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Christopher Hoffmann trifft: den britischen Sänger J.P. Cooper.
Und mit dem international erfolgreichen Musiker J.P. Cooper. Ich treffe John Paul Cooper als er auf seiner Welttournee in Köln Station macht. Anschließend reist er mit seiner Band nach Japan, Ozeanien und Südafrika weiter. Er gehört zu den besten zeitgenössischen Soul- und Folkstimmen. Allen voran „September Song“ und die gemeinsame Single mit DJ Jonas Blue - „Perfect Strangers“ - , die machten ihn weltberühmt. Es regnete Gold- und Platinauszeichnungen. Trotzdem erlebe ich den 41-Jährigen sehr bodenständig und zugewandt. Vielleicht auch, weil er schon viel durch hat im Leben. Der Brite wuchs in einem Arbeiterviertel in Manchester auf. Als er elf Monate alt war, starb seine Mutter:
Ich war sehr jung, gerade mal knapp ein Jahr, ein Baby. Und ich konnte logischerweise nicht verstehen, was geschah. Aber natürlich hat das alles meine Familie und meine Kindheit ganz entscheidend verändert. Mein Vater brauchte sehr lange, um seine Trauer zu überwinden. Es kam mir so vor, als sei ich unter einer Wolke geboren. Aber ich hatte Glück in dem Sinne, dass mein Papa uns eine enge Beziehung zu ihr ermöglichte. So hatten wir zum Beispiel an ihrem Geburtstag oder an ihrem Jahrestag zu Hause eine kleine Feier. Und da musste er dann seine Arbeit unterbrechen, sich freinehmen; er hatte ja fünf Kinder, um die er sich kümmern musste. Wir hatten nie viel Geld, aber er sorgte stets dafür, dass es irgendwas Besonderes gab an diesen Tagen.
Bis heute fühlt sich JP Cooper seiner Mutter sehr nah– als Christ glaubt er daran, dass es ihr gut geht, da wo sie jetzt ist. Musik ist für ihn eine Möglichkeit mit ihr zu kommunizieren:
Ich höre ihre Stimme in meiner Musik und ich spreche mit ihr jeden Tag. Und ich denke, Musik öffnet irgendwie den Himmel. Wie auch immer man dazu steht oder es nennen will: Es kommt definitiv von einem anderen Ort. Je älter ich werde, desto dankbarer bin ich, dass ich diesen Segen, dieses Geschenk teilen darf.
Was ihn tröstet, teilt er auch mit seinen Fans, etwa in dem Song „Mommas prayers“, Mamas Gebete. Zusammen mit dem Rapper Stormzy singt er darüber, dass ihre Mütter sie mit ihren Gebeten begleiten:
Meine Mutter ist physisch nicht mehr hier, aber ich glaube, sie beschützt mich „von oben“. Und mein Papa schreibt seit Jahren seine Gebete jeden Morgen auf; und das mache ich jetzt auch. Er hat unzählige Bücher voller Gebete aufgeschrieben. Und ich weiß es gibt sehr viele Menschen, die für mich beten, die mir helfen und mir den Weg zeigen - mehr als es mir vielleicht bewusst ist – daran glaube ich. An Dinge, die du nicht sehen und anfassen kannst, die aber definitiv da sind.
Inzwischen ist J.P. Cooper selbst Vater von zwei Kindern, das dritte ist unterwegs. Seinen katholischen Glauben will er ihnen weitergeben, indem er ihn vorlebt - so wie er das bei seinem Vater erfahren hat:
Und es sind diese Beispiele gelebten Glaubens. Jetzt bin ich auch ein Papa, ich spüre die Verantwortung und ich hoffe, dass ich in dieser Rolle weiterwachse. Vater zu werden hat mir dabei geholfen, ein wenig mehr von Gottes Liebe zu verstehen.
Ich treffe den britischen Musiker J.P. Cooper, der lange Zeit in den Bars von Manchester kellnerte, während er noch auf seinen musikalischen Durchbruch gewartet hat. Und der in seinem Song „Holy water“ auch davon singt, dass wir bei Gott immer wieder eine neue Chance bekommen, dass es darum geht, im Leben immer wieder aufzustehen:
Wir sind alle Menschen, und es gibt einen Unterschied zwischen Fallen und Scheitern. Wir fallen, aber das heißt nicht, dass wir scheitern. Und ich glaube das ist die Botschaft: Wir sollten gnädiger mit uns selber sein.
Wenn ich etwas mache, dann gerne 100-prozentig. Und was meinen Glauben betrifft: Manchmal gehe ich nicht auf dem guten Weg und manchmal, wenn ich Dinge tue, wo ich genau weiß, das sollte ich nicht tun, schäme ich mich, es einzugestehen. Aber dann sollte ich mich erinnern: an die Liebe Gottes. Wir sind Menschen, Gott erwartet nicht, dass wir perfekt sind.
Und deshalb betet er auf Tour auch am liebsten das „serenity prayer“, das Gelassenheitsgebet: „Gott, gib mir die Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Aus seinem Glauben schöpft er Kraft, um dann auch untereinander für mehr Mitgefühl zu werben. Sein Lied „Call my name“ ist eine energiegeladene Hymne gegen Einsamkeit und für mehr echtes Interesse an meinem Nächsten:
Ich denke, es gibt viele einsame Menschen. Wir haben zwar so viele digitale Beziehungen, zum Beispiel auf social media, und oftmals ist es einfach, so zu tun, als ob wir glücklich sind und eine gute Zeit haben. Denn die Leute teilen nur die guten Sachen. Wir haben diese Kultur kreiert, wo wir Menschen nicht runterziehen wollen, die wollen nichts von meinen Problemen wissen. Aber ich habe das Glück, Menschen um mich zu haben, die auch da sind, wenn’s mir schlecht geht. Ja, das ist so wichtig, Menschen zu haben, die für dich da sind. Und der Song „Call my name“ feiert es, dass wir immer für jemanden da sein können!
Und wie blickt der weitgereiste Musiker auf unserer Welt, in Zeiten, in denen viele auf Abgrenzung und das Nationale setzen?
Ich lerne so viele Kulturen kennen und in ihnen allen gibt es so viel Schönheit. Ich glaube an das Gute in der Menschheit. Und ich wünsche mir, dass wir mehr nach der Schönheit im Anderen suchen und uns nicht von Angst und Gier leiten lassen.
Die Musik von J.P. Cooper gehört über Kontinente hinweg für viele Menschen zum Soundtrack ihres Lebens– für den Sänger das größte Kompliment:
Ich liebe Menschen und mich interessieren ihre Lebensgeschichten und wie sie unterwegs sind. Meine Musik hilft ihnen vielleicht über einen Verlust hinweg, sie nehmen sie für einen Heiratsantrag oder ihre Hochzeit. Das ist für mich ein Dienst. Und ein Geschenk!
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Janine Knoop-Bauer trifft: Tim Kaufmann, Pfarrer und Leiter des LabORAtoriums der evangelischen Kirche der Pfalz, wo Erprobungsräume entstehen für eine Kirche der Zukunft.
Ein Labor erwartet man wahrscheinlich nicht als Grundausstattung einer Kirche. Die Evangelische Kirche in der Pfalz beschreitet hier neue Wege und hat im Jahr 2019 ein LabORAtorium eingerichtet. Dort wird überlegt, wie die Kirche der Zukunft aussehen kann. Aber nicht als Gedankenspiel, sondern ganz konkret: Tim Kaufmann und sein Team unterstützen Gemeinden, die neue Ideen umsetzen möchten. Erprobungsräume heißen die so angestoßenen Projekte. Sie alle stehen dabei unter der gleichen Fragestellung, die Tim Kaufmann so zusammenfasst:
wie kann das gehen, dass Kirche in Zukunft Formen von Gemeinschaft entwickelt, die für die Menschen tragfähig und funktionabel sind? Dass die Menschen da wirklich das Gefühl haben, hier ist eine Gemeinschaft, da gehöre ich dazu. Da kann ich meine Fragen loswerden, meine Zweifel loswerden, meine Hoffnung austauschen und erlebe eigentlich das, was im Heidelberger Katechismus so schön in der ersten Frage heißt: was mir Trost und Halt im Leben und im Sterben gibt.
Denn Glaube braucht Gemeinschaft. Schon ganz am Anfang der Bibel heißt es: es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist. Aber genau das erleben Gläubige zurzeit häufiger, wenn sie am Sonntag in die Kirche gehen. Da sitzen sie dann fast alleine. Tim Kaufmann möchte die Lebendigkeit der Kirche aber nicht allein am Gottesdienstbesuch messen:
Über schlechten Gottesdienstbesuch hat man sich auch schon vor 200 Jahren beklagt. Natürlich bei ganz anderen Zahlen. Aber es gibt zum Beispiel vom Theologen Friedrich Schleiermacher ein Zitat, der sagt: „Es kommt eigentlich niemand, um meine Predigt zu hören. Die kommen alle entweder, weil ich sie im Examen prüfe oder weil sie von zuhause aus müssen oder weil sie die jungen Männer oder jungen Frauen sehen wollen, aber nicht, um an meinem Gottesdienst teilzunehmen.“ Also, das ist so alt wie die Kirche selber, glaube ich, dass man sich beklagt, dass zu wenig kommen.
