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22MRZ2024
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„Erkenne dich selbst!“ Dieser Satz ist am Apollon-Tempel im griechischen Delphi zu lesen. Wer sich in der Antike zur Befragung des berühmten Orakels aufgemacht hat, konnte ihm nicht entgehen. Vor kurzem war ich zum ersten Mal selbst in Delphi. Ich gebe zu: Eine gewisse Ehrfurcht hat mich an diesem Ort schon ergriffen. Delphi war für die Menschen damals schon ein ganz besonderer Ort. Hier wollten viele die Antwort auf die entscheidenden Fragen ihres Lebens finden.

Der Satz über dem Eingang in den Tempel macht klar: Die Antworten des Orakels entspringen nicht einfach irgendeiner willkürlichen Einsicht. Wohl auch nicht den heißen Wasserdämpfen, die die Priesterin in eine Art Trance versetzt haben sollen. Sie spiegeln die Überzeugung wider, dass diejenigen, die dem Orakel eine Frage gestellt haben, die Antwort in sich selbst finden können. Die eigentliche Aufgabe beim Entschlüsseln bestand darin, in der Beschäftigung mit sich selbst den Sinn der Antwort zu verstehen.

Die Überzeugung, dass die Lösung eines Problems in mir selbst liegt, ist also nicht neu. Manchmal bin ich aber auch etwas ratlos, wenn mich jemand zu schnell darauf verweist, dass die Antworten auf meine Fragen doch in mir selbst zu finden seien. Sicher - wenn ich versuche, meine Gefühle, meine Reaktionsweisen zu verstehen, kommen meine Prägungen, meine Erfahrungen, meine Überzeugungen ins Spiel. Aber manchmal stoße ich da auch an eine Grenze. Vor allem dann, wenn ich ganz grundsätzliche Fragen stelle. „Woher komme ich? Und wohin geht die Reise meines Lebens? Was ist der Sinn meines Daseins?“ Hier werde ich in mir alleine nicht fündig. Jedenfalls nicht so, dass ich mit der Antwort dann auch zufrieden bin. Deshalb hilft mir hier ein Satz des Apostels Paulus weiter. Der schreibt einmal: „Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke. Aber irgendwann werde ich vollständig erkennen, so wie Gott mich schon jetzt vollständig erkannt hat.“ (1. Korinther 13,12) Ich bin also längst erkannt. Erkannt durch Gott, der mich durch und durch kennt. Besser als ich mich selbst. Das entlastet mich. Ich bin erkannt, wertgeschätzt - bei Gott. Für mich selbst stelle ich der Aufforderung, mich selbst zu erkennen, noch einen weiteren Satz zur Seite, nämlich: „Weil ich längst erkannt bin!“ Mit dieser Überzeugung mache ich mich dann auch gerne auf die Suche nach den Antworten, die in mir liegen.

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21MRZ2024
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Der Frühling ist die Lieblingsjahreszeit Gottes! Da bin ich mir ziemlich sicher. Die Schöpfung wird neu - unübersehbar und kraftvoll. Der Frühling ist auf jeden Fall meine Lieblingsjahreszeit. Gestern hat sie auch im astronomischen Kalender wieder begonnen. Mit einem Mal sprosst es überall hellgrün. Wie ein Flaum. Dann mit immer kräftiger werdendem, dunklerem Grünton. Im Garten vor dem Fenster wachsen Krokusse, Narzissen und Tulpen und überziehen die Erde mit Farbe. Ein Satz aus der Bibel fällt mir dazu ein. Ein Prophet gibt ihn im Auftrag Gottes an seine Mitmenschen weiter: „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43,1+19)

