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„Also Vorname ist wie Nachname. Deswegen wahrscheinlich wohne ich auch in Baden Baden.“
Khalil Khalil ist 35 Jahre alt. Ich habe ihn während seiner Ausbildung zum Mediengestalter kennengelernt. Seitdem begegnen wir uns immer wieder bei der Arbeit. Und jedes Mal, wenn ich ihn treffe, muss ich schmunzeln, wie redegewandt er sich ausdrücken kann und mit welchem Humor.
Seine Muttersprachen sind nämlich Kurdisch und Arabisch. Als er nach Deutschland gekommen ist, hat er in 6 Monaten Deutsch gelernt und weil es ihm liegt, hat er auch „Schwäbisch schwätza“ und „Badisch babble“ angefangen.
„A Muggaseggle – sagt man also. I hab koi Zeit [Schwäbisch gesprochen]. Mir warn am Wochenende einkaufen. Dann sind wir spazieren gegangen [Badisch gesprochen]. Mir gebet nix – sind drei Wörter, aber sagen so viel aus. [Schwäbisch gesprochen].“
Khalil hat sich von Anfang an in Deutschland in unsere Sprache reingefuchst. Er dreht sogar Videos fürs Internet mit dem Titel „Schwäbisch oder Badisch für Anfänger“. Aber Sprache ist für ihn nicht alles, was es zum Ankommen braucht. Es gibt noch weitere Dinge, die ihm wichtig sind: die Menschen und die Kultur kennenlernen und
„dass man höflich und offen aufgeschlossen sein für Neues quasi, dass wenn du etwas Neues hast, nicht so dagegen, sondern einfach offen und aufgeschlossen sein.“
Ich merke, Khalil ist wichtig, dass sich Menschen gegenseitig verstehen. Er hält Vorträge zu Sprache und Dialekten, aber auch zu Kulturschocks, Integration und Demokratie.
Und er hilft auch als Dolmetscher in Flüchtlingsunterkünften aus, versucht zu vermitteln, wo seine Sprachkenntnisse hilfreich sind. 2019 wird er für sein Engagement sogar mit der Heimatmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Er weiß, wie schwer man es hat, wenn man neuanfängt.
„Und dann kommt einer aus irgendeiner Ecke, der begeht eine Straftat. Und dann werden all diese Menschen über einen Kamm geschert. Das ärgert mich und demotiviert auch bisweilen, gell? Also wenn du merkst, okay, egal was du machst, du bleibst immer der Typ, der einfach so in diese Schublade gesteckt wird. Du versuchst wirklich anzukommen, arbeiten. Die andere sollen dich auch nicht in diese Schublade stecken.“
Khalil und ich sind uns einig: Menschen dürfen anderen Menschen keine Gewalt antun. Das ist inakzeptabel und das gilt auch für Geflüchtete. Vorfälle wie die Messerattacken in Solingen und Mannheim sind schlimme Verbrechen.
Gleichzeitig gilt: Ich darf deswegen nicht alle geflüchtete Menschen vorverurteilen. Menschen wie Khalil sind selbst vor Gewalt geflohen. Genau wie ich, wünschen sie sich ein sicheres Leben. Wer vor Krieg und Gewalt flieht hat ein Recht auf Asyl.
2015 ist Khalil vor dem Krieg geflohen und nach Deutschland gekommen:
„Wir standen vor dem Mittelmeer. Wir waren 45 Leute vor einem Schlauchboot, die nur für 30 Leute geeignet waren – Wenn ich sage wir, meine ich ein paar Freunde von mir und ich, wir waren zusammen auf der Uni – Und dann standen wir in diesem Schlauchboot. Entweder klappt das oder nicht und dann sind wir hingesessen. Weil wir ein Leben in Sicherheit wollten. Weil wir wollten einfach eine Zukunft finden, eine Gesellschaft finden, in der wir auch Teil davon sind und auch die mitprägen oder mitgestalten.“
Und das setzt Khalil auch um. Er ist Mitglied in einem kommunalen Gremium der Stadt Baden-Baden, dass Menschen mit internationalem Hintergrund vertritt. Dieses Gremium setzt sich zum Beispiel dafür ein, dass in Baden-Baden weder Kinder im Kindergarten oder der Schule, noch Erwachsene auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, nur weil sie von woanders herstammen.
„Wenn du manchmal die Dankbarkeit oder die Freude oder Das Glück im Gesicht von den anderen verspürst, in dem du auch manchmal auch banale Sachen tust. Dann motiviert das einen, dich zu engagieren. Es gibt kein schöneres Gefühl einfach als zu erfahren, wie du einfach dazu beigetragen ha[s]t, [dass] dieser Mensch ein Stückchen glücklicher oder zufriedener oder verständnisvoller geworden ist dadurch.“
Als Christin kann ich da gut mitgehen – solidarisch und hilfsbereit sein. Wir diskutieren über Religionen und die Werte, die sie vertreten. Für mich sollte Religion die Menschen verbinden und nicht voneinander trennen. Findet auch Khalil:
„Es würde so viel Liebe, Toleranz, Verständnis, Respekt auf dieser Welt herrschen. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was uns verbindet. Denn das ist viel mehr wert.“
Genau und ich muss es eben auch leben. Und das fängt ja in unserer Gesellschaft schon von klein auf an, wie wir mit Kindern umgehen.
„Wir sind in der Verantwortung, Kindern nicht nur diese Werte beizutragen, sondern versuchen so viel wie möglich diese Werte auch rüberzubringen [beizubringen]. Also wenn du vor ein Kind zum Beispiel ein Buch liest, das Kind wird ein Buch lesen, aber wenn du ein Kind von hinten vor einem Kind mit deinem Handy spielst, das Kind wird auch so machen. Das Kind musste auch mit dem Gefühl erziehen, dass sie [es] irgendwann, wenn sie [es] groß ist, auf dich stolz sein sollte. Und wenn du das schaffst, dann hast du wirklich, ich glaube alles Mögliche getan.“
Ich finde das ne wirkliche Aufgabe und wahrscheinlich gelingt das wohl niemandem perfekt. Aber es ist es auf jeden Fall wert zu versuchen. Eine Lebensaufgabe. Immer wieder neu.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40832
Peter Annweiler trifft Anahita Azizi, Aktivistin von Frauen.Leben.Freiheit
Teil 1: Mutiges Engagement
Sie ist klug, sanft und engagiert - für Menschenrechte im Iran. Tief bewegt bin ich, als Anahita Azizi bei einer Ausstellung von Frauen- und Kinderzeichnungen in Mannheim spricht. Jetzt habe ich mich mit ihr verabredet und will mehr von der Aktivistin erfahren, die sich bei Frauen.Leben.Freiheit. engagiert. Schnell erzählt sie mir ihre Migrationsgeschichte.
Ich bin mit viereinhalb Jahren nach Deutschland gekommen, und damals sind wir geflohen, und das politische Asyl wurde hier gewährt. Und irgendwann war es dann möglich, mal zurückzugehen als Erwachsene. Das war spannend zu sehen, wie offen die Menschen sind, dass sie immer ein Spruch auf den Lippen, ein Lächeln auf den Lippen haben, neugierig sind, herzlich und gastfreundlich.
So wertvoll: Mit den eigenen Wurzeln in Kontakt zu bleiben. Gerade, weil Anahita Azizi es geschafft hat, in Deutschland zu Hause zu sein und beruflich erfolgreich in der IT-Branche zu arbeiten. Doch der Blick ins Land der Mullahs ist seit 45 Jahren beschwert.
Jetzt ist es aber so, dass diese Liebe zum Heimatland der Eltern, auch der eigenen Wurzeln, auch mit Schmerzen verbunden ist. Wenn man die Liebe dahin empfinden möchte und diese Sehnsucht, dann öffnet man den Kanal nicht einspurig, sondern mit ihr kommen furchtbare Bilder vom Leid anderer Menschen, vom Tod anderer Menschen, von den Mark erschütternden Schreien von Menschen. Diesen Kanal zu öffnen, das war eine bewusste Entscheidung, und das hält dich nachts wach. Und das muss man sich gut überlegen, ob man sich dem hingeben möchte.
Anahita Azizi nimmt schlaflose Nächte in Kauf und geht hohe persönliche Risiken ein. Wie mutig. Wie entschlossen. Alles, weil die Mittdreissigerin an Leib und Seele erleiden musste, was Machtmissbrauch zerstören kann. Und deshalb will sie nicht, dass andere ähnliches erleiden.
