Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

     

SWR2 / SWR Kultur

    

SWR3

  

SWR4

      

Autor*in

 

Archiv

09NOV2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Michael Kienzle copyright: Privatfoto

Die Geißstraße 7 ist ein altes Haus in Stuttgart, gleich beim Hans-im-Glück – Brunnen, mitten im charmanten Ausgehviertel. Im Erdgeschoß ein Café, darüber ein Veranstaltungs-Saal, Büros einer Stiftung und Sozial-Wohnungen. Hier treffe ich Michael Kienzle, den Vorstand der Stiftung Geißstraße. Er zeigt mir das Haus.

(Schlüssel-Geklimper… Michael Kienzle:) „Da oben geht’s…“

Den Stiftungssaal kann man für Hochzeiten oder Kulturveranstaltungen mieten. An diesem Abend liest eine Autorin aus ihrem Buch.

Dass es diesen Ort überhaupt gibt, ist Kienzles Verdienst.

Früher war hier eine Kneipe, darüber lebten etwa 50 Menschen unterschiedlicher Herkunft, auf engstem Raum. 1994 legt ein Brandstifter Feuer im Haus; sieben Menschen sterben. Zuvor hat es in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen rassistisch motivierte Brandanschläge auf Wohnheime gegeben. Der Verdacht auf ein rassistisches Motiv bei der Geißstraße hat sich nicht bestätigt.

Doch für Kienzle und seine Mitstreiter ist klar: Eine Tat aus Hass…

In Stuttgart darf das nicht passieren. Wir haben Geld gesammelt, das Haus wieder aufzubauen. Und wir haben gesagt, wir nehmen hier Menschen aus aller Welt, die hier zwei Jahre wohnen können und denen wir dann helfen, ins Arbeitsleben zu kommen. Und das machen wir seit 31 Jahren.“

Kienzle gründet die Stiftung Geißstraße mit dem Ziel, einen städtischen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen begegnen und verständigen können. Ihm ist Reden und Austausch sehr wichtig. Denn Kienzle war Literaturwissenschaftler, Stuttgarter Gemeinderat, Redenschreiber. Er hat den Aufbruch der Nachkriegszeit miterlebt:

„Ich dachte, ich bin ein Glückspilz. Ich bin geboren `45 und dann ging es doch immer bergauf. Also die Bundesrepublik hat sich konstituiert. Die Amerikaner haben uns die Demokratie nähergebracht. Wir haben erleben können, dass der Kalte Krieg überwunden worden ist, dass die Grenzen sich geöffnet haben, dass Europa sich zusammengeschlossen hat...“      

Kienzle hat erlebt, wie nach dem Krieg Vertrauen neu entstehen konnte und spürt zugleich, wie fragil das heute ist.

„Dieser ganze Optimismus „Es wird alles besser“, es hat sich doch langsam ins Gegenteil verkehrt, in eine große Ratlosigkeit, dass man jetzt für diese Rechte eigentlich kämpfen muss und dass die Demokratie, dass die Freiheit nicht verloren geht. Und da muss man wieder neu anfangen zu denken und auch was zu tun.“  

Deshalb gründet er die Stiftung. Ich habe den Eindruck: Für Kienzle ist das keine Wohltätigkeit, sondern gelebte Verantwortung. Vielleicht weil er erlebt hat, wohin Hass und Wegsehen führen.

In einer Ecke des Stiftungssaals hängt ein Prospekthalter, mit großformatigen Blättern:

(Sabine Winkler:) „Sind das Zeitschriften oder Flugblätter, oder?“ (Michael Kienzle:) „Das sind, ja, so Denkblätter nennen wir das immer. Sie können gerne was mitnehmen…“

Auf einem geht es um Joseph Süß Oppenheimer, den jüdischen Bankier aus Stuttgart, der als ‚Jud Süß‘ traurige Berühmtheit erlangt hat. Oppenheimer wurde im 18. Jahrhundert in Folge judenfeindlicher Anfeindungen öffentlich hingerichtet.

Erinnerungskultur ist Kienzle wichtig, damit Fremdenhass keine Chance hat. Entscheidend ist für ihn eine gute Zivilgesellschaft.

Kienzle war viele Jahre für die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat und schrieb Reden für Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Politik und Sprache, das hat ihn geprägt. Vielleicht hat er gerade dort gemerkt, wie schnell man über Menschen redet, statt mit ihnen.

Während wir reden, steht er auf, holt einen Zettel und reicht ihn mir:

Mein Lieblingszitat mit dem ich dauernd durch die Gegend gehe.“ – (Sabine Winkler:) „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.“

Der Philosoph Hans-Georg Gadamer, bekannt für die Kunst des Verstehens, fasst für ihn in diesem Satz alles zusammen, worüber wir reden. Gespräch ist kein Mittel, um Recht zu behalten. Es ist eine Art zu leben. Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.

Man muss mit allen Menschen im Dialog bleiben. […] Ich bin so mehr der diplomatische Typ, der die krassen Gegensätze nicht vertuscht, aber mal beiseite lässt. Also ich halte es auch aus, dass du bist eigentlich ein Idiot, aber ich sag es ihm nicht, sondern ich versuche zu gucken, ob es einen Zugang zu ihm gibt, wo er kein Idiot ist. Also, weil niemand ist 100 % Idiot.           

Empathie heißt für Kienzle nicht, alles gutzuheißen, sondern den Menschen zu sehen, bevor man ihn verurteilt. Reden, auch wenn es anstrengend ist.

Am Ende reden wir über Heimat:

 „Heimat ist aus vielen Komponenten zusammengesetzt: Die Sprache ist ne Heimat, die Menschen und es gibt die Kindsheimat und es gibt die Heimat in der Elternschaft. Heimat ist was, was sich auch verändert. Gott sei Dank. Die muss offen bleiben, nach vorn. Dass Fremde dazukommen können, die plötzlich auch zur Heimat gehören. (…)Die Heimat ist im Kopf – und der Kopf ist rund.

Damit das Denken die Richtung wechseln kann, beim Reden, im Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43271
weiterlesen...
02NOV2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Thomas Weiß Bildrechte: Joachim Faber, Karlsruhe

Der evangelische Pfarrer Thomas Weiß hat schon immer leidenschaftlich gerne geschrieben. Nicht nur Sonntagspredigten, sondern auch Gedichte, Erzählungen, Kurzgeschichten und Essays, Seelenproviant. In seiner Wohnung mit einer fantastischen Aussicht auf das Baden-Badener Hügelland lebt er von Büchern umgeben. Und über eins seiner eigenen habe ich mit ihm gesprochen. Es trägt den Titel: „Mein Herz brennt“:

Das ist ein Buch für Trauernde. Das heißt, es gibt auch Trauersituationen, die erst mal gar nichts mit Tod zu tun haben, sondern einfach Verlust. Das kann die geschiedene Ehe, die beendete Freundschaft sein oder bei mir auch ein Stück eine Erkrankung, die mich jetzt gehindert hat, meinen Beruf weiter auszuüben.

Von einem evangelischen Pfarrer, der ein Buch für Trauernde geschrieben hat, erwarte ich fast automatisch tröstliche Worte. Mitgefühl und Hoffnungsvolles. So ähnlich, wie ich es von Beerdigungen auf dem Friedhof kenne. Aber es sind dann zwei überraschend andere Zugänge, die Thomas Weiß auf seinem Buchcover anführt. Er nennt es ein Wut- und Mut-Buch.

Wut und Mut passt hervorragend zusammen, und es ist tatsächlich so, um wütend zu sein, brauche ich sehr viel Mut, weil ich da ja einiges überspringen muss an Gottesbildern, an Demutshaltungen, an gebeugten Knien, und ich brauche, um mutig zu sein, auch sehr viel Wut, weil die Wut hilft, also in der Wut bin ich präsent.

