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29MAI2023
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Judy Bailey und Patrick Depuhl Copyright: Darius Ramazani.

Christopher Hoffmann trifft: Judy Bailey und Patrick Depuhl, Musiker-Ehepaar

Judy wurde in London geboren und ist in der Karibik, auf Barbados, aufgewachsen. Patrick, geboren in Duisburg, ist am Niederrhein groß geworden. Inzwischen sind Sie seit über 25 Jahren verheiratet, haben drei gemeinsame Söhne im Teenageralter und sind um die ganze Welt getourt. Und Sie haben ein sehr inspirierendes Buch geschrieben mit dem Titel „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“.* Darin werden die beiden auch sehr persönlich und begeben sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln, zu ihren Vorfahren. Im Fall von Judy als Schwarzer Frau in die Zeit des Sklavenhandels:

Judy Bailey:

Es war mir immer sehr bewusst, dass mein Hintergrund - obwohl ich auf Barbados aufgewachsen bin - nicht auf Barbados angefangen hat. Wenn ich darüber nachdenke meine Geschichte, dass Europäer sind nach Afrika gegangen, Westafrika, Leute versklavt, Leute einfach „gekauft“ in Anführungsstriche und mitgenommen nach Barbados, um da Plantagen aufzubauen und Leute waren schrecklich behandelt.

Für Judy Bailey ist die Bibel ein sehr wichtiges Buch. Dort steht in der Lesung zu Pfingsten: „Sklaven und Freie, […] alle wurden in dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13). Was denkt die 54-Jährige, wenn Sie diesen Vers hört?

Judy Bailey:

Wenn ich diesen Vers höre, heißt das für mich: Wir sind gescheitert. Weil das ist nicht, was die Vergangenheit zeigt und leider teilweise auch heute nicht. Das ist für mich eine sehr klare Botschaft und Erinnerung, dass wenn besonders wir als Kirche, wenn wir sagen und wenn wir möchten als Christen leben, dann müssen wir das ganz ernst nehmen und Liebe zeigen, wenn unser Glaube basiert ist auf Liebe, dann muss das wirklich in der Tat zu sehen sein, nicht nur mit Worten.

Ihr Mann Patrick, 53, sitzt neben ihr und nickt. Auch er hat eine besondere Biographie, die mit schwarz und weiss zu tun hat.  Sein Vater kam in einem so genannten „Lebensborn“-Heim der SS auf die Welt, die der Naziverbrecher Heinrich Himmler hatte bauen lassen, damit dort mehr „arische“ Kinder zur Welt kommen…

Patrick Depuhl:

Ja tatsächlich waren es etwa 10.000 Kinder, die in deutschen Heimen zur Welt gekommen sind. Es gab noch einige mehr über Europa verteilt, vor allem in Norwegen war das Stichwort: „Aufnordung der deutschen Rasse.“ Für uns war das dann relativ krass zu sehen: Sein Leben wurde als „wertes“ Leben beschrieben und das Leben vieler Sklaven und Schwarzen als „unwertes“ Leben.

Eine Generation später ist ihre Familie ein lebender Beweis, dass auch eine andere Welt möglich ist:

Patrick Depuhl:

Hätten wir damals die Familie gehabt, die wir jetzt haben, mit drei Kindern, auch noch Kinder die heißen Levy, Noah, Jakob - jüdische Namen- , das wäre alles lebensgefährlich gewesen. Ich weiss noch als ich der Expertin dieses Lebensborn-Heims einen Brief schrieb: „Das haben wir Himmler ziemlich versaut“! Hey, wären wir schwarz und weiss , wären unsere Kinder grau, das sind sie nicht! Gott ist ein wunderbarer, bunter, lebendiger Gott und das müssen wir als Geschenk nehmen und eben nicht diese ganzen Trennungen und Teilungen und Einteilungen und Schubladen. Wo sein Geist uns zusammenbringt, da werden wir wirklich Menschen.

Ich treffen Judy Bailey und Patrick Depuhl in ihrer Wohnung am Niederrhein. Hier haben sie nach Konzerten auf allen Kontinenten dieser Welt ein zu Hause gefunden. Aber auch der Glaube an Gott ist für die Musiker ein zu Hause, eines, das ihnen überall Halt gibt – und das feiern sie auch heute, an Pfingsten:

Judy Bailey:

Es ist möglich für alle Leute, überall, wer auch immer du bist, wenn du möchtest du hast die Möglichkeit eine Begegnung zu haben mit Gott und das für mich ist Pfingsten. Ich glaube, dass der Geist möchte mit uns arbeiten. Und durch uns arbeiten. Und weil die Botschaft ziemlich klar ist in der Bibel und weil ich glaube, dass der Geist lebt und relevant ist, ich glaube, dass wir Dinge ändern können.

Dinge ändern – das wollen sie auch, wenn sie an ganz besonderen Orten Musik machen. Zum Beispiel an der Copacabana beim Weltjugendtag in Rio vor Millionen Menschen. Oder jetzt bald wieder beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Aber auch an ganz stillen Orten: zum Beispiel als sie eine sterbende Frau in ihren letzten Stunden begleiten, weil sie sich Musik von den beiden gewünscht hat. Oder bei einem Fest in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen. Oder bei einem Konzert in einem Kinderhospiz:

Patrick Depuhl:

Und dann schrieb später der Leiter des Hospizes: Ihr habt so viel Lebensfreude gebracht. Wir haben in einer Kapelle gespielt.  Oder einfach auf dem Bahnhof. Es war die Osternacht und ich weiß noch es haben Obdachlose in der ersten Reihe getanzt – und das sind schon ganz besondere Erinnerungen. Oder in der Justizvollzugsanstalt Essen war das, da gab es einen Männerchor und der hat so mit Inbrunst gesungen, und das war nicht nur vierstimmig, das war 23-stimmig, genau so viele wie das waren und das war so ansteckend: Und ich weiß noch diese eine Zeile: „Wie ist Versöhnung? So ist Versöhnung-wie ein Schlüssel im Gefängnis!“ Und ich dachte: Boah, das gibt diesem Lied noch mal eine ganz andere Kraft, einen ganz anderen Raum!

Die beiden sagen: „Wir gehen auch dahin, wo es weh tut“. Und trotzdem strahlen sie während unserer Begegnung eine Leichtigkeit und Lebensfreude aus, die wirklich ansteckend ist. Wo kommt das her?

Judy Bailey:

Ich glaube es kommt von diesem Durchleben von schweren Sachen mit Gott mittendrin und das Wissen, dass Gott da ist und dass es weitergeht und diese Hoffnung ist irgendwie in mein Herz gepflanzt.

*Patrick Depuhl und Judy Bailey: Das Leben ist nicht schwarz-weiss. Geschichten von Wurzeln, Welt und Heimat, adeo Verlag Asslar, 2021.

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28MAI2023
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Thorsten Dietz

Wolf-Dieter Steinmann trifft Prof Thorsten Dietz.
Der evangelische Theologe ist medial kreativ. Als Autor, Podcaster und
in Videos inspiriert er zum Denken und Glauben. Seit August 2022 am
"Fokus Theologie" im „REF(ormierten)-LAB(oratorium)“ in Zürich.

Das Christentum ist alt geworden. Hat er auch mal gedacht. Inzwischen hält er es für möglich, dass es seine Zukunft noch vor sich hat. Und das hat für Thorsten Dietz viel mit seinem ‚persönlichen‘ Pfingsten zu tun. Mit der Lebensenergie, die ihn angesprungen hat, als er Bibel gelesen hat. Erst distanziert, wie ein Zuschauer auf den hinteren
Plätzen. Aber dann:

Ich war völlig verstört, aber auch zunehmend ergriffen, mit welcher Leidenschaft in der Bibel gelebt wird. Und habe gelernt, mir zuzugestehen: Ich brauche so etwas eigentlich auch. Dieses ‚Gott hat mich lieb, sieht mich, hört mir zu.‘ Das war eine Lebenswende. Diese Geborgenheit, bei einem DU zu finden, was ich nicht beweisen und begründen kann. Was ich aber spüre, wenn ich mich dafür öffne.

Da war er schon erwachsen, als er Christ geworden ist. Zuvor Atheist. Heute mit gut 50 ist er überzeugt. In Pfingsten steckt ein großer Traum für Menschheit und Erde.

Dieser Traum eines gemeinsamen Lebens, wo diese ganzen Mauern niedergebrochen werden; die von ‚drinnen und draußen‘ und die von ‚oben und unten‘ und wir gemeinsam verbunden werden durch etwas, was uns heilig ist.

