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11MAI2025
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Wenn Isabelle gefragt wird, wie viele Kinder sie hat, sagt sie selbstverständlich drei. Dass dahinter keine „normale“ Geschichte steckt, erzählt sie mir am Telefon. In ihrer Familie waren sie plötzlich zu fünft: Ihr Mann und sie haben ein gemeinsames Kind.  Der Mann war schon mal verheiratet und hat zwei ältere Kinder. Deren Mutter ist Weihnachten 2023 plötzlich gestorben. Und Isabelle und ihr Mann haben dann die beiden zu sich genommen.

Isabelle heißt eigentlich anders, aber um sie und ihre Familie zu schützen, bleibt es für unsere Begegnung bei Isabelle.

Sie erzählt von dem Tag, als die Polizei geklingelt hat, um die schreckliche Nachricht vom Tod der Exfrau zu überbringen. Gemeinsam mussten sie dann den beiden Kindern sagen, dass ihre Mama tot ist.

Ich kann's gar nicht beschreiben, dieses Gefühl, das war merkwürdig das war so viel:  Schock und gar nicht glauben können, dass das passiert ist und auch irgendwie so viel Leere.

Und dann eben die Sorge um die beiden Kinder, weil wir gedacht haben, was machen wir denn jetzt mit denen, wie verkraften die das? Wie gehen wir mit denen um, was brauchen die jetzt?
Man wird da ja so reingeschmissen in diese Situation und man will ja am liebsten die Kinder vor allem schützen. Was ja aber nicht geht, weil das Schlimmste in dem Moment ja passiert war.

Und dann haben sie die Kinder mit zu sich genommen. Für immer. Isabelle erzählt, dass sie keinen Moment darüber nachgedacht hat, es nicht zu tun.

Als das passiert ist, hat sich die Frage auch gar nicht gestellt, sondern das war einfach: Wir fahren jetzt nach Hause.

Die Kinder waren damals acht und elf Jahre alt. Wie haben die beiden reagiert?

Die Kleine hat sich das Tablet genommen und hat fast zwei Tage kaum ein Wort gesprochen. Die war immer in unserer Nähe. Aber immer versteckt hinter diesem Tablet, die wollte auch nicht reden, die wollte gar nichts.

Und der Große der hat viel geredet. Er hat viel geweint, er war wütend. Er hat auch tatsächlich Gott verflucht und in Frage gestellt, ob es ihn überhaupt gibt. Er hat immer mit dem Fuß aufgestampft und gesagt: „Welcher Gott würde mir meine Mutter wegnehmen?“ 

Darauf haben Isabelle und ihr Mann keine Antwort. Aber sie haben zugelassen, dass der Junge Fragen stellen kann und wütend sein darf. Es hat bestimmt auch geholfen, dass Isabelle schon immer ein gutes Verhältnis zu den Kindern ihres Mannes hatte.

Empfindet sich Isabelle als Mutter der beiden?

Ja, einerseits. Ich bezeichne sie auch als meine Kinder, weil das jetzt einfach meine Kinder auch sind. Ich will aber nicht ihre Mutter ersetzen. Sie haben ja eine Mutter, auch wenn die jetzt gestorben ist. Ich bin vielleicht eine, ich weiß es nicht, eine Bonusmutter oder eine zweite Mutter.

Isabelle und ihre Familie haben im vergangenen Jahr einen anstrengenden Weg zurückgelegt, der sich aber gelohnt hat.

Und jetzt ein gutes Jahr nachdem das passiert ist, sind wir auch an dem Punkt, an dem sich das alles anfühlt wie eine normale Familie. 

Ich frage sie, wie das letzte Jahr für sie war.

Das letzte Jahr war wirklich hart, muss ich sagen, weil es so viel war. Weil so viele Termine waren. Das war am Anfang noch alles so schwierig, weil diese beiden Kinder alle Hobbys, alle Termine, die die haben, waren ja nicht in unseren Zeitplan gearbeitet, sondern in den der Mutter. Also mussten wir das alles erstmal irgendwie übereinbringen, so dass wir das überhaupt zeitlich alles leisten konnten. Dann kamen natürlich die Therapietermine dazu und eben dieses die Kinder immer wieder hier aufzufangen, emotional, das war wahnsinnig anstrengend. 

Gott sei Dank gibt es für alle professionelle Hilfe.
Auch Isabelle hat sich Unterstützung geholt und seit Anfang dieses Jahres hat sie mehr und mehr das Gefühl, in der neuen Familienkonstellation angekommen zu sein.

Ich habe jetzt auch wieder angefangen, mir Zeit für mich zu nehmen, zum Sport zu gehen, mir Freiräume zu schaffen. Und jetzt fühle ich mich auch ein bisschen entschleunigter wieder und ich glaube den Kindern geht es auch so.

Isabelle erzählt, dass ihr Mann und sie sich durch die Zeit getragen haben und dass diese krasse Situation sie noch näher zusammengebracht hat.
Was ist also Liebe für Isabelle?

Füreinander da sein. Den anderen tragen, wenn es erforderlich ist.

Isabelle erzählt, dass es oft harte Arbeit war und ist, das alles zu meistern. Vor allem emotional. Bei allem spornt sie an, dass die Kinder bestmöglich gestärkt sind, mit dem Verlust der Mama zu leben.

Die haben ja noch ihr ganzes Leben vor sich, und die sind jetzt noch, glaube ich, so jung, dass sie all diese Dinge vor der Pubertät noch einigermaßen gut verarbeiten können, so dass es sie dann nicht dauerhaft belastet; auch in ihren zukünftigen Beziehungen belastet. Sie werden immer diejenigen sein, deren Mutter gestorben ist. Aber es gibt, glaube ich, einen Unterschied zwischen man trägt das als Last mit sich und man verarbeitet das und das ist einfach ein Teil seiner Geschichte.

Wie sich der Verlust der Mama langfristig für die Kinder auswirkt, weiß natürlich niemand. Aber ich bin echt beeindruckt mit wieviel Liebe, Engagement und Fingerspitzengefühl Isabelle und ihr Mann diese liebevolle Basis geschaffen haben.

Spielt Gott eine Rolle in Isabelles Leben?

Ich glaube, dass alles von irgendwo zusammengefügt wurde. Und ich glaube, dass die Dinge so kommen, wie sie kommen sollen. Und das ist vielleicht das, was Gott für mich am Ehesten ist.

Genau dieser Gedanke trägt mich auch: dass Gott mich stark macht, das Leben anzunehmen, wie es mir entgegenkommt. Ob es nun einfach oder schwierig ist. Für mich steckt dahinter, dass ich auch von Gott angenommen bin, so wie ich bin.
Isabelle hat die Situation und vor allem die Kinder mit offenem Herzen und Armen angenommen und sie haben es gemeinsam bis hierher gemeistert.
Ich wünsche Ihr und der Familie von Herzen, dass es gut weitergeht.

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04MAI2025
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Adelheid und ihr Liegefrosch Foto: privat

Felix Weise trifft Adelheid und ihren Liegefrosch. Zusammen sind ab Mitte Mai auf Tour zur grünen Kathedrale.

Adelheid möchte in diesem Beitrag nur bei ihrem Vornamen genannt werden. Ihr geht es nicht so sehr um sich selbst – ihr Anliegen ist es, Aufmerksamkeit für die Krankheit ME/CFS zu wecken – und Aufmerksamkeit erregt vor allem ihr auffälliges Gefährt – ihr sogenannter Liegefrosch.   

Der Liegefrosch ist ein knallgrünes Elektroliegedreirad. Er hat zwei Funktionen: Einen ganz normalen E- Bike Motor, der mich beim Pedalieren unterstützt. Aber viel wichtiger ist eine Funktion, die mich herumkutschiert mit 4 km.

Auffallen ist aber nicht die Hauptaufgabe des Liegefrosches. Adelheid braucht ihn, um sich draußen selbständig bewegen zu können

Er bedeutet mir erstensmal Freiheit, denn sonst wäre ich überhaupt nicht mobil. Mit dem elektrischen Liege-Dreirad kann ich einfach bis maximal 20 km pro Tag mich herumkutschieren lassen. Es ist einfach mein Hilfsmittel. Mein Kopf ist gestürzt, meine Hände und Füße und meine Finger sind unterstützt, damit ich gut Gangschalten kann.