Die Wut rauslassen: ein Impuls, den viele Menschen lieber unterdrücken. Das gehört sich nicht, sagt die Konvention. Beherrsche dich also! Viele Trauernde fürchten auch den Kontrollverlust, schämen sich für ihre Tränen. Und Wut ist sowieso verboten. Aber sie ist ja da. Thomas Weiß hat es selbst erlebt:

Als mein Vater starb, war ich stinkesauer auf ihn, weil wir noch ganz viel zu klären hatten und ich so das Gefühl habe, er schleicht sich davon und vermeidet es. Ich war wütend auf Gott, weil er es zugelassen hat, und ich war wütend auf mich, weil ich nicht rechtzeitig genug eingefordert habe, die Dinge zu klären.

Thomas Weiß hat entdeckt, dass in seiner Wut auch eine große Kraft steckt. Er lässt sie zu, lässt sie raus, lernt dabei eine neue Sprache, auch gegenüber Gott, findet Worte, die aufbegehren und herausfordern, Gott mit Fragen über Fragen löchern. So entstehen Gespräche auf Augenhöhe.

Also ich behandle Gott nicht immer sehr freundlich, und Menschen empfinden das als Ermutigung, diese ansozialisierte Sperre: Gott gegenüber muss ich mich demütig verhalten, der weiß schon, was er macht, er regiert ja alles so herrlich, auch wenn ich es nicht verstehe, dass man es auch aufgeben kann und sagen kann: Gott, wenn du es ernst meinst mit der Liebe, von der du redest, dann mach dich doch auch mal deutlich und lass mich nicht einfach unwissend zurück.   

Und so hört sich das an, wenn Thomas Weiß betet:

Gott, ich höre jetzt auf, mit dir zu sprechen. Von jetzt an bete ich nicht mehr, bis du dich begreiflich gemacht hast, bis du in einer Sprache mit mir sprichst, die ich verstehen kann, die Sprache der Zuwendung, der Aufmerksamkeit, der ich abspüren kann, dass du nach mir siehst, dass dich bewegt, wie es um mich steht. Bisher schweigst du, und darum schweige ich auch und sehne mich danach, dass es bei unserer Stille nicht bleibt.

Auch wenn Thomas Weiß sich augenzwinkernd als Berufsbeter bezeichnet, ist es ihm wichtig, dass er sich auch mit seiner gewählten Sprache klar und konkret ausdrückt. Und er will anderen Hilfestellung geben, ihre eigene Sprache fürs Beten zu finden.

Es geht mir darum, Menschen zu ermutigen, ihr eigenes Verhältnis zum Beten, zu Gott zu finden, sich selbst darin auszudrücken, sich selbst in dem zu finden, was sie da beten.

Dabei hilft ihm seine Frau, die in der Palliativpflege arbeitet. Sterben, Schmerz und Tod gehören zu den alltäglichen Gesprächsthemen im Hause Weiß. Ihm hilft auch die eigene Lebensgeschichte, die ihn erst vor kurzem selber in Todesnähe gebracht hat. Ein paar Wochen lag er im Koma, war danach eine Zeitlang auf den Rollstuhl angewiesen. Was er schreibt, erfindet er nicht. Er empfindet es. Alles: Die Wut und den Mut:

Was mich ermutigt? Der Gesang der Amsel in der Frühe, der sich nicht ändert, wenn mein Leben aus den Fugen gerät. Die Hand des Freundes, die sich sanft auf meine Schulter legt, wenn ich kein Wort mehr sagen kann. ( … ) Das Schweigen einer Freundin, die mich aushält, wenn ich vor Trauer stumm geworden bin. Die Nähe, die Geborgenheit, die ich verspüre – und ich weiß nicht, woher sie kommen. Und wenn kein Gott, kein Glaube mir verordnet, wie ich fühlen soll, und ich kann sein, wie ich gerade bin.

--------------------------------------------------------

Thomas Weiß,
Mein Herz brennt

Ein Wut- und Mut-Buch für Trauernde

Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2025,
160 Seiten
ISBN: 978-3-579-08262-2

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43250
weiterlesen...
01NOV2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Jenny Jung copyright: Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann trifft Jenny Jung.

Die 40-Jährige ist zweifache Mutter und Lehrerin. Und sie engagiert sich ehrenamtlich als Trauerbegleiterin. In den letzten vier Jahren hat sie unter anderem sehr viele Kinder im Kreis Neuwied begleitet, deren Eltern oder Geschwister verstorben sind. Mit Ritualen und Gemeinschaft versucht sie den Kindern Halt zu geben:

So machen wir das auch in der Kindertrauergruppe. Jeder zündet seine Kerze an zu Beginn der Gruppenstunde und sagt für wen er die Kerze anzündet, seinen Verstorbenen quasi in die Mitte holt und dass wir zusammen schauen wie sind wir heute da? Wie waren die letzten zwei Wochen?

Die Gruppe ist ein sicherer Ort, weil hier alle ähnliches erlebt haben. Ganz unterschiedlich sind die kreativen Methoden: Erlebnisse in der Natur, Musik, Schreiben. Denn jedes Kind trauert und öffnet sich anders. Jenny Jung erzählt mir von einer Begegnung mit einem Kind, dessen Bild für Trauer sie besonders beeindruckt hat:

Und da sagte ein Kind: Trauer wäre so wie eine Lichterkette, bei der eine Glühbirne kaputt ist und alle anderen können dann auf einmal nicht mehr leuchten.

Wow, dass ein Kind das schon so ausdrücken beeindruckt mich. Wie reagiert Jenny Jung als ausgebildete Trauerbegleiterin auf so ein eindrückliches Bild?

Klar, die Glühbirne ist kaputt, das ist so, das ist jetzt real, die können wir auch nicht einfach wieder austauschen und zack alles leuchtet wieder, so funktionierts halt leider nicht. Aber noch mal zu verdeutlichen: wie kann nochmal anders auch Licht kommen und an diesem Bild mit den Kindern auch zu arbeiten: Welche Möglichkeiten gibt es für dein Leben auch noch mal, dass es wieder heller wird.

Den Kindern helfen, dass sie mit der eigenen Trauer und ihren Gefühlen arbeiten können und auch wieder Hoffnung schöpfen. Das ist eine super sensible Sache - eigener Stress muss da draußen bleiben, man muss sich voll auf die Kinder einlassen, voll Dasein. Jenny Jung empfindet diese Begegnungen auch als etwas Heiliges:

Heilig ist mir auf jeden Fall, das was die Kinder mir auch anvertrauen. Das sind mir ganz heilige Momente, dass sie sich so öffnen und so ein Vertrauen haben. In der Arbeit mit den Kindern,  du siehst so eine Weiterentwicklung, dass sie immer mehr Rüstzeug bekommen wieder gestärkt aus der Situation herauszugehen.

Trauergruppen und Einzelbegleitung gibt es vom Neuwieder Hospizverein auch für Jugendliche und ganze Familien. Und seit Oktober hat Jenny Jung mit einer neuen Zielgruppe begonnen: Junge Erwachsene, die um Angehörige trauern. Außerdem engagiert sie sich auch in der Hospizarbeit und  ist ehrenamtliche Notfallseelsorgerin. Was motiviert sie, andere in so schwierigen Lebenssituationen zu begleiten? Ein Grund ist ihr christlicher Glaube:

Ich denk da immer an einen Vers aus der Bibel in dem es dann auch heißt: „Einer trage des anderen Last“. Und für mich ist es einfach wichtig:  wir sind eine Gemeinschaft und da ist es wichtig auch nach rechts und nach links zu schauen und nach den Mitmenschen zu schauen.

Ich treffe Jenny Jung in dem Dorf Hardert im rheinischen Westerwald, wo sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt. Warum ist es so wichtig der Trauer einen Ort zu geben statt sie zu unterdrücken? Jenny Jung hat dafür ein starkes Bild:

Wenn ich mit meinen Kindern im Schwimmbad bin und die legen sich auf so einen aufblasbaren Ball und man versucht diesen Ball unter Wasser zu drücken und man drückt und drückt und drückt und braucht unglaublich viel Kraft und eine unachtsame Sekunde und mit voller Wucht kommt der Ball wieder hoch. Und ich glaub so ist das auch in der Trauer, wenn man versucht die Trauer und die Gefühle zu unterdrücken und nicht zuzulassen - sie kommen dann ganz plötzlich und mit voller Wucht hoch.