Was ich besonders mit dem Frühling verbinde, ist sein Licht. Licht – das Werk des ersten Tages schon bei der biblischen Urerzählung der Schöpfung. Jeden Tag ist es einige Minuten länger da. Das hat dem Frühling einen weiteren Namen gegeben. Aus dem mittelalterlichen Wort für „lang“ - lang für die längeren Tage - hat sich der Name Lenz entwickelt. Dieser Name wird manchmal dafür verwendet, das Alter eines Menschen anzugeben. Ein schöner Brauch, finde ich, das Lebensalter nach den Frühlingsanfängen zu zählen. Man zählt nicht die Sommer, die Herbste oder die Winter eines Lebens. Sondern die Lenze! Und sagt dann: Er oder sie ist soundsoviele Lenze alt. Eine Zählweise, die auch in übertragenem Sinn ihr Recht hat. Denn jedes Leben setzt sich aus einer Kette von Neuanfängen zusammen. Und immer ist eine Ahnung da, dass die Welt auf Dauer nicht so bleiben wird, wie sie sich derzeit darstellt. Die Erfahrung der Schöpfung, die immer wieder neu aufleuchtet, ist eines der stärksten Hoffnungsbilder für die Welt. Ein unübersehbarer Widerspruch gegen alles, was mich sorgenvoll stimmt, wenn ich an die Zukunft denke. Von einem Historiker habe ich unlängst den Satz gehört: „Die Geschichte der Welt ist eine Abfolge von Kriegen.“ Ich denke: Genauso könnte man behaupten: Die Geschichte der Welt ist eine Kette von Neuschöpfungen. Manchmal gegen alle Vernunft. Und gegen allen Augenschein.

Dass die Lichtfenster am Tag länger werden, darauf warte ich. Und dass Gott seiner Schöpfung noch viele Lenze gönnt. Darauf vertraue ich. Wenn denn der Frühling schon Gottes Lieblingsjahreszeit ist.

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20MRZ2024
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Heute ist Frühlingsanfang! Das Grün sprießt, den drohenden Spät-Frösten zum Trotz. Mir scheint: Jede Knospe lebt das Lob Gottes, der uns Menschen diese anmutige Zeit des Frühlings geschenkt hat. Und jedes sprießende Grün ist auch ein Trost in schwierigen Zeiten. Gerade blühen die Mandelbäume, ein zartes Rosa färbt dann die Pfalz, und Tausende fahren hin, um sich an dieser Pracht zu erfreuen. Sie tun das auch, weil dieses Blütenmeer der Seele wohltut. Der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin hat einmal gedichtet: Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Schalom Ben-Chorin beschreibt in dem Lied sehr drastisch den Schrecken, den die Welt abseits der Blütenmeere auch hat: Tausende zerstampft der Krieg. Er hat alles am eigenen Leib erlebt, in München geboren musste er zur Zeit der Nazidiktatur seine Heimat verlassen und fand Zuflucht in Israel. Freunde und Familienangehörige fanden dagegen im Holocaust den Tod. Doch er schließt sein Lied mit den Worten: Freunde, dass der Mandelzweig, sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.

Einen Fingerzeig – den brauchen wir. Besonders und gerade in frostigen Zeiten. Nur mit intellektuellen Appellen allein werden wir Menschen nämlich nicht getröstet. Wir brauchen lebendige Bilder, Hoffnungszeichen, etwas, dass wir mit Leib und Seele spüren können. So wie Mandelblüten. Oder die zartgrünen Sprösslinge im Garten oder im Park.

Dass Grün uns Menschen guttut, besonders das Grün des Frühlings nach langer, kalter Winterzeit, das ist sogar wissenschaftlich bewiesen und für jeden Menschen unmittelbar erfahrbar. Wer gestresst ist, kann am besten zu einem Spaziergang im Frühlingswald aufbrechen. Manche meinen sogar, Frühlingsgrün hilft gegen Bluthochdruck. Doch den zarten kleinen Blüten gelingt noch mehr, als gestresste Menschen zu erden. Schalom Ben-Chorin hat das gewusst.

Es hat etwas Großartiges, dass es diesen frühlingszarten Boten gelingt, sogar gegen die Gewalt des Kriegs und des Schreckens aufzutrumpfen. Mag sein, dass die Stiefel über das Grün hinwegtrampeln. Aber sie werden es nicht schaffen, die Macht des Frühlings aufzuhalten, diese Zeichen der Liebe, seinen Blütensieg. Der Mandelzweig treibt, die Liebe bleibt. Jede Blüte ein Gottesgeschenk.

