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17DEZ2023
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Und unser lieben Frauen
der traumet, traumet ihr ein Traum:
wie unter ihrem Herzen gewachsen wär,
gewachsen ein Baum.             

Und wie der Baum ein Schatten gäb
wohl über alle, alle Land:
Herr Jesus Christ der Heiland also ist er,
ist er genannt.                         

Herr Jesus Christ der Heiland ist
unser Heil und Trost,
mit seiner bittern Marter
hat er uns all erlöst.                

Und unser lieben Frauen
der traumet, traumet ihr ein Traum:
wie unter ihrem Herzen gewachsen wär,
gewachsen ein Baum.   

Der Baum ist ein uraltes Symbol. Er ist in der Erde verwurzelt und ragt zugleich in den Himmel. Er verbindet also Himmel und Erde, Gott und den Menschen. Der Baum erinnert an den Baum des Lebens im Paradies. Er ist seit jeher ein Bild dafür, dass das Leben beschützt und gesegnet ist, solange die Menschen mit Gott verbunden sind.

Die Sehnsucht nach solch einem beschützten Leben ist bei vielen groß. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Menschen haben Angst vor dem, was kommt. Viele fühlen sich einsam. Jeder muss selber zusehen, wo er bleibt.

Das war schon zur Zeit Marias so, denn ihr Volk wurde politisch von den Römern unterdrückt. In diese heillose, hartherzige Welt ist Jesus von Nazareth gekommen. Maria war überzeugt: er ist der Heiland. Er kann Menschen heilen und aufrichten. Durch ihn werden sie spüren, dass Gott immer mit ihnen in Verbindung sein möchte.  

Und wie der Baum ein Schatten gäb
wohl über alle, alle Land :
Herr Jesus Christ der Heiland also ist er,
ist er genannt.

Bis hierhin hüllt mich das Lied wie in einen schönen Traum ein.

Doch mit der 3. Strophe ändert sich der Charakter. Da heißt es: Herr Jesus Christ der Heiland ist unser Heil und Trost, mit seiner bittern Marter hat er uns all erlöst.

Jesus wollte den Menschen zeigen, dass Gott ihnen nahe ist, aber er wurde nicht verstanden und am Ende gekreuzigt. Aus dem Lebensbaum im Traum ist ein Kreuzesbaum geworden.

Max Reger weicht hier von der schlichten Melodie seiner Liedvorlage ab. In hoch expressiven Harmonien drückt er aus, was letztlich unfassbar ist. Dass Jesus durch seine Marter hindurch die Menschen erlöst hat. In seiner Musik klingt seine eigene Sehnsucht nach Erlösung  an. Er hat das Lied 1912 geschrieben, nach einem schweren körperlichen Zusammenbruch. Nach seiner Genesung hat er es seinem Arzt aus Dankbarkeit gewidmet.

Reger war ein tief gläubiger Mensch, der auch mit seinem Glauben gerungen hat. Das hört man in seiner Musik. Am Ende führt er das Lied zur schlichten Harmonie des Anfangs zurück, zum Traum Marias. Dieser Schluss lädt dazu ein,  mich  von diesem Traumbild berühren zu lassen.

Herr Jesus Christ der Heiland ist
Unser Heil und Trost,
mit seiner bittern Marter
hat er uns all erlöst.               

Einspielung : Chormusik zu Advent und Weihnachten, Orpheus-Vokalensemble, Ltg. Michael  Alber, CarusVerlag,

Reger, Max; Zellner, Hans, Und unser lieben Frauen Traum. Bearbeitet für Blechbläser, Harmonic Brass M0315067-014,

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10DEZ2023
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Ein Mensch am Boden. Der Rücken krumm, die ganze Haltung in sich gekehrt. Der Blick gesenkt. „Incurvatus in se ipsum“, wie Martin Luther sagen würde, ein in sich selbst gefangener Mensch. Doch dann steht sie auf. Richtet ihren Körper auf. Hebt den Kopf, schaut nach oben, breitet vielleicht sogar in einer weit ausholenden Geste beide Arme aus. So steht sie da. Und folgt mit ihrer Bewegung dem biblischen Leitmotiv für diesen zweiten Sonntag im Advent. Das steht im Lukasevangelium und heißt: „Richtet euch auf, ihr Menschen, lasst den Kopf nicht hängen und nehmt eure Zukunft aufrecht in den Blick. Denn eure Erlösung kommt bald!“ Eins der neueren Adventslieder ahmt diese Bewegung musikalisch nach. Mit seinen ersten Tönen steigt es in drei aufeinanderfolgenden Quartsprüngen vom Boden in den Himmel auf:

Das Volk, das noch im Finstern wandelt – bald sieht es Licht, ein großes Licht.
Heb in den Himmel dein Gesicht und steh und lausche, weil Gott handelt.