Wenn nicht im Gottesdienst – wo trifft man sie dann, die Gemeinschaft der Gläubigen, aus der die Kirche doch besteht. Für Tim Kaufmann ist klar: da, wo Menschen ins Gespräch kommen über die wirklich wichtigen Dinge. Aber das ist gar nicht so einfach:
Also ich denke, vielleicht ist das ein Abbruch, der schon viel früher passiert ist, dass wir das so ein bisschen verlernt haben, uns darüber auszutauschen, weil Glauben halt auch Privatsache ist und man da nicht öffentlich darüber redet. Manchmal hat man das Gefühl, man redet mehr über Themen von Sexualität als … über Glauben und Hoffnung.
Es geht in den Erprobungsräumen also auch darum, sich im Austausch zu üben. Und dabei muss Kirche wortwörtlich auch mal über die Kirchenbänke hinausdenken, findet Tim Kaufmann:
Oft geht es vielleicht gar nicht darum, unsere Räume zu öffnen, sondern zu entdecken, wo das Gespräch stattfindet. Also vielleicht so ein bisschen wie auch früher, bei den ersten Christen. Da war es ja auch nicht so, dass es schon eine Infrastruktur gab, sondern die Dinge erst mal da stattfanden, wo sich die Leute versammelt haben, also entweder in den jüdischen Gemeinschaften oder eben auf den Marktplätzen der antiken Städte … oder bei Leuten zu Hause, die irgendwie einflussreich waren und Leute versammelt haben, also dass man wieder in den öffentlichen Raum kommt, sozusagen und sich da anschließt, wo Gespräche entstehen.
Tim Kaufmann ist Pfarrer und leitet das Laboratorium der evangelischen Kirche in der Pfalz. Dort werden Projekte von Kirchengemeinden unterstützt, die Neues ausprobieren.
Eine dieser spannenden Ideen ist in der Tat das Küchengespräch aus Finkenbach, die eben wirklich ganz einfach angefangen haben. Mit Gesprächen in der Küche: kennt man von jeder Party, dass die besten Gespräche in der Küche stattfinden. Die haben eine Einbauküche in einem leeren Pfarrhaus. Und da haben Sie angefangen, sich zu treffen mit Leuten aus dem Ort, mit Landwirten, mit Politikern, haben auch Leute eingeladen, gezielt. Und da ist einfach wirklich ein Gespräch darüber entstanden, was vor Ort passiert, was vor Ort die Themen sind und was vor Ort gebraucht wird.
Kirche in der Küche – Gemeinschaft am Küchentisch. Mich erinnert das daran: ganz am Anfang haben Christen sich auch am Tisch getroffen. Sie haben sich zum gemeinsamen Essen versammelt um sich auszutauschen über ihren Glauben. Für Tim Kaufmann zeigt sich an dem Beispiel aber noch etwas:
Das Spannende ist, dass wir also beobachten, dass manchmal die innovativen Aufbrüche jetzt auch nicht aus den Großstädten kommen. … Finkenbach ist jetzt alles andere als urban gelegen, und es ist halt ein echtes Dorf in der Nordpfalz. Insofern, da kommen manchmal auch die Ideen her, wo Leute wirklich was anpacken, weil die eine ganz andere Wahrnehmung dafür haben, was vor Ort gebraucht wird und auch vielleicht schneller merken, dass so herkömmliche Lösungen, wie sie jetzt oft probiert werden, dass man einfach größere Einheiten bildet und so in den Regionen eben nicht funktionieren, weil es eben wirklich weit ist in den nächsten Ort.
Für Tim Kaufmann ist die Erneuerung der Kirche eine Erneuerung von innen. Das leuchtet mir ein: denn ob eine Gemeinschaft wirklich trägt, hängt ja davon ob, wie sehr sich die einzelnen dazugehörig fühlen. Das kann von außen gar nicht verordnet werden. Für Kirche heißt das:
Es muss klar sein: Leben vor Ort und Kirchengemeinde vor Ort hängt nicht am Pfarrer, sondern hängt eigentlich an den Menschen vor Ort, die vor Ort ihren Glauben leben. … Der Apostel Paulus hat in den Gemeinden, denen er Briefe geschrieben hat, nicht als erstes ein Gemeindehaus, eine Kirche gebaut, sondern hat Leute da versammelt, die das gemeinsam gemacht haben, auch wenn er weg war, bis hin zur Gemeinde in Rom, wo die Leute sogar schon vorher da waren, bevor er überhaupt da angekommen wäre. Also das funktioniert scheinbar auch ohne hauptamtliches Personal ganz gut. Und da sollten wir wieder hinkommen, dass wir das lernen, dass jeder einzelne Gemeinde ist und diese Gemeinschaft das ist, was uns ausmacht und nicht nur Organisationsformen oder eine Struktur.
Nur zusammen bleibt der Glaube lebendig – wenn aus vielen Ichs ein Wir wird. Tim Kaufmann sieht darin das bleibende Fundament der Kirche:
… das ist eines der Kernanliegen unseres Lebens als Christ, dass wir irgendwie eine Gemeinschaft und eine Geborgenheit erleben wollen mit Gott. Und dann natürlich auch bei anderen Menschen…. Das ist im Endeffekt das, was wir, wenn wir als Kirche fortbestehen wollen, brauchen, dass die Leute eben nicht nur eine Heimat in ihrem Dorf haben, sondern eben dann auch in ihrer Kirchengemeinde.
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Mit den Heiligen Drei Königen kam schon damals symbolisch die ganze Welt zusammen, um dem Kindlein in der Krippe zu huldigen. Die drei Könige stehen für die damals bekannten Kontinente: Europa, Asien und Afrika. Die Menschheit ist gemeinsam unterwegs, so wird es uns erzählt. Und heute?
Mein Gesprächspartner heißt Stève Hiobi, hat seine Wurzeln in Afrika. Er wohnt in Heidelberg, ist 38 Jahre alt und ein Afrofluencer. Auf Social-Media ist er als „(@Dein) Bruder Stève“ unterwegs und das klingt dann so:
Wie kannst du dein Wissen über Afrika erweitern. Afrika ist ein Kontinent voller Geschichte und Kultur. Aber oft fehlt uns hier in Europa genau dieses Wissen. Deswegen…
…dreht er Videos voll von Geschichte und Hintergrundinfos über die 54 Länder Afrikas.
Dass es mir schon schwer fällt einen Überblick über die 47 Länder Europas zu behalten, zeigt wie vielfältig der Kontinent ist. Und jetzt hat Hiobi auch ein Buch dazu geschrieben: „All About Africa“[1]. Immer die Frage im Blick: Was hat das, was dort geschieht, mit uns zu tun?
Stève Hiobi ist in Kamerun geboren und in Deutschland aufgewachsen. Schon als Kind hat er festgestellt: Wenn die Deutschen auf Afrika schauen, dann haben sie einen verklärten und exotischen Blick. Afrika ist Wüste, Dschungel, „König der Löwen“, aber auch einfaches Leben. Es gibt Dürre, Krankheiten, Konflikte. Unbekannt bleiben innovative Technologie-Startups oder florierende Kunstszenen. Wer kennt schon „An African City“ – eine Web- und Fernsehserie im „Sex and the City”- Style nur aus Ghana?!
Wir haben quasi einen bestimmten Blick oder ein Narrativ wie ist oder zu sein hat oder uns immer wieder vorgezeigt wird. Und das beeinflusst natürlich auch wieder, wie wir über die Menschen da denken oder auch politische Entscheidungen…
… die getroffen werden und das nervt ihn. Die Wörter „eurozentrisch“ und „Kolonialismus“ fallen immer wieder in unserem Gespräch. Für Stève ist klar, wie wir über Afrika reden, das ist immer noch eine Folge der Kolonialisierung Afrikas.
Weder Stève noch ich hatten die Kolonialisierung im Schulunterricht. Dabei lässt sich das Thema in vielen Fächern gut bearbeiten. Manche Lehrkräfte behandeln es auch, bekommt Stève auf seinen Social-Media-Kanälen mit. Umso mehr spornt es ihn an, auf die über Afrika bestehenden Narrative aufmerksam zu machen. Doch das Netz hat so seine Tücken und der Umgangston ist speziell:
Social-Media ist schon sehr auf Konfrontation aus. Klar, die Plattformen lieben sowas. Wenn man viel kommentiert und dann geht es hin und her. Am Ende regen sich alle auf, es bringt auch Reichweite, aber danach hat keiner irgendwas gewonnen. Die einen sind immer noch dagegen, die anderen sind weiterhin dafür. Es bilden sich die Bubbles und die Bubbles bleiben halt in ihren Bubbles.
