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30APR2024
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Seit dem Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten habe ich bittere Zweifel an meiner pazifistischen Grundhaltung. Ich bin nach dem 2. Weltkrieg geboren und kenne nichts anderes als Frieden. Wir sind für Abrüstung auf die Straße gegangen. Die Abschaffung der Wehrpflicht haben wir als Meilenstein gefeiert.

Der Angriffskrieg in der Ukraine hat meine ganze Überzeugung über den Haufen geworfen. Ich verstehe mittlerweile: Deutschland kommt ohne Aufrüstung nicht aus. Das Land muss militärisch verteidigungsfähig sein. Trotzdem glaube ich: Das widerspricht nicht meiner Überzeugung, dass echter Frieden nicht mit Waffen zu schaffen ist.

Daran weiter festzuhalten, dabei helfen mir die Worte von Hilde Domin, einer deutschen Dichterin: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindestutopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zu meinem letzten Atemzug.“ Diese Sätze kenne ich seit Jahrzehnten. Im Moment helfen sie mir, zu meiner pazifistischen Grundhaltung zu stehen. Weil sie mich gleichzeitig auffordern, das zu tun was ich tun kann: Mich und andere nicht im Stich lassen. Das bedeutet zum Beispiel ganz konkret in meinem Alltag: Ich werde auch weiterhin dafür sorgen, dass die Kinder in meiner Klasse ihre Konflikte ohne Gewalt lösen. Denn Friede ist nur möglich, wenn Menschen aufeinander zugehen, sich verzeihen und sich kennenlernen. Wenn sie darüber sprechen was ihnen gut tut als Gemeinschaft.

Hilde Domin hat es auch als alte Frau nicht aufgegeben, sich über Unrecht und Ungerechtigkeit aufzuregen. Ihr Glaubensbekenntnis in diesem aufregenden Leben fasst sie so zusammen: „Ich glaube, das Wichtige ist, dass wir nicht nur die Erinnerung an das Erlittene weitergeben, sondern auch die Erinnerung an die empfangene Hilfe.“ Hilde Domin hat Recht, denke ich, wenn ich auf meine eigene Geschichte schaue. Ich verdanke vielen Generationen von Menschen in Deutschland und in weiten Teilen Europas, dass ich bisher nie Angst vor einem Krieg haben musste. Sie haben nach dem 2. Weltkrieg für einen stabilen Frieden gesorgt. Der ist nicht vom Himmel gefallen. Das war Arbeit. Ich vertraue darauf, dass es viele gibt, denen es geht wie mir. Dass sie diesen stabilen Frieden zu schätzen wissen und alles dafür tun, was in ihrer Macht steht, um ihn zu erhalten.

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29APR2024
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Ich mag es überhaupt nicht, wenn dauernd gejammert wird. Wie schlimm alles gerade ist. Seit Corona. Und dem Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig fällt mir auf, dass auch mir das Jammern vertrauter geworden ist. Weil mich die vielen Krisen auf der Welt bedrücken. Aber meine Aufmerksamkeit für alles, was Hoffnung macht, ist geblieben.

Vor kurzem habe ich in meiner Tageszeitung einen Bericht gefunden, den ich am liebsten ganz vorne auf der ersten Seite gelesen hätte: Marlene Engelhorn ist Deutsch-Österreicherin, 31 Jahre alt und Millionenerbin. Aber sie will das viele Geld nicht für sich behalten. Ihr Motto lautet: „Niemand soll sich einbilden, die eigene Komfortzone ist wichtiger als das gute Leben für alle.“ Und sie sagt: „Ich habe ein Vermögen geerbt und damit auch viel Macht ohne etwas dafür getan zu haben.“ Ich war wie elektrisiert. Es gibt Menschen, die reich sind und sich nicht einfach nur freuen, weil sie viel geerbt haben. Die wissen, dass sie eben Glück haben und die deshalb ihr Geld nicht für sich behalten wollen. Ich finde beeindruckend, was die junge Frau mit 25 Millionen Euro vorhat. Sie hat einen Rat gegründet, in dem 50 Männer und Frauen gemeinsam darüber nachdenken, wie das Geld am besten verteilt werden soll. Sie nennt ihn „Guter Rat für Rückverteilung“. Die Mitglieder haben das Ziel, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Mehr noch: Marlene Engelhorn hat in diesem Rat auch eine Diskussion darüber angestoßen, was sich politisch ändern müsste, damit wir in einer gerechteren Gesellschaft leben können. Denn durch die Krisen und Kriege der letzten Jahre ist die Schere zwischen Arm und Reich immer noch weiter auseinander gegangen.

