Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR4

  

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Abendgedanken

12JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wenn ich als Pfarrerin eine Beerdigung halte, dann besuche ich vorher die Angehörigen, und gemeinsam bereiten wir die Feier vor und natürlich auch das, was ich bei der Beerdigung sagen soll. Vor kurzem habe ich zu meinem Erstaunen erlebt, wie eine Verstorbene beim Trauergespräch selbst mitgeredet hat. Und das kam so:

Ich habe eine ältere Dame getroffen, deren Freundin Hertha verstorben war. Hertha hatte keine Verwandten mehr aber einen großen Freundeskreis. Zu meinem großen Erstaunen hat mir nun die Freundin einen Brief vorgelegt. Einen Brief von Hertha. „Zu meiner Beerdigung“ war die Überschrift. Und die Freundin hat mir erklärt, dass Hertha schon seit einigen Monaten gewusst hat, dass sie bald sterben würde. Und dass sie sich deswegen überlegt hatte, aufzuschreiben, was bei ihrer eigenen Beerdigung gesagt werden soll.

Zuerst war ich sehr skeptisch, ob das funktioniert.

In wenigen Zeilen hatte Hertha aufgelistet, was die Stationen ihres Lebens gewesen sind: Schule, Ausbildung, Beruf, Hobbys. Der weitaus längste Teil ihres Briefes handelte dann aber weniger von ihr als von den anderen: „Ich danke dir, Peter, dass du mich immer zum Lachen gebracht hast. Ich danke dir, Renate, dass du mir immer die letzte Rose aus dem Garten gebracht hast. Ich habe sie dann immer in Ehren gehalten. Ich bin dankbar über meine Kolleginnen. Wir waren ein so wunderbares Team.“

So geht das viele Zeilen weiter. Eine große Liste und ausschließlich Danksagungen. Ganz herzlich, ganz liebenswürdig und so berührend!

Ich stelle mir vor, wie Hertha in ihrem Krankenbett sich Schritt für Schritt in Gedanken darauf vorbereitet hat, dass sie nicht mehr gesund werden würde. Sie hat sich aufs Sterben vorbereitet, indem sie noch einmal an alle Menschen gedacht hat, die ihr etwas bedeuten, die ihr beigestanden haben und gutgetan haben. Und offenbar haben sie diese Gedanken mit einer tiefen Dankbarkeit erfüllt. Mir kommt das Wort „abdanken“ in den Sinn. Im guten Wortsinn heißt das ja, dass ich mich verabschiede, indem ich das benenne, wofür ich dankbar bin.

In einem alten Lied in der Bibel denkt ein Mensch über das Sterben nach und sagt zu Gott:
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Ps 90, 12).

Danke, Hertha, dass ich Ihren wunderbaren Brief habe lesen und zum Abschied vorlesen dürfen und dass ich von Ihrer Dankbarkeit lernen durfte!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40178
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

11JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In manchen Kirchen gibt es Orgeln, die man „Schwalbennestorgeln“ nennt. Sie stehen nicht auf dem Boden oder auf einer Empore, sondern hängen an der Wand. In der Kirche in Oppenheim hat es auch einmal eine gegeben. Leider ist sie im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 zerstört worden. Aber davor hat sie hoch oben an einer Wand über dem Kirchenschiff gehangen. Wie ein Schwalbennest eben. Heutzutage bemüht sich ein Verein darum, dass dieses zerstörte Instrument wieder gebaut wird.

Kürzlich habe ich etwas Interessantes über Schwalben gelernt: Schwalben sind Vögel, die den ganzen Tag über in der Luft sind. Das können sie, weil sie fürs Fliegen körperlich besonders gut ausgestattet sind, zum Beispiel durch die besondere Form des Schwalbenschwanzes. In ihrem Nest sind sie nur zum Schlafen und zum Brüten. Und sogar hier berühren sie niemals den Boden.