Die ihr noch wohnt im Tal der Tränen, wo Tod den schwarzen Schatten wirft:
Schon hört ihr Gottes Schritt, ihr dürft euch jetzt nicht mehr verlassen wähnen.

Auch mit seinen Worten folgt das Lied einem biblischen Grundton: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell!“ Es ist der Auftakt zur großen Friedensvision des Propheten Jesaja, die in jeder Adventszeit neu ihre Stimme erhebt und ihre Kraft entfaltet.
Seht auf, steht auf, richtet euch auf, fasst neuen Mut, macht Augen und Ohren auf: Eure Erlösung kommt bald!

Er kommt mit Frieden, nie mehr Klagen, nie Krieg, Verrat und bittre Zeit!
Kein Kind, das nachts erschrocken schreit, weil Stiefel auf das Pflaster schlagen.

Die Liebe geht nicht mehr verloren. Das Unrecht stürzt in vollem Lauf. Der Tod ist tot.
Das Volk jauchzt auf und ruft: „Uns ist ein Kind geboren!“

Die Bilder zu diesen Strophen habe ich gerade erst gesehen. Sie kamen aus Israel, aus dem Land, in dem der Prophet Jesaja sie als erster beschworen hat: Aufjauchzende Mütter und Väter habe ich gesehen, die ihre Kinder nach einer Höllenfahrt der Ungewissheit endlich wieder in die Arme schließen, nachdem sie aus den unterirdischen Gefängnissen der Geiselnehmer frei gelassen wurden. Augenblicke des Friedens mitten in einem Krieg. Lichtblicke inmitten der Dunkelheit, die Israelis und Palästinenser auch weiterhin gefangen hält. Eine Vorahnung, ein kleines Zeichen, wie eine Zukunft in Frieden aussehen könnte.

Ich will daran glauben, dass diese Friedenszeit kommt: „Es kommt der Friede. Nie mehr Klagen, nie Krieg, Verrat und bittere Zeit. Kein Kind, das nachts erschrocken schreit, weil Stiefel auf das Pflaster schlagen.“ Durch alles Gedröhn hindurch will ich auf diesen anderen Ton hören: „Schon hört ihr Gottes Schritt, ihr dürft euch jetzt nicht mehr verlassen wähnen.“

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Musikangaben:
Text: Jürgen Henkys (1981) nach dem Niederländischen „Het volk dat wandelt in het duister“ von Jan Willem Schulte Nordholt (1959)
Melodie: Frits Mehrtens (1959)
Aufnahme: Kord Michaelis (Orgel) und Christine Marx (Gesang) 2023

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03DEZ2023
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„Tochter Zion, freue Dich“ – Das Lied zum heutigen Sonntag ist so ein schönes Adventslied. Es klingt so festlich und so schreitend läutet es die Weihnachtszeit ein. Aber dieses Jahr stocke ich so wie die Bläser, die eben immer wieder neu angesetzt haben. „Tochter Zion, freue Dich“ richtet sich im übertragenen Sinn an Zion, den Burghügel von Jerusalem, der im Liedtext wie eine Person angesprochen wird. Nur – auf Zion, in Jerusalem, in Gaza, im Heiligen Land gibt es aktuell keinen Grund zur Freude. Trauer und Gewalt haben das Land im Griff. Wenn ich an Israel und den Zionsberg denke, habe ich eher Sehnsucht nach sanfteren Tönen:

See, the conqu’ring hero comes!

Sound the trumpets, beat the drums.

Sports prepare, the laurel bring,

Songs of triumph to him sing.