In der Bibel wird erzählt, wie Menschen das vor 2000 Jahren erlebt haben: Jesu Traum von einer besseren Welt schien am Kreuz gestorben. Dann haben einzelne gesagt: Jesus sei nicht tot, Gott habe ihn und seinen Traum neu zum Leben erweckt.

Dann machten sie gemeinsam die Erfahrung wie sie das begeistert, wie es sie ergreift und wie es sie zusammenfügt. Und sie haben dann gesagt: ‚Es war das Gefühl, als hätte Gott uns erfüllt mit seinem Geist, mit Mut, mit Kraft, mit Freude‘.

‚Heiliger Geist‘. Thorsten Dietz weiß, das klingt speziell. Aber der ist nicht nur für Religiöse. Im Gegenteil. Geist ist Lebenskraft in allem.

Grade im Alten Testament wird uns Geist, ruach, Windhauch, Geistkraft gezeigt als etwas ungeheuer Dynamisches, was jedem Lebewesen innewohnt, im Atem.

Darum ist für ihn klar: Kirchen und Christenmenschen haben diese Kraft nicht für sich.

Wir werden ab und an freundlich ergriffen und berührt und dürfen staunen und können versuchen, davon etwas zu sagen, in Predigt und Theologie. Das ist es dann aber auch. Er gehört allen.

Es entspricht Gottes Geist auch nicht, wenn wir Menschen uns abgrenzen in „wir drinnen- die draußen“. An Pfingsten sollte man  diesen Traum feiern. Indem soziale Grenzen durchlässig werden, wir Fremde erkennen, unser Wirgefühl weiten.

Wo wir vielleicht lieber denken sollten an Freundinnen und Freunde, an Gemeinschaften, an Netzwerke. es wäre das Freundschaftsfest schlechthin. Geistkraft Gottes ist sehr eventfreundlich und das sollten wir feiern. Gott ist nicht nur auf Familien programmiert.

Pfingsten berührt Thorsten Dietz tief innen. Und lässt weit denken und
neu glauben.

 

Thorsten Dietz war Atheist, dann eine Lebenswende, Pfarrer im Ruhrgebiet. Professor. Heute mit gut 50 bringt er Christliches kreativ in soziale Medien. Er mag Pfingsten. Weil Gottes Geistkraft in allem Leben ist und es an vielen Orten bewegt in eine bessere Richtung. Sie wirkt frei und unverfügbar. Schafft Neues, verändert. Und das tut ja not, bei den Gegenkräften.

Wo Leben aufsteht gegen den Tod, wo Menschen Gemeinschaft knüpfen gegen Vereinsamung, wo Menschen Ungerechtigkeit entgegen treten, weil sie sagen: ‚das tötet, das engt ein, das wollen wir nicht mehr.‘ Und dafür den Sinn zu wecken, möglicherweise ist das nicht etwas, was wir uns wünschen, möglicherweise rührt sich in uns das Geheimnis des Lebens selbst.“

Und diese Kraft berührt auch ganz persönlich. Lange hat er nur „der Heilige Geist“ gesagt. Bis er begriffen hat, für viele Frauen ist das anstößig. Und dass man Gott auch sprachlich nicht einsperren kann.

Ich möchte lernen, neue Worte zu finden, für alte Erfahrungen, die mir lieb und vertraut sind. Aber auch denen neue Seiten abgewinnen, die ich mit anderen Menschen teilen kann. Ich finde, auch das ist Gottes Geistkraft, den Mut, die Offenheit zu finden, Neues zu wagen und zu entdecken.

Aus feministischer Theologie berührt und bewegt ihn Gottes Geistkraft und er findet auch: 2000 Jahre Männerkirche sind genug.

Wo Frauen aufbegehren: Er ist nicht festzulegen auf ein Geschlecht. Wir lassen uns auch Gott und Glaube nicht stehlen und wir akzeptieren nicht, dass wir nicht zählen.‘ Ich lasse mich davon auch gern anstecken. Das tut mir gut.

Es ist ein Geschenk, wenn man sich immer noch ergreifen lassen kann. Auch wenn man älter ist. Ich spüre Feuer und Begeisterung bei ihm.
In unseren Kirchen fehlen ihm die oft. Wir sind ‚hüftsteif‘ geworden,‘ sagt er. Mehr Leben, mehr Geist. Christsein mit dem ganzen Körper, mehr Pfingsten. Musik kann dazu helfen und der spirit von beweglicheren Christenmenschen
zB. aus Afrika.

Die Menschen sind nicht hüftsteif, sie tanzen, sie singen. Sie umarmen einander, sie lassen sich ergreifen und berühren sich gegenseitig. Wir können uns davon inspirieren lassen.
Und ich glaube, Musik ist eine Kernsprache des Göttlichen. Wo wir uns der Musik öffnen, mitschwingen, so in Resonanz versetzen lassen. Ist immer ein guter Anfang.

Thorsten Dietz ist sicher, immer wenn ich spüre, ich bin Teil des großen Lebens auf unserer Welt. Das sind heilige Momente. In diese Richtung wünscht er Ihnen und mir noch viel Pfingstliches, heute und überhaupt.

Möge jeder etwas finden, was ihn berührt und ergreift. Und man kann an so einem Tag ja mal überlegen, ob das stimmt, was viele denken, dass sie das Christentum hinter sich haben. Vielleicht haben sie es auch noch vor sich.

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21MAI2023
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Erik Thouet Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart

… und mit Erik Thouet. Er ist katholischer Diakon und bildet Männer für dieses Amt aus. Ich treffe ihn im Kloster Heiligkreuztal in Oberschwaben, da ist das Ausbildungszentrum der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Diakone werden wie Priester geweiht, aber: sie dürfen verheiratet sein und Familie haben. Und noch etwas ist besonders: Diakone sind Männer, die bereits einen anderen Beruf haben. Und nach der Ausbildung soll beides zusammenkommen. Die Arbeit im eigentlichen Beruf und das Dienen, für Gott und die Menschen, genau dort, bei der Arbeit. Denn Diakon heißt übersetzt „der Diener“. Wer Diakon werden will, braucht Durchhaltevermögen und muss sich vorher gut überlegen:

Kann ich mir das zumuten neben Familie und Beruf? Die meisten sind verheiratet, viele Männer haben auch mehrere Kinder

Diese Ausbildung dauert mindestens vier Jahre, nebenher, und wer ohne theologisches Vorwissen kommt, braucht sieben. Im aktuellen Jahrgang ist ein Rechtsanwalt dabei. Warum machen Männer wie er diese Ausbildung? Das wollte auch Erik Thouet wissen:

Sie haben eigentlich alles. Sie sind erfolgreich im Beruf, Sie haben eine nette Frau, Sie haben auch genug Geld, wahrscheinlich. Sie haben schöne Hobbys. Also warum wollen Sie jetzt unbedingt noch Diakon werden?

Manchmal lösen Krisen oder Krankheiten diesen Wunsch aus, erzählt mir Erik Thouet. Andere kommen bewegt und nachdenklich von einer Pilgerreise zurück.

Dann geht es, glaube ich, darum, dass die Männer suchen nach mehr Sinn, nach mehr Bedeutung in ihrem Leben. Und oft, so die Aussage: Ich habe so viel geschenkt gekriegt in meinem Leben und ich will das irgendwie zurückgeben.

So ist es nicht nur bei dem Rechtsanwalt. Im Kloster Heiligkreuztal kommen Männer mit ganz unterschiedlichen Berufen zusammen: Schreiner und Lehrer, Psychologen und Versicherungsberater, Ingenieure und Bäcker. Im Moment sind 24 Männer in der Ausbildung, die in den nächsten drei Jahren geweiht werden. Deutlich mehr als es neue Priester in dieser Zeit geben wird.

Diakone arbeiten in der Regel in ihren Berufen weiter; außerdem sind sie in der Kirchengemeinde engagiert: Sie feiern Gottesdienste, sie taufen und beerdigen oder assistieren beim Ehe-Versprechen. Vor allem aber sind sie ansprechbar.

Nicht nur in der Arbeitszeit, sondern da, wo wir leben. Da, wo wir unterwegs sind. Es kann im Supermarkt sein, es kann im Fußballverein sein, also wo auch immer. Es ist eine Frage der Haltung letztlich; also wie ich unterwegs bin.

Was genau meint Erik Thouet mit der Haltung? Worauf kommt es ihm in der Ausbildung an?

Von der Haltung her finde ich es ganz wichtig auszustrahlen: Sie stören uns nicht, sie dürfen uns stören! Da wünsche ich mir, dass wir so unterwegs sind: einladend, freundlich, normal, auf Augenhöhe. Ich mag das Wort nicht, weil es so inflationär benutzt wird, aber freundlich einfach. Ich glaube, dann passieren Wunder auch heute.

