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Heute mit Martin Wolf und mit Jan Frerichs. Wir treffen uns in Bingen, wo er lebt. Jan Frerichs war mal Franziskanermönch. Heute ist er verheiratet und hat zwei Söhne. Der Ordensfamilie der Franziskaner ist er aber treu geblieben. Er gehört nun dem franziskanischen Orden der Weltleute an, die eine Familie haben dürfen und nicht im Kloster leben. Wie sehr die Spiritualität des Heiligen Franz von Assisi ihn geprägt hat, das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Unter dem Label barfuss + wild bietet er Kurse an für Menschen, die spirituell auf der Suche sind. Und „wild“ meint hier durchaus Wildnis, Natur, Schöpfung. Etwas also, das ich nie im Griff habe. Für ihn ein guter Ort für geistliche Erfahrungen.
Für mich ist das Gegenteil von Glauben auch nicht Zweifeln. Das Gegenteil von Glauben ist für mich Kontrolle. Also wenn du das Gefühl hast, du kannst hier die Kontrolle behalten und du weißt eigentlich schon alles, dann brauchst du nicht zu kommen. Der wilde Raum ist immer der, wo die Antwort nicht schon klar ist, sondern wo ich sie erst finde.
Aber auch die uralten kirchlichen Traditionen, sagt er, können Menschen bei ihrer geistlichen Suche helfen.
Auch das Unverfügbare bedarf eines Rahmens. Oder sagen wir mal so: Wenn ich jetzt ein Wasser trinken möchte, ist es gut, wenn ich ein Glas habe, weil, dann kann ich das Glas benutzen, das Wasser da reintun und dann trinken. Was wir erleben ist, dass wir uns aufgehört haben mit dem Inhalt zu beschäftigen, sondern nur noch mit dem Glas beschäftigen. Und genauso ist es in spirituellen Dingen. Es ist gut, einen Rahmen zu haben, in dem ich mich bewegen kann. Aber der Fokus ist der Inhalt. Das ist das entscheidende Bild.
Um mal in diesem Bild zu bleiben: Suchen Menschen, die zu ihm kommen, also quasi nach diesem Wasser?
Sie suchen das Wasser, das tatsächlich den Durst stillt. Ist ja ein uraltes Bild. Jesus benutzt das Bild. Trink aus dieser Quelle und dein Durst wird gelöscht sein, sagt er ja.
Und ihren Durst nach Sinn, den können diese Menschen bei den Kirchen also nicht mehr stillen?
Durch die Bank könnte man sagen: Alle, die da so zusammenkommen bei barfuß + wild, die haben ihre spirituelle Heimat verloren, so die Orte, die es gab. Kirche als Institution, Gemeinde vor Ort, was auch immer man jetzt da einsetzt, das trägt nicht mehr. Vielleicht ist es auch eine bestimmte Frömmigkeit, die nicht mehr trägt. Der Kinderglaube, der einfach an seine Grenze gekommen ist. Wo ist ein Raum, in dem ich eine Antwort für mich suchen kann? Das ist eigentlich die Grundfrage.
Und so einen Raum für neue geistliche Erfahrungen möchte er Menschen bieten. Gibt es denn noch mehr, dass die Menschen, die zu ihm kommen, verbindet?
Die stehen auch im Leben alle an einer bestimmten Schwelle. Also, es kommt ein Zeitpunkt im Leben, wo klar ist, es liegt mehr hinter mir als vor mir. Und wenn auch klar wird, dass all das, worüber ich mich identifiziert habe bisher nicht mehr trägt - und diesen Prozessen einen Raum zu geben und aus den Erfahrungen unserer Vorfahren und aus unserer religiösen Tradition zu schöpfen, das ist eigentlich so ein bisschen das, was wir machen bei barfuß + wild.
Was es mit dieser „Schwelle im Leben“ auf sich hat, das hat mich interessiert und darüber spreche ich mit Jan Frerichs auch gleich nach der Musik.
Ich bin Martin Wolf und begegne heute Jan Frerichs. Aus der alten franziskanischen Tradition heraus macht er Angebote für Menschen von heute, die auf Sinn-Suche sind. Und oft ist er dabei mit ihnen draußen, in der Natur.
Wenn ich in die Natur schaue, dann kann das sehr lehrreich sein. Leben ist immer ein Prozess. Und es gibt in diesem Prozess auch den Part des Loslassens. Jeden Tag sehen wir das. Es gäbe überhaupt kein Leben, wenn es keinen Tod gäbe. Und Tod ist Loslassen. Und Tod heißt auch: Das Alte löst sich auf und aus diesem Alten wächst Neues. Aber das Neue kann nur kommen, wenn das Alte auch wirklich Platz macht.
Wobei es gar nicht um den physischen Tod gehen muss. Denn auch mitten im Leben heißt es ja immer wieder: Loslassen. Lebensabschnitte, die zu Ende gehen und nicht wiederkommen. Eine Freundschaft. Ein jahrzehntelanges Berufsleben.
Wenn wir uns ehrlich machen, sterben wir ja die ganze Zeit an jeder kleinen Schwelle im Leben. Meine Kinder sind jetzt 13 und 15. Ich gucke die an und denke: Wo sind eigentlich meine Kinder? Die kommen nicht wieder. Auf einer gewissen Ebene ist da auch etwas zu Ende gegangen. Und die Frage kann sein: haben wir die eigentlich gut genug verabschiedet, diese Zeit? Und haben wir die neue gut begrüßt? Das sind die Lebensübergänge.
Dass die erste Lebenshälfte ganz andere Fragen stellt als die zweite, das merke ich auch an mir selbst. Gibt es denn einen bestimmten Punkt im Leben, an dem ich weiß: Jetzt beginnt die zweite Hälfte?
Es geht nicht um die Lebensjahre. Ich habe mal beim ZDF im Kinderprogramm gearbeitet. Wir haben Sendungen gemacht über krebskranke Kinder, die haben mit zehn, elf Jahren Dinge gesagt, die ich von manchen Senioren noch nicht gehört habe. Das Leben hat sie schon in die zweite Lebenshälfte gebracht, weil sie sich eben zum Beispiel mit der Endlichkeit auseinandersetzen mussten. Es geht um Kontrollverlust an diesen Schwellen, und wie gehe ich damit um. Wie gehe ich also mit diesen Dingen um, die mir natürlich auch meine Begrenztheit deutlich machen? Das ist zweite Lebenshälfte.
Geht es letztlich also um die uralte Frage nach dem Sinn meines Lebens? Und darin vielleicht auch um die Frage nach Gott?
Es geht darum, wie ich mein Leben leben kann, wie ich mit den Fragen umgehe, die mein Leben mir auch stellt. So sind die Lebenshälften auch nicht nacheinander, sondern es sind zwei Qualitäten und ich wachse in die zweite hinein, das Innere, das Große und Ganze. Mystik ist die Erfahrung des Ganzen, Erfahrung Gottes. Gott ist ein Wort für das Ganze. Für das Sein, für das Da-Sein.
Ein Wiederentdecken also der christlichen Mystik.
Und an der Stelle bräuchte es Exerzitienhäuser, Orte der Einkehr, spirituelle Orte, das, was wir früher Frömmigkeit genannt haben. Damit die Leute, eine gute Erfahrung machen, die sie wirklich trägt im Leben.
www.barfuss-und-wild.de
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Wolf-Dieter Steinmann trifft Leonie Klein, Schlagzeugerin der Neuen Musik, Journalistin, Konzertentwicklerin aus Karlsruhe.
Ich war hin und weg, als ich Leonie Klein gesehen habe. Schlagzeug spielen. Was alles klingt. Klar, das Drumset wie in ner Band. Aber in ihrer Neuen Musik ist das nur die Oberfläche. Der Probenraum ist übervoll mit Klangmöglichkeiten. Vom großen Marimbaphon bis zu einem Flummi. Seit sie sechs ist, spielt Leonie Klein. Mit Lust, Klänge zu entdecken.
Das is n Flummi, so n Gummiball und den habe ich in der Mitte durchgeschnitten und den dann auf eine Stricknadel aufgespießt und wenn man den jetzt über ein Fell zieht, dann ist das so ein bisschen wie ein Walgesang, könnte man sagen oder auch ein Rennauto, was irgendwie in der Kurve vorbeiflitzt.
Und das ist auch das Schöne, was geht eigentlich alles?
Wie wird daraus Musik? Schlagzeug pur ist nicht sehr melodisch. Nun, ein Komponist hat schon ein Solokonzert für sie geschrieben, mit Orchester. Und wenn sie allein spielt? Sie schafft Musik aus Rhythmus. Und aus Klängen. Stellen Sie sich einen großen Gong vor.