In dieser englischen Liedvariante geht es darum, dass ein Held in einer Stadt ankommt, die er erobert hat. Die Leute empfangen ihn mit Jubel, sie spielen Trompeten und Pauken. Es herrscht Triumphstimmung. Das Musikstück war so ein Erfolg, dass Georg Friedrich Händel es immer wieder verwendet hat: 1746 für das Oratorium „Joshua“ und fünf Jahre später in „Judas Makkabäus“. Beide Werke erzählen vom Volk Israel, das sein Land erobert und seine Freiheit behauptet. Die Nazis haben das Lied später zeitweise deshalb verboten.

Friedrich Heinrich Ranke hat den Text von „Tochter Zion“ um 1820 ins Deutsche übersetzt. In den englischen Fassungen besingt man Josua und Judas Makkabäus, bei Ranke richtet es sich jetzt an Jesus. Er denkt dabei an den Palmsonntag, an dem Jesus in Jerusalem einzieht und vom Volk mit „Hosanna“-Rufen begrüßt wird.

Hosianna, Davids Sohn!

Sey gesegnet deinem Volk!

Gründe nun dein ew’ges Reich,

Hosianna in der Höh!

Hosianna, Davids Sohn!

Sey gesegnet deinem Volk!

Mit diesem Bezug auf Jesus von Nazareth ist ein neuer Schwerpunkt gesetzt. „Tochter Zion“ passt deshalb auch zu Weihnachten: Da feiern Christen, dass mit Jesus Gott in der Welt angekommen ist. Jesus ist ja kein kriegerischer Held, der mit Gewalt zum Ziel kommen will. Für ihn zählen andere Maßstäbe als die von Überlegenheit und Gewalt, für ihn sind die Schwachen, die Bedürftigen und die Sanftmütigen, die Helden und Gewinner.

Zu Weihnachten wünsche ich mir, dass die friedlichen Ideen wieder einziehen in unsere Welt. In der Ukraine, in Israel, in Gaza und überall, wo Krieg herrscht. Ich wünsche mir, dass die Menschen dort erleben können, welche Macht sie haben, wenn sie statt Rache und Vergeltung Versöhnung üben und Frieden suchen. Das ist in meinen Augen nicht nur mächtig, sondern souverän. Denn ein Friede, der nicht auf dem Sieg der Stärkeren beruht, sondern auf dem Wohlwollen und Glück für alle, ist dauerhafter und sicherer. Darauf hoffe ich und diese Vision bejuble ich mit Trompeten und Pauken: 

Tochter Zion freue dich,

jauchze laut, Jerusalem!

Sieh, dein König kömmt zu dir

ja, er kömmt, der Friedefürst,

Tochter Zion freue dich,

jauchze laut, Jerusalem!

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26NOV2023
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Musik

„Lacrimosa dies illa“ – ein Tag voller Tränen. Wenn Tränen alles sind, was noch geht. Kennen Sie solche Tage?
„Lacrimosa dies illa“ – wörtlich heißt das: „Tränenreich ist jener Tag“. Gemeint ist der Tag des Jüngsten Gerichts. Das ist vielleicht noch lange hin. Oder es ist jetzt. Trauer hat kein Zeitgefühl. Für sie ist jetzt der Tag der Tränen. Der Tag, an dem sich alles auflöst, was einen Sinn hat.

Musik

„Lacrimosa dies illa“. Ein Stück aus dem Requiem von Guiseppe Verdi. Der Totenmesse des großen Opernkomponisten. Als junger Mann hatte Verdi Frau und Kinder verloren. Und für den christlichen Glauben nicht viel übrig. Aber sehr viel für die Liebe. Gerade für die Liebe, die Tränen weint, die unter Tränen singt. Für die tiefe, unstillbare Sehnsucht nach Trost.
Der weiche, sanfte Gesang der Liebe kann Wunden schließen. Er findet Wege zu einem erstarrten Herzen, er baut Brücken über Brüche und Risse. Auswege, wo eigentlich nichts mehr zu sehen ist. Stimme, wo keine Worte mehr hinreichen. Vielleicht lösen die Tränen, was nicht erlöst werden kann. Ist Gottes Platz dann nicht zwischen all den Tränen?