Es braucht schon viel Mut sich in so ein Netz hineinzubegeben. Doch Stève Hiobi hat da so seinen Weg gefunden.
In Deutschland leben knapp 85 Millionen Menschen. Etwa 1,1 Millionen davon haben ihre Wurzeln in Afrika. Stève Hiobi ist einer davon und auch wenn er in zweiter Generation in Deutschland aufgewachsen ist, im Alltag begegnet ihm Rassismus immer wieder.
Ich laufe in der Bahn, setze mich irgendwo hin und Leute ziehen ihre Handtaschen zu sich. Und ich denk mir so, hä? Warum, was habe ich getan?
Und ich denke mir, warum tun sie das?
Überrascht hat mich, dass Stève trotz solcher Erfahrungen sachlich an seine Themen rangeht. In seinen Videos spiegelt er immer wieder solche Rassismus-Situationen, die er selbst im Alltag erlebt. Indem er Situationen nachstellt, nur mit anderen Akteuren.
Ich fasse quasi weißen Leute in die Haare oder so. Ich habe das voll oft erlebt, dass Leute mir einfach an die Haare fassen.
Eine Handtasche, ein Blick, manchmal sind es Kleinigkeiten, die ihm aber ein diskriminierendes Gefühl vermitteln. Ich kann es schwer verstehen, weil ich nicht in seiner Haut stecke. Aber es ist für mich als Christin nicht hinnehmbar, dass sich jemand in alltäglichen Situationen diskriminiert fühlen muss. Ich wünsche sowas niemandem.
Also will ich von ihm wissen, was ich tun kann, damit solche Situationen nicht entstehen und fühle mich ertappt:
Weiße Menschen kommen dann immer zu schnell in diese Ich-Sachen, so. Was kann ich tun? Ich wünsche mir manchmal, dass Leute versuchen erstmal zuzuhören und versuchen einfach nur zu verstehen erstmal.
Es geht einfach um Respekt und Offenheit. Ne einfache Sache, die aber nicht selbstverständlich ist und die Stève vielerorts vermisst.
Man kann verschiedene Standpunkte haben, aber wenn man quasi menschlichen Umgang komplett verliert. Das finde ich halt richtig schwierig so, weil, wenn man sich nicht drauf verlassen kann, dass man sich respektiert. Wie will man dann erst so über richtig schwierige Themen sprechen und eine Lösung finden?
Ja, finde ich auch schwierig und traurig. Vor allem, wenn man sich gegenseitig aussticht. Man ringt nicht miteinander für das Wohl von allen. Das wäre aber viel mehr Wert für unser Miteinander.
Denn die Frage ist doch: Wie wollen wir mit unseren unterschiedlichen Wurzeln zusammenleben? Und wie sehen wir uns und die anderen dabei?
Stève spricht sein Publikum mit „Brüder und Schwestern“ an:
Ich finde es ist eine einladende Begrüßung, wenn man jemanden als Brüder und Schwestern anspricht. Mich haben tatsächlich immer mal wieder Leute angeschrieben, weil ich das so gesagt habe und haben gesagt: Ja, sind wir „Weiße“ jetzt etwa nicht angesprochen? Das habe ich ja in keiner Weise gesagt. Ich habe einfach nur Leute wie Brüder und Schwestern angesprochen.
Ein Narrativ, dass man Schwarzen zuspricht? „Die reden sich so an.“? Möglich. Aber Christen, und Stève ist Christ, sind auch Brüder und Schwestern, sprechen sich genauso an. Alles eine Frage der Perspektive.
Im Verlauf unserer Begegnung sind mir immer wieder meine eigenen Narrative über Afrika begegnet und wie wichtig es doch ist, dass ich mir diese bewusst mache, um Menschen als Menschen begegnen zu können.
[1] Droemer HC, 2024.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41255![Fabian Maysenhölder](/cache/1320b490_400x400_maysenhoelder-fabian.jpg)
Genau hinschauen. Das hat sich Fabian Maysenhoelder vorgenommen. Er beschäftigt sich als Pfarrer und freier Journalist mit der Wirkung von Sekten - und schon bei diesem Begriff muss man genauer hinschauen. Er benutzt das Wort selbst nicht so gern
…wenn man von einer Sekte spricht, dann hat man sofort so ein ganz klares Bild, eine Schublade, in die man eine Gruppe reinsteckt. Und die Wirklichkeit ist aber oft sehr viel komplexer und ich finde es in vielen Fällen wenig zielführend, eine Gruppe als Sekte zu beschreiben, weil das einen dann oft daran hindert, noch einen Schritt weiterzugehen und zu gucken, was ist eigentlich das Problematische an dieser Gruppe?
In seinem Podcast „secta“ verwendet er darum lieber Bezeichnungen wie „neureligiöse Gruppierungen“ oder „religiöse Sondergemeinschaften“. In jeder Folge nimmt Fabian Maysenhölder eine solche Gruppierung unter die Lupe.
Also ich schaue mir eine Gruppe an in jeder Folge und beschreib´ erst mal: was ist das für eine Gruppe, woran glaubt die, wie ist die entstanden. Und versuch dann herauszuarbeiten, was kann da potentiell aus psychologischer oder soziologischer Sicht problematisch sein, die Gruppenstrukturen, die Dynamiken, die da entstehen.
Absolute Objektivität ist unmöglich – das weiß auch Fabian Maysenhölder. Daher trennt er in seinem Podcast klar zwischen der Beschreibung und einer Bewertung im zweiten Teil. Knapp über 50 Gruppierungen und Bewegungen hat er sich so schon angeschaut, darunter bekannte Gemeinschaften wie die Mormonen oder die Zeugen Jehovas, aber auch viele eher unbekannte Gruppen wie die Sonnentempler oder die christlich-essenische Kirche. Gibt es dabei etwas, das die Gruppen verbindet?
Ja, die haben viele Sachen gemeinsam. Und ich würde sagen, man kann schon so ein paar Glaubenssätze definieren, die problematisch sind. Zum Beispiel das Gottesbild, das vermittelt wird. Also wenn ich einen strafenden Gott vermittle, der alles sieht und letztlich auch meine Sünden bestraft und mich in die Hölle schmeißt, wenn ich mal was falsch mache und es aus Versehen nicht bekenne. Und das ist so eine latente Furcht, die da immer mitschwingt, dass ich ja nichts falsch machen darf.
Manche Menschen suchen sich Gruppen, in denen klare Regeln gelten und in denen klar definiert ist, was gut und böse ist. Das gibt Halt, Orientierung, Struktur. Das kann Fabian Maysenhölder durchaus anerkennen. Schwierig wird es für ihn an anderer Stelle.
Das Problem entsteht dann, wenn eben sich die Bedürfnisse von einer Person auch ändern. Und dann ist natürlich die Frage, wie geht die Gruppe jetzt damit um, dass diese Person vielleicht sich dann nicht mehr so gut fühlt und diese Gruppe vielleicht verlassen will? Da entstehen dann oft diese Konflikte und die Probleme, wo sich dann auch in vielen Fällen zeigt, wie problematisch eine Gruppe ist, tatsächlich wie sie damit umgeht.
Gruppen, die Druck auf Menschen ausüben, die ihre Gemeinschaft verlassen möchten: ist das ausschließlich ein Problem von neureligiösen Gruppen? Fabian Maysenhölder meint nein.
Und deswegen finde ich den Begriff Sekte auch noch mal so schwierig, weil ich sagen würde, es gibt auch in der evangelischen und katholischen Kirche Gemeinden, die problematische Strukturen haben. [...] Die gehören zu unserer Kirche dazu und wir müssen gucken, wie sehen diese Strukturen genau aus und was können wir dagegen tun, dass diese Strukturen entstehen und hier stattfinden?
Fürs erste nehme ich mit, dass der Begriff Sekte oft wenig hilfreich ist, weil er die Welt in Gut und Böse unterteilt und die Realität oft komplexer ist. Im zweiten Teil geht es darum, woran man eine problematische religiöse Bewegung erkennt und ob man nicht auch etwas Gutes von ihr lernen kann.
Die evangelische Kirche gibt sich jedes Jahr ein Motto aus der Bibel. 2025 heißt diese Jahreslosung: „Prüfet alles und behaltet das Gute“. Mich interessiert: Wie kann man religiöse Gemeinschaften – die sogenannten Sekten, aber auch die eigene Kirchengemeinde vor Ort prüfen? Woran erkennt man, dass eine Gemeinschaft problematische Züge hat?
Was ich immer schwierig finde, ist, wenn ich das Gefühl hab, ich darf in der Gruppe, in der ich bin, nicht alle Fragen stellen. Das wäre für mich so ein Warnsignal, wenn es irgendwelche Tabus gibt, wo ich mich wirklich nicht traue nachzufragen, weil ich aus irgendeinem Grund Angst vor Konsequenzen habe.
