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Vom Frühstückstisch aus sehe ich, wie Kinder zur Schule oder zum Kindergarten laufen. Allein oder mit ihren Eltern. Für manche sind es jetzt die ersten Tage und Wochen in Schule und Kindergarten. Ich sehe ihre Augen, ihre Blicke, ihr Staunen. Wie sie am Gartenzaun stehen bleiben:
Keine Uhr im Kopf. Fasziniert von Blüten und Schmetterlingen, von heruntergefallenen Birnen, von Katzen, die frei umherstreunen. Und wie sie am Nachmittag dann Feuerwanzen an der Friedhofsmauer sammeln. Und Schnecken - nicht als Schädlinge: sie hegen und pflegen sie – zu Hause in Kisten. Sie füttern sie mit frischen Blättern.
Eine wundervolle Welt ist da vor meinen Augen. Ohne Kommerz und Karriere. Ohne die Fragen: Was kann ich mir dafür kaufen? Was muss ich tun, damit ich weiter vorankomme?
Reine Freude am Leben, an dem, was hier und jetzt lebt und gedeiht.
Auch an dem, was hier und heute zu lernen ist. Erste Buchstaben, erste Zahlen.
Ich verstehe den Dichter Dante (1285-1321) gut, wenn er die Augen von Kindern zu den Dingen zählt, die uns unsere himmlische Herkunft spüren lassen. Direkt aus dem Paradies!
Dazu gehört auch, wie Kinder ihre ersten Lehrerinnen und Lehrer anschauen können. Noch nichts von wegen „Stress“ und „Schule ist blöd“. Die Welt des Lernens und Entdeckens ist noch nicht kaputt geredet.
Wie staunend und verehrend habe ich einst als Kind auf meine Klassenlehrerin geschaut. Und ich stelle mir vor: Genau so einen Erstklässler hat Jesus in die Mitte gestellt, als sich seine Jünger untereinander ihre Gedanken über´s Ranking gemacht haben. Laut Bibel haben sie Jesus gefragt. „Wer ist der Größte im Himmelreich?“ Und Jesus hat schlicht ein Kind zu sich gerufen - und es in ihre Mitte gestellt.
Und ihre Frage so beantwortet: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, dann werdet ihr niemals ins Himmelreich kommen.“(Matthäus 18,2+3) Wenn ihr euch – wörtlich übersetzt – nicht umdreht – innerlich !! – vielleicht sogar um 180 Grad – dann könnt ihr eine himmlische Welt, wie Gott sie für euch im Sinn hat, nicht erleben.
Das ist ein Wort an die Erwachsenenwelt – heute zum Weltkindertag:
Staunt wie die Kinder, seid neugierig! - ohne auf Gewinn und Konkurrenz aus zu sein, ohne Gier und ohne Gewalt. Erhaltet den Kindern ihre Kindheit, haltet sie vor Grauen und Schrecken fern, tretet für ihre Rechte ein! Und: Das Kind in sich selber neu entdecken! Werden so wie sie. Dann können sie und wir etwas spüren vom himmlischen Leben. Hier und heute.
Bald ist es ein Jahr her – jener 7. Oktober und das Verbrechen der Hamas-Terroristen. Wie viele Menschen wurden ermordet, verschleppt, gefangen gehalten!
Bis heute habe ich mich geweigert, mir irgendein Bild oder irgendein Video davon anzuschauen. Selbst wenn ich von diesen bestialischen Verbrechen höre, versuche ich, sie mir möglichst nicht vorzustellen. Überhören, Weghören, so gut es nur geht. Warum bloß?
Die israelische Schriftstellerin Maya Arad Yasur hat unmittelbar danach den Monolog einer Frau verfasst. Der Titel: „Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt - in 17 Schritten.“*
Ihre erste Regel lautet: Fernsehprogramme und andere Medien abschalten, die mit Gefühlen Geld verdienen wollen! Sie warnt vor den Schreckensbildern – denn daran kann man innerlich zerbrechen.