Musik

Diese Aufnahme gibt ein Konzert aus Stuttgart unter Leitung von Hellmuth Rilling wieder. Zwei Tage später hat er die Aufführung in Berlin wiederholt – es war der 11. September 2001. In die Vorbereitung des Konzerts platzten die Nachrichten vom Terroranschlag auf das World Trade Center in New York. Die Verantwortlichen haben sich damals entschieden, die Musik trotzdem aufzuführen. Als Musik gegen das Entsetzen. Als Gesang, wo die Worte fehlten oder fehl am Platz waren. Tränen aber nicht.
Wie nahe uns das alles in diesem Jahr wieder ist! Und wie tröstlich zu hören: Gott verstummt nicht, wo wir vor Schreck erstarren. Wo uns nichts bleibt als Tränen. Und wo die Worte nicht reichen, da wird Gott vielleicht singen.

Musik

Verdis Musik ist voller Liebe. Darin ist Raum für Gott. Nicht für den strafenden, aber für den liebenden. Den Gott des Trostes. Der eines Tages alle Tränen abwischen wird. Dann wird nur noch Platz für Freudentränen sein.

Musik

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Lacrimosa dies illa aus der Messa da Requiem von Guiseppe Verdi
Komponist
T: trad. Sequenz Dies irae aus der Totenmesse
Dies irae: aus: Messa da Requiem für 4 Soli, Chor und Orchester; Verdi, Guiseppe; Brüggergosman, Measha; Remmert, Birgit; O'Mara, Stephen; Schelomianski, Michail;Festival Chor und Festival Orchester des Europäischen Musikfestes; Rilling, Helmuth; Live-Aufnahme 09.09.2001 Stuttgart, Liederhalle, Beethovensaal

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19NOV2023
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Der Choral aus Mendelssohns Elias, den ich Ihnen heute vorstelle, besteht nur aus einem einzigen kurzen Satz. Er heißt: „Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig.“ Das klingt kurz und knackig. Aber die Botschaft, die damit verbunden ist, die hat’s in sich. Nicht zuletzt, weil sie nicht so eindeutig zu entschlüsseln ist.

Wer bis an das Ende beharrt… Ist das die Parole eines Einpeitschers, der unser Durchhaltevermögen auf die Probe stellen will? Für mich eine unangenehme Vorstellung, weil ich gleich an Krieg denken muss. An Schlachten, wo man ohne Rücksicht auf Verluste Menschen in den Tod geschickt hat. Nur um durchzuhalten? So kann es nicht gemeint sein, weil das der Botschaft des christlichen Glaubens so entgegen steht wie kaum etwas anderes.

Der Text des Chorals steht wörtlich im Matthäusevangelium, also an einem Ort, wo aufbewahrt wird, wie Jesus gedacht und gelebt hat. Dort, im 24. Kapitel bei Matthäus geht es um das Ende der Welt, und dabei ist auch von Krieg die Rede. Er ist dort ein Indiz dafür, dass die Welt aus den Fugen geraten ist, dass sie auf ihr Ende zusteuert. Das haben die Menschen damals, vor zweitausend Jahren erwartet. So kann es nicht weitergehen. So unmenschlich, so böse, so brutal wie die römischen Besatzer vorgehen. Das Ende der Welt erwarte ich heute nicht. Obwohl sich gar nicht sehr unterscheidet, wie es bei uns zugeht. Ich hoffe trotzdem, dass die Menschheit noch eine große Zukunft vor sich hat. Und dabei will ich beharrlich bleiben. Bis an ein Ende, von dem ich nicht weiß, wann es kommen wird.

Ist das womöglich blauäugig und ich übersehe die klaren Hinweise auf eine Katastrophe? Der Himmel hat sich wieder verdunkelt. Menschen gehen in sinnlosen Kriegen aufeinander los. Abertausende Menschen sind heimatlos und ziehen in großen Strömen umher, um endlich den Platz zu finden, wo sie in Ruhe schlafen können. Wir leben zu oft so, als hätten wir alles unbegrenzt zur Verfügung.

Trotzdem kündige ich hier nicht den Untergang der Welt an. So wenig wie Mendelssohn in den zarten Tönen seines Oratoriums über den Propheten Elija. Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig. Das verlangt Ruhe und Geduld. Zumal, wenn man nicht weiß, wie lange man aushalten muss. Gleichzeitig nütze ich die Gelegenheit, um den Zeigefinger zu heben. Wie Elija es einst getan hat. Wie ich auch den Satz des Matthäus verstehe: Mensch, bedenke das Ende! Und halte dich an das, was gut ist – für dich und andere. Verlass dich darauf, was dir Halt gibt. Lass dich nicht hineinziehen in den Strudel von Hass und Gier und Neid. Bleibe beharrlich, halte durch mit dem, was du als gut und menschlich erkannt hast. Dann wirst du selig sein, so sein, wie Gott dich gewollt hat.