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19MRZ2024
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Seit einigen Jahren habe ich es mir angewöhnt, den Tag mit einem kleinen Ritual zu beginnen. Ich spreche ein Gebet und bitte für Menschen, die mir am Herzen liegen. Manchmal kommt mir auch ein Lied in den Sinn und ich singe aus voller Kehle und vollem Herzen. Ein singender, klingender Tagesbeginn.

Der Liederdichter Michael Weiße war ganz sicher auch ein Freund des singenden und klingenden Tagesbeginns. Sein Gebet ist uns unter der Nummer 438 im Evangelischen Gesangbuch überliefert, es heißt: „Der Tag bricht an und zeiget sich“.  Das Lied dankt zuerst für das Leben, kein selbstverständliches Ding, sondern ein großes Geschenk. Bei allem sollte der innere Schweinehund nicht das letzte Wort haben „das arge Fleisch so zwing und treib“ heißt das in der bildhaften Sprache des 16. Jahrhunderts. So, finde ich, kann ein guter Start in den Tag gelingen! Dankbar, vertrauensvoll, mutig und gesegnet. Außerdem füllen sich beim Singen die Lungen, das tut auch leiblich gut.

Wer war eigentlich Michael Weiße? Auf jeden Fall jemand, dem das Singen am Herzen lag. 1531 hat er das erste deutsche Gesangbuch der Böhmischen Brüder herausgegeben. Mit 157 Liedern war es das umfangreichste Gesangbuch der Reformation. Die Texte sind gesättigt mit reicher Lebenserfahrung, der Widerstände und Kämpfe, die dieser Mann auch um seines Glaubens willen durchgestanden hat. Ich stelle mir vor: Singend hat er sein Leben gemeistert, die Höhe- und die Tiefpunkte. Er fand für alles einen passenden Ton.

Auf dem Tag heute vor 490 Jahren lag dann leider kein Glück. Michael Weiße war zu einem Festmahl eingeladen. Aber der schöne Anlass endete tragisch. Die servierte Delikatesse war verdorben. Alle Gäste und auch der Gastgeber sind daran gestorben. Michael Weiße war noch keine 50 Jahre alt.

Die Menschen seiner Zeit haben der Endlichkeit des Lebens bewusster ins Auge geblickt als wir heute. Wenn sie um Segen für den Tag gebetet haben, dann war ihnen klar, dass sie nicht unbedingt den Abend erleben würden. „Was wir hier verweslich sä'n, wird einst unverweslich auferstehn“ hatte Michael Weiße einmal gedichtet. Ich hoffe, dass er in dieser Gewissheit auch sterben konnte. Dankbar, vertrauensvoll, mutig und mit dem Gefühl, dass er ein zwar kurzes, aber doch gesegnetes Leben leben durfte.

Überlebt haben Michael Weiße, ganz sicher, seine Lieder, seine Unterstützung für einen guten Start in den Morgen! Und: ist nicht jeder Morgen eine kleine Auferstehung?

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18MRZ2024
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Jesus ist ein sehr treuer Freund gewesen. Er hat sich – so lese ich die Bibel – noch nicht einmal von Judas distanziert. Einen solch treuen Freund wie Jesus wünscht sich wohl jeder Mensch. Doch manchmal kommt es für uns Sterbliche darauf an, sich auch von einer Freundschaft verabschieden zu können.

Wenn ich in dieser Passionszeit darüber nachdenke, was ich in meinem Leben bewahren und was lassen sollte, dann darf ich auch meine Freundschaften in diese Überlegungen mit einbeziehen. Womöglich letztlich zu der Entscheidung kommen, dass manche dieser Freundschaften ihre Zeit gehabt haben. Freundschaften waren mir alle einmal wichtig. Aber das ist keine Garantie auf lebenslange Dauer. Manchmal ist es so, dass wir Freunde das gemeinsame Gespräch vernachlässigt haben. Wir sind uns fremd geworden, die Freundschaft hat ihre Zeit gehabt. Das schmälert keineswegs den Wert der Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben. Die kann wunderbar gewesen sein, und das möchte ich auch bewahren, das darf und kann in meiner Erinnerung bleiben. Doch zur Ehrlichkeit gehört, dass ich zugebe: Heute stimmt das Wort „Freundschaft“ nicht mehr.