Stattdessen rät sie, sich daran zu erinnern: „Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Mütter wie dich“. Sechzehnmal wiederholt und variiert sie diesen Satz in ihrem Monolog. Um sich gegen Gewalt- und Rachephantasien zu immunisieren. Und damit das Mitleiden wach bleibt für alle unschuldigen Opfer auf beiden Seiten dieses Gewaltausbruches.
Wie schwer ist das! Aber genau darum geht es: Wache Anteilnahme, ohne sich von Schreckensbildern gefangen nehmen zu lassen. Denn was in mein Auge hineingeht – hinterlässt Spuren in meiner Seele. Hass und Schrecken verfinstern meinen Blick, verblenden die Augen, heißt es in der Bibel. (1. Joh 2,11).
Maya Arad Yasurs Theaterstück hat mich tief berührt. Es hat in den vergangenen Monaten große Resonanz erfahren.
Ich denke, weil viele sich fragen: Wie kann ich in den Abgründen und Krisen dieser Welt Menschlichkeit bewahren?
Christen sagen: Jesus sei der wahre Mensch. Auch darum ich will festhalten am Bild vom Menschen als einem von Liebe und nicht von Hass erfüllten Wesen.
Maya Arad Yasurs 10. Rat lautet: „Such kleine menschliche Geschichten!“ Sie erzählt in ihrem Stück die Geschichte von einem arabischen Fahrradhändler in Israel.
Der verschenkt an jüdische Kinder, die überlebt haben, Fahrräder mit Helmen und bunten Klingeln. Solch eine Geschichte ruft Hoffnungen wach: Es kann Frieden geben!
Damit wird kein Verbrechen geleugnet. Das ist kein Augenverschließen aus Prinzip.
Das ist ein Versuch zu überleben – als Mensch – um für Andere ein Mensch bleiben zu können. Denn - wie schreibt sie: „Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Mütter wie dich.“
* uraufgeführt am 19. November 2023 am LTT-Tübingen – Regie: Sapir Heller
Jubel schwappt durch das Stade de France. Und das, obwohl die Siegerin schon seit über zwei Minuten im Ziel war. Ich war beim olympischen 10.000-Meter-Lauf der Frauen im Stadion. Die letzte Läuferin kam mit über einer Minute Rückstand auf die Vorletzte ins Ziel. Auf ihrer letzten Runde wurde sie vom frenetischen Applaus der 90.000 Zuschauer begleitet. Sie wurde ins Ziel getragen, sagt man da gerne. Im Ziel hat sie dann die Arme in die Luft gereckt und sich riesig gefreut. Die Anerkennung hat ihr gutgetan.
Mir kam in dem Moment ein Satz von Jesus in den Sinn: Viele, die jetzt zu den Ersten gehören, werden dann die Letzten sein. Und viele, die jetzt zu den Letzten gehören, werden dann die Ersten sein.
Natürlich hatte Jesus dabei keinen Sportwettkampf im Sinn. Ihm geht es um etwas anderes: Die Menschen, die es heute schwierig haben, die unterprivilegiert sind, die wenig Anerkennung bekommen, die stehen bei Gott ganz hoch im Kurs. Er interessiert und kümmert sich um sie ganz besonders. Bei Gott, im Reich Gottes, werden die Verhältnisse umgekehrt. Da bekommen diejenigen Anerkennung, die sonst oft übersehen werden, um die sich keiner kümmert.
Ich finde das eine schöne Vorstellung: Diejenigen, die es hier schwer haben, sind bei Gott ganz oben auf der Liste.
Nur – was nützt das denen, die heute gesellschaftlich auf der Verliererseite stehen? Interessant ist: Jesus belässt es nicht bei diesem einen Satz. Er erzählt direkt im Anschluss eine Geschichte von Arbeitern in einem Weinberg. Der Kern dieser Erzählung ist: Alle sollen genug zum Leben haben. Keiner soll privilegiert werden. Soziale Ungleichheit soll abgebaut werden. Alle bekommen die gleiche Anerkennung, unabhängig von dem, was sie leisten.