Das erklärt mir die Bezeichnung für das Musikinstrument noch besser: Eine Schwalbennestorgel – die schwebt eben auch ihr ganzes Leben lang über dem Erdboden. So wie Schwalbennester an Wänden hoch oben hängen.

Es gibt solche Instrumente in Freiburg und in Frankfurt, in Nürnberg, Straßburg, Köln und Berlin und an ein paar mehr Orten noch.

Es hat einen ganz besonderen Reiz, dass der Klang der Schwalbennestorgeln von hoch oben und irgendwie aus dem Himmel kommt.

Wenn ich wie so eine Schwalbe die ganze Woche unterwegs gewesen bin, zum Beispiel bei einer Reise, genieße ich es, in einer Kirche einen Moment auszuruhen. Und wenn dann von der Orgel hoch oben Musik erklingt in einem Konzert oder weil eine Organistin gerade übt, dann erinnert mich das daran, dass meine Seele geborgen ist und Ruhe findet bei Gott wie die Schwalbe in ihrem Nest. Und immer auch ein bisschen mit gutem Abstand zu dem, was unten auf dem Boden alles los ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40177
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

10JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manchmal sind Menschen untröstlich. Meine Freundin Andrea hat vor einiger Zeit ihren Mann verloren. Ganz plötzlich war er gestorben. Das ist nun schon drei Jahre her, aber Andrea trauert noch immer sehr um ihn. Sie schreibt mir in einem Brief, dass andere Menschen damit nicht zurechtkommen, dass sie noch immer so traurig ist. Sie geben ihr deswegen Ratschläge: Sie solle sich helfen lassen von einem Psychologen oder solle sich Tabletten verordnen lassen, die ihre Stimmung aufhellen. Mancher erinnert sie daran, dass sie eine gläubige Christin ist. Da müsste doch der Glaube sie trösten. Andere mahnen zu Geduld und sagen ihr „Die Zeit heilt alle Wunden.“

Andrea ist ziemlich verzweifelt, weil die Zeit bei ihr offenbar bisher gar nichts geheilt hat und weder ein Psychologe noch der Glaube noch die Apotheke ihr aus der tiefen Traurigkeit herausgeholfen haben.

„Meine Seele will sich nicht trösten lassen.“ Schreibt Andrea, und ich denke mir, wenn sie ihren Schmerz loslassen würde, dann wäre das, als würde sie ihren Mann irgendwie noch einmal verlieren.

So schmerzlich es ist: Ihre Traurigkeit ist ihr Weg, durch den sie mit ihrem Mann verbunden bleibt. Alle gutgemeinten Ratschläge können da nicht helfen. Auch wenn ich ihr noch so sehr wünschen würde, dass es leichter für sie werden darf.

„Meine Seele will sich nicht trösten lassen.“ (Ps 77, 3b) In einem alten Lied in der Bibel findet sich dieser Satz. Der Mensch, der das betet, kann nicht schlafen vor Kummer, liegt unruhig in seinem Bett und fragt sich, ob Gott ihm irgendwann wieder helfen wird.

Er erinnert sich an Geschichten, die davon erzählen, wie Gott geholfen hat. An Hoffnungsgeschichten.  Das scheint seine Trauer nicht wegzunehmen; aber er kann er sie damit besser aushalten. Mit Geschichten voller Hoffnung, dass Gott auch ihn nicht vergisst, selbst in seiner Traurigkeit. Davon will ich Andrea erzählen: Von einem, dessen Seele untröstlich war und der dafür Kraft gefunden hat und anderen so viel Tröstliches zu sagen hatte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40176
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

09JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein Kuss ist etwas Besonderes. Meistens etwas sehr Intimes und Persönliches. Und er kann sehr viel bedeuten. Bei der Hochzeit küsst sich das Brautpaar. Eltern küssen ihre Kinder; und wenn Kinder größer werden und sich irgendwann ein erstes Mal verlieben – dann werden sie ihren „ersten Kuss“ wahrscheinlich nie vergessen.

