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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11APR2024
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Ostern ist noch nicht lange her – das christliche Fest, dass Jesus den Tod besiegt hat und auferstanden ist. Können Sie das glauben? Oder auch andere Glaubenssätze, dass zum Beispiel Jesus Kranke wieder gesund gemacht hat. Können Sie damit etwas anfangen oder solche Erzählung für ihr eigenes Leben deuten?  

Zweifel und auch handfeste Kritik an der Kirche und dem, was sie verkündigt, gibt es nicht erst seit gestern. Eigentlich gibt es die schon immer, von Anfang an, seit es Christen gibt. Und ganz besonders elegant und gekonnt hat Johann Wolfgang von Goethe den Glauben aufs Korn genommen, wie ich finde. Goethe ist einer der berühmtesten deutschen Dichter. Und in seiner Tragödie „Faust“ gibt es eine Szene, in der seine Hauptfigur, Heinrich Faust, zusammen mit einem Gehilfen einen Spaziergang machen. Und zwar im Frühling am Ostersonntag.

Faust ist in dieser Szene allerbeste Laune. Er sieht von einer Anhöhe aus zu, wie die Menschen fröhlich aus der Stadt hinausdrängen – in den farbenfrohen Frühling. Denn – findet Faust – sie haben genug vom dunklen Winter, ihren engen Häusern und von den Zwängen des Arbeitsalltags. Als wären sie selbst auferstanden. Und dann sagt er noch: „aus der Kirchen ehrwürd’ger Nacht / sind sie alle ans Licht gebracht.“

Wie böse! Und wie scharfzüngig: In den Kirchen ist es also zappenduster, und er meint damit: Zappenduster für den eigenen Verstand. Also lieber raus aus den Kirchen, hinein in die Natur, wo es hell ist. Da kann der Mensch selbst denken, seinen eigenen Verstand benutzen und erkennen, wie’s im Leben läuft. So sieht Goethe das also – und reibt es mir als Vertreterin meiner Kirche so ganz nebenbei mal so richtig rein.

Hat er recht? Ja – und nein, wie ich finde. Ja, denn die Kirchen waren im Laufe der Zeit immer wieder wissenschaftsfeindlich. Und nein. Denn in den vergangenen Jahrhunderten haben sie selbst die Wissenschaften auch vorangebracht. Sie haben mit dafür gesorgt, dass alle zur Schule gehen können und selbst nachlesen, was so alles in der Bibel steht.

Mir gefällt die scharfzüngige Kritik von Goethe deshalb gut. Er piekt mich und die Kirchen ein bisschen, damit wir nicht aufhören, nachzufragen und darüber nachzudenken, was der Glaube für unser Leben bedeutet.

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SWR3 Gedanken


Heute vor 260 Jahren ist Johann Wolfgang von Goethe geboren. Das klingt nach gelben Reclam-Heftchen mit Schmierereien drauf und danach den Götz von Berlichingen so lange durchzublättern bis man endlich schwarz auf weiß den Schwäbischen Gruß gelesen hat. Nach mehr als zweihundert Jahren wird Goethe – zumindest in der Schule – immer noch gelesen.

Meine Geschichte mit Goethe ist auch in der Schule angesiedelt. Als wir das Stück „Iphigenie auf Tauris“ behandelten, kamen wir darauf zu sprechen, dass Iphigenie sich von den Göttern lossagt und selbst ihr Schicksal in die Hand nimmt. Meinem Lehrer fiel dabei das Sprichwort ein: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“. und dann meinte er noch, das stünde so in der Bibel.

Wir konnten ihm nachweisen, dass das nicht stimmte. Und Goethe selbst hätte wahrscheinlich am schnellsten widersprochen. Denn, auch wenn Goethe wahrlich kein Kirchenchrist war: Seine Bibel hatte er gelesen und kannte sie gut.

So sagte er selbst, die Bibel sei ihm „lieb und wert“ Für ihn war die Bibel da, „damit wir uns daran wie an einer zweiten Welt versuchen, uns daran verirren, aufklären und ausbilden mögen."

