Zeige Beiträge 1 bis 10 von 1023 »

Ich bin mit meinem Kollegen Steffen Kern zu einem Online-Gespräch am Bildschirm des Computers verabredet, denn ich möchte von ihm wissen, was es mit dem Titel seines neuen Buches auf sich hat, das gerade erschienen ist: „Hoffnungsmensch“. Wie kommt er auf dieses Thema?
Das Buch ist bei mir in den letzten Jahren gereift (…) Wenn ich an Leiderfahrung denke, auch in der Familie, schwere Krankheiten, die ich im engeren Kreis miterlebt habe. Die Frage, was gibt einem Menschen eigentlich Hoffnung.
Dazu kommen die Krisen unserer Zeit: Krieg, Inflation, Umweltzerstörung. Junge Menschen sprechen von sich selbst als der „letzten Generation“, meint Steffen Kern. Hoffnung zu haben ist also nicht mehr selbstverständlich. Und das meint nicht nur er.
Herbert Grönemeyer hat in seinem neuen Album – ich bin ein bisschen Grönemeyer-Fan – als seinen ersten Satz (…) „Hoffnung ist gerade schwer zu finden. Ich suche sie.“ Und genau das empfinde ich auch.
Aber sie ist zu finden, sagt Steffen Kern. Man kann sie zu spüren bekommen, wenn man „Hoffnungsmenschen“ begegnet. Von denen erzählt er in seinem Buch. Zum Beispiel von Wilbirg Rossrucker, die mit Anfang 50 ihren Beruf aufgegeben hat, nach Stuttgart ins Rotlichtviertel gezogen ist und dort das „Hoffnungshaus“, eine Anlaufstelle für Prostituierte leitet.
Warum macht jemand das? Wieso nimmt sie so etwas auf sich und geht in eine Arbeit, in einen Stadtbezirk, wo es wirklich wenig Hoffnungsvolles gib? (...) Sie geht aber da rein und stellt sich dem und ist für die Frauen da und erlebt sehr viel Schlimmes, Schreckliches und auch Frustrierendes und trotzdem auch wertvolle Begegnungen. Sie kann Menschen helfen, so ein Stück weit durch ihren Tag zu kommen.
Ein Beispiel für einen Menschen, für den Hoffnung eine Lebenshaltung, eine Herzenshaltung ist – und nicht einfach ein fest formulierter christlicher Glaubenssatz. Eine Herzenshaltung, die sich traut, Altes hinter sich zu lassen. Gerade das, was scheinbar nicht zu ändern ist.
(…) Ich find’s persönlich wichtig, dass wir als einzelne Menschen sagen: Hey, Heute fang ich was Neues an. Vielleicht was ganz Neues. Wer legt mich denn fest auf das, was war? Ich kann doch neu beginnen. Und das kann man mit Mitte 50, mit Mitte 60 sagen, das kannst du mit Anfang 20 sagen.
Das kann man von Hoffnungsmenschen lernen, sagt Steffen Kern. Fürs persönliche Leben. Das kann aber auch die Kirche, die Institution Kirche lernen.
Mit „Kirche“ kennt er sich bestens aus – und mit ihren Nöten, den rückläufigen Mitgliederzahlen, dem nötigen Strukturwandel usw. Aber davon sollte sich die Kirche nicht lähmen lassen, findet Steffen Kern. Lieber sich inspirieren lassen von Hoffungsmenschen und ihrer Herzenshaltung.
Wir sind nicht festgelegt auf die letzten Jahrhunderte. Wir sind nicht gebunden an unsere Privilegien und auch nicht an unsere institutionelle Stärke, sondern wir können eine Hoffnungsgemeinschaft sein, die heute neu beginnt. Kirche mit leichtem Gepäck.
Und die dann vielleicht auch nicht so schwer und sorgenvoll daher kommt, sondern der man lebendige Hoffnung abspüren kann. Steffen Kern lässt Hoffnungsmenschen zu Wort kommen: in seinem Buch und auch in seinem neuen Podcast „Hoffnungsmensch“. Zu Gast sein werden z.B. Kira Geiß, die amtierende Miss Germany oder auch der württembergischen Landesbischof Gohl. Ihre Hoffnungsquelle ist ihr christlicher Glaube. Und deshalb findet Steffen Kern es auch so passend, dass das hebräische Wort der Bibel für „hoffen“ noch eine weitere Bedeutung hat:
Das hebräische Wort für Hoffen ist ja kiwa. Und Kiwa bedeutet ja zugleich: ein Seil spannen – eine Schnur spannen. Und für mich ist das ein Bild für Hoffnung, dass sehr, sehr anschaulich ist, Das eine Ende der Schnur, das ist bei mir, das ist da, wo ich bin. Wo ich stehe, wo ich lebe, mit meinen Empfindungen und wie es mir gerade geht. Und das andere, das ist dort, worauf ich hinlebe, das ist in der Zukunft, was uns versprochen ist, das ist so ein Bild für Hoffnung.
Hoffnung, die will Steffen Kern spürbar werden lassen. Aber nicht als einen festen christlichen Glaubenssatz. Für ihn ist Hoffnung eine Haltung des Herzens.
Jedem Anfang wohnt ein Glaube inne. Frei nach Hermann Hesse, der ja bekanntlich gedichtet hat: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und mir geht es um diese Anfangshaltung, diesen Anfängerglauben zu vermitteln. Und ich glaube tatsächlich, dass jedem Neustart jeder Haltung, Neues anzufangen, ein gewisses Grundvertrauen innewohnt. Ein Glaube, dass es gut gehen kann, dass wir begleitet sind, dass es einen Gott gibt, der mit uns geht und der Gelingen schenkt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38426

Mr. Tagesthemen und Halbitaliener Ingo Zamperoni, der in Wiesbaden aufgewachsen ist, aber auch Wurzeln in Venetien hat, ist zu einer ganz persönlichen Reise zu Familie und Freunden nach Italien aufgebrochen. Am 18. September ist das Ergebnis in der ARD zu sehen. „Mein Italien unter Meloni“ heißt die Reportage. Der Anlass: Die italienische Regierungschefin Georgia Meloni:
Zum ersten Mal auch eine Frau aus einer Partei mit postfaschistischen Wurzeln, da waren viele Fragen: Italien als Gründungsmitglied der EU und auch ein ganz wichtiger Pfeiler Europas – was passiert da? Und welche Auswirkungen hat das auf das Land, das uns Deutschen ja so nah ist: Sehnsuchtsland, Lieblingsurlaubsland für viele. Aber eben auch für Europa an sich- da waren ja sehr, sehr schrille, sehr schroffe, krasse antieuropäische Töne vor der Wahl, aber auch eben mit Blick auf die große Thematik Migration, Ein- und Auswanderung.
Dazu hat der Journalist auf Sizilien auch Giovanna di Benedetto besucht, eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation „Save the children“, die die Abschottungspolitik von Georgia Meloni, aber auch von Europa insgesamt, kritisch sieht:
Giovanna sagt eben halt auch oder stellte die Frage zurecht: Hat diese Politik der Abschottung etwas gebracht? Nein! Die Leute sind trotzdem gekommen und zwar sogar mehr als noch in den vergangenen Jahren, also seit Meloni an der Macht ist, kommen sogar mehr. Das heißt: Die schreckt nicht ab, diese Politik. Und da gibt es diesen Satz, den ich immer wieder gehört hab: Man kann die Mauer 10 Meter hoch machen, die Leute werden nach elf Metern hohen Leitern suchen – weil die Fluchtursachen einfach so gravierend sind, vor denen sie flüchten: vor Krieg, vor Gewalt, vor absoluter Perspektivlosigkeit und zunehmend auch vor Klimawandel.
Den dreifachen Familienvater Ingo Zamperoni bewegt besonders, dass ungefähr 10 % der ankommenden Menschen unbegleitete Minderjährige sind: Teenager, die allein unterwegs sind oder Kinder, die auf der Flucht ihre Familien verloren haben:
Auch sehr bewegend den jungen Mann, den wir da getroffen haben. Der ist mit fünf Menschen aufgebrochen, mit vier anderen aus seinem Alter, und er ist der Einzige, der es geschafft hat nach Italien.
Einfache Lösungen gibt es nicht. Weggucken ist für den Anchorman der Tagesthemen aber auch keine Lösung:
Ich zeig es ja nicht zum Selbstzweck, sondern einfach, um auch zu zeigen: So ist die Realität. Und natürlich zeigt es einmal mehr wieder, mit was für einem großen Glück wir hier in Deutschland und in Europa gesegnet sind und dass wir in der Geburtslotterie den großen Sechser mit Superzahl gezogen haben, bei allen Problemen, die jeder einzelne im Alltag so hat. Und deswegen sollte man auch zumindest mit einem gewissen Respekt und nicht mit einer abweisenden Haltung eingehen auf diese Realität.