Auch Christen sollen einander küssen, fordert die Bibel immer wieder. Denn ein Kuss ist in biblischer Zeit eine weit verbreitete Form gewesen, um sich zu begrüßen: Etwas Formelles, das gleichzeitig eine besondere Form von Nähe ausgedrückt hat. „Grüßt einander mit dem Heiligen Kuss!“, schreibt der Apostel Paulus an die Christen in Rom (Röm 16,16). Und damit hat er gewiss nicht so einen Kuss gemeint wie bei einer Hochzeit. Sondern auch einen, der formal ist und gleichzeitig große Nähe zum Ausdruck bringt. Christen sind in Christus verbunden und einander nah – und sollen so friedlich miteinander umgehen, dass sie sich küssen können.  Lange haben sich Christen im Gottesdienst geküsst. Erst im Mittelalter war das der Amtskirche eine Zeitlang nicht mehr recht.

Und hat deshalb die „Kusstafel“ erfunden. Das waren Tafeln aus Holz, Elfenbein, aus Kristall, Silber oder Gold, die jeder Gottesdienstbesucher geküsst und dann an seinen Nebenmann oder seine Nebenfrau weitergegeben hat. Geküsst wurde also nur noch symbolisch. Mancherorts hat man solche Tafeln „Pax“ genannt – Friede. Weil es dabei um den Friedenskuss ging: Ich grüße und küsse dich und wünsche dir Frieden.

Und irgendwann hat man solche Tafeln auch benutzt, wenn irgendwo Streit ausgebrochen war. Und wenn eine Familie sich mit einer anderen wieder versöhnen wollte, dann hat sie eine Friedenstafel verschickt, um eine Versöhnung damit vorzubereiten.

Eigentlich schade, dass es diesen Brauch heutzutage nicht mehr gibt. Wie hilfreich könnte es sein, wenn manche Familien oder gar ganze Nationen sich solche Kusstafeln zuschicken würden. Und damit sagen würden: Ich suche Deine Nähe und Dein Vertrauen – und gebe Dir den Kuss des Friedens.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40175
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

08JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wenn wir in der Kirche ein Kind taufen, dann sind auch seine Paten mit dabei. Und die Patinnen und Paten versprechen, dass sie es begleiten auf dem Weg zum Glauben. Das ist ein großes Versprechen. Ich kenne viele Menschen, die ihr Patenamt sehr ernst nehmen und sich um einen guten Kontakt zu ihrem Patenkind bemühen. Aber ob sich die Kinder darüber auch Gedanken machen? Darüber habe ich bisher noch gar nicht nachgedacht.

Aber vor kurzem hat mir ein Freund einen alten Brief gezeigt: In der alten deutschen Süterlin-Handschrift geschrieben und bestimmt schon hundert Jahre alt. Der Brief ist in sauberer Handschrift auf inzwischen ziemlich vergilbtem Papier geschrieben. Die wahrscheinlich 14 Jahre alte Luise schreibt darin an ihre

„Geliebte Taufpatin!
Der wichtige Tag rückt heran, an dem ich durch die heilige Konfirmation in die Zahl der evangelischen Christen aufgenommen werden soll, und ich empfinde es als heilige Pflicht, Ihnen meinen innigsten Dank abzustatten für alles Gute, das Sie mir erwiesen haben.
Es ist mein innigster Wunsch, daß Gott der Herr Ihnen reich vergelte, wie Sie an mir so liebreich gethan haben und Ihnen ein langes Leben, dauernde Gesundheit und Wohlergehen schenke.Um Ihr fernes Wohlergehen bittet,
Ihr dankbares Patenkind
Luise (…)“

Ich habe mir Luise vorgestellt – eine Teenagerin vor hundert Jahren – wie sie dasitzt und sorgfältig schreibt. Vielleicht hat der Pfarrer geholfen. Oder vielleicht haben ihr die Eltern gesagt, was sie schreiben soll. Selbst wenn es ein von einem Erwachsenen diktierter Brief gewesen ist: Mir gefällt die Haltung in diesem Brief: Das Patenkind Luise bedankt sich für den guten Kontakt zu ihrer Patentante, der ihr gutgetan hat. Jetzt, wo sie mit der Konfirmation selbst Verantwortung für ihren Glauben übernimmt, würdigt sie das, was die Patin für sie getan hat.