Auf diese Unterstützung ist Adelheid angewiesen, weil sie seit 2022 nach einer Covid-Infektion an ME/CFS leidet. Hinter diesen Buchstaben verbirgt sich eine Krankheit mit schwerwiegenden Symptomen:

Also bei mir ist es so ich habe maximal 10 % Kraft von meiner früheren Kraft. Ich habe jeden Tag Schmerzen und bin auch mental viel langsamer, weil ich sehr reizempfindlich bin. Also Helligkeit und Lärm ist für mich ein großes Problem. Und was mir am allermeisten Energie zieht, ist der Kontakt mit Menschen. Das heißt, ich bin vielleicht auf unter 5 % von meinen sozialen Kontakten jetzt zusammengeschrumpft.

Soziale Kontakte sind lebensnotwendig, aber auch anstrengend – und darum sind viele an ME/CFS-Erkrankte in der Öffentlichkeit kaum sichtbar, weil sie aufgrund ihrer reduzierten Energiereserven oft zurückgezogen leben müssen.

Man sieht uns nicht, man sieht uns nur, wenn es uns gut geht. Dann sind wir draußen. Aber auch nicht viel. Und da ist es natürlich einfach, Leute zu vergessen.

Adelheid will diesen Vergessenen mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Sie sagt von sich, dass ihre Symptome vergleichsweise moderat sind. Für alle, die weniger Kraft haben als sie, will sie sich einsetzen, wie Sara, Karina und Jonas, die alle unter 18 sind und auch an ME/CFS leiden.

Die jungen Leute, die teilweise seit drei, vier Jahren keine Freunde mehr gesehen haben. Die liegen in dunklen Zimmer und rum. Und ich habe gedacht, bei mir geht es jetzt wieder ein bisschen aufwärts. Ich muss etwas machen.

Am 12. Mai soll es losgehen. Von Süddeutschland aus Richtung Niederlande. Langsam. Im eigenen Tempo. Mit Pausen, Schlaf, Rückzug. Aber mit einem klaren Ziel vor Augen. An was man da wohl alles denken muss –  neben guter Planung braucht es wahrscheinlich eine ordentliche Portion Mut.

Ich habe keinerlei Angst. Ich habe als junger Mensch von Frère Roger aus Taizé gehört. „Wäre das Vertrauen des Herzens aller Dinge Anfang...“ […] Dieses Vertrauen des Herzens, das ist für mich mit Mut gleichzusetzen. Da liegt auch Ruhe drin und da liegt auch Glauben drin und das, das hilft mir, glaube ich, sehr.

Ich bin beeindruckt von Adelheids Einstellung. Sie überlasst nichts dem Zufall – das wäre auch zu anstrengend das Ziel ihrer Tour schon lang geplant. Vor anderthalb Jahren hat sie auf Instagram die „Grüne Kathedrale“ in den Niederlanden entdeckt.

Da hat ein Künstler 187 Pappeln gepflanzt auf dem Grundriss der Kathedrale von Reims und ich habe das gesehen und hab gedacht, wenn ich irgendwann mal wieder raus kann, dann will ich dahin.

Mit ihrer Tour, die auf Instagram und Bluesky begleitet wird, will Adelheid Aufmerksamkeit auf die Krankheit ME/CFS lenken. Und sie sammelt Geld. Über 60 Sponsoren hat sie schon für die biomedizinische Erforschung der Krankheit zusammen. Die andere Hälfte des Geldes geht an die Botkins Charity:

Das ist eine kleine Gruppe Ehrenamtlicher in der Schweiz, die kleine Roboterli bauen, die wie so ferngesteuerte Autos sind. Und die jungen Leute, die bettlägerig ans Haus gebunden sind, können diesen Roboter mitnehmen lassen,  zum Beispiel bei einer Hochzeit oder bei einem Fußballspiel. Und der fährt dann rum, hat eine Kamera dabei und Mikrofon und man kann sozusagen vom Handy aus im Bett interagieren.

Wenn alles gut läuft, dann ist Adelheid mit ihrem Liegefrosch Mitte Juni an ihrem Ziel. Mut und Vertrauen braucht ihr nicht zu wünschen, davon hat sie genug. Welche Überschrift wird sie ihrer Tour wohl im Rückblick geben?

„Eigentlich ausgehend von meinem Lebensmotto: Das Vertrauen des Herzens war aller Dinge Anfang. Also wir müssen ja aus allem, was ist, einen Neubeginn machen. Auch wenn er ganz anders ist. So wie jetzt bei mir dieser Bruch war durch diese Krankheit. Mit dem Vertrauen des Herzens können wir dann auch anderen Gegebenheiten standhalten.

Die Website des Projekts : https://t1p.de/m0ttx

Adelheid und der Liegefrosch auf Instagram: https://www.instagram.com/liegefrosch_mecfs/

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27APR2025
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Noémi Kiss Copyright: Eszter Gordon

Caroline Haro Gnändinger trifft die ungarische Autorin Noémi Kiss.

Ihre Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt und sie schreibt für die Wochenzeitung DIE ZEIT. In ihren Texten geht es oft darum, was Frauen erleben, und wie der Alltag im Sozialismus war. Den hat sie selbst als Kind und Jugendliche erlebt. Was ich an ihren Geschichten mag, sind die Details - sie schaut genau hin. Ein gutes Ende haben ihre Geschichten aber selten - warum eigentlich?

Ich glaube nicht, dass es immer gut sein muss. Es gibt auch Gutes und auch viele Schicksale, einfach Schicksale, die nicht so gut gelungen sind.

Und wie Menschen damit umgehen, wenn etwas ganz anders kommt, als vorher erhofft, das findet sie interessant. Und mir geht es auch so:

Dieses Streben, dieses Vorstellen, gerade, dass du etwas enttäuscht bist und trotzdem weiter machst.

Enttäuschungen erlebt schließlich jeder, auch Noémi Kiss. Als sie vor einigen Jahren Kinder bekommen hat, Zwillinge, gab‘s Komplikationen und sie war manchmal auch überfordert, erzählt sie. Was ihr geholfen hat, war auch: der Glaube, dass Gott bei ihr ist:

Das war schon eine schwierige, ein sehr schöne, aber schwierige Zeit. Bei dem Arzt zu sein, diese ärztlichen Sachen, die nicht unbedingt angenehm sind. Und dass ich dann eine Frühgeburt hatte und dann hat Glauben sehr viel gerettet.

Sie erzählt mir, dass es ihr auch gut getan hat, dass die Kirchengemeinde vor Ort es möglich gemacht hat, dass Eltern sich austauschen können. Auch in ihren Büchern taucht immer wieder Christliches auf. Eine Kinderbibel, die irgendwie tröstet. Oder ein Christusfigürchen aus Blech, das die Mutter zum Schutz unter‘s Kopfkissen ihrer Tochter legt. Von dem Das Figürchen soll auch niemand erfahren und es riecht komisch, metallisch.

Ich bin in Ungarn aufgewachsen. In meiner Kindheit war es verboten zu glauben. Es war nicht gut angesehen, wenn du in die Kirche gegangen bist. Dass Gott überhaupt nicht existiert, das hat auch meine Lehrerin immer gesagt und dann zu Hause waren wir trotzdem gläubig. Es war ein geheimes Leben, ein Doppelleben, sagt man auch, und das ist schon schwierig. Aber deinen Glauben kann das noch mal stärken. Und ich glaube, dass das heute noch verarbeitet wird in meiner Generation.

Den Glauben verstecken müssen, das prägt ihre Gefühle und ihre Seele bis heute noch, findet sie. Bei mir war es anders, als ich aufgewachsen bin: Kirchliche Jugendgruppen und Religionsunterricht, das war zum Glück nicht verboten. Noémi Kiss arbeitet inzwischen übrigens an einer Literatur-Zeitschrift der Erzabtei Pannonhalma mit. Die ist UNESCO-Weltkulturerbe. Dorthin werden regelmäßig Autoren eingeladen. Auch Noémi Kiss – sie hat so dort schon die Wochen vor Ostern verbracht.

Das fand ich auch lustig, weil es nicht so streng war wie ich mir das vorgestellt habe. Wir haben auch gegessen und Gespräche geführt. Kino, Kunst, alles gibt es dort.

Sie hat dort an ihren Geschichten gearbeitet. Und das Gebet der Benediktiner-Mönche ganz früh morgens zum Start in den Tag hat ihr sehr gut gefallen:

Dass du wirklich erst mal dieses Gebet machst und dann fängst du an zu sprechen und denken und überhaupt, dass es Zunge und Sprache beeinflusst.

Ein schöner Gedanke! Wie sehr das, was ich morgens höre und spreche, meinen Tag und was so passiert, inspirieren kann. Und so ein Gebet gehört für sie auch immer noch zu ihrem Tag.