Erik Thouet ist seit 20 Jahren Diakon, seit zehn Jahren bildet er als Beauftragter des Bischofs Diakone für die katholische Kirche aus. Am kommenden Wochenende werden fünf Männer in der Diözese Rottenburg-Stuttgart geweiht. Erik Thouet ist es wichtig, dass dieses Amt mit einer Weihe verbunden ist.

Man wird ja nicht geweiht, um persönlich irgendwie veredelt zu werden oder sich besser zu fühlen. Das wäre ein völliges Missverständnis, sondern es geht eher darum, noch furchtloser, noch konkreter sich in Situationen hineinzutrauen, wo man vielleicht sonst davonlaufen würde.

Solche Situationen hat er schon erlebt. Er sollte einen jungen Mann beerdigen, der sich das Leben genommen hatte. Auf dem Friedhof haben hunderte Menschen gestanden, die auf ihn geschaut und gewartet haben.

Und dass einem in so einem Moment dann die Worte kommen, sozusagen von selber. Oder dass man auch keine Angst mehr hat, sondern einfach spürt: Ich bin getragen in dem Moment. Also das wäre so ein Beispiel, wo ich sagen würde, die Weihe ist eine Art von Zurüstung, von Stärkung, von Zuspruch. Man könnte einfach sagen: Also Christus ist wirklich mit dabei in dem Moment.

Diakone gab es schon in der Ur-Kirche. Und damals gab es auch das Amt der Diakonin. Während Männer jetzt seit gut 50 Jahren in Deutschland wieder geweiht werden, warten die Frauen noch immer auf eine Entscheidung aus Rom. Was denkt Erik Thouet darüber?

Ob's kommt, wann es kommt, ist eine offene Frage. Aber natürlich sind Frauen auch berufen. Und natürlich sind wir mit Frauen und Männern im Gespräch über diese Fragen, natürlich.

Könnte er in Heiligkreuztal auch Frauen ausbilden? Seine Antwort ist kurz, aber eindeutig:

Natürlich, wir hätten den Boden bereitet.

Seit Erik Thouet Diakone ausbildet, arbeitet er nicht mehr in seinem ursprünglichen Beruf als Heilerziehungspfleger. Der Vater von fünf Kindern ist jetzt Vollzeit-Diakon. Damit er als Mann der Kirche auch für Menschen erkennbar ist, die nichts über ihn wissen, trägt er ein Kreuz. Nicht als Kette, sondern als Tattoo am Handgelenk. Und das, was er damit beabsichtigt, funktioniert:

Die Leute sprechen einen an auf das. Was ist das? Warum haben sie das gemacht? Und schon ist man im Gespräch und kann ganz tief miteinander über wichtige Dinge sich austauschen.

Für ihn selbst bedeutet das Kreuz auf dem Unterarm aber noch mehr:

Ich finde diese Stelle wunderbar und dass es genau auf dem Puls ist. Mir hilft es manchmal in Situationen. Ich halte mich da auch manchmal dran fest, mit meinem Daumen.

Erik Thouet hält nicht nur fest an seinem Glauben, er hält auch fest an der Kirche. Trotzdem vieles nicht gut läuft. Denn gerade jetzt sei der Dienst des Diakons wichtig, sagt er, das Dienen.

Bleiben ist jetzt angesagt. Bleiben und treu sein. Es gab vielleicht schon länger keine Zeit mehr, wo es wichtiger war, eben nicht von Bord zu gehen. Zu bleiben, bei den Menschen zu bleiben und bei Gott zu bleiben. Auch in dieser Kirche zu bleiben.

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18MAI2023
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Philipp Geißler

Barbara Wurz trifft Philipp Geißler. Seit 2020 ist er Sportpfarrer der württembergischen evangelischen Landeskirche. Er leistet die Vernetzung zwischen Kirche und Sport im Land und ist Ansprechpartner für sportpolitische Themen und Sportverbände. Nur - was genau kann man sich darunter vorstellen? Einen Pfarrer auf dem Fußballplatz? Einen Seelsorger für die Seniorengymnastikgruppe oder gar einen Missionar unterwegs auf den Joggingstrecken des Landes? Pfarrerin Barbara Wurz hat den begeisterten Sportkletterer gefragt, warum die Kirche einen Pfarrer extra für Sport tatsächlich braucht.

Teil I

„Einen Sportbeauftragten der evangelischen Kirche in Württemberg? So was gibt’s?“ Ehrlich gesagt war das meine erste Reaktion als vor drei Jahren Pfarrer Philipp Geißler in dieses Amt gewählt wurde. Und ich hatte so meine Zweifel, ob er damit Erfolg haben würde. Die großen Sportverbände des Landes für Kirche und Glaube interessieren? Ob er da auf offene Ohren stoßen würde - heutzutage, wo die Bedeutung der Kirche angeblich immer mehr schwindet?

Schönerweise hab ich von Seiten vom Sport her bisher eigentlich nur Begeisterung erlebt. … Also der Sport hat sich diese Stelle gewünscht … weil der Sport tatsächlich eine Kontaktperson haben wollte in Blick auf die Kirche. (…) Also ich habe ein offenes Ohr und Begeisterung erlebt, weil die Menschen sich einfach unglaublich freuen, wenn man sich für das, was sie machen, interessiert. (37:54 - 38:44)

Philipp Geißler ist ein offener und interessierter Mensch - auch ich spüre das sofort. Ein paar Bedenken zu seinem Amt habe ich trotzdem noch. Ich bin gespannt ob er glaubhaft erklären kann, Ob er mir erklären kann, was Schwimmen und Joggen mit Glauben und Seelsorge zu tun haben.

Für mich persönlich, wenn ich zum Klettern geh‘, dann bin ich da in dem Moment ganz im Tun - und eben nicht in dem, was morgen ist, was übernächste Woche ist, was letzte Woche war, weil wenn ich hochklettern will und muss mich da festhalten, muss mich da anstrengen, dann kann ich nicht nebenher an X andere Sachen denken. (18:14 - 18:36)

Ja, auch Sport ist eine Form von Seelsorge, wenn er dabei hilft, den Menschen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Der christliche Glaube ist gar nicht so leibfeindlich, wie man manchmal meint. Davon ist Philipp Geißler überzeugt.

Es geht wirklich da drum, dass es eine Balance gibt für den Menschen - von diesem geistlichen und diesem Körperlichen - und da ist Sport ganz arg wichtig. (17:46 - 17:54)

Was aber nicht heißt, dass der Theologe Geißler den Sport missionieren will. Er ist ein Netzwerker mit dem nötigen Respekt vor seinem Gegenüber. Und wenn man genau hinsieht, finden sich erstaunlich viele Berührungspunkte zwischen Glaubenshaltung und Sport. Besonders spannende Begegnungen und Gespräche hat Philipp Geisler eine Zeit lang in seinem Podcast „O Sport, Herr Pfarrer!“ festgehalten:

Ich hab‘ einen Pfarrkollegen, der gleichzeitig Leichtathletik-Trainer ist. Ich hab‘ einen Pastoren, der eine Kletterkirche aufgemacht hat. … Ich hab‘ mit einer Psychologin gesprochen, die sich so fürs Frauenbild im Sport interessiert.

Ein Pfarrer als Sportbeauftragten der evangelischen Kirche? Ja, das gibt’s - und der hat viel zu tun. Wie seine Aufgabe als Vorsitzender des Arbeitskreis‘ „Kirche und Sport“ aussieht, darüber unterhalte ich mich mit Philipp Geissler im zweiten Teil.

Teil II

Pfarrer Philipp Geißler ist Sportbeauftragter der evangelischen Kirche und damit auch Leiter Arbeitskreises Kirche und Sport. Beide großen Konfessionen, der Württembergische Landessportbund und das Kultusministerium arbeiten hier an gemeinsamen Themen wie Integration, Ehrenamt oder Jugendförderung. Aktuell auf der Tagesordnung steht die Frage, was es heißt, wenn sich ein Kind in seiner Sportart als echtes Talent entpuppt - vielleicht sogar Profi werden möchte? Können Sportverbände die Familien der Kinder unterstützen, wenn Zeitaufwand und Belastung steigen?