Wenn wir uns den Iran angucken, dieses fundamentalistische Regime, dann habe ich in meiner eigenen Familie erlebt und auch in meinem Herzen, dass man das Gefühl hat, dass einem nicht nur die Heimat genommen worden ist, sondern Gott selbst - und das ist eine große Ungerechtigkeit.
Sogar Gott wird einem genommen. Religiöser Fundamentalismus zerschlägt und zerstört so Vieles. Klar, dass die Exil-Iranerin da der Religion gegenüber erst mal reserviert geblieben ist. Und doch hat sie, die keine Christin ist, sich eine Hoffnung bewahrt.
Es ist ein Glaube, dass es besser werden kann und dass, wenn wir daran basteln und daran arbeiten, uns auch wieder zur Erinnerung rufen: Wie wollen wir eigentlich mit den Schwächsten umgehen auf der Welt?
Sich einzusetzen für die Schwachen - das kann die Welt verändern. Und das ist ja auch eine Wurzel des Christentums. Deshalb spornt mich Anahita Azizis Haltung „von außen“ auch als Christ an.
Teil 2: Besonderes Bündnis
Sie hat zum Beispiel in der Mannheimer CityKirche Konkordien eine Ausstellung begleitet. Gezeigt wurden Bilder von Frauen und Mädchen aus dem Iran.
Ein Bild, das mich besonders mitgenommen hat, ist ein großes Bild einesMädchens mit wallenden langen Haaren. In diesen Haaren war eine ganze Welt. Da waren Tiere drin, das war Spielzeug abgezeichnet. Es war, es waren Figürchen. Es war so viel in diesem Haar, und ich schätze: Das muss das erste Jahr gewesen sein, dass sie dann ein Kopftuch hat tragen müssen
Sie, die über sich sagt: „Die Mullahs haben mir auch Gott genommen“, hat keine positive Erfahrung mit Religion gemacht. Denn die steht in Anahita Azizis Leben für Kopftuchzwang, Frauenfeindlichkeit und Diktatur. Deshalb war eine Ausstellung in einer Kirche für sie ungewohnt. Aber sie hat schnell gespürt: In der kirchlichen Menschenrechtsarbeit findet sie Verbündete – und erkennt, wie Religion Menschen auch positiv prägt.
Ich selber, ich habe das Gefühl nicht, Ehrfurcht zu erleben, wenn ich vor einer prunkvollen Kirche stehe oder Kathedrale. Was mich überkommt, ist das Fremdsein, die Etikette, nicht gern aufzufallen, dass man sagt: „Was macht die hier?“ - Und das Gefühl hatte ich keine Sekunde. Und ich bin seither in vielen Kirchen gewesen, auch in der katholischen Kirche und durfte dort sprechen. Also es erweitert sich jetzt, und das war ein starkes Gefühl, das mich innerlich gestärkt hat: Zu wissen, was möglich ist – Wahnsinn
Eine aufgeklärte, selbstkritische Religion – die kannte Anahita Azizi bisher nicht.
Für mich war die Erfahrung sehr neu, dass die größte Kritik an der evangelischen Kirche aus der evangelischen Kirche selbst ist, das war für mich so überwältigend zu sehen: dieses kritische Denken, dieses sich selbst Hinterfragen.
Und dann überrascht sie mich, wenn sie mir sagt, wie weit sie für kirchliches Engagement in Menschenrechtsfragen in ihren Kreisen gehen würde:
Soweit mich meine Füße tragen! - Ich habe tatsächlich das schon machen müssen. Das Projekt mit der Kirche, die Kunstausstellung zu verteidigen und zu sagen wir haben uns das wohlüberlegt. Und da kann ich schon überzeugend für die Kirche sprechen.
Für mich ein innerer Ansporn: Wenn Menschenrechtsaktivisten überzeugt von Kirche sprechen. Eben, weil sie in der Begegnung mit Christen spüren: Es geht im Christentum nicht um Kirchenmitglieder. Es geht um Gerechtigkeit und Würde für alle.
Schön, dass die Zusammenarbeit rund um die Ausstellung zu Frauen.Leben.Freiheit im November weiter geht. Wieder in einer Kirche. Und dass die mutige und kluge Anahita Azizi auch in der Speyrer Gedächtniskirche wieder engagiert dabei ist.
Mehr Infos zur Ausstellung Frauen.Leben.Freiheit. in Speyer:
https://www.speyer.de/de/familie-und-soziales/frauen/ausstellung-frau-leben-freiheit/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40779
Christopher Hoffmann trifft: David Steindl-Rast, Benediktinermönch und Buchautor
…und mit David Steindl-Rast, den ich in seinem Kloster im österreichischen Salzkammergut besuche. Der Benediktinermönch ist inzwischen 98 Jahre alt. Mit seinem verschmitzten Lächeln und seiner herzlichen Umarmung wirkt er so gar nicht wie jemand, der schon fast 100 ist. Bruder David ist er ein weltweit gefragter Buchautor und Redner, seine Videos von Vorträgen werden im Netz millionenfach geklickt.* Meine Reise zum Wolfgangsee ist also auch eine Reise auf der Suche nach Weisheit. Zu einem Mann, der 1926 in Wien geboren wurde und dort später Kunst, Psychologie und Anthropologie studiert hat. Was ist für ihn die größte Veränderung des letzten Jahrhunderts?
Im Laufe meines Lebens ist in unserer Gesellschaft die Ehrfurcht verloren gegangen. Ehrfurcht vor der Menschenwürde und auch vor der Würde der Natur und des Lebens.
Ehrfurcht auch vor dem Leben von Menschen mit Behinderung, das ist Bruder David wichtig. Denn er hat als Kind in der Volksschule im besetzten Österreich erlebt, wie die Nazis mit ihrem Euthanasieprogramm Menschen mit Behinderung zunächst weggesperrt und später systematisch ermordet haben:
Und in der ersten Klasse in der hintersten Bank ist ein geistig schwerstbehinderter Bub gesessen, der schon 16 Jahre alt war, immer gezeichnet hat, nicht reden konnte, aber jeden Tag in die Schule gekommen ist - und alle haben ihn lieb behandelt. Und 1938 , sehr bald nachdem der Hitler gekommen ist, war er einfach verschwunden.
Für Bruder David ist hingegen jedes Leben ein Geschenk. Und jedes Leben ist staunenswert - im Staunen liegt für ihn eine Kraft.
Das Staunen ist der Beginn von allem und das Vertrauen aufs Leben. Wie sehr das Leben uns lebt: Die Verdauung, die Atmung, der Kreislauf, das ist uns alles geschenkt. Und wenn das Leben uns geschenkt wird, dann ist die richtige Haltung im Leben die Dankbarkeit dafür.
Dankbar sein für die kleinen Dinge des Alltags - das ist für David Steindl-Rast auch eine Lehre aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er schildert mir, wie er als Jugendlicher einen Bombenangriff in Niederösterreich überlebte und was das mit ihm gemacht hat:
Ich war einfach auf der Straße und plötzlich sind die Bomben gefallen und da bin ich in eine Kirche geflüchtet und da ist es schon links und rechts heruntergekommen und ich hab schon das Gefühl gehabt: Das war meine letzte Stunde. Und wie es dann vorbei war und wie ich herauskommen konnte war plötzlich jedes kleinste Detail so lebendig und klar: das Gras, das Unkraut am Straßenrand und jede kleinste Blüte und die Wolken und der Himmel: es war mir neu geschenkt. Und da müssen wir nicht warten bis die Bomben fallen. Es ist mir heute geschenkt. Morgen wissen wir nicht. Jeder Tag ist ein neues, überraschendes Geschenk.
Ich treffe David Steindl-Rast am Wolfgangsee, wo der 98-Jährige inzwischen lebt. Als junger Mann ist er in die USA emigriert und dort mit 27 Jahren in einen Benediktinerorden eingetreten. Bruder David glaubt aber:
Jeder Mensch ist ganz persönlich an einen Ort gestellt vom Leben. Dort bin ich mit einer einzigartigen Aufgabe betraut. Kein Mensch ist nutzlos! […] es handelt sich nur darum herauszufinden, wo wir dem Leben nutzen können, um Freude in der Welt zu verbreiten.