Ich finde es spannend, die Bibel zu lesen wie Goethe, nämlich immer mit der Frage: Wie würde ich es machen? Und: sehe ich das auch so? Mir mal vorzustellen, ich wäre in den Situationen, in denen die biblischen Figuren sind.

Mit diesem goetheschen Prinzip, glaube ich, kann man die Bibel noch einmal gut kennenlernen. Und noch was kann man von Goethe gut lernen. Wer seine Bibel gut kennt, der wird vielleicht auch noch in 200 Jahren gern gelesen.
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SWR4 Abendgedanken RP

Hauptschule: Das klingt nach Rüttlischule, nach schwierigen Schülerinnen und Schülern. Preisverdächtig allenfalls, wenn es um Gewaltbereitschaft geht – nicht unbedingt um so-ziales Engagement. Und doch: Die Schüler einer Mainzer Hauptschule haben genau das bekommen: einen ersten Preis für ihr soziales Engagement. Den Ketteler-Wettbewerb im Bistum Mainz haben sie gewonnen. Um das Projekt und das Engagement der Jugendli-chen von der Mainzer Goetheschule soll es in der kommenden halben Stunde gehen, im Blickpunkt Kirche am heutigen Mittwoch.


Teil 1
Ein besserer Ruf muss her – ein Projekt entsteht

Jugendliche an einer Hauptschule: Die haben einen denkbar schlechten Ruf: Wer eine Hauptschule besucht, der ist angeblich wenig intelligent, wenig sozial, der taugt nicht viel für den Arbeitsmarkt oder sogar: für die Gesellschaft allgemein. Wer solch einen üblen Ruf hat – der kann eigentlich nur gewinnen. Ein neues Image nämlich. „Wir sind besser als unser Ruf!“ Dieser Slogan entstand auf einem Schülervertretungsseminar der Mainzer Goetheschule. Hilal, 19, und Tyrone, 17, waren damals dabei, als Schulsprecher. Und sie waren überzeugt:

„Es ist nicht wirklich, wie die Leute sagen. Goetheschule ist ne ganz normale Schule, an jeder Schule gibt’s natürlich Chaoten, das ist klar, aber 90 Prozent der Schüler sind ganz normal, wie jeder andere. Es wird zu unrecht gesagt, dass die Goetheschule eine schlechte oder antisoziale Schule ist.“

Aber wie lässt sich das zeigen, wie lässt es sich beweisen? In der Katholischen Jugend-zentrale in Mainz, der KJZ, hatte man die passende Idee dazu: Schülerinnen und Schüler helfen, sie engagieren sich ehrenamtlich. Und so wurde aus dem Motto „Wir sind besser als unser Ruf!“ ein handfestes Projekt. Ute Friedrich-Lendle und Anja Kremper von der KJZ begannen mit Jugendlichen zu sprechen, mit der Schulleitung, mit Altenheimen und Kinderkrippen – und viele in der Mainzer Neustadt machten mit bei dem neuen Projekt.

„Die Idee ist: Jugendliche gehen in eine soziale Einrichtung, einmal wöchentlich für ungefähr zwei Stunden, und unterstützen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, lernen die sozialen Einrichtungen ihrer Umgebung, nämlich der Neustadt kennen. Und mit diesen Jugendlichen ist es tatsächlich so entstanden, die Goetheschule in ein besseres Licht zu rücken.“

Hauptschüler engagieren sich ehrenamtlich, in Kinderkrippen, Altenheimen oder öffentli-chen Büchereien: Das ist neu und besonders in der Mainzer Neustadt. Für alle Beteilig-ten: für die Mitarbeiter in den sozialen Einrichtungen, für die Kinder und älteren Leute, die dort spielen oder leben, aber auch für die Jugendlichen selbst. Sie alle haben sich aufeinander eingelassen - und dann miteinander viele neue Erfahrungen gesammelt und sich gegenseitig schätzen gelernt. So zum Beispiel auch Tyrone und die Kinder vom Kin-derhaus „Blauer Elefant“:

