bischof Moser einberufen hatte. Eine Versammlung, die Reformvorschläge für die Kirche erarbeitet hat, ähnlich wie heute der Synodale Weg. Unser Pfarrer war im Arbeitskreis Ehe und Familie. Er hat sich vor allem dafür eingesetzt, dass Menschen, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben, die Kommunion empfangen dürfen und nicht ausgeschlossen werden, wie es die Kirche tat. (Gerade diese Menschen sollten begleitet und nicht diskriminiert werden). Bei der Abschlussveranstaltung sollte unser Pfarrer die theologische Argumentation vortragen. Acht Minuten Redezeit waren dafür vorgesehen. Nach ihm sollte Bischof Moser das Schlusswort sprechen. Und dann ging der Bischof auf unseren Pfarrer zu und sagte zu ihm: „Du kannst auch meine Redezeit haben“. Klarer kann ein Statement nicht sein.

Sehr beeindruckt hat mich, was Bischof Moser bei der Versammlung des katholischen Frauenbundes 1976 in Ulm gesagt hat. Nämlich, dass er sich die Priesterweihe von Frauen grundsätzlich vorstellen könne. Denn es gäbe keine unüberwindbaren theologischen Gründe.[2] Das ist jetzt fast fünfzig Jahre her! Ja, Bischof Moser war seiner Zeit weit voraus.

Ich verstehe gut, was seinen Blick für die notwendigen Dinge so klar sein ließ. Er war einfach mit Herz und Verstand bei den Menschen. Er wusste, wie es ihnen ging und was sie brauchten. Und wie die Gesellschaft sich verändert. Weil er eben mittendrin war - „Bei de Leit“, wie man bei uns in Schwaben sagt.

 

[1] „Georg Moser unvergessen“, Schwabenverlag, 2018, S. 188

[2] „Georg Moser unvergessen“, Schwabenverlag, 2018, S. 19

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SWR4 Abendgedanken

07JUN2023
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„Ich bleibe!“ Das ist meine Antwort auf die Frage, die mir im Bekanntenkreis immer wieder gestellt wird: „Willst Du echt noch zu dieser katholischen Kirche gehören?“ Ich kann gut verstehen, wenn viele die Kirche verlassen, vor allem Frauen. Ein wichtiger Grund ist, dass Frauen und Männer in der katholischen Kirche nicht gleichberechtigt dabei sein dürfen. Und das ist heute einfach wichtig. Und es ist richtig, das zu erwarten!

Ich bleibe, weil ich eine lange Geschichte mit dieser Kirche habe. Eine, die gut ist. Auch, was das Thema Gleichberechtigung angeht. Ich habe offene und kritische Priester kennengelernt, die Vieles möglich gemacht haben, was offiziell eigentlich nicht ging: Schon 1980 durfte ich als Mädchen ganz selbstverständlich ministrieren. Und dann, 2022, habe ich miterlebt, dass der letzte Wille meines verstorbenen Heimatpfarrers von anderen Priestern mitgetragen wurde: Er hatte sich gewünscht, von einer Frau beerdigt zu werden.

„Wir bleiben“. Das haben vor kurzem auch 17 Frauen gesagt und ihre Geschichte mit dem Glauben und der katholischen Kirche in einem Buch[1] erzählt. Prominente Politikerinnen sind darunter wie Annette Schavan oder Andrea Nahles. Eine besondere Geschichte erzählt Gerlinde Kretschmann, die Frau des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Sie ist als junge Frau aus der Kirche ausgetreten und sie ist wieder zurückgekommen. Schon als Kind hatte sie mit der Kirche gehadert. Ein Grund war damals die Beichte, der andere die Tatsache, dass sie als Mädchen nicht wie ihre Brüder Ministrantin werden durfte.

Ihr Weg zurück hat lange gedauert. Sie war über 50 bis sie sagen konnte: „Jetzt will ich da wieder richtig dazugehören!“ Der Kirchenchor und die Gemeinschaft der Sängerinnen und Sänger waren dabei ganz wichtig für sie. Jetzt will Gerlinde Kretschmann bleiben, auch oder gerade in dieser Krisenzeit. Denn sie sagt: „Was hätte ich jetzt davon, wenn ich austreten würde? Das ist wie mit der Politik auch, ich kann doch nur Einfluss nehmen, wenn ich dabei bin.“

Genau deswegen bleibe ich auch. Ich möchte weiter davon erzählen, dass Jesus keinen Menschen ausgeschlossen hat und dass er in einer Zeit, die von Männern dominiert war, bewusst Frauen gefördert hat. Es war übrigens ein Papst höchstpersönlich, der diese Gleichberechtigung eingefordert hat. Papst Paul VI hatte 1965 geschrieben, dass „jede Form einer Diskriminierung … sei es wegen des Geschlechts oder der Rasse … überwunden und beseitigt werden muss, da sie dem Plan Gottes widerspricht“. (Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 29).