 

Musikaufnahme

Felix Mendelssohn-Bartholdy, ELIAS, op. 70
N°32 Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig

La Chapelle Royale | Collegium Vocale | Orchestre des Champs Élysées
Philippe Herreweghe

Harmonia mundi  France 1993   |   HMC 901463.64

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12NOV2023
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Was gibt mir in diesen Zeiten festen Grund unter die Füße? Was bleibt, wenn alles wankt und fällt? Ich glaube, das sind Fragen, die viele Menschen heute bewegen. Ein über 200 Jahre altes Lied will darauf eine Antwort geben.

Ich weiß, woran ich glaube,
ich weiß, was fest besteht,
wenn alles hier im Staube
wie Sand und Staub verweht;
ich weiß, was ewig bleibet,
wo alles wankt und fällt,
wo Wahn die Weisen treibet
und Trug die Klugen prellt.

Ernst Moritz Arndt hat diese Zeilen gedichtet. Er war im 19. Jahrhundert eine vielseitig engagierte Persönlichkeit: Dichter und Schriftsteller, Politiker und Publizist, Kämpfer gegen Napoleon und für eine deutsche Nation. In diesem Lied, finde ich, kommt noch eine andere Seite von ihm zum Vorschein. Eine suchende und tastende Frömmigkeit, die sich vergewissern möchte, was fest besteht, wenn alles wie Sand und Staub verweht...

Ich weiß, woran ich glaube,
ich weiß, was fest besteht,
wenn alles hier im Staube
wie Sand und Staub verweht;
ich weiß, was ewig bleibet,
wo alles wankt und fällt,
wo Wahn die Weisen treibet
und Trug die Klugen prellt.

Mir hilft dieses Lied, nicht zu verstummen angesichts der zerstörerischen Vorgänge und Mächte, von denen die Nachrichten voll sind. Weil es hinter allem, was wankt und bricht, auf etwas Unzerbrechliches verweist. Und eine Gewissheit spürbar wird, die fest gegründet ist.

Wir sprechen heute von Resilienz: von einer Widerstandkraft, die Menschen gerade dann zuteilwerden kann, wenn alles fraglich wird. Plötzlich ist da eine Kraft, die mich trägt. Meistens weiß ich nicht einmal, woher sie kommt. Ein Glaube, der mir Grund unter die Füße gibt. Eine Hand, die sich mir entgegenstreckt.

Und ich schaue auf den Menschen, von dem die Bibel erzählt, dass er auf Hass nicht mit Hass, auf Gewalt nicht mit Gewalt geantwortet hat. In dem Lied wird er der „Meister“ genannt, „der mir die Feste baut“. Und mir Grund unter die Füße geben will.
Jesus Christus, den die Bibel den „Fürst der Geister“ nennt, weil er die zerstörerischen Mächte besiegt hat. Und der, so hoffe und singe ich mit diesem Lied, meinen Blick auf das richtet, was unzerstörbar ist. Und „ewig bleibt“.

Auch kenn ich wohl den Meister,
der mir die Feste baut;
er heißt der Fürst der Geister,
auf den der Himmel schaut,
vor dem die Seraphinen
anbetend niederknien,
um den die Engel dienen;
ich weiß und kenne ihn.

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Musikangaben:
Schütz, Heinrich; Arndt, Ernst Moritz
Ich weiß, woran ich glaube. Für Chor und Orgel
SFB-Produktion am 09.07.1994 in der Kirche zum Heilsbronnen, Berlin
Schlicke, Christian; Staats- und Domchor

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05NOV2023
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„Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten,

die heiligen Märtyrer dich begrüßen

und Dich führen in die himmlische Stadt, Jerusalem.

