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15SEP2024
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Sr. Maria Hanna Löhlein, Baustelle Kloster Reute Copyright: Klaus Mellinger

Manuela Pfann trifft die Generaloberin aus dem Kloster Reute, Schwester Maria Hanna.

… und mit Schwester Maria Hanna Löhlein. Ich treffe die Ordensfrau auf einer Baustelle - auf ihrer Baustelle – auf dem Klosterberg in Reute in Oberschwaben. Um uns herum sind Kräne und Baumaschinen, Schutt und eingerissene Wände. Nein, das Kloster wird nicht abgerissen, Gott sei Dank. Aber 150 Jahre nach dem Einzug der Franziskanerinnen passiert dort etwas Außergewöhnliches: Der Klosterberg wird umgebaut, er wird zu einem kleinen Quartier.

Also wenn alles klappt, wie ich mir das vorstelle, dann sind es ungefähr 120 Menschen, die um das Kloster herum leben, zwölf Parteien, die im Kloster im Klosternahen Wohnen leben und 40 Schwestern.

Nur noch 40 Schwestern von heute weit über 100. In gut zehn Jahren wird es wohl so weit sein. Doch obwohl der eigene Nachwuchs fehlt, wird die Klosterpforte eben nicht geschlossen, sie öffnet sich.

2014 im September hatten wir Generalkapitel, und da haben wir uns nochmal unsere Situation vor Augen gehalten mit allen Zahlen, mit unserem Alter, mit der Anzahl der Schwestern und da war ganz klar: Wir müssen, wenn wir in die Zukunft schauen, unseren Klosterberg umgestalten. Wir müssen auch Flächen anderweitig nutzen. Wir müssen andere Mitplayer hier reinkriegen und der Not der Zeit begegnen.

Für Maria Hanna und ihre Mitschwestern hieß das schon damals zu fragen: Was braucht die Stadt, was brauchen die Menschen von uns? Mit dem Umbau antwortet das Kloster auf zwei Themen unserer Zeit: die Vereinsamung und die Schwierigkeit, passenden und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deshalb wird im Quartier genossenschaftlich gebaut werden, und: Kleine Appartements entstehen mitten im Klostergebäude. Für dieses sogenannte klosternahe Wohnen gibt es jetzt schon deutlich mehr Bewerbungen als Plätze. Warum ist die Nachfrage so groß?

Weil die Sehnsucht nach Gemeinschaft groß ist. Es gibt da viele, die sagen, ich möchte sinnvoll leben oder ich habe einen Bruch in meiner Lebensgeschichte. Und von daher ist es dann auch gut, wenn man Perspektiven hat mit anderen zusammen, dass man dann neu ansetzt und sinnvoll miteinander etwas tut.

Ich finde das eine schöne Idee. Und gleichzeitig stelle ich mir das nicht einfach vor, mit den Schwestern zusammen zu leben, und nicht nur Gast zu sein für ein paar Tage. Was müssen Menschen mitbringen, die da einziehen wollen?

Die müssen auf jeden Fall Gemeinschaft leben wollen. Also wenn jemand hierherkommt, weil er so ein Bild von Kloster hat, da ist es still und da will keiner was von mir. Das geht nicht, da können wir keine Schweigemönche brauchen, sondern richtige Leute, die zupacken wollen.

Und mit anpacken kann man in Reute an vielen Stellen: Im großen Kräutergarten, oder man kann Dienste an der Pforte übernehmen, im Gottesdienst Orgel spielen oder Kurse im Bildungshaus anbieten.

 

Sr. Maria Hanna Löhlein ist die Generaloberin im Kloster Reute bei Bad Waldsee, also die Chefin. Über ihrem Schwestern-Schleier trägt sie regelmäßig einen Bauhelm, bei ihr laufen die Fäden für den großen Umbau des Klosters zusammen. Dabei schimmert immer auch das Erbe ihres Ordensgründers, des heiligen Franziskus, durch, die Verantwortung für die Schöpfung.

Wir haben keine Tapete oder irgendwelche Kleber, sondern werden jetzt mit Lehm glätten, unsere Wände auch entsprechend naturgemäß machen. Wir haben eine Planung von der Heizung, dass wir nicht mehr Gas und nicht mehr Öl verfeuern, sondern dann eben mit entsprechenden regenerativen Energien arbeiten. Also da ist ganz viel, was der Franziskus uns eigentlich auch als Stachel setzt.

Ich staune, wie fachkundig Sr. Maria Hanna von diesem Bau-Projekt spricht; für eine Ordensfrau ist das doch alles Neuland. Aber da täusche ich mich. Die Eltern zuhause waren im Baugewerbe tätig und sie hat vor ihrem Studium eine Banklehre gemacht.

Also es ist schon irgendwie kurios, aus einer Zieglereifamilie zu kommen, in einer Bausparkasse zu landen, dann ins Kloster zu gehen und dann so ein Projekt irgendwann zu tragen. Also das glaube ich schon, dass sich da auch was abrundet und dass es ein Stück weit auch Berufung ist. Aber ausgerechnet oder angestrebt habe ich das nie.

Wie passend, dass die Schwester von Maria Hanna Architektin ist. Es lag also nahe, sich auch mit ihr über die Pläne und Visionen für die Zukunft des Klosters auszutauschen. Sie hat die Schwester über den Klosterberg geführt und gefragt:

Was denkst du und wie soll man denn anfangen? Und dann hat sie ganz nüchtern gesagt: „Euer Kloster hat keine Mitte. Ihr habt hier einen schönen Klosterberg, aber man weiß nie, wann man wirklich da ist. Es gibt hier viele Mauern, viele Türen, aber es erschließt sich nichts von allein.“ Und das hat gesessen. Da habe ich gemerkt: Wie muss ich jetzt diesen Klosterberg anschauen, dass da eine Mitte entsteht, in der auch Menschen spüren können ja, da, um das geht es denen.

Die Architektur muss also zum Inhalt passen. Es braucht einen Ort, wo alle zuerst einmal ankommen und wo sie die Gastfreundschaft der Franziskanerinnen spüren. Ich glaube, das wird gelingen, die Pläne für diese neue Mitte habe ich schon gesehen: Ein heller Raum, mitten auf dem Gelände, mit großer Empfangstheke. Und von dort aus geht es weiter: ins Klostercafé, zum Gespräch, in den Klosterladen oder in einen Raum der Stille. Warum auch immer Menschen ins Kloster Reute kommen werden – für Schwester Maria Hanna bleibt eines wichtig:

Egal mit welcher Schuld oder mit welchem Mist oder mit welchem Schutthaufen an gescheiterten Träumen man gerade gelandet ist. Dass dieser Gott mich sieht in all dem drin und dass er will, dass ich lebe. Und wenn man das vermitteln kann, dann ist ganz viel Gutes geschehen und dann kann man auch aus Scherben was machen.

 

https://www.klosterberg-reute.de/

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08SEP2024
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Dr. Katharina Henkel Kunsthistorikerin und Kuratorin der Ausstellung: Frösche, Feuer, Finsternis. Aktuelle zeichnerische Positionen zu Jan Luyken (1649-1712)

Die Kunsthistorikerin Dr. Katharina Henkel kuratiert derzeit eine Ausstellung bei den internationalen Tagen in Ingelheim. Frösche, Feuer, Finsternis, so heißt der Titel. Es geht um die 10 biblischen Plagen. Anfang des 18. Jahrhunderts hat der niederländische Künstler Jan Luyken diese Plagen illustriert: 10 großformatige Radierungen sind so entstanden. Durch einen befreundeten Künstler hat Katharina Henkel die Bilder in die Hände bekommen und sie war gleich fasziniert von den detailreichen Darstellungen. Auch, weil sie einen biografischen Bezug zum biblischen Text hat:

Ich bin ein Kunsthistoriker mit Leib und Seele, habe aber in den Nebenfächern klassische Archäologie studiert und hatte im Nebenfach die biblische Archäologie, ein kleiner Fachbereich der Theologie. Das heißt, ich habe nicht Theologie studiert, sondern tatsächlich die biblische Archäologie.

Und dabei hat sie sich besonders intensiv mit der Geschichte befasst, die vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten handelt. Da wird im 2. Buch der Bibel erzählt, wie Mose versucht, den Pharao davon zu überzeugen, die Israeliten, die er als Sklaven für sich arbeiten lässt, freizulassen.  Als dieser sich weigert, schickt Gott eben jene 10 fürchterlichen Plagen über das Land. Darunter auch besagte Frösche und eine unheilvolle Finsternis. Jan Luyken erweckt die biblische Geschichte in seinen Bildern zum Leben. Auf jedem einzelnen der 10 Blätter gibt es unendlich viel zu entdecken.