Denn es sind eben ganz reale Menschen. Zamperoni ist es wichtig zu zeigen, welche Menschen da kommen, weil das große Narrativ auf der Rechten ist, da kommen ja nur die gewalttätigen Verbrecher, die Drogenschmuggler, die Menschenschmuggler und die bringen die ganze Kriminalität hier her, - und so ist es ja nicht. Natürlich kann es sein, dass da auch gewalttätige Menschen oder Kriminelle oder vor allem auch Drogenschmuggel dadabei sind, aber die allermeisten suchen eine Chance - eine Überlebenschance.
Ich spreche mit Ingo Zamperoni. Seine italienisch-katholischen Wurzeln prägen den 49-Jährigen bis heute. Bei der Erstkommunion seiner Kinder engagierte er sich als Katechet in der Pfarrei in Hamburg, wo der „Tagesthemen“-Moderator nun lebt. Er findet, dass die katholische Kirche dringend Reformen einleiten muss – Stichwort Frauenfrage oder Machtmissbrauch – und gleichzeitig bezeichnet er sie in unserer Begegnung als einen wichtigen Ort, an dem Menschen Halt finden, und auch als seine Heimat. Was ist ihm an der christlichen Botschaft besonders wichtig?
Ich glaube, der elementare Gedanke ist eben dieser Aspekt der Nächstenliebe. Erstmal den anderen als Menschen wahrzunehmen und nicht als Gegner, als Feind, als Konkurrent und eben zu gucken, wie wir Gemeinschaft leben können.
Ingo Zamperoni findet: die Kirche kann und sollte auch heute einen wichtigen Input in die Gesellschaft geben, weil viele ihrer Themen den Alltag der Menschen betreffen: Sinnfragen und Seelsorge, aber auch Fragen rund um Armut, Obdachlosigkeit und Umweltschutz:
Wenn wir um Erhalt der Schöpfung diskutieren: wir haben eine Verantwortung, ich glaube wir sind in gewisser Weise Gast auf Erden, wir haben eine gewisse, gegebene Zeit. Und das macht das Leben so wertvoll und so kostbar. Und der Umgang auch eben mit diesem Planeten - da spielt, glaube ich, die Religion auch eine wichtige Rolle!
Am Ende jeder „Tagesthemen“-Sendung sagt Ingo Zamperoni: „Bleiben Sie zuversichtlich!“ Nach all den Meldungen von Krieg und Klimakrise für mich ein ganz wichtiger Satz. Erstmals sagte der Moderator ihn zu Beginn der Pandemie und traf damit auch bei mir einen Nerv:
Und dann, so in Woche vier oder fünf des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020, hatte ich den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble zum Gespräch. Gerade in den Anfangswochen war viel Solidarität, und dann sagte Schäuble sowas wie: Vielleicht werden wir zurückblicken auf diese Zeit, als etwas wo wir doch auch ein bisschen zusammengewachsen sind, wo ein neuer Geist auch war, und dass wir da zuversichtlich auch bleiben sollten und da dachte ich: Ach, guck mal - genau den Gedanken hatte ich die letzten Tage doch auch! Und vielleicht gebe ich da sowas mit: Bleibt doch zuversichtlich!
Die Pandemie ist vorbei, aber Gründe für Zuversicht gibt es immer noch genug, findet Zamperoni:
Ich hatte gerade noch einen Brief in der Zuschauerpost, der sagte: ich hatte eine schwere Operation vor mir und hatte eine schwierige Zeit und dann hab ich an Ihren Satz gedacht und das hat mir geholfen, und das hat mir die Kraft gegeben durch diese Operation zu gehen, und dann ist es auch gut ausgegangen, vielen Dank dafür.
Danken - das will auch Ingo Zamperoni, der weiß, dass vieles im Leben nicht selbstverständlich ist. Beten heißt für ihn deshalb: immer wieder „Danke“ sagen!
Dass tatsächlich manche Dinge einfach zu entscheidend waren, dass es nicht einfach nur ein dummer Zufall gewesen sein kann, und deswegen glaube ich, dass da schon dieser Gedanke der Dankbarkeit einem selber auch hilft. Das ist dann so wie ein Dankesgebet, wie so ein Stoßgebet. Das hilft einem selber auch so eine gewisse Demut zu entwickeln, dass man nichts für selbstverständlich betrachtet und als gegeben und auch einen gewissen Anspruch auch hat, so nach dem Motto „Aber das ist doch jetzt mein Recht“ und „Das muss doch so sein“, sondern dass man selbst die kleinen Geschenke und Begebenheiten des Alltags eben auch als nicht so selbstverständlich erachtet. Und darüber sollte man sich freuen und vielleicht ist das dann auch ein Quell der Freude.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38394
Teil 1: wo er herkommt und was er macht
Peter Annweiler trifft Lars Castellucci, Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Neckar-Kreis
Seit zehn Jahren sitzt Lars Castellucci für seinen Wahlkreis in der Rhein-Neckar Region im Bundestag. Der Mann - schmaler Typ mit wachem Geist - ist noch keine fünfzig. Politisch engagiert ist er schon seit er siebzehn ist. In der frühen Zeit seines Wirkens in Wiesloch hat ihn etwas geprägt, worauf er bis heute nicht verzichten möchte.
Ich bin viel vor Schülern und Schülerinnen unterwegs – und die fragen mich dann: Was habe ich denn gelernt oder studiert. Und dann sage ich immer, dass ich einen Kirchenchor geleitet habe. (lacht) Weil ich glaube wirklich, dass ich da sehr, sehr viel gelernt habe – auch wenn ich das nicht auf einem Zertifikat zeigen kann.
Und klar: Lars Castellucci hat auch „Zertifikate“ erworben. Er hat Politik, Geschichte, und Öffentliches Recht studiert. Er hat promoviert und eine Professur für nachhaltiges Management angetreten. Doch für sein Wirken als Politiker scheint die Chorleitung die beste Basis zu sein: Einen Klang anstoßen, den gemeinsamen Takt finden, die Gemeinschaft stärken. Ich finde, das lässt sich gut mit Herausforderungen in der Politik vergleichen.
Und obwohl Lars Castellucci heute sagt, dass er schon lange keine Zeit mehr für Chorarbeit und Orgelspiel hat, bleibt es für ihn ganz klar:
Ich bin aufgewachsen in der evangelischen Kirche und komm gar nicht umhin, mich da zugehörig zu fühlen. Immer wenn n Posaunenchor loslegt, dann weiß ich, wo ich dazu gehöre – und das ist ja auch ein schönes Gefühl
Wie gut, wenn jemand weiß, wo er herkommt – und das bis heute wertschätzen kann. Als religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ist Lars Castellucci jedoch frei von einer Nostalgie-Haltung den Kirchen gegenüber.
Bei Themen, die jetzt auch schwierig sind, lsao, wenn ich der Auffassung bin, da hat man die Zeichen der Zeit nicht erkannt, dann äußere ich das auch gegenüber den Kirchen.
Castellucci ist es ein Anliegen, dass die Kirchen am Puls der Zeit bleiben. Er will die interreligiöse Arbeit stärken. Für eine starke Suizidprävention setzt er sich genauso ein wie für gut geregelte Migration.
Und ganz wichtig ist ihm in allem der Zusammenhalt in unserem Land. Dazu sieht er auch die Religionsgemeinschaften verpflichtet.
Vielleicht fällt das Wort „Zusammenhalt“ auch deshalb so oft in unserem Gespräch, weil Johannes Rau sein Vorbild ist. In Castelluccis Augen einer, der genauso sozial, demokratisch und evangelisch war wie er selbst.
Als ich dreizehn war, hat er kandidiert als Bundeskanzler. Ich hab ihn dann beobachtet als einen Menschen, der versucht, zusammen zu führen: Versöhnen statt spalten - und so etwas - vielleicht ist es altmodisch - Väterliches - das tut ja Menschen auch gut.
Ja, da stimme ich zu: Wir haben in unserm Land zumindest gefühlt ein großes Gegeneinander. Ich nehme es Lars Castellucci ab, dass er den Zusammenhalt im Blick hat und nicht nur die Interessen einzelner oder gar seine eigenen.
Teil 2: was ihn prägt und wo er hin will
Lars Castellucci ist seit zehn Jahren Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Neckar Kreis. Zum Profil des smarten 49jährigen gehört auch seine kirchliche Prägung.
Bei meinem Namen denken manche einfach mal schnell: Das müsste eigentlich katholisch sein und sag ich: Nee, ich bin fürchterlich protestantisch und dann da fürchterlich evangelisch und was ich damit meine ist, dass ich damit schon ein bisschendiese Regelbasiertheit, also Regeln zu haben und die auch einzuhalten – das ist mir wichtig und das versuche ich im Deutschen Bundestag auch stark zu machen.