In diesen Vereinen sind die Trainer mit dem Trainieren der Kinder und Jugendlichen beschäftigt. Die haben nicht die Zeit, dann auch noch Elternarbeit zu leisten. Und gleichzeitig wäre es aber aus unserer Warte schön und sinnvoll, wenn es da zum Beispiel jemanden gäbe, der anbieten und sagen kann: Wenn dein Kind auf dem Sprung ist in eine sportliche Karriere und ihr da fragen habt, bieten wir einen Raum wo ihr euch sportartenübergreifend untereinander austauschen könnt.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass es einen solchen Ansprechpartner bald geben wird. Alle Ideen des Arbeitskreises lassen sich allerdings unmöglich weiter verfolgen. Pfarrer Geißlers Meinung nach finden sich gemeinsame Anliegen von Kirche und Sport sowieso im alltäglichen Leben. Einfach machen - ist seine Devise - gerade dann, wenn einem im eigenen Heimatort ein Problem vor die Füße fällt.

Ich bin hier im Asyl-Kreis, dann kam Corona, 100 Leute in der Asyl-Unterkunft, die schlicht nicht raus können. Und die ganzen Kinder, die keine Bewegung haben. Die kannst du nicht einfach in einen Sportverein da in so ne Fußballgruppe stecken….Und dann war nur die Überlegung zu sagen: Hey, wenn man zu fünft draußen Sport machen darf unter Corona - könnten das nicht Leute aus der Kirchengemeinde unterm Dächle vom Sportverein machen? (34:46 - 35:10)

Glaube und Sport passen gut zusammen. Und immer mehr Menschen leben das - wie ein Mann, dem Philipp Geißler in der Kletterhalle begegnet ist und erzählt hat, dass er sonntags entweder zum Klettern in die Berge geht - oder zum Gottesdienst in die Kirche. Kirche und Sport haben eine gemeinsame Zukunft. Beide tun sicher gut daran, sich nicht aus den Augen zu verlieren:

Und wir erwarten, so als Kirche, dass man sonntags in den Gottesdienst kommt - kann man erwarten. Und vielleicht ist es dann auch schön, wenn ihr euch an den Rand vom heimischen Fußballfeld stellt. Und euch auch für das interessiert, wofür sich die Menschen interessieren.

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14MAI2023
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Gerlinde Kretschmann Foto: Staatsministerium BW

… und mit Gerlinde Kretschmann. Ich treffe mich mit der Katholikin und Politikerin, mit der Mutter und Großmutter, weil sie eine ganz besondere Geschichte mit der Kirche hat. Während viele sich heute fragen: „Will ich noch zu dieser katholischen Kirche gehören? Soll ich bleiben oder lieber gehen?“, hat Gerlinde Kretschmann beides getan: Sie ist aus der Kirche ausgetreten und sie ist zurückgekommen. Davon erzählt sie in dem Buch „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“ [1].

Gerlinde Kretschmann war 27, als sie die Kirche verlassen hat.

Zu diesem Zeitpunkt war das für mich nicht mehr schwierig, weil das für mich schon ganz lange klar war, dass ich diesen Schritt mache. Die Kirche, die war nicht mehr existent in meinem Leben.

Eigentlich erstaunlich. Denn das katholische Leben, mit all seinen Ritualen und Festen hat ihre Kindheit und Jugend auf dem Dorf in Oberschwaben geprägt. Und ihre Schulzeit hat sie auf einem Gymnasium der Franziskanerinnen erlebt. Doch gleichzeitig hat Gerlinde Kretschmann schon früh gespürt, dass es Dinge gab, die ihr in der katholischen Kirche ganz und gar nicht gefallen haben.

Also als Kind hat mich als erstes wahnsinnig gestört -die Beichte. Ich konnte da überhaupt nichts mit anfangen. Ich hatte da immer ein ungutes Gefühl, weil ich immer gedacht habe: Nein, das bin ich nicht. Warum soll ich jetzt beichten? Ich habe unsere Katze geärgert und das als Sünde vor Gott. Also das war mir nie nachvollziehbar.

Nach der Erstkommunion wollte sie Ministrantin werden, da war sie knapp 10 Jahre alt – und auch da war das ungute Gefühl:

Ich war wirklich ein frommes Kind. So habe ich mich selber gesehen. Und ich wusste immer, ich kann das. Ich würde das so aus vollem Herzen machen. Aber nein, meine Brüder wurden Ministranten. Also das war schon auch was, wo ich dann dachte, das ist einfach nicht in Ordnung.

Nach und nach ist ihre Beziehung zur Kirche abgebrochen, weil es keine Berührungspunkte mehr für Gerlinde Kretschmann gab. Und dann hat sie entschieden zu gehen. Es war eine Zeit, in der sie mit vielen anderen Dingen befasst war.

Mit meinem Beruf und mit meinem Mann und mit Freundschaft, mit anderen Sachen. Es kamen andere Rituale dazu, die mir damals wichtiger waren; und reisen und fortgehen und einfach die Welt wenigstens ein Stückchen weit kennenlernen.

Die Kirche hat sie nicht vermisst; und trotzdem gab es einen Punkt, an dem sie ihr über die Jahre treu geblieben ist. Genauer gesagt, nicht der Kirche, sondern dem Kirchenraum. Und zwar wegen der Kunst.

Bei uns in Oberschwaben ist ja vor allem Barock und das hat mich schon immer fasziniert. Und was ich auch heute noch immer dabeihabe, ist so ein Heiligenlexikon. Und wenn ich mal einen Heiligen nicht definieren kann, dann schaue ich immer in meinem Lexikon nach, was die bedeuten, für was sie stehen. Also das war eigentlich immer die Beziehung, die nie abgebrochen ist.

Als junge Frau ist Gerlinde Kretschmann bewusst aus der katholischen Kirche ausgetreten. Weil sie mit der Kirche nichts mehr anfangen konnte. Ihr Weg zurück in die Kirche begann, als sie mit der Familie wieder in die Heimat gezogen ist, in die Nähe von Sigmaringen. Ihr Elternhaus steht dort direkt unterhalb der Kirche.

Wenn man dann das Glockengeläut wieder hört - das sind dann schon Sachen, wo die Kirche auch räumlich wieder näherkommt.

Ihre Tochter hat dann den Anfang gemacht. Sie wollte unbedingt in den Religionsunterricht gehen und auch Erstkommunion feiern. Das war allerdings gar nicht so einfach, denn: Die Tochter war nicht getauft und die Kretschmanns waren zu diesem Zeitpunkt nicht in der Kirche.

Für diesen jungen Pfarrer war das natürlich dann schon schwierig. Und dann habe ich aber gleich zu ihm gesagt, also das muss er wissen, wenn meine Tochter das will, kämpf ich dafür, dass sie getauft wird und dann auch zur Erstkommunion darf.

Und so ist es dann auch gekommen. Gerlinde Kretschmann erinnert sich noch sehr genau an den Tag, als ihre Tochter getauft wurde:

Also da hat Irene dann schon ihr Kommunionkleid angehabt. Und dann durfte sie natürlich die ganzen Antworten, die normalerweise die Paten sagen, durfte sie selber und - Sie sehen, jetzt bin ich so gerührt. Also das war schon sehr beeindruckend und das war ein richtiges Fest.

Für sie selbst sollte der Weg zurück in die Kirchengemeinde aber noch viele Jahre dauern. Er führte schließlich über den Kirchenchor. Den Sängerinnen und Sängern war es egal, ob auch Evangelische oder Konfessionslose mitgesungen haben.

Also da hat nie irgendjemand irgendwas gesagt. Und so bin ich wieder so langsam und so für mich in den Schritten, die für mich gut waren, bin ich dann da wieder so reingewachsen.

Und im Alter von 51 Jahren war es soweit:

Dann dachte ich: Nein. Also jetzt will ich da wieder richtig dazugehören.

Im Rückblick sieht sie ihren Kirchenaustritt noch immer als richtig und notwendig an. Nur deshalb könne sie sich heute in aller Freiheit wieder in der Kirche engagieren, sagt sie.

Diese Gemeinschaft muss immer auf freiwilliger Basis sein. Ich mach das jetzt aus freiem Willen und ich mach das, weil ich das jetzt will!

Es ist jetzt ziemlich genau 25 Jahre her, seit Gerlinde Kretschmann wieder in die Kirche eingetreten ist. Vieles ist seither ans Licht gekommen. Deswegen möchte ich zum Schluss wissen: Gehört sie heute immer noch gerne und freiwillig zu dieser Gemeinschaft? Oder denkt sie womöglich darüber nach, nochmals auszutreten?

Ich würde mich als eine sehr stark zur Treue neigende Person bezeichnen. Nein, ich habe den Schritt gemacht. Und ich sage immer, es ist wie mit der Ehe in guten und in schlechten Zeiten. Und so ist es mit der Kirche auch. Also ich hoffe und ich denke das auch, dass die Kirche, die muss das einfach verarbeiten und überwinden. Aber was hätte ich jetzt davon, wenn ich austreten würde? Das ist wie mit der Politik auch, ich kann doch nur Einfluss nehmen, wenn ich dabei bin.