Mir macht auch Hoffnung, dass Marlene Engelhorn nicht die Einzige ist, die so denkt und handelt: Die New York Times berichtet von einer ganzen Bewegung junger Millionäre. Sie wollen sich weltweit dafür einsetzen, dass es eine Veränderung bei der Vermögenssteuer und der Erbschaftssteuer gibt. Sie wollen das Geld verwenden, um gegen Armut und den Klimawandel zu kämpfen. Für sie alle gilt, wovon Frau Engelhorn überzeugt ist: Das gute Leben für alle ist wichtiger, als die eigene Komfortzone.

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27APR2024
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Tempolimit, Gendern, Fleischessen. Ein Großteil der politischen Debatten der letzten Jahre kommen als Verbotsdebatten daher. Dabei wird oft der große Begriff der Freiheit ins Feld geführt. Mir kommt es manchmal so vor, dass die Freiheit dabei als Notanker missbraucht wird, wenn irgendeinem der politischen Lager die Argumente ausgehen. Mich stört neben der polarisierten Debatte, dass Freiheit dabei nur als "darf ich etwas oder darf ich etwas nicht" verstanden wird. Dabei ist das ein furchtbar reduziertes Verständnis.

Ich glaube ja, die biblische Erzählung vom Sündenfall hat da eine gute Perspektive. Die Hauptpersonen sind die ersten Menschen: Adam und Eva. Und wonach Adam und Eva in dieser Geschichte streben ist die vollkommene Freiheit, oder zumindest das, was sie dafür halten. Ihr zu Hause ist der Garten Eden, und hier dürfen sie frei leben, wie sie wollen. Es gibt nur dieses eine kleine Verbot, dass sie von den zwei Bäumen in der Mitte des Gartens keine Früchte essen dürfen. Ein kleines Verbot - aber das ist ihnen ein Dorn im Auge. Die beiden Menschen wollen unbedingt selbst beurteilen können, was für sie gut ist und was nicht. Von der Schlange lassen sie sich verführen und essen von den verbotenen Früchten. Dass sie das Vertrauen Gottes damit verletzt haben, war ihnen in dem Moment egal. Aber ihr gemeinschaftliches Verhältnis zu Gott ist zerbrochen. Adam und Eva müssen das Paradies verlassen. Und auch das Verhältnis der beiden untereinander ist nicht mehr wie früher. Da gibt es jetzt Neid und Scham voreinander.

Ich finde in der Erzählung steckt die große Weisheit, dass die absolute individuelle Freiheit eben nicht das Paradies bedeutet. Alles für sich selbst zu entscheiden kann einen ganz schön unfrei machen. Statt gemeinschaftlich durchs Leben zu gehen, schauen die ersten Menschen jetzt lieber jeder nach sich selbst. Und das Vertrauen und die Gemeinschaft mit Gott ist auch kaputt und zerstört. Also – Freiheit sieht für mich anders aus. Das Paradies wäre für mich ein Ort ohne Neid und Scham. Ein Ort, an dem alle ihren Platz haben.