Evangelisch und deshalb von Regeln geprägt. - Mir fällt als erstes ja immer die „evangelische Freiheit“ ein. Doch wenn ich mit Lars Castellucci weiter über Migrationspolitik spreche, wird mir klar: Freiheit und Menschenliebe sind dafür zu wenig. Ein so komplexes Feld braucht klare Regeln.
Ich glaube an die Möglichkeit guter Regeln, dass das nicht mit so viel Leid verbunden sein muss, dass da nicht immer Menschen sterben müssen, dass wir das schaffen können Regeln aufzustellen, die für alle gut sind. Also eine ganz starke Hoffnung auf die Möglichkeit guter Lösungen -
und dabei Migranten nicht zuerst als ein „Problem“ zu sehen, sondern als Menschen mit Rechten – darin zeigt sich in meinen Augen, dass christliche Werte eine politische Haltung prägen können. Lars Castellucci:
Indem man sich für ne gute Sache einsetzt, hat man immer auch ne Hoffnung dabei, dass sie dann auch gelingen kann – das glaube ich zeichnet uns Christen und Christinnen aus – nicht exklusiv – aber es sollte uns auszeichnen.
Die Hoffnung, dass es auch im politischen Handeln „gut“ ausgehen kann, ist selten geworden in unseren Tagen. Viel stärker hat sich eine Skepsis breit gemacht, was „die da oben“ wohl noch alles verzapfen.
Es beeindruckt mich, wie Lars Castellucci – ganz ohne „die da oben-Haltung“ - Werte vertritt – und dabei menschennah und pragmatisch bleibt.
Für ihn müssen sich Hoffnung und politisches Handwerk finden. Nur so kann es angemessen in die Zukunft gehen. Und das gilt genauso für die Zukunft der Kirchen. Um die ist Lars Castellucci – trotz der Schrumpfkur, die sie gerade durchmachen - übrigens gar nicht bange:
Da wird man sich von Gebäuden trennen. Aber wir sollen unser Herz ja gerade nicht an die Dinge hängen, die aufgehäuft worden sind. Sondern sollten frei sein, das was uns ausmacht als Christenmenschen auch spüren zu lassen. Und das geht nicht, wenn Gremien nur damit beschäftigt sind, wo es gerade wieder reinregnet…
Statt Fixierung auf Löcher in Dächern oder Kassen braucht es eine Besinnung auf den Kern der Aufgaben.
Da sein, wo es Not tut – die Wunden der Menschen heilen, Nähe, Wärme, Begegnung ermöglichen – das ist das Zentrum. Und das ist auch weiter möglich. Da bin ich ganz davon überzeugt.
Und da bin ich ganz bei Lars Castellucci.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38346
Ich treffe die beiden in einem lauschigen Eckchen des Schöpfungsgartens, den Verena und Marcus Berres hinter der Martinsbasilika in Bingen am Rhein angelegt haben. Er ist Gärtnermeister und sie Gartenbautechnikerin und zusammen haben sie ein kleines Paradies geschaffen. Mitten in der Stadt. Insekten schwirren herum. Eine Amsel sucht nach Würmern und unter einem Strauch wuselt eine Spitzmaus.
Früher war hier eine Freifläche, die zwar der Kirchengemeinde gehörte, den Stadtbewohnern aber eher als Hundeklo diente. Bis sie vor über zehn Jahren eingezäunt und mit einer Hecke umgeben wurde.
VB: Und dann schlummerte sie aber die vielen Jahre vor sich hin. Und vor drei Jahren dachten wir uns, als wir in diesen Garten kamen: Das ist so ein schöner Fleck Erde, hier können wir mehr draus machen… und hatten die Idee, dass wir hier einen artenreichen Garten anlegen, der aus ganz vielen verschiedenen Bereichen besteht.
Denn das erklärte Ziel der beiden war es, einer großen Vielfalt an Leben Platz zu bieten.
VB: Wir haben verschiedene Insektenhotels, in denen sehr viele verschiedene Insekten wohnen. Wir haben diese Wiese, haben ein paar Obstbäume drauf gepflanzt. Wir haben verschiedene Wildsträucher, die den Insekten im Frühjahr und den Vögeln im Herbst Nahrung bieten. Wir haben einen Sandweg für bodenbewohnende Insekten, eine Trockenmauer, haben auch Totholzhaufen in dem Garten verteilt, die auch wieder verschiedenen Insekten Unterschlupf bieten. Also eine richtig große Menge von Kleinstbiotopen.
Dahinter, erklärt mir Marcus Berres, steht aber noch eine größere Idee, die sie den Besuchern gerne mit auf den Weg geben möchten.
MB: Hier ist ja eine Insel entstanden mit vielen Arten. Und unsere Idee oder unser Wunsch ist jetzt natürlich auch, dass viele Leute, die einen kleinen Garten haben, von mir aus nur zwei Quadratmeter vor der Tür haben, an der Straße oder den Balkon, die eine Terrasse haben, das zu Hause gestalten. Dass in der Stadt verteilt viele kleine Inseln entstehen, wo die Tiere, die Vögel, die Käfer von Insel zu Insel sich hinbewegen können. Und dann entsteht so ein Netz in der Stadt, dass immer wieder ein Anlaufpunkt da ist für die Tiere.
Und zwar mit ganz einfachen Möglichkeiten. Denn jeder kann zuhause selbst mitmachen und Platz schaffen für möglichst viel Leben.
VB: Wenn ich sehr wenig Platz habe, würde ich immer als erstes mit Wasser beginnen. Ob es eine Vogeltränke ist oder ein kleiner Teich, man kann auch einen Kübel irgendwo hinsetzen. Mancher sagt, ich habe hier keine Lust auf Pflege. Okay, dann stellt man ein Insektenhotel hin oder einen Nistkasten. Wer sich gerne intensiver damit beschäftigen möchte, setzt Pflanzen oder pflanzt Sträucher.
MB: Organisches schaffen, lebendig oder tot. Egal. Einfach ein Totholzhaufen in die Ecke legen für Käfer. So viel wie möglich begrünen, dass die Stadt kühl wird, dass da Verdunstung ist, das wäre das Wichtigste. Weg mit dem Beton.
Und sogar das vermeintliche Unkraut am Gehwegrand kann da helfen, erklären mir die beiden. Wenn ich es nicht sofort rausreiße, sondern einfach mal stehen lasse.
Was so ein Garten uns über die Schöpfung erzählt und was er mit uns Menschen macht, dazu gleich mehr.
Teil 2
Ich treffe Verena und Marcus Berres im Schöpfungsgarten hinter der Basilika in Bingen, den sie gemeinsam angelegt haben. Im April erst wurde ihr Projekt mit dem Umweltpreis des Bistums Mainz ausgezeichnet. Und da wir schon vom Unkraut auf dem Gehweg sprachen. Gibt’s das denn überhaupt? Unkraut?
MB: Aus Sicht von Menschen? Ja, da gibt es Unkraut aber eigentlich gibt es kein Unkraut, wir machen Wildkräuter oder Kräuter, die da so wachsen zum Unkraut. Und das kommt ja auch erst dann in Massen, wenn wir die Flächen verändern. Wenn ich ein Blumenbeet grabe und habe eine ganz saubere Fläche, dann kommen natürlich zuerst die Unkräuter und vermehren sich wie verrückt. Das würde in der freien Wiese nie passieren, dass sich so eine Art wie verrückt aussät.
Damit aber genau das nicht passiert, kann man auch hier, in diesem kleinen Schöpfungsgarten, nicht einfach alles so wachsen lassen, wie es will. Denn es gibt invasive, also eingeschleppte Pflanzen.
VB: Wenn natürlich eine invasive Art in einen wilden Garten Einzug hält, dann holen wir die raus. Das haben wir letztes Jahr auch gemacht, denn sonst wäre das ja alles überwuchert von einer Art. Und dann sage ich nicht, das ist Gottes Schöpfung, die lasse ich jetzt stehen, sondern dann ziehe ich die raus.
Wenn ich nun diesen Schöpfungsgarten besuche. Was finde ich da und was erzählt mir so ein Garten vielleicht auch über die Schöpfung?
MB: Tolle Blüten, viele Blumen, Insekten, kleine Nager, Vögel. Man wundert sich dann immer wieder. Also ich bin, weil wir eben auch über Schöpfung sprachen, immer wieder fasziniert, wie brillant manche Blüte ist. Wie das alles so durchdacht ist.
VB: Wenn man sich mal die Zeit nimmt und die Muße, so einen Blütenstand anzuschauen, dann braucht man gar keine Worte drum machen, dann versteht man, was Schöpfung ist. Man könnte sich fragen, was hat der Schöpfer sich dabei gedacht? Ich denke manchmal, er hat vielleicht einfach nur Spaß gehabt dran. Das macht einen richtig glücklich, wenn man es anschaut.