Also ich glaube, Wimmelbilder faszinieren Menschen grundsätzlich. Nicht umsonst bekommen ja kleine Kinder auch Bücher geschenkt, um sich die Welt durch das Schauen selbst zu erarbeiten oder zu entdecken. Und so geht uns das natürlich auch. Wir schauen genau hin, haben das Gefühl, wir können es erfassen und dann tun sich aber neue Details auf und es braucht eine gewisse Zeit, glaube ich, bis man sich diese einzelnen Blätter sie sind Gott sei Dank relativ großformatig erschließen kann.
Also es spielen sich wirklich dramatische Szenen ab und ich denke, wenn man die Bibelpassage tatsächlich kennt, wenn man diese Kapitel vor Augen hat und liest und dann diese Bilder sieht, man hätte es glaube ich, selber nicht besser darstellen können. Also die Bilder, die im Kopf entstehen, die werden sehr schön durch Jan Luyken visualisiert.

Für die Ausstellung hat Katharina Henkel 10 zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen gebeten, sich mit den Bildern von Jan Luyken auseinander zu setzen und sie neu zu interpretieren. Ich habe Katharina Henkel gefragt, warum man sich heute mit den biblischen Plagen beschäftigen sollte.

Ich denke, dass wir Menschen aus der Geschichte ja selten wirklich lernen, sich bestimmte geschichtliche, historische Abläufe, Szenarien, Dramen und ein Chaos sich immer wiederholt. Die Abstände sind unterschiedlich lang, aber dass es immer wieder zu Kriegen kommt, dass im in Menschen vielleicht auch das installiert ist, andere dominieren zu wollen, im Extremfall unterdrücken zu wollen. Und ich denke, gerade die Corona Plage hat sehr deutlich gezeigt, dass wir trotz aller medizinischen Mittel, besonders großen Katastrophen hinterherhinken. Also wir können sie nicht vorhersehen….
Und das finde ich das Faszinierende, aber natürlich auch gleichzeitig das Erschreckende, dass sich bestimmte Dinge nicht ändern oder Menschen mit bestimmten Themen konfrontiert werden, die Jahrhunderte, Jahrtausende alt sind.

Es gefällt mir, dass in der Ausstellung Künstler und Künstlerinnen die Aufgabe übernehmen, diese alten Themen neu zu deuten. Anders als Jan Luyken illustrieren sie nicht nur akribisch die biblische Vorlage, sondern interpretieren sie ganz neu für das 21. Jahrhundert. Katharina Henkel meint:

In der Kunstgeschichte wird immer behauptet, dass die Künstler die Seismographen der Gesellschaft sind, also dass sie dadurch, dass sie sensibler sein sollen, empfindsamer sein sollen, Probleme über schwierige Situationen früher wahrnehmen und dann auch darstellen, als es der Rest der Gesellschaft tut.

Mit ihren künstlerischen Mitteln haben die Beteiligten dargestellt, worin heute Plagen biblischen Ausmaßes bestehen könnten. Dabei sind ganz unterschiedliche Aspekte menschlichen Leids zum Ausdruck gekommen. Sehr persönliche, aber auch Themen, die die gesamte Menschheit angehen. Es fällt auf: wo die biblischen Texte noch Gott als den Verursacher der Plagen ausmachen, rücken die zeitgenössischen Werke den Menschen in den Mittelpunkt:

Also ein Künstler hat sich ja mit dem Klimawandel beschäftigt, der uns natürlich massiv jetzt trifft. Also wir wissen davon ja seit vielen Jahrzehnten, aber jetzt bekommen wir ja die Folgen des Klimawandels zu spüren. Und ich denke, da kann auch kaum noch jemand leugnen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Und er hat sich explizit mit diesem Thema der klimatischen Veränderung und der Auswirkung auf die Natur befasst.

Wichtig ist Katharina Henkel dabei, dass die Ausstellung nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommt. Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Und erst recht nicht darum, den Untergang heraufzubeschwören. Vielmehr geht es ihr darum, Verantwortung wahrzunehmen und zu ergreifen.

Ich würde mir wünschen, dass diese Ausstellung zum Nachdenken anregt, dass wir vieles in der Hand haben, dass wir vieles verändern können, von dem, was es an Plagen immer schon gab und auch derzeit gibt. Also, dass wirklich immer noch die Hoffnung besteht, dass wir unsere Welt zu einer besseren Welt machen.

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01SEP2024
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Markus Wolter Copyright: Misereor

Martin Wolf trifft Markus Wolter von Misereor.

Heute, am 1. September, beginnt in vielen christlichen Kirchen die sogenannte Schöpfungszeit. Fünf Wochen lang will sie den Blick bewusst auf die bedrohte Schöpfung lenken. Dazu habe ich Markus Wolter getroffen. Geografie, Agrarökonomie und Bodenkunde hat er studiert und als Biolandwirt gearbeitet. Heute ist er beim Hilfswerk Misereor in Aachen für Landwirtschaft und weltweite Ernährung zuständig. Und unsere Ernährung, sagt er, habe ganz viel zu tun mit der Bewahrung der Schöpfung. Es müsse sich etwas verändern.

34 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen aus dem Ernährungssystem, und zwar so, wie wir es derzeit handhaben, eben mit sehr hohen Anteilen an Entwaldung für Soja oder Rindermast zum Beispiel, oder eben für Stickstoffdünger, die sehr, sehr hohe Treibhausgasemissionen haben … Und daher ist es dringend geboten, dass wir das ändern, hin zu dem, wie Landwirtschaft auch sein kann, nämlich lebensfreundlich und lebensdienlich.

Das geht aber letztlich nur, wenn viele bereit sind mitzuziehen. Deshalb hält Markus Wolter auch nichts von einseitigem Bauern-Bashing.

Landwirte stehen ja unter einem unfassbaren Druck. Und da ist jetzt eben die Politik gefordert, das auch einzulösen, was sie versprochen hat, nämlich die Förderung und die Wertschätzung der bäuerlichen Landwirtschaft. Die ganzen Subventionen, die aus Brüssel kommen, müssen so umverteilt werden, dass eben auch die Leistungen honoriert werden, die ich zum Tierschutz, zum Klimaschutz, zum Gewässerschutz mache. Das ist bislang nicht der Fall. Wenn diese Rahmenbedingungen sich nicht ändern, dann wird es eben so bleiben.

 Kann ich auch selbst was dafür tun, dass sich etwas ändert?

Essen ist politisch und damit können wir eine ganze Menge bewegen, weil jeder Einkauf von mir im Lebensmittelbereich immer ein Einkommen für den Bauern ist. Und je pflanzlicher ich mich ernähre, desto besser für die Mitwelt. Und wenn das auch noch ein Bauer ist, den ich kenne, aus der Nähe, dann ist schon mal viel gewonnen.

Menschen im globalen Süden erleben die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen ja oft viel dramatischer. Vor einiger Zeit war Markus Wolter für Misereor in Südamerika.

Bolivien hatte eine 3-jährige, ganz schlimme Dürre hinter sich. Menschen in Bolivien sind sehr stark auch noch von der indigenen Kultur geprägt und sind sehr katholisch geprägt. Und in diesem Konsensus zu sagen: nein, wir können so nicht weitermachen, wir tun der Erde weh und wir müssen da anders mit umgehen! Was ich jetzt in Bolivien sehr toll gesehen habe, das ist diese Kultur der Agroforstwirtschaft. Das ist eine Kombination aus ackerbaulicher Nutzung und eben einer forstlichen Nutzung. Und das ist eine Kombination aus Bodendeckern wie Ingwer und Kurkuma. Und dann wird Gemüse angebaut und Obst, wie Ananas und Chili, Tomaten. Das ist wie so ein Stockwerk, bis zu 30 Meter hohe Kokosplantagen, die dann da sind.

 Was sich für mich als Laien ziemlich aufwändig anhört. Warum macht das Sinn?

 Wir brauchen die Vielfalt, wir brauchen die Abwechslung. In Bolivien sind wir auf einem wissenschaftlichen Betrieb gewesen, wo das System mit dem Agroforst dreimal mehr Artenvielfalt aufgewiesen hat wie eine Kakao-Monokultur mit Pestizideinsatz. Und das finde ich faszinierend, dass es eine Gewinnsituation für jeden der Beteiligten ist. Sowohl für den Bauern als auch eben für die Tierwelt und die Schöpfung, die sich daraufhin einstellt.

Das Konzept, Ackerbau mit Bäumen zu kombinieren, klingt faszinierend. Ich frage mich aber, ob so ein zusätzlicher Aufwand bei uns überhaupt möglich ist.