 

[1] „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“, Hirzel Verlag

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07MAI2023
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Dr. Jennifer Achten Foto: Franz Fender

Annette Bassler trifft Dr. Jennifer Achten- Gozdowski, stellv. Leiterin des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN

Als promovierte Finanzwissenschaftlerin kennt Jennifer Achten sich aus in allen volkswirtschaftlichen Fragen und auf dem Aktienmarkt. Dort könnte sie auch viel Geld verdienen. Aber sie hat die evangelische Kirche in Hessen und Nassau als Arbeitgeberin gewählt. Warum?

Kirche ist eine Institution, die eine Pluralität an Meinungen beinhaltet und damit auch fertig wird. Die Mitglieder sind alle sehr vielfältig, haben ganz unterschiedliche Hintergründe und natürlich auch unterschiedliche Meinungen und Auffassungen zu Themen. Und das finde ich toll gerade heutzutage und nicht dichtmacht, in irgendein Extrem abdriftet, sondern wir halten das aus, wir gehen damit um.

Mit ihrem Fachwissen könnte Jennifer Achten eine Firma beraten, die auf dem Markt groß werden will. Aber sie will lieber in einem Kompetenzzentrum arbeiten, in dem es darum geht, christliche Werte in der Gesellschaft groß zu machen.

Also zum Beispiel: was dient den Menschen, um in Würde zu leben? Und das sind Fragen, die mich immer angetrieben haben. Jetzt als Wirtschaftswissenschaftlerin ist mir auch noch wichtig, dass sich Kirche auch mit wirtschaftspolitischen Fragestellungen auseinandersetzt.

Was ja heißt, sich tief in die aktuellen Konflikte der Gesellschaft einzuarbeiten. Mit Fachwissen und klarem Werte- Kompass. Soll Kirche sich einmischen? Kann sie das überhaupt? Ja, meint Jennifer Achten, sie muss es sogar, will sie ihrem Auftrag treu bleiben.

Also es geht um die Liebe zu Gott, aber auch um die Liebe zu den Menschen. Es geht natürlich um geistliches Innehalten, aber auch um Weltverantwortung. Und daraus ergibt sich eben, dass sich Kirche als gesellschaftliche Akteurin für das Wohl der Gesellschaft einsetzt, für ein gelingendes Leben und damit natürlich auch sich zu politischen Fragestellungen äußert.

Deshalb gibt es in dem Kompetenzzentrum, in dem sie arbeitet, Agrarwissenschaftlerinnen, Soziologen, Ökonomen und Theologen, die sich in die gesellschaftlichen Fragen einarbeiten. Und dann auf der Ebene des Landes und mit dessen Institutionen beratend tätig sind. Diese Arbeit wird von den Kommunen und dem Land sehr geschätzt. Was „Kirche“ tut in der Gesellschaft, das entscheidet nicht eine führende Geistlichkeit. Das entscheiden nach langem Beratungsprozess die vielen, die sich engagieren.

Kirche besteht ja nicht nur aus Hauptamtlichen, wir haben ja unheimlich viele Ehrenamtliche, die in der Kirche tätig sind. Das heißt, wir sind ein sehr komplexes Gebilde mit unglaublich viel Fachwissen und deswegen bin ich der Meinung, dass wir der Komplexität der Politik bestens gewachsen sind.

Das ist auch der Schatz, den Demokratie ausmacht. Auch wenn sie mühsam ist, ist die Chance groß, am Ende gute Entscheidungen zum Wohl von vielen zu finden. Jennifer Achten steht für kluge Entscheidungen im Umgang mit Besitz und Geld.
Mit ihren 38 Jahren befindet sie sich grade in der „Rush- hour des Lebens“. Das ist, wenn erste Familien- und Berufsjahre zusammenkommen. Jennifer Achten liebt ihre Kinder, ihre Familie. Und sie liebt ihre Arbeit als promovierte Finanzwissenschaftlerin. Im Zentrum gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau kann sie viel Segensreiches tun. Zum Beispiel Frauen darin zu unterstützen, sich eine eigene wirtschaftlichen Existenz aufzubauen.

Das heißt, es ist unheimlich wichtig, dass Frauen über ihre eigenen Finanzen Bescheid wissen. Dass sie wissen: was bekomme ich eigentlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung? Gibt es bei meinem Arbeitgeber noch zusätzliche Möglichkeiten über eine private Altersvorsorge? Und was mache ich vielleicht selbst noch?

Denn Altersarmut ist noch immer weiblich. Und auch die Rente ist inzwischen alles andere als sicher. Deshalb empfiehlt Jennifer Achten jeder Frau, privat vorzusorgen und - an die Börse zu gehen. Wie das funktioniert, das erklärt sie Frauen online oder in übergemeindlichen Seminaren in einfachen Worten. Dabei zitiert sie gerne mal einen ihrer Lehrer.

Wenn es um langfristige Altersvorsorge geht- kaufen Sie sich ein paar Aktien. Streuen Sie das ein bisschen, um ihr Risiko etwas gestreut zu haben. Und dann gehen Sie in die Apotheke, kaufen Schlafmittel und schlafen zehn Jahre.

„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“ weiß schon ein alter Psalm. Man soll also durchaus nachdenken und klug entscheiden. Dann aber die Sorgen loslassen- Gott überlassen. Mit Gottvertrauen hat man nämlich die Hände frei für Andere. Damit die Welt auch für sie ein besserer Ort zum Leben wird.

Tatsächlich sind die Kirchen, würde ich sagen Pioniere in dem Bereich der ethisch nachhaltigen Geldanlage. Die Banken bieten sogenannte grüne Produkte an oder nachhaltige Produkte. Damit kennt sich die Kirche schon ganz lange aus und ist da auch schon ganz lange sehr aktiv und setzt sich dafür ein.

Geld ist dazu da, dass es für das Gute arbeitet. So habe ich Jennifer Achten verstanden. Das Geld der Kirche kann Firmen unterstützen, die Gutes tun für die Menschen. Als Großaktionärin hat die Kirche sogar noch eine Marktmacht, das heißt, sie kann Firmen dazu bringen, ein bisschen mehr für das Wohl aller zu tun- man nennt das „Engagement- Strategie“.

Das bedeutet: die Kirche ist als Aktionärin an einem Unternehmen beteiligt. Obwohl sie der Meinung ist, dass dieses Unternehmen noch einen gewissen Weg zu gehen hat in puncto Nachhaltigkeit, in puncto soziale Gerechtigkeit und so weiter. Weil sie einfach eine ganze Menge Aktien von diesen Unternehmen hält, hat sie aber natürlich andere- sag ich mal- Mitsprachemöglichkeiten als ein Einzelaktionär.

Und so kann Kirche positive Entwicklungen beschleunigen. Jesus hat mal gesagt: „Macht Euch Freunde mit dem schnöden Mammon!“ Denn Geld ist weder gut noch schlecht. Es ist das, was man draus macht. Gut also, wenn möglichst viele Menschen das Geld für etwas Gutes arbeiten lassen.

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30APR2023
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Bodo Janssen Copyright: Julia Baumgart.

Christopher Hoffmann trifft:den Hotelier Bodo Jannsen.

Bodo Janssen ist Unternehmer und Autor. Sein neuestes Buch heißt: „Von der Angst zur Stärke“*. Beides kennt er aus eigener Erfahrung sehr gut. Denn der 49-Jährige blickt auf eine spannende Biographie: 1998 wird der Millionärssohn, dessen Eltern eine Hotelkette besitzen, als Geisel genommen. Sieben Tage wird er in einem Hochhaus gefangen gehalten, bis ein mobiles Einsatzkommando den damals 24-Jährigen aus den Fängen der Erpresser retten kann:

Ich hatte während der Scheinhinrichtungen ganz viel Angst. Panik! Ich habe das körperlich gespürt, ich war teilweise gar nicht bei Sinnen. Ich sollte die Entführung ja nicht überleben. In dem Moment als solches ist natürlich für mich noch gar nicht absehbar gewesen, ob und wie es weitergeht .   