Dass dieser Schöpfungsgarten ein echtes Herzensprojekt der beiden ist, das spürt man sofort. Und auch mir geht das Herz auf, wenn ich diesen Garten voller Leben auf mich wirken lasse. Markus Berres bringt es auf den Punkt.
MB: Für mich ist da, da ist irgendwas und das finde ich einfach toll. Der Garten, der macht ja was mit uns. Wir betreten den Garten nicht mit unseren Füßen. Man kann den auch mit dem Herzen betreten. wenn ich in den Garten gehe, da fahre ich einfach runter. Ich bin total entspannt, freue mich und es ist wunderschön.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38260
Martina Steinbrecher trifft Pfarrerin Ulrike Bruinings, die mit einer Schäferwagenkirche durch ihr Gemeindegebiet im Hochschwarzwald tourt.
Sie ist ein echter Hingucker: Leuchtend rote Fensterläden. Auf dem Dach ein kleiner Glockenturm. Schmuck sieht sie aus, die Schäferwagenkirche der Evangelischen Kirchengemeinde Hinterzarten im Schwarzwald. Pfarrerin Ulrike Bruinings, die das Modell zusammen mit dem Kirchengemeinderat entworfen hat, gerät ziemlich ins Schwärmen:
Vielleicht bin ich da jetzt auch so ein bisschen parteiisch, aber ich finde, sie ist schon sehr schön. Also ich würde jetzt fast sagen, eine der schönsten Schäferwagenkirchen in Deutschland. Sie ist einfach wunderschön, aus Holz gefertigt und von der Inneneinrichtung. Und sie ist halt massiv. Die trotzt auch hier dem Wetter. Das ist alles gut. Und sie ist wertig gebaut.
Die zwei Tonnen schwere fahrbare Kapelle thront auf einem Doppelachser-Anhänger und kann von einem Bus mit maximal 80 km/h überall hingezogen werden. Von der Wirkung des Gefährts, das nach drei Jahren Planungs- und Bauzeit seit Mai vor ihrem Pfarrhaus steht, ist Ulrike Bruinings selbst ein bisschen überrascht:
Das ist irre, was das für eine Wirkung hat. Also da bleiben so viele Leute stehen, die hier unterwegs sind im Dorf, die laufen da drumherum und fotografieren das, die sind irgendwie neugierig und begeistert auch von der Idee, wo ich schon das Gefühl habe, die predigt auf ihre Art selber.
Dabei ist das schmucke Gefährt eigentlich nicht mehr als ein aufwändig gestalteter Materialwagen: 20 Bierbänke, ein Altar und ein Stehpult, eine Beschallungsanlage und anderes Equipment passen hinein. Und die Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert den notwendigen Strom für Gottesdienste im Freien, auf dem Feldberg oder am Titisee.
Kirche kann kommen, wenn uns jemand einlädt, bei jemand auf dem Hof oder im Garten. Oder so Feiern. Wir sind einfach mobil und können Gottesdienste hinbringen, wo ein Auto und dieser Anhänger hinkommen.
Das evangelische Gemeindegebiet im Hochschwarzwald ist groß und weitläufig; die Mitglieder leben verstreut über Breitnau, Feldberg und Titisee. Aber wie in den städtischen Ballungsräumen müssen auch sie überlegen, wie viele Gebäude sie in Zukunft noch finanzieren und unterhalten können. Das Gemeindehaus in Falkau stand schon vor dem Amtsantritt von Ulrike Bruinings als Pfarrerin zur Disposition.
Eine meiner ersten Amtshandlungen war im März 2020 zum Notar zu gehen und unser Gemeindezentrum zu verkaufen.
Und dann haben wir zusammen überlegt, wie wollen wir denn eigentlich Gemeinde sein. Und dann meinte eine Kirchengemeinderätin in so einer stillen Schreibdiskussion: Vielleicht brauchen wir einen Bus und hat da so einen Bus dahingemalt.
Vom Bus zur Schäferwagenkirche: Kirche wird mobil, macht sich auf neue Wege. Für mich ein gelungenes Beispiel, wie aus einem erzwungenen Abschied etwas Neues entstehen kann, das nicht nur Abschiedsschmerz verursacht, sondern auch neue Motivation schafft und neuen Auftrieb gibt. Im verkauften Gemeindezentrum wohnt nun ein junges Paar aus der Gegend, die Schäferwagenkirche ist unterwegs auf Straßen und Plätzen, die nie zuvor eine Kirche gesehen haben.
Seit drei Monaten bringt Pfarrerin Ulrike Bruinings die mobile Schäferwagenkirche der Gemeinde Hinterzarten im Hochschwarzwald zum Einsatz. Das KFZ-Kennzeichen gibt zugleich eine Bibelstelle aus dem Neuen Testament wieder und ist damit auch Programm:
Da steht eben Johannes zehn Vers 14. Also Freiburg JO 10,14 haben wir da drauf. Christus sagt: Ich bin der gute Hirte und kenne die meinen und die Meinen kennen mich. Die Kirchengemeinderäte übernehmen da natürlich auch ein besonderes Amt, ich als Pfarrerin auch. Aber gleichzeitig ist es gut, immer wieder auch zu wissen, ich bin auch eins von den Schafen, die sich von anderen auch Führung und gute Worte und sowas sagen lassen. Dass wir da einander auch Hirten sein müssen oder Hirtinnen. Dieses Wechselbild finde ich wiederum auch ein schönes Gemeindebild.
Obwohl auf den Schwarzwaldhöhen viel mehr Kühe als Schafe weiden, hat man sich bewusst für einen Schäferwagen entschieden. Ulrike Bruinings meint, dass die Bilder von Gott als einem guten Hirten eine ursprüngliche Kraft besitzen. Sie ruft Bilder aus dem 23. Psalm auf: Führung durch Durststrecken des Lebens, Erschließung von Lebensquellen, umfassendes Behütetsein. Aber die mobile Kirche knüpft nicht nur an biblische Landschaftsbilder an, sondern öffnet auch neue Denk- und Erlebnisräume.
Da merke ich auch, dass mich die Schäferwagenkirche selber beeindruckt, weil sie mich auch überrascht. Ja, also, wir hatten die Idee, und wir haben das jetzt einfach gemacht, und damit aber auch etwas in die Welt gesetzt, das uns wieder auch was Neues zeigt. Das finde ich auch schön daran. Die bringt schon irgendwie auch einen eigenen Raum Gottes mit, hab ich so das Gefühl, und gibt Menschen wie ein open space, um da über Kirche nachzudenken. Oder Kirche schön zu finden und mit Kirche auf den Weg zu gehen.
Heute Vormittag ist die Schäferwagenkirche auf dem Feldberg im Einsatz, und ein großes Tauffest am Titisee hat sie auch schon erlebt. Und was, wenn schon bald der lange Schwarzwaldwinter vor der Tür steht und die Welt für fünf Monate im Winterschlaf versinkt? Muss die Schäferwagenkirche dann ins Winterquartier? Nein, im Gegenteil. Auch wenn Ulrike Bruinings noch nicht genau weiß, wie und was, eins ist klar: Die Schäferwagenkirche hat jede Menge Potential:
Eigentlich hätte ich die gerne in der Ravennaschlucht beim großen Weihnachtsmarkt, auf dem Weg, wo die Leute immer vom Bus dann zum Eingang von dem Weihnachtsmarkt laufen. Da würde ich gern die Schäferwagenkirche hinstellen und irgendwie eine Segensstation machen. Oder Gebetsstation. Oder ich bin da zwei Stunden am Tag da und segne Leute, wenn sie das wollen. Spreche mit denen …
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38299
Christopher Hoffmann trifft: den Musiker Malik Harris
Malik Harris trat 2022 für Deutschland beim „Eurovision Song Contest“ an.Wie so oft in den vergangenen Jahren war es am Ende der letzte Platz. Umso mehr beeindruckt mich, dass der 25-Jährige Sänger heute trotzdem versöhnt auf den ESC blicken kann und ihn sogar einen „Segen“ nennt, denn danach ging seine Karriere erst so richtig los:
Klar, im ersten Moment war ich dann schon enttäuscht, als die Ergebnisse reinkamen, aber wahnsinnig schnell hab ich dann festgestellt, dass ich unfassbar viel Feedback aus aller Welt bekommen hab und dass ich festgestellt hab: Ok, die meisten Leute schauen sich hauptsächlich so den ersten, den zweiten, den dritten Platz an und dann natürlich den letzten Platz, weil sie sagen: Ah, wer wurde denn hier letzter? Schauen wir mal: Null Punkte! Gucken wir uns mal an, was das Peinliches war. Und dann eben auf meine Performance gestoßen sind und sich anscheinend irgendwie alle dachten: hey Moment mal, ich finds eigentlich ganz cool!