„Ich war immer einen Tag da, donnerstags, von zwei bis sechs, normalerweise von zwei bis vier. Es hat mir so gut gefallen da, ich konnt einfach nicht gehen, die Kinder ha-ben mich auch irgendwie nicht gelassen.“

Teil 2
Erfahrungen in Kinderkrippe und Altenheim

„Wir sind besser als unser Ruf!“ Das ist das Motto eines Projekts der Katholischen Ju-gendzentrale in Mainz, das sie gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Goethe-schule durchführen. Jugendliche gehen einmal die Woche zwei Stunden in eine soziale Einrichtung und helfen dort ehrenamtlich mit. Tyrone zum Beispiel war im Kinderhaus „Blauer Elefant“ am Goetheplatz in der Mainzer Neustadt. Am Anfang war er noch zu-rückhaltend und hat erst mal nur zugeguckt. Das hat sich aber schnell geändert:

„Später hab ich dann z.B. die Hausaufgabenbetreuung mitgemacht oder bin mit den Kindern mal rausgegangen, hab auf die aufgepasst. Die Kinder haben sich gefreut, die kamen dann zum Beispiel, wenn sie z.B. nach der Hausaufgabenhilfe oder bei der Lern-hilfe später ne gute Noten geschrieben haben, dann kamen sie auf mich zu und haben sie sich total gefreut, fand ich immer total süß.“

Gute Noten: die haben auch Tyrone und seine zehn Projektkollegen für ihre Mitarbeit in den sozialen Einrichtungen bekommen. Ein Zeugnis von der Katholischen Jugendzentrale gab es nach dem halben Jahr ihres Projekts, auch im Abschlusszeugnis der Goetheschule wurde ihr Engagement vermerkt. Das macht sich langfristig gut bei Bewerbungen bei Arbeitgebern oder andren Schulen. Aber genauso langfristig und genauso wohltuend war die Wirkung in ihrem Stadtteil: die Anerkennung und Dankbarkeit der Menschen, mit de-nen sie zusammengearbeitet haben. Tyrone bemerkt:

„Wenn ich heute noch über den Goetheplatz laufe, kommen die meisten, sagen: hey, Zitrone, denn sie konnten meinen Namen nicht aussprechen. Also ich fand’s schon ganz schön.“

Auch Michelle hat ehrenamtlich mit Kindern gearbeitet, in der Kinderkrippe der Mainzer Neustadt. Und auch sie hat die Erfahrung gemacht: Sie ist willkommen und: Sie wird ge-braucht:

„Ich war in der Kinderkrippe, war auch zwei Stunden die Woche dort, hab die meiste Zeit mit den Kindern gespielt. Am Anfang mussten sie ein bisschen warm mit mir wer-den, weil ich nur einmal die Woche da war, ja, dann sind sie auf mich zukommen, war schon ganz schön anzusehen. Es hat mir sehr gut gefallen. Es war interessant, es war was völlig Neues für mich.“

Und auch Aylin, 17 Jahre wie Michelle, war in einem Altenheim. Die Hauptschüler von der Goetheschule waren auch hier höchst willkommene Gäste:

„Ich war im Martinsstift-Altenheim in der Neustadt tätig, auch einmal die Woche für zwei Stunden. Ich hab mit den alten Leuten Mensch-ärger-dich-nicht gespielt, hab mit ihnen gesprochen, damit ihnen nicht so langweilig wird. Die haben sich sehr gefreut, wenn man sich um sie kümmert. Und ich hab mich auch gefreut, wenn ich sie gesehen hab, wie sie so froh geworden sind, wenn sie so glücklich waren.“

Auch Nusrat war einmal die Woche für zwei Stunden in einem Mainzer Altenheim – und hat ganz ähnliche gute Erfahrungen gemacht wie Aylin:

„Meine Aufgabe war es, das Essen vorzubereiten und dann die Alten ins Zimmer zu bringen, meistens den Alten was vorlesen oder mit ihnen spielen oder rausgehen. Die waren immer froh, wenn ich da war.“

Ob im Altenheim oder Kinderhaus: Wenn die Hauptschüler von der Goetheschule kamen, stieg die Stimmung. „Wir sind besser als unser Ruf!“ Das war das Motto, mit dem elf Ju-gendliche angetreten waren – und es wurde erfolgreich in die Tat umgesetzt. Über Erfol-ge und Nachwirkungen des Projekts hören Sie gleich noch einmal mehr, im dritten Teil von Blickpunkt Kirche.