Autorin Noémi Kiss lebt in der Nähe von Budapest in Ungarn. Ich kenne sie von einer Journalistenreise und wir treffen uns in Ulm. Die Stadt liegt ja an der Donau und an dem Fluss spielen oft ihre Geschichten. Die Autorin recherchiert gerade für ein neues Buch über zwei heilige Frauen – die Heilige Elisabeth und die Heilige Margit. Sie haben vor 800 Jahren gelebt und waren Tante und Nichte. Um mehr über sie zu erfahren, bleibt Noémi Kiss nicht an ihrem Schreibtisch sitzen:

Ich besuche Orte, ich spreche mit Menschen. Es wird ein Reportage-Roman sein, oder - ich weiß es noch nicht - also es wird bestimmt ein modernes Format sein, über heilige Frauen zu sprechen.

In der katholischen Kirche gelten Elisabeth und Margit als Vorbilder. Elisabeth kenne ich, weil meine Heimatgemeinde nach ihr benannt ist. Und auf Bildern sind bei ihr oft Rosen zu sehen – weil sie armen Menschen heimlich Brot gebracht haben soll und als sie dabei entdeckt wurde, soll sich das Brot in Rosen verwandelt haben. Eine Legende, aber sie zeigt den großen Einsatz von Elisabeth für Menschen, die es im Leben schwer hatten. Sie, Elisabeth, und Margit waren ursprünglich aus Ungarn:

Die beiden waren aus dem Árpad Haus, aus diesem ungarischen Königshaus. Also das war wirklich eine der bedeutendsten Königsfamilie in Ungarn, auch sehr offen, auch christlich.

Noémi Kiss hat die Erzählungen über die Frauen gelesen und neue Erkenntnisse über sie. Es erstaunt sie, dass Margit und Elisabeth ihre Privilegien abgelegt haben, wegen ihres Glaubens an Gott. Wie ist es eigentlich bei ihr selbst: Wie stellt sie sich Gott vor?

Ich glaube mehr, dass es eine Instanz gibt und dass dein Leben geführt wird, du bestimmte Aufgaben hast und dass du das erfüllen musst.

Die Heilige Elisabeth damals hat ihre Aufgabe darin gesehen, sich für arme und kranke Menschen zu engagieren. Sie hat dafür sogar die Unterstützung ihrer Verwandten verloren und sich für radikale Armut entschieden. Ihre Nichte, die Heilige Margit hat eine Heirat abgelehnt – gegen den Willen ihres Vaters - und hat als Ordensfrau gelebt und Kranke gepflegt:

Sie sind sehr dramatische Dinge und ich finde, die beiden Legenden sind sehr schön emanzipiert. Also zwei Frauen, die selbst Entscheidungen treffen durften und in ihrer Zeit eine andere Mystik, eine andere Spiritualität angefangen haben.

Sich zurückziehen und weg zu kommen von dem, was man halt so macht, und sich stattdessen auf etwas Größeres einzulassen, das ist eigentlich sehr aktuell, findet Noémi Kiss:                  

Ich merke, dass Spiritualität, Aussteigen, sehr verbreitet ist, besonders unter Frauen. Und das hat bestimmt ein Grund, dass unsere Gesellschaft zu schnell geworden ist.

Den eigenen Alltag so radikal umkrempeln für mehr Mitmenschlichkeit und mehr Nähe zu Gott, wie es Elisabeth und Margit getan haben, das gelingt nur wenigen. Ich als Christin glaube, dass aber auch schon kleine Schritte in diese Richtung viel bewegen können.

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21APR2025
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Georg Zimmer Foto: privat

Barbara Wurz trifft Georg Zimmer

Teil I

Wenn ich mit dem Auto auf der A96 unterwegs bin, dann mache ich gerne Halt an der Raststätte „Winterberg“, um die Autobahnkapelle zu besuchen. Vom Parkplatz aus muss ich noch ein ziemlich steiles Stück den Berg hinauf. Aber es lohnt sich, denn oben angekommen erwartet mich nicht nur der weiß leuchtende Rundbau der Galluskapelle, sondern auch ein grandioser Ausblick: über Leutkirch und das Schwäbische Allgäu hinüber zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Und mich dieses Mal mein Gesprächspartner, Georg Zimmer. Der hat vor etwas mehr als 25 Jahren den Bau der Kapelle initiiert. Er erzählt mir, wer die Menschen sind, die zur Galluskapelle kommen: 

Das sind hauptsächlich Durchreisende, die auf dem Weg nach Süden vor allen Dingen hier Halt machen. Auf den Winterberg auf 750 Meter Höhe steigen und hier auch unter anderem die Aussicht auf die Berge genießen. Die andere Gruppe kommt aus der näheren Umgebung. Die Kapelle hat also zwei Funktionen einmal Autobahnkirche und zum anderen aber auch eine ökumenische Einrichtung in unserer Region.

Das weckt meine Neugier: Die Autobahnkapelle hat ihre Wurzeln also in der christlichen Ökumene. Georg Zimmer erzählt: Ihre Ursprünge reichen zurück bis in seine Schulzeit, als er nach dem Krieg mit seiner katholischen Familie ins evangelische Leutkirch gezogen war.

also 1950, als ich eingeschult wurde, gab es in der Grundschule in Leutkirch noch getrennte Klassen, getrennte Lehrer. (…) Das Gesangbuch hat entschieden, in welche Klasse man kommt. (...)Es gab sogar getrennte Treppenzugänge nach oben.

Und daran hatte sich kaum etwas geändert, als Georg Zimmer Ende der 70er Jahre als Stadtbaumeister nach Leutkirch zurückgekommen ist.

Ich habe dann im katholischen Kirchengemeinde, an dem ich seinerzeit angehörte, einen ökumenischen Ausschuss gegründet, weil es mir einfach ein Anliegen war, dass man hier mit dem Gesangbuch, mit dem „Gläubel“, wie wir sagen, einmal Schluss machen muss in Bezug auf die Beziehungen. (…) Aber zum Jahr 2000 hat es sich angeboten, dass wir mal etwas Richtiges miteinander machen, ein Projekt realisieren.

Und für das Projekt „Galluskapelle“ des ökumenischen Arbeitskreises war es ein Segen, dass Georg Zimmer nicht nur Architekt sondern auch beigeordneter Bürgermeister für den Bereich Bauen und Kultur in Leutkirch gewesen ist. Entstanden ist so ein einladender, heller Rundbau, der bis zu 25 Veranstaltungen jährlich beherbergt: Ausstellungen, Gottesdienste und ganz besonders hervorzuheben: Konzerte und Musik.

Also in der Kapelle kann man wunderschön singen. Wir empfehlen den Leuten immer, sich in der Mitte auf den kreisförmigen Oliven Holz Kreis zu legen und den Himmel anzusingen. (…) Also beispielsweise gibt es einen Ziehharmonika Spiele, der immer wieder kommt und hier oben Musik macht.

Was sind das für Menschen, die hier Halt machen?

Zum Beispiel hat sich gestern eine Gruppe von Pfadfindern aus Polen angemeldet, die hier auf der Reise morgens eine Messe feiern wollen. Wir haben aber auch Besucher, die beruflich unterwegs sind und die immer wieder die Gallus Kapelle besuchen, den Berg besteigen und somit ein bisschen sich vom Alltags Trubel ablenken lassen.

Es war wohl immer schon so, meint Georg Zimmer: wer einen Berg besteigt, der ist etwas befreit ist von seiner Last. Davon erzählen auch die Einträge der Besucher ins „Anliegen-Buch“, das in der Kapelle ausliegt.

Ich habe mal (…) das Anliegenbuch 2022 ausgewertet und das war ganz interessant, dass Menschen hier schreiben: Danke Gott für diesen wunderschönen Ort der Ruhe und Besinnung und all denen, die geholfen haben und jetzt immer noch helfen, dies zu ermöglichen. (…) Wir sind eben hier an einem Punkt, der vielleicht dem Himmel etwas näher ist, könnte man sagen, wenn man auf 750 Meter ist und den Ballast des Alltags unten liegen lassen kann.