Seine Single „Rockstars“ hat inzwischen Goldstatus erreicht. In diesem September startet er seine erste eigene Tour, die vielerorts jetzt schon ausverkauft ist. Malik ist Sohn eines schwarzen amerikanischen Vaters und einer weißen deutschen Mutter- immer wieder handeln seine Lieder auch von Rassismus, weil ihn das umtreibt:
Es wird ein unbewaffneter Mann der aussieht wie ich oder mein Dad oder mein Bruder oder mein Opi erschossen, einfach nur weil er aussieht, wie er aussieht oder ist, wie er ist und dann immer meistens das gleiche Prozedere: es gibt einen Aufschrei und alle regen sich auf und dann geht man kurz auf die Straße und dann verpufft es so langsam wieder, nichts ändert sich- bis es wieder passiert.
Der Tod von George Floyd 2020 ist für Malik ein absoluter Tiefpunkt, aber diesmal ändert sich doch etwas: Weltweit schließen sich immer mehr Menschen der „Black Live Matter“- Bewegung an…
Und das hat mir so viel Hoffnung wieder gegeben und mir auch gezeigt: gerade in den dunkelsten Momenten ist es dann wichtig die Hoffnung nicht aufzugeben und dranzubleiben und hab gemerkt: ok jetzt will ich auch meinen Teil beitragen.
Er schreibt den Song „Faith“ – Glaube - und spielt darin immer wieder auf Reden des Baptistenpredigers und Bürgerrechtlers Martin Luther King an. Malik erzählt mir, dass er eine ganz persönliche Verbindung zu ihm hat: Seine Großeltern demonstrierten in den 1960er Jahren in Boston an der US-Ostküste Seite an Seite mit King:
In deren Kirche, in der meine Großeltern immer gebetet haben, war auch Martin Luther King, der dort Reden gehalten hat. Das war ja oft so, dass diese Bewegungen dann aus der Kirche herausgingen. Man hat sich dort versammelt, Predigten gehalten und ist dann gemeinsam aus der Kirche hinaus auf die Straße gegangen und da waren sie eben dabei.
Malik sieht es als seine Aufgabe an, diese Botschaft auch heute weiterzutragen. In seinem Musikvideo zu „Faith“ baut er Kings Satz ein: „We will be able to stand up for freedom together“ : wir können zusammen für Freiheit eintreten:
Ich finde es immer ganz wichtig zu betonen, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht: kann es nie einen wirklichen Wandel geben, wenn die Leute, die vom Status quo profitieren, nicht auch mitmachen- dass heißt: „together“ heißt in dem Fall nicht nur die, die betroffen sind, sondern auch die, die es eigentlich überhaupt nicht jucken müsste – auch die müssen mitmachen, auch die brauchen wir! Das heißt im Thema Feminismus brauchen wir auch die Männer und im Thema Rassismus brauchen wir auch die weißen Menschen, die eigentlich noch nie Rassismus erfahren haben.
Außerdem ist Maliks Großvater der erste Schwarze Mensch, der als Opernsänger vor einem Papst in der Sixtinischen Kapelle gesungen hat- also direkt unter dem berühmten Bild von Michelangelo: der Erschaffung des Menschen. Das erinnert mich in unserem Gespräch an den bekannten Satz: „that all men are created equal“ -dass alle Menschen von Gott mit gleicher Würde geschaffen wurden. Auch für Malik Harris einer der stärksten Sätze?
Oh Gänsehaut! Ja! Auf jeden Fall! Ne Zeile oder ein Satz, der nicht oft genug wiederholt werden kann und den man nicht stark genug betonen kann.
Auch noch genau 60 Jahre, nachdem Martin Luther King ihn im August 1963 beim Marsch auf Washington ausgesprochen hat.
Ich treffe Malik Harris auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni in Nürnberg. Der Musiker gibt hier ein großes Konzert und hat auch einen Song im Gepäck, der perfekt zum Motto des Kirchentages, „Jetzt ist die Zeit“, passt:
„Time for wonder“, also die Zeit, dass jetzt die Zeit ist um eben für Wunder zu sorgen, dass wir jetzt diese Zeit nutzen müssen, dranbleiben müssen und dass wir uns hinstellen und sagen: jetzt ist die Zeit und jetzt tun wir was und sorgen für einen wirklichen Wandel.
Gesellschaftlichen Wandel bei den Themen Rassismus oder Gewalt an Frauen. Und Wandel in der Klimakrise. Für Malik ist Engagement keine Eintagsfliege. Seit Tag eins des Krieges in der Ukraine engagiert er sich für die Menschen dort, etwa mit Benefizkonzerten. In seinem Song „Dreamer“ geht es zum Beispiel um Gewalt an Frauen, auch das ein Thema, das ihn beschäftigt:
Auch was die Frauenrechtsbewegung im Iran betrifft, da hört man glaub ich gar nichts mehr und -Freunde - das passiert immer noch. Auch wenn es anstrengend ist, weil wir eben in so einer schnelllebigen Zeit leben und wir gefühlt am Tag mehr Informationen konsumieren als Menschen vor hundert Jahren in einem Jahr, ist es trotzdem wichtig, dass wir unser Bestes tun um diesen Themen noch weiterhin eine Plattform zu geben, und unsere Aufmerksamkeit dahin zu lenken und das auch zu teilen.
Abstumpfen, einigeln, das ist für den Sänger, für den Empathie und Gerechtigkeit zwei ganz wichtige Werte sind, keine Option. Mit der Institution Kirche hatte Malik in seinem Leben bislang wenig Berührungspunkte – dennoch bezeichnet er sich als spirituellen Menschen, der auch glaubt, dass es da noch etwas Größeres gibt:
Ich bin auf jeden Fall gläubig auf meine Art, gerade eben was die Dankbarkeit betrifft- eben dieses Anerkennen der Dinge, die nicht selbstverständlich sind. Gerade, dass die Bedingungen so sind wie sie sind und dass man so ist wie man selbst, das lässt sich nicht erklären und ich finde genau dann, wenn man an einen Punkt kommt, wo man die Dinge nicht erklären kann, macht das Spirituelle immer Sinn und auch ich dreh mich dann hin zu dieser spirituellen Seite und sag dann einfach „Danke“ dahin.
Und „Danke“ sagen will er mit seinem aktuellen Song „UP“ auch seiner Mutter. Alleinerziehend und mit mehreren Jobs hat sie Malik und seine beiden Geschwister durchgebracht und so erzogen, dass er von den finanziellen Schwierigkeiten kaum etwas gemerkt hat:
Und deswegen hatte ich das Gefühl: ich muss einfach mal einen Song für sie schreiben und das einfach mal so sagen. Das macht man oft ja nicht so im Alltag, dass man auch mal den Eltern oder grundsätzlich den Menschen, die einem wichtig sind, sagt: Danke für alles!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38269
Wolf-Dieter Steinmann trifft Sabine Goetz, Sängerin und Gesangspädagogin in Mannheim.
Stimme haben, mögen und üben
Sie hat was, was fast alle haben: Stimme. Eine schöne, finde ich. Aber sie hat vielen von uns etwas voraus. Viele fremdeln mit der eigenen Stimme. Sabine Goetz mag ihre. Vielleicht, weil sie sie nicht mehr bewertet. Sie arbeitet mit ihr. Als Sängerin ist die Stimme Instrument und Werkzeug.
Wenn ich mich gut fühle in meinem Körper, genug Luft habe, die Stimme gut anspricht und nicht äääh oder so was macht, dann bin ich oK. mit meiner Stimme. Und wenn ich das mal nicht bin, dann habe ich gelernt, das zu akzeptieren als Momentaufnahme, die sich wieder zum Besseren hin verändern lässt, entweder durch Abwarten, Gesundwerden oder durch Üben.
Klingt fast wie bei Sportlern. Und so meint sie es auch. Ohne Übung springt man vielleicht 3, 4 Meter weit. Was möglich ist, entdeckt man, wenn man trainiert.
Die Stimme, die ihr habt, ist nicht so wie sie ist. Und wenn ihr die nicht mögt, so wie sie ist, dann verändert was daran, weil das ist ziemlich gut und ziemlich schnell machbar.
Und dann lässt sie mich teilhaben an ihrem Stimmaufwärmprogramm. Eine Minute von so etwas reicht.
mmmmm (singt)
Sabine Goetz macht klar: Sie ist nicht als Sängerin vom Himmel gefallen. Die Möglichkeiten ihrer Stimme und die Liebe zu ihr sind gewachsen. Übers Chorsingen an der Schule in Bingen. Dann hat ihre Lehrerin sie ermutigt zum Solo-Vorsingen.
Da hat zum ersten Mal jemand für mich Klavier gespielt und nur meine Stimme mit dieser Klavierbegleitung waren in diesem Raum. Das war ne wunderbare Erfahrung und ich hatte auch keine Angst.