Klar, man kann auch so tun, als ob sich nichts verändert hätte. Ich merke, dass mir das nicht guttut. Entweder offen kommuniziert oder als Entscheidung meines Herzens: Ich brauche Klarheit. Es fühlt sich falsch an, so zu tun als ob.

Leicht fällt eine solche Entscheidung meistens nicht. Sie will wohlüberlegt sein. Dabei kann mir dann Jesus - vielleicht überraschenderweise für einen so treuen Freund – durchaus helfen. Denn er empfiehlt seinen Jüngern, den Staub von den Füßen zu schütteln, wenn sie als seine Botschafter von Menschen abgelehnt werden. Staub abschütteln ist eine Zeichenhandlung. Es soll im neuen Lebensabschnitt nichts zurückbleiben, was verletzt, nicht einmal ein Staubkorn. Das finde ich hilfreich. Ich möchte friedlich Abschied nehmen von Freundschaften, die sich überlebt haben. Da soll kein Groll übrigbleiben, keine enttäuschten Erwartungen, keine Anrufe, die nur aus Pflichtgefühl geschehen und nicht aus Zuneigung und ehrlichem Interesse.

Für mich ist das eine wichtige Anregung in dieser Passionszeit – und eine große Herausforderung. Zu überlegen, welche Freundschaften ihre Zeit hatten. Wie auch immer ich das mit dem Staub abschütteln konkret gestalten mag.

Ich könnte anfangen, einen neuen Geburtstagskalender zu gestalten.

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16MRZ2024
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In einem engen Schacht tief unter der Erde. Die Luft ist feucht und voller Kohlestaub. Laute Maschinen und ständige Lebensgefahr. Vor rund 150 Jahren hat Joseph als Bergmann in einer schlesischen Kohlemine gearbeitet. Berufsbezeichnung: Oberhauer.

Abends auf dem Sofa hat mir meine Oma früher von ihren Großeltern Thekla und Joseph erzählt. Joseph aus der Kohlemine. Seine Ehefrau Thekla war jedes Mal erleichtert, wenn er unbeschadet von einer Schicht nach Hause kam. Nicht nur, weil sie ihn geliebt hat. Sondern auch weil er mit seinem Lohn eine Familie mit sieben Kindern ernähren musste. Joseph hat immer einen Vogel im Käfig mit in die Mine genommen. Wenn der Vogel von der Stange gekippt ist, wussten alle: Nichts wie raus hier. Denn wenn Gas austritt, kommt es schnell zu tödlichen Unfällen.

Vier Generationen liegen zwischen mir und dem Leben von Joseph und Thekla. Mein Leben kommt mir bedeutend einfacher vor: Urlaub in Italien, ein Handy in der Tasche und volle Regale im Supermarkt. Joseph könnte wohl kaum glauben, wie stark sich alles gewandelt hat. Damals hatte man ein Klohäuschen im Garten. Heute hat jede Wohnung einen Wasseranschluss. Scheinbare Selbstverständlichkeiten, die damals der pure Luxus waren. Darum hatte Joseph auch noch keine Dusche: Seine Frau Thekla hat ihn nach jeder Schicht ordentlich abgeschrubbt. In einem großen Waschzuber. Der Kohlestaub saß in Kleidern und Haaren, einfach überall. Danach war Joseph ein neuer Mensch und konnte sich seine Pfeife anstecken.

Meine Oma hat mir viel aus unserer Familiengeschichte erzählt hat. Wie damals die Familie bei aller Armut zusammengehalten hat. Wenn es zu essen gab, war jeder froh um seine Portion. Wenn gebetet wurde, wusste jeder, wofür er bittet.