Mir fällt auf: In unserem Interview spricht er oft vom Leben, meint damit aber den Ursprung allen Lebens, Gott. Aber er ist sehr vorsichtig mit dem Wort Gott …
…weil viele Missverständnisse an das Wort Gott gebunden sind und manche Menschen so schlechte Erfahrungen haben, wie Gott ihnen vorgestellt wurde.
David Steindl-Rast spricht deshalb lieber vom „großen Geheimnis“ …
…das alle Menschen kennen, das Geheimnis des Lebens. Aber Geheimnis hat schon in dem Wort drinnen, dass wir dort daheim sind.
Gott als Geheimnis und als Heimat - da wo ich zu Hause sein darf. Ich mag dieses Gottesbild. Für Bruder David und auch für mich ist Gott aber noch mehr. Gott ist ein Du, der Glaube eine Beziehung…
Die große Frohbotschaft Jesu ist, dass diese Beziehung eine liebende und innige ist, wie zu einem Vater oder einer Mutter. Und das ist für Christen ein großer Schatz und etwas, was wir zum allgemeinen menschlichen Verständnis Gottes beitragen können. Die großen Religionen können einander ja helfen und einander ergänzen.
Sagt ein Mann, der sein ganzes Leben dem Dialog der Weltreligionen gewidmet hat. Der als Katholik bei buddhistischen Mönchen auch Zen studiert hat und diese Meditationsform praktiziert. Der sich wissenschaftlich mit den Weltreligionen beschäftigt und dafür renommierte Preise als interreligiöser Brückenbauer erhalten hat. Und der glaubt: Jeder Mensch ist - in einem ganz weiten Sinne - von Natur aus religiös. Weil alle Menschen…
… einen religiösen Kern haben, das heisst ganz tief drinnen haben alle Menschen das Bedürfnis sich mit dem großen Geheimnis des Lebens auseinanderzusetzen und das kann man Gottbegegnung nennen.
*mehr von David Steindl- Rast hier: https://www.bibliothek-david-steindl-rast.ch
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40774Ich bin mit Anja Hoffmann vom „Arbeitskreis Leben“ in Karlsruhe verabredet. Seit 2019 engagiert sich die 50jährige hier ehrenamtlich als Krisenbegleiterin für Menschen in suizidalen Lebenskrisen und auch als Trauerbegleiterin nach Suizid.
Das eigene Leben zu beenden und Suizid zu begehen – das ist immer noch ein Tabu-Thema, über das man mit seinem alltäglichen Umfeld normalerweise nicht spricht.
Was wir oft erleben, ist, dass zum Beispiel jemand in Sorge ist aus dem Freundeskreis oder aus dem Familienkreis. Und dann anfängt zu recherchieren, wo gibt es Hilfe? Und die Menschen, die sich dann an uns wenden, die kommen meistens per Telefon bei uns an, manchmal per E- Mail. Wir haben aber auch Sprechzeiten, wo man vorbeikommen kann, passiert aber eher selten.
Über Zeitungsanzeigen, das Internet oder auch Facebook und Instagram macht der „Arbeitskreis Leben“ das Angebot, Betroffene auf ihrem Weg durch eine schwere Lebenskrise zu begleiten. Und es ist erschreckend, wie nötig dieses Angebot ist. Bis zu 10.000 Menschen nehmen sich in der Bundesrepublik jedes Jahr das Leben. Anja Hoffmann weiß: die gesamtgesellschaftliche Krisenstimmung, beeinträchtigt die Stimmung Einzelner enorm.
Mich stört da ganz persönlich auch oft die Art und Weise, wie kommuniziert wird, ob das jetzt von Medien ist oder also dieses gesamtgesellschaftliche, dass da oft so `ne Weltuntergangs Rhetorik permanent feuert auf die Menschen und das macht was mit den Menschen und das ist nicht gut. Wo soll die Hoffnung dann herkommen?
Trotzdem ist es natürlich ganz normal, sagt Anja Hoffmann, dass einem die Nachrichten aus aller Welt auch mal Angst machen können. Und nicht jeder, der schon mal an Suizid gedacht hat, ist deshalb wirklich gefährdet. In Lebenskrisen – zum Beispiel bei einer Trennung oder beim Verlust eines geliebten Menschen – ist das nicht ungewöhnlich. Gefährlich wird es, wenn sich solche Gedanken verfestigen. Der Arbeitskreis Leben möchte Menschen ermutigen, die Scham zu überwinden und Hilfe zu suchen. Denn: Darüber zu reden hilft!
In dem Moment, wo wir wirklich ganz ruhig und ganz direkt ganz klar fragen: „Haben Sie Suizidgedanken oder hast du Suizidgedanken?“ - je nach dem - dass dann erstmal die Erleichterung da ist: Ich kann das überhaupt mal aussprechen. Ich muss das nicht die ganze Zeit mit mir rumtragen, sondern da ist jemand, der das hört und der auch nicht gleich in Aktionismus verfällt.
Wenn ich mir Sorgen um einen Menschen aus meinem Umfeld mache, dann muss ich keine Angst davor haben, das offen anzusprechen.
Diese Mythen, die da existieren: Du bringst erst jemanden auf den Gedanken, wenn du fragst. Nein – jemand, der das nicht in sich hat... Man kann niemand auf diesen Gedanken bringen. Und da auch Ängste abzubauen, das finde ich so unheimlich wichtig, weil sonst können wir nicht füreinander da sein. Wenn man immer Angst hat, irgendwas Schweres zu hören, dann wird es schwierig mit Zuhören und Gemeinschaft
Ein wichtiger Punkt ist auch das Thema Resilienz, das auch etwas, was wir festgestellt haben, dass gerade junge Menschen oft wenig Krisen erprobt sind und wenig Krisenerfahrung auch haben und dadurch auch wenig Widerstandsfähigkeit zeigen.
Ihre eigene Kindheit und Jugend in Thüringen hat Anja Hoffmann noch anders erlebt. Sie musste mit vielen allein klarkommen, wohl oder übel. Aber rückblickend weiß sie: es hat sie stärker gemacht.
Von der Haltung „Früher war alles besser“ ist Anja Hoffmann aber weit entfernt. Es geht ihr nicht darum, dass es besser war – es war anders. Das Leben verändert sich
Familienstrukturen sind, nicht mehr so wie früher, die sind sehr viel loser geworden, sehr viel unverbindlicher oft geworden. Das Thema Glauben geht auch immer mehr zurück. Das ist ja auch ein Anker. Das erleben wir auch oft bei uns im Verein, in der Arbeit. Dass, das für Menschen wirklich ein Halt im Leben ist, wenn sie in Krisenzeiten sind oder wenn sie in der Depression stecken. , dass das eben doch noch hilft. Und an ganz vielen Stellen bröseln so Anker weg im Leben.
Das Zusammenleben verändert sich. Aber Halt im Leben lässt sich auf neue Art auch wieder finden. Das erlebt Anja Hoffmann, wenn Menschen sich auch in schweren Situationen neu ausrichten und zurück ins Leben finden.#
Ich hatte eine junge Frau, die ich begleitet habe, die hat ihren Vater verloren - durch Suizid. Und (...) die Leichtigkeit war weg im Leben. (…) Aber diesen Weg zu beobachten, wie sie wieder zurück ins Leben gefunden hat, und wie sie sich weiterentwickelt hat, das gibt mir so viel Hoffnung, ja, dass es ein Weitergehen gibt und dass dieses Weitergehen sicher anders ist, wie man sich das vorgenommen hat oder wie sie sich das vorgenommen hat.
Auch heute ist es möglich ein Umfeld zu finden, dass das Leben stützt und den einzelnen Halt gibt. Anja Hoffmann hilft gerne, es zu finden. Und sie ist überzeugt: In uns allen steckt die Kraft, Lebenskrisen zu überwinden.
Ich glaube ganz fest an dieses Thema Resilienz, aus Krisen gestärkt hervorzugehen, dass das möglich ist. Und ich erlebe das auch immer wieder, weil ich selber sehr viele Hinterbliebene nach Suizid (...) begleite (...) und wirklich zu sagen: Wow, was sind Menschen in der Lage, mit solchen Krisen, mit solchen schweren Situationen doch wieder Hoffnung zu schöpfen und doch wieder ins Leben zurückzufinden? Das ist ein ganz toller Aspekt dieser Arbeit, von dem ich selber auch unglaublich viel mitnehme für mich persönlich. Ja
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40704Manuela Pfann trifft die Generaloberin aus dem Kloster Reute, Schwester Maria Hanna.