Die klingen natürlich sehr lange. Und jetzt ist die Frage, wenn ich den jetzt anschlage, wo es danach weitergeht mit anderen Instrumenten. Wie lange lasse ich dem die Zeit?
Es ist ja auch immer so dieses musikalische Atmen, also wann atme ich weiter? Wann sage ich ‚okay, der Klang geht jetzt über in den nächsten.‘
Manchmal geschieht es auch, dass Leonie Klein übers Schlagzeug sprechsingt.
Aber wenn man da auf der Bühne steht, vorne an der Bühnenkante und schaut ins Publikum und spricht dann, ist das ganz merkwürdig, weil man weiß, eigentlich versteht niemand, was ich da sag, aber trotzdem verstehen sie es.
Neue Musik ist uns oft fremd. Vielleicht versteht man ihr Schlagzeug deshalb leichter, weil man neugierig sehen kann, wie sie Klänge entstehen lässt mit dem ganzen Körper. Neugierig sein aufeinander, vielleicht bräuchte es das viel öfter, wenn wir einander fremd sind.
Und wenn ich auf die Bühne gehe, dann spiele ich für jemand und den interessiert es vielleicht nicht, ist der Schlag jetzt so oder so gesetzt? Sondern diese Leichtigkeit zu haben und wenn ich Spaß dran hab, dann haben die auch Spaß dran, zuzuhören.
In der Karwoche spielt Leonie Klein in Speyer im Dom. Solo, in diesem imposanten, heiligen Klangraum. Die Leidensgeschichte Jesu wird gelesen und sie wird dem Geschehen um Jesus, Gott und die Menschen ihre Schlagzeugklänge geben. Besonders spannend ist für sie Jesus: angeklagt und er schweigt.
Das ist schon so eine Schlüsselstelle, wo ich mich sehr drauf freu, das musikalisch umzusetzen. Und ich glaub so, dieses Leise und dieses Minimalistische und was passiert in dem Moment, in dem eigentlich nichts passiert.
Wie kann man diesen Moment mit Klängen füllen?
Ich ahne, was sie meint. Wenn man schweigt, kann es in einem trotzdem sehr laut sein.
Paukenschläge
Dass Leonie Klein heute so gut ist, war kein Selbstläufer: Es hat viel mit Disziplin und Verzicht zu tun. Um die Schlagzeugerin zu werden, die sie heute ist, hat sie oft verzichtet: Seit 25 Jahren, mehr als dreiviertel ihres Lebens spielt sie. Übt, jeden Tag viele Stunden. Oder: Mit 17 ist sie – neben der Schule in Wittlich – damals noch zwei Tage die Woche nach Karlsruhe gefahren, zum Vorstudium. Ohne Disziplin, unmöglich.
Ich glaub ich hab gar nicht so viel Talent, sondern bei mir war es eher der Fleiß. Also ich bin zum Beispiel jemand, der sehr sehr lange braucht, um neue Stücke zu lesen. Irgendwie denke ich manchmal, mein Kopf ist ein bisschen langsamer als bei anderen.
Aber wenn ich es dann geübt hab, dann ist es so gut, dass wenn ich irgendwie mit den Komponisten arbeite, dass sie sagen, ‚Boah, so haben wir unser Stück noch nie gehört.‘
Aufgeben wollte sie nie. Nicht mal als sie Zweifel hatte, ob sie gut genug ist. Und von einem ihrer Lehrer auch noch übel erschüttert wurde. Ich finde, jeder Lehrende, jeder Mensch sollte auf solche Sätze verzichten. Um Gottes willen und um der Menschen willen.
Wenn dann im Unterricht dann auch so Sätze fallen so: ‚ja Leonie, das kann hier jeder und wer es nicht kann, der hat hier auch nichts zu suchen.‘
Heute weiß ich, dass es Dinge waren, die so gut wie keiner kann und ich da dran irgendwie ja geübt habe und geübt habe, bis ich sie im Schlaf konnte.
So standzuhalten, finde ich bewundernswert. Vielleicht ist Leonie Klein zur Schlagzeugerin berufen. Sie sagt, es war auch Ehrgeiz, der sie stark gemacht hat. So sind sie und ihr Schlagzeug eins geworden.
Ich kann mich gar nicht dran erinnern, dass ich mal kein Schlagzeug gespielt hab. Und man schafft dann auch so diesen Sprung erst mal an ne Hochschule, das ist erstmal auch n Privileg. Und das war mir schon sehr bewusst, dass ich das irgendwie nutzen will und irgendwann war es so ein bisschen: oK, wenn ihr mir alle sagt irgendwie, es muss anders sein, jetzt mache ich es einfach, wie ich es für richtig finde.
Hat sie eigentlich einen Lieblingsdrummer aus der Rockmusik? Klar, und vermutlich ist es kein Zufall, dass der auch ziemlich eigen war. Keiner von den Drummern mit „dicken Oberarmen“.
Charlie Watts. so ein eleganter Schlagzeuger, so gentlemanlike, der irgendwie da hinten bei den Rolling Stones sitzt, er schaut sich das so von hinten an, was die anderen da vorne so treiben auf der Bühne. Ein Rockdrummer der anderen Art.
Mit Anfang 30 sieht sich Leonie Klein noch lange nicht am Ziel. Sprüht vor Zuversicht und Freude, Neues aus sich zu entwickeln. Konzerte selbst konzipieren ist ein Bild von sich, auf das sie zugeht.
Nicht nur als Interpretin auf die Bühne zu gehen, sondern eben auch zu schauen, wie kann man das, was auf der Bühne stattfindet, konzipieren. Für mich einfach neue Facetten nochmal zu entdecken.
Ich finde, Leonie Klein kann einen inspirieren: dass ein starkes Ziel Verzicht lohnt. Wie man Eigensinn bewahrt und so vielleicht zu der Person reift, die in einem steckt. Und wie sie ihr Glück schätzt.
Am Wochenende würde man nie ins Büro gehen und arbeiten, aber man geht in den Proberaum, weil es einfach Spaß macht, und es fühlt sich gar nicht wie Arbeit an. Und das ist auch das Schöne, wenn das einen so erfüllt.
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Terminhinweis:
Mittwoch 16. April 2025 19.30 Uhr
Bibel und Schlagzeug
Dom zu Speyer
Lesung Christoph Kohl
Schlagzeug Leonie Klein

Christopher Hoffmann trifft die Komikerin und Familientherapeutin Cordula Stratmann
Sie bringt in Formaten wie „Schillerstraße“, „Zimmer frei“ oder zuletzt bei „Last One Laughing“ ein Millionenpublikum zum Lachen. Eine Frohnatur mit ganz viel Tiefgang, die neben der Comedy auch als Familientherapeutin in Köln arbeitet. Wir treffen uns in ihrer Praxis. Lustig und ernst – Cordula Stratmann ist und kann beides: Das beweist sie auch in ihrem aktuellen Buch: „Wo war ich stehen geblieben? Grübeleien und Geistesblitze“*. Immer wieder geht es darin um das Thema Familie, etwa um die Liebe von Eltern zu ihren Kindern. Ihr Credo als Therapeutin und als Mutter eines 18-jährigen Sohnes:
Wenn mein Kind eines Tages mit einer Dankbarkeit auf unsere Beziehung schaut, dann liegt das daran, dass es mir gelungen ist eine liebevolle Beziehung zu dem Kind zu haben, dass ich durch die Liebe zu meinem Kind bei dem Kind geweckt habe: Ah, ich möchte, dass es meiner Mama gut geht. Es ist mir nicht egal, was ist mit ihr mal sein wird, ich fühle mich verantwortlich. Das kann ich aber nicht in Auftrag geben, sondern das entsteht aufgrund meiner Liebe.
Wenn Cordula Stratmann über bedingungslose Liebe redet, dann begeistert mich das. Als Christ glaube ich an die bedingungslose Liebe Gottes zu jedem Menschen. Wie ist das bei ihr? Ich frage die 61-Jährige: Glauben Sie an Gott?
Die Frage nach Glauben an Gott fasziniert mich wirklich, weil ich die beantwortet habe als ein junger Mensch, der sich in Gemeinde aktiv einbringt und Gruppenleiterin war und ich hatte dann einen sehr intensiven Glauben an Gott, weil das in meiner Familie auch so gelebt wurde, aber eben nicht diktatorisch, sondern mir war immer nur ein freundlicher Gott zugänglich, so. Dann bin ich aber gescheitert an Institution Kirche.