Für die politischen Debatten um Freiheit heutzutage scheint mir die alte biblische Erzählung eine wichtige Erkenntnis beisteuern zu können: sie verdeutlicht, dass Freiheit nicht nur individuell zu verstehen ist. Sondern auch gemeinschaftlich: und dann drehen sich die Debatten in Zukunft vielleicht weniger darum, ob es weiterhin erlaubt ist, mit 200 Sachen über die Autobahn zu donnern oder nicht, sondern darum, ob ein Tempolimit sinnvoll für die Gesellschaft sein könnte. In was für einer Gesellschaft können wir Menschen uns möglichst frei entfalten? Wie muss unser Miteinander aussehen,  damit viele Stimmen gehört werden. Für mich ist das eine Freiheit, über die wir diskutieren können. Müssen.

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26APR2024
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An diesem Schabbat begehen wir den fünften Tag des achttägigen Pessachfestes. 
Die Geschichte des Auszuges der jüdischen Sklaven aus dem alten Ägypten spielt an diesem Feiertag eine wesentliche Rolle. Für uns stellen die Ereignisse um den Auszug, die Geburt des jüdischen Volkes dar, und gewinnen somit einen heilsgeschichtlichen Charakter.  Bei vielen Nichtjuden kommt die Frage auf, ob man es hier nicht etwa mit einem Mythos zu tun hat?  Wie sind die aufeinanderfolgenden zehn Plagen in Ägypten zu verstehen und zu werten?  Wie der Marsch der Israeliten trockenen Fußes durch das Schilfmeer? Des Öfteren wurde mir die Frage gestellt, ob ich mir eine zufriedenstellende Antwort, nicht etwa aufgrund ungewöhnlicher Naturereignisse vorstellen könnte?  Ich habe jedes Mal passen müssen. 

Salo Baron, englischer jüdischer Historiker, meint, dass „der Exodus aus Ägypten...offenbar (für die Unbeteiligten) ein unwichtiger Vorgang in der Geschichte jener Zeit“ war. „So geringfügig, dass das - außer den Juden selbst- am meisten beteiligte Volk, die Ägypter, sich niemals die Mühe nahm, ihn aufzuzeichnen.“  So der englische Gelehrte.  Wir sollten also zur Kenntnis nehmen, dass den Ägyptern nichts daran lag, jenen Auszug, jene Befreiung der israelitischen Sklaven, für alle Zeiten festzuhalten.  Für ihre Geschichte und Geschichtsauffassung war es kein Ereignis von Bedeutung.

Eine Bedeutung hatte und hat der Auszug vornehmlich für Juden. Sie traten damals den Weg an, ein Volk zu werden.  Sie sollten auf G-ttes Geheiß sich immer daran erinnern, dass die Geburtsstunde ihres Volkes in der Knechtschaft lag.  Sie sollten daher die Freiheit des Menschen, die eigene, wie auch die der anderen hochschätzen. Der Auszug erinnert auch daran, dass jener Weg der errungenen Freiheit durch die Wüste nach Sinai, zur g-ttlichen Offenbarung der Zehn Gebote führte.

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25APR2024
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Meine Fensterbank gleicht einem pflanzlichen Friedhof. Dabei war ich guter Dinge, dass ich meine Pflanzen diesmal über den Winter bringen würde. Dass ich diesmal regelmäßig gieße, vielleicht ab und zu dünge. Viel gehört eigentlich nicht dazu, und ich scheitere trotzdem dran.

Und wie den Zimmerpflanzen geht es leider auch den zarten Pflänzchen meiner guten Vorsätze. Man sieht es nicht sofort, wenn man mein Wohnzimmer betritt – aber: Da sind noch die dürren Überreste meines Vorsatzes, nicht so schnell über andere zu urteilen. In einer anderen Ecke steht der vertrocknete Philodendron meines Versuchs dankbar zu sein für das, was ich kann – und mich nicht andauernd mit anderen zu vergleichen. Und da noch der eingegangene Monstera-Setzling meines Plans, wieder regelmäßiger Sport zu machen.

