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Barbara Wurz trifft Georg Zimmer
Teil I
Wenn ich mit dem Auto auf der A96 unterwegs bin, dann mache ich gerne Halt an der Raststätte „Winterberg“, um die Autobahnkapelle zu besuchen. Vom Parkplatz aus muss ich noch ein ziemlich steiles Stück den Berg hinauf. Aber es lohnt sich, denn oben angekommen erwartet mich nicht nur der weiß leuchtende Rundbau der Galluskapelle, sondern auch ein grandioser Ausblick: über Leutkirch und das Schwäbische Allgäu hinüber zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Und mich dieses Mal mein Gesprächspartner, Georg Zimmer. Der hat vor etwas mehr als 25 Jahren den Bau der Kapelle initiiert. Er erzählt mir, wer die Menschen sind, die zur Galluskapelle kommen:
Das sind hauptsächlich Durchreisende, die auf dem Weg nach Süden vor allen Dingen hier Halt machen. Auf den Winterberg auf 750 Meter Höhe steigen und hier auch unter anderem die Aussicht auf die Berge genießen. Die andere Gruppe kommt aus der näheren Umgebung. Die Kapelle hat also zwei Funktionen einmal Autobahnkirche und zum anderen aber auch eine ökumenische Einrichtung in unserer Region.
Das weckt meine Neugier: Die Autobahnkapelle hat ihre Wurzeln also in der christlichen Ökumene. Georg Zimmer erzählt: Ihre Ursprünge reichen zurück bis in seine Schulzeit, als er nach dem Krieg mit seiner katholischen Familie ins evangelische Leutkirch gezogen war.
also 1950, als ich eingeschult wurde, gab es in der Grundschule in Leutkirch noch getrennte Klassen, getrennte Lehrer. (…) Das Gesangbuch hat entschieden, in welche Klasse man kommt. (...)Es gab sogar getrennte Treppenzugänge nach oben.
Und daran hatte sich kaum etwas geändert, als Georg Zimmer Ende der 70er Jahre als Stadtbaumeister nach Leutkirch zurückgekommen ist.
Ich habe dann im katholischen Kirchengemeinde, an dem ich seinerzeit angehörte, einen ökumenischen Ausschuss gegründet, weil es mir einfach ein Anliegen war, dass man hier mit dem Gesangbuch, mit dem „Gläubel“, wie wir sagen, einmal Schluss machen muss in Bezug auf die Beziehungen. (…) Aber zum Jahr 2000 hat es sich angeboten, dass wir mal etwas Richtiges miteinander machen, ein Projekt realisieren.
Und für das Projekt „Galluskapelle“ des ökumenischen Arbeitskreises war es ein Segen, dass Georg Zimmer nicht nur Architekt sondern auch beigeordneter Bürgermeister für den Bereich Bauen und Kultur in Leutkirch gewesen ist. Entstanden ist so ein einladender, heller Rundbau, der bis zu 25 Veranstaltungen jährlich beherbergt: Ausstellungen, Gottesdienste und ganz besonders hervorzuheben: Konzerte und Musik.
Also in der Kapelle kann man wunderschön singen. Wir empfehlen den Leuten immer, sich in der Mitte auf den kreisförmigen Oliven Holz Kreis zu legen und den Himmel anzusingen. (…) Also beispielsweise gibt es einen Ziehharmonika Spiele, der immer wieder kommt und hier oben Musik macht.
Was sind das für Menschen, die hier Halt machen?
Zum Beispiel hat sich gestern eine Gruppe von Pfadfindern aus Polen angemeldet, die hier auf der Reise morgens eine Messe feiern wollen. Wir haben aber auch Besucher, die beruflich unterwegs sind und die immer wieder die Gallus Kapelle besuchen, den Berg besteigen und somit ein bisschen sich vom Alltags Trubel ablenken lassen.
Es war wohl immer schon so, meint Georg Zimmer: wer einen Berg besteigt, der ist etwas befreit ist von seiner Last. Davon erzählen auch die Einträge der Besucher ins „Anliegen-Buch“, das in der Kapelle ausliegt.
Ich habe mal (…) das Anliegenbuch 2022 ausgewertet und das war ganz interessant, dass Menschen hier schreiben: Danke Gott für diesen wunderschönen Ort der Ruhe und Besinnung und all denen, die geholfen haben und jetzt immer noch helfen, dies zu ermöglichen. (…) Wir sind eben hier an einem Punkt, der vielleicht dem Himmel etwas näher ist, könnte man sagen, wenn man auf 750 Meter ist und den Ballast des Alltags unten liegen lassen kann.
Georg Zimmer ist schon lange in Rente, aber er ist bis heute Vorsitzender des Fördervereins Galluskapelle. Ihren Namen hat sie vom Heiligen Gallus, einem der drei Allgäu-Heiligen. Ihre runde Form und ihre schlichte und gleichzeitig einladende Ausstattung verdankt sie nicht zuletzt Georg Zimmer. Bis heute ist er maßgeblich dafür verantwortlich, dass hier ein Ort ist, der den Menschen auf Reisen einfach guttut. Auch solchen, die sonst wenig mit Kirche am Hut haben/Bezug haben zur Kirche
Also man sieht, es sind viele Menschen, die hier hochkommen, die vielleicht nicht unbedingt jeden Sonntag in die Kirche gehen, (...) die aber hier oben offensichtlich ein Bedürfnis haben, (…) an diesen neutralen Ort in diesem ökumenischen Ort zur Ruhe zu kommen.
Kommenden Samstag können sich Radfahrerinnen und Radfahrer um 14.30 Uhr an der Kapelle segnen lassen. Und am 13. Juli feiert die Gallus-Kapelle dann ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre die zeigen, dass sich das ökumenische Engagement gelohnt hat. Zum Schluss deshalb noch ein Zitat aus dem Anliegen-Buch. Denn es bringt auf den Punkt, was diesen Ort so lebendig macht:
Herzensdank an alle Menschen, die ihr diesen Ort geschaffen und gestaltet habt. Der Geist der Verbundenheit ist hier lebendig, jenseits von Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Religion. Uns alle verbindet weit mehr, als uns trennt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42010

Christopher Hoffmann trifft die Olympiasiegerin im Kugelstoßen Yemisi Ogunleye.
Sie hat mit ihrer Goldmedaille in Paris Sportgeschichte geschrieben – auch weil sie bei den Kommentatoren als die fröhlichste Athletin der Spiele galt. In Pressekonferenzen gab sie spontan Gospels zum Besten. Auch mich empfängt sie herzlich und bestens gelaunt und das hat für sie tatsächlich viel mit ihrem Glauben an Gott zu tun:
Das ist die Hoffnung, die mir auch so viel Freude gibt. Wenn man mich sieht, ich bin viel am Lachen, weil ich nicht gebunden bin an Druck. Weil ich einfach das verstanden hab: Da gibt es einen Gott der mich bedingungslos liebt, unabhängig davon, ob ich jetzt weit stoße oder nicht weit stoße. Und das ist ein Identitätswandel, der in mir einfach geschehen ist, zu wissen: die Grundlange von allem ist: Yemi, du bist geliebt! Du musst nicht perfekt sein. Du musst auch nicht eine Goldmedaille gewinnen, um geliebt zu sein, sondern du darfst einfach kommen wie du bist. Natürlich ist das ein hartes Stück Arbeit! Ich sag nicht man betet und dann wird man Olympiasieger, so einfach funktioniert das leider nicht. Aber das gibt eine gewisse Ruhe.
Diese Ruhe strahlt sie bei Olympia während dem Wettkampf im Stade de France auch aus. Dabei war der Start alles andere als gut. Beim ersten Versuch rutscht sie aus, und knallt auf ihr Knie – was hat sie da gedacht?
Ich lass mich davon jetzt nicht entmutigen, sondern ich steh auf und gebe jetzt gleich noch mal mehr und wenn ich dann noch mal hinfalle, habe ich nochmal einen Versuch und wenn ich dann wieder hinfalle, aber ich will der Angst keinen Raum geben und das hat sich einfach bis zum letzten Versuch so durchgezogen.
Der entscheidende sechste Versuch! Yemisi Ogunleye stößt unfassbare 20 Meter.
Und dann stand ich im Ring und es war wirklich in einem Stadion mit 80.000 Menschen – es war so unglaublich ruhig in mir, aber auch um mich herum. Gottes Gegenwart in diesem Stadion darf ich gerade so spüren beim Kugelstoßen – ich dachte immer sowas gibt’s nur in der Kirche, aber das ist auch wieder das Schöne: Gott will in allem, was wir tun, mit uns gehen.
