SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Hoffnungszeichen
Der heruntergekommene Gott
Heute ist der erste Advent; in drei Wochen feiern wir Weihnachten. Ich bin aber noch gar nicht recht in Stimmung. In den Kirchen höre ich vom Gott des Friedens, den ich feiern soll – aber weltweit schlagen sich Menschen die Köpfe ein. Die Werbung sagt mir, was für tolle Geschenke ich kaufen kann – dabei haben so viele Menschen nicht mal das Nötigste zum Leben. Überall wird es vor Weihnachten gemütlich und heimelig – doch so viele sind einsam. Das passt nicht zusammen.
Vielleicht hilft es, nochmal genauer über Weihnachten nachzudenken. Da feiern wir, dass Gott „heruntergekommen“ ist. Ich mag so doppeldeutige Worte, denn die machen oft etwas klar: Gott ist heruntergekommen, bildlich gesprochen vom Himmel auf die Erde. Aber Gott ist auch in dem Sinn „heruntergekommen“, dass er auf Glanz und Gloria verzichtet. Er lässt sich voll und ganz auf die Probleme des Lebens ein. Das fängt schon bei seiner Geburt an: Es wird erzählt, dass Josef seine Frau Maria verlassen will, als die schwanger wird; denn das Kind ist nicht von ihm. Jesus wird im Stall geboren, in völliger Armut. Und kurz nach der Geburt muss die Familie fliehen, denn Herodes hat Angst um seine Macht und lässt alle Kinder töten. So geht es auch später weiter: Jesus umgibt sich mit dem Elend seiner Zeit, den armen, kranken und ausgegrenzten Menschen.
Es sieht so aus, dass Gott die dunklen Situationen des Lebens tatsächlich kennt. Aber er wischt sie nicht einfach weg. Dass alles gut wird, verspricht er für später, auf das Ende des Lebens hin. Hier und jetzt sorgt er nur immer wieder für Lichtmomente in all dem Dunkel, für so kleine Happy Ends: Maria und Josef droht die Trennung; aber Josef läuft nicht weg. Er steht zu seiner Frau und gründet mit ihr eine Patchwork-Familie. Dass Maria ihr Kind nicht auf der Straße gebären muss, verdankt sie einem Wirt, der ihr seinen Stall überlässt. Der ist zwar armselig, strahlt aber durch die Menschen, die dort sind: Maria und Josef, die Hirten und die Könige. Wie diese Menschen miteinander umgehen, lässt den Schauplatz nebensächlich werden und verleiht ihm sogar einen gewissen Glanz. Auch die Flucht übersteht die Familie unbeschadet, denn Gott steht ihr bei.
Ich kann nicht sicher sagen, ob die Geburtsgeschichte Jesu damals genau so passiert ist. Aber denen, die sie aufgeschrieben haben, sind diese kleinen Happy Ends wichtig. Denn sie zeigen das Programm für das spätere Leben Jesu: er steht Menschen bei, hilft ihnen und holt sie aus der gesellschaftlichen Isolation heraus. Er schafft das Elend nicht ab. Aber er vertreibt ein bisschen von dem Dunkel, das ihm begegnet.
Ich glaube, darum geht es an Weihnachten: zu feiern, dass es Hoffnung gibt und das Dunkel am Ende nicht überwiegt. Ich bin vielleicht noch nicht ganz in Weihnachtsstimmung. Aber ich glaube, ich bin zumindest gut im Advent angekommen: mit jeder Kerze, die ich auf dem Adventskranz anzünde, und mit jeder Lichterkette, die ich ins Fenster hänge, mache ich mir klar, dass Gott da ist und dass er die Welt heller macht – damals und bestimmt auch heute.
Gott ist da, wo ich den Himmel greifen kann
Advent heißt, sich auf Weihnachten einzustimmen. Für mich bedeutet das in diesem Jahr vor allem, genau hinzuschauen und nach Spuren zu suchen, wie Gott heute da ist. Davon habe ich eben in meinen Gedanken zum ersten Advent erzählt.
In der Bibel wird berichtet, wie die Leute Jesus einmal danach fragen, wann Gott endlich das Dunkel und das Leid aus der Welt beseitigt. Er antwortet darauf: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lk 17,21) Darin steckt für mich ein Hinweis, wonach ich suchen muss: das Reich Gottes ist ein großes Wort. Für mich heißt es einfach „Himmel“ und meint alles, was mir und wahrscheinlich auch anderen guttut: Ich will ernstgenommen und respektiert werden; angenommen sein, so wie ich bin, und nicht alleine, wenn ich mal Hilfe brauche. Ich will leben können ohne Angst und Sorgen und das gerne in einer gesunden Umwelt. Das heißt aber doch: Gott ist da, wo immer der Himmel für mich und andere greifbar wird. Man kann ihn spüren, wo immer jemand etwas dafür tut, dass all das wirklich wird.
Solche Menschen gibt es. Ich habe in den letzten Tagen sehr konkret nach ihnen gesucht, zusammen mit meinen Kollegen. Wir verschicken zu Weihnachten eine Grußkarte unter dem Leitwort: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Sie zeigt die 13 Kirchengemeinden, für die wir zuständig sind, und dazu 13 Porträts von Personen, die dort leben und die Welt dort ein wenig heller machen. Es ist unglaublich, wie bunt diese Karte geworden ist:
Alfred zum Beispiel; er verschenkt Zeit an Menschen, denen nicht mehr viel Zeit bleibt; er begleitet sie auf ihrem letzten Weg bevor sie sterben. Marlene betreut Menschen, die krank, behindert und nicht mehr in der Lage sind, für sich selber zu sorgen; sie geht für sie aufs Amt, ins Gericht oder zur Krankenkasse. Marcel ist nachts ansprechbar, wenn obdachlose Menschen etwas brauchen. Anja ist Familienpatin; sie bastelt und spielt mit Kindern, wenn deren Eltern das nicht können. Harald verlegt in seinem Wohnort so genannte „Stolpersteine“ und erinnert daran, was die jüdischen Mitbürger dort durchmachen mussten. Andere halten ältere Menschen mit Gymnastik fit, verkaufen fair gehandelte Waren oder tun etwas für die Umwelt.
Es heißt ja: an Weihnachten berühren sich Himmel und Erde. Für mich ist es in diesem Jahr zu wenig, einfach nur Lichter anzuzünden, das Haus zu schmücken und an das zu denken, was damals in Betlehem passiert ist. Ich nutze den Advent, um Spuren zu suchen, wo Menschen anderen Mut machen. Wo sie ihnen Hoffnung geben, weil sie sie wertschätzen und mit dem Päckchen, das sie tragen müssen, ernstnehmen. So wie Alfred und Marlene, Anja und die anderen. Und Advent heißt für mich am Ende auch zu schauen, wo ich vielleicht mein eigenes kleines Licht anzünden könnte, durch das Gott hier und heute ankommen kann.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten ersten Advent.
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