Die Chöre der Engel mögen Dich empfangen

und durch Christus, der für Dich gestorben,

soll ewiges Leben Dich erfreuen.“

„Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten“ – Der Gesang zum heutigen Sonntag stammt aus der Begräbnisliturgie. Wenn Trauernde sich mit dem Sarg oder der Urne auf den Weg zum Grab machen, wird das gesungen „Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten“. Dieser Moment ist vermutlich einer der heikelsten Momente bei einer Beerdigung. Jedenfalls habe ich das so erlebt. Wenn ich weiß, das ist jetzt der letzte Weg, den der Tote geht, ist klar, wie endgültig der Tod ist. Es gibt kein Zurück. Das ist die Wirklichkeit. Ich habe aber auch erlebt, wie tröstlich es sein kann, wenn jemand diesen Weg umdeutet und sagt: Deine sterblichen Überreste gehen jetzt vielleicht ins Grab, aber Du als Person kommst im Paradies an. Was die Augen sehen, ist etwas Anderes als das, was ich mit dem Herzen sehe.

 

„Chorus angelorum te suscipiant“

 

„Die Chöre der Engel mögen Dich empfangen und durch Christus soll ewiges Leben Dich erfreuen“. Ich mag es, wenn beschrieben wird, wie der verstorbene Mensch im Paradies ankommt: Engel singen in Chören und die anderen Verstorbenen, die ihm schon vorausgegangen sind, heißen ihn willkommen. Sie kennen sich schon aus in dieser neuen Wirklichkeit und führen ihn an diesen Ort, wo alles heil wird.

Für mich ist das eine Hoffnung, die nicht nur für Christen gilt. Ich sehe das Paradies als den Ort, an dem alle Menschen finden, wonach sie sich sehnen, egal ob Christ, Jude, Muslim oder andere. Sogar die Zweifler und die, die nichts glauben.

Weil mir diese Hoffnung für jeden Menschen so viel bedeutet, deswegen singe ich das „Zum Paradies“ immer wieder, oft wenn ich auf der Straße unterwegs bin und mir ein Leichenwagen begegnet. Ich weiß nicht, was für ein Mensch darin auf seinem letzten Weg ist, aber ich wünsche ihm so alles Gute. Er möge wie hoffentlich jeder Mensch an einem Ort des Friedens und der Freude ankommen. Für mich als Christ ist das Bild dafür das himmlische Jerusalem. Und dieses Jerusalem klingt bei dem französischen Komponisten Gabriel Fauré so:

 

„… et perducant te in civitatem sanctam Ierusalem“

Musik: Gabriel Fauré: Requiem; Coro e Orchestra dell’accademia nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Myung-Whun Chung (459365-2)

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29OKT2023
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Das Leben ist so kurz! Einen Moment lang musste ich innerlich schmunzeln, als eine Frau das neulich zu mir gesagt hat. Sie hat gerade ihren 95. Geburtstag gefeiert.

Aber natürlich hat sie recht. Egal, wie alt wir werden – unser Leben ist kurz. Jetzt im Herbst ist uns die alte Erkenntnis vielleicht näher als sonst. „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig, ist der Menschen Leben“ – ein Lied aus der Barockzeit besingt diese Erfahrung mit eindringlichen Worten.

Strophe 1–2, Windsbacher Knabenchor

Die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges hatten den Dichter und Musiker Michael Franck geprägt, als er vier Jahre nach dem westfälischen Friedensschluss diese Verse schrieb – und Hunger, Armut und Tod waren im Land weiter allgegenwärtig. Das Leben der Menschen – vergänglich wie ein Nebel. Diese Erfahrung war überall noch mit Händen zu greifen.

Trotzdem spricht für mich aus dem Lied keine Verzweiflung. Besonders die Musik strahlt mit ihrem beschwingten Rhythmus eine fast heitere Gelassenheit aus.

Strophe 3, Zwischenspiel

Ja, es stimmt: Unsere Freude ist flüchtig. Auf Licht folgt wieder Dunkel, auf Friede Streit. Aber – es gibt sie, die Freude. Genauso wie die Schönheit und das Glück. Beides besingt das Lied mit seiner beschwingten Melodie. Als ob es sagen wollte: Die schönen Seiten des Lebens sind vielleicht nur von kurzer Dauer – umso wichtiger ist es, sich zur rechten Zeit daran zu freuen.