Mit Gott zu Gold. Und dann hält die Athletin, die in Bellheim in der Pfalz aufgewachsen ist, ein Schild in die Kameras – darauf zu sehen: ein Kreuz, ein Herz und die Abkürzung John 3,16. Die steht für einen Bibelvers, der Yemisi ganz wichtig ist.
Irgendwie hatte ich das so auf dem Herzen eine Botschaft nach draußen zu senden – und was ist eine wichtigere Botschaft zu senden in den Zeiten in denen wir leben, als die Liebe - und durch meinen Glauben habe ich gelernt, dass Gott die Liebe selbst ist. Und diese Liebe hat er einfach durch Jesus Christus gezeigt und Johannes 3 Vers 16 ist so das Fundament von meinem Glauben – darauf baut sich so viel auf.
Im Johannes-Evangelium steht: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ (Joh 3,16) Eine echte Osterbotschaft! Yemisi glaubt an Auferstehung und ein ewiges Leben bei Gott:
Das wovor die Menschen am meisten Angst haben ist der Tod. Aber diese Hoffnung zu haben: da gibt es noch was danach! Und deshalb ist Ostern für mich auch so wichtig.
Und was bedeutet für Sie der Satz, dass Gott seinen Sohn hingegeben hat?
Dass das nicht nur eine veraltete Geschichte ist, sondern sich auch zu fragen: Was hat das mit meinem Leben zu tun? Er hat diesen Schmerz, den wir als Menschen erleben, erlebt, er hat Verlust erlebt, er hat Trauer erlebt, er hat Freude erlebt. Dass es nicht ein Gott ist, der da oben sitzt und keinen Anteil an uns Menschen haben möchte, sondern um uns Menschen zu verstehen und Mitgefühl haben zu können.
Ich treffe die Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye im Garten ihrer Trainerin in Mannheim. Gold im Kugelstoßen, Leichtathletin des Jahres - was für Erfolge! Aber in ihrer Kindheit erlebte Yemisi nicht immer goldene Zeiten. Die Tochter eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter hat Rassismus und Mobbing erfahren – und war alles andere als selbstbewusst. Daran wurde sie vor kurzem von einer Freundin erinnert, die zu ihr sagte:
„Yemi, du machst die kleine Yemi von damals sehr sehr stolz“ und diese Aussage hat mich so berührt –weil ich dachte: ja - ich hab als junges Mädchen immer gedacht: „Aus mir kann nichts werden.“ Ich muss immer 20% mehr geben durch meine Hautfarbe und mich immer mehr und anders beweisen müssen, auch in der Schule, das hat sich durch so viele Phasen in meinem Leben einfach durchgezogen.
Im Sport findet sie Anerkennung – aber als Jugendliche erlebt sie zweimal einen Kreuzbandriss – das wirft sie aus der Bahn. Sie fragt nach dem Sinn des Lebens – was ihr bleibenden Sinn gibt, auch unabhängig von Erfolg und Leistung:
Und da hat mir der Glaube geholfen zu fragen: „Gott wer bin ich in deinen Augen?“ und das hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin – und deshalb hab ich auch keinerlei Scheu darüber zu erzählen, weil ich einfach diese Hoffnung hab, dass diese Hoffnung, die mir mein Glaube bringt, dass es auch jemand anderem aus seiner Dunkelheit raushilft und ein Licht am Ende des Tunnels zu sehn.
Sie will niemandem etwas aufdrängen, aber von ihrer Hoffnung, die sie trägt, erzählen:
Ich glaube wir Menschen streben alle nach Erfüllung, wir streben immer nach mehr, wir streben nach etwas Höherem, wenn wir nicht an Gott glauben, glauben wir an uns selber, an dem Punkt war ich auch schon – Fakt ist aber, dass wir oftmals einfach auch versagen. Und ich glaub das ist auch das, was mir so viel Halt gibt: wir Menschen, wir haben Bedingungen, wenn ich dich liebe, erwarte ich auch Liebe zurück, aber es gibt einen Gott, der sagt: ich liebe diese Menschen bedingungslos.
Am liebsten singt sie diese Frohe Botschaft im Gospelchor ihrer Gemeinde in Karlsruhe. Denn sie hat nicht nur eine Goldmedaille, sie hat auch Gold in der Kehle. Mit ihren spontanen Gesangseinlagen im Stadion und auf der Pressekonferenz in Paris hat sie schon Millionen Herzen berührt - auch meins. Und deshalb frage ich sie, ob sie für die Hörerinnen und Hörer der Begegnungen zum Osterfest auch einen Gospel anstimmen würde – sie überlegt nicht lange:
„Weil du mir gnädig bist, hör ich nicht auf laut zu singen, wie sehr du liebst und würdig bist nur du, Jesus, und du verdienst das Lob, würdig bist nur du.“*
Quelle:*Lyrics aus dem Lied „Würdig“ von Urban Life Worship (deutscher Text: : Arne Kopfermann ) – englisches Original: „Worthy“ von Elevation Worship (Text: Chris Brown, Mack Brock, Steven Furtick).
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41973
Barbara Wurz trifft Martin Wendte
Teil I
Mit der einen Hälfte seines Dienstauftrags ist er „ganz normaler“ Gemeindepfarrer an der Ludwigsburger Friedenskirche. Mit der anderen arbeitet er hier als Citykirchenpfarrer – eine Aufgabe, die über die normalen Grenzen einer Ortskirchengemeinde hinausreichen. Für Martin Wendte ist Citykirche ausdrücklich dafür gemacht…
Die City Kirche ist ausdrücklich dafür gemacht, dass wir experimentell sind, dass wir rausgehen, neue Formate versuchen, dass wir Sachen probieren, Fehler freundlich sind, auch wieder lassen. Das machen wir im Gemeindepfarrer auch so, aber die City Kirche hat das noch mal in zugespitzter Form als einen Auftrag.
Überregional am bekanntesten sind wohl die Nachteulengottesdienste - jeden dritten Sonntag im Monat - mit professioneller Band und Predigerinnen und Predigerinnen aus ganz Deutschland. Martin Wendte geht in Ludwigsburg aber auch gerne Kaffee trinken – wie er es nennt - um Kontakte zu knüpfen und Kooperationen, zum Beispiel mit der Volkshochschule oder anderen Institutionen vor Ort.
Dann bin ich Veranstalter für ganz viele Veranstaltungen, Konzerte, Abende mit Anselm Grün, mit Paul Potts, dem Gewinner von Deutschland sucht den Superstar auf Englisch. Das heißt dann bring uns Gott Talent mit für Frieder Berlioz, der Händels Messias mit uns macht, also ganz breites Publikum. Und das will ich auch erreichen, (dass auch die Idee dabei wir haben einen Schwerpunkt auf Jazz und auf Gospel, aber die Breite von dem Ganzen, das ist das, was mich fasziniert)
Martin Wendte will möglichst vielfältige Zugangsmöglichkeiten zu Kirche anbieten, immer offen und mit einem Blick für die unterschiedlichen Interessen und Fragen der Menschen. Genauso wichtig ist ihm dabei: an den Themen der Zeit dran zu bleiben. Und da führt im Jahr 2025 – 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs – kein Weg an Dietrich Bonhoeffer vorbei. Am 9. April 1945 wurde der Widerstandkämpfer im KZ Flossenbürg ermordet. Bonhoeffer bleibt aber auch als evangelischer Theologe und Pfarrer bis heute aktuell. Besonders mit seinen Fragen an die Kirche:
Wie müssen wir eigentlich heute Kirche sein, (...) eine Gemeinschaft mit einem besonderen Charakter, wo sichtbar wird und es auch eine Wirkung hat, dass wir wirklich Christinnen und Christen sind? Also Bonhoeffer, der seinen Text geschrieben, der ist Nachfolge, er hat die Bergpredigt ausgelegt. Was heißt das eigentlich Nachfolge heute für uns als Kirche, nicht nur für uns als Einzelne, gerade von uns als Gemeinschaft?
Martin Wendte ist gemeinsam mit den Mitgliedern seines offenen Gesprächskreises „Reden über Gott und die Welt“ auf weitere Parallelen zu Bonhoeffer gestoßen: so zum Beispiel beim russischen Widerstandskämpfer Alexeij Navalni.
Ein Thema des Kreises in diesem Jahr: Dietrich Bonhoeffer, der vor 80 Jahren vom Nazi Regime ermordet wurde. War er ein „Held des Christentums“? Und gibt es noch andere christliche Helden?