Jenny Jung sagt: Es ist wichtig sich Zeit für die eigene Trauer zu nehmen. Doch das ist oft gar nicht so einfach. Viele Betroffene erzählen ihr, dass der Druck aus dem Umfeld groß ist. Da heißt es immer wieder: nun ist mal genug mit dem Trauern. Und ebenso schlimm ist: Wenn Leute einen großen Bogen um Trauernde machen, oft auch aus Hilflosigkeit. Deshalb empfiehlt sie:

Sprecht die Menschen an - ich glaube, man kann ganz wenig falschmachen. Ich glaub wirklich falsch ist einfach gar nichts zu sagen und aus dem Weg zu gehen, dann kommt auch die Einsamkeit.

Und wenn man gar nicht weiß, was man sagen soll, dann darf man das auch einfach sagen, findet Jenny Jung:

Und das muss dann nicht die ganz große Rede sein, einfach vorbeigehen, einen Kuchen mitbringen und sagen: hier komm, ich bin da.

Als Christin gibt Jenny Jung der Glaube an Gott Kraft, auch für ihr Engagement. Wenn aber ein junger Familienvater an Krebs stirbt, oder eine Mutter oder ein Kind bei einem Unfall plötzlich ums Leben kommen, dann hat auch sie Zweifel:  

Da bin ich dann auch echt schon mal wütend auf Gott und sag: warum? Da bleibt man oft einfach sprachlos mit der Familie sitzen.

Fromme Floskeln findet sie dann völlig fehl am Platz - und doch vertraut sie darauf, dass Gott helfen wird, damit die Familie genug Kraft hat, um weiterleben zu können. Wenn sie selbst in ihrem Leben mit dem Tod konfrontiert ist, dann hilft ihr auch ihre Hoffnung auf Auferstehung:

Das ist auf jeden Fall mein Glaube und auch meine Hoffnung, dass da noch was kommt. Mir das konkret vorzustellen ist schwierig, aber ich glaube, dass das Leben dann weitergeht, dass wir bei Gott sein werden, dass wir die Menschen, die schon verstorben sind dort auch wiedertreffen werden und das trägt mich sicherlich auch dadurch es wird ein Leben danach auch geben und wir werden uns wiedersehen.

Heute an Allerheiligen spürt sie diese Hoffnung auch, wenn sie an den Gräbern ihrer Lieben steht. Im Alltag erlebt sie Gott als Zuhörer, Begleiter, Ratgeber. Gottesdienst und Gebet sind ihre persönliche Kraftquelle. Wichtig ist ihr aber auch: Weder in der Trauerbegleitung noch in der Notfallseelsorge drückt sie ihren Glauben Menschen auf - da sind alle Menschen völlig unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit willkommen und erhalten konfessionsübergreifend Hilfe. Dann geht es darum, einfach Da zu sein und die Situation miteinander auszuhalten. Denn niemand soll in der Trauer alleine bleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43173
weiterlesen...
26OKT2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Kiril Leor Denisov und Furkan Yüksel Fotocredit: Fulbright Alumni e. V.

Mit Pfarrerin Barbara Wurz. Und ich darf mich dieses Mal mit gleich zwei interessanten jungen Männern unterhalten. Sie sind Freunde, unternehmen gerne was zusammen… Ganz normal… Allerdings:Furkan Yüksel ist gläubiger Muslim, Kiril Leor Denisov ist Jude. Und immer wieder begegnen ihnen Menschen, für die das alles andere als normal zu sein scheint. Kiril Denisov hört das des öfteren:

Es ist ja ein Wunder, dass wir befreundet seien und es ist ja, es kann ja nicht sein, so wie das möglich ist, als ob es nicht viele andere jüdisch muslimische Freundschaften in Deutschland gibt.

Kennengelernt haben sich die beiden bei „Schalom und Salam“: einem Projekt ins Leben gerufen vom Stuttgarter Verein „Kubus e.V.“  Sein Ziel: unterschiedliche Gruppen der Gesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen. Ganz bewusst auch über Themen und Probleme, die zum Beispiel Juden und Muslime in Deutschland miteinander teilen. Dazu Furkan Yüksel:

Der Punkt ist aber, dass wir in unserer Arbeit bei Shalom und Salam (...)anfangs sehr wenig über Rassismus in jüdischen Communities oder irgendwie über Antisemitismus in muslimischen Communities gesprochen haben, sondern unser größter Fokus war, über den steigenden Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft zu sprechen. Über Fälle wie Halle und Hanau, wo rechtsextreme Attentäter nicht nur ein rassistisches, sondern eben auch ein antisemitisches Weltbild hatten. (...)Deswegen war die Arbeit bei Schalom und Salam (...) vielmehr eine Allianz gewesen, ein Zweckbündnis gewesen für Dinge, die uns eben betroffen haben.

Die Freunde engagieren sich heute auch bei der Anne-Frank-Stiftung in Frankfurt, sind in der Erwachsenenbildung tätig und haben auch viele Schulklassen gemeinsam besucht. Immer mit dem Ziel, dass Menschen aus scheinbar getrennten Lebenswelten miteinander ins Gespräch kommen. Um gegenseitige Vorurteile abzubauen. Und sich trauen zu zeigen, wer sie eigentlich sind. Und manchmal kostet das Überwindung, wie Kiril Denisov erzählt:

Wenn ich an Schulen bin, passiert es mir immer noch oft, dass Schülerinnen Schüler auf mich zukommen und sagen Ich bin jüdisch. Es weiß niemand aus meiner Klasse, ich weiß nicht mehr eine Lehrkraft. Danke, dass du da warst über die Themen gesprochen hast. 

Rassismus und Anitsemitismus gehören eben leider doch nicht einfach der Vergangenheit an. Und Kiril Denisiv findet: Beides hat ganz allgemein mit Vorurteilen von Menschen zu tun.

Jede Person in Deutschland, selbst die Betroffenen: alle haben Vorurteile, über die verschiedensten Menschengruppen internalisiert, bewusst und unbewusst. (…) Das heißt, wir sehen das auch bei uns und ist eine kontinuierliche Aufgabe, (…) uns mit diesen Themen zu beschäftigen. Ja, und das hat sehr viel mit der eigenen Identität zu tun, eigene Positionierung, aber auch, wie die Gesellschaft einen wahrnimmt

Eine Gesellschaft und ihre Vorurteile und wie man Menschen darüber ins Gespräch bringen kann, das ist das Thema der beiden Freunde Furkan Yüksel und Kiril Denisov.

Beide spüren auch die Spannungen, die der aktuelle Nahostkonflikt für Juden und Muslime in Deutschland mit sich gebracht hat. Und trotzdem sieht Furkan Yüksel die größeren Probleme woanders liegen:

Und ich sage mal so eine jüdische Gemeinde, die vielleicht jetzt in meinem Blick etwas Rassistisches über     Muslime zu    sagen hätte, ist nicht die Gefahr für mich am Ende des Tages, wenn ich in Aussicht gestellt bekommen könnte, dass eine in vielen Aspekten gesichert, rechtsextrem eingestufte Partei demnächst eben eine Regierungsposition einnehmen könnte.

Vorurteile abbauen. Ängste abbauen, um dem Ruck gegen rechts etwas entgegenzusetzten – darauf setzten die Freunde und dafür setzten sie sich ein. Und aus eigener Erfahrung wissen sie: Aus Ablehnung von dem, was man nicht kennt, kann sogar Bewunderung werden. Denn im Laufe der Zeit haben die Freunde einiges voneinander gelernt. Kiril Denisov:

Es ist, was ich bewundere, aber selbst nicht machen könnte ist, es durchzuziehen, fünfmal am Tag zu beten. Also da habe ich einfach nicht die Disziplin dazu. Vielleicht

Und Furkan Yüksel meint:

Und ich bin zum Beispiel sehr interessiert an so jüdischer Kabbala, also was vielleicht bei Muslimen zu unserer Zeit so Sufismus und Mystizismus ausgehandelt wird. (...)Da würde ich sagen, das verstehe ich nicht, aber ich würde es gerne verstehen.