Georg Zimmer ist schon lange in Rente, aber er ist bis heute Vorsitzender des Fördervereins Galluskapelle. Ihren Namen hat sie vom Heiligen Gallus, einem der drei Allgäu-Heiligen. Ihre runde Form und ihre schlichte und gleichzeitig einladende Ausstattung verdankt sie nicht zuletzt Georg Zimmer. Bis heute ist er maßgeblich dafür verantwortlich, dass hier ein Ort ist, der den Menschen auf Reisen einfach guttut. Auch solchen, die sonst wenig mit Kirche am Hut haben/Bezug haben zur Kirche

Also man sieht, es sind viele Menschen, die hier hochkommen, die vielleicht nicht unbedingt jeden Sonntag in die Kirche gehen, (...) die aber hier oben offensichtlich ein Bedürfnis haben, (…) an diesen neutralen Ort in diesem ökumenischen Ort zur Ruhe zu kommen.

Kommenden Samstag können sich Radfahrerinnen und Radfahrer um 14.30 Uhr an der Kapelle segnen lassen. Und am 13. Juli feiert die Gallus-Kapelle dann ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre die zeigen, dass sich das ökumenische Engagement gelohnt hat. Zum Schluss deshalb noch ein Zitat aus dem Anliegen-Buch. Denn es bringt auf den Punkt, was diesen Ort so lebendig macht:

Herzensdank an alle Menschen, die ihr diesen Ort geschaffen und gestaltet habt. Der Geist der Verbundenheit ist hier lebendig, jenseits von Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Religion. Uns alle verbindet weit mehr, als uns trennt. 

 

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20APR2025
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Yemisi Ogunleye Copyright: Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann trifft die Olympiasiegerin im Kugelstoßen Yemisi Ogunleye.

Sie hat mit ihrer Goldmedaille in Paris Sportgeschichte geschrieben – auch weil sie bei den Kommentatoren als die fröhlichste Athletin der Spiele galt. In Pressekonferenzen gab sie spontan Gospels zum Besten. Auch mich empfängt sie herzlich und bestens gelaunt und das hat für sie tatsächlich viel mit ihrem Glauben an Gott zu tun:

Das ist die Hoffnung, die mir auch so viel Freude gibt. Wenn man mich sieht, ich bin viel am Lachen, weil ich nicht gebunden bin an Druck. Weil ich einfach das verstanden hab: Da gibt es einen Gott der mich bedingungslos liebt, unabhängig davon, ob ich jetzt weit stoße oder nicht weit stoße. Und das ist ein Identitätswandel, der in mir einfach geschehen ist, zu wissen: die Grundlange von allem ist: Yemi, du bist geliebt! Du musst nicht perfekt sein. Du musst auch nicht eine Goldmedaille gewinnen, um geliebt zu sein, sondern du darfst einfach kommen wie du bist. Natürlich ist das ein hartes Stück Arbeit! Ich sag nicht man betet und dann wird man Olympiasieger, so einfach funktioniert das leider nicht. Aber das gibt eine gewisse Ruhe.

Diese Ruhe strahlt sie bei Olympia während dem Wettkampf im Stade de France auch aus. Dabei war der Start alles andere als gut. Beim ersten Versuch rutscht sie aus, und knallt auf ihr Knie – was hat sie da gedacht?

Ich lass mich davon jetzt nicht entmutigen, sondern ich steh auf und gebe jetzt gleich noch mal mehr und wenn ich dann noch mal hinfalle, habe ich nochmal einen Versuch und wenn ich dann wieder hinfalle, aber ich will der Angst keinen Raum geben und das hat sich einfach bis zum letzten Versuch so durchgezogen.

Der entscheidende sechste Versuch! Yemisi Ogunleye stößt unfassbare 20 Meter.  

Und dann stand ich im Ring und es war wirklich in einem Stadion mit 80.000 Menschen – es war so unglaublich ruhig in mir, aber auch um mich herum. Gottes Gegenwart in diesem Stadion darf ich gerade so spüren beim Kugelstoßen – ich dachte immer sowas gibt’s nur in der Kirche, aber das ist auch wieder das Schöne: Gott will in allem, was wir tun, mit uns gehen.

Mit Gott zu Gold. Und dann hält die Athletin, die in Bellheim in der Pfalz aufgewachsen ist, ein Schild in die Kameras – darauf zu sehen: ein Kreuz, ein Herz und die Abkürzung John 3,16. Die steht für einen Bibelvers, der Yemisi ganz wichtig ist.

Irgendwie hatte ich das so auf dem Herzen eine Botschaft nach draußen zu senden – und was ist eine wichtigere Botschaft zu senden in den Zeiten in denen wir leben, als die Liebe - und durch meinen Glauben habe ich gelernt, dass Gott die Liebe selbst ist. Und diese Liebe hat er einfach durch Jesus Christus gezeigt und Johannes 3 Vers 16 ist so das Fundament von meinem Glauben – darauf baut sich so viel auf.

Im Johannes-Evangelium steht: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ (Joh 3,16) Eine echte Osterbotschaft! Yemisi glaubt an Auferstehung und ein ewiges Leben bei Gott:

Das wovor die Menschen am meisten Angst haben ist der Tod. Aber diese Hoffnung zu haben: da gibt es noch was danach! Und deshalb ist Ostern für mich auch so wichtig.

Und was bedeutet für Sie der Satz, dass Gott seinen Sohn hingegeben hat?

Dass das nicht nur eine veraltete Geschichte ist, sondern sich auch zu fragen: Was hat das mit meinem Leben zu tun? Er hat diesen Schmerz, den wir als Menschen erleben, erlebt, er hat Verlust erlebt, er hat Trauer erlebt, er hat Freude erlebt. Dass es nicht ein Gott ist, der da oben sitzt und keinen Anteil an uns Menschen haben möchte, sondern um uns Menschen zu verstehen und Mitgefühl haben zu können. 

Ich treffe die Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye im Garten ihrer Trainerin in Mannheim.  Gold im Kugelstoßen, Leichtathletin des Jahres - was für Erfolge! Aber in ihrer Kindheit erlebte Yemisi nicht immer goldene Zeiten. Die Tochter eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter hat Rassismus und Mobbing erfahren – und war alles andere als selbstbewusst. Daran wurde sie vor kurzem von einer Freundin erinnert, die zu ihr sagte:

 „Yemi, du machst die kleine Yemi von damals sehr sehr stolz“ und diese Aussage hat mich so berührt –weil ich dachte: ja - ich hab als junges Mädchen immer gedacht: „Aus mir kann nichts werden.“  Ich muss immer 20% mehr geben durch meine Hautfarbe und mich immer mehr und anders beweisen müssen, auch in der Schule, das hat sich durch so viele Phasen in meinem Leben einfach durchgezogen.

Im Sport findet sie Anerkennung – aber als Jugendliche erlebt sie zweimal einen Kreuzbandriss – das wirft sie aus der Bahn. Sie fragt nach dem Sinn des Lebens – was ihr bleibenden Sinn gibt, auch unabhängig von Erfolg und Leistung:

Und da hat mir der Glaube geholfen zu fragen: „Gott wer bin ich in deinen Augen?“ und das hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin – und deshalb hab ich auch keinerlei Scheu darüber zu erzählen, weil ich einfach diese Hoffnung hab, dass diese Hoffnung, die mir mein Glaube bringt, dass es auch jemand anderem aus seiner Dunkelheit raushilft und ein Licht am Ende des Tunnels zu sehn.

Sie will niemandem etwas aufdrängen, aber von ihrer Hoffnung, die sie trägt, erzählen:

Ich glaube wir Menschen streben alle nach Erfüllung, wir streben immer nach mehr, wir streben nach etwas Höherem, wenn wir nicht an Gott glauben, glauben wir an uns selber, an dem Punkt war ich auch schon – Fakt ist aber, dass wir oftmals einfach auch versagen. Und ich glaub das ist auch das, was mir so viel Halt gibt: wir Menschen, wir haben Bedingungen, wenn ich dich liebe, erwarte ich auch Liebe zurück, aber es gibt einen Gott, der sagt: ich liebe diese Menschen bedingungslos.

Am liebsten singt sie diese Frohe Botschaft im Gospelchor ihrer Gemeinde in Karlsruhe. Denn sie hat nicht nur eine Goldmedaille, sie hat auch Gold in der Kehle. Mit ihren spontanen Gesangseinlagen im Stadion und auf der Pressekonferenz in Paris hat sie schon Millionen Herzen berührt - auch meins. Und deshalb frage ich sie, ob sie für die Hörerinnen und Hörer der Begegnungen zum Osterfest auch einen Gospel anstimmen würde – sie überlegt nicht lange:

„Weil du mir gnädig bist, hör ich nicht auf laut zu singen, wie sehr du liebst und würdig bist nur du, Jesus, und du verdienst das Lob, würdig bist nur du.“*

Quelle:*Lyrics aus dem Lied „Würdig“ von Urban Life Worship (deutscher Text: : Arne Kopfermann ) – englisches Original: „Worthy“ von Elevation Worship (Text: Chris Brown, Mack Brock, Steven Furtick).