Oder wir haben uns dann Helden des Christentums angeguckt, den Nawalny, diesen fantastischen Oppositionspolitiker, den Putin, der ja dann von Putin ermordet worden ist letztes Jahr. Der war von der Bergpredigt inspiriert. Es gibt wunderbare Texte von ihm, wo er sagt, wie wichtig ihm die Bergpredigt war.
Jesus sagt in der Bergpredigt der Bibel Sätze wie: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Er sagt aber auch: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“ oder „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen“ Was heißt für die Kirche zur Zeit Bonhoeffers? Für die Kirchen heute? Ihr Selbstverständnis und ihren Zusammenhalt? Bonhoeffer würde es vielleicht so sagen:
Ihr seid hingestellt von Gott an bestimmten Ort und nimmt das ernst, macht das auf dieser Welt, so gut es irgendwie geht.(...) Und dann soll man aber auch an diesem Ort Verantwortung übernehmen, wie Bonhoeffer das sagt. (...) Also ich soll auch antworten auf das Worauf, wo ich herausgefordert werde, herausgefordert, und zwar von Jesus Christus, der sagt Guck mal auf deinen Beruf, auf deine Rolle, auf deinen Job, und zwar so Guckt da so drauf, dass du die Dinge auch noch mal in Frage stellst.
Eines findet man bei Bonhoeffer nicht, meint Martin Wendte:
Eine klare Antwort auf diese Frage. Denn für den ist klar, dass die Bibel keine Sammlung von konkreten und feststehenden Anweisungen ist. An Bonhoeffer lässt sich vielmehr ablesen, dass Christsein eine Lebenshaltung ist.
Das ist eine Haltung, da ist ein Unruh Motor drin, der sagt der lebendige Gott bringt dich immer noch mal neu ins Grübeln,(...) , in eine in eine hoffnungsvolle Unruhe. (...) Und das ist, glaube ich, von der Grundhaltung, dass, was Bonhoeffer eigentlich sagen will, an jedem Punkt auch beim Widerstand erwarten. Welcher? An welchem Punkt muss man Widerstand machen? Er sagt er weiß nicht. Das kann man nicht generell sagen.
Christsein ist eine Lebenshaltung. Und zwar die Lebenshaltung von Menschen, die sich einander verbunden fühlen. Einer Gemeinschaft also. Für Martin Wendte eine wichtige Erkenntnis, wenn er sieht, wie Kirche sich gerade verändert. Und eine Haltung die wegweisend sein kann für die Herausforderungen, vor denen Kirche heute steht. Oder mit den Worten des Citykirchenpfarrers von Ludwisgsburg:
Transformieren wir uns eigentlich so wie jede andere Organisation auch? Und es geht nur darum, dass wir Ressourcen neu verteilen? Oder haben wir auch geistliche und theologische Debatten, die dazu führen, dass wir bestimmte Schwerpunkte setzen? (...) Die Welt ganz ernst nehmen und zugleich sich immer herausfordern zu lassen, sie zu überschreiten. (...) Ich glaube, dass wir davon, dass wir genau das brauchen. Ich mag es, wenn Menschen mich heraus dazu herausfordern, spannungsvoll zu denken und zu leben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42009
Ich bin Manuela Pfann und treffe heute Giovanni Maio. Er ist Philosoph und Arzt und im Beruf beides zusammen: Professor für Medizinethik in Freiburg. Mit ihm kann ich mich also über grundsätzliche Fragen im Leben austauschen. Genau das mache ich zu Beginn der Karwoche. Weil für mich diese Tage vor Ostern eine besondere Zeit sind. Da wird mir jedes Jahr aufs Neue sehr bewusst, wie schnell sich das Leben ändern kann, und wie zerbrechlich alles ist. In den letzten Tagen im Leben Jesu, da kommt alles vor: Er wird gefeiert, als er nach Jerusalem kommt, und kurz darauf packt ihn die Verzweiflung als ihm klar wird: Ich werde sterben. Ich frage Giovanni Maio: Was können wir lernen von dem, was da vor über 2000 Jahren passiert ist?
Auf jeden Fall, dass der Mensch ein sorgebedürftiges Wesen ist, weil der Mensch jederzeit mit Schmerz und Leid konfrontiert werden kann und dass das Leben nur dann adäquat wahrgenommen werden kann, wenn wir es in seiner Brüchigkeit wahrnehmen. Und dass das Leben letzten Endes unvollkommen bleiben wird und darin aber etwas Ganzes haben kann.
Ich verstehe das so: Mein und unser Leben ist auch da gut und richtig, wo es Brüche gibt, wenn wir uns bewusst sind, dass auch Dinge unerfüllt bleiben werden und manches einfach richtig weh tut. Und deshalb muss ich mich um den anderen sorgen.
Wir müssen eine Kultur eröffnen, für die es selbstverständlich ist, dass man für andere da ist, dass man das Leiden mitträgt, auch dann, wenn wir es nicht wenden können. Manchmal kann man Menschen dadurch helfen, dass man sich solidarisch zeigt mit ihnen und den schweren Weg mitgeht, damit er sich nicht selbst aufgibt.
Ich habe dabei sofort die Szene aus der Passion vor Augen: Simon von Cyrene hilft und stützt Jesus, indem er dessen Kreuz mitträgt. Er begleitet Jesus ein kleines Stück auf diesem schweren Weg; auch wenn er weiß, er kann seinen Tod nicht verhindern.
Jesus und Simon von Cyrene, das waren zwei, die sich ihrer eigenen Verletzlichkeit, eben dieser Brüchigkeit des Lebens, bewusst waren. Das lerne ich im Gespräch mit Giovanni Maio, weil er sagt, …
… dass wir nur über das Verletzlich-Sein, auch mitfühlen können, uns einfühlen können und uns motiviert fühlen können, für das Gute einzutreten. Deswegen hat der Blick auf die Verletzlichkeit etwas damit zu tun, dass wir sensibel werden für das Eigentliche
Verletzlichkeit hat also auch eine positive Seite. Giovanni Maio findet, wir müssen unbedingt mehr über dieses Thema, über dieses Wort sprechen, weil Verletzlichkeit in unserer Gesellschaft falsch gedeutet wird.
In unserer Kultur wird Verletzlichkeit als Schwäche gesehen. Verletzlichkeit als Verlust von Autonomie, Verletzlichkeit als reine Abhängigkeit.
Und das hat Folgen.
Giovanni Maio hat sich intensiv mit der Verletzlichkeit des Menschen beschäftigt* und sagt: die gehört zu uns – und sie hat eine positive Seite. Die hilft uns, sensibel für die Bedürfnisse anderer zu sein. Aber genau das vermisst Giovanni Maio mehr und mehr. Er findet, …
… dass wir in einer Zeit leben, in der der Mensch meint, er könne bei sich anfangen und mit sich glücklich werden. Das ist ein Irrtum. Wir fangen nicht bei uns an, wir verdanken unsere Existenz anderen. Wir verdanken das, was wir können, anderen.
Alles andere ist eine Illusion sagt er:
Die Illusion der Unverwundbarkeit, die Illusion der Unabhängigkeit. Der moderne Mensch möchte radikal unabhängig sein; und das ist Ausdruck einer Ideologie. Wir müssen anerkennen, dass wir von Anfang an angewiesen sind auf andere.
Weil wir eben Beziehungswesen sind, ohne andere Menschen können wir gar nicht leben. Und trotzdem folgen wir einer Ego-Logik, sagt Giovanni Maio.
Und diese Ego-Logik lehne ich ab, weil ich denke, wir brauchen viel mehr das Bewusstsein gemeinschaftsstiftender Werte und des Gemeinsamen, des Geteilten.
Auch wenn Giovanni Maio als Philosoph spricht, ich denke bei seinen Worten an das, was das Christentum ausmacht – und wie es einst begonnen hat. An die Gemeinschaft. Nach dem Tod Jesu haben sich überall Menschen in kleinen Gruppen zusammengefunden und füreinander gesorgt und das Leben miteinander geteilt. Für mich ist die Karwoche deshalb immer auch eine Zeit innezuhalten, mich an jene Anfänge zu erinnern und neu Kraft zu sammeln. Die finde ich am Ende der Karwoche, in der Osternacht, wenn wir die Auferstehung Jesu feiern. Das ist für mich die Geschichte der großen Hoffnung! Die Zuversicht, dass es weitergeht.
Wie denkt ein Philosoph und Ethiker über die Hoffnung?