Ich will die Schicksale von damals weder verklären noch bemitleiden. Wer weiß, wie Thekla und Joseph auf unser Leben blicken würden. Vielleicht würden sie tatsächlich am meisten über die Toilette und die Dusche in meiner Wohnung staunen. Für mich relativiert der Gedanke an ihre Zeit viele Probleme, über die ich heute oft klage. Damals waren die meisten Menschen damit ausgelastet zu überleben. Heute kann ich streiten über Politik und Kirche, kann reisen, lesen und ins Konzert gehen. Viel mehr Freiheiten, viel mehr Möglichkeiten. Ich meine: Es lohnt sich auf das Gute zu sehen, was sich seitdem entwickelt hat. Denn das kann uns helfen, zuversichtlich in die Zukunft blicken.

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15MRZ2024
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Das Leben nach dem Tod – ist das nicht ein zentrales Thema für die Bibel? Ich war richtig erstaunt, als ich gemerkt habe, dass es in der Bibel nur an wenigen Stellen um ein Leben nach dem Tod geht. Im Alten Testament scheint sich kaum jemand den Kopf darüber zerbrochen zu haben, was nach dem irdischen Leben kommen könnte. Die großen Gestalten wie Mose, Sarah, Abraham oder Ester, sterben – aber nirgends heißt es, dass sie auferstehen und im Himmel weiterleben. Damals scheinen sich die Menschen voll auf das Leben im Hier und Jetzt zu konzentrieren.

In der Bibel kommt die Frage nach einem Leben nach dem Tod erst nach vielen Jahrhunderten auf. Ein Grund mag gewesen sein, dass das Leben in Israel so viel schwerer wurde. Fremde Herrscher beuten die Menschen aus und fordern immer neue Opfer. Da klingt es trotzig und gleichzeitig hoffnungsvoll, wenn es heißt: Gott wird uns nicht einfach verschwinden lassen. Damals haben die Menschen wild diskutiert: Gott wird einen Retter schicken, er wird Gericht halten oder er wird uns nach dem Tod auferwecken. Irgendwie wird er seine Macht zeigen. Erst mit Jesus Christus wird greifbar, was Auferstehung bedeutet.

Diese Sehnsucht der Menschen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, drückt der Lyriker und Pfarrer Kurt Marti in einem Gedicht so aus:

Das könnte manchen Herren so passen

wenn mit dem Tode alles beglichen

die Herrschaft der Herren

die Knechtschaft der Knechte

bestätigt wäre für immer

das könnte manchen Herren so passen

wenn sie in Ewigkeit

Herren blieben im teuren Privatgrab

und ihre Knechte

Knechte in billigen Reihengräbern

aber es kommt eine Auferstehung

die anders ganz anders wird als wir dachten

es kommt eine Auferstehung die ist

der Aufstand Gottes gegen die Herren

und gegen den Herrn aller Herren: den Tod.

Heute denke ich bei diesen Worten an die Ukraine. Wie viele Menschen mussten dort schon sterben, weil ein böser Herrscher es so wollte? Putin wohnt in seinem Palast, er frönt dem Luxus. Und jeden Tag gehen Bomben und Raketen auf Wohnhäuser nieder. Das macht mich fertig. Für all die Opfer von Krieg, Terror und Diktatur, die ihr Leben nicht leben konnten, vertraue ich darauf: Ihr werdet auferstehen. Besonders denke ich dabei an Alexej Nawalny. Er war ein gläubiger Christ. Er hat darauf vertraut, dass Gott größer ist als aller Terror. An Ostern werde ich an ihn besonders denken. Ich warte auf seine Auferstehung.

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14MRZ2024
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Gott braucht Dich nicht. So heißt das Buch von Esther Maria Magnis, die in Ostwestfalen aufgewachsen ist. Darin beschreibt sie, wie sie sich schon als junges Mädchen Gott ganz nah gefühlt hat. Gott schien mit ihrem Herzen, mit ihrem ganzen Wesen untrennbar verbunden.