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18APR2025
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Martin Wendte

Barbara Wurz trifft Martin Wendte

Teil I

Mit der einen Hälfte seines Dienstauftrags ist er „ganz normaler“ Gemeindepfarrer an der Ludwigsburger Friedenskirche. Mit der anderen arbeitet er hier als Citykirchenpfarrer – eine Aufgabe, die  über die normalen Grenzen einer Ortskirchengemeinde hinausreichen. Für Martin Wendte ist Citykirche ausdrücklich dafür gemacht…

Die City Kirche ist ausdrücklich dafür gemacht, dass wir experimentell sind, dass wir rausgehen, neue Formate versuchen, dass wir Sachen probieren, Fehler freundlich sind, auch wieder lassen. Das machen wir im Gemeindepfarrer auch so, aber die City Kirche hat das noch mal in zugespitzter Form als einen Auftrag.

Überregional am bekanntesten sind wohl die Nachteulengottesdienste - jeden dritten Sonntag im Monat - mit professioneller Band und Predigerinnen und Predigerinnen aus ganz Deutschland. Martin Wendte geht in Ludwigsburg aber auch gerne Kaffee trinken – wie er es nennt - um Kontakte zu knüpfen und Kooperationen, zum Beispiel mit der Volkshochschule oder anderen Institutionen vor Ort.

Dann bin ich Veranstalter für ganz viele Veranstaltungen, Konzerte, Abende mit Anselm Grün, mit Paul Potts, dem Gewinner von Deutschland sucht den Superstar auf Englisch. Das heißt dann bring uns Gott Talent mit für Frieder Berlioz, der Händels Messias mit uns macht, also ganz breites Publikum. Und das will ich auch erreichen, (dass auch die Idee dabei wir haben einen Schwerpunkt auf Jazz und auf Gospel, aber die Breite von dem Ganzen, das ist das, was mich fasziniert)

Martin Wendte will möglichst vielfältige Zugangsmöglichkeiten zu Kirche anbieten, immer offen und mit einem Blick für die unterschiedlichen Interessen und Fragen der Menschen. Genauso wichtig ist ihm dabei: an den Themen der Zeit dran zu bleiben. Und da führt im Jahr 2025 – 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs – kein Weg an Dietrich Bonhoeffer vorbei. Am 9. April 1945 wurde der Widerstandkämpfer im KZ Flossenbürg ermordet. Bonhoeffer bleibt aber auch als evangelischer Theologe und Pfarrer bis heute aktuell. Besonders mit seinen Fragen an die Kirche:

Wie müssen wir eigentlich heute Kirche sein, (...) eine Gemeinschaft mit einem besonderen Charakter, wo sichtbar wird und es auch eine Wirkung hat, dass wir wirklich Christinnen und Christen sind? Also Bonhoeffer, der seinen Text geschrieben, der ist Nachfolge, er hat die Bergpredigt ausgelegt. Was heißt das eigentlich Nachfolge heute für uns als Kirche, nicht nur für uns als Einzelne, gerade von uns als Gemeinschaft?

Martin Wendte ist gemeinsam mit den Mitgliedern seines offenen Gesprächskreises „Reden über Gott und die Welt“ auf weitere Parallelen zu Bonhoeffer gestoßen: so zum Beispiel beim russischen Widerstandskämpfer Alexeij Navalni.

Ein Thema des Kreises in diesem Jahr: Dietrich Bonhoeffer, der vor 80 Jahren vom Nazi Regime ermordet wurde. War er ein „Held des Christentums“? Und gibt es noch andere christliche Helden?

Oder wir haben uns dann Helden des Christentums angeguckt, den Nawalny, diesen fantastischen Oppositionspolitiker, den Putin, der ja dann von Putin ermordet worden ist letztes Jahr. Der war von der Bergpredigt inspiriert. Es gibt wunderbare Texte von ihm, wo er sagt, wie wichtig ihm die Bergpredigt war.

Jesus sagt in der Bergpredigt der Bibel Sätze wie: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Er sagt aber auch:  „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“ oder „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen“ Was heißt für die Kirche zur Zeit Bonhoeffers? Für die Kirchen heute? Ihr Selbstverständnis und ihren Zusammenhalt? Bonhoeffer würde es vielleicht so sagen:

Ihr seid hingestellt von Gott an bestimmten Ort und nimmt das ernst, macht das auf dieser Welt, so gut es irgendwie geht.(...)  Und dann soll man aber auch an diesem Ort Verantwortung übernehmen, wie Bonhoeffer das sagt. (...) Also ich soll auch antworten auf das Worauf, wo ich herausgefordert werde, herausgefordert, und zwar von Jesus Christus, der sagt Guck mal auf deinen Beruf, auf deine Rolle, auf deinen Job, und zwar so Guckt da so drauf, dass du die Dinge auch noch mal in Frage stellst.

Eines findet man bei Bonhoeffer nicht, meint Martin Wendte:

Eine klare Antwort auf diese Frage. Denn für den ist klar, dass die Bibel keine Sammlung von konkreten und feststehenden Anweisungen ist. An Bonhoeffer lässt sich vielmehr ablesen, dass Christsein eine Lebenshaltung ist.

Das ist eine Haltung, da ist ein Unruh Motor drin, der sagt der lebendige Gott bringt dich immer noch mal neu ins Grübeln,(...) , in eine in eine hoffnungsvolle Unruhe. (...) Und das ist, glaube ich, von der Grundhaltung, dass, was Bonhoeffer eigentlich sagen will, an jedem Punkt auch beim Widerstand erwarten. Welcher? An welchem Punkt muss man Widerstand machen? Er sagt er weiß nicht. Das kann man nicht generell sagen. 

Christsein ist eine Lebenshaltung. Und zwar die Lebenshaltung von Menschen, die sich einander verbunden fühlen. Einer Gemeinschaft also. Für Martin Wendte eine wichtige Erkenntnis, wenn er sieht, wie Kirche sich gerade verändert. Und eine Haltung die wegweisend sein kann für die Herausforderungen, vor denen Kirche heute steht. Oder mit den Worten des Citykirchenpfarrers von Ludwisgsburg:

Transformieren wir uns eigentlich so wie jede andere Organisation auch? Und es geht nur darum, dass wir Ressourcen neu verteilen? Oder haben wir auch geistliche und theologische Debatten, die dazu führen, dass wir bestimmte Schwerpunkte setzen? (...) Die Welt ganz ernst nehmen und zugleich sich immer herausfordern zu lassen, sie zu überschreiten. (...) Ich glaube, dass wir davon, dass wir genau das brauchen. Ich mag es, wenn Menschen mich heraus dazu herausfordern, spannungsvoll zu denken und zu leben.

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13APR2025
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Prof. Giovanni Maio copyright: Silke Wernet

Ich bin Manuela Pfann und treffe heute Giovanni Maio. Er ist Philosoph und Arzt und im Beruf beides zusammen: Professor für Medizinethik in Freiburg. Mit ihm kann ich mich also über grundsätzliche Fragen im Leben austauschen. Genau das mache ich zu Beginn der Karwoche. Weil für mich diese Tage vor Ostern eine besondere Zeit sind. Da wird mir jedes Jahr aufs Neue sehr bewusst, wie schnell sich das Leben ändern kann, und wie zerbrechlich alles ist. In den letzten Tagen im Leben Jesu, da kommt alles vor: Er wird gefeiert, als er nach Jerusalem kommt, und kurz darauf packt ihn die Verzweiflung als ihm klar wird: Ich werde sterben. Ich frage Giovanni Maio: Was können wir lernen von dem, was da vor über 2000 Jahren passiert ist?

Auf jeden Fall, dass der Mensch ein sorgebedürftiges Wesen ist, weil der Mensch jederzeit mit Schmerz und Leid konfrontiert werden kann und dass das Leben nur dann adäquat wahrgenommen werden kann, wenn wir es in seiner Brüchigkeit wahrnehmen. Und dass das Leben letzten Endes unvollkommen bleiben wird und darin aber etwas Ganzes haben kann.

Ich verstehe das so: Mein und unser Leben ist auch da gut und richtig, wo es Brüche gibt, wenn wir uns bewusst sind, dass auch Dinge unerfüllt bleiben werden und manches einfach richtig weh tut. Und deshalb muss ich mich um den anderen sorgen.