Wir brauchen irgendeine Grundlage, von der aus wir hoffen, und sei es der Glaube an das Gute, sei es, das Vertrauen in andere Menschen, sei es die Zuversicht auf gute Begegnungen. Der hoffende Mensch, der erkennt eben Möglichkeitsräume in der Zukunft, weil er diesen Grund hat. Hoffnung hat immer etwas von einer Ausrichtung auf Gemeinschaft, das Bewusstsein, irgendwie eingebettet zu sein. Und deswegen müssen wir der Tendenz der Vereinzelung entgegenwirken.
Und noch etwas ist wichtig, sagt er: Hoffnung hat immer etwas damit zu tun, dass wir offen bleiben für das, was kommt und nicht schon vorher zu wissen meinen, was geschehen wird.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das ist der hoffende Mensch und mag es noch so widrig sein. Lass uns über den Frieden sprechen. Selbst wenn Bombenhagel drohen. Das ist Hoffnung.
*Giovanni Maio, Ethik der Verletzlichkeit, Verlag Herder, 2024
https://www.herder.de/leben/shop/p6/84227-ethik-der-verletzlichkeit-gebundene-ausgabe/

Peter Annweiler trifft die Bildhauerin Madeleine Dietz
Teil 1: Ihre Materialien
Ich besuche die 71-jährige Künstlerin in Landau in ihrem Atelier. Da riecht es nach Erde, denn damit arbeitet die Bildhauerin. Egal ob geschüttet, geschichtet oder gekrümelt: Erde ist ihr Markenzeichen. Und sie ist staub-trocken. Denn genau damit regt Madeleine Dietz die Betrachter an.
Ich hoffe, dass Menschen darüber nachdenken, wenn sie getrocknete Erde sehen: Was passiert mit ihr? Ich nehme die Menschen quasi mit und bitte sie, mitzudenken und mitzuarbeiten. Und vielleicht kommen sie dann auch die Idee, dass die Erde gegossen werden könnte. Und dass dann wieder alles möglich ist, was vorher aussah, wie wenn es vertrocknet wäre.
Getrocknete Erde – ohne künstlerischen Anstoß scheinbar ohne großen Wert. Madeleine Dietz macht Behälter dafür. Sie schweißt schwere Stahlplatten zusammen und schafft „Tresore“, um sie „nur“ mit getrockneter Erde zu füllen.
Beim Blick auf ihre Kunst wird schnell klar: Erde verkörpert Werden und Vergehen. Und sofort fällt mir auch der biblische Satz ein: „Von der Erde bist du genommen und zu Erde wirst du werden.“
Ich musste mir überlegen: Wie kann ich denn diese Erde, von der wir essen und trinken, in die wir auch wieder hineingehen - wie kann ich diese Erde aufbewahren? Und da kam ich eigentlich direkt darauf, dass es Schreine für was Wertvolles sein sollten: Schmuck oder Goldbarren. Und für mich ist dann eben das der Platz, wo ich die Erde aufhebe.
Erde ist ja so was wie der „Urstoff“ des Lebens, nicht umsonst auch der Name unseres ganzen Planeten. Und gleichzeitig ist sie auch das Symbol für Vergänglichkeit. Madeleine Dietz musste schon früh im Leben lernen, was es heißt, nahe Menschen zu verlieren und Abschied zu nehmen.
Quasi ist mir das so vor die Füße so als Stolperfalle gelegt worden in diesem Leben. Ich habe es aufgegriffen. Das war mein Glück eigentlich, dass ich mit dem Thema dann arbeiten konnte und auch damit auch abarbeiten konnte.
Gut, dass Madeleine Dietz nicht nur ins Stolpern geraten ist, sondern dieses Stolpern künstlerisch bearbeiten konnte. Für mich wird als Betrachter ihrer Werke sofort spürbar: Ihre Kunst entsteht aus existenziellen und religiösen Fragen. Deshalb sprechen mich ihre Werke sofort an. Sie wirken klar und offen, irgendwie sogar tröstend und weitend.
Genau in dieser Wirkung sind Kunst und Religion ja verwandt. Beide helfen, die Perspektive auf das Leben zu verändern. Und genau das regen auch die Werke von Madeleine Dietz an. Wohl deshalb ist die Bildhauerin sehr gefragt, gerade in Abschiedsräumen und in Kirchen.
Teil 2: Ihre Räume
Die Erde holt sie meistens direkt vom Feld, trocknet sie und füllt sie dann in großformatige „Tresore“, die überall im Atelier rumstehen.
Meine Arbeit – und ich sag‘ jetzt mal Arbeit, nicht einmal Kunst -hat mich ein Leben lang getragen, aber auch beschäftigt, im Schlechten wie im Guten. Ohne diese Arbeit wäre ich nicht dieser Mensch, wäre ich nicht das, was ich geworden bin.
Ein Künstlerleben lang hat die gebürtige Mannheimerin ihre Handschrift verfeinert, vielfach ist sie ausgezeichnet. Für mich ist es zentral, dass Madeleine Dietz im wahrsten Sinn des Wortes ihre „Bodenhaftung“ behalten hat. Sie ist eine Fragende geblieben.
In der Kunst stelle ich ja eigentlich Fragen. Fragen, die ich mir selber nicht beantworten kann. Und dieses Unergründliche dieses Daseins und auch diese Unergründliche von: Was ist, wenn mein Partner geht, zum Beispiel oder wenn eines meiner Kinder sterben würde? Diese große Frage: Was ist denn dann? Ist da nur das dunkle Grab? Ist da nur noch die Asche? Ist da nur noch meine Erinnerung? Oder gibt's da noch was, von dem ich selber keine Ahnung habe?
Madeleine Dietz hat in verschiedenen Krankenhäusern sogenannte Abschiedsräume gestaltet, in denen verstorbene Patienten aufgebahrt werden. Und dann auch Kolumbarien, also Urnengräber auf Friedhöfen oder in Kirchen. Vielleicht wurde sie dazu eingeladen, weil sie sich neben allem Fragen auch auf eine Gewissheit verlässt.
Als Christ sowieso: Wir wissen, was Ostersonntag ist: Es geht um Auferstehung. Es geht um „Weiter“. Der Tod allein besiegt das Leben nicht. Das sind meine Themen, die ich versuche, in so nem Raum darzustellen.
Zugleich fragend und doch voller Gewissheit gestaltet Madeleine Dietz Räume für die Seele. Fast schon klar, dass sie da auch ganz sensibel für Kirchenräume ist.
Ich gehe, wenn ich nen Kirchenraum betrachte, mal davon aus, dass es ganz, ganz viele Menschen sind, die in diesem Raum ihre Nöte, ihre Ängste .. Gott darlegen. In der Hoffnung, Hilfe zu bekommen. Es sind also Treffpunkte von was ganz Wesentlichem.
In dieser Haltung gestaltet Madeleine Dietz Kirchenräume: Mit dem Urstoff Erde gibt sie uns einen Hinweis auf die göttliche Schöpfung. Mit den tresorartigen Stahlbehältnissen zeigt sie aber auch menschliche und industrielle Schaffenskraft. Diese „Signatur“ ist mittlerweile in ganz schön vielen Kirchen präsent: Unter anderem in Stuttgart, Bad Dürkheim und Worms. Im Mainzer Dom zeigt sie gerade eine Installation zum Heiligen Jahr. Und in Mannheim habe ich mich in meiner früheren Gemeinde noch längst nicht an ihrem Altar satt gesehen.
Was für ein Segen, wenn Kunstschaffende wie Madeleine Dietz gleichermaßen gegenwartsbezogen und überzeitlich sein können.
Mehr Infos zur Künstlerin:
https://www.madeleinedietz.de/

Ich kenne keinen anderen Priester, der so tief in der Arbeitswelt so sehr unterwegs ist, wie er: Paul Schobel. Vielleicht ist er bekannt von unseren Anstößen:
„Heute Mit Betriebsseelsorger Paul Schobel“
Als Betriebsseelsorger ist er mit und für die Arbeitnehmer in den Betrieben unterwegs, obwohl er mit 85 Jahren längst den Ruhestand genießen könnte.