Teil 3
Das Projekt wirkt weiter

SWR 4 Blickpunkt Kirche, heute zum Projekt „Wir sind besser als unser Ruf!“ Mainzer Hauptschüler engagieren sich – in Altenheimen, Kinderkrippen oder öffentlichen Büche-reien. Ehrenamtlich haben die Jugendlichen von der Goetheschule dort mitgeholfen, erst mal nur für ein halbes Jahr – aber das Projekt wirkt weiter. Zum Beispiel für Hilal, 19 Jahre alt:

„Also ich war in der öffentlichen Bücherei Anna Seghers. Hab da halt Bücher wieder in die Regale eingeräumt, die zurückkamen, oder Lesekisten erstellt, so Bestellungen von den Schulen zu Themen halt Hexen oder was Gruseliges. .. Oder wenn ein kleiner Junge, ein kleines Kind ne Frage hatte, die Frage beantworten, weiterhelfen, ja das wars. Ich fands schon ok. Jetzt bin ich ja in der Goetheschule in der Bücherei, ich mach’s jetzt wei-ter, nur an nem andren Ort.“

„Wir sind besser als unser Ruf!“ – die Aktion entwickelt sich weiter, auch nachdem das erste offiziell geplante halbe Jahr vorbei ist. Nachhaltigkeit – das ist für Anja Kremper von der Katholischen Jugendzentrale ein besonderes Kennzeichen und eine tolle Sache bei diesem Projekt:

„Ich find das schon beachtlich. Die Hilal ist jetzt nicht mehr in der Goetheschule Schülerin, sondern woanders, und geht trotzdem ehrenamtlich einmal die Woche in die Goetheschule und macht da die Bücherei. Es ist schon besonders, und ich glaube, die Schule, die Schulleitung, die Schüler sind da auch dankbar dafür, dass du das machst.“

Das Projekt von Katholischer Jugendzentrale und Goethehauptschule wirkt weiter – und: Es hat sich herumgesprochen, nicht nur in der Mainzer Neustadt. Ministerpräsident Kurt Beck erfuhr auf einer Podiumsdiskussion von der Aktion – und lud die Jugendlichen als Anerkennung spontan zur Rheinland-Pfalz-Ausstellung ein. Und in der vergangenen Wo-che hat die Aktion sogar einen 1. Preis bekommen: beim Ketteler-Wettbewerb im Bistum Mainz. Der Erfolg beflügelt – und trägt das Projekt in weitere Runden. Soziale Einrichtun-gen finden, die mitmachen – das ist mittlerweile nicht mehr schwer, erzählt Ute Fried-rich-Lendle von der Mainzer Jugendzentrale.

„Es hat sich inzwischen auch rumgesprochen, es ist ein Türöffner geworden. Wenn wir jetzt irgendwo anrufen und sagen: Wir machen wieder das Projekt - ach ja, das Pro-jekt kenn ich, natürlich mach ich mit! Oder: Ich hab von Kollegen gehört. Es ist schon sehr schön, in der Neustadt schon so einen gewissen Bekanntheitsgrad inzwischen er-reicht zu haben.“

Hauptschule – in der Mainzer Neustadt hat einen neuen Klang bekommen. Sozial enga-giert, freundlich, verlässlich – so sind sie, die Schülerinnen und Schüler der Goethe-hauptschule. Hilal erklärt, warum es ihr so wichtig ist, einen solchen Ruf zu haben.