Es geht weiter- und wie! Bodo Janssen lebt damals auf der Überholspur: Er führt ein Jet-Set Leben als Model, arbeitet hart und feiert noch härter in Hamburger Bars. Ein Leben voller Extreme auf der Suche nach Bestätigung:

Ich war als Fotomodell unterwegs, ich war selbstständig mit der ersten mobilen Cocktailbar Hamburgs und es kam nicht selten vor, dass ich am Tag vielleicht zwei, drei Stunden geschlafen habe. Und das war schon ein Suhlen in den Blicken der Menschen um mich herum. Diese Rampensau, die war ich gerne und das fiel mir auch sehr leicht und wenn ich im Nachhinein über die Motive nachdenke, dann wird es wahrscheinlich etwas gewesen sein, womit ich auch immer wieder in meinem Leben konfrontiert wurde: Mit dem Bedürfnis nach Anerkennung.                             

2007 stirbt sein Vater bei einem Flugzeugabsturz. Der 33-Jährige übernimmt als Chef die elterliche Hotelkette. Er sagt heute: Ich habe mich narzisstisch verhalten. In der Folge kündigen immer mehr Menschen in seinem Unternehmen. Bodo Janssen versteht damals die Welt nicht mehr und will wissen wieso. Er startet eine Mitarbeiterbefragung:

Als die Mitarbeiter mir dann gesagt haben: Hey, wir brauchen einen anderen Chef als Bodo Janssen, da hat sich plötzlich dieses Ego, dieses Selbstbild in Luft aufgelöst.  Ich hatte das Ego von der Größe einer Turnhalle und anschließend schrumpfte es auf die Größe einer Erbse. 

Der Partylöwe vom Hamburger Kiez geht ab sofort immer wieder ins Kloster. Und findet in einem Kurs für Manager von Benediktinerpater Anselm Grün zu sich selbst. Der Mönch sagt ihm: „Wer andere führen will, muss zuerst sich selbst führen.“  Bodo beginnt in die Stille zu gehen und über sich nachzudenken. Und er beginnt im Kloster die Regel des Heiligen Benedikt und die Bibel zu lesen und sich darüber mit den Mönchen auszutauschen:

In dem Moment standen diese beiden Bücher für mich in einem ganz neuen Licht: Von einer völlig mir unverständlichen Ansammlung von Geschichten, in einer Sprache, die ich nicht verstehe, zu Büchern, die mich plötzlich neugierig gemacht haben.  Sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was denn damit gemeint ist: mit den Gleichnissen, mit den Metaphern, mit Blick auf das, wer wir wirklich sind und wie Gott uns gemeint hat.

Ich treffe den Hotelier und Buchautor Bodo Janssen im Benediktinerkloster Maria Laach, wo er eine Lesung gibt. Klöster sind ihm vertraut, hier hat er zu sich selbst gefunden. Während seiner Klosteraufenthalte stellt sich der ehemals auf Zahlen und Gewinnmaximierung fixierte Unternehmer ganz zentrale Fragen:                                                               

Dient die Wirtschaft dem Menschen oder der Mensch der Wirtschaft? Und du entscheidest für dich-Nein, die Wirtschaft dient dem Menschen: dann muss ich das konsequent zu Ende denken! Wie geht Führung, die die Menschen abends aufrechter nach Hause gehen lässt, als sie morgens gekommen sind? Wie geht Organisation, die Menschen stärkt? Wie geht Kommunikation, die Menschen stärkt? Deine Sprache verrät dich. Und damit war die Lebensaufgabe geklärt -nämlich Antworten auf genau diese Fragen zu finden.

Eine spirituelle Antwort findet der Hotelier im christlichen Menschenbild: Wer in seinen Häusern übernachtet, ist für ihn fortan nicht mehr nur zahlender Gast, sondern Geschöpf Gottes:

Dann bekommt die Beziehung eine ganz andere Qualität: dann ist es nicht nur der Kunde, sondern dann liegt die Qualität in der Begegnung, die uns als Menschen dabei hilft, mehr zu werden, wie Gott uns gemeint hat. Also wirklich: Christus im Bruder begegnen und den Menschen zu durchschauen: ihn mehr zu lieben für das wer er ist, als für das was er darstellt und was er hat.  Das was wir sind ist das, was uns miteinander verbindet. Das was wir haben ist häufig das, was uns voneinander trennt. 

Erkenntnisse eines Mannes, der viel Wert auf Selbstdarstellung und seine Millionen auf dem Konto gelegt hat. Bis er Wertvolleres fand. Heute ist Bodo Janssen dreifacher Familienvater – um vier Uhr in der Frühe, wenn zu Hause alle anderen noch schlafen, steht er deshalb jeden Morgen auf, um in der Stille und beim Lesen der Bibel oder der Benediktsregel inspiriert zu werden:               

Ich glaube ganz einfach, dass wir in der Stille die Stimme Gottes hören. Das Hören ist auch das erste Wort in der Regel, das In-sich hinein hören –und die Stimme Gottes hören.

Wenn Bodo Janssen von Gott spricht, dann ist ihm wichtig, dass Gott nicht für irgendwas verzweckt werden darf. Er nennt ihn deshalb auch: „Das große Geheimnis“.

Und ich glaube das ist gut, dass das auch das große Geheimnis ist und bleibt. Das Leben ist ja nicht dazu da um es zu verstehen, sondern es ist da, um es zu leben. 

Versöhnung zu leben, auch das ist Bodo Janssen heute wichtig. Er vergibt sogar seinem ehemaligen Entführer, als der ihn 2016 darum bittet:                                                  

Ich habe mir versucht vorzustellen, wie sich das für diesen Menschen anfühlen muss, dass ich ihm eine Last nehmen durfte, die er 18 Jahre lang getragen hat.

Eine heftige Erfahrung, die Bodo Janssen immer noch bewegt. Dass es ihm gelungen ist, seinem Entführer zu vergeben, das hat dem freiheitsliebenden Ostfriesen auch wieder ein Stück innere Freiheit zurückgegeben. 

 

*Bodo Janssen: Von der Angst zur Stärke, Bene! Verlag, München 2023.

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23APR2023
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Tanja Dittmar Foto: Pinar Yüzgec Elma

Martina Steinbrecher trifft Pfarrerin Tanja Dittmar, Gastgeberin des Frauenmahls am 11.05. in der Heidelberger Heiliggeistkirche, und spricht mit ihr über die Tradition der Frauenmahle, über die Frage, ob Frauen, wenn sie unter sich sind, anders reden (und wenn ja, wie und warum?) und ob ein Dreigängemenu in einer Kirche besser schmeckt als im Restaurant.

Die Einladung zum Frauenmahl in der Heidelberger Heiliggeistkirche ist in grellem Pink gehalten. „Frauen. Gestalten. Zukunft.“, steht in einem blasseren Farbton darunter. Der altehrwürdige Kirchenraum kriegt diese Gestaltungskraft als erster zu spüren: Er wird in einen Festsaal verwandelt. Schön gedeckte Tische für Speis und Trank, Musik und Tanz. Tanja Dittmar ist Pfarrerin und eine der Gastgeberinnen der Veranstaltung. Was macht für sie den Reiz so eines Frauenmahls aus?

Ich glaube, das ist so eine Kombination: Einmal einfach nur Frauenpower in der Kirche zu erleben und auch Kirche mal ganz anders zu erleben. Dass man sich da ganz anders bewegen darf, die Kirche als ganz anderen Raum von Atmosphäre mitzukriegen, dass man da essen darf, sich unterhalten darf. Also alles, was man nicht unbedingt mit Kirche in Verbindung bringt.

Aber genau das ist doch Kirche: Miteinander essen. In Bewegung kommen. Gute Gespräche führen. Aufmerksam zuhören. Sich inspirieren lassen. Die Idee, aus diesen Bausteinen ein eigenes Format von Frauen für Frauen zu entwickeln, ist in den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 2017 entstanden. Der ursprüngliche Ideengeber aber war ein Mann:

Das ist ja entstanden in der Reformationsdekade der Evangelischen Kirche in Deutschland in Anlehnung an die Tischreden bei Luther. Da gab es ja wahrscheinlich auch immer gutes Essen von der Käthe Luther. Und Martin Luther hat dann theologische Sachen formuliert.  

Die Frau hat gekocht. Und der Mann gehaltvolle Reden geschwungen: Diese Luther’sche Rollenverteilung aus dem 16. Jahrhundert haben die Heidelbergerinnen einfach umgedreht: Beim Frauenmahl steht ein Mann in der Küche, die vier Tischreden aber werden ausschließlich von Frauen gehalten. Wie maßgeblich Frauen an der Gestaltung von Zukunft beteiligt sind, kommt im Arbeitstitel des Abends zum Ausdruck: „Von der Wiege bis zur Bahre. Und alles dazwischen.“

… dass wir eine Hebamme gefunden haben, eine Bestatterin und eine Winzerin, die auch noch eine ganz besondere Lebensgeschichte hat, nämlich eine transsexuelle Winzerin. Und natürlich noch die Beate Herrmann als Vorsitzende des klinischen Ethikkomitees in der Universitätsklinik Heidelberg: Deckt mit den vier Frauen fast alle Lebensbereiche ab zwischen geboren werden und sterben.