Wir müssen eine Kultur eröffnen, für die es selbstverständlich ist, dass man für andere da ist, dass man das Leiden mitträgt, auch dann, wenn wir es nicht wenden können. Manchmal kann man Menschen dadurch helfen, dass man sich solidarisch zeigt mit ihnen und den schweren Weg mitgeht, damit er sich nicht selbst aufgibt.

Ich habe dabei sofort die Szene aus der Passion vor Augen: Simon von Cyrene hilft und stützt Jesus, indem er dessen Kreuz mitträgt. Er begleitet Jesus ein kleines Stück auf diesem schweren Weg; auch wenn er weiß, er kann seinen Tod nicht verhindern.

Jesus und Simon von Cyrene, das waren zwei, die sich ihrer eigenen Verletzlichkeit, eben dieser Brüchigkeit des Lebens, bewusst waren. Das lerne ich im Gespräch mit Giovanni Maio, weil er sagt, …

… dass wir nur über das Verletzlich-Sein, auch mitfühlen können, uns einfühlen können und uns motiviert fühlen können, für das Gute einzutreten. Deswegen hat der Blick auf die Verletzlichkeit etwas damit zu tun, dass wir sensibel werden für das Eigentliche

Verletzlichkeit hat also auch eine positive Seite. Giovanni Maio findet, wir müssen unbedingt mehr über dieses Thema, über dieses Wort sprechen, weil Verletzlichkeit in unserer Gesellschaft falsch gedeutet wird.

In unserer Kultur wird Verletzlichkeit als Schwäche gesehen. Verletzlichkeit als Verlust von Autonomie, Verletzlichkeit als reine Abhängigkeit.

Und das hat Folgen.

Giovanni Maio hat sich intensiv mit der Verletzlichkeit des Menschen beschäftigt* und sagt: die gehört zu uns – und sie hat eine positive Seite. Die hilft uns, sensibel für die Bedürfnisse anderer zu sein. Aber genau das vermisst Giovanni Maio mehr und mehr. Er findet, …

… dass wir in einer Zeit leben, in der der Mensch meint, er könne bei sich anfangen und mit sich glücklich werden. Das ist ein Irrtum. Wir fangen nicht bei uns an, wir verdanken unsere Existenz anderen. Wir verdanken das, was wir können, anderen.

Alles andere ist eine Illusion sagt er:

Die Illusion der Unverwundbarkeit, die Illusion der Unabhängigkeit. Der moderne Mensch möchte radikal unabhängig sein; und das ist Ausdruck einer Ideologie. Wir müssen anerkennen, dass wir von Anfang an angewiesen sind auf andere.

Weil wir eben Beziehungswesen sind, ohne andere Menschen können wir gar nicht leben. Und trotzdem folgen wir einer Ego-Logik, sagt Giovanni Maio.

Und diese Ego-Logik lehne ich ab, weil ich denke, wir brauchen viel mehr das Bewusstsein gemeinschaftsstiftender Werte und des Gemeinsamen, des Geteilten.

Auch wenn Giovanni Maio als Philosoph spricht, ich denke bei seinen Worten an das, was das Christentum ausmacht – und wie es einst begonnen hat. An die Gemeinschaft. Nach dem Tod Jesu haben sich überall Menschen in kleinen Gruppen zusammengefunden und füreinander gesorgt und das Leben miteinander geteilt. Für mich ist die Karwoche deshalb immer auch eine Zeit innezuhalten, mich an jene Anfänge zu erinnern und neu Kraft zu sammeln. Die finde ich am Ende der Karwoche, in der Osternacht, wenn wir die Auferstehung Jesu feiern. Das ist für mich die Geschichte der großen Hoffnung! Die Zuversicht, dass es weitergeht.

Wie denkt ein Philosoph und Ethiker über die Hoffnung?

Wir brauchen irgendeine Grundlage, von der aus wir hoffen, und sei es der Glaube an das Gute, sei es, das Vertrauen in andere Menschen, sei es die Zuversicht auf gute Begegnungen. Der hoffende Mensch, der erkennt eben Möglichkeitsräume in der Zukunft, weil er diesen Grund hat. Hoffnung hat immer etwas von einer Ausrichtung auf Gemeinschaft, das Bewusstsein, irgendwie eingebettet zu sein. Und deswegen müssen wir der Tendenz der Vereinzelung entgegenwirken.

Und noch etwas ist wichtig, sagt er: Hoffnung hat immer etwas damit zu tun, dass wir offen bleiben für das, was kommt und nicht schon vorher zu wissen meinen, was geschehen wird.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das ist der hoffende Mensch und mag es noch so widrig sein. Lass uns über den Frieden sprechen. Selbst wenn Bombenhagel drohen. Das ist Hoffnung.

 

 

*Giovanni Maio, Ethik der Verletzlichkeit, Verlag Herder, 2024
https://www.herder.de/leben/shop/p6/84227-ethik-der-verletzlichkeit-gebundene-ausgabe/

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06APR2025
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Madeleine Dietz Foto: privat

Peter Annweiler trifft die Bildhauerin Madeleine Dietz

Teil 1: Ihre Materialien

Ich besuche die 71-jährige Künstlerin in Landau in ihrem Atelier. Da riecht es nach Erde, denn damit arbeitet die Bildhauerin. Egal ob geschüttet, geschichtet oder gekrümelt: Erde ist ihr Markenzeichen. Und sie ist staub-trocken. Denn genau damit regt Madeleine Dietz die Betrachter an.

Ich hoffe, dass Menschen darüber nachdenken, wenn sie getrocknete Erde sehen: Was passiert mit ihr? Ich nehme die Menschen quasi mit und bitte sie, mitzudenken und mitzuarbeiten. Und vielleicht kommen sie dann auch die Idee, dass die Erde gegossen werden könnte. Und dass dann wieder alles möglich ist, was vorher aussah, wie wenn es vertrocknet wäre.

Getrocknete Erde – ohne künstlerischen Anstoß scheinbar ohne großen Wert. Madeleine Dietz macht Behälter dafür. Sie schweißt schwere Stahlplatten zusammen und schafft „Tresore“, um sie  „nur“ mit getrockneter Erde zu füllen.

Beim Blick auf ihre Kunst wird schnell klar: Erde verkörpert Werden und Vergehen. UndKunstobjekt von Madeleine Dietz sofort fällt mir auch der biblische Satz ein: „Von der Erde bist du genommen und zu Erde wirst du werden.“

Ich musste mir überlegen: Wie kann ich denn diese Erde, von der wir essen und trinken, in die wir auch wieder hineingehen -  wie kann ich diese Erde aufbewahren? Und da kam ich eigentlich direkt darauf, dass es Schreine für was Wertvolles sein sollten: Schmuck oder Goldbarren. Und für mich ist dann eben das der Platz, wo ich die Erde aufhebe.

Erde ist ja so was wie der „Urstoff“ des Lebens, nicht umsonst auch der Name unseres ganzen Planeten. Und gleichzeitig ist sie auch das Symbol für Vergänglichkeit. Madeleine Dietz musste schon früh im Leben lernen, was es heißt, nahe Menschen zu verlieren und Abschied zu nehmen.

Quasi ist mir das so vor die Füße so als Stolperfalle gelegt worden in diesem Leben. Ich habe es aufgegriffen. Das war mein Glück eigentlich, dass ich mit dem Thema dann arbeiten konnte und auch damit auch abarbeiten konnte.

Gut, dass Madeleine Dietz nicht nur ins Stolpern geraten ist, sondern dieses Stolpern künstlerisch bearbeiten konnte. Für mich wird als Betrachter ihrer Werke sofort spürbar: Ihre Kunst entsteht aus existenziellen und religiösen Fragen. Deshalb sprechen mich ihre Werke sofort an. Sie wirken klar und offen, irgendwie sogar tröstend und weitend.
Genau in dieser Wirkung sind Kunst und Religion ja verwandt. Beide helfen, die Perspektive auf das Leben zu verändern. Und genau das regen auch die Werke von Madeleine Dietz an. Wohl deshalb ist die Bildhauerin sehr gefragt, gerade in Abschiedsräumen und in Kirchen.

Teil 2: Ihre Räume

Die Erde holt sie meistens direkt vom Feld, trocknet sie und füllt sie dann in großformatige „Tresore“, die überall im Atelier rumstehen.

Meine Arbeit – und ich sag‘ jetzt mal Arbeit, nicht einmal Kunst -hat mich ein Leben lang getragen, aber auch beschäftigt, im Schlechten wie im Guten. Ohne diese Arbeit wäre ich nicht dieser Mensch,  wäre ich nicht das, was ich geworden bin. 