„Ja, ich will halt angesehen werden. Nicht als so ne faule Person oder eine, die halt keine Lust hat irgendwas zu machen, ich will halt, dass die Leute irgendwann über mich sagen: die hat ihr Leben lang gearbeitet, keine Ahnung, Respekt oder so was..“ https://www.kirche-im-swr.de/?m=1565
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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

»Die heilgen drei König’ mit ihrem Stern, sie essen, sie trinken, und bezahlen nicht gern.« Goethe (1749-1832) hat das gesagt. Ein bissiger Spruch. Ein Spruch, der so gar nicht zu den Heiligen Drei Königen passt. Denn von Essen, Trinken und Bezahlen ist in der Bibel nicht die Rede. Geschweige denn davon, dass die drei ihre Zeche prellen würden.
Goethe hatte allerdings nicht die biblischen Könige im Sinn, als er seinen Spott-vers schrieb. Der Dichter nahm die Sitten seiner Zeit aufs Korn. Denn im 17. Jahrhundert kam das bis heute bekannte Dreikönigssingen auf. Vor allem die bettelarmen Studenten zogen als Könige verkleidet durch die Straßen. Feierten eine Art nachweihnachtliche Fasnet. Klingelten an Häusern, betteln um Brot und Geld. Doch damit nicht genug. Das Dreikönigssingen endete zumeist im Gast-haus. Die Studenten hatten oft nichts Besseres zu tun, als das erbettelte Geld in Bier umzusetzen. Dabei ging es selten zivilisiert zu. Wüste Gelage waren an der Tagesordnung. Zechprellerei inklusive. Darüber beschwerte sich sogar der Rat der Stadt Köln 1736 offiziell bei der Universität. Daher Goethes Spott: »Die heilgen drei König’ mit ihrem Stern, sie essen, sie trinken, und bezahlen nicht gern.«
1949 wurde der längst vergessene Brauch des Dreikönigsingens neu belebt. Seit-dem ziehen wieder verkleidete Könige durch die Straßen. Wieder klingen sie an Häusern und bitten um eine Spende. Aber statt Studenten bitten jetzt Kinder um Geld. Geld, das sie bestimmt nicht in der Kneipe umsetzen wollen. Sondern das sie wie die Könige vor 2000 Jahren als Geschenk weitergeben. An Kinder, die am Rande stehen, die kaum Überlebenschancen haben, die keine Schule und keine Ausbildung haben.
Vielleicht klingeln die Sternsinger in diesen Tagen auch bei Ihnen. Singen von den drei Königen und freuen sich über Ihre Spende. Seien sie gewiss: Mit den Sternsingern von heute wäre auch Goethe einverstanden gewesen.

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SWR3 Gedanken

Eigentlich ist der November der klassische Monat, um an die Verstorbenen zu denken. Da ist es ja auch die meiste Zeit des Tages grau und dunkel und neblig. Ganz von allein wird man irgendwie melancholisch und schwelgt in Erinnerung.
Aber gestern war der Todestag Goethes, und ich bin froh, dass dieser Tag in diese Vorfrühlingstage fällt.
Für mich verbindet sich mit dem großen Dichter ein ganzer Schatz an wunderbaren Gedichten, Dramen und Erzählungen. Und die passen viel besser in eine lichte Jahreszeit. Überhaupt verliert der Tod seine Schrecken, wenn ich draußen das viele Grün und die bunten Frühblüher wachsen sehe. Jede Narzisse predigt jetzt auf ihre Weise, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass das Leben stärker ist als der Tod und dass die ganze Schöpfung von Leben durchpulst ist.
Ich kann mir plötzlich besser vorstellen, dass die Menschen, die mir lieb waren und schon verstorben sind bei Gott sind. Dass es dort vor Leben überquillt.
Goethe sitzt in meiner Vorstellung mittenmang dabei und zitiert seine Verse. Passend zum März:

Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?

Für Goethe steckte in jeder Blume die aufblüht etwas von der Lebenskraft Gottes, die sich mir bis heute mitteilt. In wärmenden Sonnenstrahlen, in blühenden Bäumen, in Gedichten und in Erinnerungen an Menschen, die mich begleitet haben.

