SWR2 Lied zum Sonntag
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Davon war der Philosoph Ludwig Wittgenstein überzeugt. Nur was in logisch einwandfreien Sätzen ausgedrückt werden kann, ist für ihn überhaupt der Rede wert. Ich bin der Meinung, dass es noch eine Alternative geben könnte zum Schweigen über die Dinge, „die uns zu groß und wunderbar sind und die wir nicht begreifen.“ Sie lautet: Wovon man nicht sprechen kann, davon soll man singen. Denn gerade das Singen bietet eine wunderbare Gelegenheit, die Grenzen des Sagbaren zu überschreiten. Hören Sie selbst:
Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust.
Ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst.
Vielleicht ist es sogar die angemessene Art, von Gott zu reden, dass wir singenderweise kundtun, was uns als Menschen von ihm bewusst ist. Und dadurch auch anerkennen, dass vieles uns nicht bewusst ist und verborgen bleibt von diesem Geheimnis der Welt. Paul Gerhardt, der Dichter dieses Liedes, kommt mit seinem Gesang aber nicht schnell an eine Grenze. Achtzehn Strophen lang fällt ihm etwas ein, das er von Gott singen und sagen möchte, und es kommt ihm anscheinend auch ganz leicht aus Herz und Mund:
Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad und ew‘ge Quelle seist,
daraus uns allen früh und spat viel Heil und Gutes fleußt.
Brunnen und Quelle – das sind biblische Bilder für Gott, für seine unerschöpfliche Tiefe und Fülle. Und sie erinnern mich an den Apostel Paulus, der so viel über Gott zu sagen wusste, aber an entscheidender Stelle mit seinen Worten dann auch an eine Grenze gerät und nur noch ausrufen kann: „Was für eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ Zu ihm, zu Gott hin, führen auch in Paul Gerhardts Lied alle Fragen:
Was sind wir doch, was haben wir auf dieser ganzen Erd,
das uns, o Vater, nicht von dir gegeben wird?
Und weiter: „Wer hat das schöne Himmelszelt hoch über uns gesetzt?
Wer ist es, der uns unser Feld mit Tau und Regen netzt?
Wer wärmet uns in Kält‘ und Frost, wer schützt uns vor dem Wind?
Wer macht es, dass man Öl und Most zu seinen Zeiten findt?“
Wer gibt uns Leben und Geblüt, wer hält mit seiner Hand
den güld‘nen, werten, edlen Fried in unserm Vaterland?
Eine Antwort auf all diese Fragen bleibt er nicht lange schuldig:
Ach, Herr, mein Gott, das kommt von dir, du, du musst alles tun.
Du hältst die Wacht an unsrer Tür und lässt uns sicher ruhn.
Und da geschieht es, dass der große Gott, der Ursprung aller Ding, von dem eigentlich zu schweigen wäre, weil man nicht erschöpfend über ihn sprechen kann, mir beim Singen plötzlich ganz nahekommt. Zu meinem persönlichen Gott wird, der sich um mich und mein Leben kümmert. Singend kann ich mich der Gegenwart Gottes versichern, ihm lobend näherkommen als mit Worten allein. Und darum frohen Mutes sein.
Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut.
Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut.
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Musikangaben:
Text: Paul Gerhardt (1653)
Musik: Johann Crüger (1653)
„Ich singe dir mit Herz und Mund“ für gemischten Chor und Orchester aus:
Ich bete an die Macht der Liebe. Große geistliche Chöre
Ausführende: Motettenchor Pforzheim und Schlagwerkgruppe unter der Leitung von Rolf Schweizer