Und dann macht sie es, wie viele Menschen, die ich kenne. Cordula Stratmann tritt aus:
Weil für mich klar war eine Institution, die Homosexualität nicht als Teil von Leben anerkennt - will ich nichts mit zu tun haben! Und jetzt sitz ich da und denke: ja, was irgendwelche Männer von sich geben, kann doch gar nicht mein Verhältnis zu einem Gott bestimmen, das darf ich doch wohl nicht zulassen!
Sie kennt beides und differenziert– einerseits tolle Seelsorger und prägende Jugendarbeit beim Bund Deutscher Katholischer Jugend. Andererseits Regeln, die ihr den Zugang zum Glauben versperrt haben. Und trotzdem:
Seitdem ich die Tür zu der Frage wieder neu aufgemacht habe: „Wer ist eigentlich Gott für mich?“, muss ich wirklich sagen, kehrt immer mit dieser Frage, auch so ein Moment von Frieden in mir ein. Und das find ich eine ganz tolle Erfahrung.
Mit Glaube und Gott hatte sie lange abgeschlossen. Doch nach Jahrzehnten als Atheistin stellt sie fest, dass Gott in ihrem Leben wieder eine Rolle spielt:
Das, was ich abgelegt hatte, weil ich dachte naja das war halt mein kindlicher Glaube damals und Reifung heißt sich ablösen, also löse ich mich auch von meinem Glauben an Gott, das ist ja alles nur kindlicher Trost, weil wir nicht aushalten können dass alles so scheiße ist und dann zu erleben, dass gerade in den Zeiten wo es scheiße ist, bei mir wirklich ne Lampe hell aufleuchtet und ich hab da nichts dran getan, das entsteht, ich fummel an der Sache nicht rum , ich steh daneben und sag: Hallo - Da bist du ja wieder, ok? Aha! Ja, das finde ich absolut faszinierend.
Und so kommt sie zu der Erkenntnis:
In mir weiß etwas: da ist jemand oder etwas Größeres, was eine größere Erzählung hat und du bist Teil davon. Das beschäftigt mich gerade und in beglückender Weise.
Mit der Frage nach Gott ist für sie auch die Frage nach dem Sinn des Lebens verknüpft. Und der ist für Cordula Stratmann…
Gnade, Großzügigkeit, mach dein Herz auf - die Sinnfrage kriegst du immer nur mit Verbindung beantwortet. Die Sinnfrage ist nicht positiv zu beantworten in der Isolation, in der Rücksichtslosigkeit. Ich bin zutiefst durchdrungen von Gemeinsinn. Ich sollte keine Angst vor dem anderen haben. Ich brauche ihn und er braucht mich.
Und das meint sie ganz konkret. Deshalb fordert sie auf ihrer Lesereise durch das Land ihr Publikum auf, aktiv zu werden:
Ich habe an die Leute appelliert, dass sie aufhören sollen solche Sätze zu sagen wie: „Naja, hoffen wir mal das Beste“. Sondern: Sei du Teil vom Besten! Guck dich bitte ab sofort um – rechts und links, sei sofort an der Ampel freundlich zu jemandem, lasse sofort jemanden an der Kasse vor, wenn er nur ein Teil hat.
Aber auch bei den größeren Problemen des Alltags fordert sie Nächstenliebe ein:
Jetzt schreien da oben schon wieder die Kinder, das wird mir zu laut – dann geh hoch und frag ob du helfen kannst. Vielleicht bin ich gerade gestört von einem Problem, um das ich mich auch kümmern kann.
Was ihr immer hilft: Humor und Heiterkeit – nicht nur heute an Karneval:
Ich bin das ganze Jahr über jeck, und das kann ich auch jedem dringend empfehlen. Und grundsätzlich hochjazzen die Mundwinkel, wenn du das Haus verlässt – Tür abschließen, Treppe runtergehen und sofort den Nächsten angrinsen auf der Straße - grins dich durch dein Leben!
Hat bei mir auf jeden Fall funktioniert – als ich bei Cordula Stratmann die Tür rausgehe, habe ich ein fettes Grinsen im Gesicht.
*Cordula Stratmann: Wo war ich stehen geblieben. Grübeleien und Geistesblitze. München 2024, Verlag dtv.
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Christiane Quincke, gebürtige Hamburgerin, leitet den evangelischen Kirchenbezirk Pforzheim. Als spröde Schönheit bezeichnet sie die Stadt, in der sie seit gut zehn Jahren lebt. Heute findet dort wie an jedem 23. Februar ein Gedenktag statt: Vor 80 Jahren wurde die Stadt durch einen britischen Bombenangriff in Trümmer gelegt, ein Drittel der Bevölkerung kam ums Leben, mindestens 17.600 Menschen.
Für die Bevölkerung war das wie vom Himmel gefallen. Und dieses Gefühl, da ist was vom Himmel gefallen, diese Form der Traumatisierung, die wirkt aus meiner Sicht bis heute nach.
Der Schock von damals sitzt tief bei den Zeitzeugen und er prägt auch das Leben der Nachfahren. Denn Traumata wirken generationsübergreifend fort – das weiß man heute. Neben der Trauer um die Toten und Vermissten möchte Christiane Quincke auch die Jahre vor 1945 in die Gedenkkultur mit einbeziehen. Denn nicht erst die Zerstörung der Stadt, auch die menschenverachtende Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten haben ja dort Biografien geprägt. Christiane Quincke hat es öffentlich ausgesprochen: „Pforzheim war keine unschuldige Stadt“ und hat damit für Aufsehen gesorgt.
Ich habe auch gesagt, das rechtfertigt keine Bombardierung, das ist für mich ganz klar. Aber trotzdem: Dieser Satz, der hat viele hier getroffen, weil sie sich damit selber auf einmal in die schuldige Ecke gedrängt fühlten.
Ob es gelingen kann, der vielen Opfer und der sinnlosen Zerstörung durch diesen Bombenangriff zu gedenken und gleichzeitig die Geschichte einer Stadt zu erzählen, in der Menschen französische Widerstandskämpfer ermordet haben, die jüdische Bevölkerung deportiert und das NS-Regime unterstützt? Christiane Quincke meint: ja.
Wir versuchen seit elf Jahren eigentlich intensiv, diesen 23. Februar zu einem Tag zu machen, wo auch die Menschen mit einbezogen sind, die diesen 23. Februar nicht nur nicht erlebt haben – das hat ja fast niemand mehr, sondern die jetzt auch keinen unmittelbaren Bezug dazu haben, weil sie keine Angehörigen hier haben oder gar nicht von hier kommen.
Und das sind inzwischen viele. In Pforzheim lebt ein überdurchschnittlich großer Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit ähnlichen Verlustgeschichten und brutalen Abbruchserfahrungen. Eine Chance, meint Christiane Quincke:
Ich habe mal mit einem gesprochen, der sagt auch, ja, mich haben die Bilder, als ich die gesehen habe, total an Aleppo erinnert und dann hat er gesagt, Mensch, wenn ihr das geschafft habt, dann schaffen wir das auch irgendwann.
Wenn man das aus meiner Sicht positiv würdigen würde, im Sinne von wir tragen hier solche Geschichten mit uns, wir teilen sie miteinander, und wir sorgen gemeinsam dafür, dass so etwas nicht wieder passiert. Das ist eine Botschaft, die von uns aus Pforzheim ausgeht, nun quasi Friedensstadt vielleicht.
Heute vor 80 Jahren ist die Stadt Pforzheim durch einen britischen Bombenangriff komplett zerstört worden. Den jährlichen Gedenktag gestalten auch die Kirchen mit. Die evangelische Dekanin Christiane Quincke erinnert sich an die ersten gemeinsamen Überlegungen:
Dann habe ich eingebracht, ich glaube, es wäre gut, wenn wir an diesem Abend einen interreligiösen Segen machen würden für die Stadt. Wir haben eine Botschaft und wir wollen diese Stadt auch segnen, und das tun wir mit den vielen Religionen, die wir hier haben.
Stehen und schweigen, die Glocken der Stadt hören, die genau so lange läuten, wie der Angriff am 23. Februar 1945 gedauert hat. 20 Minuten: Gerade mal so lange wie der Bus durch Pforzheim von der Hochschule zum Hauptbahnhof fährt. Und doch Zeit genug, um das Leben von Zigtausend Menschen auszulöschen und ihre Stadt gleich mit.
Dann war die Idee, da ein Lichtermeer entstehen zu lassen, also Kerzen zu verteilen und auch hier so eine Art Friedenswege zum Zentrum zu führen, damit die Menschen auch dahin kommen. Es ist gut, den Menschen zu sagen: Wir wissen, 20 Minuten nachher, das ist lang, aber schaut auf die Kerze, denkt an eure Lieben, und dann wird das, und einfach die Menschen da mithineinzunehmen.