Ein Künstlerleben lang hat die gebürtige Mannheimerin ihre Handschrift verfeinert, vielfach ist sie ausgezeichnet. Für mich ist es zentral, dass Madeleine Dietz im wahrsten Sinn des Wortes ihre „Bodenhaftung“ behalten hat. Sie ist eine Fragende geblieben.

In der Kunst stelle ich ja eigentlich Fragen. Fragen, die ich mir selber nicht beantworten kann. Und dieses Unergründliche dieses Daseins und auch diese Unergründliche von:  Was ist, wenn mein Partner geht, zum Beispiel oder wenn eines meiner Kinder sterben würde?  Diese große Frage: Was ist denn dann? Ist da nur das dunkle Grab? Ist da nur noch die Asche? Ist da nur noch meine Erinnerung? Oder gibt's da noch was, von dem ich selber keine Ahnung habe?

Madeleine Dietz hat in verschiedenen Krankenhäusern sogenannte Abschiedsräume gestaltet, in denen verstorbene Patienten aufgebahrt werden.  Und dann auch Kolumbarien, also Urnengräber auf Friedhöfen oder in Kirchen. Vielleicht wurde sie dazu eingeladen, weil sie sich neben allem Fragen auch auf eine Gewissheit verlässt.

Als Christ sowieso: Wir wissen, was Ostersonntag ist: Es geht um Auferstehung. Es geht um „Weiter“.  Der Tod allein besiegt das Leben nicht. Das sind meine Themen, die ich versuche, in so nem  Raum darzustellen.

Zugleich fragend und doch voller Gewissheit gestaltet Madeleine Dietz Räume für die Seele. Fast schon klar, dass sie da auch ganz sensibel für Kirchenräume ist.

Ich gehe, wenn ich nen Kirchenraum betrachte, mal davon aus, dass es ganz, ganz viele Menschen sind, die in diesem Raum ihre Nöte, ihre Ängste ..  Gott darlegen. In der Hoffnung, Hilfe zu bekommen. Es sind also Treffpunkte von was ganz Wesentlichem.

In dieser Haltung gestaltet Madeleine Dietz Kirchenräume: Mit dem Urstoff Erde gibt sie uns einen Hinweis auf die göttliche Schöpfung. Mit den tresorartigen Stahlbehältnissen zeigt sie aber auch menschliche und industrielle Schaffenskraft. Diese „Signatur“ ist mittlerweile in ganz schön vielen Kirchen präsent: Unter anderem in Stuttgart, Bad Dürkheim und Worms. Im Mainzer Dom zeigt sie gerade eine Installation zum Heiligen Jahr. Und in Mannheim habe ich mich in meiner früheren Gemeinde noch längst nicht an ihrem Altar satt gesehen.

Was für ein Segen, wenn Kunstschaffende wie Madeleine Dietz gleichermaßen gegenwartsbezogen und überzeitlich sein können.

Mehr Infos zur Künstlerin:
https://www.madeleinedietz.de/

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30MRZ2025
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Pfr. Paul Schobel copyright: Privatfoto

Ich kenne keinen anderen Priester, der so tief in der Arbeitswelt so sehr unterwegs ist, wie er: Paul Schobel. Vielleicht ist er bekannt von unseren Anstößen:

„Heute Mit Betriebsseelsorger Paul Schobel“ 

Als Betriebsseelsorger ist er mit und für die Arbeitnehmer in den Betrieben unterwegs, obwohl er mit 85 Jahren längst den Ruhestand genießen könnte.

„Ich habe keinen anderen seelsorgerlichen Bereich gefunden, wo Mystik und Politik so zusammenwachsen wie hier. Und Mystik bedeutet einfach je tiefer ich in Gott selber wurzle, umso politischer muss ich werden.“

Es ist für ihn radikal einfach: Zum Christsein gehört mehr als nur beten und reden. Wer die christliche Botschaft ernst nehmen will, der muss unser Zusammenleben mitgestalten. Der muss sich zwangsläufig für Gerechtigkeit, also für gute Verhältnisse für alle einsetzen. Als Christ muss er auch den Schwächeren Hilfe zur Selbsthilfe sein. Vor allem in der Arbeitswelt:

„Arbeit und Einkommen. Das ist ein existenzielles Problem, das sehr stark entscheidet über gelingendes Leben“

„Haste was, biste was. Haste nix, biste nix.“ – den Spruch kennt man ja. Jeder ist für sich selbst verantwortlich – aber so ganz stimmt es eben nicht. Strukturen und Arbeitsbedingungen spielen eine große Rolle. Und für Paul spielt noch viel mehr eine Rolle, welchen Wert wir Geld überhaupt beimessen:

Und das hängt nun zusammen mit dem, was mein Leib- und Magenthema seit 60 Jahren ist, nämlich die Kapitalismuskritik. Wir arbeiten unter falschen Voraussetzungen. (…) In der katholischen Soziallehre, wenn sie verkündet und gelebt würde, wäre die Arbeit die zentrale Größe. Und stattdessen haben wir das Kapital, das erst aus der Arbeit entstanden ist und dass nun aber der Steuerknüppel schwingt und alles unterordnet.“

Und da kann ich auch gut mitgehen: Arbeit sollte einen Wert und eine Würde haben. Schließlich bin ich ein Mensch und kein Zahnrad im Betrieb.

Arbeit ist keine Ware. Im Kapitalismus aber ist Arbeit ein Faktor. Und dieses Faktordenken bekämpfen wir, ja?  Es gibt ein Menschenrecht auf Arbeit, das ist in der katholischen Soziallehre so angedeutet“

Paul Schobel hat die Betriebsseelsorge im industriestarken Südwesten maßgeblich mitgegründet. Auf eigenes Drängen hin, wird er zu Beginn der 70er Jahre von seinem Bischof beauftragt sich für die Belange der Arbeitnehmer einzusetzen. Er wird damit zum Pionier in seiner Kirche und nennt sich zunächst Industriepfarrer. Ein Priester, dessen Gemeinde die Industriebetriebe sind, und damit geht er andere Wege. 

ganz wichtig war natürlich für mich am Anfang, dass ich selber im Betrieb zur Arbeit ging, als ganz normaler Arbeiter bei Daimler. Die Erfahrung möchte ich nicht missen. Schichtarbeit.  Dann taktgebundene Arbeit am Fließband war ganz wichtige Erfahrung. (...) Und das Entscheidende aber ist, dass man dann natürlich an den Konflikten der Arbeitenden teilnimmt. Denn es war ja kein Jahr ohne irgendeine größere Lohnbewegung. Viele Jahre mit großen Streiks in Baden-Württemberg, die vor allem eben in Stuttgart und Sindelfingen ausgetragen wurden. (…)  Wir haben die Presse miteinbezogen und haben Menschen zum Sprechen gebracht. Ja, damit Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft überhaupt mal wahrgenommen wird. Aber im Mittelpunkt stand sicher immer das Seelsorgerliche.

Seitdem hat sich viel getan und entwickelt in der Betriebsseelsorgearbeit in im Südwesten. Es gibt viele Standorte und Themen-Schwerpunkte, wie Arbeitslosigkeit, Mobbing, Burn-Out, Fernfahrer-Seelsorge, etc.

Und obwohl so viel entstanden ist, findet Paul keine Ruhe, denn die Arbeitswelt birgt ständig neue Herausforderungen.

 

Paul Schobel hat sich bei Betrieben, Gewerkschaften und Angestellten als Betriebsseelsorger einen Namen gemacht. Zur eigenen Berufswahl ist Paul Schobel allerdings eher geschoben worden, verrät er mir. Es ist nicht seine Idee gewesen. Er wollte eher Elektriker werden oder etwas mit Musik machen, doch der Pfarrer hat ihn in der Schule zum Studium gelotst. Pflichtbewusst hat er sich dann von Station zu Station gehangelt: Abitur, Theologie-Studium, Priesterseminar – und ist dabeigeblieben.

In den ersten Priesterjahren hat er dann ein Aha-Erlebnis: Gemeinsam mit der Christlichen Arbeiterjugend erschließt er sich die Bibel ganz neu.

„Bin da erst auf den Trichter gekommen, wie politisch das Ganze ist. (…)

Wahrscheinlich entzündet durch das, was ich erlebt habe mit den jungen Leuten, die eben im Betrieb nun kämpfen mussten, um Würde und Löhne.