Diese Textfolge ist sicher kein Zufall. Dass „die Letzten“ bei Gott die Ersten sein werden, heißt, dass sich ihre Situation schon hier und jetzt verbessern soll. Es heißt, dass wir uns als Menschen diese Perspektive Gottes zu eigen machen und sie in die Tat umsetzen sollen.
Dieser olympische Moment, der Applaus für die Läuferin war schön. Auch im „echten“ Leben ist Applaus schön. Aber das reicht nicht aus. Engagiertes Eintreten für die sozial weniger Privilegierten – darauf käme es an.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40663Macht die Arbeit denn Spaß? Na, dann viel Spaß heute Abend!
Spaß, Spaß, Spaß… Der spielt in meinem Wortgebrauch und in meinem Leben eine ganz wichtige Rolle. Spaß soll es machen. Darauf kommt es an. In den 90er Jahren kam mal der Begriff der Spaßgesellschaft auf. Damit sollte ein angeblich zu sehr am eigenen Lustempfinden orientierter Lebensstil kritisiert wurde. Aber ist es denn verwerflich, Spaß haben zu wollen?
Nein, ganz im Gegenteil: Spaß, Lust, Glück sind wichtige Parameter – aber es geht dabei nicht um mein Empfinden, sondern um das Empfinden der Allgemeinheit.
Das meint jedenfalls die philosophische Richtung des Utilitarismus. Dieses ethische Prinzip wurde um 1800 entwickelt und ausformuliert. Das Grundprinzip ist eigentlich recht simpel: Moralisch richtig ist die Handlung, deren Folgen nützlich sind für das Wohlergehen aller Betroffenen. Es geht also um das größtmögliche Glück für eine größtmögliche Anzahl an Menschen.
Grundsätzlich hört sich das für mich erstmal gut an. Das Prinzip ist gemeinwohlorientiert. Und alle Menschen sind gleich viel Wert.
Und gleichzeitig muss ich sagen: Eigentlich ist der Einzelne dabei gar nichts wert. Denn die Vorstellung geht sogar soweit, dass ein Einzelner für das Wohlergehen vieler geopfert werden könnte. Im Utilitarismus hat der Mensch keine Grundrechte, keine unverletzliche Würde. Es geht immer nur um die Allgemeinheit.
Mit dieser Sicht tue ich mir aus christlicher Perspektive schwer. Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, heißt es in der Bibel. Daraus ableiten lässt sich zum Beispiel, dass jeder Mensch eine Würde hat, so wie es auch Einzug in unser Grundgesetz gefunden hat: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder Mensch ist unendlich viel wert. Ich kann ein Leben nicht gegen ein anderes aufrechnen.
Trotzdem finde ich es auch wichtig, immer danach zu schauen, was für die Allgemeinheit gut ist.
Und ich selbst will auch Spaß haben. Ich freue mich auch, wenn viele andere glücklich sind mit ihrem Leben. Aber das sollte eben keinesfalls auf Kosten andere gehen.
Ja, woran, an wem sollte ich mich bei meinen Handlungen orientieren? Die Antwort darauf ist gar nicht so leicht. Ich finde, man muss auf jeden Fall immer unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40662Für zweieinhalb Wochen ist die Welt stehen geblieben. Es war magisch. So hat es sinngemäß der Chef des Organisationskomitees der Olympischen Spiele bei der Abschlussfeier formuliert. Ich war selbst auch für ein paar Tage in Paris. Und ich muss sagen: genauso habe ich es auch empfunden: Als ob die Zeit stehengeblieben wäre. Der Alltag, was war und was kommt, war in diesen Tagen von Paris unwichtig. Die Olympischen Spiele haben mich in ihren Bann gezogen. Und viele andere haben mir das auch erzählt.