Ja es ist schon gut, dass meine Schwächen und ungelösten Probleme, nicht so offensichtlich auf dem Präsentierteller stehen, wie meine gerade verdorrenden Pflanzen. Dadurch kann ich sie aber auch leichter verdrängen – ganz hinten in der Abstellkammer im Kopf, in die man nur selten mal reinschaut.

Bei Gott klappt das allerdings nicht mit dem Verdrängen. Gott sieht genau hin, und in der Bibel heißt es einmal:  Der Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Er sieht auch die unsichtbaren kaputten Ecken in mir. Ich finde die Vorstellung erstmal unangenehm. Wenn ich ehrlich bin, dann schäme ich mich ein bisschen – auch vor Gott. Ich bin es eben gewohnt, meine Schwächen zu verstecken und zu verdrängen. Ich finde das ganz schön schwer, mir das vorzustellen: Dass es da jemand gibt, der mich nicht nach meinem Scheitern und Versagen beurteilt. Dass Gott angesichts meiner vertrockneten Zimmerpflanzen und meiner gescheiterten Pläne nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, sondern so wie ein richtig gutmütiger Freund ist, der mir hilft meine Pflanzen und mein Leben wieder aufzupäppeln.

Schwer vorstellbar, aber wunderbar und entlastend. Dass ich das, was mit unangenehm ist, mit jemand teilen kann. Denn, um den Mut haben, es trotzdem nochmal zu wagen, muss man den alten Ballast auch mal loswerden. Und das geht besser, wenn da einer dabei ist.

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24APR2024
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Seit über vier Jahren gehöre ich zu einem Kreis, der gemeinsam Andachten und kleine Gottesdienste feiert – und zwar online: jeder bei sich zu Hause vor dem Computerbildschirm. Letzte Woche hat sich unser Kreis zum letzten Mal online getroffen: Auf meinem Monitor habe ich viele Kerzen angehen sehen. Wir haben gemeinsam gesungen - alle zu Hause vor ihren Bildschirmen – und haben dann alle gemeinsam virtuell eine Wolke aus Worten erstellt – mit Dingen, wofür wir diese Woche dankbar sind, und wofür wir Gott bitten wollen. Viele der Teilnehmenden habe ich bisher noch nie in Präsenz getroffen – und trotzdem hat sich das nach echter Gemeinschaft angefühlt und ich habe das Gefühl, die Menschen zu kennen.

Entstanden ist das Ganze in Corona-Zeiten, als nur Onlinemeetings möglich waren. Als man sich dann wieder treffen durfte, haben sich die Mitglieder unserer Gruppe weiter getroffen. Weil da etwas Schönes entstanden war.

Nach 4 Jahren war jetzt trotzdem Schluss. Wir haben gemerkt, dass für uns etwas anderes dran ist. Dass unsere Andachten uns in den letzten 4 Jahren wichtig waren, aber jetzt die Luft raus ist. Es war gut, dass wir alle zum gleichen Moment dieses Gefühl hatten. Das hat es einfacher gemacht, Abschied zu nehmen. Und gleichzeitig war es auch traurig: Es war eine besondere Gemeinschaft mit Menschen aus so verschiedenen Orten und aus so unterschiedlichen Altersgruppen.