Strophe 4

Nicht nur Glück und Schönheit sind vergänglich. Auch mit unserem Besitz, der die Generationen überdauern soll, kann es schnell vorbei sein: Es kann Glut und Flut entstehen, dadurch, eh wir uns versehen, alles muss zu Trümmern gehen, dichtet Michael Franck. Die Bilder von Erdbeben- und Flutkatastrophen führen uns das auch heute ständig vor Augen.

Wenn also alles vergänglich, ja nichtig ist, stellt sich unweigerlich die Frage: Was ist dann wichtig – und warum? Für den Dichter ist die Antwort klar: Auf Gott zu vertrauen, hat einen bleibenden Wert. Denn bei Gott weitet sich die enge Perspektive unseres kurzen Lebens.

Strophe 8, Windsbacher Knabenchor

Die alte Dame, mit der ich gesprochen haben, sieht es ähnlich. 95 Jahre Lebenserfahrung hat sie – und ganz viel Gottvertrauen. Auch sie hat Krieg und Leid erlebt. Und sie sagt: Das Leben ist so kurz. Wenn wir das öfter bedenken würden, würden wir viel unnötigen Streit und Ärger vermeiden. Und dem Guten mehr Raum geben.

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22OKT2023
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As I went down in the river to pray, studying about that good ol’ way, and who shall wear the starry crown, good Lord, show me the way.

Den richtigen Weg finden, das ist wohl ein Menschheitsthema. Und ist mir wichtig. Klar, viele Wege gehe und fahre ich wie selbstverständlich. Auch im übertragenen Sinn. Im Umgang mit anderen, was die Einstellungen und Überzeugungen angeht, da bewege ich mich auf eingefahrenen Wegen. Da muss ich nicht lange überlegen. Dann aber wieder gibt es Situationen, dass ich mich frage: Wo geht’s für mich lang? Das Lied Down to the River to Pray macht diese Lebenswege zum Thema.

Oh, sisters, let’s go down, let’s go down, come on down. Oh, sisters, let’s go down, down in the river to pray.

Down to the River to Pray, ein traditioneller Song aus den USA. Ein Lied, das oft zur Taufe gesungen wird. So erklärt sich der Refrain: Als ich zum Fluss hinunterging, um zu beten, da dachte ich über den richtigen Weg nach und darüber, wer die mit Sternen geschmückte Krone tragen soll. Guter Gott, zeig mir den Weg! In vielen christlichen Gemeinschaften ist die Taufe in einem Fluss üblich. Und so fordert das Lied Schwestern und Brüder, Mütter und Väter und letztlich alle auf, zum Fluss zu gehen. Sich zu erneuern, zu waschen. Und wie neugeboren aus dem Wasser aufzutauchen. Gekrönt von Sternen statt von Dornen. So skizziert der Song den Lebensweg des Menschen: Als Umkehr, als ein Leben, das sich auf Gott ausrichtet.

As I went down in the river to pray, studying about that good ol’ way, and who shall wear the robe and crown, good Lord, show me the way.

 Typisch für dieses und andere traditionelle Lieder: Ihr Anfang liegt im Dunklen. Sie werden lange Zeit nur mündlich überliefert. Gedruckt wurde Down to the River to pray lange nach seiner Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts. In einer Sammlung von traditionellen Songs der Sklaven in den USA.

Vor diesem Hintergrund gewinnt der scheinbar harmlose Text an Brisanz. Dann lassen sich nämlich die Schlüsselwörter des Liedes auch als Fluchtbotschaften verstehen. Im Wasser eines Flusses konnten Hunde die Spur der geflohenen Sklaven nicht mehr wittern. Die Sternenkrone spielt darauf an, dass sich Flüchtlinge auf ihrer Flucht an den Sternen orientierten. Und „zeige mir den Weg“ lässt sich als Gebet um Gottes Unterstützung auf der Flucht verstehen. Denn zu Zeiten der Sklaverei gab es gut gehütete Fluchtwege, die Untergrund-Eisenbahn. Mit ihr konnten Sklaven aus dem Süden der USA in den Norden fliehen – konnten aus der Sklaverei fliehen.

Oh, brothers, let’s go down, let’s go down, come on down. Oh, sisters, let’s go down, down in the river to pray.

As I went down to the river to pray, studyin’ about that good old way, and who shall wear the starry crown, good Lord, show me the way.