Natürlich weiß ich, dass es an der Ausrichtung der Olympischen Spiele auch vieles zu kritisieren gibt: hohe Kosten, Doping, Profitgier…
Aber selbst das konnte mir die Zeit in Paris nicht vermiesen. Denn die Stimmung war einfach super. Ich bin dort nur netten Menschen begegnet: freundlichen Polizisten, fröhlichen Zuschauerinnen aus der ganzen Welt, hilfsbereiten Volunteers. Ein Reporter der Süddeutschen Zeitung hat es, finde ich, sehr zutreffend zusammengefasst: „Bei Olympia konnte man – sämtliche Störgeräusche wie immer im Sinn – das Gefühl haben, dass die Menschen trotz allem auch dafür geschaffen sind, sich friedlich zu versammeln.“
Fast schon eine biblische Einlassung. Denn das ist der Kern des christlichen Menschenbildes: Dass die Menschen für ein friedliches Miteinander geschaffen sind, zur Gemeinschaft mit anderen und zur Gemeinschaft mit Gott.
Leider lässt uns das, was auf der Welt passiert, ja oft daran zweifeln. Und ganz gewiss sollte man die Bedeutung der Olympischen Spiele an dieser Stelle auch nicht überhöhen. Sie beenden keine Kriege und sorgen nicht dafür, dass plötzlich alles gut ist auf der Welt.
Auch mich hat der Alltag in der Zwischenzeit wieder. Vieles, was mich seit langem nervt, hat sich nicht einfach in Wohlgefallen aufgelöst.
Und trotzdem, finde ich, bleibt etwas von Olympia. Nämlich genau diese Erfahrung, die Menschen vor Ort, aber auch aus der Ferne gemacht haben: Dass ein friedliches Miteinander von Menschen, Religionen und Nationen möglich ist. Auch wenn sich dadurch nicht gleich alles zum Guten wendet, tut es einfach gut, einmal zu erfahren, wie es sein könnte. Dass ein völlig unbeschwertes Leben möglich ist. Dass sich ganz Verschiedene friedlich versammeln können. In mir zumindest hat es die Hoffnung gestärkt, dass sich Dinge zum Guten verändern lassen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40661Die Welt ist voller Gewalt, das bekommen ja alle zu spüren - angefangen bei der alltäglichen Gereiztheit bis zur raffiniertesten Ausbeutung und Unterdrückung. Nein, ich will hier das Leben nicht anschwärzen und Trübsal blasen, am Morgen eines Tages schon gar nicht. Aber dass es eine Überlebensaufgabe ist, den Gewaltpegel wenigstens zu senken, dürfte niemand bestreiten. Im Prinzip jedenfalls. Im Grunde ist es das alte Lied seit Kain und Abel, aber derzeit steht weltweit besonders viel auf dem Spiel: die ökologische Balance nämlich und damit die Frage, wie wir der Um- und Mitwelt weniger Gewalt antun, und uns selber auch.
Ich kenne – im Ernst – kaum eine Religion, die das Thema Gewaltüberwindung derart in den Mittelpunkt stellt wie der christliche Glaube. Immerhin geht es da zentral um einen unschuldig Gekreuzigten, das Opfer mitmenschlicher Gewalt. Dass der gute Jesus derart brutal beseitigt wurde, hängt ja zentral mit seiner Botschaft der Feindesliebe zusammen; man wollte den Störenfried loswerden und sein Plädoyer für Gewaltlosigkeit auch. Aber der Kick am christlichen Glauben heißt Ostern: Gott hat diesen Jesus aus dem Tod erweckt und ihm für immer Recht gegeben. Nie hat Gewalt das letzte Wort, und immer produziert sie Leiden. Glaubhaft ist nur Liebe.