Gemeinsame Traditionen oder die Herkunft können Menschen miteinander verbinden. Sie können aber auch zu einem Gefängnis werden, das Menschen voneinander trennt und aus dem Furkan Yüksel ausbrechen möchte. Und sagt: Ich gehöre zu einer bestimmten Gruppe und Religionsgemeinschaft...

...und gleichzeitig habe ich dann zum Beispiel ein Freund wie Kyrill, der von mir aus einer anderen Religion angehört, aber halt, was die Werte betrifft, vielleicht viel,        viel mehr mit  mir gemeinsam hat, als beispielsweise eine Person, die vielleicht muslimisch ist, aber nicht dieselben Werte wie ich teile. Und deswegen finde ich, würde ich das gar nicht in so religiösen Dimensionen ausmachen. Es ist am Ende des Tages, was man daraus macht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43199
weiterlesen...
19OKT2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Pascal Stadelmann copyright: David Lohmueller

Christopher Hoffmann trifft: Pascal Stadelmann

Der Pilot fliegt für die Schweizer Fluglinie Swiss Air. Ich treffe ihn in Luzern. Für mich einer der schönsten Städte der Welt, direkt am Vierwaldstättersee - ein Paradies. Pascal Stadelmann tauscht seine idyllische Heimat Luzern aber immer wieder mit dem italienischen Lampedusa. Von dort fliegt er dann ehrenamtlich mit einer kleinen Propellermaschine bis zu zehn Stunden über das Mittelmeer. Mit der Hilfsorganisation „Humanitarian Pilots Initiative“ - kurz HPI - sucht er dort nach Flüchtlingsbooten. Erst taucht am Horizont meist ein kleiner schwarzer Punkt auf. Fliegen sie näher heran, sehen sie immer wieder viel zu viele Menschen auf viel zu kleinen Booten. Frauen, Männer, Kinder, Säuglinge. Und setzen dann einen Notruf ab.

Weil die Situation zum Teil extrem heikel wird - gerade wenn so ein Schlauchboot überladen unterwegs ist und es dann mal anfängt sich mit Wasser zu füllen, dann geht’s noch um Minuten und nicht um Stunden.

Seit Pascal ein kleiner Junge war, träumte er vom Fliegen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob er mit Swiss Air auf Langstreckenflügen nach Mumbai oder New York unterwegs ist, oder ehrenamtlich über dem Mittelmeer auf engstem Raum und bei fast 50 Grad Celsius im Cockpit:

Man sitzt eingepfercht in diesem kleinen Flugzeug zu viert. Pinkeln ist gar nicht mal so ein Thema, man schwitzt halt alles raus. Normalerweise flieg ich 8-9 Stunden im Linienflugzeug, da steh ich mal auf, geh auf Toilette, mach mir nen Kaffee, ess was Gutes und im Mittelmeer flieg ich genau dieselbe Zeit und man kommt schon an seine Grenzen.

Und doch macht er das seit acht Jahren. Erst in seinem Urlaub. Inzwischen hat er seine Stelle bei Swiss Air um 20% reduziert, um im Mittelmeer in dieser Zeit Menschenleben zu retten.  Der 35-Jährige ist Vater eines sieben Monate alten Sohnes. Bevor er Pilot wurde, studierte er Soziale Arbeit. Er hat in einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gearbeitet, die aus Eritrea, Somalia oder Syrien nach Luzern gekommen waren. Das hat ihn geprägt:

Wenn 14-jährige Mädchen hier ankommen und schon zwei Jahr allein unterwegs waren, irgendwo in libyschen Lagern eingesperrt worden sind, dann geht einem das schon noch mal näher.

Libyen- für viele die schlimmste Station auf ihrer Flucht. Die Organisation HPI fliegt auch als „ziviles Auge“ über das Mittelmeer, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Immer öfter werden die Piloten Zeuge, wie Schnellboote der libyschen Küstenwache, die von der EU finanziert wurden, in der europäischen Seenotrettungszone so genannte „Pushbacks“ durchführen, also Menschen zurück nach Libyen bringen:

Völkerrechtlich müssen Menschen in Not in ein Land gebracht werden, wo sie save sind. Libyen ist es auf keinen Fall. Menschen leben da zwei Jahre oder mehr in Lagern, werden hingerichtet, vergewaltigt. Wenn Europa mithilft, Menschen zurückzuschaffen nach Libyen, dann tragen wir große Mitschuld am Elend dieser Menschen und das ist in meinen Augen ein riesen Vergehen und auch Versagen Europas.

Pascal ist als Junge in einem Dorf im Eigenthal nahe Luzern groß geworden. Besonders geprägt haben ihn dort die Pfadfinder mit ihren Werten:

Dass man die Welt ein bisschen besser hinterlässt, als man sie antrifft. Und das begleitet mich seit eh und je und ich glaub das will ich machen: Ich hab die Welt privilegiert angetroffen und wenn ich mal von der Welt geh, will ich mir sagen können: ich hab was zurückgegeben, und sie ist jetzt vielleicht ein kleines Stück besser geworden.

Mir kommt es so vor, dass Pascal Stadelmann in der Symbiose aus Luftfahrt und Leben retten seine Berufung gefunden hat:

Ich mach mir sehr oft Gedanken, was wir hier sind und wie wir agieren in der Welt. Spiritualität ist mir wirklich wichtig. Das ist vielleicht eine Art Glaube für mich, dass wenn ich was Gutes tu oder wir generell was Gutes tun und positive Energie in die Welt stecken, dass die Welt dann ein kleines bisschen besser wird.

Die Organisation HPI tut viel Gutes:  ihre Piloten transportierten zu Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine unter anderem dringend benötigte Medikamente auf dem Luftweg ins Land und evakuierten Menschen mit Beeinträchtigung aus dem Bombenhagel. Sie haben ein System entwickelt, das Hilfsgüter über den entlegensten Gebieten, etwa im Südsudan, abwerfen kann. Dort arbeiten sie mit „Ärzte ohne Grenzen“ zusammen. Und Pascal Stadelmann sitzt aktuell noch an einem neuen Projekt: Aufklärungsflüge über dem Atlantik:

Von Mauretanien, Senegal, mittlerweile sogar von Guinea, wo Boote mit Menschen loslegen Richtung Kanaren, El Hierro meistens, die Insel, wo eigentlich im Moment fast mehr Menschen ertrinken als im Mittelmer, aber das geht irgendwie komplett vergessen. Und unsere Hoffnung ist, dass wir Rettungen mit zivilen Frachtschiffen ermöglichen können, die um ganz Westafrika herumfahren bis nach Europa.

Auch wenn die Piloten alle ehrenamtlich fliegen, braucht HPI dringend Spenden, etwa für die Flugzeuge, die so genannten „Seabirds“. Die Kirchen sind da ein wichtiger Partner:

Die Seabird 3 wurde hauptsächlich aus kirchlichen Geldern finanziert, nicht nur -  sind auch private Spenden dabei. Die Kirchen übernehmen da auch sehr viel Verantwortung um die Gelder verfügbar zu machen.

Was ja auch zu der ureigenen Botschaft von Jesus passt. Und zur Motivation von Pascal Stadelmann:

Und am Schluss sind wir alles Menschen - die Nächstenliebe, Brüderlich-, Schwesterlichkeit, ich find das mega wichtig, dass wir zusammenhalten! Wie wir aussehen, von wo wir kommen ist egal.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43147
weiterlesen...
12OKT2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Diemut Meyer Foto: privat

Peter Annweiler trifft Diemut Meyer

Teil 1: überraschend

Etwas Ur-altes macht sie top-aktuell:  Sie bringt Segen „auf die Straße“. Und dabei verströmt die Frau eine Fröhlichkeit und brennt für ihre Sache.  Vor allem an Feiertagen und bei Festen ist die Pfarrerin mit ihrem Team unterwegs. Erst seit eineinhalb Jahren ist sie in der Pfalz am Start – und erreicht Menschen genau da, wo sie gerade sind.

