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04FEB2024
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Beim Kreisel am Ortseingang von Bad Boll steht seit ein paar Wochen ein großes Schild. Bauern aus der Region haben es dort aus Protest aufgestellt. Darauf steht zu lesen: „Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Aber sie wissen alles besser.“ Politikerinnen und Politiker dürfen sich angesprochen fühlen. Als Besserwisser. Nach Meinung der Bauern haben die nämlich viele Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen, ohne dabei wirklich einen Einblick ins Tagesgeschäft eines Landwirtes zu haben. „Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Aber sie wissen alles besser.“

Dieser Protest-Spruch ist die pfiffige Abwandlung eines Bibelverses aus dem Matthäusevangelium. Da lenkt Jesus den Blick auf die Vögel unter dem Himmel und sagt: „Sie säen nicht, sie ernten nicht. Trotzdem ernährt sie euer Vater im Himmel.“ Kein Vorwurf, sondern eine Bitte um Gelassenheit: Auch wenn du kein Vöglein bist, sondern ein Mensch: Hab Vertrauen! Lass dich nicht von deinen Sorgen auffressen. Glaub mir: Für dich ist gesorgt!

Leicht gesagt. Aber wohl schwer zu hören für Menschen, die Angst haben um ihre berufliche Zukunft. Die sich fragen, woher sie das Geld nehmen sollen für alles, was immer nur teurer wird. Die nicht wissen, wo sie noch eine warme Mahlzeit herkriegen, wenn am Ende des Monats die Vesperkirchen im Land wieder schließen. Wenn der Winter geht, aber die Sorgen bleiben. Wenn der Bauer im Märzen seine Felder instand setzt und aussät und sich fragt, ob das, was er im Spätjahr erntet, seinen Hof noch am Leben halten kann. Im Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Gottesdiensten gepredigt wird, stellt Jesus so einen Bauern in den Mittelpunkt. Und erzählt Folgendes:   

Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Bauern. Er streut die Körner auf das Land, dann legt er sich schlafen und steht wieder auf –tagaus, tagein. Die Saat geht auf und wächst –aber der Bauer weiß nicht, wie das geschieht. Ganz von selbst bringt die Erde die Frucht hervor. Zuerst den Halm, dann die Ähre und zuletzt den reifen Weizen in der Ähre. Wenn das Getreide reif ist, schickt er sofort die Erntearbeiter los, denn die Erntezeit ist da. (Markus 4, 26-29, Basisbibel)

Ich frage mich, was die Bauern wohl gedacht haben, die zu Jesu Zeiten ihre Felder am Ufer des Sees Genezareth beackert haben. Wahrscheinlich hätten sie doch am Ortsausgang von Nazareth auch ein Schild aufgestellt mit der Aufschrift: „Er sät nicht, er erntet nicht, aber er weiß alles besser!“

Was trotzdem dran sein könnte an Jesu Gedanken und wie sie uns vielleicht zu mehr Gelassenheit in einer aufgeheizten Debatte verhelfen, davon gleich mehr.

In einem Gleichnis hat Jesus einmal behauptet, dass in der Landwirtschaft alles von alleine wächst. Das hört sich schräg an in diesen Wochen, in denen so viele Bäuerinnen und Bauern im Land mehr Wertschätzung für ihre lebenswichtige Arbeit fordern. Jesus verweigert ihnen diese Anerkennung nicht. Aber er stellt sie in einen größeren Zusammenhang, wenn er sagt: „Ganz von selbst bringt die Erde Frucht hervor.“ Das heißt doch: Ganz am Anfang der Nahrungskette steht nicht die landwirtschaftliche Arbeit, sondern die wunderbare Fähigkeit der Erde, Nahrungsmittel hervorzubringen. Nehmt diese Schöpferkraft wieder wahr und staunt darüber, dass die Erde Lebensmittel wachsen lässt. Davon leben wir. Das könnte uns dankbar und gelassen machen. Denn für diese Grünkraft der Erde ist von Gottes Seite her gesorgt. Sie wird auch nicht versiegen. Sie ist der Schöpfung eingeschrieben. Verlasst euch drauf. Bäuerinnen und Bauern dürfen sie in besonderer Weise hegen und pflegen und nutzen. „Sie pflügen und sie streuen den Samen auf das Land. Doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“ Das spricht nicht gegen die Arbeit, die auf Feldern und in Ställen tagaus tagein geleistet wird. Es spricht aber alles dafür, den Blick gelegentlich doch auf die Vögel unter dem Himmel zu lenken. Und so einen Raum zu öffnen, der mancher Sorge Flügel verleiht.  

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28JAN2024
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Gewünscht: Gesundheit

Am Anfang des Jahres höre ich überall diesen Wunsch: „Bleib gesund“. Und das wünsche ich anderen auch: „Gesundheit“. Ist ja auch klar: Körperliche und geistige Gesundheit ist wichtig. Wenn ich krank bin, dann geht es mir schlecht. Ich bin beeinträchtigt. Kann vielleicht nicht aus dem Bett aufstehen. Oder nach draußen gehen. Bin auf Hilfe angewiesen. Meine Selbstbestimmung ist eingeschränkt.

An Leib und Seele gesund sein, das ist ein echtes Ziel. Auch in vielen Religionen. Gesundheit und Krankheit spielen hier eine wichtige Rolle. Praktisch alle Religionen erzählen davon, dass Glaube und Heilung miteinander verbunden sind. Auch das Christentum.

So finden sich viele Heilungsgeschichten in der Bibel, Jesus selbst tritt als Heiler auf. Manchmal therapiert er die Menschen. Legt ihnen die Hände auf. Dann wieder berührt er sie. Mixt eine Salbe. Macht sogar Tote lebendig. Es sind in aller Regel die ganz normalen Menschen um Jesus herum, die geheilt werden. Die Schwiegermutter seines engsten Mitarbeiters Petrus, Leprakranke, der Diener eines Hauptmanns, Blinde, Lahme, Stumme, die Tochter einer Frau, die zu ihm kommt. Viele mehr.

Klingt für mich toll, aber auch suspekt. Ich weiß, in der Antike gab’s ein anderes Verhältnis zu solchen Wunderheilungen. Man ging einfach davon aus, dass Gott oder die Götter gesund machen können. Dass Glaube heilt. Dass es Wunder gibt.

Seit der Aufklärung denken wir anders. Gesundheit ist eine Frage des medizinischen Wissens, der Ernährung, der guten Gene und des Glücks, etwa keinen Unfall zu erleiden. Und wenn ich zu einer Ärztin gehe, dann erwarte ich sicher keine Wunderheilung, sondern eine saubere Diagnose und eine gute Therapie.

Trotzdem berühren mich die Heilungsgeschichte der Bibel. Jesus, so wird erzählt, heilt, indem er auf Kranke zugeht, sie berührt, sich ihnen zuwendet. Das wiederum geht mir nah. Ich bin bedrückt oder niedergeschlagen, habe Grippe oder Corona: Da hilft es unheimlich, wenn sich jemand um mich kümmert. Mich in den Arm nimmt. Eine Suppe für mich kocht. Auch in der Medizin hat man das schon lange erkannt: Sich dem Kranken zuwenden, das hilft enorm beim Gesundwerden.