Klarer kann man es nicht sagen. Eine andere Kirche ist möglich. Und bei dieser Kirche möchte ich dabei sein!

 

[1] „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“, Hirzel Verlag

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SWR4 Abendgedanken

06JUN2023
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Schon wieder Regen, schon wieder Überschwemmungen. In diesen Wochen trifft es Italien und Kroatien, auch Somalia. Wenn ich Bilder von diesen gewaltigen Wassermassen sehe, wenn Menschen auf ihren Hausdächern, Balkonen oder Autos auf Rettung warten, dann muss ich unweigerlich an die große Flut denken, von der die Bibel erzählt, an die Sintflut und die Geschichte mit der Arche Noah. Das große Schiff, mit dem Noah seine Familie gerettet hat und in dem Platz war für jeweils ein Paar von jeder Tierart.

Die Bibel begründet die Sintflut: „Alle Lebewesen auf der Erde hatten den rechten Weg verlassen und sich dem Bösen zugewandt.“ (Genesis 6, 12). Ich verstehe das so: Unser Fehlverhalten der Natur gegenüber hat Konsequenzen. Das erleben wir eindrücklich und dramatisch bei jeder neuen Naturkatastrophe; denn dass wir die Erde ausbeuten und sie mit unserem Verhalten zerstören, das ist eine Tatsache.

Die Erzählung von Noah und der Arche macht uns auf einen zweiten, wichtigen Punkt aufmerksam: Noah hat damals mehr Tiere als Menschen gerettet. Denn jede andere Konstellation hätte seine Mission vom Neuanfang scheitern lassen. Weshalb? Ohne Tiere könnten wir Menschen wohl kein einziges Jahr überleben. Zwei einfache Beispiele: Ohne Bienen gäbe es keine Bestäubung der Pflanzen, und somit keine Frucht. Ohne Regenwürmer keinen guten Boden und damit eine schlechte Ernte. Alles hängt miteinander zusammen und voneinander ab. Noahs Tiere stehen für eine überlebenswichtige Artenvielfalt.

Und genau das macht die aktuelle Situation auf der Erde so dramatisch: Ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten ist gefährdet, eine Million Arten ist kurz vor dem Aussterben[1]. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, der vollkommen neu ist: Bisher hat die Natur sich immer wieder selbst regenerieren können. Dieser Punkt ist überschritten. Die Natur braucht jetzt unsere Hilfe! Wir bräuchten, im übertragenen Sinn, viele kleine solcher Archen wie die von Noah, in denen die Artenvielfalt überleben kann.

Es gibt auch eine gute Nachricht: Es sind bislang nur wenige, aber es gibt diese Archen. Das sind zum Beispiel Biotope, ich denke an einen kleinen Weiher[2] in der Nähe des Bodensees. Aus einem ehemaligen Maisacker ist in zehn Jahren eine Oase geworden! Da wachsen heute wieder seltene Pflanzen, Krebse und Amphibien, Graugänse und Milane sind dort zuhause. Die Natur kann sich also regenerieren, wenn wir ihr helfen und wenn wir uns für sie entscheiden; wenn wir also die Schöpfung als echten Wert schätzen. Vielleicht kann die Erzählung von der Arche Noah beim nächsten Starkregen dazu Ansporn sein. Und Platz für eine kleine Arche, ein kleines Biotop, den gibt es ganz sicher in jeder Gemeinde und in jedem Garten.

 

[1]https://www.ardalpha.de/wissen/natur/tiere/artenschutz/biodiversitaet-artenschutz-artensterben-klimawandel-tiere-natur-100.html

[2]https://www.sielmann-stiftung.de/natur-schuetzen/grundsaetze/biotope-verbinden

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SWR4 Abendgedanken

05JUN2023
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Ich war in einer Ausstellung mit Stühlen. Mit genau zwölf Stühlen. Keine gewöhnlichen Stühle, es sind Kunstobjekte. Der Künstler Henning Diers hat sie gestaltet. Zusammen mit Kirchengemeinden und Schülern. Diese Stuhl- Ausstellung trägt den Titel: „Die 12“. Es geht um die zwölf Jünger, die mit Jesus beim letzten Abendmahl an einem Tisch waren. Für jeden Jünger hat die Projekt-Gruppe einen Stuhl entworfen. Die Herausforderung dabei: Charakter und Persönlichkeit des jeweiligen Jüngers sollen sichtbar werden.

Auf welchem dieser Stühle würde ich gerne sitzen? Welcher Stuhl zieht mich an? Meine Wahl ist eindeutig: Es ist der Stuhl, der aussieht wie ein halbes Boot. Die Sitzfläche ist gemütlich, fast wie ein Sessel; hellgrüne Polster. Die Boot-Spitze leuchtet sonnengelb. Die Rückenlehne –vielleicht ist es auch der Mast - ist ein goldenes Kreuz.