Also mir ist da erst bewusst geworden, was es heißt, in einer Demokratie sich zu formulieren, sich zu formieren und Gegenkräfte zu entwickeln.“

Es ist die Zeit der 68er, auch die kirchliche Jugendarbeit wird politisch aktiv, wird mutig. Das prägt Schobel und er ist mit und vorne dabei, wenn laut begehrt und demonstriert wird. Auch heute noch ist Paul Schobel leidenschaftlicher Aktivist, aber immer der Sache nach und mit gerechten Maßstäben:

„Mir imponiert immer noch das Tarifvertragswesen. Das ist ein gigantischer Fortschritt in der Menschheitsgeschichte, dass schon die Weimarer Verfassung und später das Grundgesetz einräumt. Das heißt, man streitet sich und es geht ja fürchterlich her. In Tarifauseinandersetzungen und den Arbeitenden bleibt ja nichts anderes wie möglicherweise die letzte Keule, die sie haben. Und die bedeutet Arbeitsverweigerung, ja? Bis es dann eine Einigung gibt und siehe da, es gibt sie allemal. Frag nicht wie. Und mit wie vielen Kompromissen es kann nur ein Kompromiss sein. Und der trägt zwei Unterschriften. Also ich sage einfach so was wie eine Streitkultur ist dem Tarifvertragswesen eigen und die fehlt weitgehend in der Gesellschaft, ja?“

Dass wir immer wieder an den Tisch kommen und am Ende Kompromisse finden. Dass wir reden und verhandeln so lange, bis was rauskommt. Dass es nicht Sieger und Verlierer gibt, sondern eine Gemeinschaftsproduktion entsteht.

„Das große Ziel gesellschaftlich ist sicher, dass allen Leben zugesagt wird und dass Strukturen geschaffen werden müssen, in denen alle leben können.“

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23MRZ2025
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Lisa-Joy Langer Foto: Privat

75% der Deutschen haben schon einmal gebetet. Sagt eine Studie aus dem letzten Jahr. Das kommt mir realistisch vor – denn die Studie berücksichtigt auch die kleinen Stoßgebete, die fast jedem im Alltag schon einmal über die Lippen gekommen sind.[1] Täglich beten – das macht nur ein kleiner Teil der Deutschen. Manchmal ist es auch gar nicht so leicht, Zugang dazu zu finden Eine, die oft betet, die habe ich jetzt getroffen. Lisa Joy Langer hat gerade ihr Theologiestudium erfolgreich abgeschlossen und hat ein Projekt zum Thema „Beten“ gestartet. Mit ihrem Ehemann hat sie in ganz Deutschland in verschiedenen Kirchengemeinden Gebetsräume angeboten.  

Die Idee hinter einem Gebetsraum ist, einen schön gestalteten Raum zu haben. So ein bisschen wie ein Wohnzimmer von der Atmosphäre her, in dem ganz viele Gebetsstationen, also Impulse zum Thema Gebet, auf kreative Weise aufgebaut sind, die man nutzen kann, um in diesem Raum zu verweilen und ins Gespräch mit sich selber und Gott zu kommen.

Klingt ein wenig abstrakt. Aber während unseres Gesprächs zählt Lisa Joy Langer ganz konkrete Beispiele auf, wie so eine Gebetsstation im Kirchenraum aussehen kann.

Man kann zum Beispiel Karten schreiben für Menschen, denen es gerade nicht so gut geht, um denen eine Ermutigung zukommen zu lassen. (...) Man kann sich eine bunte Herzchenbrille aufsetzen und darüber nachdenken. Wo habe ich Menschen vorschnell verurteilt und wo bekomme ich einen Perspektivenwechsel hin zu einem liebevollen Blick?(...) Dann gibt es jetzt zum Beispiel eine Station: „Kintsugi“- so ´ne japanische Methode, Geschirr zu reparieren, auf ganz schöne Weise mit vergoldeten Rissen, wo man das selber mal machen kann und drüber nachdenken kann: Wo kann Zerbruch in meinem eigenen Leben von etwas, was ganz mit Scham behaftet ist, hin zu etwas werden, wo ich vertraue und weiß, dass Gott auch so was nutzen kann und mich trotzdem liebt?

Die Gebetsräume haben Lisa Joy Langer und ihr Mann in ganz Deutschland angeboten. Wichtig war ihnen dabei, 

 … dass wir das nicht alleine machen, sondern mit Menschen vor Ort. (...) Wir bringen immer so einen Grundstock mit, aber entwickeln auch Stationen, die besonders zu dieser Gemeinde oder Gruppe passen. In Kiel zum Beispiel haben wir ganz viel mit maritimen Symbolen gearbeitet.

Die Idee für diese Gebetsräume kommt aus der internationalen 24-7 Prayer-Bewegung, zu der die beiden auch gehören.

Die Organisation hat sich gegründet aus einer Jugendgruppe, die ´ne große Sehnsucht danach hatte, einfach mal volle Kanne zu beten und die angefangen haben und für mehrere Wochen einfach nicht mehr aufgehört haben, weil sie so begeistert waren von dem, was das mit ihnen gemacht hat. Und daraus ist eine Bewegung entstanden 24-7-Prayer, die es auch in Deutschland gibt. Und das Ziel dieser Bewegung ist, dass Menschen Gebet erleben und mit Gott auf ihre Art und Weise in Berührung kommen.

Die 24-7-Prayer versucht Menschen das Gebet auf kreative Art und Weise näherzubringen. Und gleichzeitig hab ich mich gefragt. Ist beten eigentlich nicht total einfach? Braucht es dazu solche besonderen Gebetsräume?

Oft wird Gebet als irgendwie Pflicht und Aufgabe gesehen. [...] Und da ist es total hilfreich, mal zu sehen, was es für - ich sag‘ mal - Hilfsmittel geben kann, (...) damit Gebet was Schönes ist, damit es eine Begegnung ist, nicht eine Aufgabe. Und dafür brauch ich und brauchen ganz viele andere Menschen manchmal Hilfsmittel und Inspiration, die uns dabei unterstützen.

Für Lisa Joy Lang ist klar: Im Gebet - in der Begegnung mit Gott - entstehen auch ganz neue Verbindungen zu anderen Menschen. Viele der Gebetsstationen, die sie anbietet, tragen eine tiefere Sehnsucht nach Veränderung in sich – sei es für uns selbst, für unsere Mitmenschen oder für die Welt.

Für mich ist Gebet ist Begegnung mit Gott. Und in dieser Begegnung ist es auf jeden Fall ein Teil davon, dass ich hinhöre. Gott, wo schlägt dein Herz in dieser Welt? Wo habe ich ein großes Anliegen? Und uns da zu verbinden und da einzustehen? Und da würde ich sagen auf jeden Fall. Fürbitte ist ein wichtiger Teil des Gebets und da verändern sich auch Dinge. Gleichzeitig ist es auch ein großes Vertrauen und Aushalten und Mitleiden in den vielen Dingen, die in unserer Welt einfach schlecht sind.

Gebet verändert also etwas. Aber was genau?

Ich würde sagen, Gebet verändert auf jeden Fall zuerst mal Dinge in mir. Aber Gebet kann auch Dinge in dieser Welt verändern.

Veränderung auf der Welt. Mehr Gerechtigkeit, Frieden. Danach sehne nicht nur ich mich gerade. Und die Sehnsucht nach Veränderung, dass ist auch etwas, dass sich 24-7-Prayer-Bewegung auf die Fahnen geschrieben hat. Beten, Mission und Gerechtigkeit – das gehört für die Bewegung alles zusammen:

24-7-Prayer hat ein Bild geprägt, was deren Werte sehr gut zusammenfasst. Und das ist, das ganz zentral das Atmen ist. Man atmet ein im Gebet (...). Und in diesem Gebet komme ich vor Gott und richte mich aus, um dann auszuatmen, indem ich wirke, wieder in dieser Welt und aktiv werde. Und das ist gekennzeichnet durch Gerechtigkeit, Einsatz für Gerechtigkeit und Gastfreundschaft und Mission, also dass wir das auf liebevolle, demütige Weise mit Menschen teilen, was unsere Hoffnung ist.

Ich mag das Bild: Zum Gebet gehört das Einstehen für Gottes Liebe in dieser Welt und der Einsatz für Gerechtigkeit – wie eben das Ausatmen zum Einatmen gehört. So verstanden verändert Gebet auf jeden Fall die Welt. Zum Schluss: Eine Zeile, die Lisa Joy Langer den Rest ihres Lebens beten könnte:

 Du herrlicher Gott, füll mich mit deiner Liebe.

 

[1] Umfrage zum Weltgebetstag – Jeder fünfte Deutsche hat noch nie gebetet | YouGov

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