Fabian Maysenhölder macht aber gleichzeitig auch darauf aufmerksam, dass eine negative Einzelerfahrung noch nicht gleich eine ganze Gruppe als negativ kennzeichnet.
Und das macht es alles so schwierig. Weil natürlich gibt es Menschen, die in die Gruppe reinkommen und ganz schlechte Erfahrungen mit der Gruppe machen, aber alle anderen machen keine schlechten Erfahrungen in der Gruppe. Und dann gibt es Gruppen, wo [...] alle Menschen ähnliche Dinge erzählen. Und alle sagen Ich habe mich da nicht wohlgefühlt, weil dieser Druck ausgeübt wurde, weil ich irgendwie ein negatives Lebensgefühl hatte. Und alle erzählen die gleichen Geschichten. […] Dann würde ich sagen, dann ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass es problematisch ist.
Gar nicht so einfach, das mit dem prüfen. Vielleicht ist es auch hilfreich, den Weg andersherum zu gehen und zu fragen: Was zeichnet eine Glaubensgemeinschaft aus, die Menschen guttut?
Also ich glaube schon, dass eine gute Gruppe sich dadurch auszeichnet, dass sie den Menschen, die in dieser Gruppe unterwegs sind, ein positives Lebensgefühl vermittelt, dabei hilft, positiv und gut durchs Leben zu gehen. Und es kann in ganz vielen Facetten sein. Das kann die Gemeinschaft sein, die mir in der Gruppe wichtig ist. Wo ich weiß, da habe ich Anschluss, da habe ich Freunde, da kann ich jederzeit hinzukommen. Das kann sein, dass ich irgendwelche Inputs kriege, die mir gut tun im Leben.
Prüfet alles und behaltet das Gute – heißt das vielleicht auch, dass man sich auch bei Glaubensgemeinschaften, die man für problematisch hält, etwas Gutes abschauen kann?
Also was zum Beispiel ganz oft bei solchen Gruppen ist, ist die Willkommenskultur. Da würde ich sagen, da kann man als Kirche auch davon lernen und sagen: Also, wenn Menschen hierherkommen, in die Kirche, dann sitzen die eine Stunde lang im Gottesdienst und haben danach mit keinem Menschen ein Wort gewechselt, obwohl sie das erste Mal da sind, und keiner hat sie angesprochen. […] Wenn ich in so eine problematische Gruppe gehe, dann kommen da Leute auf mich zu, die begrüßen mich. Die sagen schön, dass du da bist, und laden mich gleich zu irgendwas ein. […] Da kann man schon auch was davon lernen, also wie wir Menschen ansprechen.
Es bleibt also dabei: genau hinschauen. Wer offen prüft, kann oft etwas Gutes entdecken, um dann den eigenen Weg weiterentwickeln, ohne die problematischen Strukturen zu übernehmen.
Secta | Der Podcast über Sekten und neureligiöse Bewegungen
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41348![Dieter Thomas Kuhn](/cache/3568889d_400x400_DTKuhn_copyright_Pfann.jpg)
Zum Jahresende treffe ich den Schlagersänger Dieter Thomas Kuhn – kurz DTK. Bei dem Namen denken die meisten bestimmt an Föhnwelle, Brusthaar-Toupet, Sonnenblumen und Sommer-Open-Air. Mich interessiert heute vor allem sein Projekt „Songs from above“ Also: Lieder von oben oder aus dem Himmel. Wir treffen uns in seiner Heimatstadt Tübingen. An einem für ihn wichtigen Ort, in einer Werkstatt voll mit tollen Motorrädern. Doch die Werkstatt ist nicht nur ein Schrauber-Treff von Freunden, sie ist auch Ideenschmiede.
Als David Bowie gestorben ist, da kam uns hier die Idee in dieser Werkstatt, dass es doch jetzt irgendwie überhandnimmt von unseren eigenen Helden, die wir gut finden, dass die jetzt irgendwie so dahinsterben. Und da haben wir gesagt, das wäre doch mal irgendwie einen Abend wert, dass man auch denen gedenkt, die eben nicht mehr da sind.
Aus der Idee ist dann vor einigen Jahren ein neues Projekt geworden, das zum Jahresende wieder in Tübingen läuft: die „Songs from above“. An diesem Abend spielt die Band ausschließlich Songs von verstorbenen Künstlerinnen und Künstlern.
Das ist ein ganz bunter, schöner und vor allem unterhaltsamer und lustiger Abend. Obwohl es um den Tod im weitesten Sinne geht. Deswegen haben wir gesagt, das müssen wir so gestalten, dass es eigentlich viel zu lachen gibt.
Genau das gelingt, ich hab‘s selbst erlebt und war total begeistert! Weil die Band nicht bei der Trauer hängen bleibt. Die Musiker erzählen Anekdoten aus dem Leben der Künstler, erinnern sich, was sie selbst mit deren Musik verbindet und dann spielen sie mit viel Leidenschaft deren Songs. Das Gedenken an die Verstorbenen wird da zu einer wunderbaren Hommage an das Leben!
Es ist eine Würdigung von unserer Seite aus. Und so, wie wir das merken, ist es auch eine ganz große Würdigung vom Publikum, die da nämlich unglaublich Lust drauf haben.
Die Leute singen mit, ich auch, und für manche Songs gibt’s ein Liedblatt, da steht drauf: „Hoffnung und Gemeinschaft im Lied“. Davon spür ich was. Auch die Konzert-Location trägt ihren Teil bei: In dem ehemaligen Autohaus stehen ein paar ausgemusterte Kirchenbänke.
Wir haben als Hintergrundbild ja die Kapelle von Zwiefalten; die ist da als Transparent. Und deswegen habe ich gesagt, da passen die Bänke natürlich super dazu, dass man da vorne ein bisschen diese Kirchenanmutung hat.
Und zwischen den altehrwürdigen Marmorsäulen der Zwiefaltener Klosterkirche wird dann bei jedem Song das Porträt des verstorbenen Künstlers eingeblendet.
Mit Kirche oder Gottesdienst hat Dieter Thomas Kuhn nicht viel am Hut, aber die Gebäude faszinieren ihn:
Wenn ich in irgendeiner Stadt bin, gucke ich immer in die Kirchen rein; weil mich das umhaut. Wenn du einmal im Petersdom warst, das ist ja Wahnsinn. Ja, und natürlich die Geschichte drumherum.
Mit seiner Band spielt Dieter Thomas Kuhn zum Jahresende Songs verstorbener Künstlerinnen und Künstler. Auch wenn der Abend mit den „Songs from above“, also den Songs aus dem Himmel, ganz und gar nicht traurig ist, das Thema Sterben und die Endlichkeit schwingen trotzdem durch die Konzerthalle. Ich möchte von DTK wissen, ob das für ihn persönlich ein schwieriges, ein schweres Thema ist.
Ich habe da eigentlich überhaupt keine Berührungsangst. Ich hatte früh mit dem Tod Konfrontation. Mein Bruder ist sehr früh gestorben und das hat mir natürlich damals Angst gemacht. Wenn du selber 18 bist, dein Bruder 30, dann ist das nicht zu verstehen. Und mein eigener Verlust beschäftigt mich natürlich auch, weil ich eigentlich sehr gerne auf dieser Welt bin. Und das auch noch gerne ein Weilchen hätte.
Was ihn wirklich belastet, wenn er an den eigenen Tod denkt, ist der Schmerz derer, die zurückbleiben.
Das ist ja eigentlich, glaube ich, das Schlimmste, was einen dabei beschäftigt: Wenn jetzt meine Tochter, wenn ich jetzt nur drüber nachdenke, wenn die jetzt ihren Vater verlieren würde, wäre das, glaube ich, richtig scheiße und das ist ja eigentlich das, was einem Angst macht.
Im Moment müssen er und die Band sich Gott sei Dank damit nicht beschäftigen. Und trotzdem gibt es etwas, das DTK gerade Sorgen macht. Gitarrist Philipp Feldtkeller ist gesundheitlich angeschlagen. Deshalb ist musikalisch erst mal gar nichts geplant für 2025. Für DTK geht es aber nur am Rande um die Tour – Philipp ist einfach so viel mehr als der Gitarrist der Band.
Ich mache mit dem seit 40 Jahren Musik. Wir bewegen uns zusammen jeden Tag. Viele haben immer gesagt: Die zwei sind doch verheiratet, wenn man uns zusammen sieht in der Stadt. Und ja, das ist schon eine ganz enge Verbindung.
Die beiden beginnen jeden Tag gemeinsam mit einem Kaffee, besprechen dann, was heute dran ist. Proben, Planungen, Termine beim Steuerberater – einfach alles. Wie kann das gut zusammenpassen mit einem Familienleben, das die beiden ja auch noch haben?