Das ist für mich das eigentliche Wunder: Dass die Nähe eines Menschen tatsächlich gesund machen kann – oder mich zumindest tröstet.

Sich selbst bestimmen

Gesund bleiben, gesund werden, das ist ein Menschheitsthema. Auch schon in der Bibel. Die erzählt in einer Geschichte von einem Menschen mit einem unreinen Geist. Einem Besessenen. Besessenheit, das klingt erst mal fremd. Aber so Leute kenne ich auch. Ein Kollege von mir, für den zählt nur Arbeit. Freizeit ist ein Fremdwort. In einem Film, den ich gesehen habe, ging es um einen jungen Erwachsenen, der von einem Computerspiel besessen war. Der musste immer weiter spielen. Und ich selbst war eine Zeitlang von einer Sammelleidenschaft besessen. Ich habe in jeder Stadt, in der ich war, eine Tasse gekauft. Jetzt ist mein Regal voll. Das hat mich geheilt.

Besessenheit, das heißt, ich bin nicht ganz ich selbst. Es ist so, als würde ich ferngesteuert. In der Antike hat man sich das so erklärt: Ein Dämon, ein böser Geist haust in einem Menschen. Solche bösen Geister finden sich in vielen Religionen, in Märchen und Mythen. Es sind fremde Mächte. Mächte, die Besitz vom Menschen ergreifen. Macht über ihn ausüben.

Etwas Ähnliches passiert ja auch bei Krankheiten. Heute wissen wir: Es sind etwa Viren, Bakterien, Krebszellen, aber auch ängstigende Gedanken oder neurologische Veränderungen, die für Krankheiten sorgen. Aber auch die ergreifen Macht über den Körper und die Seele. Und die müssen auch heute bekämpft werden: mit Medikamenten, mit Operationen, mit Wadenwickel, mit Salben, mit Gesprächen, mit frischer Luft. Damals wie heute heißt Gesundwerden, dass fremde, praktisch unsichtbare Mächte bezwungen werden. All das, was den Menschen krank macht.

Gesundheit hat also ganz viel damit zu tun, dass ich selbst über mein Leben bestimmen kann. Dass mich keine fremde Macht regiert. Genau das ist auch das Thema der biblischen Heilungsgeschichten. Jesus heilt den besessenen Mann, indem er den Dämon austreibt. Indem er die fremde Macht vertreibt. Und so den Menschen wieder zu sich kommen lässt. Nach der Heilung kann der Kranke nämlich wieder über sich selbst bestimmen. Ist frei. Das ist ganz nah an dem, was ich als gesund empfinde. Dass Menschen wieder Macht über ihr eigenes Leben zurückgewinnen. Sich selbst bestimmen und nicht die Krankheit bestimmen lassen. Glaube, so wie ich ihn verstehe, will genau das: Menschen frei und gesund machen.

Zu Mk 1,21-28

21 In Kafárnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge und lehrte. 22 Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. 23 In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: 24 Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. 25 Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! 26 Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei. 27 Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. 28 Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

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21JAN2024
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Wenn Sie – liebe Hörerinnen und Hörer – mit Gott zu tun bekämen, wie würden Sie sich das vorstellen? Wie müsste das aussehen? Ich vermute mal: biblisch! Auf wundersame Weise. Wenn Gott mir begegnen soll, dann sicher auf ganz außergewöhnliche Weise. Vielleicht Gott auf dem Gipfel eines hohen Berges treffen. Manche erwarten vielleicht Gott nach einem langen Fasten in sich sprechen zu hören. Gott ist ja so sehr nicht von dieser Welt, dass es doch logisch ist, Gott nur zu erwarten, wenn ich etwas wirklich Übermenschliches zu leisten hatte. 

Aber machen Sie sich bitte keinen Druck. Eine kleine Episode aus der Bibel erzählt das genaue Gegenteil. Und die erzähle ich jetzt Ihnen: 
Ein nichtjüdischer Mensch namens Naaman hat eine Hautkrankheit. Er hat zu seinen Göttern gebetet, ihnen Geschenke gemacht, hat sich in mehreren Flüssen seines Heimatlandes rituell gewaschen – nicht hilft. Schließlich bekommt er den Tipp: Schau Dich mal in Israel um. Man erzählt sich, dass der dortige Gott Kranke heilen kann. 500kg Silber und 70kg Gold nimmt er mit. So ein Gott verdient eine ganz außergewöhnliche Gabe. Ein Diener begleitet ihn. 

In Israel treffen sie schließlich auf den Propheten Elisa. Der rät Naaman: Wasche Dich siebenmal im Jordan, dann wirst Du gesund. Und Naaman weigert sich: „Ich habe mich in jedem Fluss gewaschen, ich werde das nicht noch einmal tun. Das ist doch unsinnig!“ Ich stelle mir vor, wie Elisa die Schultern zuckt und sich denkt: „Wer nicht will, der hat schon.“ Naamans Diener fasst sich ein Herz und sagt zu seinem Herrn: „Hör mal, wenn Dir der Prophet empfohlen hätte, etwas Großes zu tun, hättest Du es sicher getan. Steh Dir nicht im Weg und tu doch, was Dir zu selbstverständlich erscheint. Du hast doch nichts zu verlieren.“ Und Naaman tut das Naheliegende, wäscht sich und wird gesund. 
Am Ende will er Elisa Gold und Silber überreichen. Elisa aber lehnt das ab. Er und sein Gott brauchen solchen Zinnober nicht. 

Wissen Sie, mir gefällt das. Wer hofft, dass Gott handelt, der oder die soll das Naheliegende nicht ausschließen. Ich denke, gläubige Menschen warten oft auf den großen Knall, das große Wunder. Damit Gott seinen guten Willen auch hörbar und sichtbar macht. Aber es gehört anscheinend zu den Eigentümlichkeiten des biblischen Gottes, dass er seinen guten Willen gerade im Naheliegenden vermittelt. Das heißt aber nicht, dass Naaman ein blindes Huhn wäre.

Aber das, was eigentlich naheliegt, kann einem manchmal ganz schön fern sein. Ich hab das mal erlebt. Ich war mit einer Gruppe Teenager in Griechenland auf einer Freizeit. Eine Frau in meinem Alter, die ebenfalls als Betreuerin dabei war, war Angela. Ich hätte mit ihr gerne irgendwie auf eine gute Art und Weise Kontakte geknüpft. Aber, ich weiß nicht, warum: Jedes Gespräch von uns war geprägt von schnippischen Kommentaren. Vielleicht, weil die Jugendlichen um uns herum waren und wir beide vor ihnen gut dastehen wollten. Ich habe einen richtigen Konkurrenzkampf angefangen. Und ich wollte natürlich unbedingt gewinnen: der coolere sein und das Machtspielchen gewinnen. 