Dieser Arbeitsaspekt ist ein ganz wichtiger Aspekt. Aber es gibt tatsächlich die ersten Landwirte, die genau aus den Gründen wie im globalen Süden, dort Bäume einsetzen. Ich war jetzt vor einiger Zeit im Schwarzwald, wo es tatsächlich die Jahre vorher auch schon erste Trockenschäden gab. Und da haben die Bauern dort in ihren Kartoffel- und Dinkelacker und auf ihren Weiden mit den Milchkühen tatsächlich jetzt Agroforstlinien eingezogen, die man eben dann auch trotzdem noch mit Maschinen gut bearbeiten kann.

Die Schöpfung ist ja ein Thema in vielen Religionen. Kann Religion tatsächlich einen nötigen Wandel unterstützen?

Da liegt eine ganz große Chance drin, von Religionen. Die Menschen, die ich erlebt habe, die es aus einer tiefen Überzeugung heraus machen und getragen sind aus dieser Überzeugung, dass ich eben auch nicht alleine bin und dass ich verbunden bin mit der Schöpfung und mit einer göttlichen Kraft, dass das zu ganz, ganz tollen, Ergebnissen und Umkehren geführt hat.

 Und von der Kirche? Gibt es da Unterstützung?

 Papst Franziskus hat ja eine ganz tolle Veröffentlichung gemacht, die uns da ganz stark hilft in unserer Arbeit, weil sie eben eine Grundlage dafür schafft: Ja, wir sind in einem gemeinsamen Haus und dieses Haus brennt und wir zerstören dieses Haus.

„Laudato Si“ heißt diese Veröffentlichung und erinnert damit an Verse aus dem „Sonnengesang“ des Heiligen Franz von Assisi. Mit dessen Gedenktag am 4. Oktober endet auch die Schöpfungszeit. In seinem Sonnengesang sieht Franz alles, was ihn umgibt, als Schwestern und Brüder. Können wir uns da etwas von ihm abschauen?

Also meine Lieblingsgeschichte von Bruder Franz ist die Geschichte des Wolfes von Gubbio, wo er mit dem tanzt. Das finde ich eine wunderschöne Geschichte darüber: wie können wir denn miteinander leben, statt gegeneinander? Den Anderen, das Insekt, den Wolf, was auch immer als Feind zu betrachten. Es gibt den Feind nicht, sondern dieser Feind, mit dem kann man tanzen, mit dem kann man sich auseinandersetzen, und kann versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden. Und ich glaube, da steckt eine Riesenkraft und ein großer Vorbildcharakter. Als einer der großen Mystiker, der in seiner unfassbaren Liebe zur Schöpfung und in seiner unfassbaren Liebe zu Jesus Christus da ein Vorbild für uns alle sein kann.

 

 

Weitere Infos unter:

https://www.misereor.de/presse/expertinnen-und-experten/markus-wolter-landwirtschaft-und-welternaehrung

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40611
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25AUG2024
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Lorenz Narku Laing

Ich treffe heute den gebürtigen Mainzer Lorenz Narku Laing. Mich interessiert an ihm einerseits sein Forschungsfeld – er ist Professor für Sozialwissenschaften und Rassismusforschung. Spannend ist aber auch seine persönliche Geschichte. Denn eigentlich sprach alles dagegen, dass der gebürtige Mainzer einmal Professor werden würde. In seiner Jugend erlebte er viele Jahre der Armut, er ist Schwarz und noch sehr jung für einen Professorentitel – ein leichter Weg war das nicht:  

Ich saß manchmal im Unterricht ohne Bücher. Ich konnte nicht auf meine Klassen-Jahrgangs-Abschlussfahrt mitfahren. Es war holprig, weil manchmal hatten wir einfach kein Frühstück. [...] Also manchmal sagen die Leute, sie haben nicht gefrühstückt. Wir hatten manchmal kein Frühstück.

Dass er es trotzdem geschafft hat, das liegt an unterschiedlichen Faktoren. Einer davon: harte Arbeit. Daneben aber auch ganz simpel: finanzielle Unterstützung. Ohne die wäre Narku Laings Bildungsweg nach der Schule vielleicht zu Ende gewesen:

Hätte mein American-Football-Coach [...]  nicht gesagt: „Ich zahle die Immatrikulation Gebühr“, dann wäre es eigentlich an der Faktizität des Geldes gescheitert. 

Sein Coach und Trainer beim Sport ist für Lorenz Narku Laing da gewesen – zum Glück. Und zum Glück waren immer wieder Menschen an seiner Seite, die ihn gefördert und unterstützt haben. Nicht nur mit Geld. Sondern indem sie ihm geholfen haben, sich selbst etwas zuzutrauen.  

Da merkt man, wie wichtig positive Affirmation im jungen Alter war. Es war schon eine Kindergärtnerin, die mal sagte: „Du wirst mal ein Professor.“

Bildung scheitert nicht nur an mangelnder positiver Bestärkung, sondern auch an Diskriminierung. Bildung droht zu scheitern, so Narku Laing, wenn Menschen wie er die Erfahrung machen …

 an der Universität [...] beleidigt zu werden, rassistisch von anderen Menschen an der Hochschule, wo ich mir dann wirklich zwischendrin die Frage gestellt habe, ob ich dort hingehöre. Und es waren Hochschullehrer:innen, die selbst diskriminierungsbetroffen waren, weil sie queer waren, weil sie behindert waren, weil sie Schwarz waren, weil sie muslimisch waren, die [...] mir Glauben gegeben haben, dass ich an die Hochschule, in die Universität gehöre. 

Für ein gerechteres Schulsystem muss man an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Narku Laing meint, es braucht einen weiteren Horizont bei den Inhalten:

Erst in der zwölften Klasse habe ich mal einen schwarzen Menschen in einem Schulbuch gesehen, und zwar Martin Luther King Jr. Das ist nicht gut genug. Ich will von der ganzen Vielfalt unserer Weltgesellschaft lernen. Ich will lesen über Buddha Siddharta und Konfuzius, über Frederick Douglas, […] über Hildegard von Bingen und Hannah Arendt. […] Das heißt, wir müssen dorthin finden, dass wir die ehemals Versklavten, die Marginalisierten und Diskriminierten, die Frauen, die Menschen mit Behinderungen, die Schwarzen ganz normal Teil des Schul-Curriculums werden lassen, damit die jungen Menschen Vorbilder haben.

Und dann braucht es ganz praktische Unterstützung. Einfachere Zugänge zu Bildung und Lehrmittel.

 […] Indem wir die Maxime rausgeben: Kein Kind sollte ohne Schulbuch zur Schule gehen. […] Wir müssen Patenschaften, soziale Patenschaften stärken. Weil meine Eltern konnten mir, da sie selbst in das Bildungssystem eingewandert sind, häufig nicht erklären, wie es funktioniert.

Und schließlich können seiner Meinung nach auch die Kirchen einen wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. Zum Beispiel: 

Die evangelischen Hochschulgemeinde an vielen Universitäten und Hochschulen können einen Beitrag leisten, indem sie ganz aktiv Formate für Bildungsaufsteiger, für Armutsbetroffene, für Diskriminierte anbieten und deren Veranstaltungen und Treffen in ihren Räumen stattfinden lassen.

Und obwohl für ihn Kirche eine wichtige Rolle dabei spielt, ein gerechteres und vielfältigeres Bildungssystem zu ermöglichen, hofft er, dass sich gleichzeitig in den Kirchen selbst auch noch einiges verändert:

Die Kirche will Vielfalt, aber kann es noch nicht. Was wir erleben im kirchlichen Kontext, ist, dass wir ganz viele Menschen haben, die sich für Vielfalt einsetzen. […] Gleichzeitig sehen wir ein großes Defizit in der Repräsentation von vielfältigem Leben in den Spitzenämtern unserer Kirche, […] bei der Finanzierung von Diversitäts-orientierten Projekten, […] im Gemeindeleben.

Das Gemeindeleben ist ein Ort, an dem eine solche Vielfalt eingeübt werden kann. Auf meine Frage, was Kirchengemeinden für mehr Vielfalt tun könnten, hat er verschiedene Vorschläge:   

Erst mal ladet euch eine fremdsprachige […] Gemeinde ein, die Gottesdienste in anderer Sprache feiert oder aus einer anderen kulturellen Tradition und feiert einmal im Monat mit ihnen gemeinsam […]. Schreibt ein kleines Budget für Diversität aus. Und das darf dann alles sein. Man könnte sowohl damit am Christopher Street Day teilnehmen oder ein kleines Projekt für Geflüchtete machen oder ein Nachmittag für Menschen mit Behinderung gestalten […]. Schreibt kleine Briefe an die Kirchenoberen und sagt den: Vielfalt ist uns wichtig […]. Lasst den Kirchenmenschen, die sich auf Social-Media für Vielfalt einsetzen ein Like da […] und verteidigt sie bei Diskriminierungen.