Weil der Gedenktag in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt, findet am Vormittag auch ein ökumenischer Gottesdienst statt. „Das Herz lösen“ heißt sein Programm in Anlehnung an einen Choralvers von Paul Gerhardt. Denn es geht auch ums Loslassen. Den Schmerz ziehen lassen, damit Hoffnung und Zuversicht wieder einen Platz im Herzen finden. Und in der Stadtgesellschaft.
Für Pforzheim geht es schon auch immer nicht nur um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Und darum, wie wir unser Zusammenleben gestalten. Also wie gestalten wir hier unsere Zukunft? Wie gestalten wir die Gegenwart? Wie leben wir zusammen? Und was bedeutet auch Demokratie in diesem Fall? Und was ist das, was wir ja dann vielleicht auch bewahren und schützen müssen?
Denn es gibt es auch andere Kräfte, die das Gedenken an den 23. Februar ausschlachten zur Verfolgung nicht demokratischer Ziele. Zum Beispiel der Aufmarsch rechtsextremer Gruppen auf dem Wartberg:
Da treffen sich Menschen, die wollen eine andere Gesellschaft. Die wollen nicht, dass wir hier sind. Die wollen unser Zusammenleben kaputtmachen. Und dass wir sagen: nein, und wir gestalten unser Zusammenleben und wir sind stolz darauf, dass wir das können und dass wir es tun. Und wir haben hier auch die Verantwortung, was dafür zu tun. Und dafür bitten wir dann Gott um seinen Segen.
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Mit Manuela Pfann und mit dem Philosophen Wilhelm Schmid. Ich möchte mit ihm über die Liebe sprechen. Weil er darüber ein ganz besonderes Buch geschrieben hat. Wir treffen uns nach einer Lesung; und er erzählt mir vom Tod seiner Frau – und: Wie die tiefe Liebe der beiden bis heute besteht.
Ich habe keine Trauer erlebt, sondern ein Traurigsein. Daran liegt mir sehr. Und ich bin schon immer als Philosoph der Meinung gewesen, dass Traurigsein ein Teil des Menschseins ist. Bei der Trauer habe ich bei Vielen den Eindruck, das fällt aus dem Menschsein raus. Also das muss man so schnell wie möglich dann hinter sich lassen. Ich will das Traurigsein nicht hinter mir lassen. Ich bin froh, wenn es nicht ständig da ist. Und das ist auch so.
Seine Frau hatte sich von Wilhelm Schmid gewünscht, er soll nicht ewig grübeln oder Trübsal blasen.
Tue ich auch nicht, weil dazu bin ich zu erfüllt von ihr und weil ich erfüllt sein darf von ihr, gibt es keinen Grund für Trauer. Nur immer mal wieder traurig sein, dass sie leiblich nicht da ist. Aber wir sind zusammen in anderer Aggregatform und das spüre ich auch und das tröstet mich komplett.
Mich erinnert das an den schönen Satz des Apostels Paulus: „Die Liebe hört niemals auf“. Gilt der also tatsächlich für Wilhelm Schmid und seine verstorbene Frau?
Die Liebe ist voll und ganz geblieben! Ich habe 100, 200 Bilder von ihr auf meinem Handy und immer passend zum Tag suche ich eins aus, damit sie auch wenigstens im Bild mich anschaut. Und momentan ist mir danach, Bilder von ganz vom Anfang rauszusuchen. Was war das für eine blühende, schöne junge Frau!
Wilhelm Schmid strahlt, wenn er von seiner Frau spricht. Und ich frage ihn: Tut das nicht immer wieder aufs Neue weh, den geliebten Menschen jeden Tag nur als Foto zu sehen?
Nein, das tut mir nicht im Geringsten weh. Ganz im Gegenteil, das bestärkt mich, das beglückt mich. Was? Ich durfte diese wunderschöne Frau meine Frau nennen? Wechselseitig, sie sagte mir auch, wirklich sehr stolz, „Mein Mann“. Nein, „mein geliebter Mann“, sagte sie, das ist ein Unterschied.
Deshalb ist er auch sicher: Sie ist einverstanden damit, dass er ein Buch über sie, über ihr Sterben und ihren Tod geschrieben hat; und dass er sie so zu jeder Lesung mitnimmt.
Sie wollte nicht losgelassen werden. Sie wollte zusammenbleiben. Deswegen möchte ich Menschen auch sagen: Loslassen kann am Platz sein, ja, aber nicht in jedem Fall. Nehmt euch die Freiheit, das selbst zu entscheiden. Ihr müsst da keiner Norm folgen, die heute aufgestellt worden ist, „man muss loslassen“. Ich lasse meine Frau nicht los.
Für Wilhelm Schmid war der Tod seiner Frau nicht das Ende ihre Liebe. Nur der „Aggregatzustand“ hat sich verändert, wie er es formuliert. Aber die Energie seiner Frau, die ist geblieben.
Energie kann endlos umgewandelt werden in andere Energieformen, aber sie kann niemals vernichtet werden. Sie war immer da und wird immer da sein. Deswegen vermute ich eben, Religion könnte etwas mit dem Bewusstsein von dieser Energie zu tun haben. Und, das ist etwas, was dann heißen würde: Nach dem Tod ist der ganze Mensch weiterhin da, aber nicht mehr in körperlicher Form, sondern in energetischer.
Der Moment, wenn ein Mensch stirbt, der ist tief traurig und schrecklich. Und Wilhelm Schmid sagt: Dieser Moment, in dem seine Frau gestorben ist, der war magisch. Das würde ich gerne besser verstehen.
Ja, da bin ich selber in Verlegenheit, das in Worte zu fassen. Es ist ein ungeheuer intensiver Moment. Einerseits der tiefste Abgrund, weil die Welt jetzt so furchtbar leer erscheint ohne diesen Menschen. Das Bewusstsein, es ist absolut endgültig. Aber zugleich eine so große Intimität mit diesem Menschen wie nie, nie zuvor. Nur energetisch erklärbar, weil es ist ja jetzt keine körperliche Intimität.
Wilhelm Schmid hält nochmals inne, um mir zu signalisieren: Wir wissen nicht wirklich, was das für Energien sind. Weil wir so Vieles überhaupt noch nicht wissen.
Aber die Welt ist ungeheuer reich, reicher, als wir Menschen jemals erfassen können. Alles das kommt in diesen Moment rein. Deswegen ist er so magisch. In dieser ungeheuren Spannweite schwebt dieser Moment des Todes; abgrundtief schlimm und absolut reich.
Während unseres ganzen Gesprächs geht mir ein Gedanke durch den Kopf, eine Frage. Ich denke an den Tod Jesu und die Geschichte seiner Auferstehung. Ist das vielleicht auch eine Geschichte von Energie und von verwandelter Liebe? Was sagt ein Philosoph dazu?
Auferstehung verstehe ich so, dass diese Energie, die von einem Menschen bleibt, dann, in welcher Art auch immer, ins Bewusstsein von Menschen treten kann. Das kann in Bildern geschehen, die wir vor uns sehen. Ich hatte nächtelange Träume von meiner Frau, in der sie vollständig real bei mir war. So real, dass ich es nicht glauben konnte nach dem Aufwachen, dass das jetzt nur ein Traum gewesen sein soll. Und ich vermute, dass so was zum Beispiel auch bei der Auferstehungsgeschichte geschehen ist, dass diejenigen, die Jesus geliebt haben, ihm nahe waren, ihn buchstäblich wieder vor Augen hatten. Und ich wäre der Letzte, der sagen würde: Das ist reine Einbildung.
Wilhelm Schmid, „Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbaren“, Insel Verlag
https://www.suhrkamp.de/buch/wilhelm-schmid-den-tod-ueberleben-t-9783458644231
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16 Jahre lang war Volker Jung der Kirchenpräsident der EKHN, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, zu der auch ein Teil von Rheinland-Pfalz gehört. Im Januar ist er in den Ruhestand verabschiedet worden. Ich treffe ihn, um mit ihm gemeinsam zurück- und vorausblicken.