Darum haben wir ganz bewusst Abschied genommen. Noch ein letztes Mal online Andacht gefeiert. Auf die schönen Momente der letzten Jahre zurückgeschaut. Nochmal die Lieblingslieder gesungen. Noch einmal virtuell zusammen gebetet. Ganz bewusst ein letztes Mal. Das hat gut getan. So bewusst etwas zu Ende zu bringen. Das, was uns so wichtig war, in einem guten Rahmen zu verabschieden. Die Erfahrung macht mir paradoxerweise Mut für die Zukunft. Da wird es – persönlich, aber auch in unseren Kirchengemeinden auch immer wieder darum gehen Abschied zu nehmen. Vielleicht Abschied vom Kirchengebäude, in der man konfirmiert wurde, oder Abschied von dem wöchentlichen Gottesdienst in der Kirche direkt vor der Haustür, Abschied von dem Arbeitsplatz, den man lange und gerne hatte, Abschied von manchen Freundschaften. Etwas nicht einfach versanden zu lassen, sondern bewusst Auf Wiedersehen zu sagen, finde ich dabei wichtig. Auch wenn das gar nicht so leicht fällt. Mir hilft der Gedanke, dass „Auf Wiedersehen“ nicht heißt, dass eine Beziehung komplett abgebrochen wird, sondern vielleicht nur an anderer Stelle und in anderer Form weiterleben. Und Raum und Kraft für etwas Neues da ist.

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23APR2024
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Ein Freund von mir, Jonas, hat angefangen, Spenden zu sammeln für Menschen im Gaza-Streifen. Jonas hat da Bekannte. Mit ihren Augen sieht Jonas, wie die Situation für seinen Bekannten, seine Frau und seine Kinder seit dem Überfall der Hamas auf Israel immer schlechter wird. Sie leben inzwischen in Zelten. Und die Situation ist so schlimm, dass sie ihre Heimat verlassen wollen. Um über die Grenze zu kommen, brauchen sie aber viel Geld – für die notwendigen Dokumente und Genehmigungen. Selbst wenn genug Geld zusammenkommt – geholfen wäre dann nur einer Familie von vielen. Es darf doch nicht sein, dass so viele Menschen dort leiden.

Was wirklich helfen würde, das wäre ein Ende des Krieges oder wenigstens ein Waffenstillstand. Welche Seite muss sich da zuerst bewegen? Die Hamas-Terroristen, die ihre Geiseln nicht frei lassen wollen, solange keine Hilfsgüter nach Gaza durchkommen? Oder die israelische Regierung, die keine Hilfsgüter durchlassen möchte, solange die Hamas noch Geiseln gefangen hält? Ich weiß, dass die Lage in Wirklichkeit noch viel komplizierter ist. Aber für mich war es ein erster kleiner Schritt: Zu erkennen, dass Krieg kein Fußballspiel ist, wo ich ohne große Konsequenzen für eine Seite sein kann.

Und dann habe ich vor einigen Tagen ich einen jüdischen Rabbiner kennengelernt. Er lebt in Deutschland und erzählt mir und meinen Kolleginnen davon, wie der Hass gegen Juden bei uns die letzten Jahre zugenommen hat.  Besonders seit dem 7. Oktober. Dass die Hassbriefe, die er bekommen hat, früher wenigstens noch anonym gewesen seien. Jetzt scheuen Menschen nicht mal mehr davon zurück, ihm die furchtbarsten Sachen unter Klarnamen zu wünschen. Es ist selbstverständlich, dass die Synagogen in Deutschland rund um die Uhr von der Polizei bewacht werden. Was für eine absurde Selbstverständlichkeit! Es darf nicht sein, dass Menschen beim Beten von der Polizei beschützt werden müssen.

Es sind so viele, die unter dem Konflikt in Israel und Palästina leiden. Dort und auch bei uns, mitten in unserem Land.  Und ich sehe nicht, wer jemals davon profitieren soll. Für die israelischen Geiseln und ihre Angehörigen, für die Freunde von Jonas im Gazastreifen, für den Rabbi in Deutschland und all die anderen, die unter diesem sinnlosen Krieg leiden, bete ich und bitte Gott um das, wovon die Bibel voll ist: Hoffnung auf Frieden und Versöhnung.