Auch wenn Narku Laing in den Kirchen noch viel Arbeit in Hinblick auf Rassismus und Diskriminierung gibt – es ist trotzdem der Glaube, der ihm Hoffnung gibt, dass eine gerechtere Welt möglich ist:

 [E]s sind großartige Protestant:innen von Paul Gerhardt über Reverend Doktor Martin Luther King Jr. über Magnus Hirschfeld und andere, die sich leidenschaftlich und mit Überzeugung für Antidiskriminierung unserer Gesellschaft eingesetzt haben. Die mir den Glauben geschenkt haben, dass wir Diskriminierung bekämpfen können und dass das funktioniert. Also ich würde sagen, ohne meinen Glauben hätte ich nicht die Hoffnung, dass das alles noch wird

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18AUG2024
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Rebecca Scheeres copyright: Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann trifft: Rebecca Scheeres, Ehrenamtliche bei Sant´Egidio.

Die 26-jährige hat gerade ihr Studium als angehende Grundschullehrerin in Koblenz absolviert und startet nach den Sommerferien ins Referendariat im Hunsrück. Für Kinder brennt ihr Herz aber schon lange: In ihrer Heimatstadt Mönchengladbach engagiert sie sich seit über zehn Jahren ehrenamtlich, um für Kinder aus schwierigen Verhältnissen die Chancen auf Bildung zu verbessern. Organisiert wird das von der katholischen Gemeinschaft Sant´ Egidio. Dabei war Rebecca früher mit Kirche gar nicht eng verbunden, dafür aber ihre beste Freundin:

Und sie hat dann irgendwann mich ja schon überredet auch mal mitzukommen-also  viel Lust hatte ich am Anfang nicht. Es geht um Samstagnachmittag und sozial benachteiligte Kinder betreuen, die ja auch nicht immer einfach sind und das war schon am Anfang eine Überwindung für mich dahinzugehen.

Inzwischen ist sie mit großer Begeisterung dabei. Aber was ist das für eine Gemeinschaft – Sant´ Egidio? 1968 wurde sie in den ärmeren Vierteln von Rom gegründet.

Das waren eine Hand voll Jugendliche eigentlich, die die Zustände in Rom gesehen haben,die gesagt haben: Was hat denn eigentlich Jesus uns gesagt? Wie sollen wir mit der Situation umgehen? Was sollen wir machen? Haben also ins Evangelium geguckt und gesagt: wir machen genau das, was da steht und gehen zu den Leuten hin, laden die ein, lernen die kennen und versuchen ihnen zu helfen und daraus ist tatsächlich was sehr Großes entstanden.

Sant´ Egidio gibt es inzwischen in über 70 Ländern auf der Welt – nicht Ordensleute, sondern Jugendliche, Senioren, Krankenpflegerinnen, Köche, Juristen, Menschen, die selbst fliehen mussten und etwas zurückgeben möchten oder eben Studentinnen wie Rebecca. Der gemeinsame Motor: Nächstenliebe…

Alle Menschen, die irgendwie Hilfe benötigen, sei es jetzt wegen Einsamkeit im Alter, sei es wegen Krankheit, sei es eben wegen Schulproblemen, wegen Integrationsschwierigkeiten-alles Mögliche: da versucht dann eben Sant´ Egidio Brücken zu bauen.

Brücken - auch an den Grenzen Europas, wo Menschen auf der Flucht ankommen. Rebecca Scheeres war schon dreimal beim so genannten „Sommer der Solidarität“ von Sant´ Egidio dabei, wo junge Menschen in riesigen Flüchtlingscamps Hilfe anbieten. Beim ersten Mal 2020 auf Moria auf der Insel  Lesbos, bevor das damals völlig überfüllte Camp abgebrannt ist.

Es war wirklich ein Dschungel - ich kann es gar nicht anders sagen - aus selbstgebastelten Zelten, selbstgebastelten Abwasserkanälen, zusammengesteckt aus Tüchern, Folien , Müll teilweise, was man so finden kann. Es war sehr, sehr schwierig an Gesundheitsversorgung zu kommen. Es gab eine Hand voll Duschen, obwohl es im Sommer 40 Grad waren…

In den folgenden Sommern war sie in Athen, wo dann viele auf der Straße lebten und in Zypern: Die Zustände auch dort katastrophal – was hat das mit ihr gemacht?

Dass das auch so nah ist, dass innerhalb von Europa, also ja wirklich in der EU so furchtbare Bedingungen sind für Menschen, die vor dem Krieg fliehen – das hat sehr, sehr viel mit mir gemacht, tatsächlich, es vergeht glaub ich bis heute kein Tag an dem ich nicht darüber nachdenke, in was für Verhältnissen die Menschen leben müssen, wenn sie hier bei uns ankommen.

Ich treffe Rebecca Scheeres in Koblenz, wo sie an der Uni katholische Theologie und Deutsch studiert hat. Mit der Gemeinschaft Sant´ Egidio war die junge Frau dreimal an den Außengrenzen Europas und hat ehrenamtlich ihren Sommer in Flüchtlingscamps verbracht. In einer alten Olivenfabrik neben dem Lager Moria haben sie ein improvisiertes Restaurant eröffnet und die Menschen dorthin eingeladen.

Wir haben uns zu ihnen gesetzt, mit ihnen gesprochen, gezeigt: wir möchten euch kennenlernen. Und ein Mann hat dann einmal gesagt: Das ist das erste Mal, dass mir jemand ein Lächeln geschenkt hat seit Monaten. Und wirklich eben dieses Gefühl zu geben: du bist jemand und du bist auch etwas wert.

In Athen betreute sie mit anderen Freiwilligen 80-100 Kinder am Tag in einer Sommerschule von Sant´ Egidio:  

Wo wir auch gemerkt haben, dass teilweise achtjähre Kinder noch keinen Stift halten können, weil sie noch nicht zur Schule gehen konnten und noch mal eine ganz andere Perspektive so viel mit den Kindern mitzubekommen, weil man dort wirklich stark gemerkt hat, wie die Entwicklung der Kinder auf der Strecke bleibt, wenn man auf der Flucht ist.

Und Rebecca schreibt die Biographien der ankommenden Menschen auf, gibt sie an die Gemeinschaft weiter, und Sant´ Egidio macht sich für die Idee der humanitären Korridore stark: Dabei erhalten besonders gefährdete Menschen humanitäre Visa, damit sie aus den Camps oder direkt aus den Gefahren in Kriegsgebieten herauskommen. Belgien, Italien, Frankreich und Andorra haben sich dazu bereiterklärt, sie aufzunehmen. Über 7000 geflüchtete Menschen konnten bisher dank Sant´ Egidio in Zusammenarbeit mit dem Vatikan sicher untergebracht werden.

Es gibt da jetzt echt schon viele glückliche Geschichten, auch Menschen, die ich kennenlernen durfte auf Zypern zum Beispiel, die durch diese humanitären Korridore jetzt nach Italien gekommen sind und dort leben können.

Diesen Menschen gastfreundlich begegnen, sie aufnehmen-das hat für Rebecca Scheeres ganz viel mit ihrem Glauben an Gott zu tun. Wer ist Gott sie?

Eigentlich eine permanente positive Unterstützung, ja ein Halt eigentlich. Gott heißt für mich  im Ganzen eine ganz große Gastfreundschaft, also etwas , was für jeden da ist und offen ist und erreichbar ist.

Hunderte Helfer von Sant´ Egidio waren 2023 dann bei Papst Franziskus eingeladen – als Dankeschön für ihren Einsatz. Bei der Audienz waren auch Menschen, die neu nach Europa gekommen waren:

Also vor uns war eine Familie, die eben selbst über die Korridore nach Italien gekommen ist, auch ein kleiner Junge mit einer kleinen Spider-Man-Stofffigur und hat sich eben ständig zu uns umgedreht mit der Figur und dann haben wir gespielt, die Figur genommen, zu ihm hingeworfen und am Ende ist der Papst dann noch an den Leuten vorbeigefahren , hat sie persönlich gegrüßt und dann war auch der Junge ganz vorne und hat dem Papst seine Spider-Man-Figur gegeben, was ich auch wieder total berührend fand, hatte diesen Drang: Die schenk ich jetzt weiter an den alten Mann im Rollstuhl, den ich ja eigentlich gar nicht kenne. Das war wieder so eine schöne, herzliche Geste, die mal wieder gezeigt hat, was für ein großes Herz die Menschen haben – und gerade die Menschen, die hierher kommen. Trotz allem, was sie erlebt haben.