Ich verstehe sie so: Auch wenn man nicht zum großen Sprechen oder Singen begabt ist. Die Stimme entdecken als Ausdruckswerkzeug, ihr mehr zutrauen. Das sollten wir. Eine Idee von ihr dahin: per Selfie-Video am Morgen die Stimme begrüßen.
‘Guten Morgen, wie war denn die Nacht. Naja geht so. Ich bin eigentlich noch total müde und fühlt sich noch kratzig an.‘ Einfach machen und am nächsten Tag aber wieder machen und nochmal machen. Und dann auch noch mal anhören: ‚aha, die Stimme ist im Wandel.‘
Immer wieder dieses Zusammenspiel üben: Aus Stimmbändern, Kehle, Zunge und so vielem mehr. Und wie verschieden man klingen kann.
Was hat das mit der Atmung zu ,tun, was hat das mit der Körperhaltung zu tun? Wie betrachte ich Sprache? Am Anfang von ‚Sonne‘ steht ein stimmhaftes „S“. Diesen kleinen Konsonanten mal auszukosten und sich dem zu widmen: ‚Sonne, Sahne, süß‘.
Ja, denke ich, singen wie sie, ist nur wenigen gegeben. Aber es ist ein Segen, dass wir Mensch werden können, wenn wir Gaben entwickeln, auch die Stimme.
Ich denke, der Mensch kommt beschenkt auf die Welt. Ob man das Gottesgeschenk nennt oder Schicksalsgeschenk. Es ist auf jeden Fall ein Geschenk.
Sabine Goetz ist Sängerin. Besonders Mozart liebt sie. Und sie überrascht mich: Ich hätte gedacht, das Schönste sei, singen vor vielen Menschen. Ja, sagt sie, das ist auch ein unfassbar starker Antrieb. Und es war schrecklich in der Pandemie, das nicht zu dürfen. Noch erfüllender als öffentlich zu singen, ist für Sabine Goetz das gemeinsame Singen.
Ich würde aber sagen, dass für mich das halb öffentliche Singen noch kostbarer ist, nämlich Probenarbeit. Die anderen sind schon bei mir, die Kollegen, das Orchester. Wir unterbrechen auch, wenn wir was noch schöner machen wollen.
‚Diva sein‘, ne, ich glaube, das braucht sie nicht. Dazu passt auch, wie sie damit umgeht, wenn sie mit einem Auftritt unzufrieden ist.
Und es ist auch wieder so eine pragmatische Haltung, die ich entwickelt habe. Es hilft mir ja nichts, wenn ich’s schlecht finde. Es wird ja davon nicht besser.
So klug: Unperfektes akzeptieren und neu üben, schafft Perspektive. - Sabine Goetz singt besonders gern Mozart. ZB. das ‚Er ist Mensch geworden‘ aus der großen c-Moll Messe.
Man muss viel Kraft haben – das Orchester ist nicht so klein – aber auch sehr feine Töne singen können. in der Vorbereitung auf eine Aufführung mit diesem Stück, da wächst die Stimme auch jedes Mal ein bisschen über sich hinaus.
Auch inhaltlich bedeutet ihr die Arie viel: Da wird Jesus gelobt und Maria. Das verbindet sie mit ihrer Oma. Die war gut katholisch und aufrecht. Trotz ihres harten Lebens in der Landwirtschaft.
Ich habe dieses Marienverständnis grade unter den Frauen als was Positives kennengelernt: ‚Die Maria das ist eine von uns. Die hat für dieses Kinde gesorgt. Naja, sie hat sich dem Willen Gottes unterworfen. Hat gesagt: ‚Mir geschehe, wie Du gesagt.‘ Maria ist ne interessante Figur.
Sie freut sich, wenn sie das mal wieder singen darf. Und ist dankbar, dass Corona ihr etwas ganz neu stark gemacht hat: Die Sehnsucht zum gemeinsamen Singen.
Zu viert, zu dritt, zu hundert, egal. Ich bin dann auch auf ne Chormesse gefahren. Obwohl, ich bin ja keine Chorleiterin. Aber ich bin inzwischen zu einer geworden. Weil ich gemerkt habe, dass die Chormusik und das Vokalensemblesingen so ein zentrales Bedürfnis in mir nähren und befriedigen. Ich biete jetzt Stimmbildung im Vokalensemble an. Das hat mir die Pandemie eigentlich gebracht und geschenkt.
Und an diesem Guten will sie uns teilhaben lassen: ‚Entdecke, dass Du eine Stimme hast. Mach es zu Deinem Projekt. Such Möglichkeiten, zu singen.‘
Und wenn das Glücksgefühl nicht sofort kommt?
Haben Sie Geduld. Gehen Sie nicht nur in eine Chorprobe. Und wenn da die Nachbarin doof ist, hören sie nicht auf zu singen. Machen Sie es immer wieder.
Eins muss ich von Sabine Goetz noch wissen: Gibt es Popsongs, bei denen sie gern mit auftreten würde? Ja, mit Freddie Mercury, wenn das noch ginge. Oder:
Mit John Miles würde ich singen: ‚music was my first love.‘ ja. Oder: mit den Weather Girls : ‚it’s raining men‘.
---------------------------------
Sabine Goetz in der c-Moll Messe hören wollen und downloaden
Mehr von und über Sabine Goetz
https://www.sabine-goetz-sopran.de/
Gesangssommerkurs 2023
https://www.sabine-goetz-sopran.de/sommerkurs-l-escala-canta/
------------------------------------------------------------
Große Messe in C-Moll KV 427
Live-Mitschnitt vom Sonntag, 7. Mai 2023 aus der Klosterkirche in Weißenau
Konzertchor Oberschwaben, Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben
Sabine Goetz, Sopran
Leitung: Gregor Simon

Caroline Haro-Gnändinger trifft Andreas Groll, Leiter der ökumenischen Notfallseelsorge Stuttgart
Wir treffen uns, weil er in seiner Familie etwas erlebt, was mich hellhörig macht. Seine Mutter, Marie José, hat schon relativ früh Demenz bekommen. Die Krankheit betrifft fast zwei Millionen Menschen in Deutschland, Tendenz steigend. Und bei jedem sieht sie etwas anders aus. Ich will mit ihm darüber sprechen, wie er damit umgeht. Aber fangen wir vorne an: Wie das Ganze damals begonnen hat, das kann er nicht vergessen:
Es hat so angefangen, dass die Mama auf einmal nicht mehr so genau wusste, wie man die Waschmaschine bedient oder wie man die Salatsoße mischt. In dieser Zeit waren sie im Entwicklungsdienst in Haiti und mein Bruder war auch dabei, der hat gemerkt, da stimmt was nicht.
Damals ist Marie José Groll erst Ende 60, sie arbeitet mit ihrem Mann und dem Bruder von Andreas Groll weit weg, eben in der Karibik auf der Insel Haiti in einem Hilfsprojekt. Als es schlimmer wird, zieht sie für ein halbes Jahr zu Andreas Groll und seiner Familie nach Stuttgart und sie wird lange untersucht. Am Ende bekommt sie die Diagnose Alzheimer – eine Form von Demenz.
Meine Mama ist auch katholische Theologin, war Lehrerin, eine ganz intelligente Frau, hat auch ein großes Netzwerk gehabt. Es war für sie eine schlimme Situation, das zu realisieren, dass sie dement wird. Dann hat sie richtige Depressionen bekommen und hat viel geweint. Irgendwann mal hat sie es aber dann angenommen, beziehungsweise hat es nicht mehr gemerkt, irgendwann vergisst man das ja dann.
Die Depressionen vergehen. Aber das Erinnern, das Sprechen und das Gleichgewichtsgefühl lassen auch immer mehr nach. Ich frage mich: Wie kommt man damit klar, dass jemand, der einem sehr nah steht, die eigene Mutter, vieles nicht mehr kann, viel vergisst und Raum und Zeit anders wahrnimmt. Für Marie José Grolls Familie ist es erstmal schwer. Wenn sie etwas verwechselt, dann will es oft jemand richtigstellen:
Mein Papa war am Anfang total ungeduldig mit der Mama, hat gesagt: Nein das stimmt nicht, da war nichts, da waren wir nicht oder das hast du doch gerade schon gesagt oder gemacht. Und das frustriert diese Menschen, wenn sie immer wieder damit konfrontiert werden.
Andreas Groll, seine Frau und sein Vater besuchen einen Kurs für Angehörige. Und lernen, dass es Menschen mit Demenz besser geht, wenn man sich auf ihre Wahrnehmung einlässt. Und nicht widerspricht. Das bringt sie weniger durcheinander. Und es geht im Kurs auch darum, welche Phasen von Demenz es gibt:
Also, die Krankheit schreitet fort, dadurch werden die Regionen im Hirn nicht mehr so funktionsfähig und irgendwann mal auch die Motorik.