Und dann lese ich, für welchen Jünger dieser Stuhl gedacht ist. Ich bin überrascht. Er ist für Simon, der den Beinahmen Zelot hat. Ein Jünger, von dem ich wenig weiß. Er ist eher einer der leisen. Bevor er sich Jesus angeschlossen hat, hat er im Verborgenen gegen die römischen Besatzer gekämpft. Von ihm wird erzählt, dass er eher handelt als redet und immer hilfsbereit ist. Und anscheinend hat er sich schnell von Jesus und seiner Mission anstecken lassen und ist ihm einfach gefolgt.

Das ist der richtige Stuhl für mich. Diesem Jünger fühle ich mich nahe. Auch wenn ich im Radio spreche, ich bin lieber im Hintergrund, in der zweiten Reihe und versuche von da aus Dinge zu bewegen. Und wenn’s was zu tun gibt, dann mache ich‘s einfach und frag nicht, ob ich überhaupt Zeit habe. Ich bin keine, die die Initiative ergreift, aber wenn mich was begeistert, dann bin ich schnell dabei und für eine gute Sache, da kann man mich immer ins Boot holen.

„Die 12“. Eine Ausstellung von Stühlen, die zeigt, worauf es unter Christen ankommt: Jesus hatte offenbar sehr unterschiedliche Menschen an seinem Tisch versammelt. Da waren solche, die an ihm gezweifelt haben, da waren ungestüme Junge und erfahrene Alte am Tisch, Selbstbewusste und Stille. Solche, die mit Worten umgehen konnten und andere, die praktisch veranlagt waren. Und was ich sehr bemerkenswert finde: Obwohl es Jünger gab, von denen Jesus sicher enttäuscht war, hat er keinem den Stuhl unter dem Hintern weggezogen. Ich denke an Judas, der ihn verraten hat oder Petrus, der sogar behauptet hat, er würde ihn nicht kennen. Wenn die alle bei Jesus am Tisch sitzen dürfen, dann habe ich dort ebenfalls einen Platz – und Sie definitiv auch!

 

Die Ausstellung „Die 12“ ist noch bis zum 7. Juli in der Bibelgalerie in Meersburg am Bodensee zu sehen. https://www.bibelgalerie.de/

Informationen zum Künstler Henning Diers: http://www.diersign.de/startseite/

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SWR1 Begegnungen

21MAI2023
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Erik Thouet Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart

… und mit Erik Thouet. Er ist katholischer Diakon und bildet Männer für dieses Amt aus. Ich treffe ihn im Kloster Heiligkreuztal in Oberschwaben, da ist das Ausbildungszentrum der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Diakone werden wie Priester geweiht, aber: sie dürfen verheiratet sein und Familie haben. Und noch etwas ist besonders: Diakone sind Männer, die bereits einen anderen Beruf haben. Und nach der Ausbildung soll beides zusammenkommen. Die Arbeit im eigentlichen Beruf und das Dienen, für Gott und die Menschen, genau dort, bei der Arbeit. Denn Diakon heißt übersetzt „der Diener“. Wer Diakon werden will, braucht Durchhaltevermögen und muss sich vorher gut überlegen:

Kann ich mir das zumuten neben Familie und Beruf? Die meisten sind verheiratet, viele Männer haben auch mehrere Kinder

Diese Ausbildung dauert mindestens vier Jahre, nebenher, und wer ohne theologisches Vorwissen kommt, braucht sieben. Im aktuellen Jahrgang ist ein Rechtsanwalt dabei. Warum machen Männer wie er diese Ausbildung? Das wollte auch Erik Thouet wissen:

Sie haben eigentlich alles. Sie sind erfolgreich im Beruf, Sie haben eine nette Frau, Sie haben auch genug Geld, wahrscheinlich. Sie haben schöne Hobbys. Also warum wollen Sie jetzt unbedingt noch Diakon werden?

Manchmal lösen Krisen oder Krankheiten diesen Wunsch aus, erzählt mir Erik Thouet. Andere kommen bewegt und nachdenklich von einer Pilgerreise zurück.

Dann geht es, glaube ich, darum, dass die Männer suchen nach mehr Sinn, nach mehr Bedeutung in ihrem Leben. Und oft, so die Aussage: Ich habe so viel geschenkt gekriegt in meinem Leben und ich will das irgendwie zurückgeben.

So ist es nicht nur bei dem Rechtsanwalt. Im Kloster Heiligkreuztal kommen Männer mit ganz unterschiedlichen Berufen zusammen: Schreiner und Lehrer, Psychologen und Versicherungsberater, Ingenieure und Bäcker. Im Moment sind 24 Männer in der Ausbildung, die in den nächsten drei Jahren geweiht werden. Deutlich mehr als es neue Priester in dieser Zeit geben wird.