Mit ihrem großen Herz will sie nun auch in Koblenz regelmäßig die Idee eines Restaurants für geflüchtete Menschen umsetzen. Und dafür sucht die dynamische junge Frau mit dem strahlenden Lächeln und den zupackenden Händen aktuell noch Mitstreiter.

Wer Interesse hat Rebecca Scheeres in Koblenz bei ihrer Arbeit mit geflüchteten Menschen zu unterstützen kann sich bei Autor Christopher Hoffmann melden (Christopher.Hoffmann@bistum-trier.de">Christopher.Hoffmann@bistum-trier.de, 0175/7705474), der den Kontakt dann weiterleitet.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40509
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11AUG2024
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Martina Steinbrecher, evangelische Kirche, trifft: Mariesophie Magnusson. Die 35jährige Pfarrerin aus Nassau ist schwanger mit Zwillingen. Seither wünschen viele Leute ihr nur das Beste. Was sie an dem oft geäußerten Satz „Hauptsache gesund!“ nicht mag und was stattdessen ihre Hauptsache im Leben ist, davon erzählt sie in den SWR1 Begegnungen.

Teil 1

… und Mariesophie Magnusson. Die 35jährige ist seit vier Jahren Pfarrerin im schönen Nassau an der Lahn. Und sie ist zum ersten Mal schwanger. Mit Zwillingen. Ich habe sie gefragt, was die Nachricht, dass es gleich zwei auf einmal sind, mit ihr gemacht hat. 

Also ich hab mich ehrlich gesagt direkt gefreut. Die Frauenärztin hat es auch sehr, sehr trocken mir mitgeteilt:  O, das sind zwei, und im ersten Moment sind mir schon die Tränchen in die Augen geschossen. Ich fand es eine wunderbare Nachricht.

Zwillingsschwangerschaften werden in Deutschland direkt als Risikoschwangerschaften eingestuft. Und wer mit 35 zum ersten Mal schwanger ist, hat ein zusätzliches Risiko- Kreuz im Mutterpass. Mariesophie Magnusson nimmt diese Risiken ernst und nutzt die Möglichkeiten pränataler Vorsorge. Sie freut sich zum Beispiel, die Entwicklung ihrer Kinder im Ultraschall beobachten zu können.

Ich habe auch den Bluttest machen lassen, wo die Trisomien untersucht werden, einfach auch so mit dem Gedanken, ich würde mich dann gern darauf einstellen. Sollten die Kinder jetzt Trisomien haben, lese ich mir dann vielleicht ein bisschen Literatur an. Dann kann man sich schon mal mit dem Thema beschäftigen, wie es ist, ein Kind zu erziehen, mit einem Kind zu leben, das Trisomie hat.

Die Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, ist ein sogenannter Gendefekt. Die davon betroffenen Kinder kommen mit unterschiedlich stark ausgeprägten Behinderungen zur Welt. Mariesophie Magnusson ist das nicht fremd. Sie ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Und ihr zwei Jahre älterer Bruder ist auch Träger des Down-Syndroms.  

Damit war das für mich direkt eine relativ normale Geschichte, mit einem behinderten Menschen zusammenzuleben und mit ihm dieselben Dinge zu erleben, die man mit den anderen Geschwistern auch erlebt. Wie zufrieden wir sind, also wer welche Lebenszufriedenheit hat unter unseren Geschwistern, hängt nicht davon ab, wer von uns eine Behinderung hat oder nicht. Und ich denke, es ist am Ende ja eine Illusion, dass es Menschen gibt, die komplett gesund sind und auch mit dem Thema Krankheit nie in Berührung kommen werden.

Deshalb stört es sie auch, wenn bei den Vorsorgegesprächen mögliche Behinderungen oft in einem Atemzug mit der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs genannt werden. 

… dass man nicht sagt, machen Sie doch die Untersuchung, dann können Sie sich auf dies oder das vorbereiten, sondern dass diese Frage nach Schwangerschaftsabbruch mit diesen Untersuchungen immer direkt gekoppelt ist inhaltlich. 

„Hauptsache gesund!“ Diesen Satz hört Mariesophie Magnusson, seit sie schwanger ist, dauernd. Was Sie daran nachdenklich stimmt und was für Sie die Hauptsache ist, davon gleich mehr.

Teil 2

Mariesophie Magnusson ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Einer ihrer Brüder hat das Down-Syndrom. Jetzt ist sie selbst mit Zwillingen schwanger und sieht sich ständig mit dem Satz konfrontiert „Hauptsache gesund!“ Das hat sie ins Nachdenken gebracht.

Also, ich merke das bei diesem Satz, dass er mich so richtig körperlich manchmal trifft. Ich lebe selber mit einer Diagnose, ich nehme jeden Tag Medikamente ein. Und wenn ich dann den Satz höre, Hauptsache gesund, klingt bei mir immer direkt mit: Was, wenn nicht? Was ist dann? Ist dann weniger Grund zur Freude? Ist das Leben dann weniger wert oder das Kind?

Den Wunsch, ein gesundes Kind zu bekommen, findet auch Mariesophie Magnusson nachvollziehbar. Und es gibt ja auch wirklich Behinderungen, die Eltern und Kindern bis an die Grenzen der Kräfte das Äußerste abverlangen. 

Es ist schon ein Faktor, der das Leben beeinflussen kann und der auch, glaube ich, Aufmerksamkeit braucht oder eben Solidarität, Zusammenhalt, Menschen, die Eltern unterstützen, die Kinder zu pflegen haben, das ist schon auch schon wichtig; ja, das will ich nicht kleinreden.

Die Entscheidung für oder gegen ein Kind liegt heute ganz bei den Eltern, in vielen Fällen sogar allein bei der Mutter. Ihr Recht und ihre individuellen Lebensumstände werden großgeschrieben. Mariesophie Magnusson wünscht sich aber, dass die Gesellschaft hier auch Verantwortung übernimmt. Sie möchte ein gesellschaftliches Klima, in dem auch Kinder mit Behinderungen willkommen sind und wo es nicht als exotisch angesehen wird, wenn Eltern sich für das Leben mit einem behinderten Kind entscheiden. 

Ich glaube, dass es uns als Gesellschaft guttun würde, wenn wir einfach da vom Normalfall ausgehen, dass wir in bestimmten Graduierungen alle mit dem Thema Krankheit zu tun haben und uns da gegenseitig mit Solidarität begegnen. Und das würde ich mir für meine Kinder auch wünschen. Sie sind wertvoll. Sie sind ihren Eltern willkommen und von ihren Eltern geliebt. Sie sind aber auch in der Gesellschaft willkommen und bekommen nicht zu viele Barrieren in den Weg gestellt.

„Hauptsache gesund!“ Diesem verständlichen Wunsch würde Mariesophie Magnusson gerne noch einen zweiten an die Seite stellen:

Hauptsache geliebt. Das ist für mich die Hauptsache, dass Menschen spüren, sie sind geliebt und sie sind willkommen.

Ihre Schwangerschaft hat Mariesophie Magnusson in diesem Gedanken bestärkt. Was sie als Christin glaubt und als Pfarrerin weitergibt, hat sie sozusagen am eigenen Leib erfahren:

Dieses Leben habe ich jetzt nicht hervorgezaubert, das kommt woanders her. Das spürt man sehr existentiell, wenn es im eigenen Bauch geschieht, dass da Leben entsteht und man diese Unverfügbarkeit auch nochmal ganz anders spürt. Und auch diese Hoffnung, auch der Glaube daran, dass dieses Leben geborgen ist, egal, was damit passiert.

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04AUG2024
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Helga Klär Copyright: Volker Hasenauer

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Helga Klär, Seelsorgerin von „Kirche im Nationalpark Schwarzwald“

Wir treffen uns in Kappelrodeck in der Ortenau - mit Blick auf Wald und Weinhänge. Ganz in der Nähe ist der Nationalpark Schwarzwald. Dort kann man viel entdecken, findet sie: die Natur, sich selbst und Gott. Deshalb ist sie mit Besuchergruppen auch mal ganz früh morgens unterwegs:

Wir treffen uns noch im Dunkeln und dann laufen wir ohne Taschenlampe auf dem Teerweg hoch. Und haben dann halt die herrliche Aussicht, erstmal in die Rheinebene mit den vielen Lichtern. Dann wenden wir uns nach Osten hin, wo dann diese Bergketten sind vom Schwarzwald und Schwäbische Alb, oft auch noch so Nebelschwaden noch dazwischen. Und da geht dann wie so in einem großen Panorama die Sonne auf.