Inzwischen ist Marie José Groll 82, sie lebt wieder in der Heimat im Landkreis Calw. Sie kann nicht mehr laufen und sich nicht mehr äußern, aber Andreas Groll findet, es ist irgendwie trotzdem ein guter Kontakt da:
Wie sie früher war, das ist nicht ja mehr da. Was geblieben ist, ist: Dass sie doch irgendwie so uns das Gefühl gibt, dass es ihr gut geht in der Situation wie sie ist, dass sie ja auch noch auf ihre Art teil hat am Familienleben.
Für Andreas Groll ist es so, wie es ist. Sagt er mir. Klingt irgendwie versöhnt, finde ich. Was ist sein Rezept dafür? Er erzählt mir erstmal, dass sein Vater das meiste übernimmt:
Das ist seine ganze Lebensaufgabe, die Mama zu pflegen, für sie da zu sein, sie anzuziehen, zu waschen, da wird alles, sogar der Salat gehäckselt mit dem Mixer.
Außerdem helfen der Pflegedienst und Betreuerinnen aus dem Bekanntenkreis und auch die ganze Familie: Andreas Groll und seine Frau wohnen nicht weit weg und auch seine vier Geschwister schauen, dass sie dem Vater unter die Arme greifen:
Wenn er mal woanders hin will, zu Freunden oder Bekannten oder jemanden anders, dass man die Mama nicht allein lässt, wir sind dann so die Brücke, bis er wieder nach Hause kommt.
Ein gutes und weites Netzwerk hilft, das höre ich bei Andreas Groll heraus. Er macht sich aber natürlich auch Sorgen. Er leitet die ökumenische Notfallseelsorge in Stuttgart und bei einem Einsatz musste er zum Beispiel in die Wohnung einer dementen Frau. Für sie da sein, als deren Mann plötzlich verstorben war:
Also ich war selber noch nie so betroffen in einem Einsatz wie da, weil da gleich der Film ablief, mein Gott, wenn es jetzt bei uns so wäre, Mama würde ganz allein im Bett liegen, keiner würde es merken oder erst später.
Ich habe davor einen großen Respekt. Er und seine Kollegen kommen sicherlich immer wieder in Situationen, die auch an ihnen selbst nagen. Wenn Rettungskräfte Menschen reanimieren oder Passanten Unfälle miterleben mussten:
Dann bleiben wir dort und halten diese Situation für die Menschen aus, dass sie irgendwann mal einen Hoffnungsschimmer bekommen, dass es trotzdem mit dem Leben weitergeht.
Ein Hoffnungsschimmer für ihn im Fall seiner Eltern ist es, dass sich sein Vater rechtzeitig meldet, wenn es ihm nicht gut geht. Und was ihm überhaupt auch hilft, ist sein Glaube:
Wir haben schon viele schwere Situationen durchgelebt und auch mit der Hilfe Gottes können wir hoffen, dass es irgendwie trotzdem weitergeht.
Das spürt er zum Beispiel, wenn er das, was ihn beschäftigt, in einem Gebet ansprechen kann. Dem katholischen Diakon Andreas Groll ist dabei auch der Gottesdienst am Sonntag wichtig, besonders der Moment, in dem er das Brot, den Leib Christi teilt und empfängt.
Wenn ich also einen Knoten auf der Brust habe und ich stehe am Altar, spätestens nach der Wandlung, merke ich so richtig, wie dieser Knoten von der Brust sich löst und ich meine ganzen Sorgen in den Kelch oder in die Hostienschale legen kann und ich dem Herrgott sage: Jetzt musst du es tragen, ich kann es nicht mehr.
Das kann ich gut verstehen. Wenn ich in einer Kirche eine Kerze anzünde oder im Gottesdienst den Friedensgruß von anderen um mich herum höre, dann geht es mir auch manchmal so. Es macht die Situation leichter – nicht immer, manchmal nur für eine Weile. Die Situation bleibt schwer, aber ich glaube, Gott hält sie mit mir aus.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38131
Peter Annweiler trifft André Borsche, Plastischer Chirurg und Operateur in Krisengebieten
Teil 1: Arzt mit Herz
28 Jahre lang hat der plastische Chirurg André Borsche als Chefarzt im Diakoniekrankenhaus Bad Kreuznach gewirkt. Jetzt geht er in Ruhestand. Aber als Vorsitzender des Vereins „Interplast“ engagiert er sich weiter. Da wirkt er weltweit ehrenamtlich in Krisengebieten und Entwicklungsländern. Es sind besondere Eingriffe, wenn der Arzt mit seinem Team Menschen operiert: Opfer von Verbrennungen, Patienten nach Tretminenunfällen oder Kinder mit angeborenen Fehlbildungen:
Eine junge Familie, die sich riesig über das Kind gefreut hat – aber das Kind ist mit einer Kiefergaumenspalte geboren, eine klaffende Spalte in der Lippe – ansonsten kerngesund und munter – und sie waren ganz verzweifelt, weil sie dachten: Das ist eine Gottesstrafe– und ich sag mal aus meiner Perspektive, wie man mit relativ wenig Aufwand – ein, zwei Stunden Operation mit Lupe und feinen Fäden und Sie zaubern praktisch die Lippe wieder hin – und dann dieses Kind den Eltern in die Arme wieder geben.
Für diese Momente lebt André Borsche. Seine Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Schon 30 Jahre erfüllt ihn seine ärztliche und menschliche Mission. Vielfach wurde er dafür ausgezeichnet. Eben weil er sein Können nicht für sich behält, sondern in Afrika, Südamerika und Indien unentgeltlich hilft.
Ich denke zum Beispiel an die vielen Begegnungen mit Mutter Theresa, wo wir gesehen haben, dass eine wirklich sehr kleine, aber ganz strukturierte Frau gesagt hat: „Herr Borsche, ich freue mich, dass Sie gekommen sind – ich hab‘ sie praktisch schon erwartet (Weiß der Kuckuck woher, lacht). Ich habe zwölf Kinder für Sie vorbereitet, die Sie mir bitte in zwei Wochen gesund und munter operiert wiederbringen.- Und mir blieb nur übrig, zu sagen: „Aye, aye, Madam – Ihr Auftrag ist mein Befehl“ – und genauso hat’s geklappt Das war einfach faszinierend.
André Borsche verzichtet für seine Einsätze oft auf seinen Urlaub. Er setzt sich großem Elend und heftigem Stress aus – und kommt doch zurück als einer, der mehr empfängt als er gibt.
Das Zurückkommen zeigt mir immer wieder, wie sehr die innere Batterie jetzt positiv aufgeladen ist. Das heißt: Ich bin sicherlich erschöpft, hab‘ wenig geschlafen, bin bisschen durchgedreht, aber ich bin innerlich so, so erfüllt.
Erfüllt ist er – und nicht ausgebrannt. Das Bibelwort „Geben ist seliger als Nehmen“ fällt mir im Gespräch mit diesem fröhlichen Helfer ein. Und der bleibt womöglich besonders fröhlich, weil er nicht alles als eigene Leistung sieht.
Und natürlich passiert es durch meine Hände, aber es passiert ja letztlich auch durch ne göttliche Fügung, dass so was möglich ist. Da dürfen wir uns nicht zu viel einbilden, dass wir da die Heilsbringer sind.
Der Protestant André Borsche ist überzeugt: Er ist „Werkzeug“. Durch ihn wirkt auch ein menschenfreundlicher Gott. Und der ermöglicht, die eigenen Talente zum Wohl anderer wirken zu lassen.
Teil 2: Botschafter der Menschlichkeit
André Borsche wirkte 28 Jahre als Chefarzt für plastische Chirurgie in Bad Kreuznach. Mit seinen Operationen schenkt der gebürtige Berliner Patienten ein neues Aus-sehen und gibt ihnen damit ein neues An-sehen. Als Vorsitzender des Vereins „Interplast“ führt er weltweite Hilfseinsätze durch. Dabei hat sich sein Blick auf Deutschland sehr verändert.
Wir sind gut abgesichert in vielerlei Hinsicht und haben auf viele Dinge, auch auf Gesundheit, einen gewissen Anspruch, denken wir mal … In diesem Bewusstsein leben wir – leider (schmunzelt)
Dieser Anspruch verstellt wohl den Blick darauf, wie erfüllend es sein kann, Menschen in großer Armut zu helfen. Unentgeltlich tut der Arzt das - und staunt, wie wenig sein Wirken an politische oder religiöse Grenzen gebunden ist.
Man spricht deren Sprache nicht, aber die Augen leuchten, die Kinder lachen, man spielt mit denen und in diesem spielerischen Umfeld geschieht jedes Mal etwas ganz Besonderes, … das man nicht mit Worten fassen kann - das ist eine Lebenserfahrung, die möchte ich keinen Moment missen.
Für André Borsche kommt es zuerst auf diese bereichernde Menschlichkeit an. Sie ist für ihn im Christentum gegründet.