Schon in seiner Zeit als Gemeindepfarrer und Dekan im Vogelsberg war Volker Jung auch kirchenpolitisch engagiert. Und als 2008 ein neuer Kirchenpräsident gewählt werden sollte, da meinte seine Tochter: „Wenn du gefragt wirst, dann musst du es versuchen!“ Als neuer Kirchenpräsident ist er nach Darmstadt umgezogen – ein Wechsel mit Konsequenzen für die ganze Familie:
Die Belastungen in diesem Amt, auch die terminlichen Belastungen, die sind doch erheblich. Da mussten wir dann schon einen Weg finden, miteinander umzugehen. Für meine Frau war das auch nicht so einfach, die auch berufstätig war, und die gesagt hat: „Ich muss mich da neu darauf einstellen.“, die damals, ähm, nicht so gerne nach Darmstadt gegangen ist und heute aber an einem Punkt ist, dass sie sagt: „Ach jetzt würde ich am liebsten in Darmstadt bleiben.“
Vorsitz der Kirchenleitung, Finanzplanung, Sitzungen, Repräsentation… Trotz der Fülle an neuen Aufgaben hat Volker Jung Mit einem großen Vorsatz sein Amt damals angetreten:
Ich hab damals mit meiner Aussage in der Synode: „Ich will als Pfarrer Kirchenpräsident werden und als Kirchenpräsident Pfarrer bleiben“, versucht zu zeigen, dass das Pfarrer-Sein für mich eine Grundhaltung bedeutet. Und deshalb habe ich immer Wert darauf gelegt, in Gottesdiensten zu predigen, in Gemeinden zu sein, wenn ich eingeladen wurde, oft bei Jubiläen und Festen und dort auch mit Menschen zu reden und nahbar zu sein.
Und das Gespür dafür nicht zu verlieren, was die Menschen an der Basis bewegt. Volker Jungs Amtszeit war geprägt von den vielen Krisen, die in den vergangenen Jahren von außen auf die Gesellschaft und damit auch auf die Kirche zukamen, auf die er als Kirchenpräsident natürlich reagieren musste:
Damals, als ich anfing, war gerade die Finanzkrise das große Thema, die Weltfinanzkrise. Und dann kam kurz darauf Fukushima, der Ausstieg aus der Atomenergie. Das sind so die großen politischen Ereignisse. Immer war das Thema Aufnahme von Flüchtlingen, Migration und Integration ein großes Thema. Das reicht bis hin zur Corona-Pandemie, die uns vor Herausforderungen gestellt hat, die wir bisher überhaupt nicht im Blick hatten.
Für Volker Jung hat das bedeutet: Im Gespräch zu bleiben mit Verantwortungsträgern, Hilfsangebote für Geflüchtete zu schaffen, gemeinsam Wege zu suchen gegen Vereinsamung während Corona. Für Volker Jung eine herausfordernde Zeit, aber auch eine, die ihn persönlich sehr bereichert hat. Und obwohl ihn sein Amt so manches Mal an seine Grenzen gebracht hat, sagt Volker Jung heute:
Es hat mir aber auch unglaublich viel gegeben. Viele, viele Begegnungen. Es hat mir noch mal neue Horizonte geöffnet. Ich habe Kirche noch einmal anders verstanden, denken müssen auch aus der leitenden Funktion heraus und hab unglaublich viele spannende, interessante Menschen kennengelernt. Das möchte ich unbedingt behalten. Und das hat mich sicher auch verändert. Aber es hat mir noch mal die Fülle unserer Kirche gezeigt, die ich dadurch auch noch einmal auf eine andere Weise liebgewonnen habe.
Ich habe Volker Jung gefragt, ob das Amt als Kirchenpräsident seinen Glauben verändert hat, ihn manchmal vielleicht sogar auf die Probe gestellt hat:
Das ist für mich ganz schwer zu sagen, weil mit dem Amt auch natürlich bestimmte Aufgaben verbunden sind mit dem Amt auch bestimmte Erfahrungen, auch bittere Erfahrungen, auch der Blick in manchen Abgrund, auch in der Kirche. Das hat wehgetan und tut weh und stellt auch wirklich den Glauben auf die Probe. Es bedeutet immer, sich neu auf Gott auszurichten und auch Gott darum zu bitten, in solchen Situationen Kraft und Halt zu bekommen. Das habe ich, soweit ich es für mich selber sagen kann, zum Glück nicht verloren.
Sich den Abgründen stellen, Fehler und Verfehlungen – wie den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche - aufarbeiten und Konsequenzen ziehen für die Zukunft – das gehört für Volker Jung zum Amt eines Kirchenpräsidenten oder einer -präsidentin. Seiner Nachfolgerin, Christiane Tietz, die seit Jahresbeginn dieses Amt inne hat, wünscht er dafür die nötige Kraft und Weitsicht.
Ich wünsche meiner Nachfolgerin Christiane Tietz, die ich wirklich sehr schätze, dass sie in diesem Amt immer Wege findet, aus der theologischen Arbeit heraus auch Impulse in diese Kirche hineinzugeben. Und dass sie dabei selbst auch eine Erfüllung für sich findet. Und dann wünsche ich ihr auch viele Menschen, die mit ihr zusammen diese Kirche leiten, diese Kirche gestalten.
Als Kirchenpräsident hat sich Volker Jung in den Ruhestand verabschiedet. Aber Pfarrer zu sein, das ist seiner Überzeugung nach eine Lebenshaltung. Deshalb wird sich Volker Jung auch im Ruhestand weiter engagieren. Und wünscht seiner Kirche für die Zukunft,
dass das, was sie, glaub ich, wirklich auszeichnet, das gute Zusammenspiel von hauptamtlich und ehrenamtlich engagierten Menschen, dass das weiter gepflegt wird und dass das dann auch neue Kraft entfaltet. Für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41577
Caroline Haro-Gnändinger trifft: Sarah Tischer.
Sie lebt in Freudenstadt-Igelsberg im Schwarzwald und dafür hat sie sich ganz bewusst entschieden. Davor hat sie lange in Großstädten gelebt, zuletzt in der Schweiz in Zürich. Und sie hat als Wirtschaftswissenschaftlerin im Bereich Versicherungen gearbeitet.
Ich wollte immer Karriere machen als Frau, auch in der Wirtschaftswelt und so nach dem Motto: Ich kann das auch und das war mein Treiber. Also es war auch nicht Geld oder Lebensstil oder so oder auch nicht Sicherheit, sondern wirklich dieses: Ich wollte vorankommen, das war mein Ziel.
Vorangekommen, das ist sie auch. Aber nach ein paar Jahren hat sie gemerkt, dass der Rahmen an sich für sie nicht passt. Mit Mitte 20 kündigt sie damals – und zwar ohne einen genauen Plan für danach zu haben.
Es war wirklich nur diese Sinnkrise, aber die war letztendlich einfach so groß, wo ich dann gemerkt habe, es macht keinen Sinn. Ich will nicht Geld hin und her schieben und nichts Sinnvolles machen und mich daran selbst bereichern, dass ich irgendwie da so ein bisschen mitwurschtle.
Wo bin ich am richtigen Platz? – diese Frage kenne ich auch. Wo kann ich dahinterstehen? Klar, nicht immer haben wir die Wahl, manchmal zählt auch einfach, Geld verdienen zu können. Sarah Tischer hat damals jedenfalls keinen Partner oder Kinder und sie hat ein kleines finanzielles Polster. Das hat es ihr leichter gemacht. Außerdem fängt sie gerne etwas Neues an:
Ich interessiere mich für wahnsinnig viele Dinge und bin auch sehr begeisterungsfähig und habe auch schon immer gern Neues angefangen und mich da so komplett reingestürzt.
Aber ihr fällt damals das Entscheiden schwer. Sie überlegt, Yogalehrerin zu werden, ein Restaurant zu eröffnen oder vielleicht doch ein Haus mit Gästezimmern zu kaufen.
Dann kamen aber schon wieder von allen Seiten ganz viele Vorschläge für mich und ich hatte wieder dieses Gefühl wie nach dem Abi, wo auch alle gesagt haben, du hast alle Möglichkeiten, dann dachte ich: Jetzt bin ich mit Mitte 20 schon wieder da und alle sagen: Ja, du hast alle Möglichkeiten. Und die bringen dir doch gar nichts, weil ich mich für eine Sache entscheiden muss.
Und beim Entscheiden hilft ihr unter anderem, pilgern zu gehen – sie läuft los, zwei Monate auf dem Jakobsweg. Von Frankreich nach Spanien, nach Santiago de Compostela. Es ist ein Weg, den Christen schon vor Jahrhunderten gelaufen sind. Eigentlich hat Sarah Tischer mit Glauben nicht viel zu tun, sie zweifelt. Aber sie hat sich in den Pilgerrucksack eine kleine Bibel gelegt.
Ich habe mich da sehr drauf eingelassen. Als ich auf den Weg bin, in so einer Sinnkrise will ich mich auch mit Religion beschäftigen und mit größeren Themen, weil im Alltag hat man einfach immer so viele Sachen um die Ohren. Und auf dem Weg ist man auf dem Weg und hat banale Sorgen mit: Wo esse ich? Wo schlafe ich? Und viel mehr ist da nicht.