Tief in mir drin, war mir das klar. Und dass mich falsche Eitelkeit gepackt hatte – wie eine Krankheit. So ähnlich wie die Krankheit  auf der Haut von Naaman. Tief in mir drin wollte ich sie auch gerne loswerden. Aber zuerst habe ich schon gehofft, dass Gott  irgendwie eingreift, irgendetwas Außergewöhnliches passieren und unser Konflikt sich lösen würde. 

Nach drei, vier Tagen dieses völlig unnötigen Machtspielchens haben wir einen Leuchtturm an der Ägäis besucht. Der Wind hat geweht, die Sonne war warm, Angela saß alleine auf einer Mauer. Es war ein wunderschöner Tag. Aber etwas Außergewöhnliches ist nicht passiert. Und das Naheliegende schien mir so fern: Rüber gehen und zugeben, dass ich nicht ganz sauber war. Ich weiß nicht mehr, was mich angetrieben hat. Aber ich bin rüber und hab gesagt: „Wir hatten irgendwie einen schlechten Start. Ich hätte gerne positiven Umgang mit Dir. Können wir neu anfangen?“ Wieder ein paar Tage später hat sie gesagt: „Ich habe einen ganz anderen Matthias erlebt.“ Ich glaube schon, dass da der Heilige Geist geweht hat. Kraft und Versöhnung hab ich erlebt – nur halt anders, als ich erwartet hätte. Ohne Applaus, aber dafür mit Herz. 

Da hab ich was gelernt. Es war naheliegend, rüber zu gehen. Es war naheliegend, die eigene Eitelkeit zu überwinden. Mich im übertragenen Sinne zu waschen. Es hat auch nichts gekostet, schon gar nicht 500kg Silber und 70kg Gold, die Naaman aus der Bibel für ein angemessenes Geschenk gehalten hat.

Und noch etwas hab ich gelernt: Gottes gute Absicht für ein friedliches Miteinander zeigt sich im Naheliegenden. Es braucht keine außergewöhnliche Leistung, keine außergewöhnliche Erscheinung. Gar nicht so selten, liegt das, was gesund macht, nah. Das zeigt die kleine Geschichte von Naaman. 

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14JAN2024
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Vor zwei Wochen haben wir das neue Jahr begonnen und uns gute Wünsche zugesprochen. Ist inzwischen wieder alles beim Alten? Der Schweizer Dichter Jeremias Gotthelf hat einmal zu seinen Freunden gesagt: „Mit Neujahrswünschen will ich nicht Zeit und Papier verschwenden. Ihr wisst, dass mir solche Förmlichkeiten fremd sind. Überhaupt wäre es besser, die Menschen machten einander ein glückliches Leben, als dass sie es sich nur wünschten.“ Aber wie machen wir uns ein glückliches Leben, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer?

Ich lese gern die Bergpredigt Jesu. Der Evangelist Matthäus hat sie aufgezeichnet. Da steht zum Beispiel: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch Böses antut, keinen Widerstand!“

Geht das? Es mag für Jesus gegolten haben, für Gandhi oder Martin Luther King. Allerdings sind alle drei durch Gewalt umgekommen. Der Apostel Paulus sagt dagegen: „Widersteht dem Bösen“! Die Frage ist nur: wie?

Tut mir jemand etwas Böses, kommt in mir schnell der Gedanke hoch: „Wie du mir, so ich dir.“ Das haben wir gerade nach dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober in Israel erlebt. Verständlich, dass Israels Regierung Vergeltung angesagt hat. Aber löst sie das Problem? Ist jetzt nicht alles viel schlimmer geworden? Wie viel Menschen leiden?

Jesus gibt in der Goldenen Regel der Bergpredigt einen besseren Rat: „Was ihr wollt, dass euch die Andern tun, das tut auch ihnen!“

Ich denke da zum Beispiel an den amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln. Er wurde genau wie John F. Kennedy umgebracht, nur 100 Jahre früher. Lincoln hat nach seiner Wahl etwas Erstaunliches getan: Er berief seinen größten Gegner aus dem Wahlkampf in sein Kabinett. Seine Freunde haben den Kopf geschüttelt, aber er sagte: “Vernichte ich meine Gegner nicht auch dadurch, dass ich sie mir zu Freunden mache?“ Das hat ja zum Beispiel der jüdisch-argentinische Dirigent Daniel Barenboim mit seinem arabischen Freund Edward Said getan, als er das Jugendorchester West-Eastern Divan aus Juden und Arabern gründete.

Ich selbst habe seit meiner Kindheit ein Herz für Juden, denn in meinem Elternhaus wohnte eine jüdische Familie. Wir waren ein Herz und eine Seele und haben die jeweiligen religiösen Feste gemeinsam begangen.

Ich habe aber auch ein Herz für Palästina, seit ich mit meiner damaligen Böblinger Gemeinde 1979 eine Freundschaft mit palästinensischen Christen in Galiläa geschlossen habe. Was sie und ihre Verwandten im Westjordanland momentan durchmachen, das bewegt mich sehr.

                                                                       

Wenn ich nicht nur die Hamas, sondern auch die Besatzungs- und Siedlerpolitik Israels kritisiere, handle ich mir hierzulande schnell den Vorwurf ein: „Antisemit!“ Erstens ist der Begriff ungenau, weil auch die Araber Semiten sind. Zweitens: Wenn schon, müsste es „Antijudaist“ heißen. Das aber geht für mich als Christ gar nicht. Denn Jesus war und blieb Jude, und die Kirche ging aus der Synagoge hervor. Als Christ bin ich mit den Juden bleibend verbunden.

Meine Kritik richtet sich nicht an Juden, sondern an die gegenwärtige Regierung in Israel, gegen die ja auch schon zahlreiche Israeli auf die Straße gegangen sind. Deshalb ist für mich das Existenzrecht Israels keine Frage, aber ich trete auch für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser im Westjordanland und in Gaza ein.

Ich habe in Jerusalem eine Gruppe kennen gelernt, die Jesu Regel aus der Bergpredigt lebt: den Parents Circle. Das sind jüdische und arabische Eltern, die gemeinsam in eine Familie gehen, in der ein Todesopfer zu beklagen ist – ob jüdisch oder arabisch. Sie tragen das Leid gemeinsam, weil sie wissen: Leid kann man nicht gegeneinander aufrechnen, sondern nur miteinander tragen. So verwirklichen sie Jesu Wunsch: „Was ihr wollt, dass euch die Andern tun, das tut auch ihnen!“ Zu Recht haben sie unlängst einen Preis bekommen.

Ich freue mich auch, dass beim diesjährigen Weltgebetstag der Frauen im März palästinensische Christinnen zu Wort kommen. Sie haben die Gebetsvorlage erstellt. Ich habe sie bereits gelesen und bin sehr berührt von den persönlichen Zeugnissen dreier Palästinenserinnen. Was mich besonders bewegt: Trotz aller Gewalt, die diese Frauen erleben durch Siedler und das israelische Militär, sehen sie sich verwurzelt in der Liebe Jesu und möchten diese Liebe in ihre Umwelt tragen.