… und mit Schwester Maria Hanna Löhlein. Ich treffe die Ordensfrau auf einer Baustelle - auf ihrer Baustelle – auf dem Klosterberg in Reute in Oberschwaben. Um uns herum sind Kräne und Baumaschinen, Schutt und eingerissene Wände. Nein, das Kloster wird nicht abgerissen, Gott sei Dank. Aber 150 Jahre nach dem Einzug der Franziskanerinnen passiert dort etwas Außergewöhnliches: Der Klosterberg wird umgebaut, er wird zu einem kleinen Quartier.
Also wenn alles klappt, wie ich mir das vorstelle, dann sind es ungefähr 120 Menschen, die um das Kloster herum leben, zwölf Parteien, die im Kloster im Klosternahen Wohnen leben und 40 Schwestern.
Nur noch 40 Schwestern von heute weit über 100. In gut zehn Jahren wird es wohl so weit sein. Doch obwohl der eigene Nachwuchs fehlt, wird die Klosterpforte eben nicht geschlossen, sie öffnet sich.
2014 im September hatten wir Generalkapitel, und da haben wir uns nochmal unsere Situation vor Augen gehalten mit allen Zahlen, mit unserem Alter, mit der Anzahl der Schwestern und da war ganz klar: Wir müssen, wenn wir in die Zukunft schauen, unseren Klosterberg umgestalten. Wir müssen auch Flächen anderweitig nutzen. Wir müssen andere Mitplayer hier reinkriegen und der Not der Zeit begegnen.
Für Maria Hanna und ihre Mitschwestern hieß das schon damals zu fragen: Was braucht die Stadt, was brauchen die Menschen von uns? Mit dem Umbau antwortet das Kloster auf zwei Themen unserer Zeit: die Vereinsamung und die Schwierigkeit, passenden und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deshalb wird im Quartier genossenschaftlich gebaut werden, und: Kleine Appartements entstehen mitten im Klostergebäude. Für dieses sogenannte klosternahe Wohnen gibt es jetzt schon deutlich mehr Bewerbungen als Plätze. Warum ist die Nachfrage so groß?
Weil die Sehnsucht nach Gemeinschaft groß ist. Es gibt da viele, die sagen, ich möchte sinnvoll leben oder ich habe einen Bruch in meiner Lebensgeschichte. Und von daher ist es dann auch gut, wenn man Perspektiven hat mit anderen zusammen, dass man dann neu ansetzt und sinnvoll miteinander etwas tut.
Ich finde das eine schöne Idee. Und gleichzeitig stelle ich mir das nicht einfach vor, mit den Schwestern zusammen zu leben, und nicht nur Gast zu sein für ein paar Tage. Was müssen Menschen mitbringen, die da einziehen wollen?
Die müssen auf jeden Fall Gemeinschaft leben wollen. Also wenn jemand hierherkommt, weil er so ein Bild von Kloster hat, da ist es still und da will keiner was von mir. Das geht nicht, da können wir keine Schweigemönche brauchen, sondern richtige Leute, die zupacken wollen.
Und mit anpacken kann man in Reute an vielen Stellen: Im großen Kräutergarten, oder man kann Dienste an der Pforte übernehmen, im Gottesdienst Orgel spielen oder Kurse im Bildungshaus anbieten.
Sr. Maria Hanna Löhlein ist die Generaloberin im Kloster Reute bei Bad Waldsee, also die Chefin. Über ihrem Schwestern-Schleier trägt sie regelmäßig einen Bauhelm, bei ihr laufen die Fäden für den großen Umbau des Klosters zusammen. Dabei schimmert immer auch das Erbe ihres Ordensgründers, des heiligen Franziskus, durch, die Verantwortung für die Schöpfung.
Wir haben keine Tapete oder irgendwelche Kleber, sondern werden jetzt mit Lehm glätten, unsere Wände auch entsprechend naturgemäß machen. Wir haben eine Planung von der Heizung, dass wir nicht mehr Gas und nicht mehr Öl verfeuern, sondern dann eben mit entsprechenden regenerativen Energien arbeiten. Also da ist ganz viel, was der Franziskus uns eigentlich auch als Stachel setzt.
Ich staune, wie fachkundig Sr. Maria Hanna von diesem Bau-Projekt spricht; für eine Ordensfrau ist das doch alles Neuland. Aber da täusche ich mich. Die Eltern zuhause waren im Baugewerbe tätig und sie hat vor ihrem Studium eine Banklehre gemacht.
Also es ist schon irgendwie kurios, aus einer Zieglereifamilie zu kommen, in einer Bausparkasse zu landen, dann ins Kloster zu gehen und dann so ein Projekt irgendwann zu tragen. Also das glaube ich schon, dass sich da auch was abrundet und dass es ein Stück weit auch Berufung ist. Aber ausgerechnet oder angestrebt habe ich das nie.
Wie passend, dass die Schwester von Maria Hanna Architektin ist. Es lag also nahe, sich auch mit ihr über die Pläne und Visionen für die Zukunft des Klosters auszutauschen. Sie hat die Schwester über den Klosterberg geführt und gefragt:
Was denkst du und wie soll man denn anfangen? Und dann hat sie ganz nüchtern gesagt: „Euer Kloster hat keine Mitte. Ihr habt hier einen schönen Klosterberg, aber man weiß nie, wann man wirklich da ist. Es gibt hier viele Mauern, viele Türen, aber es erschließt sich nichts von allein.“ Und das hat gesessen. Da habe ich gemerkt: Wie muss ich jetzt diesen Klosterberg anschauen, dass da eine Mitte entsteht, in der auch Menschen spüren können ja, da, um das geht es denen.
Die Architektur muss also zum Inhalt passen. Es braucht einen Ort, wo alle zuerst einmal ankommen und wo sie die Gastfreundschaft der Franziskanerinnen spüren. Ich glaube, das wird gelingen, die Pläne für diese neue Mitte habe ich schon gesehen: Ein heller Raum, mitten auf dem Gelände, mit großer Empfangstheke. Und von dort aus geht es weiter: ins Klostercafé, zum Gespräch, in den Klosterladen oder in einen Raum der Stille. Warum auch immer Menschen ins Kloster Reute kommen werden – für Schwester Maria Hanna bleibt eines wichtig:
Egal mit welcher Schuld oder mit welchem Mist oder mit welchem Schutthaufen an gescheiterten Träumen man gerade gelandet ist. Dass dieser Gott mich sieht in all dem drin und dass er will, dass ich lebe. Und wenn man das vermitteln kann, dann ist ganz viel Gutes geschehen und dann kann man auch aus Scherben was machen.
https://www.klosterberg-reute.de/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40650Die Kunsthistorikerin Dr. Katharina Henkel kuratiert derzeit eine Ausstellung bei den internationalen Tagen in Ingelheim. Frösche, Feuer, Finsternis, so heißt der Titel. Es geht um die 10 biblischen Plagen. Anfang des 18. Jahrhunderts hat der niederländische Künstler Jan Luyken diese Plagen illustriert: 10 großformatige Radierungen sind so entstanden. Durch einen befreundeten Künstler hat Katharina Henkel die Bilder in die Hände bekommen und sie war gleich fasziniert von den detailreichen Darstellungen. Auch, weil sie einen biografischen Bezug zum biblischen Text hat:
Ich bin ein Kunsthistoriker mit Leib und Seele, habe aber in den Nebenfächern klassische Archäologie studiert und hatte im Nebenfach die biblische Archäologie, ein kleiner Fachbereich der Theologie. Das heißt, ich habe nicht Theologie studiert, sondern tatsächlich die biblische Archäologie.
Und dabei hat sie sich besonders intensiv mit der Geschichte befasst, die vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten handelt. Da wird im 2. Buch der Bibel erzählt, wie Mose versucht, den Pharao davon zu überzeugen, die Israeliten, die er als Sklaven für sich arbeiten lässt, freizulassen. Als dieser sich weigert, schickt Gott eben jene 10 fürchterlichen Plagen über das Land. Darunter auch besagte Frösche und eine unheilvolle Finsternis. Jan Luyken erweckt die biblische Geschichte in seinen Bildern zum Leben. Auf jedem einzelnen der 10 Blätter gibt es unendlich viel zu entdecken.
