SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

09JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Das Kind ist getauft, der Bischof hat die Taufe ausnahmsweise selbst gespendet. Anschließend ist er von den Eltern zum Essen eingeladen. An seiner Seite, wie immer, sein Chauffeur. Die Taufgesellschaft hat ein gutes Lokal ausgesucht. Als der Bischof bemerkt, dass kein Platz für seinen Chauffeur vorgesehen ist, ruft er laut in die Gaststube hinein: „Herr Professor, ja glauben Sie denn, mein Chauffeur hat keinen Hunger?“

Ja, so war er. Bischof Georg Moser. Er hatte die im Blick, die gerne von anderen vergessen wurden. Morgen wäre der gebürtige Allgäuer 100 Jahre alt geworden. Ich habe den ehemaligen Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart nie persönlich erlebt – aber ich kenne zahlreiche Geschichten aus seinem Leben. Und es lohnt sich, sich davon erzählen zu lassen.

Als der Bischof an einem Ort erfährt, dass die alleinerziehende Mutter eines Firmanden große finanzielle Sorgen hat, kümmert er sich nicht nur um Unterstützung. Jedes Mal, wenn er wieder in der Gegend war, hat er sie getroffen und sich erkundigt, wie es ihr und dem Sohn geht[1].

Mein Gemeindepfarrer war Mitte der 80er Jahre Mitglied der Diözesansynode, die Bischof Moser einberufen hatte. Eine Versammlung, die Reformvorschläge für die Kirche erarbeitet hat, ähnlich wie heute der Synodale Weg. Unser Pfarrer war im Arbeitskreis Ehe und Familie. Er hat sich vor allem dafür eingesetzt, dass Menschen, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben, die Kommunion empfangen dürfen und nicht ausgeschlossen werden, wie es die Kirche tat. (Gerade diese Menschen sollten begleitet und nicht diskriminiert werden). Bei der Abschlussveranstaltung sollte unser Pfarrer die theologische Argumentation vortragen. Acht Minuten Redezeit waren dafür vorgesehen. Nach ihm sollte Bischof Moser das Schlusswort sprechen. Und dann ging der Bischof auf unseren Pfarrer zu und sagte zu ihm: „Du kannst auch meine Redezeit haben“. Klarer kann ein Statement nicht sein.

Sehr beeindruckt hat mich, was Bischof Moser bei der Versammlung des katholischen Frauenbundes 1976 in Ulm gesagt hat. Nämlich, dass er sich die Priesterweihe von Frauen grundsätzlich vorstellen könne. Denn es gäbe keine unüberwindbaren theologischen Gründe.[2] Das ist jetzt fast fünfzig Jahre her! Ja, Bischof Moser war seiner Zeit weit voraus.

Ich verstehe gut, was seinen Blick für die notwendigen Dinge so klar sein ließ. Er war einfach mit Herz und Verstand bei den Menschen. Er wusste, wie es ihnen ging und was sie brauchten. Und wie die Gesellschaft sich verändert. Weil er eben mittendrin war - „Bei de Leit“, wie man bei uns in Schwaben sagt.

 

[1] „Georg Moser unvergessen“, Schwabenverlag, 2018, S. 188

[2] „Georg Moser unvergessen“, Schwabenverlag, 2018, S. 19

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37784
weiterlesen...