Der Brief ist feierlich. Er erzählt von der Liebe der beiden und davon, dass das Patenkind für die Patentante betet. Schade, dass solche Briefe aus der Mode gekommen sind. Denn es ist so schön, wenn wir uns das sagen oder schreiben: Danke. Ich liebe Dich. Und ich bete für Dich.  

Ich finde, auch heute noch haben Menschen, die das Patenamt übernehmen und liebevoll erfüllen, einen solchen Brief verdient.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40174
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

05APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Neulich habe ich einen Anruf bekommen – geschäftlich, wegen irgendeiner Lieferung. Da sagt mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung plötzlich ganz überrascht: „Ich kenne Ihre Stimme!“ Und es stellt sich heraus, dass er abends regelmäßig Radio hört. Und meine Stimme ist ihm tatsächlich aus den Abendandachten von SWR 4 vertraut. Schnell kommen wir miteinander ins Gespräch; vielleicht auch deshalb, weil ich durch die Verkündigungssendung im Radio keine ganz Fremde für ihn bin.

Obwohl sehr viele Menschen bei unseren Radioandachten schon lange gerne zuhören, habe ich früher gedacht: Eine Stimme aus dem Radio bleibt doch viel unpersönlicher, als die echten Begegnungen in der Kirchengemeinde. Aber dann kam Corona, und in dieser Zeit haben sogar noch mehr Menschen die christliche Verkündigung in Radio und Fernsehen schätzen gelernt. Begegnungen in der Gemeinde waren damals mit einem Schlag nicht mehr möglich, da waren sie eine gute Alternative. Nicht wenigen hat das Zuhören am Radio das Gefühl gegeben, in einer großen Gemeinschaft verbunden zu sein.

Während Corona gab es deshalb auch mehr Fernsehgottesdienste. Auch aus unserer Ingelheimer Saalkirche. Es war eine enorme Leistung für das Team aus Pfarrerinnen, Pfarrern, Musikerinnen und Musikern, so oft einen Fernsehgottesdienst auf die Beine zu stellen. Für das Publikum war es schön, vertraute Gesichter zu sehen, bekannte Stimmen zu hören und den Raum, den sie nun schon gekannt haben, wieder zu erleben – ein Stückchen Heimat, egal, wie weit weg sie auch gewohnt haben. Ich habe damals manchmal im Telefonteam mitgeholfen, das Anrufe nach dem Gottesdienst entgegennimmt. Dann haben mir die Menschen erzählt, wie gut es ihnen getan hat, mit dem, was sie da gehört und gesehen haben, schon vertraut zu sein.

„Ekhn2030“ nennt sich das Programm, mit dem unsere Landeskirche gerade reagiert auf den Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen und auf den Fachkräftemangel, den es auch bei der evangelischen Kirche gibt. Kirchengemeinden werden zusammengefasst, Pfarrerinnen und Pfarrer bilden Teams, die in einer sogenannten Nachbarschaft arbeitsteilig Dienst tun und nicht mehr nur auf eine Gemeinde bezogen arbeiten. Es sind gute Ideen dabei – es gibt aber auch Ängste:  Habe ich dann noch „meine“ Gemeinde, wenn ich nicht mehr jeden Sonntag „meine Pfarrerin“ in „meiner Kirche“ erlebe.