„Ich habe keinen anderen seelsorgerlichen Bereich gefunden, wo Mystik und Politik so zusammenwachsen wie hier. Und Mystik bedeutet einfach je tiefer ich in Gott selber wurzle, umso politischer muss ich werden.“
Es ist für ihn radikal einfach: Zum Christsein gehört mehr als nur beten und reden. Wer die christliche Botschaft ernst nehmen will, der muss unser Zusammenleben mitgestalten. Der muss sich zwangsläufig für Gerechtigkeit, also für gute Verhältnisse für alle einsetzen. Als Christ muss er auch den Schwächeren Hilfe zur Selbsthilfe sein. Vor allem in der Arbeitswelt:
„Arbeit und Einkommen. Das ist ein existenzielles Problem, das sehr stark entscheidet über gelingendes Leben“
„Haste was, biste was. Haste nix, biste nix.“ – den Spruch kennt man ja. Jeder ist für sich selbst verantwortlich – aber so ganz stimmt es eben nicht. Strukturen und Arbeitsbedingungen spielen eine große Rolle. Und für Paul spielt noch viel mehr eine Rolle, welchen Wert wir Geld überhaupt beimessen:
Und das hängt nun zusammen mit dem, was mein Leib- und Magenthema seit 60 Jahren ist, nämlich die Kapitalismuskritik. Wir arbeiten unter falschen Voraussetzungen. (…) In der katholischen Soziallehre, wenn sie verkündet und gelebt würde, wäre die Arbeit die zentrale Größe. Und stattdessen haben wir das Kapital, das erst aus der Arbeit entstanden ist und dass nun aber der Steuerknüppel schwingt und alles unterordnet.“
Und da kann ich auch gut mitgehen: Arbeit sollte einen Wert und eine Würde haben. Schließlich bin ich ein Mensch und kein Zahnrad im Betrieb.
Arbeit ist keine Ware. Im Kapitalismus aber ist Arbeit ein Faktor. Und dieses Faktordenken bekämpfen wir, ja? Es gibt ein Menschenrecht auf Arbeit, das ist in der katholischen Soziallehre so angedeutet“
Paul Schobel hat die Betriebsseelsorge im industriestarken Südwesten maßgeblich mitgegründet. Auf eigenes Drängen hin, wird er zu Beginn der 70er Jahre von seinem Bischof beauftragt sich für die Belange der Arbeitnehmer einzusetzen. Er wird damit zum Pionier in seiner Kirche und nennt sich zunächst Industriepfarrer. Ein Priester, dessen Gemeinde die Industriebetriebe sind, und damit geht er andere Wege.
ganz wichtig war natürlich für mich am Anfang, dass ich selber im Betrieb zur Arbeit ging, als ganz normaler Arbeiter bei Daimler. Die Erfahrung möchte ich nicht missen. Schichtarbeit. Dann taktgebundene Arbeit am Fließband war ganz wichtige Erfahrung. (...) Und das Entscheidende aber ist, dass man dann natürlich an den Konflikten der Arbeitenden teilnimmt. Denn es war ja kein Jahr ohne irgendeine größere Lohnbewegung. Viele Jahre mit großen Streiks in Baden-Württemberg, die vor allem eben in Stuttgart und Sindelfingen ausgetragen wurden. (…) Wir haben die Presse miteinbezogen und haben Menschen zum Sprechen gebracht. Ja, damit Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft überhaupt mal wahrgenommen wird. Aber im Mittelpunkt stand sicher immer das Seelsorgerliche.
Seitdem hat sich viel getan und entwickelt in der Betriebsseelsorgearbeit in im Südwesten. Es gibt viele Standorte und Themen-Schwerpunkte, wie Arbeitslosigkeit, Mobbing, Burn-Out, Fernfahrer-Seelsorge, etc.
Und obwohl so viel entstanden ist, findet Paul keine Ruhe, denn die Arbeitswelt birgt ständig neue Herausforderungen.
Paul Schobel hat sich bei Betrieben, Gewerkschaften und Angestellten als Betriebsseelsorger einen Namen gemacht. Zur eigenen Berufswahl ist Paul Schobel allerdings eher geschoben worden, verrät er mir. Es ist nicht seine Idee gewesen. Er wollte eher Elektriker werden oder etwas mit Musik machen, doch der Pfarrer hat ihn in der Schule zum Studium gelotst. Pflichtbewusst hat er sich dann von Station zu Station gehangelt: Abitur, Theologie-Studium, Priesterseminar – und ist dabeigeblieben.
In den ersten Priesterjahren hat er dann ein Aha-Erlebnis: Gemeinsam mit der Christlichen Arbeiterjugend erschließt er sich die Bibel ganz neu.
„Bin da erst auf den Trichter gekommen, wie politisch das Ganze ist. (…)
Wahrscheinlich entzündet durch das, was ich erlebt habe mit den jungen Leuten, die eben im Betrieb nun kämpfen mussten, um Würde und Löhne.
Also mir ist da erst bewusst geworden, was es heißt, in einer Demokratie sich zu formulieren, sich zu formieren und Gegenkräfte zu entwickeln.“
Es ist die Zeit der 68er, auch die kirchliche Jugendarbeit wird politisch aktiv, wird mutig. Das prägt Schobel und er ist mit und vorne dabei, wenn laut begehrt und demonstriert wird. Auch heute noch ist Paul Schobel leidenschaftlicher Aktivist, aber immer der Sache nach und mit gerechten Maßstäben:
„Mir imponiert immer noch das Tarifvertragswesen. Das ist ein gigantischer Fortschritt in der Menschheitsgeschichte, dass schon die Weimarer Verfassung und später das Grundgesetz einräumt. Das heißt, man streitet sich und es geht ja fürchterlich her. In Tarifauseinandersetzungen und den Arbeitenden bleibt ja nichts anderes wie möglicherweise die letzte Keule, die sie haben. Und die bedeutet Arbeitsverweigerung, ja? Bis es dann eine Einigung gibt und siehe da, es gibt sie allemal. Frag nicht wie. Und mit wie vielen Kompromissen es kann nur ein Kompromiss sein. Und der trägt zwei Unterschriften. Also ich sage einfach so was wie eine Streitkultur ist dem Tarifvertragswesen eigen und die fehlt weitgehend in der Gesellschaft, ja?“
Dass wir immer wieder an den Tisch kommen und am Ende Kompromisse finden. Dass wir reden und verhandeln so lange, bis was rauskommt. Dass es nicht Sieger und Verlierer gibt, sondern eine Gemeinschaftsproduktion entsteht.
„Das große Ziel gesellschaftlich ist sicher, dass allen Leben zugesagt wird und dass Strukturen geschaffen werden müssen, in denen alle leben können.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41877
75% der Deutschen haben schon einmal gebetet. Sagt eine Studie aus dem letzten Jahr. Das kommt mir realistisch vor – denn die Studie berücksichtigt auch die kleinen Stoßgebete, die fast jedem im Alltag schon einmal über die Lippen gekommen sind.[1] Täglich beten – das macht nur ein kleiner Teil der Deutschen. Manchmal ist es auch gar nicht so leicht, Zugang dazu zu finden Eine, die oft betet, die habe ich jetzt getroffen. Lisa Joy Langer hat gerade ihr Theologiestudium erfolgreich abgeschlossen und hat ein Projekt zum Thema „Beten“ gestartet. Mit ihrem Ehemann hat sie in ganz Deutschland in verschiedenen Kirchengemeinden Gebetsräume angeboten.
Die Idee hinter einem Gebetsraum ist, einen schön gestalteten Raum zu haben. So ein bisschen wie ein Wohnzimmer von der Atmosphäre her, in dem ganz viele Gebetsstationen, also Impulse zum Thema Gebet, auf kreative Weise aufgebaut sind, die man nutzen kann, um in diesem Raum zu verweilen und ins Gespräch mit sich selber und Gott zu kommen.
Klingt ein wenig abstrakt. Aber während unseres Gesprächs zählt Lisa Joy Langer ganz konkrete Beispiele auf, wie so eine Gebetsstation im Kirchenraum aussehen kann.
Man kann zum Beispiel Karten schreiben für Menschen, denen es gerade nicht so gut geht, um denen eine Ermutigung zukommen zu lassen. (...) Man kann sich eine bunte Herzchenbrille aufsetzen und darüber nachdenken. Wo habe ich Menschen vorschnell verurteilt und wo bekomme ich einen Perspektivenwechsel hin zu einem liebevollen Blick?(...) Dann gibt es jetzt zum Beispiel eine Station: „Kintsugi“- so ´ne japanische Methode, Geschirr zu reparieren, auf ganz schöne Weise mit vergoldeten Rissen, wo man das selber mal machen kann und drüber nachdenken kann: Wo kann Zerbruch in meinem eigenen Leben von etwas, was ganz mit Scham behaftet ist, hin zu etwas werden, wo ich vertraue und weiß, dass Gott auch so was nutzen kann und mich trotzdem liebt?