Des passt da mit rein. Das muss mit reinpassen. Das ist jetzt bestimmt nicht immer einfach, auch für die Frauen an unserer Seite. Aber so haben die uns kennengelernt.
Vielleicht ist das ein Mosaikstein des Erfolgs der Band: viel Freundschaft, viel Verständnis, viel Vertrauen. Und da ist noch was, von dem DTK glaubt, dass es wichtig ist, wenn er für die Menschen Musik macht. Es braucht nicht immer ein politisches Statement, sagt er, es braucht einfach mal nur eine gute Zeit, eine Pause.
Für uns ist es wichtig, da rauszugehen und den Leuten zu zeigen: Man muss mal abschalten. Auch, man muss rauskommen aus dem, was einen beschäftigt.
Den Leuten Freude bereiten und ihnen ganz viel Liebe mitgeben! Das sagt er noch, als das Mikrofon schon aus ist. Eine gute Botschaft für 2025, finde ich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41334Christopher Hoffmann trifft: Stefan Gödde
Stefan Gödde ist Moderator des Wissenschaftsmagazins „Galileo“. Der 49-Jährige unterstützt eine ganz besondere Weihnachtsaktion –und das hat mich neugierig gemacht. Denn auch in der Heiligen Nacht 2024 sind Benediktinermönche der Abtei Dormitio in Jerusalem nach Bethlehem gepilgert. Im Gepäck hatten sie eine Rolle, auf der zehntausende Namen aus aller Welt stehen. Namen, die Menschen online eintragen konnten. Diese Rolle legten sie an der Stelle ab, wo Jesus geboren wurde. Die Aktion heißt: „Ich trage deinen Namen in der Heiligen Nacht nach Bethlehem“*. Und für Stefan Gödde geht es an Weihnachten genau darum:
Es geht nicht um Berge von Geschenken, um den großen Braten, um die Weihnachtsbeleuchtung-es geht darum, dass unser Heiland geboren wurde in Bethlehem- und dass man weiß, dass sein Name oder der Name seiner Liebsten oder seiner Freunde auf dieser großen Rolle genau an den Ort gebracht wird, wo dieses Geburtsereignis verehrt wird und gefeiert wird.
Namen sind in der Bibel immer mehr als nur Buchstaben- sie stehen für die ganze Person, für alles was einen Menschen ausmacht. Auch für Stefan Gödde geht die Aktion daher über ihre symbolische Bedeutung hinaus, wenn er die Namen seiner Liebsten für die Liste einreicht:
Diese Namen dann auf diesen Geburtsstern zu legen, ist was ganz besonderes und die Benediktinermönche, die beten auf dem Weg nach Bethlehem in dieser Heiligen Nacht, machen Stops und beten immer wieder für die Menschen auf dieser Liste und das finde ich persönlich von allen Geschenken, die da unterm Weihnachtsbaum liegen, ist das das wertvollste Geschenk.
Auch für den Wissenschaftsjournalist ist das persönliche Gebet etwas ganz Grundlegendes:
Ich finde der Glaube besteht nicht aus großen Kirchengebäuden, aus Prunk und Protz und diesem ganzen Brimborium-im Grunde genommen ist es eine Gottesbeziehung, eine Beziehung zwischen mir und meinem persönlichen Gott, zu Jesus Christus. Die muss nicht immer - wie auch in einer Beziehung zwischen Menschen - wahnsinnig gut funktionieren und ab einem bestimmten Zeitpunkt in einer Beziehung ist Liebe ja nicht nur jeden Tag himmelhochjauchzend, sondern im Grund genommen irgendwann auch mal ein „Ja“. Das heißt ich muss auch nicht beim Beten jedes Mal die wahnsinnige Gotteserleuchtung haben. Manchmal ist es dann glaub ich einfach ein „Ja“ sagen zu meinem Glauben.
Stefan Gödde ist gläubiger Katholik. Und gerade weil ihm sein Glaube so wichtig ist, findet er, dass seine Kirche unbedingt und lückenlos Ernst machen muss mit der Aufklärung des sexuellen Missbrauchs. Die christliche Botschaft hält der beliebte Moderator nämlich nach wie vor für relevant und aktuell:
Unsere Kultur, unsere Zeitrechnung, so wie wir sozialisiert wurden, so wie wir denken, wie wir fühlen, wie wir unser Rechtssystem begreifen, wie wir unsere Mitmenschlichkeit begreifen-all das gründet zu einem großen Teil im Christentum.
Ich spreche mit dem Galileo-Moderator Stefan Gödde. Er hat einen Reiseführer über das Heilige Land geschrieben.** Damit unterstützt er die sozialen Projekte der Benediktinermönche in Jerusalem, zum Beispiel für Menschen mit Behinderung oder alte Menschen. Und einen zweiten Reiseführer über Rom *** - dieser Erlös geht an Sant´ Egidio, eine Gemeinschaft, die 1968 in Rom von katholischen Schülerinnen und Studenten gegründet wurde und sich bis heute weltweit um Menschen in Not kümmert. Stefan Gödde findet:
Das ist eine totale Weihnachtsbotschaft, dass wir rausgehen sollen an die Ränder, und dort im Armen, im Nächsten, dass wir dort Jesus finden sollen. Und ich glaube Sant´ Egidio macht das in vorbildlicher Weise, gerade auch zu Weihnachten. Die machen Weihnachtsgottesdienste und Weihnachtsessen für Menschen, die niemanden haben oder die keine Freunde haben oder kein Geld haben oder auch vielleicht die Hoffnung verloren haben in dieser Welt – und die kümmern sich wirklich so toll um Menschen am Rande der Gesellschaft.
Wo nach der Weihnachtsgeschichte auch Jesus zur Welt kam, in einem ärmlichen Stall, weil in der Herberge kein Platz war. Menschen auf der Flucht, Obdachlose oder Einsame – Sant´ Egidio schafft Platz für diese Menschen und ermöglicht Begegnung:
Und das finde ich ist für mich persönlich um ehrlich zu sein auch eine der größten Inspirationen, weil du da siehst, dass Menschen tatsächlich das Evangelium ganz praktisch jeden Tag leben, dass uns das allen wirklich ein Ansporn sein sollte.
Stefan Gödde selbst hat nach seinem Abitur als Zivi in einem Alten- und Pflegeheim viel darüber nachgedacht, was Menschen wirklich glücklich macht. Weihnachten ist für ihn das Fest der Geburt des Erlösers – brauchen Menschen denn heute noch einen Erlöser, will ich von Stefan wissen:
Ich glaube unsere Gesellschaft und unsere moderne Welt krankt schon sehr daran, dass wir alle denken, dass wir sozusagen unsere eigenen Götter sind. Dass ich alles selbst machen kann. Und daran glaube ich nicht! Ich glaube, dass uns sehr vieles geschenkt ist und wenn wir mal ganz tief in uns reinhorchen würden, dann ist glaub ich in jedem Menschen eine Sehnsucht angelegt, eine Sehnsucht nach dem Sinn des Lebens, den finden zu wollen.
Und der Sinn des Lebens hat für Stefan Gödde mit Gott zu tun:
Ich glaube, dass ein wirklicher Friede und ein wirkliches Glück halt nicht durch die Äußerlichkeiten unserer Welt, nicht durch Geld, durch Ansehen, sondern ich glaube dass dieses Glück in uns drin nicht von uns kommt, sondern in Bezug ist zu einem Schöpfergeist, wie auch immer der aussieht.
Ein Schöpfergeist, der ausnahmslos alle Menschen geschaffen hat, da ist er sicher. Und Stefan Gödde hat schon Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen kennengelernt: Er besuchte als einer von wenigen Journalisten Nordkorea, war in den USA und China, Tschernobyl und Fukushima und immer wieder im multireligiösen Jerusalem. Trotz der aktuellen Situation im Heiligen Land, bleibt er den Gemeinsamkeiten der Menschen auf der Spur und glaubt wie ich, dass das wichtiger denn je und ganz im Sinne seines Schöpfers ist.
*weitere Infos hier: http://www.dormitio.net/abtei/weihnachtsaktion/index.html
**Stefan Gödde: „Nice to meet you, Jerusalem“, GRÄFE UND UNZER Verlag, Polyglott, München 2019.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41297![Valentin Beck](/cache/fe06b446_400x400_Valentin_Beck_copyright_Privatfoto.jpg)
Christopher Hoffmann trifft Valentin Beck
Valentin Beck ist Seelsorger für obdachlose Menschen und Theologe in Luzern. Oder wie die Schweizer sagen: Gassenseelsorger.* Ich habe großen Respekt vor seiner Aufgabe. Wie kommt er mit den Menschen, die auf der Straße leben, ins Gespräch? Ein wichtiger Ort ist die Gassenküche, wo es jeden Tag ein warmes Essen gibt…
Das ist der Ort, der „place to be“, kann man sagen, dort trifft man die Menschen. Ansprechbar sein ist das Wichtigste. Dort versuche ich natürlich immer auch die mir unbekannten Gesichter zu erreichen, stell mich vor, Alltagsgespräche, und manchmal wenn es tiefer wird, geht man ein bisschen zur Seite. Spaziergang ist eine sehr gute Variante, um in ein Gespräch zu kommen oder eben in der Stadt.