Deshalb ist mir das heutige Kirchenfest so wichtig: Kreuz Erhöhung. Äußerer Anlass dafür war die Legende, dass damals die Kaiserin Helena das Kreuz Jesu in Jerusalem gefunden habe, gut 300 Jahre nach der Hinrichtung Jesu. Viel wichtiger ist mir die innere Botschaft dieses Festes: das Kreuz Jesu erhöhen, heißt ja: dessen Leben und Werk in den Mittelpunkt stellen und großmachen. „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“, heißt es dazu im Johannes-Evangelium (Joh 19,30). Also genau hinschauen auf dieses Opfer von Gewalt und Folter, auf das globale Ausmaß von Gewalt überhaupt – aber eben nicht wie die Maus auf die Schlange, sondern mit den Osteraugen der christlichen Hoffnung. Weil mit der Auferweckung Jesu der verfluchte Bann tödlicher Gewalt prinzipiell gebrochen ist, können wir endlich illusionslos und angstfrei hinschauen, auch auf uns selbst in den Spiegel. Wir brauchen nicht länger Blinde Kuh zu spielen, wir können hinschauen und vor allem anpacken wie dieser Jesus. Sein Kreuz wird zum Siegeszeichen, zum Notenschlüssel, zum Durchbruch in eine gewaltfreie Welt. Feindesliebe ist möglich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40487Goldmund war sein Spitzname, aber eigentlich hieß er Johannes Chrysostomos. Von Hause aus ein syrischer Mönch, ziemlich gelehrt und der Meditation zugewandt. Aber bekannt wurde dieser Johannes durch seine Predigten, wirklich Gold wert. Das brachte ihn schließlich bis ins Zentrum der Macht und des Weltreichs: er wurde Erzbischof in Konstantinopel, damit einer der vier Patriarchen und Hausherr der berühmten Hagia Sophia. Aber seine brillianten Goldmund-Qualitäten brachten ihm auch eine Menge Ärger ein, denn er nahm kein Blatt vor den Mund. Er prangerte Missstände in der Kirche an und packte reformerisch zu; er mischte sich auch politisch ein und kritisierte Verschwendungssucht und Egoismen der Reichen und Mächtigen. Bibel und Evangelium trieben ihn um, große Teile davon konnte er auswendig, so wichtig waren sie ihm, er lebte sie auch. Die einfachen Leute schätzten das sehr, aber nicht nur im Kaiserhaus fühlte man sich angegriffen. Keine sechs Jahre im Amt wurde Johannes Chrysostomos abgesetzt und verbannt, abgeschoben nach Kleinasien zuerst und schließlich deportiert Richtung Kaukasus. Bei diesem brutalen Transport starb er, noch nicht mal 60 Jahre alt. Das war im Jahre 407, also vor mehr als 1600 Jahren.
Dieser Johannes Chrysostomos wird bis heute hoch verehrt, besonders in den Ostkirchen, er gilt als großer Kirchenlehrer und überzeugender Christenmensch. In der Tat: selbst zu leben, was man lehrt, überzeugt immer. Das biblische Gebot der Gottes- und Nächstenliebe konkret umzusetzen, ist der einzig glaubwürdige Weg. Sich dann auch einzumischen und Flagge zu zeigen, ist vorbildlich. Und die Konsequenzen zu tragen, beispielhaft. Dabei hat Johannes Chrysostomos auch schwere Fehler gemacht, das macht ihn so menschlich. Seine Aussagen über die Juden z.B. sind derart rabiat, dass sie die Judenfeindschaft leider deutlich gefördert haben.
Dass man seiner heute dennoch gedenkt, ist gut. Solch engagierte Christenmenschen braucht das Land. Menschen, die sich heraustrauen und einmischen. Einen Gedanken des großen Lehrers habe ich mir besonders gemerkt: Die Bibel bräuchten wir eigentlich gar nicht, meinte Chrysostomos, wir hätten ja den Heiligen Geist und wüssten längst, was gut ist. Tatsächlich wissen wir ja alle, dass es auf Liebe und Recht ankommt. Aber wir leben es zu wenig, die Bibel ist uns deshalb als Lebenshilfe gegeben, als Krücke und Prothese. Aber aufs Tun kommt es an, gelegen oder ungelegen. Und aufs Stehvermögen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40486Über Jahrhunderte hin war sie eine Größe, wie viele wurden auf ihren Namen getauft: Maria, die Mutter Jesu, besonders natürlich in katholischen Gegenden und Milieus. Das hat sich geändert: pompöse Mai-Andachten z.B., mit denen ich groß geworden bin, gibt es nur noch in ganz katholischen Regionen. Ein merkwürdiger Temperaturwechsel in der Marienverehrung.