Die Gebetsräume haben Lisa Joy Langer und ihr Mann in ganz Deutschland angeboten. Wichtig war ihnen dabei,
… dass wir das nicht alleine machen, sondern mit Menschen vor Ort. (...) Wir bringen immer so einen Grundstock mit, aber entwickeln auch Stationen, die besonders zu dieser Gemeinde oder Gruppe passen. In Kiel zum Beispiel haben wir ganz viel mit maritimen Symbolen gearbeitet.
Die Idee für diese Gebetsräume kommt aus der internationalen 24-7 Prayer-Bewegung, zu der die beiden auch gehören.
Die Organisation hat sich gegründet aus einer Jugendgruppe, die ´ne große Sehnsucht danach hatte, einfach mal volle Kanne zu beten und die angefangen haben und für mehrere Wochen einfach nicht mehr aufgehört haben, weil sie so begeistert waren von dem, was das mit ihnen gemacht hat. Und daraus ist eine Bewegung entstanden 24-7-Prayer, die es auch in Deutschland gibt. Und das Ziel dieser Bewegung ist, dass Menschen Gebet erleben und mit Gott auf ihre Art und Weise in Berührung kommen.
Die 24-7-Prayer versucht Menschen das Gebet auf kreative Art und Weise näherzubringen. Und gleichzeitig hab ich mich gefragt. Ist beten eigentlich nicht total einfach? Braucht es dazu solche besonderen Gebetsräume?
Oft wird Gebet als irgendwie Pflicht und Aufgabe gesehen. [...] Und da ist es total hilfreich, mal zu sehen, was es für - ich sag‘ mal - Hilfsmittel geben kann, (...) damit Gebet was Schönes ist, damit es eine Begegnung ist, nicht eine Aufgabe. Und dafür brauch ich und brauchen ganz viele andere Menschen manchmal Hilfsmittel und Inspiration, die uns dabei unterstützen.
Für Lisa Joy Lang ist klar: Im Gebet - in der Begegnung mit Gott - entstehen auch ganz neue Verbindungen zu anderen Menschen. Viele der Gebetsstationen, die sie anbietet, tragen eine tiefere Sehnsucht nach Veränderung in sich – sei es für uns selbst, für unsere Mitmenschen oder für die Welt.
Für mich ist Gebet ist Begegnung mit Gott. Und in dieser Begegnung ist es auf jeden Fall ein Teil davon, dass ich hinhöre. Gott, wo schlägt dein Herz in dieser Welt? Wo habe ich ein großes Anliegen? Und uns da zu verbinden und da einzustehen? Und da würde ich sagen auf jeden Fall. Fürbitte ist ein wichtiger Teil des Gebets und da verändern sich auch Dinge. Gleichzeitig ist es auch ein großes Vertrauen und Aushalten und Mitleiden in den vielen Dingen, die in unserer Welt einfach schlecht sind.
Gebet verändert also etwas. Aber was genau?
Ich würde sagen, Gebet verändert auf jeden Fall zuerst mal Dinge in mir. Aber Gebet kann auch Dinge in dieser Welt verändern.
Veränderung auf der Welt. Mehr Gerechtigkeit, Frieden. Danach sehne nicht nur ich mich gerade. Und die Sehnsucht nach Veränderung, dass ist auch etwas, dass sich 24-7-Prayer-Bewegung auf die Fahnen geschrieben hat. Beten, Mission und Gerechtigkeit – das gehört für die Bewegung alles zusammen:
24-7-Prayer hat ein Bild geprägt, was deren Werte sehr gut zusammenfasst. Und das ist, das ganz zentral das Atmen ist. Man atmet ein im Gebet (...). Und in diesem Gebet komme ich vor Gott und richte mich aus, um dann auszuatmen, indem ich wirke, wieder in dieser Welt und aktiv werde. Und das ist gekennzeichnet durch Gerechtigkeit, Einsatz für Gerechtigkeit und Gastfreundschaft und Mission, also dass wir das auf liebevolle, demütige Weise mit Menschen teilen, was unsere Hoffnung ist.
Ich mag das Bild: Zum Gebet gehört das Einstehen für Gottes Liebe in dieser Welt und der Einsatz für Gerechtigkeit – wie eben das Ausatmen zum Einatmen gehört. So verstanden verändert Gebet auf jeden Fall die Welt. Zum Schluss: Eine Zeile, die Lisa Joy Langer den Rest ihres Lebens beten könnte:
Du herrlicher Gott, füll mich mit deiner Liebe.
[1] Umfrage zum Weltgebetstag – Jeder fünfte Deutsche hat noch nie gebetet | YouGov
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Heute mit Martin Wolf und mit Jan Frerichs. Wir treffen uns in Bingen, wo er lebt. Jan Frerichs war mal Franziskanermönch. Heute ist er verheiratet und hat zwei Söhne. Der Ordensfamilie der Franziskaner ist er aber treu geblieben. Er gehört nun dem franziskanischen Orden der Weltleute an, die eine Familie haben dürfen und nicht im Kloster leben. Wie sehr die Spiritualität des Heiligen Franz von Assisi ihn geprägt hat, das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Unter dem Label barfuss + wild bietet er Kurse an für Menschen, die spirituell auf der Suche sind. Und „wild“ meint hier durchaus Wildnis, Natur, Schöpfung. Etwas also, das ich nie im Griff habe. Für ihn ein guter Ort für geistliche Erfahrungen.
Für mich ist das Gegenteil von Glauben auch nicht Zweifeln. Das Gegenteil von Glauben ist für mich Kontrolle. Also wenn du das Gefühl hast, du kannst hier die Kontrolle behalten und du weißt eigentlich schon alles, dann brauchst du nicht zu kommen. Der wilde Raum ist immer der, wo die Antwort nicht schon klar ist, sondern wo ich sie erst finde.
Aber auch die uralten kirchlichen Traditionen, sagt er, können Menschen bei ihrer geistlichen Suche helfen.
Auch das Unverfügbare bedarf eines Rahmens. Oder sagen wir mal so: Wenn ich jetzt ein Wasser trinken möchte, ist es gut, wenn ich ein Glas habe, weil, dann kann ich das Glas benutzen, das Wasser da reintun und dann trinken. Was wir erleben ist, dass wir uns aufgehört haben mit dem Inhalt zu beschäftigen, sondern nur noch mit dem Glas beschäftigen. Und genauso ist es in spirituellen Dingen. Es ist gut, einen Rahmen zu haben, in dem ich mich bewegen kann. Aber der Fokus ist der Inhalt. Das ist das entscheidende Bild.
Um mal in diesem Bild zu bleiben: Suchen Menschen, die zu ihm kommen, also quasi nach diesem Wasser?
Sie suchen das Wasser, das tatsächlich den Durst stillt. Ist ja ein uraltes Bild. Jesus benutzt das Bild. Trink aus dieser Quelle und dein Durst wird gelöscht sein, sagt er ja.
Und ihren Durst nach Sinn, den können diese Menschen bei den Kirchen also nicht mehr stillen?
Durch die Bank könnte man sagen: Alle, die da so zusammenkommen bei barfuß + wild, die haben ihre spirituelle Heimat verloren, so die Orte, die es gab. Kirche als Institution, Gemeinde vor Ort, was auch immer man jetzt da einsetzt, das trägt nicht mehr. Vielleicht ist es auch eine bestimmte Frömmigkeit, die nicht mehr trägt. Der Kinderglaube, der einfach an seine Grenze gekommen ist. Wo ist ein Raum, in dem ich eine Antwort für mich suchen kann? Das ist eigentlich die Grundfrage.
Und so einen Raum für neue geistliche Erfahrungen möchte er Menschen bieten. Gibt es denn noch mehr, dass die Menschen, die zu ihm kommen, verbindet?
Die stehen auch im Leben alle an einer bestimmten Schwelle. Also, es kommt ein Zeitpunkt im Leben, wo klar ist, es liegt mehr hinter mir als vor mir. Und wenn auch klar wird, dass all das, worüber ich mich identifiziert habe bisher nicht mehr trägt - und diesen Prozessen einen Raum zu geben und aus den Erfahrungen unserer Vorfahren und aus unserer religiösen Tradition zu schöpfen, das ist eigentlich so ein bisschen das, was wir machen bei barfuß + wild.
Was es mit dieser „Schwelle im Leben“ auf sich hat, das hat mich interessiert und darüber spreche ich mit Jan Frerichs auch gleich nach der Musik.
Ich bin Martin Wolf und begegne heute Jan Frerichs. Aus der alten franziskanischen Tradition heraus macht er Angebote für Menschen von heute, die auf Sinn-Suche sind. Und oft ist er dabei mit ihnen draußen, in der Natur.