Also ich glaube, Wimmelbilder faszinieren Menschen grundsätzlich. Nicht umsonst bekommen ja kleine Kinder auch Bücher geschenkt, um sich die Welt durch das Schauen selbst zu erarbeiten oder zu entdecken. Und so geht uns das natürlich auch. Wir schauen genau hin, haben das Gefühl, wir können es erfassen und dann tun sich aber neue Details auf und es braucht eine gewisse Zeit, glaube ich, bis man sich diese einzelnen Blätter sie sind Gott sei Dank relativ großformatig erschließen kann.
Also es spielen sich wirklich dramatische Szenen ab und ich denke, wenn man die Bibelpassage tatsächlich kennt, wenn man diese Kapitel vor Augen hat und liest und dann diese Bilder sieht, man hätte es glaube ich, selber nicht besser darstellen können. Also die Bilder, die im Kopf entstehen, die werden sehr schön durch Jan Luyken visualisiert.
Für die Ausstellung hat Katharina Henkel 10 zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen gebeten, sich mit den Bildern von Jan Luyken auseinander zu setzen und sie neu zu interpretieren. Ich habe Katharina Henkel gefragt, warum man sich heute mit den biblischen Plagen beschäftigen sollte.
Ich denke, dass wir Menschen aus der Geschichte ja selten wirklich lernen, sich bestimmte geschichtliche, historische Abläufe, Szenarien, Dramen und ein Chaos sich immer wiederholt. Die Abstände sind unterschiedlich lang, aber dass es immer wieder zu Kriegen kommt, dass im in Menschen vielleicht auch das installiert ist, andere dominieren zu wollen, im Extremfall unterdrücken zu wollen. Und ich denke, gerade die Corona Plage hat sehr deutlich gezeigt, dass wir trotz aller medizinischen Mittel, besonders großen Katastrophen hinterherhinken. Also wir können sie nicht vorhersehen….
Und das finde ich das Faszinierende, aber natürlich auch gleichzeitig das Erschreckende, dass sich bestimmte Dinge nicht ändern oder Menschen mit bestimmten Themen konfrontiert werden, die Jahrhunderte, Jahrtausende alt sind.
Es gefällt mir, dass in der Ausstellung Künstler und Künstlerinnen die Aufgabe übernehmen, diese alten Themen neu zu deuten. Anders als Jan Luyken illustrieren sie nicht nur akribisch die biblische Vorlage, sondern interpretieren sie ganz neu für das 21. Jahrhundert. Katharina Henkel meint:
In der Kunstgeschichte wird immer behauptet, dass die Künstler die Seismographen der Gesellschaft sind, also dass sie dadurch, dass sie sensibler sein sollen, empfindsamer sein sollen, Probleme über schwierige Situationen früher wahrnehmen und dann auch darstellen, als es der Rest der Gesellschaft tut.
Mit ihren künstlerischen Mitteln haben die Beteiligten dargestellt, worin heute Plagen biblischen Ausmaßes bestehen könnten. Dabei sind ganz unterschiedliche Aspekte menschlichen Leids zum Ausdruck gekommen. Sehr persönliche, aber auch Themen, die die gesamte Menschheit angehen. Es fällt auf: wo die biblischen Texte noch Gott als den Verursacher der Plagen ausmachen, rücken die zeitgenössischen Werke den Menschen in den Mittelpunkt:
Also ein Künstler hat sich ja mit dem Klimawandel beschäftigt, der uns natürlich massiv jetzt trifft. Also wir wissen davon ja seit vielen Jahrzehnten, aber jetzt bekommen wir ja die Folgen des Klimawandels zu spüren. Und ich denke, da kann auch kaum noch jemand leugnen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Und er hat sich explizit mit diesem Thema der klimatischen Veränderung und der Auswirkung auf die Natur befasst.
Wichtig ist Katharina Henkel dabei, dass die Ausstellung nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommt. Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Und erst recht nicht darum, den Untergang heraufzubeschwören. Vielmehr geht es ihr darum, Verantwortung wahrzunehmen und zu ergreifen.
Ich würde mir wünschen, dass diese Ausstellung zum Nachdenken anregt, dass wir vieles in der Hand haben, dass wir vieles verändern können, von dem, was es an Plagen immer schon gab und auch derzeit gibt. Also, dass wirklich immer noch die Hoffnung besteht, dass wir unsere Welt zu einer besseren Welt machen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40642Martin Wolf trifft Markus Wolter von Misereor.
Heute, am 1. September, beginnt in vielen christlichen Kirchen die sogenannte Schöpfungszeit. Fünf Wochen lang will sie den Blick bewusst auf die bedrohte Schöpfung lenken. Dazu habe ich Markus Wolter getroffen. Geografie, Agrarökonomie und Bodenkunde hat er studiert und als Biolandwirt gearbeitet. Heute ist er beim Hilfswerk Misereor in Aachen für Landwirtschaft und weltweite Ernährung zuständig. Und unsere Ernährung, sagt er, habe ganz viel zu tun mit der Bewahrung der Schöpfung. Es müsse sich etwas verändern.
34 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen aus dem Ernährungssystem, und zwar so, wie wir es derzeit handhaben, eben mit sehr hohen Anteilen an Entwaldung für Soja oder Rindermast zum Beispiel, oder eben für Stickstoffdünger, die sehr, sehr hohe Treibhausgasemissionen haben … Und daher ist es dringend geboten, dass wir das ändern, hin zu dem, wie Landwirtschaft auch sein kann, nämlich lebensfreundlich und lebensdienlich.
Das geht aber letztlich nur, wenn viele bereit sind mitzuziehen. Deshalb hält Markus Wolter auch nichts von einseitigem Bauern-Bashing.
Landwirte stehen ja unter einem unfassbaren Druck. Und da ist jetzt eben die Politik gefordert, das auch einzulösen, was sie versprochen hat, nämlich die Förderung und die Wertschätzung der bäuerlichen Landwirtschaft. Die ganzen Subventionen, die aus Brüssel kommen, müssen so umverteilt werden, dass eben auch die Leistungen honoriert werden, die ich zum Tierschutz, zum Klimaschutz, zum Gewässerschutz mache. Das ist bislang nicht der Fall. Wenn diese Rahmenbedingungen sich nicht ändern, dann wird es eben so bleiben.
Kann ich auch selbst was dafür tun, dass sich etwas ändert?
Essen ist politisch und damit können wir eine ganze Menge bewegen, weil jeder Einkauf von mir im Lebensmittelbereich immer ein Einkommen für den Bauern ist. Und je pflanzlicher ich mich ernähre, desto besser für die Mitwelt. Und wenn das auch noch ein Bauer ist, den ich kenne, aus der Nähe, dann ist schon mal viel gewonnen.
Menschen im globalen Süden erleben die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen ja oft viel dramatischer. Vor einiger Zeit war Markus Wolter für Misereor in Südamerika.
Bolivien hatte eine 3-jährige, ganz schlimme Dürre hinter sich. Menschen in Bolivien sind sehr stark auch noch von der indigenen Kultur geprägt und sind sehr katholisch geprägt. Und in diesem Konsensus zu sagen: nein, wir können so nicht weitermachen, wir tun der Erde weh und wir müssen da anders mit umgehen! Was ich jetzt in Bolivien sehr toll gesehen habe, das ist diese Kultur der Agroforstwirtschaft. Das ist eine Kombination aus ackerbaulicher Nutzung und eben einer forstlichen Nutzung. Und das ist eine Kombination aus Bodendeckern wie Ingwer und Kurkuma. Und dann wird Gemüse angebaut und Obst, wie Ananas und Chili, Tomaten. Das ist wie so ein Stockwerk, bis zu 30 Meter hohe Kokosplantagen, die dann da sind.
Was sich für mich als Laien ziemlich aufwändig anhört. Warum macht das Sinn?
Wir brauchen die Vielfalt, wir brauchen die Abwechslung. In Bolivien sind wir auf einem wissenschaftlichen Betrieb gewesen, wo das System mit dem Agroforst dreimal mehr Artenvielfalt aufgewiesen hat wie eine Kakao-Monokultur mit Pestizideinsatz. Und das finde ich faszinierend, dass es eine Gewinnsituation für jeden der Beteiligten ist. Sowohl für den Bauern als auch eben für die Tierwelt und die Schöpfung, die sich daraufhin einstellt.