Darum will sie mehr von ihm erfahren, will ihn besser verstehen. Doch sie ist bald gelangweilt von dem, was ihr dazu erzählt wird. Sie schreibt: „Alle wollten Toleranz gegenüber anderen Religionen, alle wollten, dass die Kirche lockerer wird, allen kam es auf die „Menschlichkeit“ an.“ Überall hört Esther Maria Magnis diese Sätze: Ob in der Kirche, in der Schule oder in Talkshows. Die immer gleiche Moral, die gleichen Appelle. Sie hatte Gott als junges Mädchen gar nicht so durchschnittlich kennen gelernt. Aber jetzt gewinnt sie den Eindruck: Dieser Gott ist belanglos. Der braucht mich nicht.

Ihre Geschichte mit Gott geht trotzdem weiter. Denn ihr Vater erkrankt an Krebs. Esther betet mit ihren Geschwistern so fest sie kann. Leider erfolglos. Esther denkt: Gott sieht doch, wie Papa leidet, wie er um das Leben kämpft. Wofür ist Gott dann gut, wenn er nicht hilft? Wofür braucht es dann Gott?

Gott braucht Dich nicht ist ein sehr persönliches Buch. Esther Maria Magnis beschreibt keine gerade Linie zu Gott oder von Gott weg. Das Schicksal schlägt zu. Das Leben geht irgendwie weiter. Und Gott ist für sie mal so nah wie der eigene Herzschlag, mal fremd und abwesend. Esther Maria Magnis ist eine junge Frau, die mit Gott hadert, ihn herausfordert und anders verstehen lernt. Am besten gefallen mir die Stellen, wo sie über die Stille schreibt. Gott antwortet ihr nicht und schweigt. Doch in dieser Stille steckt mehr. Im Buch heißt es: „Wer die Freiheit aus dieser Stille in sich entdeckt, der muss nicht mehr kämpfen, der muss nicht mehr lieben, dem zaubert das Nichts ein Lächeln aufs Antlitz. Dasselbe, das wir von manchen Verstorbenen kennen. Erlöst vom Dasein. Dieses Lächeln kann man schon im Leben haben, wenn man nur die Hinweise sieht.“

Keine leichte Kost, keine Wohlfühlspiritualität. Gott schweigt, und Esther Maria Magnis erkennt gerade darin seine Bedeutung. Sie sagt: Gott ist nicht nur lieb, er hat einen Schrecken. So wie in dieser Welt viel Schmerz und Tod ist. Gott ist davon nicht getrennt, sondern darin verstrickt.

Dieses Buch hat mich immer wieder irritiert und sprachlos gemacht. Esther Maria Magnis ist für mich ein Beispiel dafür, wie jemand ohne Sicherheitsseil nach Gott sucht. Gott verstehe ich jetzt nicht besser. Aber ich denke neu über ihn nach.

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13MRZ2024
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Bei mir im Regal steht eine „paradoxe Sanduhr“. So heißen Sanduhren, die rückwärts laufen, also von unten nach oben, wie wenn die Schwerkraft ausgehebelt wäre. Die Sanduhr ist mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. Und aus dem unteren Sanduhrteil blubbern ganz kleine leichte Kügelchen durch die Engstelle bis nach oben an die Oberfläche. Mich fasziniert die Technik, und ich könnte minutenlang zusehen.

Aber ich habe sie eigentlich aus einem anderen Grund gekauft. Immer wenn ich besonders gehetzt bin, dann soll sie mich daran erinnern, dass Zeit nicht immer gnadenlos verstreichen muss. Dieses Bild von der Zeit hatte ich nämlich bisher. Meine Lebenszeit, die langsam aber stetig verrinnt, wie der Sand in einer Sanduhr. Manche stellen sich die Zeit auch als Pfeil vor, der bei der Geburt abgeschossen wird und unbeirrbar auf das Ziel zufliegt. Das hat mich oft frustriert. Ich habe mich ständig unter Druck gefühlt, ich könnte was verpassen oder die Zeit nicht gut genug nutzen.