„Der Glaube kommt durch’s Hören“. Das wusste schon der Apostel Paulus. Vermutlich wird es in Zukunft noch wichtiger, die frohe Botschaft von Jesus Christus vor allem zu hören und zu lernen, dass ich dabei beweglich sein kann und weniger ortsgebunden und trotzdem mit Vertrautem tief verbunden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39644
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

04APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eigentlich will ich Worte wie „Wasserschaden“ „Kabelbruch“ oder „Materiallieferschwierigkeiten“ nicht mehr hören. Ich war Pfarrerin einer Gemeinde mit Kirche, Gemeindehaus, Pfarrhaus und noch einigem mehr, um das ich mich an Gebäuden zu kümmern hatte und habe einige Erfahrung mit ärgerlichen Schäden und Komplikationen auf Baustellen. Aber ich habe auch von einer ganz besonders schönen Erfahrung zu erzählen: Ich habe Frau Korn kennengelernt, die sich von Berufs wegen um Versicherungsfälle kümmert. Und das macht sie so großartig, dass mich das schon fast wieder mit dem Schaden, für den Sie zuständig war und mit allem Ärger drumherum versöhnt hat. Frau Korn hatte einfach alles im Griff. Immer. Wann immer auf der Baustelle etwas schiefgelaufen war: Ein Anruf genügte, und Frau Korn hat sich gekümmert. Ganz unaufgeregt, immer freundlich, und sofort. Sätze wie: „Dafür sind wir nicht zuständig.“  Oder: „Wir haben grad keine Kapazitäten frei.“ Habe ich von ihr nie zu hören bekommen. Frau Korn hat alles geregelt, sobald sie es auf den Tisch bekommen hat.

Wie gut, dass ich mit meinen Sorgen rund um den Versicherungsschaden zu ihr gehen konnte. Und wenn mich größere und persönliche Sorgen umtreiben, dann stelle ich mir vor, dass es beim lieben Gott genau so ist, wie bei Frau Korn. In der Bibel heißt es einmal: „Alle eure Sorge werft auf Gott, denn er sorgt für euch.“ (1. Petrus 5,7) wie bei der zuverlässigen und freundlichen Frau Korn – nur, dass ich auf Gott die wirklich großen Sorgen werfen darf. Und damit ist nicht gemeint, dass ich mich um nichts mehr selber kümmern soll. Im Gegenteil: Mir Sorgen machen – ja. Verantwortung übernehmen. Aufmerksam sein. – Unbedingt. Aber mit der Grundhaltung, dass ich mich von den Sorgen nicht beherrschen lasse, weil es einen gibt, der für mich und meine Sorgen zuständig ist.

Wenn ich mit meinen Sorgen zu Gott komme, dann ist das so wie bei Frau Korn und dem Versicherungsschaden: Gott schaut mit mir zusammen hin, wie wir das geregelt kriegen. Bei ihm kann ich stöhnen, seufzen, schimpfen, verzweifelt sein oder am Ende mit meinem Latein. Manchmal löst sich der Sorgenknoten schon ein wenig in demselben Moment, in dem ich auf Gott werfe, was mich bedrückt. Weil ich weiß: Ihr Sorgen, ihr habt bei mir nicht das letzte Wort! Denn für meine Sorgen, da ist Gott zuständig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39643
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

03APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Meine Freundin Helga hat Tagebuch geschrieben in der Zeit, in der sie ihre demenzkranke Mutter gepflegt hat. Sie hat gemerkt, dass es ihr hilft, wenn sie Erlebtes festhält. So ein Tagebuch ist geduldig. Es nimmt alles auf ohne Zensur, ohne Vorwürfe, ohne Besserwisserei, ohne die Augen zu verdrehen. Menschliche Zuhörer kriegen das selten hin, zumal bei einem so schwierigen Thema: der Pflege eines Menschen. Und deshalb hat es Helga wohl auch so gutgetan, sich oft abends von der Seele zu schreiben, was sie in der Zeit der anstrengenden Pflege erlebt hat mit ihrer Mutter.