Wenn ich in die Natur schaue, dann kann das sehr lehrreich sein. Leben ist immer ein Prozess. Und es gibt in diesem Prozess auch den Part des Loslassens. Jeden Tag sehen wir das. Es gäbe überhaupt kein Leben, wenn es keinen Tod gäbe. Und Tod ist Loslassen. Und Tod heißt auch: Das Alte löst sich auf und aus diesem Alten wächst Neues. Aber das Neue kann nur kommen, wenn das Alte auch wirklich Platz macht.
Wobei es gar nicht um den physischen Tod gehen muss. Denn auch mitten im Leben heißt es ja immer wieder: Loslassen. Lebensabschnitte, die zu Ende gehen und nicht wiederkommen. Eine Freundschaft. Ein jahrzehntelanges Berufsleben.
Wenn wir uns ehrlich machen, sterben wir ja die ganze Zeit an jeder kleinen Schwelle im Leben. Meine Kinder sind jetzt 13 und 15. Ich gucke die an und denke: Wo sind eigentlich meine Kinder? Die kommen nicht wieder. Auf einer gewissen Ebene ist da auch etwas zu Ende gegangen. Und die Frage kann sein: haben wir die eigentlich gut genug verabschiedet, diese Zeit? Und haben wir die neue gut begrüßt? Das sind die Lebensübergänge.
Dass die erste Lebenshälfte ganz andere Fragen stellt als die zweite, das merke ich auch an mir selbst. Gibt es denn einen bestimmten Punkt im Leben, an dem ich weiß: Jetzt beginnt die zweite Hälfte?
Es geht nicht um die Lebensjahre. Ich habe mal beim ZDF im Kinderprogramm gearbeitet. Wir haben Sendungen gemacht über krebskranke Kinder, die haben mit zehn, elf Jahren Dinge gesagt, die ich von manchen Senioren noch nicht gehört habe. Das Leben hat sie schon in die zweite Lebenshälfte gebracht, weil sie sich eben zum Beispiel mit der Endlichkeit auseinandersetzen mussten. Es geht um Kontrollverlust an diesen Schwellen, und wie gehe ich damit um. Wie gehe ich also mit diesen Dingen um, die mir natürlich auch meine Begrenztheit deutlich machen? Das ist zweite Lebenshälfte.
Geht es letztlich also um die uralte Frage nach dem Sinn meines Lebens? Und darin vielleicht auch um die Frage nach Gott?
Es geht darum, wie ich mein Leben leben kann, wie ich mit den Fragen umgehe, die mein Leben mir auch stellt. So sind die Lebenshälften auch nicht nacheinander, sondern es sind zwei Qualitäten und ich wachse in die zweite hinein, das Innere, das Große und Ganze. Mystik ist die Erfahrung des Ganzen, Erfahrung Gottes. Gott ist ein Wort für das Ganze. Für das Sein, für das Da-Sein.
Ein Wiederentdecken also der christlichen Mystik.
Und an der Stelle bräuchte es Exerzitienhäuser, Orte der Einkehr, spirituelle Orte, das, was wir früher Frömmigkeit genannt haben. Damit die Leute, eine gute Erfahrung machen, die sie wirklich trägt im Leben.
www.barfuss-und-wild.de
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Wolf-Dieter Steinmann trifft Leonie Klein, Schlagzeugerin der Neuen Musik, Journalistin, Konzertentwicklerin aus Karlsruhe.
Ich war hin und weg, als ich Leonie Klein gesehen habe. Schlagzeug spielen. Was alles klingt. Klar, das Drumset wie in ner Band. Aber in ihrer Neuen Musik ist das nur die Oberfläche. Der Probenraum ist übervoll mit Klangmöglichkeiten. Vom großen Marimbaphon bis zu einem Flummi. Seit sie sechs ist, spielt Leonie Klein. Mit Lust, Klänge zu entdecken.
Das is n Flummi, so n Gummiball und den habe ich in der Mitte durchgeschnitten und den dann auf eine Stricknadel aufgespießt und wenn man den jetzt über ein Fell zieht, dann ist das so ein bisschen wie ein Walgesang, könnte man sagen oder auch ein Rennauto, was irgendwie in der Kurve vorbeiflitzt.
Und das ist auch das Schöne, was geht eigentlich alles?
Wie wird daraus Musik? Schlagzeug pur ist nicht sehr melodisch. Nun, ein Komponist hat schon ein Solokonzert für sie geschrieben, mit Orchester. Und wenn sie allein spielt? Sie schafft Musik aus Rhythmus. Und aus Klängen. Stellen Sie sich einen großen Gong vor.
Die klingen natürlich sehr lange. Und jetzt ist die Frage, wenn ich den jetzt anschlage, wo es danach weitergeht mit anderen Instrumenten. Wie lange lasse ich dem die Zeit?
Es ist ja auch immer so dieses musikalische Atmen, also wann atme ich weiter? Wann sage ich ‚okay, der Klang geht jetzt über in den nächsten.‘
Manchmal geschieht es auch, dass Leonie Klein übers Schlagzeug sprechsingt.
Aber wenn man da auf der Bühne steht, vorne an der Bühnenkante und schaut ins Publikum und spricht dann, ist das ganz merkwürdig, weil man weiß, eigentlich versteht niemand, was ich da sag, aber trotzdem verstehen sie es.
Neue Musik ist uns oft fremd. Vielleicht versteht man ihr Schlagzeug deshalb leichter, weil man neugierig sehen kann, wie sie Klänge entstehen lässt mit dem ganzen Körper. Neugierig sein aufeinander, vielleicht bräuchte es das viel öfter, wenn wir einander fremd sind.
Und wenn ich auf die Bühne gehe, dann spiele ich für jemand und den interessiert es vielleicht nicht, ist der Schlag jetzt so oder so gesetzt? Sondern diese Leichtigkeit zu haben und wenn ich Spaß dran hab, dann haben die auch Spaß dran, zuzuhören.
In der Karwoche spielt Leonie Klein in Speyer im Dom. Solo, in diesem imposanten, heiligen Klangraum. Die Leidensgeschichte Jesu wird gelesen und sie wird dem Geschehen um Jesus, Gott und die Menschen ihre Schlagzeugklänge geben. Besonders spannend ist für sie Jesus: angeklagt und er schweigt.
Das ist schon so eine Schlüsselstelle, wo ich mich sehr drauf freu, das musikalisch umzusetzen. Und ich glaub so, dieses Leise und dieses Minimalistische und was passiert in dem Moment, in dem eigentlich nichts passiert.
Wie kann man diesen Moment mit Klängen füllen?
Ich ahne, was sie meint. Wenn man schweigt, kann es in einem trotzdem sehr laut sein.
Paukenschläge
Dass Leonie Klein heute so gut ist, war kein Selbstläufer: Es hat viel mit Disziplin und Verzicht zu tun. Um die Schlagzeugerin zu werden, die sie heute ist, hat sie oft verzichtet: Seit 25 Jahren, mehr als dreiviertel ihres Lebens spielt sie. Übt, jeden Tag viele Stunden. Oder: Mit 17 ist sie – neben der Schule in Wittlich – damals noch zwei Tage die Woche nach Karlsruhe gefahren, zum Vorstudium. Ohne Disziplin, unmöglich.
Ich glaub ich hab gar nicht so viel Talent, sondern bei mir war es eher der Fleiß. Also ich bin zum Beispiel jemand, der sehr sehr lange braucht, um neue Stücke zu lesen. Irgendwie denke ich manchmal, mein Kopf ist ein bisschen langsamer als bei anderen.
Aber wenn ich es dann geübt hab, dann ist es so gut, dass wenn ich irgendwie mit den Komponisten arbeite, dass sie sagen, ‚Boah, so haben wir unser Stück noch nie gehört.‘
Aufgeben wollte sie nie. Nicht mal als sie Zweifel hatte, ob sie gut genug ist. Und von einem ihrer Lehrer auch noch übel erschüttert wurde. Ich finde, jeder Lehrende, jeder Mensch sollte auf solche Sätze verzichten. Um Gottes willen und um der Menschen willen.
Wenn dann im Unterricht dann auch so Sätze fallen so: ‚ja Leonie, das kann hier jeder und wer es nicht kann, der hat hier auch nichts zu suchen.‘
Heute weiß ich, dass es Dinge waren, die so gut wie keiner kann und ich da dran irgendwie ja geübt habe und geübt habe, bis ich sie im Schlaf konnte.
So standzuhalten, finde ich bewundernswert. Vielleicht ist Leonie Klein zur Schlagzeugerin berufen. Sie sagt, es war auch Ehrgeiz, der sie stark gemacht hat. So sind sie und ihr Schlagzeug eins geworden.