Oft sind die Menschen aber unter einem großen Stress, weil viele von ihnen drogensüchtig sind. Valentin Beck, der die Menschen auch im Krankenhaus oder hinter Gittern besucht, findet dort Momente, wo Menschen offener sind für Sinnfragen:
Ein wichtiges Element sind auch die Besuche: Spital, Psychiatrie und Gefängnis. Und das sind Gelegenheiten wo man wirklich besser auch mit den Leuten sprechen kann, weil sie dort rausgenommen sind aus dem Beschaffungsstressalltag.
Dabei macht sich der 40-Jährige keine Illusionen: meistens ist es so, wenn Klienten aus dem Gefängnis rauskommen dann ist die erste Station der Bahnhofplatz, wo auch wieder Drogen konsumiert werden. Dessen muss man sich bewusst sein, sagt Valentin Beck. Und trotzdem: ich merke dem Seelsorger an, dass er große Achtung vor jeder einzelnen Lebensgeschichte hat:
Wenn man die einzelnen Menschen kennt, ist das nicht mehr eine Drogenszene, sondern da siehst du wirklich die Menschen.
Was beschäftigt diese Menschen denn in der Weihnachtszeit besonders?
Womit sie konfrontiert werden, sind glaub ich schon oft die Kindheitserinnerungen, die Emotionen auslösen, je nachdem wie ihre Familienverbindung noch ist. In den meisten Fällen ist sie belastet oder ganz gebrochen, kommt dann dieser Schmerz vielleicht an eine gute Erinnerung zurück oder an eine schlechte, weil es damals schon zum Beispiel mit Vernachlässigung oder Gewalt verbunden war. Plus die Frage: Wohin gehöre ich jetzt an diesem besonderen Abend? Wo ist die „Homebase“? Wo ist der letzte Pflock?
Valentin Beck versucht dann auch Kontakt zu Familienangehörigen herzustellen. Manchmal gelingt das, und sie feiern gemeinsam Weihnachten. Wenn nicht, bietet er mit seinem Team selbst am Heiligen Abend eine Weihnachtsfeier an – auch gestern wieder. Wie kann ich mir das vorstellen?
Es gibt ein sehr, sehr feines Essen – es wird serviert, schön getischt, Kerzenlicht, Musik. Es gibt dann einen Impuls, diesen Impuls bereite ich jeweils vor und versuche dann Weihnachtsbotschaft im weiteren Sinn mit diesem Ort zu verbinden: Dass die Gassenküche vielleicht eine Art Stall sein kann, aber es auch immaterielle Ställe geben kann, wo man irgendwie sich zu Hause fühlen kann, das können soziale Kreise sein, oder etwas, was einem auch sonst wichtig ist im Leben, Halt gibt, wo man willkommen ist.
Und die Frauen und Männer auf der Straße, die stimmen dann auch in Weihnachtslieder ein?
Jaja, das muss unbedingt sein. Das wird auch fast ein bisschen erwartet. Zuerst ist das vielleicht ein bisschen sarkastisch mitgesungen, aber dann plötzlich spürt man, dass das schon bei einigen auch was auslöst, und sie gerne auch mitsingen…
Der Seelsorger erlebt: Viele sind offen für Glaubensinhalte, sind auf der Suche. Dankbar für einen Segen. Valentin Beck geht damit aber immer behutsam um, will niemandem etwas überstülpen.
Ich treffe Valentin Beck in der Schweiz, wo er als Gassenseelsorger in Luzern arbeitet. Der humorvolle Theologe hat sich ein herausforderndes Feld ausgesucht: Seelsorge mit Menschen, die auf der Straße leben. Was braucht es dafür?
Das Interesse, das echte Interesse an den Menschen. Freude haben an einem guten Moment, der dann vielleicht morgen wieder zerstört ist, aber der gute Moment ist etwas wert. Das Göttliche, das wirklich überall drinsteckt. Und ich find das spürt man auch absolut.
Das Heilige in den kleinen Momenten des Alltags sehen - mich fasziniert das und ich will wissen: Was gibt ihm dafür die Motivation? Valentin Beck schöpft für sich viel Kraft aus der Weihnachtszusage, dass Gott selbst Mensch geworden ist und zwar unter arm-seligen Verhältnissen…
Dass dieses Licht eigentlich überall gleich hell scheint in die letzte Ecke hinein, das würde ich eindeutig sagen, ja.
In jede Ecke – auch in die Dunkelste - scheint Gottes Licht. Wer ist dieser Gott für Valentin Beck?
Also ein Lieblingsbegriff von mir -zum Beispiel in Predigten- ist: der innere Zusammenhalt der Welt . Immer wo diese Verbindung oder Begegnung spürbar ist, da ist für mich das Göttliche.
Wie können denn andere Menschen diese Begegnungen gut gestalten? Welche Tipps hat der professionelle Gassenseelsorger an Passanten, um das Leben für Menschen auf der Straße etwas heller zu machen?
Da sind unsere Besucherinnen und Besucher extrem sensibel – man sieht sofort einem Blick an: Wie schaut mich ein Mensch an: abwertend, voller Angst oder nur Mitleid oder ich sehe mich primär als Mensch. Und da würde ich schon empfehlen mit den Leuten auch ins Gespräch zu kommen um eben zu spüren: Die sind so individuell wie andere Menschen auch.
Außerdem brauchen die Menschen eine Lobby, damit auch Geld in die Hand genommen wird, etwa für Unterkünfte. Valentin Beck freut sich, wenn die Menschen auf der Straße sich selbst auch als wirksam erfahren können, zum Beispiel in einem Chorprojekt, in dem sie nun in der Weihnachtszeit mitsingen:
Das ist auch die Motivation des Chörlis: Die sagen: Wir wollen erscheinen, dass wir auch Freude machen können, nicht nur immer bedürftig sind.
*weitere Infos beim Verein kirchliche Gassenarbeit unter https://www.gassenarbeit.ch/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41260![](/cache/c3c3f23a_c_200x200_annweiler_peter.jpg)
![Nina Roller](/cache/427a8ebf_400x400_roller_nina.jpg)
Peter Annweiler trifft Nina Roller vom Mannheimer „Studio Herrlichkeit“
Teil 1: Überraschung in Gold
Die Mannheimer Pfarrerin mag es gerne schön. Und sie brennt für überraschende Begegnungen. Beide Vorlieben kann sie jetzt mitten in einer Mall in den Mannheimer Quadraten entfalten:
Wir merken, wenn Menschen vorbeikommen an unserem Pop Up, dann freuen die sich über die Aufmachung, über die Schönheit, über das viele Gold. Und dann gleitet der Blick über das Schaufenster. Und dann steht da Evangelische Kirche Mannheim. Und da sind Menschen schon irritiert. Was macht jetzt die Kirche in einem Laden?
Den Weihnachtsladen hat die 38-jährige zusammen mit der Grafikerin und Gestalterin Valentina Ingmanns entworfen – als Teil des Innovationsprojekts „Studio Herrlichkeit“. Kleine Geschenke kann man zum Beispiel da kaufen: Tassen, Mützen, Socken – mit einem aufgedruckten oder eingenähten Segenswort. Bei meinem Besuch krieg‘ ich zuerst eine Tasse Tee aus einem goldenen Samowar. Und dann seh‘ ich es immer wieder leuchten: Goldene Kerzen am Adventskranz, goldene Tischdecken, goldene Wandbehänge.
Stilprägend ist, dass immer wieder die Farbe Gold auftaucht. Wenn man in die Kunst schaut, wenn man in Kirchen schaut, dann ist die Farbe Gold die Farbe, die für das Göttliche steht. Und Weihnachten bedeutet für uns: Gott kommt in die Welt und dafür steht diese Farbe Gold auch.
Angenehm und wohltuend empfängt mich dieser temporäre kirchliche Ort in der Konsumwelt. Pfiffige Ideen, zugewandte Menschen und viel Herzenswärme umgeben mich. Und doch: In mir ist noch eine skeptische Stimme, die fragt: “Vergoldetes Design in allen Ehren – aber gibt es nicht wichtigeres für die Kirche: Etwa ihre Kraft gegen die Armut einzusetzen?“
Ich glaube, wirklich schön sind Dinge dann, wenn sie auch nicht die Augen verschließen vor dem, was schwierig ist und was wehtut. Und ich glaube, so was Schönes kann auch eine Form der Rebellion sein gegen all das, was schmerzt, gegen alles, was uns besorgt, gegen all das, was uns stresst.