Diese kleine Wanderung beginnt beim Mummelsee an der Schwarzwaldhochstraße und Ziel ist der Berg Hornisgrinde.

Es gibt kurz vor Sonnenaufgang so ein Gedanke oder Morgengebet. Nach dem Sonnenaufgang gibt es dann noch mal einen Lobpreis oder einen Psalm und ein kurzes Gebet, das dazu passt, das gibt dem ganzen noch mal einen Tiefgang. Die Leute sind sehr berührt danach.

Auch ich fühle mich als Christin Gott oft dann nahe, wenn ich draußen bin – an Flüssen oder in stillen Wäldern. Helga Klär denkt dann zum Beispiel daran, dass Gott das Leben überhaupt möglich gemacht hat  und damit auch Pflanzen, Tiere und Berge:

Man hat ja da den Ausblick über die Rheinebene bis zu den Vogesen. Ich weiß ja auch so ein bisschen um die Geschichte, warum der Rheingraben da ist, wie viel Jahrhunderte, Jahrtausende, Billionen da drinstecken. Und ich bin ja nur ein kleiner Ausschnitt in dieser riesigen Weltgeschichte, sage ich jetzt mal.

Wenn so ein Ausblick sie beeindruckt, geht ihr das so. Aber auch wenn sie einfach losläuft – durch den „wilden Bergwald“, wie sie ihn nennt, oder zu ihrem versteckten Lieblingssee. Da fühlt sie sich wohler als in einem Meditationsraum.

Ich wollt immer auch so stundenlang sitzen können und meditieren und habe irgendwann für mich gemerkt: Mich macht es so zappelig, aber sobald ich zehn Minuten gehe, werde ich ruhig. Das Gehen ist für mich eine große, tiefe Meditation.

Wir kommen im Gespräch auch von der Schöpfung zum Schöpfer. Wie stellt sie sich Gott vor? Zuerst antwortet sie ganz klassisch: Gott Vater, Jesus und der Heilige Geist. Aber in letzter Zeit beschäftigt sie auch die Vorstellung von Gott als Mutter wie es auch in der Bibel im Alten Testament vorkommt. In manchen katholischen Kirchengemeinden taucht das in Gebeten schon auf, aber Helga Klär wünscht sich das noch öfter:

Also gerade dieses Lebensspendende. Wenn ich dann rausgehe, überall ist es grün und alles wächst und da perlen die Bäche und so… Gott wirklich mal mit die Ewige, die Heilbringende, Lebensspendende anzusprechen, diese weibliche Seite zu beleuchten, das ist das, was mich grad inspiriert und auch meinen Glauben.

Ihr ist es wichtig, die Augen offen zu halten, für Gott und für Schönes und Ungewöhnliches in der Natur. Das ist leicht im Nationalpark, wo es Moore oder auch Wasserfälle gibt. Ich glaube, das funktioniert aber überall – auch auf Feldwegen oder in grünen Innenhöfen in Städten. Helga Klär und ihre Kollegen bieten auch kleine Pilgertouren durch den Wald an und Seelsorgespräche und offene Ohren rund um die Kapellen auf dem Gelände. Sie erinnert sich noch gut an eine spontane Besucherin in der Kapelle am Mummelsee:

Da ging eben einmal eine junge Frau mit Hund und einem zwei Meter langen aufgeblasenen Badekrokodil in die Kapelle und ich weiß noch, dass wir uns so angeguckt haben: Hund und auch so riesiges Krokodil… Und als sie dann rauskam, hat sie so Tränen im Gesicht gehabt und wir haben sie dann angesprochen. Und dann hat sie gesagt: Mein Vater ist vor zwei Tagen gestorben.

Trauer um einen lieben Menschen – das beschäftigt so manche Besucher. Deshalb macht das Seelsorgeteam mit ihnen auch Wanderungen, dabei sind auch ausgebildete Trauer-Begleiterinnen und -begleiter. Gerade die Landschaft im Nationalpark ist da passend, findet Helga Klär:

Überall liegt Totholz kreuz und quer, Moos wächst darüber, aber dazwischen viele kleine Bäumle und es ist überall grün. Das singt noch irgendwas. Ich sehe hier Tod und Leben, gleichzeitig ist es da.

Für sie ist es ein Zeichen von Hoffnung, auch von christlicher Hoffnung. So etwas in der Natur zu erleben, ist möglich, weil in einem Teil des Nationalparks nicht mehr eingegriffen, quasi nicht mehr aufgeräumt, wird. Stück für Stück immer weniger.

Einfach auf 10.000 Hektar, das ist Mindestgröße, wird nicht mehr eingegriffen, sondern der Mensch schaut zu. Und das Anliegen ist: Eine Ethik der Zurückhaltung zu leben. Und ich finde, es hat ganz viel mit dem, was wir mit Bewahrung der Schöpfung auch meinen, der Artenvielfalt den Raum zu geben.

Nicht jeder ist damit glücklich, das weiß sie auch. In den zehn Jahren des Nationalparks haben Anwohner das Vorhaben immer wieder kritisiert. Für Helga Klär zählt die Haltung zur Natur. Und damit zurück zu den umgestürzten Bäumen und dass da auch immer wieder Pilze, Moos und neue Pflanzen wachsen. Das passt eigentlich zu vielen Lebenslagen.

Mir geht es auch so: Es ist ja immer irgendwas, was gerade eher zurückgeht, sei es Interessen, sei es Hobbies, ob beruflich oder irgendwas. Und es ist immer irgendwas, und sei es noch so klein, was mich plötzlich neu interessiert oder was da wieder wächst.

Auch für sie selbst wird sich bald etwas verändern. Es dauert nicht mehr lang, bis sie in Ruhestand geht. Sie fragt sich immer mal wieder: Wie wird es dann sein – ohne den Arbeitsalltag in der Kirchengemeinde und im Nationalpark? Ihr hat es geholfen, mit diesem Gedanken los ins Grüne zu laufen.

Wo ich sonst immer links auf dem Teerweg gehe und das alles halt ganz geordnet ist und rechts der Weg - war eigentlich auch sicher, aber er war halt wild und es war eine schöne Nähe zum Bach, sodass ich für mich so gesehen habe: Okay, es gibt immer noch mal einen anderen Weg, obwohl du jetzt schon, was weiß ich, hundertmal den anderen gegangen bist.

Helga Klär lässt sich von Gottes Schöpfung immer wieder inspirieren. Und das mache ich selbst auch gern – bei geistlichen Auszeiten mit Wandern oder auch bei kleinen Spaziergängen in der Mittagspause. Oder so wie heute am Sonntag.

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28JUL2024
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Andrea Ziegler mit Joy Foto: Svenja Stein, Europapark.

Ich bin schon vielen Menschen bei ihrer Arbeit begegnet. Aber so beseelt und glücklich wie Andrea Ziegler, waren, glaube ich, wenige. Sie ist Diakonin im Europa-Park. Quasi das evangelische Gesicht der Kirchen dort. Was bietet Andrea Ziegler zwischen all den Attraktionen?

Wir als Kirche im Europa Park, mein katholischer Kollege Thomas Schneeberger und ich, wir sind so ein bisschen Überraschung. Wenn man uns begegnet, dann glaube ich, bieten wir tatsächlich auch Spaß.

Von Kirche überrascht werden – das lassen sich vor allem Gäste gefallen, die mehrere Tage da sind. Oder für die der Park wie ne zweite Heimat ist. Denen kann es passieren, dass sie von ihr an der norwegischen Stabkirche angesprochen werden.

‚Habt ihr Lust auf ein Rätsel‘? Die Leute kommen, erkunden die Stabkirche und wenn sie alles richtig haben, dann haben Sie am Ende die Zahlen, um das Schatzkistlein zu öffnen und dann teilen wir natürlich unseren Goldschatz mit den Gästen und kommen gleichzeitig gut ins Gespräch.

Unterhaltung: Das ist ein Schlüsselwort für Andrea Ziegler. Weil da mehr drinsteckt, als man meint. „Unterhaltung“ ist für sie tief-sinnig.

In dem Sinne, dass wir gute Gespräche anbieten. Aber auch, dass wir etwas bieten, einen Grund, der hält, etwas unter sich zu haben, was durchs Leben trägt. Dass wir einen Gott ins Gespräch bringen können, der unser Leben unter-hält.

Darum feiern viele mit ihr und ihrem Kollegen auch Gottedienst. Über 100 mal im letzten Jahr: Da wurde geheiratet, sie haben Kinder getauft und Menschen haben auf ihr Leben geschaut. Wie ein französisches Paar, das auch noch eine Bitte hatte.