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SWR Kultur Wort zum Tag

Heute vor 90 Jahren wurde der Goethepreis der Stadt Frankfurt zum ersten Mal verliehen, und die Liste der Preisträger liest sich tatsächlich wie ein Who is Who der Geistesgeschichte: Albert Schweitzer, Sigmund Freud, Max Planck, Thomas Mann, Arno Schmidt und Siegfried Lenz, um nur einige zu nennen. Immerhin auch ein paar wenige Frauen: Ricarda Huch, Pina Bausch und – in diesem Jahr, Ariane Mnouchkine. Heute, an Goethes Geburtstag, wird ihr dieser Preis überreicht.

Während meines Studiums in Paris pilgerte ich regelmäßig in ihr „Theatre du Soleil“ in die Cartucherie nach Vincennes und stand manchmal stundenlang für eine Karte an. Damals hatte sie das Projekt, die großen Königsdramen Shakespeares mit japanischen Einflüssen zu inszenieren. Mein Französisch war nicht so gut, dass ich jede Facette verstanden hätte, trotzdem war ich fasziniert. Diese Regisseurin hat mit ihrer Truppe Gesamtkunstwerke erarbeitet, in denen die Bewegungen der Schauspieler mit dem Text des Dramas und dem Raum der Inszenierung eine ganz eigene Verbindung eingingen, die auch die Zuschauenden mit einbezog. Manchmal habe ich auf eine Mahlzeit verzichtet, um mir eine Karte leisten zu können. Dieses Theater war und ist ein Erlebnis. Erst später habe ich erfahren, dass Ariane Mnouchkine mit ihrer Truppe als Kollektiv arbeitet, in der alle dasselbe verdienen, vom Bühnenarbeiter bis zur Regisseurin. Begeistert hat mich der Esprit dieser Truppe, der besondere Geist, der räumlich zu spüren war und ist. Kein Wunder, dass sich Ariane Mnouchkine mit ihrem Théatre du Soleil gegen jede Form des Fanatismus engagiert.

Ariane Mnouchkine hat jüdische Wurzeln, aber soweit ich weiß, ist sie nicht religiös. Trotzdem kann man auch als Pfarrerin viel von ihr lernen. Etwa, dass der Raum eines Gottesdienstes eine ebenso wichtige Aufgabe hat wie die Worte, die gesprochen werden, und dass alle, die am Gottesdienst mitwirken, wichtig sind. Im Gottesdienst gibt es keine Hierarchie. Die Küsterin ist genauso wichtig wie die Pfarrerin oder der Kirchenvorsteher oder der Mann, der ganz zufällig in den Gottesdienst gekommen ist. Und ich habe gelernt, dass die Begeisterung sprachliche Grenzen überwinden kann. Und auch andere Grenzen, jedenfalls, wenn die Begeisterung für die Sache überspringen kann. Wie schön, wenn dann jede und jeder seinen Beitrag dazu leisten kann an seinem, an ihrem Platz. Auch wenn man nicht zum Who ist Who zählt. Und doch wichtig ist. Im großen Theater dieser Welt.

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SWR Kultur Wort zum Tag

26AUG2020
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"Über allen Gipfeln / Ist Ruh’ / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch." Zuletzt habe ich das Goethegedicht zufällig in einer Radiosendung gehört, als ich im Krankenhaus lag. Und im Krankenhausbett hört sich dieses Gedicht wirklich anders an als im Deutschunterricht.

Als Krankenhausseelsorgerin bin ich in der Klinik immer nur zu Besuch, ich kann kommen, aber auch wieder gehen, wann ich will. Nun lag ich da, verbunden mit dem Monitor und dem Infusionsständer. Angewiesen darauf, dass mir jemand die Bettpfanne bringt, die Wunde verbindet, Essen und Trinken ans Bett stellt. Und mich im Krankenhausbett durch die Gänge schiebt. Ruhe gab es da wenig. Dazu die Frösche im Teich vor dem Krankenhaus, die mir mit ihrem ohrenbetäubende Gequake schlaflose Nächte bereiteten. Und immer wieder: Aufklärung vor dem nächsten, ärztlichen Eingriff, mit der obligatorischen Unterschrift des Patienten. Vorsichtig wurde ich darauf hingewiesen, dass der nächste Eingriff schlimmstenfalls auch mit dem Dahinscheiden, dem Exitus, auf Deutsch dem Tod enden kann. Als Pfarrerin lebt man ja gewissermaßen mit dem Tod, wenn auch hauptsächlich mit dem der anderen. Und die jungen Ärzte taten mir fast ein wenig leid, wenn sie mir gegenüber dieses unangenehme Thema immer wieder ansprechen mussten.