Das Konzept, Ackerbau mit Bäumen zu kombinieren, klingt faszinierend. Ich frage mich aber, ob so ein zusätzlicher Aufwand bei uns überhaupt möglich ist.
Dieser Arbeitsaspekt ist ein ganz wichtiger Aspekt. Aber es gibt tatsächlich die ersten Landwirte, die genau aus den Gründen wie im globalen Süden, dort Bäume einsetzen. Ich war jetzt vor einiger Zeit im Schwarzwald, wo es tatsächlich die Jahre vorher auch schon erste Trockenschäden gab. Und da haben die Bauern dort in ihren Kartoffel- und Dinkelacker und auf ihren Weiden mit den Milchkühen tatsächlich jetzt Agroforstlinien eingezogen, die man eben dann auch trotzdem noch mit Maschinen gut bearbeiten kann.
Die Schöpfung ist ja ein Thema in vielen Religionen. Kann Religion tatsächlich einen nötigen Wandel unterstützen?
Da liegt eine ganz große Chance drin, von Religionen. Die Menschen, die ich erlebt habe, die es aus einer tiefen Überzeugung heraus machen und getragen sind aus dieser Überzeugung, dass ich eben auch nicht alleine bin und dass ich verbunden bin mit der Schöpfung und mit einer göttlichen Kraft, dass das zu ganz, ganz tollen, Ergebnissen und Umkehren geführt hat.
Und von der Kirche? Gibt es da Unterstützung?
Papst Franziskus hat ja eine ganz tolle Veröffentlichung gemacht, die uns da ganz stark hilft in unserer Arbeit, weil sie eben eine Grundlage dafür schafft: Ja, wir sind in einem gemeinsamen Haus und dieses Haus brennt und wir zerstören dieses Haus.
„Laudato Si“ heißt diese Veröffentlichung und erinnert damit an Verse aus dem „Sonnengesang“ des Heiligen Franz von Assisi. Mit dessen Gedenktag am 4. Oktober endet auch die Schöpfungszeit. In seinem Sonnengesang sieht Franz alles, was ihn umgibt, als Schwestern und Brüder. Können wir uns da etwas von ihm abschauen?
Also meine Lieblingsgeschichte von Bruder Franz ist die Geschichte des Wolfes von Gubbio, wo er mit dem tanzt. Das finde ich eine wunderschöne Geschichte darüber: wie können wir denn miteinander leben, statt gegeneinander? Den Anderen, das Insekt, den Wolf, was auch immer als Feind zu betrachten. Es gibt den Feind nicht, sondern dieser Feind, mit dem kann man tanzen, mit dem kann man sich auseinandersetzen, und kann versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden. Und ich glaube, da steckt eine Riesenkraft und ein großer Vorbildcharakter. Als einer der großen Mystiker, der in seiner unfassbaren Liebe zur Schöpfung und in seiner unfassbaren Liebe zu Jesus Christus da ein Vorbild für uns alle sein kann.
Weitere Infos unter:
https://www.misereor.de/presse/expertinnen-und-experten/markus-wolter-landwirtschaft-und-welternaehrung
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40611Ich treffe heute den gebürtigen Mainzer Lorenz Narku Laing. Mich interessiert an ihm einerseits sein Forschungsfeld – er ist Professor für Sozialwissenschaften und Rassismusforschung. Spannend ist aber auch seine persönliche Geschichte. Denn eigentlich sprach alles dagegen, dass der gebürtige Mainzer einmal Professor werden würde. In seiner Jugend erlebte er viele Jahre der Armut, er ist Schwarz und noch sehr jung für einen Professorentitel – ein leichter Weg war das nicht:
Ich saß manchmal im Unterricht ohne Bücher. Ich konnte nicht auf meine Klassen-Jahrgangs-Abschlussfahrt mitfahren. Es war holprig, weil manchmal hatten wir einfach kein Frühstück. [...] Also manchmal sagen die Leute, sie haben nicht gefrühstückt. Wir hatten manchmal kein Frühstück.
Dass er es trotzdem geschafft hat, das liegt an unterschiedlichen Faktoren. Einer davon: harte Arbeit. Daneben aber auch ganz simpel: finanzielle Unterstützung. Ohne die wäre Narku Laings Bildungsweg nach der Schule vielleicht zu Ende gewesen:
Hätte mein American-Football-Coach [...] nicht gesagt: „Ich zahle die Immatrikulation Gebühr“, dann wäre es eigentlich an der Faktizität des Geldes gescheitert.
Sein Coach und Trainer beim Sport ist für Lorenz Narku Laing da gewesen – zum Glück. Und zum Glück waren immer wieder Menschen an seiner Seite, die ihn gefördert und unterstützt haben. Nicht nur mit Geld. Sondern indem sie ihm geholfen haben, sich selbst etwas zuzutrauen.
Da merkt man, wie wichtig positive Affirmation im jungen Alter war. Es war schon eine Kindergärtnerin, die mal sagte: „Du wirst mal ein Professor.“
Bildung scheitert nicht nur an mangelnder positiver Bestärkung, sondern auch an Diskriminierung. Bildung droht zu scheitern, so Narku Laing, wenn Menschen wie er die Erfahrung machen …
an der Universität [...] beleidigt zu werden, rassistisch von anderen Menschen an der Hochschule, wo ich mir dann wirklich zwischendrin die Frage gestellt habe, ob ich dort hingehöre. Und es waren Hochschullehrer:innen, die selbst diskriminierungsbetroffen waren, weil sie queer waren, weil sie behindert waren, weil sie Schwarz waren, weil sie muslimisch waren, die [...] mir Glauben gegeben haben, dass ich an die Hochschule, in die Universität gehöre.
Für ein gerechteres Schulsystem muss man an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Narku Laing meint, es braucht einen weiteren Horizont bei den Inhalten:
Erst in der zwölften Klasse habe ich mal einen schwarzen Menschen in einem Schulbuch gesehen, und zwar Martin Luther King Jr. Das ist nicht gut genug. Ich will von der ganzen Vielfalt unserer Weltgesellschaft lernen. Ich will lesen über Buddha Siddharta und Konfuzius, über Frederick Douglas, […] über Hildegard von Bingen und Hannah Arendt. […] Das heißt, wir müssen dorthin finden, dass wir die ehemals Versklavten, die Marginalisierten und Diskriminierten, die Frauen, die Menschen mit Behinderungen, die Schwarzen ganz normal Teil des Schul-Curriculums werden lassen, damit die jungen Menschen Vorbilder haben.
Und dann braucht es ganz praktische Unterstützung. Einfachere Zugänge zu Bildung und Lehrmittel.
[…] Indem wir die Maxime rausgeben: Kein Kind sollte ohne Schulbuch zur Schule gehen. […] Wir müssen Patenschaften, soziale Patenschaften stärken. Weil meine Eltern konnten mir, da sie selbst in das Bildungssystem eingewandert sind, häufig nicht erklären, wie es funktioniert.
Und schließlich können seiner Meinung nach auch die Kirchen einen wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. Zum Beispiel:
Die evangelischen Hochschulgemeinde an vielen Universitäten und Hochschulen können einen Beitrag leisten, indem sie ganz aktiv Formate für Bildungsaufsteiger, für Armutsbetroffene, für Diskriminierte anbieten und deren Veranstaltungen und Treffen in ihren Räumen stattfinden lassen.
Und obwohl für ihn Kirche eine wichtige Rolle dabei spielt, ein gerechteres und vielfältigeres Bildungssystem zu ermöglichen, hofft er, dass sich gleichzeitig in den Kirchen selbst auch noch einiges verändert:
Die Kirche will Vielfalt, aber kann es noch nicht. Was wir erleben im kirchlichen Kontext, ist, dass wir ganz viele Menschen haben, die sich für Vielfalt einsetzen. […] Gleichzeitig sehen wir ein großes Defizit in der Repräsentation von vielfältigem Leben in den Spitzenämtern unserer Kirche, […] bei der Finanzierung von Diversitäts-orientierten Projekten, […] im Gemeindeleben.