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22APR2024
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Ich habe einmal eine Fahrradtour die Donau entlang gemacht. Und wie ich so vor mich hinfahre, da ist sie auf einmal einfach weg. Die Donau. Zumindest an den meisten Tage im Jahr. Nach ihren ersten Kilometern als kleiner Fluss verschwindet die Donau plötzlich im Boden – nur um über 10 km später wieder aufzutauchen. Von diesem Phänomen – der Donauversickerung – bin ich seitdem fasziniert. Die Donau versickert, weil der Untergrund voll von kleinen Rissen und Klüften ist. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass man rausgefunden hat, dass nicht alles Wasser der Donau später wieder als Donau weiterfließt, sondern ein Teil des Wassers im Aachtopf wieder auftaucht und in den Rhein fließt. Ich finde das Phänomen richtig faszinierend, weil ich es verrückt finde, dass so ein Fluss einfach verschwindet und wieder auftaucht.

Mit meinem Glauben war es ein bisschen wie mit der Donau. Als junger Erwachsener – mitten im Studium war es so, als wäre mein Glaube einfach im Boden versickert. Das war anders als bei der Donauversickerung weniger faszinierend, sondern sehr, sehr belastend. Der Glaube hatte seit der Kindheit mein Leben mitbestimmt – und auf einmal begann er zu versickern und ich konnte es nicht aufhalten. Eine Zeit lang war es so, als wäre er einfach weg mein Glaube. Es hat gedauert, bis er langsam wieder aufgetaucht ist – und das ist dann doch so faszinierend, wie die Donauversickerung. Denn es gab keinen äußeren Grund, kein plötzliches Erlebnis, dass meinen Glauben zurückbrachte. Eher so ein langsames Wiederauftauchen. Wie ein kleines Rinnsal, das schließlich langsam wieder zu einem kleinen Strom wurde.

Seitdem steigt und sinkt der Wasserstand meines Glaubensflusses auch immer mal wieder. Versickert, wie damals, ist er nicht mehr. Aber mich lässt meine Erfahrung und das Bild der Donauversickerung entspannter auf den Glauben schauen: Nicht immer, wenn er gerade nicht greifbar oder sichtbar ist, ist der Glaube weg. Und nach längeren Durststrecken folgen auch wieder Zeiten, in denen der Fluss wieder kräftiger wird. Manchmal ist es auch wie beim Aachtopf: da kommt der Glaube wie die Donau an einer ganz anderen Stelle wieder raus und fließt dann weiter. Egal wo – er führt mich weiter mein Glaube, er fasziniert und beschäftigt mich. Wie die Donauversickerung eben.

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20APR2024
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Manchmal sitze ich frühmorgens stumm vor Gott – das Morgenlob bleibt mir im Halse stecken. Die Schreckensnachrichten aus Gaza und der Ukraine haben mir die Sprache verschlagen und treiben mir Tränen in die Augen. Tief in meinem Innern spüre ich, wie in mir die Wut zu rumoren beginnt. Die Wut diesen Verbrechern gegenüber, die Kriege auslösen und Massenmord befehlen. Dann geht es mir wie Schwester Gabriela in Jerusalem. Auch sie könne das, was nur eine Autostunde von ihr entfernt geschieht, „nicht einfach weg- oder schönbeten“, schreibt sie. In den ersten Kriegstagen habe sie nur schweigend unter dem Kreuz Jesu ausgeharrt. 1)

In meiner Sprachlosigkeit greife ich dann doch zum Andachtsbuch, um einen Psalm zu beten. Viele dieser Verse sind ja auch in Kriegszeiten entstanden und künden von Ohnmacht und Verzweiflung. Gott war schon den Frommen von damals ein Rätsel: Hat er uns denn gänzlich vergessen, hadert einer von ihnen, „ist er denn blind?“ (Psalm 94,9)? „Wie lange dürfen die Gottlosen noch lachen?“, klagt ein anderer (Psalm 94,3). Gott, der Gerechte, „hasst doch alle, die Unrecht und Gewalt lieben?“ (Psalm 5,5-6). Wie lange sollen die denn noch die „Oberhand behalten?“, lese ich in Psalm 3. Nun spüre ich: Ich bin nicht allein in meiner Abscheu und in meinem Hass gegen die Kriegstreiber. Ich darf den sogar zulassen. 