Verstehe ich gut, auch mir tun ein paar Tage ganz woanders nur für Fragen rund um meinen Glauben sehr gut. Übrigens ist sie im Winter gestartet! Im Februar.
Ich habe das auch irgendwie gesucht, das Abenteuer und bin dann auch wirklich losgelaufen, obwohl gesagt wurde, da liegt dann schon zum Teil irgendwie kniehoch Schnee und so und dann war ich da war mir da irgendwann auch nicht mehr sicher, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Ja, also so ein bisschen Abenteuer gehört dann auch dazu.
Unterwegs trifft sie andere Pilger und Herbergsbesitzerinnen und die inspirieren sie. Was den Beruf angeht, und auch den Glauben an Gott.
Ich spreche mit Sarah Tischer – sie ist aus Überlingen am Bodensee und lebt heute mit Mann und Kind in Freudenstadt-Igelsberg. Nach dem Studium hatte sie Daten von Versicherungsunternehmen ausgewertet. Heute führt sie ihr eigenes Gästehaus im Schwarzwald – sie organisiert alles von den Finanzen, bis zu Frühstück und Renovierungen:
Was ich jetzt auch merke: Immer, wenn man was wirklich mit Leidenschaft macht und auch sein Eigenes macht, das merken die Leute.
Was hat ihr dabei geholfen sich für diesen Beruf zu entscheiden?
Sie erzählt mir, dass sie auf ihr Inneres gehört hat. Und dabei haben ihr auch gute Freunde geholfen. Auf dem Jakobs-Pilgerweg hat sie sich außerdem mit Herbergsbesitzerinnen darüber ausgetauscht, wie das so ist, eine Herberge zu betreiben. Sarah Tischers Alltag ist heute deutlich anders als damals im Versicherungsunternehmen:
Die Gastronomiebranche, wo ich jetzt arbeite, ist natürlich auch ein hartes Pflaster. Also man verdient da nicht so viel Geld. Das habe ich davor um Welten einfacher verdient. Das ist viel anstrengender, aber nichtsdestotrotz sehr viel sinnerfüllter, mein ganzes Leben.
Es kann sicherlich nicht jeder so plötzlich etwas ganz Neues anfangen. Aber etwas finden, wo ich im Alltag mit dem ganzen Herz dahinterstehen kann, finde auch ich sehr wichtig. In Igelsberg mag Sarah Tischer übrigens auch die Gemeinschaft. Und sie hat eine evangelische Kirchengemeinde gefunden, in der sie sich wohl fühlt. Ein monatliches Treffen von Frauen mag sie besonders, sie schauen sich biblische Texte genauer an, singen und sitzen zusammen:
Die beiden lieben Frauen, die das organisieren, die bereiten auch immer Programm vor. Und die machen das alles so liebevoll. Und dann durchaus auch noch den Austausch über Glaubensthemen. Und dann ist da noch so viel schöne Gemeinschaft und dann geht man immer relativ beglückt wieder. Deswegen geh ich da gerne hin.
Für sie etwas Neues. Sie ist nach dem Schulabschluss aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Predigten haben sie oft nicht angesprochen und sie stört zum Beispiel, dass Frauen da keine Priesterinnen werden können. Inzwischen ist sie in der evangelischen Kirche, aber der Institution Kirche steht sie schon auch noch kritisch gegenüber. Was sie überraschend gut fand: Beim Pilgern auf dem Jakobsweg ist sie einem katholischen Pfarrer begegnet:
Ich fand es einfach der Wahnsinn, dass ich dem begegnet bin. So diese Fragen, die mir so ewig schon auf der Seele gebrannt sind, konnte ich einfach da alles fragen. Also sehr zugänglich. Wir saßen auch einmal in der Bar und er hat ein Fußballspiel angeschaut und ich habe ihn während dessen Sachen gefragt. Also das war für mich eine sehr prägende Erfahrung.
Sie hat mit ihm diskutiert und ein paar Antworten für sich gefunden. Aber es bleiben auch Zweifel:
Gerade in Bezug auf Krankheiten so: Warum trifft es die einen, dass sie so schwer krank werden oder so früh sterben und die anderen nicht?
Diese Fragen lassen sie nicht los. Trotzdem ist ihr der Glaube wichtig und sie fühlt sich im Alltag verbunden mit Gott:
Ich merke schon, dass ich oft anfange zu beten, wenn ich wirklich ein Problem habe oder in einer blöden Situation bin. Und sonst würde ich sagen, dass ich nicht ganz regelmäßig bete, aber schon oft morgens oder abends so auch gerne Sachen aufzähle, für die ich dankbar bin.
Und da gibt es so vieles. In solchen Momenten erlebt sie Gott:
Wenn man so ganz viel Schönheit erlebt, man hat mal Vogelgezwitscher und der Sonnenaufgang und der Himmel wird so rot und so, also es sind für mich oft diese Momente, auch an der Natur, wo das so sehr präsent wird.
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Ich bin Barbara Wurz. Und ich unterhalte mich heute mit Elisabeth Hofmann aus Neustadt an der Weinstraße. Vor gut zwanzig Jahren haben wir uns bei einer Woche „Kloster auf Zeit“ kennengelernt. Übers Jahr verteilt bietet die evangelische Gemeinschaft „Kirchliche Arbeit Alpirsbach“ solche Wochen an, auf denen jeder Tag strukturiert ist durch Stundengebete – gregorianisch gesungen. Lange bevor wir beide uns getroffen haben, war Elisabeth Hofmann von dieser uralten, klösterlichen Musik fasziniert.
Ich habe mir die erste Woche Gregorianik bei den Alpirsbachern geschenkt, als ich mein Examen hatte, als mein Studium fertig war. (…) Aber das, was ich in dieser Woche erlebt habe, das war so viel, waren so tolle Klänge auch in einem wunder-, wunderschönen Kirchenraum, in dem ich verstanden habe, dass eine Kirche auch ein Musikinstrument ist, wenn man nur einen Klang hinein entsendet.
So viel wie möglich hat Elisabeth Hofmann seither über Gregorianik gelernt. War zu Gast in Klöstern, wo seit Jahrhunderten die Mönchs- oder Nonnenkonvente ihre Tagzeitengebete gregorianisch singen. Und sie hat sich auch wissenschaftlich auf dem neuesten Stand gehalten – auf Kursen des Instituts für Gregorianik an der Folkwang-Universität in Essen.
Ursprünglich wird auf Latein gesungen – im „Kloster auf Zeit“ der kirchlichen Arbeit Alpirsbach aber auf Deutsch. Eine echte Herausforderung, wie die Lateinlehrerin Elisabeth Hofmann weiß:
Melodien, die dann das Gregorianische ausmachen, legen sich über die lateinische Sprache rüber und sie (…) füllt die Gedanken der lateinischen Sätze, füllt sie aus mit ihren Klängen und baut zum Beispiel ein Jerusalem mit allen seinen Mauern und Türmen, (…) und man hat ein tolles Bild vor sich. Und jetzt habe ich aber das Problem: Wie kriege ich diesen Turm auf Deutsch wieder unter diese Noten? Das, dass er wieder so schön auf aufgebaut wird und das ist wieder ein Bild wird für die, die es auf Deutsch singen. Das ist gar nicht so einfach.
Als Kantorin übt Elisabeth Hofmann die Gesänge ein. Aber nicht wie für eine Aufführung, bei der ein Publikum zuhört wie ein Chor singt. Es geht ihr darum, dass Text und gregorianische Melodie eins werden. Und sich für die Gemeinschaft der Sängerinnen und Sänger ein ganz eigener Raum für öffnet, der biblischen Botschaft zu begegnen. Deshalb auch Deutsch statt dem ursprünglichen Latein.
Also zwei Chöre sitzen sich gegenüber und werfen sich quasi musikalisch die Bälle zu. Ein Chor singt einen Psalm Vers, der zweite Chor antwortet mit dem zweiten Psalm Vers, (…)das heißt man singt Antiphon mal, also gegentönig sozusagen, und wirft sich die (…) die musikalischen Bälle zu. Das heißt aber, wenn wir zusammenkommen, müssen wir uns sehr aufeinander einlassen. Wir können nicht einfach vor uns hin singen oder große Solisten sein, sondern wir müssen immer den anderen zuhören.