Aber viel eleganter als die Ärzte hatte ja vorher schon das Goethegedicht die Patientenaufklärung vollzogen. "Über allen Gipfeln / Ist Ruh’ / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch."

Unterschreiben braucht man das nicht. Aber zustimmen muss wohl jeder. Mit großer Ruhe, mit großer Gelassenheit weist dieses Gedicht darauf hin, dass weder ich, noch der Arzt noch sonst wer ewig hier auf der Erde lebt. Dass wir alle, was unsere Sterblichkeit angeht, Patienten sind.

Das Gedicht von Goethe ist Patientenaufklärung und Seelsorge in einem: Es macht mich nicht glauben, ich lebte unendlich und zugleich versichert es mir, dass am Ende eine alles umfassende Ruhe steht. Das tat gut.  Aber schöner war es dann doch, nach einer Woche das Krankenhausbett wieder gegen das eigene zu tauschen und dem Vogelgezwitscher zuhören zu können.

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SWR4 Abendgedanken RP

"Kleine Blumen, kleine Blätter / Streuen mir mit leichter Hand / Gute junge Frühlings-Götter / Tändelnd auf ein luftig Band."[1]

Diese Verse des jungen Goethe liebte meine Großmutter besonders. Sie liebte Blumen - gerade die kleinen, die sie mit ihrer Gehbehinderung leichter pflegen konnte. Ich glaube, sie hatte das Gefühl, Goethe habe diese Verse extra für sie geschrieben.
Nun war meine Großmutter, die ich nur als alte Frau kannte, ja auch einmal jung - da passte die Fortsetzung dieses Gedichts:

"Zephir, nimms auf deine Flügel, / Schlings um meiner Liebsten Kleid! / Und so tritt sie vor den Spiegel / All in ihrer Munterkeit. / Sieht mit Rosen sich umgeben, / Selbst wie eine Rose jung."

Diese Stelle liebte ich besonders und brauchte dafür gar nicht zu wissen, dass Zephir im alten Griechenland ein Windgott war.
Warum brauchen wir Poesie? Weil Poesie die Welt so beschreibt, dass sie auf einmal ganz anders, ja: wunderbar aussieht. Sie tut das in überraschenden, schön klingenden Worten. Worten, die zu Herzen gehen und das Herz erfreuen - und die man dafür nicht in allen Einzelheiten verstehen muss. Gedichte benutzen diese Sprache, aber auch Psalmen und viele andere Worte aus der Bibel. Die Lieder unseres Gesangbuchs leben von der Sprache der Poesie.
Der französische Literaturnobelpreisträger Albert Camus schrieb einmal über die Kraft schöner Frühlingsgedichte: "Wenn der Mensch Brot und Gerechtigkeit braucht, dann braucht er auch reine Schönheit, die das Brot seines Herzens ist."[2]
Wie Goethe, dessen Todestag sich übrigens heute wieder jährt, haben sich viele Dichter darum bemüht, den Menschen dieses Brot des Herzens zu geben: Worte, die das Herz und die Seele satt machen. Wer solche Gedichte, Gesangbuchlieder oder Bibelworte auswendig kann, hat einen großen Schatz, von dem sich gerade in schweren Zeiten zehren lässt. Meine Großmutter wusste viele solche Worte und gab sie uns gerne weiter. Aber es müssen gar nicht viele Worte sein - ein Tauf- oder Konfirmationsspruch kann schon reichen! Ein Wort, welches das Herz satt macht! Damit lässt es sich leichter leben.


[1] Johann Wolfgang Goethe, Mit einem gemalten Band, in: Goethe, Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt, 1998, S. 93
[2] Albert Camus, Carnets II, janvier 1942 - mars 1951, Les Éditions Gallimard, Paris, 1964, S. 180 (Übersetzung: C. H.)