Schönheit als Rebellion gegen das, was schlimm und schrecklich ist. - Ja, so überzeugt mich der Laden und mit ihm Nina Roller: Sie bringt Form und Inhalt, Schönheit und Tiefe zusammen. Und dadurch ist der Laden ein Kraftort in einer taumelnden Welt. Wobei diese Kraft ja ganz unspektakulär aufkommt: Beim gemeinsamen Basteln oder beim Singen von Weihnachtsliedern. In der Dynamik von Begegnung und Gespräch.
Fast wie bei den Begegnungen an der Krippe, wo etwa Hirten und das junge Paar mit dem Kind aufeinandertreffen. Auf solche Momente wartet Nina Roller.
Ich liebe die Überraschung. Ich liebe, dass ich selbst überrascht werde in der Begegnung mit Menschen. Von ihren Gedanken, von ihren Fragen, von ihrer Offenheit, von dem, was entsteht, wenn man sich wirklich füreinander öffnet.
Teil 2: Ganzjährig glänzend
Ihr „Christmas Pop Up“ ist Teil von „Studio Herrlichkeit“ – und mit dem steht Nina Roller für innovative Formate in der Kirche. Zusammen mit ihrer Kollegin, der Grafikerin und Gestalterin Valentina Ingmanns, hat sie dafür ein frisches Erscheinungsbild entwickelt.
Irritationen stiftet für manche der Stil, also der doch sehr popkulturaffine, moderne Stil, der auch mit einem Augenzwinkern daherkommt.
Und der zeigt sich auch bei dem unkonventionellen Namen „Studio“. Nina Roller hat sich gut überlegt, was sie damit verbindet.
Zum einen eine Versuchsbühne, wenn man innovativ Dinge gestalten will. Dann verbindet sich für mich mit dem Studio zum anderen das Fitnessstudio. Das heißt, ein Studio ist ein Ort, an dem ich zu Kräften komme, im besten Falle. Und dann das Atelier: Das Kunst-Studio. Kreative Kirche sein ist uns wichtig. Und dann ist das Studio ja auch die lichtdurchflutete Wohnung.
Auch für den Namen „Herr“lichkeit hat sie gute Gründe gefunden, gerade wenn zwei Frauen dieses Studio leiten.
Die Herrlichkeit ist im Alten Testament übrigens eine weibliche Facette Gottes, ganz anders als der Name es im deutschen Sprachgebrauch nahe legt und es passt auch gut zu Weihnachten: Jesus kommt in die Welt, Gott kommt in die Welt – lässt sich gut in Verbindung bringen mit der Einwohnung Gottes in die Welt.
Wichtig ist Nina Roller, das Kreative und Innovative mit theologischem Tiefgang zu verbinden. Sie weiß, dass Segen nicht „konservierbar“ ist – und dass heilige Momente nicht „produzierbar“ sind. In dieser Haltung bietet sie „Glanz-Momente“ an: In einem Segenszelt auf dem Maimarkt, mit besonderen Beats zum Tanz im Kirchenraum, oder jetzt in einem Weihnachtsladen.
Wenn ich sage: Etwas ist herrlich, dann sind das Momente, in denen ich spüre: Da ist für einen Moment zumindest eine Erfüllung da. Und solche Momente wollen wir generieren und verschenken. Und das ist dann so eine Art Holy Glow, also ein heiliger Glanz, der sich ins Leben legt.
Im Gespräch mit Nina Roller spüre ich: Die Frau ist genau richtig bei diesem Projekt: Sie macht es Menschen leicht, Kirche sympathisch zu finden. Und bei allem Glanz und Glitter bleibt sie auch dem Schweren verbunden.
Ich bin natürlich immer wieder herausgefordert. Dadurch, dass die Welt überhaupt nicht nur herrlich ist und das auch in meinem pastoralen Handeln, also in dem, was ich predige und auch in dem, wie ich Seelsorge mache, nicht wegzuleugnen. Auch im Sinne dessen, was mein Auftrag ist: die Hoffnung und die Freude groß zu machen. Aber eben nicht blind für das, was schmerzt.
Hoffnung und Freude stärken – und gleichzeitig das Schmerzhafte sehen. Das ist die starke Basis von Kirche, längst nicht nur beim „Studio Herrlichkeit“ und längst nicht nur zur Weihnachtszeit.
Mehr Infos zu Studio Herrlichkeit, dem Innovationsprojekt der Ev. Kirche Mannheim und seinem Christmas Pop Up (bis 04.01.25)
https://studioherrlichkeit.de/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41258![Abt Nikodemus Schnabel](/cache/99f2440c_400x400_Abt_Nikodemus_Schnabel_copyright_Dormitio_Abtei_Jerusalem.jpg)
...und mit Abt Nikodemus Schnabel. Er ist Mönch, Benediktiner in der Dormitio Abtei in Jerusalem und da direkt auf dem Berg Zion und ein zweites Kloster gehört dazu, in Tabgha am See Gennesaret.
Nikodemus und seine Mitbrüder leben in einem Land, das von Konflikten und Kriegen gebeutelt ist. Ich will wissen, wie er den Advent erlebt und was für ihn Frieden bedeutet. Ich erreiche Abt Nikodemus im Kloster in Jerusalem und ich will als erstes wissen, wie es ihm geht. Er erzählt, dass es ihm und seinen Brüdern persönlich und geistlich gut gehe...
Auf der anderen Seite natürlich, wir sind umgeben von diesem Ozean von Leid. Es ist egal, ob wir über jüdische Menschen reden, muslimische, christliche, atheistische, Israelis, Palästinenser, die vielen Ausländer, die es hier im Land gibt.
Das sind die Mitglieder der deutschsprachigen Auslandsgemeinde, aber auch die Migranten und Asylsuchenden aus der ganzen Welt, um die Nikodemus Schnabel sich kümmert. Leiden, das tun hier alle.
Alle Menschen, ich kenne niemanden, der nicht leidet, der nicht unter der Situation ja entweder voller Trauer ist, voller Verletzung, Verwundung, Traumatisierung, Ungewissheit, Ängsten. Also da kommt sehr, sehr vieles hoch. In diesem Ozean von Leid versuchen wir Hoffnungsinseln zu sein. Aber wir erleben einfach, es kostet uns Energie.
Hoffnungsinseln? Das will ich genauer wissen.
Hoffnungsinseln zu sein, ist etwas, was gar nicht schwer ist. Es bedeutet erst mal, aushalten, nicht weggehen.
Warum bleiben die Brüder, obwohl es gefährlich ist?
Wir Benediktiner versprechen klassisch Stabilitas: Beständigkeit.
Diese Beständigkeit, das Ausharren an einem Ort, für uns als Benediktiner ist ne ganz, ganz wichtige Berufung.
Wir bleiben hier, nicht nur in schönen Zeiten.
Wie erlebt Abt Nikodemus den Advent? Gerade in einer Zeit, die so schwierig, so komplex ist.
Also der Advent ist immer eine Zeit der Hoffnung. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, nie, es gab nie einen Tag, wo ich sage, ich resigniere.
Die Hoffnung hat bei mir durchaus einen ganz tiefen Grund.
Einen Grund, der interessanterweise auch mit den Orten zu tun hat, auf dem die beiden Klöster stehen. Weil Jesus sich nach seiner Auferstehung genau da gezeigt hat. Und das ist Hoffnung pur.
Also die Bibel sagt der Auferstandene, erscheint im Abendmahlsaal erscheint auf dem Zion, und der Auferstandene erscheint am Seeufer, also in Tabgha.
Das heißt, mir sind tatsächlich zwei der wenigen österlichen Auferstehungsorte anvertraut und dann muss ich das auch ernst nehmen. Und für mich ist halt Ostern der Ernstfall unseres Glaubens und das Zentrum unseres Glaubens.
Das ist die Oster-Hoffnung, dass am Ende nicht Hassen und Tod, sondern Miteinander und Leben das letzte Wort haben.
Und der Advent ist noch mal so eine Zeit, wo die Hoffnung neuen Auftrieb bekommt.
Die Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem ist schon immer ein Ort, wo Menschen Zuflucht suchen und finden. Die Mönche haben die Tür offen, die Herzen und die Ohren auch. Dazu gehört auch eine Tasse Kaffee und ein leckeres Stück Kuchen - wie gut, dass einer der Brüder gelernter Konditor ist.
Immer wieder ist Abt Nikodemus mit schwierigen Situationen konfrontiert, nicht nur im Krieg. Er beobachtet, dass das in Frage gestellt wird, was alle Menschen verbindet.