Ich habe es sehr oft erlebt, dass Menschen auch nach der Segenshandlung weinen oder auch erleichtert sind, aber auch manchmal ganz glücklich strahlend von dannen ziehen. Also so wie die Lebenssituation gerade ist und dieses Wahrnehmen des Menschen, das ist das, was mich selber beglückt.

Segen ist ja eine religiöse Urkraft. Sie wirkt, weil sie einen größeren Horizont schafft und Menschen stärkt.  Das ist es, was dann auch durch die Segnenden „strahlt“:  eine unverfügbare Kraft, uns zugewandt und ganz nah dran am Leben:   

Ich habe drei Mädchen gesegnet, drei Freundinnen und dann habe ich gefragt, was ihnen gerade wichtig ist und die eine hatte gerade ihr Haustier verloren und die andere,die ist noch ganz mit ihrer Oma verbunden und dann habe ich versucht, die Themen, die sie beschäftigen in einen größeren Horizont zu stellen

- und diesen Horizont erlebt Diemut Meyer als stärkende Himmelskraft. Davon möchte sie zuerst etwas weitergeben. Aber ganz wichtig sind ihr vorher oder nachher auch „irdische“ Begegnungen und Gespräche auf Augenhöhe.

Unsere orangenen Segensbar: Mit der ziehe ich hier auch durch die Pfalz, an dem Tresen finden Gespräche statt, aber da kann man auch, wie zum Beispiel als ich in Neustadt war, kriegte man auch einen Segenscocktail, also man kann auch ein Getränk bekommen und ich dachte: Diesen mobilen Bargedanken mit dem Thema Segen zu verbinden, das fand ich großartig und ich merke, dass das gut angenommen wird.

„Segen to go“ oder „Pop Up Trauungen”. So heißen manche Angebote des Segensbüros. In ganz Deutschland gibt mittlerweile solche Formate. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Menschen oft außerhalb von Kirchenräumen und Gottesdiensten ansprechen.  Etwa bei Festen, die man gar nicht mit Religion in Verbindung bringt. Wie beim größten Weinfest der Welt in Bad Dürkheim.

Dass Menschen auch an ganz normalen Alltagsorten den Segen Gottes erbitten, das haben wir ja beim Wurstmarkt möglich gemacht, dass Menschen sich im Riesenrad, wo sie sich kennengelernt haben, segnen und trauen lassen.

Ein ganzes Riesenrad voll mit Liebenden. Ein großartiger Drehmoment zwischen Erde und Himmel: 80 Trauungen und Segnungen haben 20 Geistliche dort an einem Tag vorgenommen. Das finde ich enorm. Und bin baff. Darüber, wie belebend die neue Lust am Segen und am Segnen in einer kirchenskeptischen Zeit ist.

Teil 2: wirksam.

Mit ihrer großen Schaffenskraft hat die gebürtige Bochumerin schon viel bewegt. Lange war die Pfarrerin Leiterin der Kulturkirche in Bremen. 2024 hat sie sich nach Speyer aufgemacht und das Segensbüro „Blessed“ in der Pfalz aufgebaut. Sie stärkt damit die neue Lust am Segen, die ihr bei Menschen begegnet.

Ich glaube, Menschen erbitten Segen, weil sie merken: Es gibt mehr als mein normales Leben, es gibt eine Kraft, die darüber hinaus ist, die mich als Mensch wertschätzt, die mich als Geschöpf sieht

Gerade in ungewissen Zeiten mit viel Zuspitzung braucht es diese Kraft, finde ich. Denn sie macht in Krisen „resilient“, wie wir heute ja auch gerne sagen. Eben weil sie Menschen stärkt.

Dieser Segen ist der Zuspruch, dass du ein wunderbarer Mensch bist, dass du geschaffen bist und auch in allen positiven oder auch schwierigen Situationen von diesem Segen Gottes, von dieser Kraft begleitet bist und das den Menschen zuzusprechen, das ist eine wunderbare Aufgabe und für mich eine Kernaufgabe auch der Kirche.

Diese Kernaufgabe ausbauen – das ist Diemut Meyers Mission. Und mir gefällt, dass sie dabei Segen weder vereinfacht noch überhöht. Segen ist für sie mehr als ein einfaches „Wünsch dir was“. Und auch keine magische „Himmelsspritze“. Er ist immer verbunden mit einer ganz persönlichen Zuwendung – und manchmal ja auch nötig, wenn uns die nicht so wundervollen Seiten an uns selbst bewusst werden.

Das ist für mich Seelsorge: Dass ich frage: Was sind eure Sorgen? Wo drückt der Schuh? Wofür braucht ihr den Segen Gottes?-  Und aus diesemGespräch heraus, entfalte ich dann den Segen und das finde ich schön, weil jeder ein anderes Thema hat, was gerade bei ihm im Leben gerade besonders freudig oder auch schwer ist und wofür man besonders diesen Segen braucht.

Segen ist Sorge für die Seele – und deshalb kann in ihm so viel zusammen finden.

Ich spreche von der Theologie des Augenblicks. Also, dass sich im Augenblick, ich sage mal, Zeit und Ewigkeit vermengen und wenn man im Augenblick da ist für Menschen, dass sich ganz viel auch erfüllt.

Segen gehört nicht der Kirche. Und das, was in einer Segenshandlung geschieht, das wird  nicht durch die Segnende bewirkt. Diemut Meyer weiß, dass sie weitergibt, was ihr selbst geschenkt ist – und was sie mit anderen Christenmenschen teilt. Ich bin mir sicher: Es braucht diese Demut und diese Qualität, damit Segen wirkt.

Unser Auftrag ist ja nicht, die Leute in die Institution zurückzubringen, sondern bei ihnen zu sein und aus dieser Fülle auch des Reichtums und des Glaubens, so wie es in der Bibel steht, diese Fülle weiterzugeben, ohne Voraussetzungen, sondern wir selber als von Gott Beschenkte geben diesen Segen an andere weiter.

Weiterschenken, was wir selbst empfangen haben.
Verströmen, was durch uns fließt.
Ich wünsche Ihnen einen „gesegneten“ Sonntag,
einen Tag mit viel Verschenken und Verströmen.

Mehr zum Segensbüro „Blessed“:
https://blessed-pfalz.de/
Instagram: #blessed_pfalz

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43098
weiterlesen...
05OKT2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Sr. Susanne mit Manuela Pfann copyright: Manuela Pfann

Ich bin Manuela Pfann und möchte mehr über den heiligen Franziskus erfahren und vor allem über seinen berühmtesten Text, den Sonnengesang. Sein Lied über die Schöpfung hat er vor genau 800 Jahren geschrieben. Er spricht darin voll Ehrfurcht von Sonne und Mond, von Feuer und Wasser, sogar von Krankheit und Tod - und nennt sie seine Brüder und Schwestern.

Das Kloster der Franziskanerinnen von Sießen in Oberschwaben ist ein perfekter Ort, um dem Sonnengesang auf die Spur zu kommen. Dort treffe ich Sr. Susanne Schlüter. Wir beginnen unseren Austausch ganz nach meinem Geschmack, im Klostercafé. Sie bestellt für uns eine Torte, die es nur in diesem Jahr gibt.

Wissen Sie schon, was Sie gerne hätten? (Servicekraft)
Ja, wir möchten gerne zweimal die Sonnengesangs-Torte. (Sr. Susanne)
Zweimal Sonnengesang. (Servicekraft)

Und dann kommt eine sehr leckere Kokos-Maracuja-Torte! Oben drauf eine gelbe Sonne aus Marzipan und am Rand ein Notenschlüssel aus Schokolade. Die Torte hat der Kloster-Konditor extra zum Jubiläum des Sonnengesangs kreiert. Und die kommt gut an, sagt die nette Dame im Service und lacht:

Und alle strahlen nach dem essen.

So geht’s uns auch! Gestärkt ziehen wir unsere Jacken an und brechen auf. Sr. Susanne nimmt mich mit in den Franziskusgarten direkt neben dem Kloster.

Früher war das eine alte Obstanlage und wir haben uns dann entschieden, hier einen Meditationsgarten zu gestalten. Und dann haben wir als Franziskanerinnen den Sonnengesang als Grundlage genommen.