Das Gemeindeleben ist ein Ort, an dem eine solche Vielfalt eingeübt werden kann. Auf meine Frage, was Kirchengemeinden für mehr Vielfalt tun könnten, hat er verschiedene Vorschläge:
Erst mal ladet euch eine fremdsprachige […] Gemeinde ein, die Gottesdienste in anderer Sprache feiert oder aus einer anderen kulturellen Tradition und feiert einmal im Monat mit ihnen gemeinsam […]. Schreibt ein kleines Budget für Diversität aus. Und das darf dann alles sein. Man könnte sowohl damit am Christopher Street Day teilnehmen oder ein kleines Projekt für Geflüchtete machen oder ein Nachmittag für Menschen mit Behinderung gestalten […]. Schreibt kleine Briefe an die Kirchenoberen und sagt den: Vielfalt ist uns wichtig […]. Lasst den Kirchenmenschen, die sich auf Social-Media für Vielfalt einsetzen ein Like da […] und verteidigt sie bei Diskriminierungen.
Auch wenn Narku Laing in den Kirchen noch viel Arbeit in Hinblick auf Rassismus und Diskriminierung gibt – es ist trotzdem der Glaube, der ihm Hoffnung gibt, dass eine gerechtere Welt möglich ist:
[E]s sind großartige Protestant:innen von Paul Gerhardt über Reverend Doktor Martin Luther King Jr. über Magnus Hirschfeld und andere, die sich leidenschaftlich und mit Überzeugung für Antidiskriminierung unserer Gesellschaft eingesetzt haben. Die mir den Glauben geschenkt haben, dass wir Diskriminierung bekämpfen können und dass das funktioniert. Also ich würde sagen, ohne meinen Glauben hätte ich nicht die Hoffnung, dass das alles noch wird
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40542Christopher Hoffmann trifft: Rebecca Scheeres, Ehrenamtliche bei Sant´Egidio.
Die 26-jährige hat gerade ihr Studium als angehende Grundschullehrerin in Koblenz absolviert und startet nach den Sommerferien ins Referendariat im Hunsrück. Für Kinder brennt ihr Herz aber schon lange: In ihrer Heimatstadt Mönchengladbach engagiert sie sich seit über zehn Jahren ehrenamtlich, um für Kinder aus schwierigen Verhältnissen die Chancen auf Bildung zu verbessern. Organisiert wird das von der katholischen Gemeinschaft Sant´ Egidio. Dabei war Rebecca früher mit Kirche gar nicht eng verbunden, dafür aber ihre beste Freundin:
Und sie hat dann irgendwann mich ja schon überredet auch mal mitzukommen-also viel Lust hatte ich am Anfang nicht. Es geht um Samstagnachmittag und sozial benachteiligte Kinder betreuen, die ja auch nicht immer einfach sind und das war schon am Anfang eine Überwindung für mich dahinzugehen.
Inzwischen ist sie mit großer Begeisterung dabei. Aber was ist das für eine Gemeinschaft – Sant´ Egidio? 1968 wurde sie in den ärmeren Vierteln von Rom gegründet.
Das waren eine Hand voll Jugendliche eigentlich, die die Zustände in Rom gesehen haben,die gesagt haben: Was hat denn eigentlich Jesus uns gesagt? Wie sollen wir mit der Situation umgehen? Was sollen wir machen? Haben also ins Evangelium geguckt und gesagt: wir machen genau das, was da steht und gehen zu den Leuten hin, laden die ein, lernen die kennen und versuchen ihnen zu helfen und daraus ist tatsächlich was sehr Großes entstanden.
Sant´ Egidio gibt es inzwischen in über 70 Ländern auf der Welt – nicht Ordensleute, sondern Jugendliche, Senioren, Krankenpflegerinnen, Köche, Juristen, Menschen, die selbst fliehen mussten und etwas zurückgeben möchten oder eben Studentinnen wie Rebecca. Der gemeinsame Motor: Nächstenliebe…
Alle Menschen, die irgendwie Hilfe benötigen, sei es jetzt wegen Einsamkeit im Alter, sei es wegen Krankheit, sei es eben wegen Schulproblemen, wegen Integrationsschwierigkeiten-alles Mögliche: da versucht dann eben Sant´ Egidio Brücken zu bauen.
Brücken - auch an den Grenzen Europas, wo Menschen auf der Flucht ankommen. Rebecca Scheeres war schon dreimal beim so genannten „Sommer der Solidarität“ von Sant´ Egidio dabei, wo junge Menschen in riesigen Flüchtlingscamps Hilfe anbieten. Beim ersten Mal 2020 auf Moria auf der Insel Lesbos, bevor das damals völlig überfüllte Camp abgebrannt ist.
Es war wirklich ein Dschungel - ich kann es gar nicht anders sagen - aus selbstgebastelten Zelten, selbstgebastelten Abwasserkanälen, zusammengesteckt aus Tüchern, Folien , Müll teilweise, was man so finden kann. Es war sehr, sehr schwierig an Gesundheitsversorgung zu kommen. Es gab eine Hand voll Duschen, obwohl es im Sommer 40 Grad waren…
In den folgenden Sommern war sie in Athen, wo dann viele auf der Straße lebten und in Zypern: Die Zustände auch dort katastrophal – was hat das mit ihr gemacht?
Dass das auch so nah ist, dass innerhalb von Europa, also ja wirklich in der EU so furchtbare Bedingungen sind für Menschen, die vor dem Krieg fliehen – das hat sehr, sehr viel mit mir gemacht, tatsächlich, es vergeht glaub ich bis heute kein Tag an dem ich nicht darüber nachdenke, in was für Verhältnissen die Menschen leben müssen, wenn sie hier bei uns ankommen.
Ich treffe Rebecca Scheeres in Koblenz, wo sie an der Uni katholische Theologie und Deutsch studiert hat. Mit der Gemeinschaft Sant´ Egidio war die junge Frau dreimal an den Außengrenzen Europas und hat ehrenamtlich ihren Sommer in Flüchtlingscamps verbracht. In einer alten Olivenfabrik neben dem Lager Moria haben sie ein improvisiertes Restaurant eröffnet und die Menschen dorthin eingeladen.
Wir haben uns zu ihnen gesetzt, mit ihnen gesprochen, gezeigt: wir möchten euch kennenlernen. Und ein Mann hat dann einmal gesagt: Das ist das erste Mal, dass mir jemand ein Lächeln geschenkt hat seit Monaten. Und wirklich eben dieses Gefühl zu geben: du bist jemand und du bist auch etwas wert.
In Athen betreute sie mit anderen Freiwilligen 80-100 Kinder am Tag in einer Sommerschule von Sant´ Egidio:
Wo wir auch gemerkt haben, dass teilweise achtjähre Kinder noch keinen Stift halten können, weil sie noch nicht zur Schule gehen konnten und noch mal eine ganz andere Perspektive so viel mit den Kindern mitzubekommen, weil man dort wirklich stark gemerkt hat, wie die Entwicklung der Kinder auf der Strecke bleibt, wenn man auf der Flucht ist.
Und Rebecca schreibt die Biographien der ankommenden Menschen auf, gibt sie an die Gemeinschaft weiter, und Sant´ Egidio macht sich für die Idee der humanitären Korridore stark: Dabei erhalten besonders gefährdete Menschen humanitäre Visa, damit sie aus den Camps oder direkt aus den Gefahren in Kriegsgebieten herauskommen. Belgien, Italien, Frankreich und Andorra haben sich dazu bereiterklärt, sie aufzunehmen. Über 7000 geflüchtete Menschen konnten bisher dank Sant´ Egidio in Zusammenarbeit mit dem Vatikan sicher untergebracht werden.
Es gibt da jetzt echt schon viele glückliche Geschichten, auch Menschen, die ich kennenlernen durfte auf Zypern zum Beispiel, die durch diese humanitären Korridore jetzt nach Italien gekommen sind und dort leben können.
Diesen Menschen gastfreundlich begegnen, sie aufnehmen-das hat für Rebecca Scheeres ganz viel mit ihrem Glauben an Gott zu tun. Wer ist Gott sie?
Eigentlich eine permanente positive Unterstützung, ja ein Halt eigentlich. Gott heißt für mich im Ganzen eine ganz große Gastfreundschaft, also etwas , was für jeden da ist und offen ist und erreichbar ist.