Plötzlich erzählten die, ja, sie haben heute fünfundzwanzigjähriges Ehejubiläum und sind zufällig in die Kirche gekommen. Und wenn sie jetzt noch einen Segen kriegen könnten. Natürlich habe ich das gemacht im Wikingerkostüm in schlechtem Französisch, aber es war ein unfassbar schöner Moment. Man -hat einfach gespürt:

Der Segen der streichelt die Seele der Menschen und die gehen gestärkt und gut unterhalten wieder weiter in den Tag.

Auch in Trauer ist sie da. Bei 5000 Mitarbeitenden im Park, gibt es auch Leid. Sie fragt längst nicht mehr, was soll Kirche in einem Freizeitpark? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Kirche soll einfach da sein, wo Menschen leben. 

Diese Selbstverständlichkeit zu leben und gastfreundlich alle Menschen zu empfangen, getragen vom Glauben. Ich glaube, das ist eines unserer Ziele, in ökumenischer Verbundenheit., (0.12)

Überrascht hat mich, dass es auch gelingt, Verbindungen zu schaffen über den Park hinaus, auf Insta zB.

 

Instagram das ist ein Ort, wo Menschen mit uns in Kontakt und in Verbindung bleiben.

Seit vier Jahren ist Andrea Ziegler das evangelische Gesicht von “Kirche im Europa-Park”. Und Sie hören es bestimmt. Es ist ihr eine Freude. Vielleicht heißt darum auch das neue Maskottchen “Joy”. Sieht sehr sympathisch aus, kuschelig, ein bisschen Hummel, ein bisschen Engel. Nen Heiligenschein hat Joy auch, auch wenn der manchmal etwas verrutscht. Und Segen.

Diesen Glitzersegen verstreut Joy, unser Maskottchen, überall und trägt ihn überall hin. Und da sagen wir immer: ‘Wenn man einmal Glitzer abkriegt oder einmal Segen abkriegt, wird man den eigentlich nie wieder so richtig los. Und wenn die nächste Portion kommt, glitzert er nur noch mehr.’

Man spürt: Andrea Ziegler ist Feuer und Flamme für ihre Arbeit. Aber das war nicht immer so. Ihr Vorgänger hat sie überreden müssen, dass sie die Richtige sei. Ich würde sagen: Sie ist be-rufen worden. Ist das nicht Glück, wenn man gefunden wird?

Ich empfinde es inzwischen als große Ehre, dass ich hier arbeiten darf. Es ist weltweit einmalig, eine solche Kooperation zwischen evangelischer katholischer Kirche und einem Freizeitpark. Und es macht mir einfach unglaublich Spaß, mit diesen ganzen Menschen, mit den Ideen, die ich hier einbringen kann.

Sie wünscht sich, dass das, was sie beflügelt, insgesamt Kirchen und Gemeinden inspiriert. Vor allem die ökumenische Zusammenarbeit. Sie bedauert – mit ihren Anfang 40 – dass sie nicht immer schon so gearbeitet und gefragt hat.

Wo kann man gemeinsam Dinge angehen, die vielleicht jetzt gerade jeder für sich macht? Es kommt weniger drauf an, ob ich evangelisch oder katholisch bin.
 Ich bin der Überzeugung: Ein Erfolgsrezept für eine gelingende Arbeit ist ein gutes Team. Wenn ich Menschen finde, mit denen ich mich vielleicht auch gut ergänzen kann.

Sie lernt auch von Mitarbeitenden im Park: Professionalität und Liebe zum Detail können gute Arbeit besser machen. Auch bei Kirchens.  Es inspiriert sie, wenn Parkmitarbeitende sagen: ‘Wir arbeiten sehr gern’ und auch deren Haltung: ‘Wir wollen Erwartungen von Gästen über-erfüllen.’ Andrea Ziegler spornt das an. Wobei übererfüllen, ja nicht ‘immer mehr’ bedeuten muss.

Auch der Überraschungsmoment kann übererfüllend sein, wenn ich damit nicht gerechnet hätte. Also einfach mal denken, out of the Box, ganz anders denken und gucken, was kommen denn da für Ideen, und dann auch den Mut haben, es einfach mal zu probieren.

Ich bin sicher, Andrea Ziegler wird weiterhin Menschen überraschen: Mit Segen und Glanz. Die kommen einem ja immer mal abhanden. Aber Auffrischung ist möglich. Im Park und draußen.

Eigentlich ist das gar nicht so kompliziert, hier zu heiraten oder das Kind taufen zu lassen. Man meldet sich.
 Heiraten kann man ja auch ökumenisch. Dann sind sogar wir beide anwesend. Und dann nimmt das Ganze seinen Lauf.

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21JUL2024
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Sophie von Bechtolsheim copyright: Privatfoto

Christopher Hoffmann trifft: Sophie von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Ihr Großvater hat am 20. Juli 1944 das gescheiterte Attentat auf Hitler ausgeführt. Vor 80 Jahren wurde er nachts im Bendlerblock ermordet. Sophie von Bechtolsheim hat viel Zeit mit ihrer Großmutter Nina verbracht. Wie hat sie ihren Ehemann erlebt?

Sie hat erzählt, dass er eine große Ausstrahlung hatte. Er war aber auch der, der mit den Kindern am Boden rumgekugelt ist und ein totaler Familienmensch war.  Und das deckt sich dann mit dem, was ich dann später gelesen hab, über das, was Zeitzeugen erzählen-eben diese Fröhlichkeit, diese Zugewandtheit. Also so eine ganz große, starke Ausstrahlung, persönliches Charisma.

Sophie von Bechtolsheim ist nicht nur Enkelin, sie ist auch Historikerin. Und sie weiss, dass ihr Großvater die Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst staunend beobachtete, anschließend als Berufsoffizier der Wehrmacht Karriere machte:

Er war kein glühender Gegner, also leider nicht, wie Bonhoeffer, der eben schon 33 erkannt hat, dass die jüdischen Mitbürger existentiell bedroht sind und ja auch gesagt hat: wir müssen die Opfer unter dem Rad verbinden, damit natürlich die jüdischen Mitbürger gemeint hat und auch dem Rad in die Speichen fallen, also sprich den Nationalsozialisten in den Arm fallen und sie daran hindern, Macht auszuüben. Und so hat mein Großvater das wohl nicht gesehen – er musste erst mal einen Erkenntnisprozess durchlaufen.

Wann genau Stauffenberg zuerst die Erkenntnis hatte, dass Hitlers Terror gestoppt werden muss, das weiß keiner genau, betont die Enkelin. Ich erlebe die 56-Jährige in unserem langen Gespräch ohnehin sehr vorsichtig mit historischen Hypothesen. Wichtig ist ihr: Das geplante Attentat war kein Alleingang ihres Großvaters. Hinter dem 20. Juli standen viele Menschen im Widerstand gegen Hitler:

Er hat sehr viel investiert Menschen zu kontaktieren aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen, um dann diesen Umsturz auch gesellschaftlich vorzubereiten. Das ist leider außerhalb der Wahrnehmung, dass das wirklich ein groß angelegtes Netzwerk war.

Auch für die Familie Stauffenberg war die Operation „Walküre“, wie das Unterfangen in der Wolfsschanze genannte wurde, hochgefährlich – Claus und Nina hatten vier Kinder, mit dem fünften war sie schwanger. Ich will von der Enkelin wissen: wie stand ihre Großmutter zu den Umsturzplänen und war sie überhaupt eingeweiht?

Also meine Großmutter wusste, dass es einen Umsturz gibt, aber sie wusste nicht, dass er es ausüben würde – und wenn ich sie gefragt habe: Sag mal hast du ihm das nicht verübelt, weil ja klar war, dass euch das alle gefährdet?  Da ist sie richtig sauer geworden, also da ist sie richtiggehend sauer geworden, weil sie gesagt hat: Was sollte ich ihm denn da verübeln?

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg wird nach dem missglückten Attentat von der Gestapo in Einzelhaft genommen und muss mehrere Konzentrationslager überleben. Diese Zeit zu überstehen, dabei hat ihr auch ihr Glaube an Gott ganz zentral geholfen:

Und sie hat gesagt: da wächst einem etwas zu, von dem man vorher nicht wusste, dass man es hat, nämlich Standesgnade. Und dann hab ich gefragt: Was verstehst du darunter? Ja eben eine Kraft, die man bekommt, die man vom Himmel bekommt, um das auszuhalten und dann auch darauf zu vertrauen: Gott wird mir die Kraft schenken, das zu bewältigen.