Elisabeth Hofmann und ich haben uns vor gut zwanzig Jahren auf einer Woche „Kloster auf Zeit“ gleich zu Jahresbeginn kennengelernt. Ich eine junge Pfarrerin aus Baden-Württemberg, Elisabeth Hofmann, Lehrerin für Latein und Ethik, leidenschaftliche Sängerin, die ursprünglich aus Eisenach stammt. Typisch für die Veranstaltungen der „Kirchlichen Arbeit Alpirsbach. Auch, dass wir seither tief miteinander verbunden sind – obwohl wir uns fast nur zu Jahresbeginn sehen – eben in „unserer“ Woche „Kloster auf Zeit“.
Gregorianik ist ganz sicher irgendeine Insel, auf die man sich verschlagen kann. Aber (…) wenn ich in die Gesichter sehe, die sich am Ende dieser Woche von mir verabschiedet haben, dann sehe ich da ganz viel Kraft und Ruhe, die mir entgegen strahlt - und auch große Dankbarkeit (...) - am Anfang eines Jahres, wo die Menschen mit Hoffnung in das Jahr hineingehen, aus dieser Woche heraus. (...)Die Kraft, die ich da spüre, die ist – unglaublich.
Eine Kraft, wie sie wahrscheinlich nur eine echte Gemeinschaft hervorbringen kann. Auf den Gregorianik-Wochen der kirchlichen Arbeit Alpirsbach kann man Menschen treffen, die seit Jahren oder sogar Jahrzehnten dazu gehören. Andere kommen ab und zu, manche natürlich auch nur einmal.
Also die kirchliche Arbeit Alpirsbach selber ist quasi auch wie ein Kloster mit Brüdern und Schwestern, (...) und es ist ein virtuelles Kloster, das heißt, Menschen aus Hannover, München und Stuttgart treffen sich an bestimmten Stellen für eine Woche oder zehn Tage, um Kloster auf Zeit zu leben.
Es scheint etwas aus der Zeit gefallen: in einer klösterlichen Gemeinschaft gregorianisch zu singen. Und obendrein gehört zu jeder Woche auch noch dazu, über ein Thema aus Kirche und Gesellschaft zu diskutieren und miteinander ins Gespräch zu kommen. Aber eigentlich ist es eher, als würden die Teilnehmer auf einen alten Schatz stoßen. Auf die Kraft einer uralten Tradition, durch die eine Gemeinschaft entsteht, die trägt – auch übers Ende einer Woche „Kloster auf Zeit“ hinaus.
Selbst Kursteilnehmer(…), die sonst gar nichts, gar nichts mit einem sonst tun haben, öffnen sich am Schluss und zeigen, dass sie doch ganz viel mit mir zu tun haben und ich mit ihnen. (...) Das schafft das Stundengebet, das schaffen diese, diese uralten Formen. Ja, das schafft Nähe und gibt Kraft.
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Christopher Hoffmann trifft: den britischen Sänger J.P. Cooper.
Und mit dem international erfolgreichen Musiker J.P. Cooper. Ich treffe John Paul Cooper als er auf seiner Welttournee in Köln Station macht. Anschließend reist er mit seiner Band nach Japan, Ozeanien und Südafrika weiter. Er gehört zu den besten zeitgenössischen Soul- und Folkstimmen. Allen voran „September Song“ und die gemeinsame Single mit DJ Jonas Blue - „Perfect Strangers“ - , die machten ihn weltberühmt. Es regnete Gold- und Platinauszeichnungen. Trotzdem erlebe ich den 41-Jährigen sehr bodenständig und zugewandt. Vielleicht auch, weil er schon viel durch hat im Leben. Der Brite wuchs in einem Arbeiterviertel in Manchester auf. Als er elf Monate alt war, starb seine Mutter:
Ich war sehr jung, gerade mal knapp ein Jahr, ein Baby. Und ich konnte logischerweise nicht verstehen, was geschah. Aber natürlich hat das alles meine Familie und meine Kindheit ganz entscheidend verändert. Mein Vater brauchte sehr lange, um seine Trauer zu überwinden. Es kam mir so vor, als sei ich unter einer Wolke geboren. Aber ich hatte Glück in dem Sinne, dass mein Papa uns eine enge Beziehung zu ihr ermöglichte. So hatten wir zum Beispiel an ihrem Geburtstag oder an ihrem Jahrestag zu Hause eine kleine Feier. Und da musste er dann seine Arbeit unterbrechen, sich freinehmen; er hatte ja fünf Kinder, um die er sich kümmern musste. Wir hatten nie viel Geld, aber er sorgte stets dafür, dass es irgendwas Besonderes gab an diesen Tagen.
Bis heute fühlt sich JP Cooper seiner Mutter sehr nah– als Christ glaubt er daran, dass es ihr gut geht, da wo sie jetzt ist. Musik ist für ihn eine Möglichkeit mit ihr zu kommunizieren:
Ich höre ihre Stimme in meiner Musik und ich spreche mit ihr jeden Tag. Und ich denke, Musik öffnet irgendwie den Himmel. Wie auch immer man dazu steht oder es nennen will: Es kommt definitiv von einem anderen Ort. Je älter ich werde, desto dankbarer bin ich, dass ich diesen Segen, dieses Geschenk teilen darf.
Was ihn tröstet, teilt er auch mit seinen Fans, etwa in dem Song „Mommas prayers“, Mamas Gebete. Zusammen mit dem Rapper Stormzy singt er darüber, dass ihre Mütter sie mit ihren Gebeten begleiten:
Meine Mutter ist physisch nicht mehr hier, aber ich glaube, sie beschützt mich „von oben“. Und mein Papa schreibt seit Jahren seine Gebete jeden Morgen auf; und das mache ich jetzt auch. Er hat unzählige Bücher voller Gebete aufgeschrieben. Und ich weiß es gibt sehr viele Menschen, die für mich beten, die mir helfen und mir den Weg zeigen - mehr als es mir vielleicht bewusst ist – daran glaube ich. An Dinge, die du nicht sehen und anfassen kannst, die aber definitiv da sind.
Inzwischen ist J.P. Cooper selbst Vater von zwei Kindern, das dritte ist unterwegs. Seinen katholischen Glauben will er ihnen weitergeben, indem er ihn vorlebt - so wie er das bei seinem Vater erfahren hat:
Und es sind diese Beispiele gelebten Glaubens. Jetzt bin ich auch ein Papa, ich spüre die Verantwortung und ich hoffe, dass ich in dieser Rolle weiterwachse. Vater zu werden hat mir dabei geholfen, ein wenig mehr von Gottes Liebe zu verstehen.
Ich treffe den britischen Musiker J.P. Cooper, der lange Zeit in den Bars von Manchester kellnerte, während er noch auf seinen musikalischen Durchbruch gewartet hat. Und der in seinem Song „Holy water“ auch davon singt, dass wir bei Gott immer wieder eine neue Chance bekommen, dass es darum geht, im Leben immer wieder aufzustehen:
Wir sind alle Menschen, und es gibt einen Unterschied zwischen Fallen und Scheitern. Wir fallen, aber das heißt nicht, dass wir scheitern. Und ich glaube das ist die Botschaft: Wir sollten gnädiger mit uns selber sein.
Wenn ich etwas mache, dann gerne 100-prozentig. Und was meinen Glauben betrifft: Manchmal gehe ich nicht auf dem guten Weg und manchmal, wenn ich Dinge tue, wo ich genau weiß, das sollte ich nicht tun, schäme ich mich, es einzugestehen. Aber dann sollte ich mich erinnern: an die Liebe Gottes. Wir sind Menschen, Gott erwartet nicht, dass wir perfekt sind.
Und deshalb betet er auf Tour auch am liebsten das „serenity prayer“, das Gelassenheitsgebet: „Gott, gib mir die Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Aus seinem Glauben schöpft er Kraft, um dann auch untereinander für mehr Mitgefühl zu werben. Sein Lied „Call my name“ ist eine energiegeladene Hymne gegen Einsamkeit und für mehr echtes Interesse an meinem Nächsten:
Ich denke, es gibt viele einsame Menschen. Wir haben zwar so viele digitale Beziehungen, zum Beispiel auf social media, und oftmals ist es einfach, so zu tun, als ob wir glücklich sind und eine gute Zeit haben. Denn die Leute teilen nur die guten Sachen. Wir haben diese Kultur kreiert, wo wir Menschen nicht runterziehen wollen, die wollen nichts von meinen Problemen wissen. Aber ich habe das Glück, Menschen um mich zu haben, die auch da sind, wenn’s mir schlecht geht. Ja, das ist so wichtig, Menschen zu haben, die für dich da sind. Und der Song „Call my name“ feiert es, dass wir immer für jemanden da sein können!
Und wie blickt der weitgereiste Musiker auf unserer Welt, in Zeiten, in denen viele auf Abgrenzung und das Nationale setzen?