Hunderte Helfer von Sant´ Egidio waren 2023 dann bei Papst Franziskus eingeladen – als Dankeschön für ihren Einsatz. Bei der Audienz waren auch Menschen, die neu nach Europa gekommen waren:
Also vor uns war eine Familie, die eben selbst über die Korridore nach Italien gekommen ist, auch ein kleiner Junge mit einer kleinen Spider-Man-Stofffigur und hat sich eben ständig zu uns umgedreht mit der Figur und dann haben wir gespielt, die Figur genommen, zu ihm hingeworfen und am Ende ist der Papst dann noch an den Leuten vorbeigefahren , hat sie persönlich gegrüßt und dann war auch der Junge ganz vorne und hat dem Papst seine Spider-Man-Figur gegeben, was ich auch wieder total berührend fand, hatte diesen Drang: Die schenk ich jetzt weiter an den alten Mann im Rollstuhl, den ich ja eigentlich gar nicht kenne. Das war wieder so eine schöne, herzliche Geste, die mal wieder gezeigt hat, was für ein großes Herz die Menschen haben – und gerade die Menschen, die hierher kommen. Trotz allem, was sie erlebt haben.
Mit ihrem großen Herz will sie nun auch in Koblenz regelmäßig die Idee eines Restaurants für geflüchtete Menschen umsetzen. Und dafür sucht die dynamische junge Frau mit dem strahlenden Lächeln und den zupackenden Händen aktuell noch Mitstreiter.
Wer Interesse hat Rebecca Scheeres in Koblenz bei ihrer Arbeit mit geflüchteten Menschen zu unterstützen kann sich bei Autor Christopher Hoffmann melden (Christopher.Hoffmann@bistum-trier.de">Christopher.Hoffmann@bistum-trier.de, 0175/7705474), der den Kontakt dann weiterleitet.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40509
Martina Steinbrecher, evangelische Kirche, trifft: Mariesophie Magnusson. Die 35jährige Pfarrerin aus Nassau ist schwanger mit Zwillingen. Seither wünschen viele Leute ihr nur das Beste. Was sie an dem oft geäußerten Satz „Hauptsache gesund!“ nicht mag und was stattdessen ihre Hauptsache im Leben ist, davon erzählt sie in den SWR1 Begegnungen.
Teil 1
… und Mariesophie Magnusson. Die 35jährige ist seit vier Jahren Pfarrerin im schönen Nassau an der Lahn. Und sie ist zum ersten Mal schwanger. Mit Zwillingen. Ich habe sie gefragt, was die Nachricht, dass es gleich zwei auf einmal sind, mit ihr gemacht hat.
Also ich hab mich ehrlich gesagt direkt gefreut. Die Frauenärztin hat es auch sehr, sehr trocken mir mitgeteilt: O, das sind zwei, und im ersten Moment sind mir schon die Tränchen in die Augen geschossen. Ich fand es eine wunderbare Nachricht.
Zwillingsschwangerschaften werden in Deutschland direkt als Risikoschwangerschaften eingestuft. Und wer mit 35 zum ersten Mal schwanger ist, hat ein zusätzliches Risiko- Kreuz im Mutterpass. Mariesophie Magnusson nimmt diese Risiken ernst und nutzt die Möglichkeiten pränataler Vorsorge. Sie freut sich zum Beispiel, die Entwicklung ihrer Kinder im Ultraschall beobachten zu können.
Ich habe auch den Bluttest machen lassen, wo die Trisomien untersucht werden, einfach auch so mit dem Gedanken, ich würde mich dann gern darauf einstellen. Sollten die Kinder jetzt Trisomien haben, lese ich mir dann vielleicht ein bisschen Literatur an. Dann kann man sich schon mal mit dem Thema beschäftigen, wie es ist, ein Kind zu erziehen, mit einem Kind zu leben, das Trisomie hat.
Die Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, ist ein sogenannter Gendefekt. Die davon betroffenen Kinder kommen mit unterschiedlich stark ausgeprägten Behinderungen zur Welt. Mariesophie Magnusson ist das nicht fremd. Sie ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Und ihr zwei Jahre älterer Bruder ist auch Träger des Down-Syndroms.
Damit war das für mich direkt eine relativ normale Geschichte, mit einem behinderten Menschen zusammenzuleben und mit ihm dieselben Dinge zu erleben, die man mit den anderen Geschwistern auch erlebt. Wie zufrieden wir sind, also wer welche Lebenszufriedenheit hat unter unseren Geschwistern, hängt nicht davon ab, wer von uns eine Behinderung hat oder nicht. Und ich denke, es ist am Ende ja eine Illusion, dass es Menschen gibt, die komplett gesund sind und auch mit dem Thema Krankheit nie in Berührung kommen werden.
Deshalb stört es sie auch, wenn bei den Vorsorgegesprächen mögliche Behinderungen oft in einem Atemzug mit der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs genannt werden.
… dass man nicht sagt, machen Sie doch die Untersuchung, dann können Sie sich auf dies oder das vorbereiten, sondern dass diese Frage nach Schwangerschaftsabbruch mit diesen Untersuchungen immer direkt gekoppelt ist inhaltlich.
„Hauptsache gesund!“ Diesen Satz hört Mariesophie Magnusson, seit sie schwanger ist, dauernd. Was Sie daran nachdenklich stimmt und was für Sie die Hauptsache ist, davon gleich mehr.
Teil 2
Mariesophie Magnusson ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Einer ihrer Brüder hat das Down-Syndrom. Jetzt ist sie selbst mit Zwillingen schwanger und sieht sich ständig mit dem Satz konfrontiert „Hauptsache gesund!“ Das hat sie ins Nachdenken gebracht.
Also, ich merke das bei diesem Satz, dass er mich so richtig körperlich manchmal trifft. Ich lebe selber mit einer Diagnose, ich nehme jeden Tag Medikamente ein. Und wenn ich dann den Satz höre, Hauptsache gesund, klingt bei mir immer direkt mit: Was, wenn nicht? Was ist dann? Ist dann weniger Grund zur Freude? Ist das Leben dann weniger wert oder das Kind?
Den Wunsch, ein gesundes Kind zu bekommen, findet auch Mariesophie Magnusson nachvollziehbar. Und es gibt ja auch wirklich Behinderungen, die Eltern und Kindern bis an die Grenzen der Kräfte das Äußerste abverlangen.
Es ist schon ein Faktor, der das Leben beeinflussen kann und der auch, glaube ich, Aufmerksamkeit braucht oder eben Solidarität, Zusammenhalt, Menschen, die Eltern unterstützen, die Kinder zu pflegen haben, das ist schon auch schon wichtig; ja, das will ich nicht kleinreden.
Die Entscheidung für oder gegen ein Kind liegt heute ganz bei den Eltern, in vielen Fällen sogar allein bei der Mutter. Ihr Recht und ihre individuellen Lebensumstände werden großgeschrieben. Mariesophie Magnusson wünscht sich aber, dass die Gesellschaft hier auch Verantwortung übernimmt. Sie möchte ein gesellschaftliches Klima, in dem auch Kinder mit Behinderungen willkommen sind und wo es nicht als exotisch angesehen wird, wenn Eltern sich für das Leben mit einem behinderten Kind entscheiden.
Ich glaube, dass es uns als Gesellschaft guttun würde, wenn wir einfach da vom Normalfall ausgehen, dass wir in bestimmten Graduierungen alle mit dem Thema Krankheit zu tun haben und uns da gegenseitig mit Solidarität begegnen. Und das würde ich mir für meine Kinder auch wünschen. Sie sind wertvoll. Sie sind ihren Eltern willkommen und von ihren Eltern geliebt. Sie sind aber auch in der Gesellschaft willkommen und bekommen nicht zu viele Barrieren in den Weg gestellt.
„Hauptsache gesund!“ Diesem verständlichen Wunsch würde Mariesophie Magnusson gerne noch einen zweiten an die Seite stellen:
Hauptsache geliebt. Das ist für mich die Hauptsache, dass Menschen spüren, sie sind geliebt und sie sind willkommen.
Ihre Schwangerschaft hat Mariesophie Magnusson in diesem Gedanken bestärkt. Was sie als Christin glaubt und als Pfarrerin weitergibt, hat sie sozusagen am eigenen Leib erfahren:
Dieses Leben habe ich jetzt nicht hervorgezaubert, das kommt woanders her. Das spürt man sehr existentiell, wenn es im eigenen Bauch geschieht, dass da Leben entsteht und man diese Unverfügbarkeit auch nochmal ganz anders spürt. Und auch diese Hoffnung, auch der Glaube daran, dass dieses Leben geborgen ist, egal, was damit passiert.
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