Was mich an diesem Lied bewegt: Wie sich Glaube und Alltag verbindet. Das Gebet und die Sehnsucht nach Freiheit. Und wenn ich Down to the River to Pray höre oder selbst singe, dann klingt hindurch, welche Kraft der christliche Glaube besitzt: Widerstand gegen Unterdrücker leisten, Partei für die Menschen zu ergreifen, die machtlos sind.

Wenn ich nach meinem Lebensweg frage, dann stellt mich dieses Lied selbst in Frage: Wo setze ich mich für Menschen ein, die Hilfe nötig haben? In welchen Fluss steige ich, bildlich gesprochen, um Kraft für mich und andere zu schöpfen?

As I went down to the river to pray, studyin’ about that good old way, and who shall wear the starry crown, good Lord, show me the way.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38558
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15OKT2023
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„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Davon war der Philosoph Ludwig Wittgenstein überzeugt. Nur was in logisch einwandfreien Sätzen ausgedrückt werden kann, ist für ihn überhaupt der Rede wert. Ich bin der Meinung, dass es noch eine Alternative geben könnte zum Schweigen über die Dinge, „die uns zu groß und wunderbar sind und die wir nicht begreifen.“ Sie lautet: Wovon man nicht sprechen kann, davon soll man singen. Denn gerade das Singen bietet eine wunderbare Gelegenheit, die Grenzen des Sagbaren zu überschreiten. Hören Sie selbst:

Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust.
Ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst.

Vielleicht ist es sogar die angemessene Art, von Gott zu reden, dass wir singenderweise kundtun, was uns als Menschen von ihm bewusst ist. Und dadurch auch anerkennen, dass vieles uns nicht bewusst ist und verborgen bleibt von diesem Geheimnis der Welt. Paul Gerhardt, der Dichter dieses Liedes, kommt mit seinem Gesang aber nicht schnell an eine Grenze. Achtzehn Strophen lang fällt ihm etwas ein, das er von Gott singen und sagen möchte, und es kommt ihm anscheinend auch ganz leicht aus Herz und Mund:

Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad und ew‘ge Quelle seist,
daraus uns allen früh und spat viel Heil und Gutes fleußt.

Brunnen und Quelle – das sind biblische Bilder für Gott, für seine unerschöpfliche Tiefe und Fülle. Und sie erinnern mich an den Apostel Paulus, der so viel über Gott zu sagen wusste, aber an entscheidender Stelle mit seinen Worten dann auch an eine Grenze gerät und nur noch ausrufen kann: „Was für eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ Zu ihm, zu Gott hin, führen auch in Paul Gerhardts Lied alle Fragen:

Was sind wir doch, was haben wir auf dieser ganzen Erd,
das uns, o Vater, nicht von dir gegeben wird?
Und weiter: „Wer hat das schöne Himmelszelt hoch über uns gesetzt?
Wer ist es, der uns unser Feld mit Tau und Regen netzt?
Wer wärmet uns in Kält‘ und Frost, wer schützt uns vor dem Wind?
Wer macht es, dass man Öl und Most zu seinen Zeiten findt?“
Wer gibt uns Leben und Geblüt, wer hält mit seiner Hand
den güld‘nen, werten, edlen Fried in unserm Vaterland?
Eine Antwort auf all diese Fragen bleibt er nicht lange schuldig:
Ach, Herr, mein Gott, das kommt von dir, du, du musst alles tun.
Du hältst die Wacht an unsrer Tür und lässt uns sicher ruhn.

Und da geschieht es, dass der große Gott, der Ursprung aller Ding, von dem eigentlich zu schweigen wäre, weil man nicht erschöpfend über ihn sprechen kann, mir beim Singen plötzlich ganz nahekommt.  Zu meinem persönlichen Gott wird, der sich um mich und mein Leben kümmert. Singend kann ich mich der Gegenwart Gottes versichern, ihm lobend näherkommen als mit Worten allein. Und darum frohen Mutes sein.

Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut.
Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut.

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Musikangaben:

Text: Paul Gerhardt (1653)
Musik: Johann Crüger (1653)

„Ich singe dir mit Herz und Mund“ für gemischten Chor und Orchester aus:
Ich bete an die Macht der Liebe. Große geistliche Chöre
Ausführende: Motettenchor Pforzheim und Schlagwerkgruppe unter der Leitung von Rolf Schweizer                                                                  

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