Manchmal helfen mir diese Vorbeter dann doch ins Gebet hinein. Einer fleht Gott an:

Erhebe dich endlich! Bestrafe die Bösen und vergiss die Hilflosen nicht! Zerbrich die

Macht dieser Gottlosen, damit sie aufhören!“ (Psalm 10).

Die meisten dieser jüdischen Gebete finden am Ende dann doch wieder zurück ins

Vertrauen zu Gott. „Völker sind in Aufruhr und Königreiche zerfallen“ heißt es in Psalm 46. „Die Erde vergeht, doch der allmächtige Herr bleibt bei uns und ist unser Schutz. Er zerbricht die Kampfbögen der Feinde und spaltet ihre Speere, er verbrennt die Streitwagen im Feuer“ (Psalm 46).

Beten in Kriegszeiten! Wenn Sie mögen und sich ein paar Minuten Zeit nehmen, dann klicken Sie heute mal hinein in den Psalm 46. Mir schenkt er Trost und Zuversicht.

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  • „Beten in Zeiten des Krieges“ – in „Publik-Forum“ Nr. 1/2024
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19APR2024
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Wer von Gott und der Welt verlassen, also Gott los-geworden ist und sich in der Welt nicht recht beheimatet fühlt, den beneide ich nicht. Es lebt sich meines Erachtens schwer mit solchen Leerstellen. Ich beobachte, dass Menschen sich oftmals mit Ersatz begnügen, mit sogenannten Glücksbringern zum Beispiel. 39 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer in Deutschland bezeichnen sich selbst als abergläubisch. Sie erhoffen sich Gutes von vierblättrigen Kleeblättern, tragen ihr Sternzeichen um den Hals oder führen einen Talisman mit sich.

Dadurch fühlen sie sich beschützt und weniger allein. „Ja, er soll mir Glück bringen", sagte mir eine Schülerin, mit Blick auf den kleinen Teddybär, der sie zu ihren schriftlichen Abiturprüfungen begleiten soll, die am Montag beginnen.  

Meinem eigenen, ziemlich nüchternen Weltbild sind solche Vorstellungen eher fremd. Wenn ich mich bewahrt und behütet fühle, ist kein Schlüsselanhänger daran beteiligt. Und wenn der 13. Tag eines Monats auf einen Freitag fällt, denke ich allenfalls an den Spruch meines alten Lehrers, der uns versicherte, für ihn sei das immer ein Glückstag, weil er einst an einem solchen Tag seine Frau kennengelernt habe. Ich bedaure nur, dass mir ansonsten vom Unterricht nicht mehr viel im Gedächtnis hängen geblieben ist. Bis auf einen anderen Spruch, den ich auch ihm verdanke. Es ist ein Zitat des Dichters Emanuel Geibel – um die Mitte des 19. Jahrhunderts der erfolgreichste Dichter seiner Zeit:

"Glaube, dem die Tür versagt,

steigt als Aberglaub' ins Fenster.

Wenn die Götter ihr verjagt,

kommen die Gespenster."

Es genügt offenbar nicht, die Seelenfenster einfach offen stehen zu lassen, wenn man die Kirchentür endgültig hinter sich zugeschlagen hat. Wahrsager, Gurus und Sterndeuter, die  versprechen, die Zukunft vorauszusagen, können Menschen in Abhängigkeiten bringen und Ängste verstärken. Angeblich sind gerade die Menschen, die sich für besonders aufgeklärt halten, anfällig für Seelenfänger und ihre Heilsversprechen.

Dagegen ist der Teddy in der Abi-Klausur harmlos. Falls er nichts nützt, so schadet er wenigstens nicht. Da bin ich mir ziemlich sicher.

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