In allen Lebensbereichen, im akademischen Umfeld genauso wie in ganz handfesten handwerklichen Berufen, arbeiten Frauen innovativ und federführend an der Gestaltung von Zukunftsräumen mit. 

Pfarrerin Tanja Dittmar lädt in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal zu einem Frauenmahl in die Heidelberger Heiliggeistkirche ein. Die erste Veranstaltung war mit 85 Frauen sofort ausgebucht.  Ich habe sie gefragt, warum unter den Gästen keine Männer zugelassen sind.

Also ich glaube schon, dass Frauen sich dann noch einmal anders wahrnehmen, unterstützen und vernetzen können und ermutigen können. Manchmal wird ja Frauen auch vorgeworfen, sie sind nicht solidarisch genug. Aber es soll eben ein Raum sein, wo das passieren kann, und wo man sich gegenseitig inspirieren kann, vielleicht auch ein sicherer Raum. Natürlich sind wir in der Kirche mittlerweile, in der evangelischen vor allem, sehr gleichberechtigt. Und doch nochmal darauf hinzuweisen und es, ja, noch mal zu verstärken.

Ich bin ehrlich gesagt immer auch erstaunt, dass das nach hundert Jahren des intensiven Einsatzes von Frauen für ihre Gleichberechtigung noch so ein großes Thema ist. Braucht es wirklich noch geschützte Räume für den gegenseitigen Austausch? Tanja Dittmar meint:

Ja, ich glaube schon, dass wir das noch brauchen, Das weiß man ja auch. Dass das noch nicht so üblich ist, dass die Männer auch die Care-Arbeit zuhause übernehmen. Wenn Frauen berufstätig sind, machen sie zuhause noch die Care-Arbeit, also sind einfach immer noch vielfältiger in den meisten Fällen vereinnahmt und in der Verantwortung als Männer. Und an so einem Abend das mal wertzuschätzen, dass es eben nur Frauen sind, und Zeit und Raum zu bieten, in der Frauen sich erholen können, sich gegenseitig stärken können.

Tanja Dittmar hat selbst beim letzten Frauenmahl wertvolle Impulse mitgenommen, über die sie noch heute nachdenkt. Die Rednerin, die sie am meisten beeindruckt hat, hat damals über das von Frauen oft unterdrückte Gefühl der Wut gesprochen: 

Wenn man wütend ist als Frau, ist man zickig oder ich weiß nicht, was. Aber dass dieses Gefühl einfach mal ganz positiv vorgestellt wird, sozusagen erlaubt wurde den Frauen, ermutigt wurde, sogar zu sagen, ja klar, man darf wütend sein, und dann muss man sich nicht schlecht, nicht schuldig oder was auch immer fühlen, sondern das weist auf einen Missstand hin und das darf sein.

Sich nicht schlecht, sondern wohl fühlen. Andere Frauen kennenlernen, die sich kluge Gedanken machen. In einer schönen Umgebung ein festliches Essen genießen. In konzentrierter Form erleben, was Frauen auch sonst im Leben wichtig ist. Tanja Dittmar ist überzeugt: Eine Veranstaltung wie das Frauenmahl ist zukunftsweisend. Es …

… lässt Kirche einfach nochmal in einem ganz anderen Blick erscheinen, also das Gebäude wie auch die Institution Kirche und vielleicht auch den Glauben: eben zusammenkommen, zu sprechen, zu essen und miteinander über wirklich die Themen des Lebens zu reden. 

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16APR2023
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Bernhard Medla Foto: Manuela Pfann

Mit Bäckermeister Bernhard Medla möchte ich über seine Leidenschaft sprechen, das Backen. Und natürlich über das Brot und die Gemeinschaft. Denn diese beiden Dinge stehen heute im Mittelpunkt in vielen katholischen Kirchengemeinden. Heute ist der sogenannte Weiße Sonntag. Es ist der Tag, an dem die Kommunionkinder zum ersten Mal die Hostie empfangen, das heilige Brot. Anlass also, einen katholischen Bäckermeister zu fragen, was Brot für ihn bedeutet.
Ich treffe Bernhard Medla in seiner Backstube in Nürtingen. Es ist später Vormittag, alles ist still, die Öfen sind aus. Sein Tagwerk ist heute schon geschafft. Er sagt: Hier sind wir in den heiligen Hallen. Und ich spüre sofort: trotz aller Anstrengung, jeden Tag hier zu stehen, das ist für ihn noch immer der Traum:

Den habe ich schon im Kindergarten gehabt. Weil mein Großvater ist ja Bäckermeister und hat auch ein Geschäft gehabt hat und das hat mir so gefallen. Und da habe ich gesagt: Also das ist mein Beruf.

Er ging als kleiner Junge sogar zu Fasching als Bäcker verkleidet, mit einer Brezel um den Hals.

Und dann hat meine Kindergärtnerin, die hat gemeint, sie muss da reinbeißen. Da war ich dann stinksauer! Ja, das war so ne Geschichte und den Traum habe ich dann verfolgt.

Die Bedingungen für einen kleinen Familienbetrieb sind heute allerdings nicht mehr so traumhaft. Bernhard Medla führt die Bäckerei jetzt seit ziemlich genau 30 Jahren, zusammen mit seiner Frau. Und er erzählt mir, dass sie sich zunehmend Sorgen machen. Immer mehr kleine Bäckereien um sie herum schließen; auch sie kämpfen. Mit hohen Rohstoffpreise und Energiekosten. Wie es weiter gehen soll, da ist man bei den Medlas zuhause am Familientisch nicht immer einer Meinung:

Mein Sohn sagte immer: Vater, die Kleinen werden sterben. Es gibt nachher noch sieben große Bäckereien. Da habe ich gesagt: Ja, kann möglich sein, aber dadurch wird die Vielfalt sterben und auch die Qualität wird vielleicht sterben und die Auswahl wird sterben.

Das möchte Bernhard Medla nicht einfach so hinnehmen. Denn vor allem das Brot ist für ihn ein Lebensmittel, das nicht einfach nur satt macht:

Ein gutes Brot, das macht doch was! Gutes Brot ist für mich ein Stück Lebensqualität, es ist nahrhaft und hat Geschmack; und da ist ein gewisser Stolz bei mir dann, dass ein gutes Brot gelingt. Und wenn das Brot mal nichts wird, dann ärgert mich das auch.

Seine Frau hat vor einiger Zeit eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin gemacht – den beiden geht es darum, dass sie den Leuten sagen können, was gut und gesund ist. Auch deshalb kauft Bernhard Medla, wo immer es möglich ist, seine Zutaten in der Region.

Nur so kann der Kreislauf weiterleben, wenn hier vor Ort auch welche leben können. Nur so kann der Bäcker, der Müller, auch der Landwirt leben.

Bernhard Medla ist Bäckermeister und hat zusammen mit seiner Frau seit 30 Jahren eine kleine Handwerksbäckerei. Brot ist für ihn nicht nur ein besonderes und wichtiges Lebensmittel. Es ist eines mit großer Symbolkraft. Für Christinnen und Christen etwa steht das Brot auch im Mittelpunkt des Abendmahls, der Eucharistie. Dem Katholiken Bernhard Medla ist die Eucharistie wichtig, gemeinsam das Brot im Gottesdienst teilen. Aber es geht was verloren, sagt er, wenn immer weniger Menschen daran teilnehmen.

Jesus sagt: Man lebt nicht nur vom Brot allein. Aber das Wichtige ist die Gemeinschaft. Die Mahlgemeinschaft ist nur dann schön, wenn auch viele da sind und es wirklich feierlich ist. Dann ist es schön, weil wenn sie nur zu zweit da drüben hocken und das ist nicht das, was sich der Jesus auch vorgestellt hat, glaub ich.

Da drüben hocken, das meint er wörtlich, denn seine Kirche ist nur ein paar Meter weiter hinter der nächsten Straßenecke. Dort ist er seit vielen Jahrzehnten zuhause. Er kennt die Leute in der Gemeinde, immer wieder sind auch Erstkommunionkinder zu Gast in seiner Backstube. Er hat jetzt die Osterlämmer für die Gemeinde gebacken und jedes Jahr ist er verantwortlich für das Brot zum Erntedankgottesdienst, das macht er für beide Kirchen in der Stadt, für die evangelische und die katholische.