Diakone arbeiten in der Regel in ihren Berufen weiter; außerdem sind sie in der Kirchengemeinde engagiert: Sie feiern Gottesdienste, sie taufen und beerdigen oder assistieren beim Ehe-Versprechen. Vor allem aber sind sie ansprechbar.

Nicht nur in der Arbeitszeit, sondern da, wo wir leben. Da, wo wir unterwegs sind. Es kann im Supermarkt sein, es kann im Fußballverein sein, also wo auch immer. Es ist eine Frage der Haltung letztlich; also wie ich unterwegs bin.

Was genau meint Erik Thouet mit der Haltung? Worauf kommt es ihm in der Ausbildung an?

Von der Haltung her finde ich es ganz wichtig auszustrahlen: Sie stören uns nicht, sie dürfen uns stören! Da wünsche ich mir, dass wir so unterwegs sind: einladend, freundlich, normal, auf Augenhöhe. Ich mag das Wort nicht, weil es so inflationär benutzt wird, aber freundlich einfach. Ich glaube, dann passieren Wunder auch heute.

Erik Thouet ist seit 20 Jahren Diakon, seit zehn Jahren bildet er als Beauftragter des Bischofs Diakone für die katholische Kirche aus. Am kommenden Wochenende werden fünf Männer in der Diözese Rottenburg-Stuttgart geweiht. Erik Thouet ist es wichtig, dass dieses Amt mit einer Weihe verbunden ist.

Man wird ja nicht geweiht, um persönlich irgendwie veredelt zu werden oder sich besser zu fühlen. Das wäre ein völliges Missverständnis, sondern es geht eher darum, noch furchtloser, noch konkreter sich in Situationen hineinzutrauen, wo man vielleicht sonst davonlaufen würde.

Solche Situationen hat er schon erlebt. Er sollte einen jungen Mann beerdigen, der sich das Leben genommen hatte. Auf dem Friedhof haben hunderte Menschen gestanden, die auf ihn geschaut und gewartet haben.

Und dass einem in so einem Moment dann die Worte kommen, sozusagen von selber. Oder dass man auch keine Angst mehr hat, sondern einfach spürt: Ich bin getragen in dem Moment. Also das wäre so ein Beispiel, wo ich sagen würde, die Weihe ist eine Art von Zurüstung, von Stärkung, von Zuspruch. Man könnte einfach sagen: Also Christus ist wirklich mit dabei in dem Moment.

Diakone gab es schon in der Ur-Kirche. Und damals gab es auch das Amt der Diakonin. Während Männer jetzt seit gut 50 Jahren in Deutschland wieder geweiht werden, warten die Frauen noch immer auf eine Entscheidung aus Rom. Was denkt Erik Thouet darüber?

Ob's kommt, wann es kommt, ist eine offene Frage. Aber natürlich sind Frauen auch berufen. Und natürlich sind wir mit Frauen und Männern im Gespräch über diese Fragen, natürlich.

Könnte er in Heiligkreuztal auch Frauen ausbilden? Seine Antwort ist kurz, aber eindeutig:

Natürlich, wir hätten den Boden bereitet.

Seit Erik Thouet Diakone ausbildet, arbeitet er nicht mehr in seinem ursprünglichen Beruf als Heilerziehungspfleger. Der Vater von fünf Kindern ist jetzt Vollzeit-Diakon. Damit er als Mann der Kirche auch für Menschen erkennbar ist, die nichts über ihn wissen, trägt er ein Kreuz. Nicht als Kette, sondern als Tattoo am Handgelenk. Und das, was er damit beabsichtigt, funktioniert:

Die Leute sprechen einen an auf das. Was ist das? Warum haben sie das gemacht? Und schon ist man im Gespräch und kann ganz tief miteinander über wichtige Dinge sich austauschen.

Für ihn selbst bedeutet das Kreuz auf dem Unterarm aber noch mehr:

Ich finde diese Stelle wunderbar und dass es genau auf dem Puls ist. Mir hilft es manchmal in Situationen. Ich halte mich da auch manchmal dran fest, mit meinem Daumen.

Erik Thouet hält nicht nur fest an seinem Glauben, er hält auch fest an der Kirche. Trotzdem vieles nicht gut läuft. Denn gerade jetzt sei der Dienst des Diakons wichtig, sagt er, das Dienen.

Bleiben ist jetzt angesagt. Bleiben und treu sein. Es gab vielleicht schon länger keine Zeit mehr, wo es wichtiger war, eben nicht von Bord zu gehen. Zu bleiben, bei den Menschen zu bleiben und bei Gott zu bleiben. Auch in dieser Kirche zu bleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37681
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