Standesgnade – das hat nichts mit dem Adelsstand, sondern mit dem Stand als Ehefrau zu tun. Sophie von Bechtolsheim – selbst Ehefrau und Mutter von vier Söhnen, berührt das bis heute.

Ich treffe Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Neben ihren Verwandten hat sie als Kuratoriumsmitglied der Stiftung des 20. Juli auch mit Zeitzeugen gesprochen, um mehr über ihren Großvater herauszufinden. Auch mit Ewald-Heinrich von Kleist, der als Widerstandskämpfer am 20. Juli im Bendlerblock in Berlin beim Umsturzversuch dabei war:

Was ihn so beeindruckt hat war diese wahnsinnige Nervenstärke – als eigentlich klar war, als durchgedrungen ist Hitler ist nicht tot, hat ja mein Großvater trotzdem versucht den Staatsstreich voranzutreiben - in Wien und in Paris war der ja mehr oder weniger gelungen, da hat man es geschafft die SS zu entmachten und er hat eben trotzdem felsenfest daran geglaubt oder festgehalten diesen Umsturz weiter voranzutreiben.

Sophie von Bechtolsheim ist sich sicher: Ihr Großvater hat bei der Planung der Operation „Walküre“ auf sein Gewissen gehört:

Es gibt ja diesen Satz von meinem Großvater: Wir werden als Verräter dastehen. Also mit dem Bewusstsein haben die das ja geplant und durchgeführt - mit der Überzeugung sie werden als Verräter vor den Deutschen oder der Geschichte dastehen. Aber wenn sie die Tat unterlassen, sind sie Verräter des eigenen Gewissens.

Als Theologe glaube ich: Das Gewissen ist die Stimme Gottes in uns - das teilt auch Sophie von Bechtolsheim.  Und auch für ihren Großvater spielte sein christlicher Glaube eine wichtige Rolle. Gesichert ist: Stauffenberg stand in Kontakt mit dem Jesuitenpater und Widerständler Alfred Delp, der ihn in Bamberg besuchte. Am Abend vor dem 20. Juli 1944 besucht Stauffenberg eine leere Kirche um zu beten, so hat es sein Chauffeur bezeugt. Was ist für Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin Stauffenbergs, die bleibende Botschaft des 20. Juli?

Dass der Mensch zur Freiheit berufen ist, also trotz aller Determination sind wir freie Wesen. Und wir wahrscheinlich freier sind als uns lieb ist. Und das ist für mich die Botschaft. Und aus religiöser Sicht würde ich sagen:  Dass wir in dieser Freiheit rausfinden müssen, wozu uns unser Gewissen beruft. Ich glaube tatsächlich, dass das wirklich im ganz, ganz Kleinen, Alltäglichen anfängt-immer sich zu hinterfragen: was kann ich dafür tun integer zu sein? Das ist das Vermächtnis des 20. Juli.   

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14JUL2024
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Georg Zimmer Foto: privat

Ich bin mit dem Auto auf der A96 unterwegs und mache Halt an der Raststätte „Winterberg“, um die Autobahnkapelle zu besuchen. Vom Parkplatz aus muss ich noch ein ziemlich steiles Stück den Berg hinauf. Aber es lohnt sich, denn oben angekommen erwartet mich nicht nur der weiß leuchtende Rundbau der Galluskapelle, sondern auch ein grandioser Ausblick: über Leutkirch und das Schwäbische Allgäu hinüber zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Und mich erwartet mein heutiger Gesprächspartner, Georg Zimmer. Der hat vor etwas mehr als 25 Jahren den Bau der Kapelle initiiert. Er erzählt mir, wer die Menschen sind, die zur Galluskapelle kommen: 

Das sind hauptsächlich Durchreisende, die auf dem Weg nach Süden vor allen Dingen hier Halt machen. Auf den Winterberg auf 750 Meter Höhe steigen und hier auch unter anderem die Aussicht auf die Berge genießen. Die andere Gruppe kommt aus der näheren Umgebung. Die Kapelle hat also zwei Funktionen: einmal Autobahnkirche und zum anderen aber auch eine ökumenische Einrichtung in unserer Region.

Das weckt meine Neugier: Die Autobahnkapelle hat ihre Wurzeln also in der christlichen Ökumene. Georg Zimmer erzählt: Ihre Ursprünge reichen zurück bis in seine Schulzeit, als er nach dem Krieg mit seiner katholischen Familie ins evangelische Leutkirch gezogen ist.

Also 1950, als ich eingeschult wurde, gab es in der Grundschule in Leutkirch noch getrennte Klassen, getrennte Lehrer. Das Gesangbuch hat entschieden, in welche Klasse man kommt. Es gab sogar getrennte Treppenzugänge nach oben.

Und daran hatte sich kaum etwas geändert, als Georg Zimmer Ende der 70er Jahre als Stadtbaumeister nach Leutkirch zurückgekommen ist.

Ich habe dann im katholischen Kirchengemeinderat einen ökumenischen Ausschuss gegründet, weil es mir einfach ein Anliegen war, dass man hier mit dem Gesangbuch, mit dem „Gläuble“, wie wir sagen, einmal Schluss machen muss in Bezug auf die Beziehungen. Aber zum Jahr 2000 hat es sich angeboten, dass wir mal etwas Richtiges miteinander machen, ein Projekt realisieren.

Und für das Projekt „Galluskapelle“ des ökumenischen Arbeitskreises war es ein Segen, dass Georg Zimmer nicht nur Architekt, sondern auch beigeordneter Bürgermeister für den Bereich Bauen und Kultur in Leutkirch gewesen ist. Entstanden ist so ein einladender, heller Rundbau, der bis zu 25 Veranstaltungen jährlich beherbergt: Ausstellungen, Gottesdienste und ganz besonders hervorzuheben: Konzerte und Musik.

Also in der Kapelle kann man wunderschön singen. Wir empfehlen den Leuten immer, sich in der Mitte auf den kreisförmigen Oliven Holz Kreis zu legen und den Himmel anzusingen. (…) Also beispielsweise gibt es einen Ziehharmonikaspieler, der immer wieder kommt und hier oben Musik macht.

Was sind das für Menschen, die hier Halt machen?

Zum Beispiel hat sich gestern eine Gruppe von Pfadfindern aus Polen angemeldet, die hier auf der Reise morgens eine Messe feiern wollen. Wir haben aber auch Besucher, die beruflich unterwegs sind und die immer wieder die Galluskapelle besuchen, den Berg besteigen und somit ein bisschen sich vom Alltagstrubel ablenken lassen.

Es war wohl immer schon so, meint Georg Zimmer: Wer einen Berg besteigt, der ist etwas befreiter ist von seiner Last. Davon erzählen auch die Einträge der Besucher ins „Anliegenbuch“, das in der Kapelle ausliegt.

Ich habe mal (…) das Anliegenbuch 2022 ausgewertet und das war ganz interessant, dass Menschen hier schreiben: Danke Gott für diesen wunderschönen Ort der Ruhe und Besinnung und all denen, die geholfen haben und jetzt immer noch helfen, dies zu ermöglichen. (…) Wir sind eben hier an einem Punkt, der vielleicht dem Himmel etwas näher ist, könnte man sagen, wenn man auf 750 Meter ist und den Ballast des Alltags unten liegen lassen kann.

Georg Zimmer ist gerade 80 Jahre alt geworden, und er ist bis heute Vorsitzender des Fördervereins Galluskapelle. Ihren Namen hat sie vom Heiligen Gallus, einem der drei Allgäu-Heiligen. Ihre runde Form und ihre schlichte und gleichzeitig einladende Ausstattung verdankt sie nicht zuletzt Georg Zimmer. Er ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass hier ein Ort ist, der den Menschen auf Reisen einfach guttut. Auch solchen, die sonst wenig mit Kirche am Hut haben.

Also man sieht, es sind viele Menschen, die hier hochkommen, die vielleicht nicht unbedingt jeden Sonntag in die Kirche gehen, (...) die aber hier oben offensichtlich ein Bedürfnis haben, (…) an diesem ökumenischen Ort zur Ruhe zu kommen.

Nächstes Jahr feiert die Gallus-Kapelle ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre, die zeigen, dass sich das ökumenische Engagement gelohnt hat. Zum Schluss deshalb noch ein Zitat aus dem Anliegenbuch. Denn es bringt auf den Punkt, was diesen Ort so lebendig macht:

Herzensdank an alle Menschen, die ihr diesen Ort geschaffen und gestaltet habt. Der Geist der Verbundenheit ist hier lebendig, jenseits von Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Religion. Uns alle verbindet weit mehr, als uns trennt. 

 

Gallus-Kapelle

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