Wir starten unseren Rundgang; über einen Serpentinenweg geht’s hinunter in den Garten.

Wir sind hier bei der Sonnenuhr, das ist ja die Ouvertüre von diesem wunderschönen Gesang um das Licht der Sonne.

Während ich auf der Markierung zwischen September und Oktober stehe und feststelle: die Sonnenuhr funktioniert, erklärt mir Sr. Susanne, unter welchen Umständen Franziskus den Sonnengesang geschrieben hat:

Das war nicht ein wunderschöner Maitag, blauer Himmel, Sonnenstrahlen, sondern am Ende seines Lebens. Er war fast erblindet, er konnte kein Tageslicht mehr sehen.

Umso erstaunlicher, was dann passiert ist:

Das Entscheidende ist, dass Lichtbilder in seiner Seele, die er von früher her gesehen hat, wieder aufgetaucht sind.

Franziskus war als Wanderprediger immer in der Natur unterwegs. Er hat die Schöpfung nicht nur geliebt, für ihn hat alles zusammengehört, Mensch, Natur, Tiere – und Gott. Und von genau dieser geschwisterlichen Beziehung erzählt er im Sonnengesang:

Die Schwester Sonne, sie ist schön und strahlend in großem Glanze. Dann die zweite Strophe. Bruder Mond und die Sterne, die erleuchten uns die Nacht. Und dann, Bruder Feuer, der uns erwärmt und erhellt, liebenswürdig, stark ist. Und dann beim Bruder Tod indirekt das Licht der Auferstehung

Wir stehen jetzt an einer Art Grabhügel, mitten im Garten. Für Franziskus gehört das Sterben selbstverständlich zu Gottes Schöpfung. Ich gehe rein in den Grabhügel. Nur wenige Schritte, dann ist es stockdunkel.

Franziskus lädt eigentlich in seiner Strophe dazu ein: Geh diesen letzten Schritt deines Lebens ganz bewusst. Gehe ihn im Vertrauen auf ein Du.

Ich gehe nur vorsichtig weiter, die Hände nach vorne ausgestreckt. Und dann stoße ich an eine Glasscheibe - und von oben fällt ein Lichtstrahl ein. Mitten im Dunkel des Todes also ein Schimmer Hoffnung.

 

Ich bin Manuela Pfann und gehe mit Sr. Susanne Schlüter durch den Franziskusgarten im Kloster Sießen in Oberschwaben. Der Sonnengesang des heiligen Franziskus hat sie und ihre Mitschwestern vor gut 20 Jahren inspiriert, diesen Garten anzulegen. Sr. Susanne organisiert Führungen und kümmert sich um die ziemlich große Anlage. Da ist die Ordensfrau – und studierte Biologin – in ihrem Element.

Ja, es ist wirklich ein Geschenk, das ich mir auch nicht erträumt hätte, meine naturwissenschaftliche Neigung - und die Schönheit der Schöpfung darin zu erkennen.

Ich spüre etwas von dem Glück, das sie bei ihrer Arbeit findet. Ob sie das Gefühl hat, Gott in diesem Garten begegnen zu können?

Ja. Ja. Ich spreche mit den Bäumen, sage „Oh Gott, jetzt ist es trocken. Hoffentlich kriegt ihr nicht den Käfer, den Borkenkäfer. Strengt euch ein bisschen an!“ Also ja, ich spreche mit den Geschöpfen auch so, als würde Gott mit mir sprechen.

Wir gehen weiter zu einem kleinen Weiher mit einem Wasserspiel. Sr. Susanne tritt auf den Holzsteg – und ich staune. Sie ruft und nach wenigen Sekunden kommen dutzende Karpfen angeschwommen. Die scheinen auf ihre Stimme zu reagieren. Und sie hält den Finger ins Wasser:

Die beißen jetzt nicht, aber die schnappen dann danach. Die sind recht zutraulich geworden.

Ich muss ein wenig schmunzeln und bin berührt: Sr. Susanne macht das, was vom heiligen Franziskus erzählt wird, sie spricht mit den Tieren, mit den Geschöpfen; weil sie sich ihnen nahe fühlt, eben wie eine Schwester.

Also die Geschöpfe sind nicht nur nebenbei, sie sind auch Türöffner für die Begegnung mit Gott.

Begegnung mit Gott und der Schöpfung, Ruhe finden im Garten, das wünschen sich die Franziskanerinnen für ihre Besucher. Von April bis Ende Oktober ist der Franziskusgarten für alle geöffnet. Und für manch einen ist er eine Oase auf dem Weg. Sr. Susanne erzählt mir von einem LKW-Fahrer:

Ich hab ihn dann mal angesprochen, weil ich ihn immer wieder gesehen habe. Und dann hat er gesagt, er macht lieber hier seine Pause. Der isst dann sein Vesperbrot, sitzt lang auf der Bank, läuft ein bisschen rum und dann fährt er wieder.

Unser Rundgang geht zu Ende. Ich bleibe noch eine Weile alleine im Garten, lasse mich von der Abendsonne wärmen. Mein Rückweg führt dann durch ein Labyrinth. Die Franziskanerinnen haben die Sonnengesang-Strophe über den Menschen so gestaltet. Es geht darum, dass wir unseren Platz finden in der Schöpfung. Die Worte von Sr. Susanne habe ich dabei noch im Ohr.

Geh nicht rückwärts, dreh dich nicht um den eigenen Kreis. Es gibt Koordinaten, die bleiben, die sind mir mit der Geburt mitgegeben. Und das gilt es auch anzunehmen. Also auf dem Weg bleiben. Und wenn du vorwärts gehst, kommst du an! Das ist die Botschaft des Labyrinths.

Und mit der mache ich mich dann auf den Heimweg.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43041
weiterlesen...
28SEP2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Anja Hoffmann

Ich bin mit Anja Hoffmann vom „Arbeitskreis Leben“ in Karlsruhe verabredet. Seit 2019 engagiert sich die 50jährige hier ehrenamtlich als Krisenbegleiterin für Menschen in suizidalen Lebenskrisen und auch als Trauerbegleiterin nach Suizid.
Das eigene Leben zu beenden und Suizid zu begehen – das ist immer noch ein Tabu-Thema, über das man mit seinem alltäglichen Umfeld normalerweise nicht spricht. 

Was wir oft erleben, ist, dass zum Beispiel jemand in Sorge ist aus dem Freundeskreis oder aus dem Familienkreis. Und dann anfängt zu recherchieren, wo gibt es Hilfe? Und die Menschen, die sich dann an uns wenden, die kommen meistens per Telefon bei uns an, manchmal per E- Mail. Wir haben aber auch Sprechzeiten, wo man vorbeikommen kann, passiert aber eher selten.

Über Zeitungsanzeigen, das Internet oder auch Facebook und Instagram macht der „Arbeitskreis Leben“ das Angebot, Betroffene auf ihrem Weg durch eine schwere Lebenskrise zu begleiten. Und es ist erschreckend, wie nötig dieses Angebot ist. Bis zu 10.000 Menschen nehmen sich in der Bundesrepublik jedes Jahr das Leben. Anja Hoffmann weiß: die gesamtgesellschaftliche Krisenstimmung, beeinträchtigt die Stimmung Einzelner enorm.

Mich stört da ganz persönlich auch oft die Art und Weise, wie kommuniziert wird, ob das jetzt von Medien ist oder also dieses gesamtgesellschaftliche, dass da oft so `ne Weltuntergangs Rhetorik permanent feuert auf die Menschen und das macht was mit den Menschen und das ist nicht gut. Wo soll die Hoffnung dann herkommen?

Trotzdem ist es natürlich ganz normal, sagt Anja Hoffmann, dass einem die Nachrichten aus aller Welt auch mal Angst machen können. Und nicht jeder, der schon mal an Suizid gedacht hat, ist deshalb wirklich gefährdet. In Lebenskrisen – zum Beispiel bei einer Trennung oder beim Verlust eines geliebten Menschen – ist das nicht ungewöhnlich. Gefährlich wird es, wenn sich solche Gedanken verfestigen. Der Arbeitskreis Leben möchte Menschen ermutigen, die Scham zu überwinden und Hilfe zu suchen. Denn: Darüber zu reden hilft!