Schon im Neuen Testament wird Maria eine besondere Stellung zugewiesen. Aber nicht wegen ihrer biologischen Bedeutung für die Ankunft Jesu, sondern wegen ihres Gottvertrauens. „Selig bist du, weil du geglaubt hast“. Von Anfang erscheint diese junge Frau – ihr genaues Alter kennen wir ja nicht – als wahrhaft gottempfänglich. Jahrhundertelang war das Bild von Mariä Verkündigung eines der beliebtesten in der westlichen Christenheit. In dieser wunderbaren Szene, wo der Engel eintritt und ihr die Schwangerschaft mit Jesus ankündigt, fanden sich viele Generationen wieder. In der Tat eine Urszene des Glaubens: sich derart tief von Gott angesprochen wissen und darauf so offen wie Maria reagieren - das macht den glaubenden Menschen fruchtbar. Genau wie Maria sich sagen und gesagt sein lassen: „Gegrüsst bist du, Maria, oder eben August oder Melanie, du bist voll der Gnade“; du bist erwünscht und gesegnet, du bist erwählt und hast Bedeutung. Und dann diese gewaltige Zusage: „der Herr ist mit dir“. Ja, wenn Gott wirklich mit uns ist, was kann uns dann noch passieren? Eine unglaubliche Rückenstärkung ist das, eine unglaubliche Herausforderung. Es war ja kein leichtes Leben für diese junge Mirjam: da bekommt sie einen Sohn, der dann in den Augen seiner Umwelt derart verhaltensauffällig wird; sie steht unter dem Kreuz, die Mutter Jesu, als Pieta und als seine treue Jüngerin. Und dann das „Freu dich, du Himmelskönigin, freu dich Maria, das Leid ist alles hin, Halleluja“.
Viele Marienlieder in ihrem Überschwang sind vielleicht schwer zu singen, Marias Lebens- und Glaubenssumme aber ist gewaltig. Ohne sie wäre Jesus nicht da. Ohne sie würde eine Urgestalt des Glaubens fehlen. Eine imponierende Frau. Früh schon wurde sie mit Recht als Erwählte gefeiert, man suchte ihre Fürsprache, nicht nur “ in der Stunde unseres Todes“, wie es im „Gegrüßet seist du Maria“ heißt. Das macht tiefen Sinn, denn sie ist eine von uns, von Gottes Gnaden, wie dann auch wir. Und einen besonderen Glückwunsch heute zum Namenstag allen, die Maria heißen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40485Wahrscheinlich können die Schulen bald aufhören, Fremdsprachen zu unterrichten. Die Vokabelkärtchen können dann ins Museum. Der technische Fortschritt macht es möglich: Neue Handys werden über hundert Sprachen simultan übersetzen. Dank künstlicher Intelligenz fallen bald alle Sprachbarrieren.
Dann wird es endlich wieder so wie früher: Vor langer, langer Zeit haben alle Menschen die gleiche Sprache gesprochen. So konnten sich alle gut miteinander verständigen und große Projekte planen. Zumindest steht es so in der Bibel. Zeichen des Erfolgs sollte ein großer Turm werden. Der so genannte „Turmbau zu Babel“. Doch Gott hat den Menschen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf einmal haben die Menschen einander nicht mehr verstanden: Alle waren verwirrt, denn jeder hat nun eine andere Sprache gesprochen. Da war es vorbei mit dieser Großbaustelle.