Meine palästinensischen Freunde in Galiläa sind Christen der orthodoxen Kirche. Sie haben meinen Horizont geweitet durch die Gottesdienste, die wir zusammen gefeiert haben, hier wie in Galiläa. So hoffe ich mit ihnen, dass der Traum Jesu wirklich wird: „Was ihr wollt, dass euch die Andern tun, das tut auch ihnen!“

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer: In diesem Sinn Gottes Segen fürs neue Jahr.

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07JAN2024
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Das neue Jahr ist genau eine Woche alt – und ich höre die Leute, um mich herum anfangen zu frotzeln: „Na – wie steht’s mit den guten Vorsätzen zum Neuen? Haben sie die erste Woche überstanden? Oder ist schon wieder alles beim alten?“

Es ist eben so eine Sache mit der Selbstoptimierung. Sich selbst zu einem besseren Menschen zu machen, ist verdammt schwer. Und es wäre ja auch toll: Sportlicher zu sein, fitter, gesünder, produktiver oder einfach auch nur – zufriedener.

Zu meiner Erleichterung beobachte ich aber auch, dass mittlerweile auch kein Weltuntergang mehr ist, zu scheitern. Wenn es mit der Selbstoptimierung nicht so klappt, und man eben auch mal Mist baut. Ein Zeichen dafür sehe ich in den Mutmach-Postkarten, die schon eine ganze Weile Konjunktur, auch jetzt wieder zum Jahreswechsel. „Irgendwas ist total schiefgegangen? Du hast Dich total blamiert?“ Dann heißt es auf der Karte: „Hingefallen? – Dann aufstehen, Krone richten und weitermachen.“ Oder auf einer anderen Karte: „Sei ganz Du selbst – es sei denn, Du kannst Superman sein. Dann sei Superman.“ Gleichzeitig fällt mir auf, dass auch Songtexte mit solchen Mutmach-Botschaften gerade Konjunktur haben: Fühle Dich lebendig. Und freu Dich auf alles, was im Leben noch kommt. Ein Hoch auf jedes Scheitern, denn es bringt Dich weiter…“

Es ist gut, das Leben positiv in den Blick zu nehmen. Scheitern kann einen weiterbringen. Und trotzdem, wenn ich diese Mutmach-Karten und -Sprüche so sehe, frage ich mich: was, wenn nicht? Was, wenn man scheitert, hart auf den Boden geknallt ist und einem irgendwelche Mutmach-Sprücke einfach den Buckel herunterrutschen können – einfach, weil gerade alles weh tut, gar keine Kraft da ist um aufzustehen und man sich wirklich, wirklich nicht fühlt wie eine Königin oder wie ein Superheld?

Wie gesagt, es ist gut, das Leben – und auch dessen schwierigen Seiten – positiv in den Blick zu nehmen. Aber was mich stört ist dieser Leistungsdruck, der in den Mutmachsprüchen versteckt schon wieder lauert. Schon wieder liegt es nur in meiner Hand, ob ich mich gut fühle oder nicht. Schon wieder ist alles, was in meinem Leben passiert, dazu da, mich selbst zu optimieren und zu entfalten. Wenn ich hingefallen bin, entfaltet sich da aber erst mal gar nix. Erst mal tut es weh. Und ich kann dann auch nicht gleich aufstehen. Erst einmal möchte ich sitzen bleiben, mir die Tränen aus den Augen wischen und mich sortieren.

Und wenn ich Glück habe – dann ist da jemand, der mir in dem Moment seine Aufmerksamkeit schenkt. Erst einmal neben mir hinkniet, mir vielleicht die Tränen aus den Augen wischt und dann aufhilft – in Ruhe und langsam… Was für ein Segen.

Heute ist der erste Sonntag nach Epiphanias, der erste Sonntag, an dem Christen feiern, dass Jesus da ist. Und dass man ihm erkennen kann, dass Gott da ist – wie einer, der neben mir hinkniet, wenn ich gefallen bin, mir aufhilft und mir vielleicht sogar die Tränen trocknet.

Am Anfang eines neuen Jahres stehen nicht nur gute Vorsätze. Ich fürchte, sogar die Mutmachssprüche, wenn es mit denen einmal nicht so klappt, fordern mich dazu auf, mich selbst zu optimieren. Und wenn etwas schiefläuft in meinem Leben, ich scheitere und auf der Nase lande, dann soll ich sogar daraus das Beste machen.

Am Sonntag heute erinnern Christen in den Gottesdiensten an die Taufe von Jesus im Jordan. Die Menschen, die dabei gewesen sind, hätten sich damals auch gerne verbessert; hätten gerne ihre Sünden abgeschüttelt, wären gerne gerechter und gottesfürchtiger gewesen. Deshalb sind sie ja auch hinausgezogen in die Wüste zu Johannes dem Täufer. Das Wasser der Taufe sollte sie rein waschen von ihren Schwächen und Fehlern.

Aber dann war da Jesus aus Nazareth, der sich hat taufen lassen. Und die Menschen haben gemerkt: Der kommt von Gott. Der ist Gottes Sohn. Und wenn wir uns selbst taufen lassen, dann sind unsere Schwächen zwar nicht wie weggespült – aber wir mit diesem Jesus verbunden und sind ebenfalls Gottes Kinder.

Heute erinnere ich mich deshalb gerne auch an meine eigene Taufe. Gerade, wenn ich meine guten Vorsätze zum neuen Jahr nicht durchhalte, nicht gesünder geworden bin, nicht fitter, nicht produktiver – noch nicht einmal zufriedener. Ich bin Gottes Kind. Und wenn ich scheitere und auf der Nase lande, dann darf ich eben auch erst einmal sitzen bleiben. Und da ist dann jemand, der mir in dem Moment seine Aufmerksamkeit schenkt. Erst einmal neben mir hinkniet, mir vielleicht die Tränen aus den Augen wischt und dann aufhilft – in Ruhe und langsam… Was für ein Segen.

Deshalb ist mein neuer Lieblings-Mutmach-Postkarten-und-Songtext-Spruch:
Hingefallen? – Dann erst mal Sich-Erholen, sich helfen und segnen lassen – und dann Aufstehen, Krone richten und weiter geht’s!

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31DEZ2023
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Auf dem Flur vor meinem Büro steht eine altehrwürdige Standuhr aus Holz. Sie sieht schön aus, aber das Uhrwerk hat schon lange seinen Dienst quittiert. Zwecklos steht sie da und erzählt nur noch von vergangenen Zeiten. Ein Spaßvogel hat sie irgendwann einmal eingestellt. Sie zeigt jetzt 5 vor 12. Immer. Manchmal spüre ich die Warnung, den Aufruf, der in dieser Uhrzeit steckt: Die Zeit läuft davon! Manchmal muss ich aber auch schmunzeln. Ich weiß ja, dass der Zeiger nicht weiter geht. 