Das Menschenbild also Genesis, 1, 26-27 oder für Juden bereshit, das allererste Buch der Bibel, wo im 1. Kapitel halt steht, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Muslime kennen übrigens eine ähnliche Vorstellung. Im Koran, Sure 2 Vers 30 steht drin, dass jeder Mensch Stellvertreter Gottes ist. Das heißt, die abrahamitischen Religionen sind sich absolut einig über die nicht zu diskutierende unverlierbare Würde eines jeden Menschen. Und die kommt ja gerade voll unter die Räder. Und wir erleben ja in der Kriegspropaganda von beiden Seiten, dass dem anderen das Menschsein abgesprochen wird, dass man sagt, na ja, das sind Tiere in Menschengestalt oder Ratten, Hunde oder Monster.
Eigentlich ist das eine Erschütterung der gesamten Menschheitsfamilie.
An dem Punkt müssen alle Religionen zusammenstehen und sich dagegenstemmen, dass die Menschenwürde in Frage gestellt wird.
Was bedeutet Frieden für Sie?
Frieden bedeutet für mich eigentlich diese ja Gottsuche und die Menschensuche. Das ist was sehr Aktives. Das heißt auf der Suche sein, im Ringen sein, ja wie kann die Menschheit wachsen, wachsen in der Liebe, im Glauben, in der Hoffnung, in der Kreativität? Das ist für mich Frieden.
Weihnachten steht vor der Tür. DAS christliche Friedensfest. Für Abt Nikodemus und seine Brüder sind das auch besondere Tage.
Danach geht die Gemeinschaft von der Dormitio 10 km zu Fuß nach Bethlehem. Sie pilgern in die Geburtskirche, beten dort und legen dann am Geburtsstern eine Riesenrolle ab. Darauf stehen Namen von Menschen aus aller Welt, die man online dort eintragen kann und für die dann am Heiligen Abend gebetet wird. Ich stand da auch schon drauf und das war was ganz Besonderes für mich. Das kann man auch jetzt noch machen auf dormitio.net/weihnachtsaktion .
Zum Schluss frage ich Abt Nikodemus Schnabel, was für ihn Weihnachten bedeutet - gerade in diesen Zeiten.
Ich glaube, dass an Weihnachten Gott Mensch wurde, einer von uns. Und eben nicht in einem Palast, nicht privilegiert, sondern er wurde Mensch mit all dem, was Mensch sein auch bedeutet, an Leid, Schmerz, Trauer, Verlust, Angst, Sorge.
Und für mich ist die große Botschaft von Weihnachten in all dem, was wir als Menschen tagtäglich erleben, das was uns anflutet in unserem Menschsein, dass das Gott vertraut ist, dass Gott darum weiß, und dass er das alles heilen kann.
![Wolf-Dieter Steinmann](/cache/243066d5_400x400_steinmann_wd.jpg)
Seit drei Jahren genießt Wolf-Dieter Steinmann, der langjährige Rundfunkpfarrer seinen Ruhestand. Jetzt in der Adventszeit könnte die Entspannung sich besonders bemerkbar machen. Aber vor ein paar Wochen ist seine Mutter gestorben. In einem, wie man so sagt, gesegneten Alter. Wie sehr sie ihm fehlt, hat ihn selbst überrascht.
Dieses diesjährige Weihnachten ist mein siebzigstes und das erste ohne meine Mutter. Je älter ich werde, umso mehr spüre ich diese Wurzeln. Die sind nicht so, dass sie mir quasi über 50 Jahre, nachdem ich weg war, meine Lebenskräfte zugespielt hätten. Das nicht, aber ich habe mich in diesem Haus immer sicher gefühlt.
Dieses Elternhaus steht im kurpfälzischen Walldorf. Mitten im Ort auf einem ehemaligen Bauernhof. Der war ein klassischer Rund-um-die-Uhr-Familienbetrieb: Kühe melken, Hühner füttern, Spargel stechen, Tabak aufhängen. Es gab immer was zu schaffen. Auch die drei Kinder mussten selbstverständlich mit anpacken. Und die Mutter?
Sie hatte ihren Selbstversorgergarten, der eine sechsköpfige Familie eine Zeitlang wirklich nahezu autark ernährt hat. Also, es ist nicht ein „Gärtle“ gewesen, das war ein richtiges Teil, und wenn die anderen Mittagspause gemacht haben, war sie im Garten.
Das ganze Leben nichts als Mühe und Arbeit. So steht es schon in der Bibel. Aber es blitzen auch andere Erinnerungsmomente auf. Zum Beispiel die jährlichen Weihnachtsfeste. Plötzlich ein Glanz in der Hütte. Das Christkind, in ein altes Brautkleid gehüllt. Und als der Schwindel aufgeflogen ist, bleibt die Ahnung von göttlichen Geheimnissen. Und die vielen, vielen Weihnachtslieder.
Also ich kann mir Weihnachten nicht vorstellen, ohne dass wirklich heftig gesungen wird. Da bist du endlich nicht mehr dieser Schaffknecht und diese Schaffmagd, sondern da fängt du an … im Singen fängst du an zu fliegen.
Wurzeln und Flügel. Was Eltern ihren Kindern im besten Fall mitgeben sollen, hat Wolf-Dieter tatsächlich erlebt: Gleich nach dem Abitur hat er erst einmal die Flucht ergriffen, raus aus der Welt, in der man nur im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen konnte. Vom Acker gemacht hat er sich, sagt sein Bruder. Aber er ist auch immer wieder zurückgekommen. Jedes Jahr an Weihnachten. In diesem Fest entdeckt er sogar den Kern der eigenen Frömmigkeit. Als Pfarrer hat er zwar gelernt, dass Ostern das Gründungsdatum des Christentums ist, aber …
… für mich ist es viel lebendiger, an Weihnachten in dieses Kind in der Krippe verliebt zu sein und darin Gott zu sehen und in allem, was neu wird, klein, winzig, verletzlich neu wird, die große Kraft Gott am Wirken zu sehen. Und das auch mit Licht und auch mit einem bisschen Kitsch zu verbinden, das gehört auch dazu.
Licht und Kitsch, jede Menge Weihnachtslieder und verliebt in ein Kind. Als Rundfunkpfarrer hat Wolf-Dieter Steinmann jahrzehntelang vielen Menschen Trost zugesprochen. Nun ist mit 98 Jahren seine Mutter gestorben und er ist überrascht, wie sehr ihn das beutelt. Andererseits:
Das ist die Frau, die sich der Mühe unterzogen hat, mir neun Monate lang ins Leben zu helfen. Ohne sie wäre ich nicht da. Ohne sie hätte ich keine Lebenschance gehabt. Der Anteil der Väter ist marginal.
Dabei war sein Vater zu seinen Lebzeiten für Wolf-Dieter die stärkere Bezugsperson, mit dem ihn sichtbar mehr verbunden hat als mit der Mutter. Aber er ist davon überzeugt, dass Familienbande auch unterschwellig wirken:
Ein Mensch ist keine Insel, aber er ist auch sehr für sich. Das habe ich von meiner Mutter auch gelernt. Vielleicht sind wir so etwas wie eine Inselkette, und dazwischen gibt es eine kontinuierliche Fährverbindung, und man muss nicht immer diese Fähre benutzen. Manchmal steht man auch einfach nur am Hafen und guckt der Fähre zu. Fährt sie noch? Ja, sie fährt noch.
Im letzten Lebensjahr seiner Mutter hat Wolf-Dieter die Fähre wieder häufiger benutzt. Zu Besuchen in Walldorf, wo seine Schwester die tägliche und nächtliche Pflege der Mutter übernommen hat. Er spielt ihr auf dem Klavier vor, schaut mit ihr Sport. Und stellt fest, dass es diese ganz alltäglichen Momente sind, die ihm kostbar werden:
Da habe ich zum ersten Mal meiner Mutter beim Mittagessen geholfen und ihr einen Löffel gereicht. Das war sehr zittrig am Anfang von meiner Seite aus, aber sie hat es völlig selbstverständlich, weil sie das erst mal nicht selber konnte, entgegengenommen. Das war eine unglaublich intensive Erfahrung.
Und nach ihrem Tod? Was glaubt er: Wo ist die verstorbene Mutter jetzt? Trösten die biblischen Bilder? Helfen sie über den Verlust hinweg? Wolf-Dieter Steinmann formuliert vorsichtig:
Ich sehe es nicht wirklich als Bild. Ich würd‘s ihr wünschen, dass das, was der Paul Gerhardt da in „Geh aus, mein Herz“ gedichtet hat, dass es einen Garten Christi gibt, in dem man dann hinterher auch spazieren gehen. Oder ich glaube, sie wird schon gerne schaffen da auch.
Die Geschwister haben beschlossen, Weihnachten in diesem Jahr noch einmal dort zu feiern. Ohne die Mutter, aber mit all den vertrauten Ritualen. Mit vielen Liedern. Und auch mit Wolf-Dieters Enkelkind, das in diesen Tagen geboren wird.
… dann glaube ich – und das ist bei mir so- dass das Leben immer wieder neu geboren wird, und dass Gott die Kraft ist, die immer wieder Neues schafft.
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