Bis mir ein Freund den Tipp gegeben hat, die Zeit anders zu betrachten: nicht als Linie, sondern als Spirale. Im Körper und in der Natur verläuft auch vieles in Kreisläufen: das Blut, der Atem, wach sein und schlafen, die Jahreszeiten, die Planeten, die um die Sonne kreisen. Warum sollte ich die Zeit nicht auch so betrachten?

Zeit ist doch alles andere als linear. Sie vergeht mal schneller, mal langsamer. Im Stau dehnt sie sich aus, wenn ich im Flow bin, schrumpelt sie ein. Mal arbeite ich wie wild, mal darf ich mich erholen. Mal wünschte ich mir, die Zeit würde fliegen, und dann kann ich sie gar nicht genug auskosten.

Die Zeit als Spirale zu betrachten gefällt mir, denn auf einer Spirale bewege ich mich zwar auch vorwärts, bin aber nicht so sehr aufs Ziel fixiert. Außerdem gibt es mehrere Chancen, an einer Stelle nochmal vorbeizukommen – nur auf einer anderen Ebene. Das nimmt den Druck, alles beim ersten Mal perfekt machen zu müssen. Und da ergeben die vielen Dinge, die ich immer wieder tue, vielleicht sogar einen tieferen Sinn.

Seit ich ab und zu einen Blick auf meine paradoxe Sanduhr im Regal werfe, ist mir wieder bewusster, dass die Zeit nicht mein Feind ist, gegen den ich anarbeiten muss. Nein, Zeit ist meine Freundin. Sie gibt mir zwar einen gewissen Takt, aber sie ist auch flexibel und vor allem: immer wieder geschenkt.

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12MRZ2024
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In der französischen Stadt Beaune im Burgund gibt es ein Haus, das heißt „Hotel Dieu“, also „Hotel Gott“. Das hört sich doch luxuriös an: nach Pool-Landschaft, all-inclusive-Frühstück und Himmelbett. Und tatsächlich ist das Haus mit dem vielversprechenden Namen eines der schönsten und ältesten Häuser der Stadt: prächtige Gauben, farbige Ziegel und kunstvolles Fachwerk.

Das „Hotel Dieu“ stammt schon aus dem Mittelalter. Es wurde aber nicht für Urlauber gebaut, sondern für Kranke und Sterbende. Die lagen dem Stifter des Hauses, Nicolas Rolin, besonders am Herzen. Er hat versucht, diesen Leuten das Leben im „Hotel Dieu“ möglichst angenehm zu gestalten. Es gab wirklich für jeden eine Art Himmelbett aus rotem Samt, dazu Bettflaschen aus Zinn, prachtvolle Wandteppiche, eine hauseigene Apotheke und freie Sicht aus allen Betten auf die Hauskapelle – das galt damals so viel wie Farbfernsehen. Also doch ein bisschen Luxus in einer ansonsten sehr schwierigen Situation.

Wer damals Pest oder Masern hatte, für den war das fast so etwas wie ein Todesurteil. Wer damit aber ins „Hotel Dieu“ gekommen ist, dem muss das vorgekommen sein wie das Vorzimmer zum Paradies. Bei all den Schmerzen war es vielleicht ein kleiner Trost, sich versorgt zu wissen und es ein bisschen angenehm zu haben. Vielleicht wurde das Haus deshalb auch „Hotel Dieu“ genannt.

Ich könnte mir vorstellen, der Name hat noch einen anderen Grund. „Hotel Gott“ - ich glaube an einen Gott, der da absteigt, wo es Menschen schlecht geht, wo sie schwerkrank werden oder sterben, wo sie trauern, Gewalt erleben oder vereinsamen. Da möchte er wohnen, da möchte er dabei sein. Und da ist es egal, ob in einem Prachtbau aus dem Mittelalter oder in einem Krankenhaus in der Ortenau. Ob in einem Hospiz in der Kurpfalz oder einem Lazarett in der Ukraine. Ob in einem Krankenhaus im Gazastreifen oder in den Straßen von Kabul. Gott möchte bei uns Wohnung nehmen, mit uns leben und sein. Und deshalb ist überall dort, wo es Menschen schlecht geht, auch ein bisschen „Hotel Dieu“.

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