Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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19APR2024
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Wer von Gott und der Welt verlassen, also Gott los-geworden ist und sich in der Welt nicht recht beheimatet fühlt, den beneide ich nicht. Es lebt sich meines Erachtens schwer mit solchen Leerstellen. Ich beobachte, dass Menschen sich oftmals mit Ersatz begnügen, mit sogenannten Glücksbringern zum Beispiel. 39 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer in Deutschland bezeichnen sich selbst als abergläubisch. Sie erhoffen sich Gutes von vierblättrigen Kleeblättern, tragen ihr Sternzeichen um den Hals oder führen einen Talisman mit sich.

Dadurch fühlen sie sich beschützt und weniger allein. „Ja, er soll mir Glück bringen", sagte mir eine Schülerin, mit Blick auf den kleinen Teddybär, der sie zu ihren schriftlichen Abiturprüfungen begleiten soll, die am Montag beginnen.  

Meinem eigenen, ziemlich nüchternen Weltbild sind solche Vorstellungen eher fremd. Wenn ich mich bewahrt und behütet fühle, ist kein Schlüsselanhänger daran beteiligt. Und wenn der 13. Tag eines Monats auf einen Freitag fällt, denke ich allenfalls an den Spruch meines alten Lehrers, der uns versicherte, für ihn sei das immer ein Glückstag, weil er einst an einem solchen Tag seine Frau kennengelernt habe. Ich bedaure nur, dass mir ansonsten vom Unterricht nicht mehr viel im Gedächtnis hängen geblieben ist. Bis auf einen anderen Spruch, den ich auch ihm verdanke. Es ist ein Zitat des Dichters Emanuel Geibel – um die Mitte des 19. Jahrhunderts der erfolgreichste Dichter seiner Zeit:

"Glaube, dem die Tür versagt,

steigt als Aberglaub' ins Fenster.

Wenn die Götter ihr verjagt,

kommen die Gespenster."

Es genügt offenbar nicht, die Seelenfenster einfach offen stehen zu lassen, wenn man die Kirchentür endgültig hinter sich zugeschlagen hat. Wahrsager, Gurus und Sterndeuter, die  versprechen, die Zukunft vorauszusagen, können Menschen in Abhängigkeiten bringen und Ängste verstärken. Angeblich sind gerade die Menschen, die sich für besonders aufgeklärt halten, anfällig für Seelenfänger und ihre Heilsversprechen.

Dagegen ist der Teddy in der Abi-Klausur harmlos. Falls er nichts nützt, so schadet er wenigstens nicht. Da bin ich mir ziemlich sicher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39716
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