Ich lerne so viele Kulturen kennen und in ihnen allen gibt es so viel Schönheit. Ich glaube an das Gute in der Menschheit. Und ich wünsche mir, dass wir mehr nach der Schönheit im Anderen suchen und uns nicht von Angst und Gier leiten lassen.
Die Musik von J.P. Cooper gehört über Kontinente hinweg für viele Menschen zum Soundtrack ihres Lebens– für den Sänger das größte Kompliment:
Ich liebe Menschen und mich interessieren ihre Lebensgeschichten und wie sie unterwegs sind. Meine Musik hilft ihnen vielleicht über einen Verlust hinweg, sie nehmen sie für einen Heiratsantrag oder ihre Hochzeit. Das ist für mich ein Dienst. Und ein Geschenk!
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Janine Knoop-Bauer trifft: Tim Kaufmann, Pfarrer und Leiter des LabORAtoriums der evangelischen Kirche der Pfalz, wo Erprobungsräume entstehen für eine Kirche der Zukunft.
Ein Labor erwartet man wahrscheinlich nicht als Grundausstattung einer Kirche. Die Evangelische Kirche in der Pfalz beschreitet hier neue Wege und hat im Jahr 2019 ein LabORAtorium eingerichtet. Dort wird überlegt, wie die Kirche der Zukunft aussehen kann. Aber nicht als Gedankenspiel, sondern ganz konkret: Tim Kaufmann und sein Team unterstützen Gemeinden, die neue Ideen umsetzen möchten. Erprobungsräume heißen die so angestoßenen Projekte. Sie alle stehen dabei unter der gleichen Fragestellung, die Tim Kaufmann so zusammenfasst:
wie kann das gehen, dass Kirche in Zukunft Formen von Gemeinschaft entwickelt, die für die Menschen tragfähig und funktionabel sind? Dass die Menschen da wirklich das Gefühl haben, hier ist eine Gemeinschaft, da gehöre ich dazu. Da kann ich meine Fragen loswerden, meine Zweifel loswerden, meine Hoffnung austauschen und erlebe eigentlich das, was im Heidelberger Katechismus so schön in der ersten Frage heißt: was mir Trost und Halt im Leben und im Sterben gibt.
Denn Glaube braucht Gemeinschaft. Schon ganz am Anfang der Bibel heißt es: es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist. Aber genau das erleben Gläubige zurzeit häufiger, wenn sie am Sonntag in die Kirche gehen. Da sitzen sie dann fast alleine. Tim Kaufmann möchte die Lebendigkeit der Kirche aber nicht allein am Gottesdienstbesuch messen:
Über schlechten Gottesdienstbesuch hat man sich auch schon vor 200 Jahren beklagt. Natürlich bei ganz anderen Zahlen. Aber es gibt zum Beispiel vom Theologen Friedrich Schleiermacher ein Zitat, der sagt: „Es kommt eigentlich niemand, um meine Predigt zu hören. Die kommen alle entweder, weil ich sie im Examen prüfe oder weil sie von zuhause aus müssen oder weil sie die jungen Männer oder jungen Frauen sehen wollen, aber nicht, um an meinem Gottesdienst teilzunehmen.“ Also, das ist so alt wie die Kirche selber, glaube ich, dass man sich beklagt, dass zu wenig kommen.
Wenn nicht im Gottesdienst – wo trifft man sie dann, die Gemeinschaft der Gläubigen, aus der die Kirche doch besteht. Für Tim Kaufmann ist klar: da, wo Menschen ins Gespräch kommen über die wirklich wichtigen Dinge. Aber das ist gar nicht so einfach:
Also ich denke, vielleicht ist das ein Abbruch, der schon viel früher passiert ist, dass wir das so ein bisschen verlernt haben, uns darüber auszutauschen, weil Glauben halt auch Privatsache ist und man da nicht öffentlich darüber redet. Manchmal hat man das Gefühl, man redet mehr über Themen von Sexualität als … über Glauben und Hoffnung.
Es geht in den Erprobungsräumen also auch darum, sich im Austausch zu üben. Und dabei muss Kirche wortwörtlich auch mal über die Kirchenbänke hinausdenken, findet Tim Kaufmann:
Oft geht es vielleicht gar nicht darum, unsere Räume zu öffnen, sondern zu entdecken, wo das Gespräch stattfindet. Also vielleicht so ein bisschen wie auch früher, bei den ersten Christen. Da war es ja auch nicht so, dass es schon eine Infrastruktur gab, sondern die Dinge erst mal da stattfanden, wo sich die Leute versammelt haben, also entweder in den jüdischen Gemeinschaften oder eben auf den Marktplätzen der antiken Städte … oder bei Leuten zu Hause, die irgendwie einflussreich waren und Leute versammelt haben, also dass man wieder in den öffentlichen Raum kommt, sozusagen und sich da anschließt, wo Gespräche entstehen.
Tim Kaufmann ist Pfarrer und leitet das Laboratorium der evangelischen Kirche in der Pfalz. Dort werden Projekte von Kirchengemeinden unterstützt, die Neues ausprobieren.
Eine dieser spannenden Ideen ist in der Tat das Küchengespräch aus Finkenbach, die eben wirklich ganz einfach angefangen haben. Mit Gesprächen in der Küche: kennt man von jeder Party, dass die besten Gespräche in der Küche stattfinden. Die haben eine Einbauküche in einem leeren Pfarrhaus. Und da haben Sie angefangen, sich zu treffen mit Leuten aus dem Ort, mit Landwirten, mit Politikern, haben auch Leute eingeladen, gezielt. Und da ist einfach wirklich ein Gespräch darüber entstanden, was vor Ort passiert, was vor Ort die Themen sind und was vor Ort gebraucht wird.
Kirche in der Küche – Gemeinschaft am Küchentisch. Mich erinnert das daran: ganz am Anfang haben Christen sich auch am Tisch getroffen. Sie haben sich zum gemeinsamen Essen versammelt um sich auszutauschen über ihren Glauben. Für Tim Kaufmann zeigt sich an dem Beispiel aber noch etwas:
Das Spannende ist, dass wir also beobachten, dass manchmal die innovativen Aufbrüche jetzt auch nicht aus den Großstädten kommen. … Finkenbach ist jetzt alles andere als urban gelegen, und es ist halt ein echtes Dorf in der Nordpfalz. Insofern, da kommen manchmal auch die Ideen her, wo Leute wirklich was anpacken, weil die eine ganz andere Wahrnehmung dafür haben, was vor Ort gebraucht wird und auch vielleicht schneller merken, dass so herkömmliche Lösungen, wie sie jetzt oft probiert werden, dass man einfach größere Einheiten bildet und so in den Regionen eben nicht funktionieren, weil es eben wirklich weit ist in den nächsten Ort.
Für Tim Kaufmann ist die Erneuerung der Kirche eine Erneuerung von innen. Das leuchtet mir ein: denn ob eine Gemeinschaft wirklich trägt, hängt ja davon ob, wie sehr sich die einzelnen dazugehörig fühlen. Das kann von außen gar nicht verordnet werden. Für Kirche heißt das:
Es muss klar sein: Leben vor Ort und Kirchengemeinde vor Ort hängt nicht am Pfarrer, sondern hängt eigentlich an den Menschen vor Ort, die vor Ort ihren Glauben leben. … Der Apostel Paulus hat in den Gemeinden, denen er Briefe geschrieben hat, nicht als erstes ein Gemeindehaus, eine Kirche gebaut, sondern hat Leute da versammelt, die das gemeinsam gemacht haben, auch wenn er weg war, bis hin zur Gemeinde in Rom, wo die Leute sogar schon vorher da waren, bevor er überhaupt da angekommen wäre. Also das funktioniert scheinbar auch ohne hauptamtliches Personal ganz gut. Und da sollten wir wieder hinkommen, dass wir das lernen, dass jeder einzelne Gemeinde ist und diese Gemeinschaft das ist, was uns ausmacht und nicht nur Organisationsformen oder eine Struktur.
Nur zusammen bleibt der Glaube lebendig – wenn aus vielen Ichs ein Wir wird. Tim Kaufmann sieht darin das bleibende Fundament der Kirche:
… das ist eines der Kernanliegen unseres Lebens als Christ, dass wir irgendwie eine Gemeinschaft und eine Geborgenheit erleben wollen mit Gott. Und dann natürlich auch bei anderen Menschen…. Das ist im Endeffekt das, was wir, wenn wir als Kirche fortbestehen wollen, brauchen, dass die Leute eben nicht nur eine Heimat in ihrem Dorf haben, sondern eben dann auch in ihrer Kirchengemeinde.
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