Ich back da gerne, weil die Leute müssen wieder mehr denken, wo das eigentlich herkommt und wo es wächst. Entweder schreibe ich „Erntedank“ oder „Unser täglich Brot“ drauf.

Unser tägliches Brot gib uns heute. Diese Bitte steht im Vaterunser und ist eine Bitte um Wesentliches. Denn: Brot zur Zeit Jesu, das war mehr als nur ein Lebensmittel unter vielen, es war das Grundnahrungsmittel.
Weil ihm das wichtig ist, das zusammensitzen, hat Bernhard Medla vor gut zwei Jahren ein kleines Café neben der Bäckerei aufgemacht. Mit gemütlichem Sessel am Kaminofen. Die Leute sollen runterkommen von der Hektik. So wünscht er sich das. Und einmal in der Woche, wenn das Café schon geschlossen hat, dann kommt da eine ganz besondere Gemeinschaft zusammen. Ich höre zum ersten Mal von einem Bäcker-Chor. 12 Sänger sind noch dabei, alles Männer. Mit seinen knapp 60 Jahren ist Bernhard Medla der Jüngste.

Früher haben wir noch Auftritte gehabt, aber jetzt sind wir so wenige. Und so alt sind die Kameraden, dass wir nur noch für uns singen. Das hebt die Seele. Und solange wir singen können, kommen wir zusammen. Und das fördert die geistige Vitalität.

Wenn er an seinen Bäckerchor denkt, dann wird Bernhard Medla aber gleichzeitig ein bisschen wehmütig. Denn da verschwindet gerade eine ganze Bäcker-Generation.

Die haben noch richtig Herzblut, diese Jungs, die jetzt schon 80, 90 sind, die haben das ja so wie ich aufgebaut. Aber sie sind jetzt froh, Gott froh, dass sie alle keine Bäckerei mehr haben. Sie sind froh, dass es vorbei ist.

Was irgendwie auch sehr schade ist. Wie es mit seiner eigenen Bäckerei weitergeht, das kann er momentan nicht sagen. Noch funktioniert es. Auch, weil Bernhard Medla dem Fachkräftemangel mit großer Offenheit begegnet. Sein kleines Team ist bunt zusammengesetzt, zwei Helfer in der Backstube kommen aus Syrien, ein Auszubildender aus Afrika. Weil Brot backen für ihn nichts mit Nationalität zu tun hat. Im Gegenteil: Brot verbindet die Menschen. In seiner Backstube und überall auf der Welt.

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10APR2023
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Prof.'in Dr. Claudia Janssen Foto: Sandra Schildwächter

Martina Steinbrecher trifft Prof. Dr. Claudia Janssen, Professorin für Neues Testament und Theologische Geschlechterforschung an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, und spricht mit ihr über die Realität von Auferstehung.

„Christus ist auferstanden!“, ruft die Pfarrerin im Ostergottesdienst, und laut schallt es aus der Gemeinde zurück: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Das Ganze wiederholt sich, wie zur Bekräftigung, drei Mal hintereinander. Es könnte aber auch ganz anders kommen. Die Pfarrerin ruft: „Christus ist auferstanden!“ Und leise fragen einzelne zurück: „Ist er denn wirklich auferstanden?“ Es ist die österliche Gretchenfrage. Ich habe sie Claudia Janssen gestellt. Sie ist Professorin für Neues Testament und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Auferstehung. So kompliziert ist es erst einmal gar nicht, meint sie mit einem Verweis auf die griechische Sprache:   

Ob ich vom Stuhl aufstehe oder aus dem Tod, das ist dasselbe Wort, ob ich morgens geweckt werde aus dem Schlaf oder aus dem Tod aufgeweckt werde, das wird mit demselben Begriff beschrieben.

An konkrete Erfahrungen anzuknüpfen, ist ihr wichtig. So kann es gelingen, die Frage nach der Auferstehung an der eigenen Lebenswirklichkeit anzudocken:  

Ich habe versucht, sozusagen wegzukommen von Formeln oder Gewissheiten, sondern Verben zu suchen, die sinnliche Erfahrbarkeit ausdrücken, wie erinnern oder schmecken, suchen, heilen.

Ist man erst einmal auf diese Spur gesetzt, so findet man in der Bibel im Alten wie im Neuen Testament viele Geschichten, die in unterschiedlichen Bildern und Begriffen von Auferstehung erzählen:

Menschen, die in biblischer Sprache vom Aufstehen sprechen, die wissen, wir sprechen von einer Wirklichkeit, die ist mit objektiven Fakten nicht zu erreichen. Aber eine Wirklichkeit, die dennoch wahr ist, vielleicht sogar wirklicher als die Wirklichkeit, die von Gewalt und Zerstörung geprägt ist. Die Psalmen haben unglaublich viele schöne poetische Bilder: Ich werde aus dem Rachen des Todes gerissen, oder Gott hat mich gerettet aus dem Tiefsten der Erde.

Und das gilt dann schließlich auch für den Höhepunkt der biblischen Rede von Auferstehungserfahrungen, nämlich den Berichten von der Auferstehung Jesu von den Toten:

Es geht nicht um eine Totenauferweckung im historischen Sinn, sondern eine Bildsprache, eine Erzählung, was es heißt, dass dieser von den Römern mit brutaler Gewalt gefolterte, gekreuzigte Mensch, dass der nicht im Tod geblieben ist, sondern dass diese Kraft Gottes stärker ist als alle Ungerechtigkeit der Welt. Das ist die Wurzel!

Die Neutestamentlerin Claudia Janssen kann sehr anschaulich von Auferstehung erzählen. Sie kennt eine Menge biblischer Geschichten, in denen in völlig verzweifelten oder scheinbar ausweglosen Situationen unverhofft eine Kraft ins Spiel kommt, die sich widersetzt. Aber es blitzt nicht nur das Leben auf im Tod, oft ist es umgekehrt:

Das ist ganz wichtig für die biblische Bildsprache, dass der Tod auch im Leben zu erfahren ist. Dass er Macht hat, ja fast so etwas wie eine Gegenmacht zu Gott ist.

Solche „Todeserfahrungen mitten im Leben“ sind immer wieder mit Händen zu greifen:   

Da ist wie eine dämonische Macht, die mich in ihren Klauen hält und das kann der Tod sein. Das kann auch eine Krankheit sein. Oder so etwas wie Globalisierung. Das ist ja eine überpersonale Macht, und ich habe das Gefühl, ich bin so klein und ohnmächtig, und ich kann mich dem nicht wehren.

Es geht also um Macht. Es geht um die Frage, wer im Leben und auch am Ende den Kürzeren zieht: Die destruktiven, zerstörerischen Todesmächte, die mich radikal infrage stellen, mich meinen Ängsten ausliefern, mir mein Leben aus der Hand nehmen möchten. Oder alle Kräfte, die sich dagegen mobilisieren lassen. Da reicht dann manchmal schon …

… ein Moment, ein nur kleiner Augenblick inmitten vielleicht von Gewalt und Krieg. Und diese Erfahrung gibt die Kraft, dem zu widerstehen; auch der Ohnmacht, die kommt, etwas entgegensetzen zu können, wieder ins Handeln zu kommen, ja die Schönheit auch in der Gewalt zu sehen. Dass das gelingt, nennt die Bibel Aufstehen, Auferstehung.

Solche Erfahrungen führen dann auch weg von einem rein individualistischen Begriff von Auferstehung. Nur Du und ich und Jesus. Nein, sagt Claudia Janssen:

Auferstehung findet immer im Plural statt. Es geht immer um Menschen, die auch gemeinsam etwas für diese Veränderung des Lebens tun wollen. Es ist nicht egal, was ich tue, auch angesichts dieser ganzen Klimakatastrophe. Die könnte ich auch nennen wie so eine Todesmacht, die uns überrollt. Und dann muss ich sagen, o ich kann nichts tun als Einzelne! Natürlich ist es nicht egal, was ich tue. Und an dem Ort, im Kleinen und Großen ist es meine Kraft, an diesem großen Lebensprojekt der Schöpfung mitzuarbeiten.

Am Ende will ich es doch noch einmal wissen. Ist Jesus nun von den Toten auferstanden oder nicht? Gibt es diese göttliche Kraft, die stärker ist als der Tod? Werde ich sie am eigenen Leib erfahren? Ich wünschte, Claudia Janssen hätte all diese Fragen mit einem schlichten ja beantwortet. Ihre Antwort fällt ein wenig anders aus. Und ist doch eine Osterbotschaft, mit der ich gut leben (und hoffentlich eines Tages auch gut sterben) kann:

Für mich ist Auferstehung ein Vertrauenswort, dass das Leben stärker ist als der Tod.

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