„Am Anfang war es besonders schwer, denn meine Mutter hat selbst oft mitbekommen, dass sie dement wird, und dann war sie sehr traurig und ich gleich mit.“ Hat Helga mir erzählt und dass sie dann angefangen hat, alles aufzuschreiben: Die immer neuen Herausforderungen, vor denen sie gestanden hat – und ihre Mutter genauso.

An manchen Tagen waren es nur ein paar Sätze. An anderen ganze Geschichten, die sie mit ihrer Mutter erlebt hat. Schon nach kurzer Zeit hatte Helga das Gefühl, mit der Pflege überfordert zu sein. Im Rückblick findet sie aber auch Tagebucheinträge, die zeigen, dass sie mit manchem gut zurechtgekommen sind. Helga kann rückblickend lesen, wie sie zusammen ihren Alltag doch gemeistert haben – und wie ihre Mutter mehr und mehr ihre Angst und Traurigkeit verloren hat. Ihren Humor hat sie dafür lange behalten.

„Manchmal war sie neugierig wie ein kleines Kind, das sich die Welt erklären lässt“, sagt Helga. Und muss kichern, als sie erzählt, wie sie beide einmal neben einer älteren Frau im Bus gesessen haben. Helgas Mutter hatte die Frau genau gemustert und dann laut verkündet: „Wenn man einen faltigen Hals bekommt, muss man einen Schal tragen“. Helga war das furchtbar peinlich gewesen – ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter, der damals schon längst nichts mehr peinlich war, weil auch Schamgefühl etwas ist, was manche Menschen verlieren, wenn sie dement werden.

Ich habe große Achtung vor Helga, die sich dieser schweren Aufgabe gestellt hat und sie so wunderbar gemeistert hat. Auch dank des Tagebuchs, dem sie all ihre Erschöpfung und Mühe immer wieder hat anvertrauen können und bei dem sie oft am Abend hat abladen können, was schwer war. Heute hilft ihr das Notierte aus der Zeit auch dabei, sich liebevoll an ihre Mutter zu erinnern und an diese intensive gemeinsame Zeit. Und es hilft Helga, sich gut zu verabschieden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39642
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

02APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es war bei einem Trauergespräch. Ich war als Pfarrerin bei einer jungen Frau, um die Beerdigung ihrer Mutter vorzubereiten. Und da hat die Frau zu mir gesagt: „Meine Mama ist gestorben, aber ich weiß, es geht ihr gut. Das hat sie mir selbst gesagt.“ Mit dem Satz hat sie mich damit total verblüfft.

Gerade haben wir Ostern gefeiert, und im Gottesdienst in der Kirche haben wir gerufen: „Christus ist von den Toten auferstanden!“ Und ich denke an die junge Frau, die mir eine ganz persönliche Ostergeschichte erzählt hatte, als sie sich von ihrer Mutter verabschieden musste. Die Verstorbene hat ein hohes Alter erreicht, und ihre Tochter hatte eine innige Beziehung zu ihr. Zuletzt hat die alte Dame in einem Wohnheim gut betreut gewohnt, und ihre Tochter ist immer samstags zu ihr gekommen. Dann haben die beiden Zeit miteinander verbracht, haben miteinander gefrühstückt und zusammen Wintersport im Fernsehen angeschaut. Aber irgendwann hat das Interesse daran bei der Mutter nachgelassen. Und die Tochter hat gewusst, dass sich ihre Mutter zu verabschieden begonnen hatte. Sie war also vorbereitet auf den Anruf aus dem Pflegeheim: „Ihre Mutter ist heute Nacht im Schlaf gestorben.“ So traurig sie das gemacht hat, war die Tochter doch sicher, dass ihre Mutter dazu bereit gewesen war.

Und trotzdem: Die beiden waren so eng miteinander verbunden, dass die Tochter manchmal für einen Moment vergisst, dass ihre Mutter nicht mehr da ist. Immer wieder greift sie noch ganz automatisch zum Telefon – hat die Nummer schon halb gewählt bis sie begreift, dass da am anderen Ende ja niemand mehr ans Telefon gehen wird. „Es ist so, als ob ich es jeden Tag neu lernen muss zu verstehen“, hat mir die Tochter gesagt. Und dann hat sie mir erzählt, dass sie ihrer Mutter im Traum begegnet ist. Und dass die Mutter ihr deutlich gesagt hat, dass es ihr jetzt gut geht.