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SWR3 Worte

03JAN2021
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Die Mutter von Goethe, Catharina Elisabeth Goethe, hat ein Rezept für das neue Jahr aufgeschrieben. Es geht so: 

Man nehme zwölf Monate, putze sie sauber von Neid, Bitterkeit, Geiz, Pedanterie (…).

Jeder Tag wird einzeln angerichtet aus

1 Teil Arbeit und

2 Teile Frohsinn und Humor.

 

Man füge 3 gehäufte Esslöffel Optimismus,

1 Teelöffel Toleranz,

1 Körnchen Ironie und

1 Prise Takt hinzu.

 

Dann wird die Masse mit sehr viel Liebe übergossen. Das fertige Gericht schmücke man mit Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten und serviere es täglich mit Heiterkeit.

 

Quelle:

Catharina Elisabeth Goethe (1731 - 1808) auf der Homepage http://www.pilger-weg.de/zitate/goethekelisabethrezeptfuerdasneuejahr.html

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SWR4 Abendgedanken

Die Asypolitik beschäftigt nach wie vor die Gemüter. Es geht mir heute Abend aber nicht um Politik. Es geht mir ums Gemüt. Was spielt sich da ab in mir und Ihnen, wenn ich Menschen begegne, die fremd sind? Ich spüre manchmal viel Ablehnung. Und zu hören bekomme ich sie auch. Mal grob, mal vorsichtig.

Ein guter Freund hat mir erzählt, dass er über sich selbst erschrocken ist. Als ihm nicht die vertraute Frau im Bäckerladen sein Brot verkauft hat, sondern eine mit Kopftuch. Da seien sie plötzlich da gewesen. Die Vorurteile, die er gar nicht haben will, weil er ein offener Mensch ist und grundsätzlich immer freundlich gegenüber dem, was neu und anders ist. Trotzdem. Es geht so schnell, dass wir uns innerlich verkrampfen. Ich denke, das braucht es nicht. Es schadet uns und unserem Land, wenn die Stimmung immer schlechter wird.

Von Goethe stammt ein Gedanke, der mir in diesem Zusammenhang zu denken gibt: „Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.“Goethe hat ihn in seinem WEST-ÖSTLICHEN DIVAN aus dem Jahr 1819 festgehalten. In diesem Buch beschäftigt er sich mit Gedichten aus Persien, mit dem Land, das heute Iran heißt, und den Menschen dort. Und natürlich auch mit dem Islam, der zu Persien gehört. Seine Gedanken wandern hin und her zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Ost und West und münden an einer Stelle eben in jene Aussage: „Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.“ Das hört sich dramatisch an. Goethe hat nicht gemeint, dass ein Land deshalb ausradiert wird. Aber er weist auf etwas Wichtiges hin. Damit ein Land, eine Nation lebensfähig ist, braucht sie mehr als materiellen Reichtum. Dass die Menschen dort ein Haus und ein Stück Land haben, hat schon damals nicht genügt. Bei uns heute genügt es nicht, dass das Internet schnell ist und die Panzer auf dem neuesten Stand sind. Auch das Qualitätssiegel Made in Germany ist kein Garant fürs Überleben. Viel wichtiger ist, dass Menschen gastfreundlich und hilfsbereit sind. Und das kommt eben aus dem Gemüt, aus dem Herzen jedes einzelnen Bewohners. Für seine Herzens-Gefühle ist jeder selbst mit verantwortlich. Ich kann daraus eine Mördergrube machen. Wenn ich mich ständig ärgere. Wenn die bösen Gedanken die Überhand gewinnen. Wenn ich überall nur Feinde sehe und Menschen, die es auf mich abgesehen haben. Oder ich kann mein Herz zu einem Hort der Freundlichkeit machen. Und diese Freundlichkeit pflegen, sie regelrecht kultivieren.

Für Goethe ist der Fremde kein Feind. Sondern einer, der Schutz braucht. Den ich ihm leicht geben kann, weil mein Land intakt ist. Und das soll auch so bleiben. 

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