In dem Moment, wo wir wirklich ganz ruhig und ganz direkt ganz klar fragen: „Haben Sie Suizidgedanken oder hast du Suizidgedanken?“ - je nach dem - dass dann erstmal die Erleichterung da ist: Ich kann das überhaupt mal aussprechen. Ich muss das nicht die ganze Zeit mit mir rumtragen, sondern da ist jemand, der das hört und der auch nicht gleich in Aktionismus verfällt.

Wenn ich mir Sorgen um einen Menschen aus meinem Umfeld mache, dann muss ich keine Angst davor haben, das offen anzusprechen.

Diese Mythen, die da existieren: Du bringst erst jemanden auf den Gedanken, wenn du fragst. Nein – jemand, der das nicht in sich hat... Man kann niemand auf diesen Gedanken bringen. Und da auch Ängste abzubauen, das finde ich so unheimlich wichtig, weil sonst können wir nicht füreinander da sein. Wenn man immer Angst hat, irgendwas Schweres zu hören, dann wird es schwierig mit Zuhören und Gemeinschaft


Ein wichtiger Punkt ist auch das Thema Resilienz, das auch etwas, was wir festgestellt haben, dass gerade junge Menschen oft wenig Krisen erprobt sind und wenig Krisenerfahrung auch haben und dadurch auch wenig Widerstandsfähigkeit zeigen.

Ihre eigene Kindheit und Jugend in Thüringen hat Anja Hoffmann noch anders erlebt. Sie musste mit vielen allein klarkommen, wohl oder übel. Aber rückblickend weiß sie: es hat sie stärker gemacht.
Von der Haltung „Früher war alles besser“ ist Anja Hoffmann aber weit entfernt. Es geht ihr nicht darum, dass es besser war – es war anders. Das Leben verändert sich

Familienstrukturen sind, nicht mehr so wie früher, die sind sehr viel loser geworden, sehr viel unverbindlicher oft geworden. Das Thema Glauben geht auch immer mehr zurück. Das ist ja auch ein Anker. Das erleben wir auch oft bei uns im Verein, in der Arbeit. Dass, das für Menschen wirklich ein Halt im Leben ist, wenn sie in Krisenzeiten sind oder wenn sie in der Depression stecken. , dass das eben doch noch hilft. Und an ganz vielen Stellen bröseln so Anker weg im Leben.

Das Zusammenleben verändert sich. Aber Halt im Leben lässt sich auf neue Art auch wieder finden. Das erlebt Anja Hoffmann, wenn Menschen sich auch in schweren Situationen neu ausrichten und zurück ins Leben finden.#

Ich hatte eine junge Frau, die ich begleitet habe, die hat ihren Vater verloren - durch Suizid. Und (...) die Leichtigkeit war weg im Leben. (…) Aber diesen Weg zu beobachten, wie sie wieder zurück ins Leben gefunden hat, und wie sie sich weiterentwickelt hat, das gibt mir so viel Hoffnung, ja, dass es ein Weitergehen gibt und dass dieses Weitergehen sicher anders ist, wie man sich das vorgenommen hat oder wie sie sich das vorgenommen hat.

Auch heute ist es möglich ein Umfeld zu finden, dass das Leben stützt und den einzelnen Halt gibt. Anja Hoffmann hilft gerne, es zu finden. Und sie ist überzeugt: In uns allen steckt die Kraft, Lebenskrisen zu überwinden.

Ich glaube ganz fest an dieses Thema Resilienz, aus Krisen gestärkt hervorzugehen, dass das möglich ist. Und ich erlebe das auch immer wieder, weil ich selber sehr viele Hinterbliebene nach Suizid (...) begleite (...) und wirklich zu sagen: Wow, was sind Menschen in der Lage, mit solchen Krisen, mit solchen schweren Situationen doch wieder Hoffnung zu schöpfen und doch wieder ins Leben zurückzufinden? Das ist ein ganz toller Aspekt dieser Arbeit, von dem ich selber auch unglaublich viel mitnehme für mich persönlich. Ja

https://www.kirche-im-swr.de/?m=43042
weiterlesen...
21SEP2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Marie Sophie George copyright: Privatfoto

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Marie Sophie George.

Sie lebt mit ihrer Familie im Landkreis Esslingen. Mich macht es neugierig, dass sie schon in vielen unterschiedlichen Ländern gewohnt hat. Und ich will wissen, was ihr geholfen hat, so oft neu anzufangen. Sie zieht zum ersten Mal in den 1980ern um, aus dem Elsass auf die Insel Mauritius, mit ihren Eltern und ihrem Bruder, als Kind.

Ich war sehr klein. Ich war nur vier Jahre alt. Ich hatte eine tolle Kindheit, ja, wir haben am Strand gelebt. Ich bin barfuß jeden Tag in den Kindergarten gegangen, also es war ein ganz anderes Leben als im Elsass.

Es ist mehrere tausend Kilometer weit weg, Mauritius liegt vor Ostafrika. Die meisten dort sprechen Französisch, das macht es leichter anzukommen. Ihre Eltern gehen wegen der Arbeit dorthin, aber nicht nur deshalb:

Sie mögen Abenteuer und sind sehr neugierig auf andere Kulturen und sie waren auch in einem Beruf, wo sie es machen konnten, sie waren in der Textilindustrie und es gab nicht so viel Arbeit in Frankreich und darum sind wir nach Mauritius gegangen.

 

Und nach einigen Jahren ziehen sie weiter, nach Madagascar. Später geht Marie Sophie zum Studieren nach Frankreich – nach Nantes und Aix-en-Provence und nach Südamerika, nach Uruguay. Sie packt oft Koffer und Umzugskartons.

Ich mag es nicht so, wenn es zu viel Sicherheit gibt. Ich mag Herausforderungen, es ist für mich wie ein Antrieb, ein Motor.

Es weitet ihren Blick aufs Leben – sie sieht zum Beispiel, wie arm manche Menschen leben – dass schon Kinder im Müll nach Essen suchen müssen. Und dass andere im Wohlstand leben. So in andere Länder einzutauchen, das machen viele im Studium oder in der Ausbildung. Marie Sophie George hat auch danach immer wieder den Mut dazu. Vor fünf Jahren geht sie mit Mann und Kindern und schwanger nach Baden-Württemberg. Umziehen heißt auch Papierkram:

Ich erinnere mich, dass mein Mann drei Monate lang jeden Abend Papier gemacht hat: Kindergartenpapiere, Krankenkasse, Steuer.

Auch wenn es aufwendig ist, sieht sie darin eine Chance:

Ins Ausland als Familie, also mit Mann und Kinder, macht die Familie stark, weil wir etwas stark zusammen erleben.

Um wirklich anzukommen und sich wohlzufühlen, was braucht es dafür? Eine Wohnung, Arbeit. Und sie findet: offene Menschen:

Leute! Mit wem kann man reden? Über alles, um sich nicht verloren zu fühlen. Und das war nicht einfach am Anfang, wegen der Sprache.

Auch das braucht Zeit. Sie hat viele Neuanfänge versucht, ist immer wieder umgezogen. Was ihr geholfen hat, das möchte ich erfahren. Schließlich glückt nicht jeder Neustart. Sie hat es an einem Skiort erlebt. Sie ist damals zu ihrem Mann an den Berg Montblanc gezogen:

Viel Schnee, wir waren auf 1.000 Höhenmeter. Der Blick war wunderschön. Der Blick auf Mont Blanc war wie im Paradies, aber für ein Alltagsleben, für mich war es nicht einfach, weil ich habe mich oft isoliert gefühlt.

Denn der Ort ist sehr von Touristen geprägt und ihr fehlen Möglichkeiten, enge Kontakte zu knüpfen. Sie, ihr Mann und ihre Kinder ziehen um, und es geht eher zufällig nach Baden-Württemberg. Marie Sophie George sagt, dass sie einfach ein großes Vertrauen spürt, auch dass Gott auf ihrem Weg dabei ist:

Ich glaube, dass in diesen Situationen, Gottvertrauen ist superwichtig, ich würde nie es mir vorstellen, wie ich es ohne meinen Glauben machen könnte.