Heute Nacht wird das anders sein. Kurz vor Mitternacht werde ich irgendwo mit Freunden stehen und diese ganz eigene Silvesterspannung spüren. Hektisch eingegossene Sektgläser. Parat gelegte Wunderkerzen. Und dann die Zeiger der Kirchturmuhr beobachten und die letzten fünf Minuten runterzählen. Sie werden ganz gewiss vergehen, bis ein Gemisch aus Feuerwerk und Kirchenglocken das neue Jahr ankündigt. Und ganz sicher werde ich mir auch eine Träne wegwischen. An Silvester bin ich melancholischer als im Rest des Jahres.

Am letzten Tag des Jahres stehen mir die Momente und Zeiten des zu Ende gehenden Jahres nochmal deutlich vor Augen. An Silvester spüre ich alles gleichzeitig. Das Staunen über die vielen schönen Momente, die mir das Jahr geschenkt hat. Die Trauer über die schweren Momente, als ich Abschied nehmen musste. Als Hoffnungen zerbrachen und Leben zu Ende gegangen ist. Ich spüre die Leere in der Ecke in meinem Herz, in dem so vieles offen geblieben ist. Direkt daneben sitzt die Dankbarkeit für schöne Zeiten. An Silvester spüre ich das alles gleichzeitig. In der Bibel ist das großartig in Worte gefasst.

Alles hat seine Zeit,
Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
(Prediger 3)

Alles hat seine Zeit. Aber nicht alle Zeiten sind deswegen gleich. Mir gefällt der Gedanke, dass Gott uns die Ewigkeit ins Herz gelegt hat – dass wir sie aber nicht ergründen können. Manchmal kann ich das spüren: In meinem Herz ist so viel Platz für mehr als für die Dinge, wie sie sind. Da ist Platz für Sehnsucht nach mehr Halt, mehr Frieden, mehr Liebe, da ist Energie für Dinge, die Mut und Entschlossenheit und Gottvertrauen brauchen. Mein Herz ist der Ort, in den Gott die Fenster zur Ewigkeit gesetzt und geöffnet hat. Nichts von dem, was mir im letzten Jahr den Kalender gefüllt, viel Lebenszeit gekostet und manchmal auch genommen hat, nichts von dem, was mich oft über Tage in Beschlag genommen hat, hat grenzenlose Bedeutung. Alles, was passiert, hat einen Anfang und ein Ende. Nur Gottes Ewigkeit ist anders. Der Prediger in der Bibel, der uns diese poetischen Worte geschenkt hat, zieht daraus eine klare Folgerung: Was uns am Ende bleibt, ist: fröhlich sein und sich gütlich tun im Leben.

Leichtigkeit in die Füße und ins Herz – auch am dünnhäutigsten Abend im Jahr. Das ist mal eine Ansage. Und ich lasse sie mir gern sagen. So kommt Luft in die Melancholie. Und über die vielen unterschiedlichen Zeiten des letzten Jahres weht ein frischer Wind.

Am Ende hält Gott jeden Augenblick in der Hand. Am Ende und von allem Anfang an hat alles seine Zeit aus Gottes Ewigkeit.

Dass ich daran glaube, führt auch dazu, dass sich am letzten Abend des Jahres mein Blick weitet. Weg von mir und dem, was mich beschäftigt hat, hin zu denen, die dieses Jahr so ganz anders beenden als ich. Hin zu denen, die so drängend und sehnsüchtig und konkret auf Frieden hoffen. Hin zu denen, bei denen jede Nacht begleitet ist vom Sausen und Pfeifen der Raketen und von der Angst um das eigene Leben. Hin zu denen, die an diesem Abend und an allen anderen Abenden des Jahres einsam sind und längst niemanden mehr haben, der ihnen ein freundliches Wort und Zuwendung schenkt.

Hin zu denen, die sich mit Sorgen fragen, wie das neue Jahr werden wird und wie sie über die Runden kommen. Hin zu Ihnen, mit welchen Gedanken und Gefühlen auch immer Sie diesen Tag heute begonnen haben. Ich glaube: Auch Sie sind in Gottes Ewigkeit aufgehoben. Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Blick zurück und gesegnete Schritte in ein gutes Jahr 2024.

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24DEZ2023
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Und: alles fertig für Heiligabend? Steht Ihr Baum schon? Vielleicht schon länger? Nadelt er sogar schon? Haben Sie alle Geschenke? Auch schon alles eingepackt? Das Abendessen vorbereitet?

Ich nerve Sie mit meinen Fragen? Entschuldigen Sie bitte! Ich will Ihnen wirklich keinen Stress machen. Ganz im Gegenteil!

Bevor Sie anfangen zu kochen und was Sie sonst für heute Abend noch vorbereiten müssen – bevor es also doch stressig wird: Da lade ich Sie heute Morgen ein, einen Moment innezuhalten. Und falls Sie heute keinen besonderen Stress haben, weil doch niemand kommt: Dann lade ich Sie gerade ein, auf diesen Moment zu achten. Und wenn da ein Gefühl von Einsamkeit nagt: das einfach mal eine Weile beiseitezuschieben. An diesem Heiligmorgen. So nenne ich diesen Morgen einfach mal.

Einen Heiligmorgen gibt’s nicht jedes Jahr. Das ist schon was Besonderes, wenn Heiligabend auf einen Sonntag fällt. Wenn man nicht noch auf den letzten Drücker durch die Geschäfte hetzt. Sondern wenn eigentlich schon der Morgen was abkriegt vom Heiligen Abend. Eine Schippe Sternenglanz. Was auch immer Sie also heute beschäftigen mag – achten Sie auf diesen warmen Glanz, der heute Morgen schon durchschimmert.  Von den Sternen, die erst später leuchten werden.

Noch ist es nicht ganz so weit. Wir warten noch. Das passt aber zu diesem Tag. Denn eigentlich ist ja heute der vierte Advent. Und Advent – das heißt Ankunft. Christus kommt. Aber noch ist er unterwegs. Wir warten.

Warten, das ist ja eher unbeliebt. Man denkt an Schlangestehen, volles Wartezimmer. Man ärgert sich über die verlorene Zeit und ist in Gedanken schon ganz woanders. Aber Warten am Heiligmorgen, Warten auf den Sternenglanz, der kommen wird und von dem ich jetzt schon ein bisschen erhasche: Das könnte ein gutes Warten sein. Ein Warten, das seinen eigenen Sinn hat. Warten darauf, dass es gut wird. Dass alles heil wird.

Ob sich das Warten lohnt? Vielleicht. Hoffentlich! Der Advent ist keine Zeitverschwendung, sondern Zeit für Hoffnung. Jetzt ist der Morgen, jetzt ist der neue Tag. Jetzt liegt etwas vor uns.

Diesem Glanz spüre ich an diesem Heiligmorgen nach. Ich merke, dass noch etwas vor mir liegt. Obwohl ich auch spüre, dass ich älter geworden bin und mehr Zeit hinter mir liegt als vor mir. Aber was weiß ich schon, was noch kommt! Und wenn ich keine besonderen Erwartungen mehr habe – was weiß ich, ob ich mich da nicht tüchtig irre! Ich ziehe mir eine warme Decke über die Schultern und will mit offenen Augen und Ohren warten. Mit wachen Sinnen für meine Umgebung. Den Sternenglanz suchen, der sich da versteckt. Jetzt, am Heiligmorgen. Einen Moment nur sehen, hören, spüren.