Ich kann mich gar nicht dran erinnern, dass ich mal kein Schlagzeug gespielt hab. Und man schafft dann auch so diesen Sprung erst mal an ne Hochschule, das ist erstmal auch n Privileg. Und das war mir schon sehr bewusst, dass ich das irgendwie nutzen will und irgendwann war es so ein bisschen: oK, wenn ihr mir alle sagt irgendwie, es muss anders sein, jetzt mache ich es einfach, wie ich es für richtig finde.
Hat sie eigentlich einen Lieblingsdrummer aus der Rockmusik? Klar, und vermutlich ist es kein Zufall, dass der auch ziemlich eigen war. Keiner von den Drummern mit „dicken Oberarmen“.
Charlie Watts. so ein eleganter Schlagzeuger, so gentlemanlike, der irgendwie da hinten bei den Rolling Stones sitzt, er schaut sich das so von hinten an, was die anderen da vorne so treiben auf der Bühne. Ein Rockdrummer der anderen Art.
Mit Anfang 30 sieht sich Leonie Klein noch lange nicht am Ziel. Sprüht vor Zuversicht und Freude, Neues aus sich zu entwickeln. Konzerte selbst konzipieren ist ein Bild von sich, auf das sie zugeht.
Nicht nur als Interpretin auf die Bühne zu gehen, sondern eben auch zu schauen, wie kann man das, was auf der Bühne stattfindet, konzipieren. Für mich einfach neue Facetten nochmal zu entdecken.
Ich finde, Leonie Klein kann einen inspirieren: dass ein starkes Ziel Verzicht lohnt. Wie man Eigensinn bewahrt und so vielleicht zu der Person reift, die in einem steckt. Und wie sie ihr Glück schätzt.
Am Wochenende würde man nie ins Büro gehen und arbeiten, aber man geht in den Proberaum, weil es einfach Spaß macht, und es fühlt sich gar nicht wie Arbeit an. Und das ist auch das Schöne, wenn das einen so erfüllt.
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Terminhinweis:
Mittwoch 16. April 2025 19.30 Uhr
Bibel und Schlagzeug
Dom zu Speyer
Lesung Christoph Kohl
Schlagzeug Leonie Klein

Christopher Hoffmann trifft die Komikerin und Familientherapeutin Cordula Stratmann
Sie bringt in Formaten wie „Schillerstraße“, „Zimmer frei“ oder zuletzt bei „Last One Laughing“ ein Millionenpublikum zum Lachen. Eine Frohnatur mit ganz viel Tiefgang, die neben der Comedy auch als Familientherapeutin in Köln arbeitet. Wir treffen uns in ihrer Praxis. Lustig und ernst – Cordula Stratmann ist und kann beides: Das beweist sie auch in ihrem aktuellen Buch: „Wo war ich stehen geblieben? Grübeleien und Geistesblitze“*. Immer wieder geht es darin um das Thema Familie, etwa um die Liebe von Eltern zu ihren Kindern. Ihr Credo als Therapeutin und als Mutter eines 18-jährigen Sohnes:
Wenn mein Kind eines Tages mit einer Dankbarkeit auf unsere Beziehung schaut, dann liegt das daran, dass es mir gelungen ist eine liebevolle Beziehung zu dem Kind zu haben, dass ich durch die Liebe zu meinem Kind bei dem Kind geweckt habe: Ah, ich möchte, dass es meiner Mama gut geht. Es ist mir nicht egal, was ist mit ihr mal sein wird, ich fühle mich verantwortlich. Das kann ich aber nicht in Auftrag geben, sondern das entsteht aufgrund meiner Liebe.
Wenn Cordula Stratmann über bedingungslose Liebe redet, dann begeistert mich das. Als Christ glaube ich an die bedingungslose Liebe Gottes zu jedem Menschen. Wie ist das bei ihr? Ich frage die 61-Jährige: Glauben Sie an Gott?
Die Frage nach Glauben an Gott fasziniert mich wirklich, weil ich die beantwortet habe als ein junger Mensch, der sich in Gemeinde aktiv einbringt und Gruppenleiterin war und ich hatte dann einen sehr intensiven Glauben an Gott, weil das in meiner Familie auch so gelebt wurde, aber eben nicht diktatorisch, sondern mir war immer nur ein freundlicher Gott zugänglich, so. Dann bin ich aber gescheitert an Institution Kirche.
Und dann macht sie es, wie viele Menschen, die ich kenne. Cordula Stratmann tritt aus:
Weil für mich klar war eine Institution, die Homosexualität nicht als Teil von Leben anerkennt - will ich nichts mit zu tun haben! Und jetzt sitz ich da und denke: ja, was irgendwelche Männer von sich geben, kann doch gar nicht mein Verhältnis zu einem Gott bestimmen, das darf ich doch wohl nicht zulassen!
Sie kennt beides und differenziert– einerseits tolle Seelsorger und prägende Jugendarbeit beim Bund Deutscher Katholischer Jugend. Andererseits Regeln, die ihr den Zugang zum Glauben versperrt haben. Und trotzdem:
Seitdem ich die Tür zu der Frage wieder neu aufgemacht habe: „Wer ist eigentlich Gott für mich?“, muss ich wirklich sagen, kehrt immer mit dieser Frage, auch so ein Moment von Frieden in mir ein. Und das find ich eine ganz tolle Erfahrung.
Mit Glaube und Gott hatte sie lange abgeschlossen. Doch nach Jahrzehnten als Atheistin stellt sie fest, dass Gott in ihrem Leben wieder eine Rolle spielt:
Das, was ich abgelegt hatte, weil ich dachte naja das war halt mein kindlicher Glaube damals und Reifung heißt sich ablösen, also löse ich mich auch von meinem Glauben an Gott, das ist ja alles nur kindlicher Trost, weil wir nicht aushalten können dass alles so scheiße ist und dann zu erleben, dass gerade in den Zeiten wo es scheiße ist, bei mir wirklich ne Lampe hell aufleuchtet und ich hab da nichts dran getan, das entsteht, ich fummel an der Sache nicht rum , ich steh daneben und sag: Hallo - Da bist du ja wieder, ok? Aha! Ja, das finde ich absolut faszinierend.
Und so kommt sie zu der Erkenntnis:
In mir weiß etwas: da ist jemand oder etwas Größeres, was eine größere Erzählung hat und du bist Teil davon. Das beschäftigt mich gerade und in beglückender Weise.
Mit der Frage nach Gott ist für sie auch die Frage nach dem Sinn des Lebens verknüpft. Und der ist für Cordula Stratmann…
Gnade, Großzügigkeit, mach dein Herz auf - die Sinnfrage kriegst du immer nur mit Verbindung beantwortet. Die Sinnfrage ist nicht positiv zu beantworten in der Isolation, in der Rücksichtslosigkeit. Ich bin zutiefst durchdrungen von Gemeinsinn. Ich sollte keine Angst vor dem anderen haben. Ich brauche ihn und er braucht mich.
Und das meint sie ganz konkret. Deshalb fordert sie auf ihrer Lesereise durch das Land ihr Publikum auf, aktiv zu werden:
Ich habe an die Leute appelliert, dass sie aufhören sollen solche Sätze zu sagen wie: „Naja, hoffen wir mal das Beste“. Sondern: Sei du Teil vom Besten! Guck dich bitte ab sofort um – rechts und links, sei sofort an der Ampel freundlich zu jemandem, lasse sofort jemanden an der Kasse vor, wenn er nur ein Teil hat.
Aber auch bei den größeren Problemen des Alltags fordert sie Nächstenliebe ein:
Jetzt schreien da oben schon wieder die Kinder, das wird mir zu laut – dann geh hoch und frag ob du helfen kannst. Vielleicht bin ich gerade gestört von einem Problem, um das ich mich auch kümmern kann.
Was ihr immer hilft: Humor und Heiterkeit – nicht nur heute an Karneval:
Ich bin das ganze Jahr über jeck, und das kann ich auch jedem dringend empfehlen. Und grundsätzlich hochjazzen die Mundwinkel, wenn du das Haus verlässt – Tür abschließen, Treppe runtergehen und sofort den Nächsten angrinsen auf der Straße - grins dich durch dein Leben!
Hat bei mir auf jeden Fall funktioniert – als ich bei Cordula Stratmann die Tür rausgehe, habe ich ein fettes Grinsen im Gesicht.
*Cordula Stratmann: Wo war ich stehen geblieben. Grübeleien und Geistesblitze. München 2024, Verlag dtv.
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