Und doch: Sie erzählt mir, dass es ihr schon wehtut, wegzugehen – von Freunden, die sie liebgewonnen hat. Und besonders als Familie.

Wir müssen auch Rücksicht jetzt nehmen auf unsere Kinder und Kinder haben Freunde und möchten nicht immer wieder umziehen.

An den neuen Orten haben sie immer wieder Unterstützung bekommen. Von Nachbarinnen zum Beispiel oder von Leuten aus einer Kirchengemeinde, die sie willkommen geheißen haben:

Also ich habe persönlich immer Leute getroffen, die haben geholfen. Wirklich. Und ich bin dafür sehr dankbar.

Sie möchte das auch weitergeben. Deshalb hilft sie in der Schule ihrer Kinder mit oder kocht auch mal mit geflüchteten Menschen französische Gerichte:

Ich finde, dass in einer Gesellschaft mit Wohlstand es auch Armut gibt. Und ja, es ist anders, aber es gibt auch Leute, die Hilfe brauchen.

Sich für andere engagieren – auch das macht es einfacher, neu Wurzeln zu schlagen. Außerdem: alte Freundschaften pflegen, auch wenn man inzwischen nicht mehr am selben Ort lebt. Es gibt ihr Halt.

Natürlich kann man nicht mit alle im Kontakt bleiben, aber mit Freunde, es ist wichtig und es gibt immer wieder schöne Treffen.

Und dann ist da noch die Arbeit – sie arbeitet aktuell mit Menschen mit Demenz. Eine neue Herausforderung - ihr ist es auch aus ihrem Glauben heraus wichtig:

Es ist eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenzkrankheit, In meiner Arbeit, wenn ich Leuten helfe, fühle ich mich mit Gott sehr nahe.

Ja, sie findet immer wieder Orte, wo man auch Gott nah sein kann - Marie Sophie George zeigt mir, dass Neuanfänge eine Chance sein können, egal, ob es ein neuer Wohnort ist oder neue Aufgaben. Und dass es guttut, auf Menschen offen zuzugehen, die neu sind im Verein, in der Kirchengemeinde oder in der Nachbarschaft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42979
weiterlesen...
14SEP2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute mit Martina Steinbrecher und Peter Brändle. Den Pfarrer aus Wendlingen am Neckar habe ich kurz nach dem 26. August getroffen. Dieses Datum weckt bei ihm zwiespältige Gefühle. Denn im Jahr 2022 hat er auf der Fahrt in den Urlaub an diesem Tag einen schweren Verkehrsunfall verursacht. Außer ihm wurden dabei zwei weitere Personen lebensgefährlich verletzt. Alle haben überlebt. Aber das war nicht von Anfang an klar. Peter Brändle erinnert sich an den Tag vor drei Jahren. In den Serpentinen, die sich in der Schweiz zum San Bernardino hochschlängeln, hat er gemerkt, dass er langsam müde wird.

Und dachte dann, komm, das schaffst du noch. Und dann fährst du durch den Tunnel und danach machen wir eine Pause, trinken Kaffee und dann ist eigentlich Italien schon vor dir. Und dann geht’s eh wieder.

Es ist der letzte Gedanke, an den Peter Brändle sich noch erinnern kann. Der Unfall selbst ist dagegen in seinem Gedächtnis wie ausgelöscht. Wahrscheinlich ist er kurz eingeschlafen. Sein Wagen gerät auf die Gegenfahrbahn und prallt bei 85km/h frontal mit einem anderen Auto zusammen.  

Das war ein furchtbares Bild, weil ich in einem zerstörten Auto saß. Die Airbags waren offen. Durch den Schock hatte ich keinerlei Schmerzen. Ich bin dann rumgelaufen, habe versucht, die Tür bei der Christl zu öffnen. Das ging nicht. 

Seine Frau Christl auf dem Beifahrersitz ist schwer verletzt. Und die Fahrerin aus dem entgegenkommenden Fahrzeug auch. Der Notarzt kommt, Hubschrauber und Krankenwagen; alle drei werden in eine Klinik in der Nähe gebracht. Es folgen verschiedene Operationen, danach ein Erwachen auf der Intensivstation. Was geht einem da durch den Kopf?

Ich hatte schon sehr schnell den sehr klaren Gedanken und auch Verdacht, dass ich wahrscheinlich der Verursacher bin und dass ich schuldig bin an diesem Unfall. Und damit hatte ich sehr, sehr zu kämpfen.

Peter Brändle kämpft nicht nur mit Schuldgefühlen, sondern mit einer wirklichen Schuld. Denn noch lange schwebt die dritte Person in Lebensgefahr. Versuche, über die dafür zuständige Opferhilfe Verbindung mit ihr aufzunehmen, scheitern. Bis heute hat die Frau auf seine Briefe nicht reagiert – es ist ihr gutes Recht.

Ich habe da lange dran rumgemacht und dachte dann irgendwann, ja okay, offensichtlich will sie das nicht. Aber das war und ist nicht so einfach.

Wie lebt man mit einer Schuld, ohne mit der Person, an der man schuldig geworden ist, ins Gespräch kommen zu können? Peter Brändle sucht Hilfe bei einem Seelsorger und väterlichen Freund: 

Dem habe ich das Ganze auch geschildert und der hat mich da freigesprochen. Der sagte: Peter, ja, ohne dich wäre das nicht passiert, aber es war in keiner Weise irgendeine böse Absicht und mach dir dann nicht zu viele Vorwürfe. Und das hat mir sehr gutgetan.

Als die dritte Person außer Lebensgefahr ist, wird es für Peter Brändle leichter, diesen „Freispruch“ für sich zu akzeptieren. Aber der Weg zurück in den Alltag ist lang. Und auch sein bis dato gesundes Selbstvertrauen hat Schaden genommen.  

Dass mir das passiert, das hat nicht nur an dem Auto einen Totalschaden, sondern in meiner Wahrnehmung als Autofahrer eine Delle hinterlassen. Und ich versuche da weiterzukommen, dass ich oft in meinem Leben gedacht habe, das schaffst du noch. Und jetzt komm, streng dich mal ein bisschen an, dann hältst du schon durch. Und das hat bis dahin eigentlich auch immer funktioniert. Und da hat es halt nicht mehr funktioniert.

Plötzlich braucht er andere Menschen, die ihm Selbstwertgefühl und Zuversicht geben. Seine drei Kinder sind ihm in dieser Zeit ein großer Halt. Und noch immer bewegt ihn sehr, was seine Tochter an einem trostlosen Tag zu ihm gesagt hat:

Papa, das schaffen wir schon. Und bisher war ich immer derjenige, der zu ihr gesagt hat: Nelly, das schaffen wir schon. Und da hat sie das zu mir gesagt, und das hat extrem gutgetan.  

Als es Peter Brändle schon wieder besser geht, fällt seine Frau Christl ins Koma. Noch einmal beginnt eine schwere Zeit, ein Bangen zwischen Leben und Tod. Als sie doch wieder zu sich kommt, kann er dabei sein. Ein bewegender Moment. Die erste Frage der Krankenschwester: Wissen Sie, wer das ist?

Und dann hat sie mich angeschaut und hat gesagt: Ja, mein Liebling. Und das war sehr schön und sehr bewegend.

Peter Brändle sagt heute, dass dieser Unfall und seine Folgen, die gemeinsam durchgestandene Zeit, seine Frau Christl und ihn einander nähergebracht haben. Und wie hat der Unfall ihn selbst verändert?

Ich habe schon meine Energie und Kraft und meinen Lebensmut, auch manchmal vielleicht Übermut, nach wie vor in mir. Aber es gibt schon Dinge, die seit diesem Unfall anders sind. Also, ich glaube tatsächlich, ich lebe dankbarer. Ich habe auch das Gefühl, es gibt einen, der wollte, dass mein Leben noch nicht zu Ende ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42915
weiterlesen...