Vergangene Advents- und Weihnachtstage ziehen vorbei. Jeder lässt etwas Besonderes zurück. Und ich merke, es ist nicht einfach vergangen. Jetzt ist es ja da: lebendige Erinnerung! Stimmen, Bilder, und: ja, Sternenglanz. Auf den Gesichtern. In Stuben, die es so nicht mehr gibt. Sternenglanz in meinem Herzen. Auf meinem Mund, in meinen Augen.

Der Heiligmorgen ist ein Moment voller Geschenke. Manche sehe ich nur, wenn ich nach innen schaue. Vielleicht bin ich aber auch von ihnen umgeben: von Momenten, in denen ich zufrieden bin, wo jemand ein gutes Wort für mich hat oder eine liebevolle Geste. Sie mögen eher klein wirken, diese Geschenke. Vielleicht sogar armselig. Jedenfalls nicht ausreichend, um alles gut zu machen. Aber das macht nichts. Ihren Glanz und Schimmer haben sie doch.

Und sie haben eine wichtige Botschaft, diese Geschenke am Heiligmorgen: Gib die Hoffnung nicht auf! Lass dich nicht unterkriegen! Vergiss über dem Schweren oder sogar Schrecklichen im Leben nicht das Schöne. Vergiss es vor allem dann nicht, wenn das Schreckliche überhandnehmen will. Halte dich fest an dem Schönen. Lass dich davon stark machen!

Und hör‘ nicht auf, nach vorne zu schauen. Heute ist ja auch der vierte Advent. Da heißt es, hoffnungsvoll zu warten auf das, was noch kommt. Und es gibt schon Zeichen, dass da noch was kommt. Die fallen oft nicht direkt ins Auge. Aber sie sind da. Glücksmomente, hier einer und dort einer, zwischendurch, versteckt – doch wenn ich auf ihren Glanz achte, dann finde ich sie.

Und deshalb habe ich Sie eingeladen, heute Morgen einen Moment innezuhalten. Weil dieser Morgen schon etwas abkriegt vom Glanz von Heiligabend: eine Schippe Sternenglanz, von den Sternen, die heute Abend leuchten werden.

In der Bibel beschreibt der Apostel Paulus den Glanz von Heiligabend so: „Als die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, in der Welt erschienen ist, machte er uns selig.“

Freundlichkeit. Menschenliebe. Seligkeit. Das sind Stichworte für den Heiligmorgen. Darauf dürfen wir warten, voller Hoffnung. Und nach vorne schauen! Denn das ist es, was kommt.  

Ich wünsche Ihnen einen schönen Heiligmorgen! Und heute Abend einen gesegneten Heiligabend!

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17DEZ2023
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Genau eine Woche noch, dann ist Heiligabend. „Endlich“ sagen die einen, vor allem wohl viele Kinder, denen diese Adventszeit schon jetzt viel zu lange dauert. „Na und“ werden dagegen andere sagen, denen das Fest nur wenig bedeutet. Weil sie nichts damit anfangen können oder niemanden haben, der es mit ihnen feiert. „Was? Schon?“, das rufen eher die, die gerade vor lauter Hektik kaum noch zur Besinnung kommen. Denen noch alle Geschenke fehlen und die noch gar nichts vorbereitet haben.
Es ist eine ziemlich bunte Gemengelage in diesen Tagen kurz vor Weihnachten. Und da hinein heißt es in den katholischen Kirchen heute: Freut euch! So heißt nämlich dieser dritte Adventssonntag: Gaudete! Zu deutsch: Freut euch! Ehrlich gesagt, lange hat das für mich immer ein bisschen wie ein Befehl geklungen. Irgendwie nach: „Jetzt freu dich endlich!“ „Weihnachten steht vor der Tür und da hat man sich gefälligst zu freuen.“ Als Katholik ist man das zwar gewohnt: Du darfst nicht. Du musst. Du sollst. Aber sich freuen auf Kommando, das erscheint dann doch ziemlich grotesk. Und ist so wohl auch nicht gemeint. Freut euch! Das soll eher heißen: Ihr dürft euch freuen. Ihr habt Grund dazu.
Nur fällt das derzeit nicht unbedingt leicht. Auch mir nicht. Viele Menschen, die ich kenne, tun sich gerade schwer damit, sich einfach unbeschwert zu freuen. Haben den Eindruck, dass bei jedem Lachen trotzdem ein Kloos im Hals stecken bleibt. Und ja, selbst manchem Fastnachter fällt das Lachen inzwischen ein bisschen schwerer. Zu sehr drücken all die Krisen aufs Gemüt. Nach der Pandemie gleich der Krieg, all der Hass, die riesige Zahl vertriebener Menschen. Eine globale Klimakrise, die sich von Jahr zu Jahr weiter verschärft. Und über allem die Ungewissheit, was das alles für mich bedeutet. Für meine Zukunft, mein bisschen Glück. Freut euch! Fast schon naiv klingt das, wie das Pfeifen im dunklen Wald.
„Freut euch“, das steht so in der Bibel. In einem Brief an die Christengemeinde in Philippi im heutigen Griechenland. Da heißt es: Freut euch! Denn der Herr ist nahe. (Phil 4,4f) Wenn ich mir die Zeit im ersten Jahrhundert vor Augen führe, als diese Briefe entstanden sind, dann dürfte die allerdings kaum besser als heute gewesen sein. Christen waren eine winzige Minderheit. Und die Aufforderung sich zu freuen zeigt mir: Schon damals haben sich einige schwer damit getan. Freut euch, das ist auch kein Appell. Vielmehr eine Erinnerung. Erinnern an eine Hoffnung.

Worüber freue ich mich eigentlich? Da überrascht mich ein Mensch, der mich gut kennt, mit meiner Lieblingsschokolade. Einfach so, ohne Anlass. Darüber freue ich mich! Ein Violinstück, an dem ich schon wochenlang übe, gelingt mir endlich. Ich bin stolz auf mich und freue mich. Ein Projekt im Job läuft genau so, wie ich es geplant hatte. Das freut mich.
Ich merke: Es sind kleine Dinge, die mein Leben für einen Moment heller machen, die Seele streicheln, mir gut tun. Selbst dann, wenn die Welt gerade alles andere als erfreulich ist. Und es gibt ja noch eine andere Freude, die sogar in die Zukunft reicht. Auf ein paar Tage Urlaub freue ich mich oft schon Wochen im Voraus. Stelle mir vor, wie gut mir die Erholung tut. Pure Vor-Freude also! Hoffen auf das, was bald schon sein wird.
So eine Vor-Freude müssen die Christen damals gehabt haben. Fest haben sie darauf gehofft, dass Jesus bald wiederkommen wird. Sicher, er war am Kreuz gestorben und jetzt im Himmel. Aber von dort würde er zurückkommen. In Kürze schon, ganz sicher. Und dann, so hofften sie, werde Gottes neue Welt anbrechen und alles Elend hier ein Ende haben. Glücklich würden sie sein. Darauf haben sie vertraut. Darauf haben sie sich gefreut. Und daran sollen sie sich erinnern: „Freut euch. Der Herr ist nahe!“
Heute, 2000 Jahre später, erscheint das ziemlich naiv. Trotzdem hoffe ich als Christ darauf, dass Gottes neue Welt kein Hirngespinst bleibt. Dass sie einmal sein wird. Irgendwann. Die Bibel spricht in menschlichen Bildern davon: Von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, wo Gerechtigkeit herrscht. Wo kein Tod, keine Trauer, keine Klage mehr sein werden. Aber wie und wann das sein wird, das weiß ich nicht.
In einer Woche ist Weihnachten. Da erinnern sich auch heute noch Christinnen und Christen überall auf der Welt, dass Gott diese Welt nicht vergessen hat. Dass er in einem Menschen in diese Welt gekommen ist
Konkret und greifbar. Und dass er durch das, was dieser Jesus später gesagt und wie er es vorgelebt hat, eine Hoffnung in die Welt gesetzt hat. Eine Hoffnung in den Köpfen und Herzen. Freut euch darüber, heißt es heute, und hört nie auf zu hoffen. Auf eine bessere Welt, die möglich ist.