Ist das nur ein frommer Wunsch? Hat die Tochter nur das geträumt, was sie hören will? Oder spiegelt der Traum tatsächlich das wider, was die Mutter unverbrüchlich geglaubt hat? Und was sie ihrer Tochter mitgeben wollte?

Man kann das so und so sehen. Ich jedenfalls kenne solche Träume auch und weiß, wie tröstlich sie sein können. Was da genau passiert, kann ich nicht erklären. Aber ich erfahre Hoffnung, und die ist echt. Genau wie bei den Hoffnungserfahrungen, wie sie die Bibel in den Ostergeschichten erzählt:

„Meine Mama ist gestorben, aber ich weiß, es geht ihr gut. Das hat sie mir selbst gesagt.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39641
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

12JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Zum Abschied in den Ruhestand aus meinem Dienst als Pfarrerin habe ich ein Buch geschenkt bekommen, das Menschen für mich gestaltet haben. Freunde und Verwandte, Gemeindemitglieder und Kolleginnen, Bauleute und Musikanten, ehemalige Konfirmanden und Brautleute, die ich getraut hatte, Menschen, die ich als Seelsorgerin begleitet habe oder bei denen ich einen Verwandten beerdigt habe, Mitstreiter und Weggefährten.

Menschen haben sich für das Buch noch einmal daran erinnert, was sie mit mir verbindet, und haben diese Erinnerungen für das Buch zum Abschied aufgeschrieben.

Das Buch ist ein ganz großer Schatz für mich. Eine Freundin hat ganz liebevoll den Einband gestaltet, mit meinen Lieblingsfarben. Deswegen ist es auch von außen schon ganz herrlich anzuschauen. Und eine geschickte Buchbinderin hat es nach allen Regeln der Kunst zusammengebaut. Auch wenn es eigentlich eine Überraschung zu meiner Verabschiedung war, habe ich doch ein wenig davon mitbekommen, wie viel Arbeit darin steckt, die Leute zum Mitwirken einzuladen, die gestalteten Seiten einzusammeln, die Vergesslichen zu erinnern, die Nachzügler auch noch mit reinzunehmen und das alles zum Verabschiedungstermin fertig zu haben.

Und jetzt ist es ein Buch der Wertschätzung geworden und der Freundschaft; manche sagen darin Danke, und manche haben geschrieben, wie gerne sie sich an die gemeinsame Zeit erinnern.

In biblischer Zeit haben sich die Menschen vorgestellt, dass Gott über jeden Menschen ein solches Buch führt. Das „Buch des Lebens“ enthält die Namen derer, die zu Gott gehören. Mir gefällt die Vorstellung, dass Gott auch so ein Buch hat wie ich, wo die Namen derer drinstehen, die ihm etwas bedeuten.

Und was darin steht, das ist gut aufgehoben – sogar für die Ewigkeit. Ich kann das, was gewesen ist, loslassen: das Gute genauso wie das Schwierige. Es steht ja aufgeschrieben bei Gott und liegt sicher in seiner gütigen Hand. Und so ähnlich hilft mir mein Buch in der Gegenwart dabei, mich von meinem Dienst als Pfarrerin gut zu lösen. Ich habe meinen Beruf sehr gerne gemacht, und manches davon geht im Ruhestand ja auch noch weiter. Aber ich sehe auch, wie sehr das Buch mir hilft, ein großes Kapitel in meinem Leben nun wirklich gut abzuschließen. Das Erinnerungsbuch ist mir eine große Hilfe, weil so ein großes Stück aus meinem vergangenen Leben mitkommt in eine neue Zeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39115
weiterlesen...