Diese Erzählung aus der Bibel will erklären, warum es so viele Sprache gibt. Ich habe aber nie ganz verstanden, warum Gott so hart eingreifen musste. In der Schule habe ich gelernt, die Menschen seien größenwahnsinnig geworden. Darum musste Gott den Turmbau stoppen und die Menschen durch verschiedene Sprachen trennen. Für mich zeigt sich Gott in anderer Weise: Wenn Menschen sich verstehen und einander zuhören. Wenn sie zusammen an einer guten Zukunft bauen. Darum finde ich es gut, wenn der technische Fortschritt neue Möglichkeiten schafft.
Um im biblischen Bild zu bleiben: Was können wir tun, damit es dieses Mal ein Erfolg wird? Keine Bauruine wie beim letzten Mal. Wenn wir alle mühelos miteinander sprechen können, kann daraus viel Gutes wachsen. Wir können darüber sprechen, welche Dinge wir gemeinsam angehen müssen. Klima, Frieden, Menschenrechte: Da müssen alle mitreden.
Neue Übersetzungsprogramme sind nur ein Werkzeug, das schaden oder helfen kann. In der Bibel geht es um Visionen für die ganze Menschheit: Aus welchem Geist heraus wollen wir leben? Auf welche Zukunft arbeiten wir hin? Ich freue mich bald über alle Grenzen hinweg darüber zu diskutieren. Egal ob auf portugiesisch, chinesisch oder persisch.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40479Nach 25 Jahren werde ich sie also alle wiedersehen: Jörn, Tina, Tobias und wie sie alle heißen. Unser Abi-Treffen steht an. Nur von wenigen weiß ich, was sie nach der Schule gemacht und erlebt haben.
Zuerst habe ich mich einfach nur darauf gefreut, meine Mitschüler nach so langer Zeit wieder zu sehen. Doch nun kreisen mir ganz verschiedene Gedanken durch den Kopf: Welche Träume hatte ich nach dem Abitur? Was davon habe ich seitdem erreicht?
Und damit sind wir bei der ersten großen Frage: Wonach bewerte ich eigentlich mein Leben? Habe ich es geschafft, wenn ich im Eigenheim wohne? Zählen Kinder und Familie mehr als der Beruf? Sollte ich um die Welt gereist sein oder einfach ein großes Auto fahren? Darauf werden die meisten nach 25 Jahre eine Antwort gefunden haben – oder die Antwort hat sie gefunden. Denn nicht alles im Leben ist planbar. Der Zufall spielt meistens eine große Rolle: Glück in der Liebe, ein Unfall beim Sport, der Umzug nach Berlin – vieles geschieht unerwartet.
Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger geht es mir darum, mich mit anderen zu messen. Ich gönne jedem seine Erfolge und will im Kopf nicht ständig vergleichen. Jeder wird sich ein gutes Leben etwas anders vorstellen. Und ich habe mich damals ganz bewusst für ein Theologiestudium entschieden. Das galt noch nie als besonders cool. Mir ist es wichtig, über Philosophie, Religion und Geschichte nachzusinnen. Würde mich wundern, wenn das die anderen in Ekstase versetzt.
Die zweite Frage, die mich beschäftigt lautet: Wie verändern sich Menschen mit den Jahren? Wen erkenne ich nach 25 Jahren noch an seinem Lachen? Wer war laut, ist nun leise? Wer war wild, ist nun brav? Oder bleiben wir doch dieselben? Das habe ich mir fest vorgenommen: Ich will nicht gleich denken: Der Sebastian hat sich ja überhaupt nicht verändert! Nicht gleich in die alten Muster verfallen. Sondern fragen, zuhören, neu kennen lernen. Jede und jeder wird viele neue Seiten entwickelt haben.
Hoffentlich konnten und können viele ihr Potenzial ausschöpfen. Denn glücklich kann ich sein, wenn ich die Talente nutze, die in mir schlummern. Wenn ich mit den Jahren verstehe, was mich ausmacht, und meine Grenzen und meine Stärken kenne. Und über die vielen Wunder staunen kann, die mir zwischen Himmel und Erde begegnen.
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