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10DEZ2023
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Wie feiern Sie heute Advent? Mit Adventskranz und Kerzen, mit Weihnachtsmusik und Gebäck? So schön das auch ist, eigentlich braucht es nicht einmal das. Jesus sagt zum Advent: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Luk 21,28)

Einfach mal das Kinn und den Kopf heben, aufatmen, aufsehen. Gott kommt auf mich zu, so verstehe ich den Advent. Hoffnung und Hilfe ist schon unterwegs.

Und das haben wir gerade jetzt so nötig. Ich habe meine Kolleginnen und Kollegen gefragt, was sie denn so umtreibt und was sie sich im Advent wünschen. Alle haben über Stress geklagt. Und dass ihnen gerade vieles große Sorgen bereitet. „Seit Corona gibt es Wolken“, hat es einer auf den Punkt gebracht, „und die Wolken verziehen sich nicht mehr“.

Ein anderer hat gesagt: „Im Trubel dieser Tage klingen keine süßen Glocken.“ Er aber sehne sich nach einem Advent, der Menschen anrührt, und sie auf Weihnachten vorbereitet. Es gehe doch „um einen mutmachenden Ton, der sich verbreiten kann“.

Mir ist dabei klar geworden, dass auch ich oft ganz andere Töne verbreite, unter vielem stöhne, statt aufzusehen und selbst ein Adventsbote zu werden.

Dabei ist mir das früher ganz gut gelungen, und es hat mir Freude gemacht. Vor einigen Jahren habe ich mich mit der Kirche sogar aufs Glatteis gewagt, um Menschen den Advent nahezubringen. Mit einer aufblasbaren Kirche sind wir am Sonntagmorgen ins Heilbronner Eisstadion, die Kolbenschmidt-Arena gegangen. Und mitten unter den Leuten, die zum Schlittschuhlaufen gekommen waren, haben wir auf dem Eis die aufblasbare Kirche aufgestellt.

Über die Lautsprecher haben wir sogar Glocken läuten lassen. Es waren die des Petersdoms in Rom. Und jedes Mal, wenn das Eis aufbereitet wurde, haben wir sie läuten lassen und zu Kurzgottesdiensten und Gesprächen eingeladen.

Es war beeindruckend zu erleben, wie viele Menschen auf der Suche nach dem echten Advent und Weihnachten waren. Ein junger Mann sagte: „Klasse, dass ihr da seid. Ich brauch das.“ Ein Junge mit Migrationshintergrund, er war etwa 10 Jahre alt, wollte mir unbedingt ein Jesuslied vorsingen, dass er gelernt hatte: Hallelu, Hallelu, Hallelu, Halleluja, preiset den Herrn...
„Kirche sollte viel öfter mitten ins Leben hineinkommen“, sagte ein anderer Mann und er meinte das sehr ernst. Eine Frau, die vor Jahren sehr harte Enttäuschungen erlebt hatte, auch mit der Kirche, sagte mir: „Ich will wieder neu anfangen. Das Beten und Singen heute hat mir Mut gemacht, es gibt mir etwas.“ Und ich habe gelernt, dass es manchmal nur einen kleinen Anstoß braucht, damit es Advent wird und Menschen den Mut finden, um den Kopf zu heben und aufzuatmen – auch ganz ohne Adventskranz und Gebäck.

Auf der Eisfläche fiel mir etwas auf, was ich bisher nicht so beachtet hatte. Wenn die Schlittschuhläufer über die glatte Oberfläche fahren, ziehen sie tiefe Rillen hinein, an manchen Stellen sogar richtige Furchen und wenn einer hart bremst, bleiben sogar Löcher im Eis. Und es sammelt sich der Eisstaub, fast wie Schnee backt er zusammen, bildet richtige Brocken und kleine Hindernisse. Die Läufer haben, bevor das Eis wieder neu aufbereitet wurde, fast nur noch nach unten und auf die Stolperfallen gestarrt, um ja nicht hinzufallen.

Als ich das beobachtete, wie die Schwünge vorsichtiger gefahren wurden und die Köpfe mehrheitlich gesenkten waren, dachte ich: So geht es auch vielen von uns. Böse und enttäuschende Erfahrungen ziehen Furchen und Rillen ins Leben, es wird immer holpriger, voller Schrunden und Unebenheiten, voller Wunden und Hindernisse.

Auch ein Leben kann holprig und schwierig werden. Da braucht es Menschen, die trösten und zuhören, die ermutigen und helfen, die heilen und begleiten, die helfen, dass man den Kopf wieder heben und aufsehen kann. Weil so die Lebensbahn auch wieder geglättet und bereinigt wird. Manchmal braucht es einfach einen ersten Schritt, eine freundliche Geste, eine Ermutigung, weil jemand allein nicht mehr hören oder gar beten oder singen kann. Weil die Hoffnung auf Gott verschwunden ist.

Im tiefsten Inneren warten viele nur darauf, dass sich etwas tut in ihrem Leben. Dass sich ein sicherer Weg auftut, ohne Furchen und Löcher. Aber sie können es nicht mehr glauben. Deshalb kommt Gott, kommt Jesus auf uns zu. Und deshalb bin ich, sind Sie gerufen auf andere zuzugehen, um den Advent ins Leben dieser Menschen zu bringen. Und sei es in einer aufblasbaren Kirche wie damals in dem Eisstadion.

Auch ein Adventskranz, Kerzen und Gebäck können das. Aber eigentlich geht es auch ohne, denn Jesus sagt zum Advent: Los jetzt. Es hat längst begonnen. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Seht auf, lasst Euren Horizont weiten. Ich habe mich längst aufgemacht. Auch wenn Ihr selbst festsitzt, ich komme auf Euch zu, um Euch zu helfen. So verstehe ich Jesus.