Ich denke an einen der ersten Einsätze in Guinea in Westafrika, wo wir sehr nett mit den Ärzten und Schwestern vor Ort in Kontakt waren – und dann war ein Junge der eben auch ne ganz schwere Verletzung im Gesicht hatte – und der in der Straße als „daneben lebender Mensch“ noch geduldet wurde. Wir waren alle dann beseelt von dieser Idee: Jetzt wollen wir auch dem, der normalerweise gar keine Chance hätte, richtig helfen, selbst wenn die sagen „Die spinnen – die haben ihren humanitären Aspekt so in den Vordergrund gestellt!“
Denen helfen, die keine Chance haben - und damit den „humanitären Aspekt“ stärken. Auch, wenn andere darüber den Kopf schütteln: Das ist eine unaufgebbare Konsequenz des christlichen Glaubens – und „eigentlich“ eine große Verpflichtung für Europa, das so stolz auf seine christlichen Wurzeln ist. André Borsche:
Ich hab auch meine große Sorge, dass im Moment unsere Gesellschaft so mit diesen ökonomischen Problemen so überlastet ist, dass wir uns in eine Denkweise hineinbegeben, wo so inhaltliche und ethische Werte zunehmend verloren gehen.
Als Arzt wusste er schon längst vor Corona, was verloren geht, wenn Krankenhäuser Geld verdienen müssen: nämlich das Ethos des Teilens und eine Nähe zu denen, die nichts haben. Das Besondere an André Borsche ist, dass er dieses Ethos lokal und global mit einer ansteckenden Fröhlichkeit lebt . Für mich ist er ein sympathischer „Weltverbesserer“: Fröhlich kann es so einfach sein, die Welt zu gestalten.
Ich versuche eben fröhliches Auftreten und mein persönliches Lebensglück mit andern Menschen zu teilen und wenn das zum Selbstläufer wird und die dann wieder andere fröhlich machen, dann hat es geklappt.
Informationen zum Verein Interplast: www.interplast-germany.de
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37900
… und mit Carla Olbrich. Ich treffe die junge Frau auf einem Acker. Sie hackt den trockenen Boden auf, wässert und bindet Tomaten hoch. Dieser Acker auf der Bundesgartenschau in Mannheim heißt „Weltacker“. Und Carla ist die Gärtnerin. Die 27-Jährige kümmert sich um eine Fläche von 2000 Quadratmetern. So groß ist ein Weltacker. Diese Zahl ist wichtig, weil darin eine Botschaft steckt.
Die 2000 Quadratmeter kommen daher zustande, indem wir die weltweite Ackerfläche durch die Anzahl der Menschen teilen. Und da, wenn wir es gerecht verteilen würden, hätte jeder 2000 Quadratmeter zur Verfügung.
Ich ahne schon, dass die Fläche nicht gerecht verteilt ist. Sonst hätte ja jeder das, was er zum Leben braucht.
Durch unseren Lebensstil verbrauchen wir dreimal so viel, wie uns eigentlich in Deutschland zur Verfügung steht. Und diese Anbauflächen fehlen natürlich wieder in anderen Ländern, wo für die örtliche Bevölkerung nichts angebaut wird, sondern unser Kaffee oder das Soja, was unsere Tiere gefüttert bekommen.
Carla führt mich über „ihren“ Acker in Mannheim und ich merke mit welcher Begeisterung und mit wieviel Wissen sie mir Zusammenhänge erklärt und mir zeigt, was sie wo angebaut hat. Alles ist auf dem Weltacker genau so bepflanzt, wie es den Anbauverhältnissen auf der Welt entspricht. Es gibt kleine Flächen, da wächst zum Beispiel Sesam, auf einer mittelgroßen blühen gerade Erdnusspflanzen; und dann ist da die ganz große Fläche.
Die Hälfte der weltweiten Ackerflächen ist mit Getreide bepflanzt. Darunter fällt Mais, Hirse, Weizen und Gerste und zum Beispiel auch der Reis.
Ich lerne noch etwas: Bis auf den Reis wird der größere Teil des Getreides an Tiere verfüttert oder man macht Treibstoff oder Energie daraus. Das hilft also nicht gegen den Hunger auf der Welt. Ich gebe zu, dass ich das in dieser Deutlichkeit bisher nicht vor Augen hatte.
Diese globalen Zusammenhänge auf ein menschliches Maß runterzubrechen, also das macht es irgendwie greifbarer und zeigt so die eigene Verantwortung auf oder zeigt auf, dass alles, was ich irgendwie esse, früher mal einen Platz irgendwo hatte.
Wie sie das meint, wird mir klar, als wir vor den sogenannten Flächenbuffets stehen. Das sind Holzkästen, ähnlich wie Hochbeete. Da werden alle Zutaten angepflanzt, die für ein bestimmtes Gericht benötigt werden.
In unserem Fall haben wir zum Beispiel Pizza Margherita und die Pizza Margherita besteht ja aus Mehl, aus dem Käse, aus der Tomatensoße und aus Olivenöl. Und all das, was in einer Pizza ist, braucht Platz auf einem Acker.
Fast eineinhalb Quadratmeter für eine einzige Pizza! Ganz schön viel, finde ich. Was ich esse, ist also wie ein Auftrag an den Landwirt. Er muss seine Flächen so bebauen, wie mein Konsum es erfordert.
Carla Olbrich ist die Gärtnerin des sogenannten Weltackers auf der Bundesgartenschau in Mannheim. Auf diesem Weltacker wird deutlich: wie ich lebe und was ich verbrauche, führt dazu, dass Nahrungsmittel auf der Welt ungerecht verteilt sind. Weil ich und die meisten in den Industrieländern zu viel Ackerfläche in Anspruch nehmen. Für Carla ist deshalb wichtig:
Die Verbindung wieder herzustellen zwischen den Produkten, die im Supermarkt liegen, und der Landwirtschaft, die irgendwie draußen vor unseren Haustüren stattfindet. Ich glaube, diese Verbindung ist sehr stark beschädigt oder gar nicht mehr vorhanden.
Carla versteht was von Landwirtschaft. Die junge Frau hat schon in vielen Betrieben gearbeitet und gerade ihr Studium „ökologische Landwirtschaft“ abgeschlossen. Im Supermarkt kauft sie nur ganz selten ein.
Ich weiß bei jedem Produkt, was da irgendwie gerade schiefläuft
Sie denkt an Gemüse aus Spanien oder Italien, riesige Gewächshäuser, enormer Wasserverbrauch und teils unwürdige Arbeitsbedingungen. Was sie sich wünschen würde wäre,
dass wir im Supermarkt nicht stehen müssen und sagen müssen: Das eine ist das Gute und das andere ist irgendwie nicht das Gute.Dinge, die irgendwie unsere Welt zerstören - warum sollten wir die noch haben?
Also kein Billig-Fleisch mehr, und Gemüse und Obst nur aus der Region und dann, wenn Saison ist.
Doch was ist mit der Tatsache, dass viele Menschen wenig Geld haben und deswegen angewiesen auf günstige Lebensmittel?
Dann müssen wir dafür sorgen, dass die genug Geld haben, um sich das zu leisten und nicht günstige Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Das Problem muss woanders gelöst werden.
Carla hat eine klare Haltung; und gleichzeitig erlebe ich sie als Realistin.
Nichtsdestotrotz darf man sich selber da nicht kaputt machen und auch nicht die ganze Verantwortung nur bei sich selber suchen und denken, ich muss 100 Prozent nachhaltig leben und dann rette ich damit die Welt.
Es braucht vor allem politische Weichenstellungen, da sind wir beide uns einig. Damit die Situation auf der Welt irgendwann vielleicht so aussieht:
Kleinbäuerlich mit viel Wertschätzung den Menschen gegenüber, die für uns Nahrungsmittel anbauen, die davon leben können, nicht ausgebeutet werden. Und eine Landwirtschaft, in der auch Tiere ihren Platz haben, in der viele Insekten ihren Platz haben, die sehr vielfältig ist, wo deutlich weniger Tierfutter angebaut wird und deutlich mehr Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte. Das ist so mein Traum.
Auch wenn dieser Zustand im Moment weit weg scheint - ich bewundere Carla, sie ist so jung und trotz allem so ansteckend optimistisch - und hackt und wässert einfach weiter. Und setzt darauf, dass wir alle zusammen verstehen, dass wir etwas ändern müssen.
Ich würde jetzt einfach mal sagen: Ja, das ist möglich. Weil, wenn ich denken würde, es wäre nicht möglich, dann wüsste ich nicht, ob ich noch weitermachen würde. Deswegen: Ja, ich will, dass es möglich ist. Und ich glaube ganz, ganz fest daran. Ja, wir schaffen das!
Link:
Informationen zum Bildungsprojekt „Weltacker“ in mehreren Städten in Deutschland:
https://www.2000m2.eu/de/
Zeige Beiträge 1 bis 10 von 1023 »