Das wünsche ich Ihnen, ja uns allen, dass wir in dieser Adventszeit neu glauben, aufatmen und aufsehen – und Gottes Segen und Hilfe erleben.

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03DEZ2023
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Hoffnungszeichen

Der heruntergekommene Gott

Heute ist der erste Advent; in drei Wochen feiern wir Weihnachten. Ich bin aber noch gar nicht recht in Stimmung. In den Kirchen höre ich vom Gott des Friedens, den ich feiern soll – aber weltweit schlagen sich Menschen die Köpfe ein. Die Werbung sagt mir, was für tolle Geschenke ich kaufen kann – dabei haben so viele Menschen nicht mal das Nötigste zum Leben. Überall wird es vor Weihnachten gemütlich und heimelig – doch so viele sind einsam. Das passt nicht zusammen.

Vielleicht hilft es, nochmal genauer über Weihnachten nachzudenken. Da feiern wir, dass Gott „heruntergekommen“ ist. Ich mag so doppeldeutige Worte, denn die machen oft etwas klar: Gott ist heruntergekommen, bildlich gesprochen vom Himmel auf die Erde. Aber Gott ist auch in dem Sinn „heruntergekommen“, dass er auf Glanz und Gloria verzichtet. Er lässt sich voll und ganz auf die Probleme des Lebens ein. Das fängt schon bei seiner Geburt an: Es wird erzählt, dass Josef seine Frau Maria verlassen will, als die schwanger wird; denn das Kind ist nicht von ihm. Jesus wird im Stall geboren, in völliger Armut. Und kurz nach der Geburt muss die Familie fliehen, denn Herodes hat Angst um seine Macht und lässt alle Kinder töten. So geht es auch später weiter: Jesus umgibt sich mit dem Elend seiner Zeit, den armen, kranken und ausgegrenzten Menschen.

Es sieht so aus, dass Gott die dunklen Situationen des Lebens tatsächlich kennt. Aber er wischt sie nicht einfach weg. Dass alles gut wird, verspricht er für später, auf das Ende des Lebens hin. Hier und jetzt sorgt er nur immer wieder für Lichtmomente in all dem Dunkel, für so kleine Happy Ends: Maria und Josef droht die Trennung; aber Josef läuft nicht weg. Er steht zu seiner Frau und gründet mit ihr eine Patchwork-Familie. Dass Maria ihr Kind nicht auf der Straße gebären muss, verdankt sie einem Wirt, der ihr seinen Stall überlässt. Der ist zwar armselig, strahlt aber durch die Menschen, die dort sind: Maria und Josef, die Hirten und die Könige. Wie diese Menschen miteinander umgehen, lässt den Schauplatz nebensächlich werden und verleiht ihm sogar einen gewissen Glanz. Auch die Flucht übersteht die Familie unbeschadet, denn Gott steht ihr bei.

Ich kann nicht sicher sagen, ob die Geburtsgeschichte Jesu damals genau so passiert ist. Aber denen, die sie aufgeschrieben haben, sind diese kleinen Happy Ends wichtig. Denn sie zeigen das Programm für das spätere Leben Jesu: er steht Menschen bei, hilft ihnen und holt sie aus der gesellschaftlichen Isolation heraus. Er schafft das Elend nicht ab. Aber er vertreibt ein bisschen von dem Dunkel, das ihm begegnet.

Ich glaube, darum geht es an Weihnachten: zu feiern, dass es Hoffnung gibt und das Dunkel am Ende nicht überwiegt. Ich bin vielleicht noch nicht ganz in Weihnachtsstimmung. Aber ich glaube, ich bin zumindest gut im Advent angekommen: mit jeder Kerze, die ich auf dem Adventskranz anzünde, und mit jeder Lichterkette, die ich ins Fenster hänge, mache ich mir klar, dass Gott da ist und dass er die Welt heller macht – damals und bestimmt auch heute.

 

Gott ist da, wo ich den Himmel greifen kann

Advent heißt, sich auf Weihnachten einzustimmen. Für mich bedeutet das in diesem Jahr vor allem, genau hinzuschauen und nach Spuren zu suchen, wie Gott heute da ist. Davon habe ich eben in meinen Gedanken zum ersten Advent erzählt.

In der Bibel wird berichtet, wie die Leute Jesus einmal danach fragen, wann Gott endlich das Dunkel und das Leid aus der Welt beseitigt. Er antwortet darauf: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lk 17,21) Darin steckt für mich ein Hinweis, wonach ich suchen muss: das Reich Gottes ist ein großes Wort. Für mich heißt es einfach „Himmel“ und meint alles, was mir und wahrscheinlich auch anderen guttut: Ich will ernstgenommen und respektiert werden; angenommen sein, so wie ich bin, und nicht alleine, wenn ich mal Hilfe brauche. Ich will leben können ohne Angst und Sorgen und das gerne in einer gesunden Umwelt. Das heißt aber doch: Gott ist da, wo immer der Himmel für mich und andere greifbar wird. Man kann ihn spüren, wo immer jemand etwas dafür tut, dass all das wirklich wird.

Solche Menschen gibt es. Ich habe in den letzten Tagen sehr konkret nach ihnen gesucht, zusammen mit meinen Kollegen. Wir verschicken zu Weihnachten eine Grußkarte unter dem Leitwort: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Sie zeigt die 13 Kirchengemeinden, für die wir zuständig sind, und dazu 13 Porträts von Personen, die dort leben und die Welt dort ein wenig heller machen. Es ist unglaublich, wie bunt diese Karte geworden ist:

Alfred zum Beispiel; er verschenkt Zeit an Menschen, denen nicht mehr viel Zeit bleibt; er begleitet sie auf ihrem letzten Weg bevor sie sterben. Marlene betreut Menschen, die krank, behindert und nicht mehr in der Lage sind, für sich selber zu sorgen; sie geht für sie aufs Amt, ins Gericht oder zur Krankenkasse. Marcel ist nachts ansprechbar, wenn obdachlose Menschen etwas brauchen. Anja ist Familienpatin; sie bastelt und spielt mit Kindern, wenn deren Eltern das nicht können. Harald verlegt in seinem Wohnort so genannte „Stolpersteine“ und erinnert daran, was die jüdischen Mitbürger dort durchmachen mussten. Andere halten ältere Menschen mit Gymnastik fit, verkaufen fair gehandelte Waren oder tun etwas für die Umwelt.

Es heißt ja: an Weihnachten berühren sich Himmel und Erde. Für mich ist es in diesem Jahr zu wenig, einfach nur Lichter anzuzünden, das Haus zu schmücken und an das zu denken, was damals in Betlehem passiert ist. Ich nutze den Advent, um Spuren zu suchen, wo Menschen anderen Mut machen. Wo sie ihnen Hoffnung geben, weil sie sie wertschätzen und mit dem Päckchen, das sie tragen müssen, ernstnehmen. So wie Alfred und Marlene, Anja und die anderen. Und Advent heißt für mich am Ende auch zu schauen, wo ich vielleicht mein eigenes kleines Licht anzünden könnte, durch das Gott hier und heute ankommen kann.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten ersten Advent.

 

 

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