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14OKT2012
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Der Apostel Paulus hat in kirchlichen Kreisen nicht unbedingt einen frauenfreundlichen Ruf. Zu Unrecht, finde ich, denn zumindest im 1. Thessalonicherbrief zeigt sich der Apostel eben nicht als verknöcherter Frauenfeind, sondern entpuppt sich als feministischer Revolutionär - jedenfalls für seine Zeit und dafür, wie damals über Frauen gedacht wurde. Paulus redet den Männern in Thessaloniki ins Gewissen. Sie sollen ihre Ehefrauen: Verführen! Wörtlich schreibt er in 1. Thessalonicher 4, dass jeder „seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit." Gewinnen - das klingt nach Werben und Zärtlichkeit, und das dürfte den Herren in Thessaloniki nicht nur gut in den Ohren geklungen haben. Denn nicht jeder der christlichen Brüder wird sich die Mühe gegeben haben, seine Ehefrau mit Zärtlichkeit und als ebenbürtige Partnerin mit Respekt zu verführen, ja in ihr ein heiliges, besonderes Geschöpf zu entdecken. Doch gerade das erwartet Paulus von den Christenmännern in der Gemeinde! Und noch mehr, er verbietet die Unzucht, und das heißt für den antiken Mann nichts anderes als: Lass die Finger von der Sklavin!
Wir sollten es uns auf der Zunge zergehen lassen: Paulus spricht von zärtlicher Verführung der eigenen Ehefrau, und das kann ja bekanntlich durchaus Spaß machen - oder auch unbequem sein für den einen oder anderen, der die Gattin eher vernachlässigt oder links liegen lässt aus Unlust. Ich finde also, dass Paulus ein richtiger Frauenfreund ist. „Moment mal" wenden da einige feministische Theologinnen ein, „schau mal in den griechischen Urtext, da steht doch wörtlich „Gefäß". Tatsächlich, es gab eine stehende Redewendung damals für die sexuelle Gemeinschaft: „Sich eines Gefäßes zu bedienen." Die Frau, ein Gefäß, das vom Mann gefüllt wird, das ist doch wirklich frauenfeindlich - oder?
Ich will die Gedanken der Antike und des Paulus ja nicht umfassend in Schutz nehmen. Klar, Frauen sind keine Gegenstände, kein Besitz und erst recht keine Gefäße. Trotzdem möchte ich dem Begriff Gefäß etwas abgewinnen. Das griechische Wort kann auch Leib bedeuten, und Schatz. Und im griechischen Text steht: Sein Gefäß. Das fasziniert mich, das schillert. Mein und dein Leib, ein Schatz, ein Gefäß. Wenn du dein eigenes Gefäß mit Respekt behandelst, dann respektierst du dich selbst. Ich kann mir also vorstellen, dass Paulus mit „Gefäß" nicht nur „die Frau" meint, sondern eben auch jeden selbst.
Hier kommen wir dem schon ganz nah, was Paulus antreibt. Ihm geht es um viel mehr als um: Tue Recht und Pflicht. Ihre ehelichen Rechte und Pflichten erfüllten die Männer damals, jedoch nicht immer zur umfassenden Freude ihrer Frauen. Paulus will viel mehr und anderes! Paulus erkennt den Willen Gottes in lebendigen Beziehungen, in denen Menschen spüren und erleben, dass sie geliebte Geschöpfe sind, dass sie leben, um Gott zu gefallen. Das hat viel mit Heiligung zu tun. Und Heiligung bedeutet ganzes, reiches und erfülltes Leben. Hagiasmo, Heiligung, das ist ein ganz seltenes, kostbares Wort, es kommt nur wenige Male im Neuen Testament vor, in diesem 1. Thessalonicherbrief des Apostels etwa. Heiligung ist etwas Wertvolles, ein Prozess, in dem Menschen erfahren, dass ihr Leben mehr ist als dumpf dahinzuvegetieren, dass es reich sein kann, und schön, ganz nah bei Gott. In auserlesenen Stunden dürfen wir Menschen das auch erfahren. In der Liebe kann es geschehen. Das sind ganz atemberaubende Momente, geheimnisvoll auch. Da sind wir Menschengefäße beziehungsreich, liebevoll, da lebt Gott in den zerbrechlichen, verwundbaren, kostbaren Menschengefäßen. Die auch zerstört werden können, wenn man sie verletzt. Das wusste Paulus, und das will er nicht.
Deshalb: Wer die Kostbarkeit der Menschen-Gefäße verachtet, der verachtet mit den Menschen auch Gott.
Paulus weiß, dass Menschen einander im Weg stehen können, sich verletzen können. Sie können aber auch anders, und ich finde es schön, dass er uns daran erinnert. Keine schlechte Nachhilfe in Sachen Lebens- und Liebeskunst, die uns der Apostel Paulus bietet. Dass wir uns nämlich gegenseitig liebevoll helfen können, heil zu werden, innerlich und äußerlich. Und dass das kein lustloser, staubtrockener Weg sein muss, sondern liebevoll und lustvoll sein darf. Es gibt eine Verführung in der Ehe. Und wenn uns der Apostel dabei ein wenig nachhilft - umso besser.

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07OKT2012
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Heute Vormittag wird Papst Benedikt XVI. in einem großen Festgottesdienst auf dem Petersplatz in Rom die Heilige Hildegard von Bingen zur Kirchenlehrerin erheben. Gleichzeitig beginnt mit dieser Feier die Weltbischofssynode mit der Suche nach neuen Wegen der Evangelisierung. Als Delegierter der Deutschen Bischofskonferenz kann ich selbst daran teilnehmen. 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen Beginn sich am kommenden Donnerstag zum 50. Mal jährt, bewegt es mich als Nachgeborener, auf diese Weise mit einem jüngeren Aufbruch der Kirchengeschichte in Berührung kommen zu dürfen. Ich habe nur vage Kindheitserinnerungen an das Konzil, weiß noch, dass meine Eltern und andere Erwachsene damals mit großem Interesse dabei waren, oft davon sprachen und sich schon bald danach in der Liturgie der Kirche manches änderte. Als Ministrant habe ich später erlebt, wie hilfreich es war, die Heilige Messe in der Muttersprache mitfeiern zu können. Im Religionsunterricht auf dem Gymnasium und als Student der Theologie habe ich später die Texte des Konzils kennengelernt und bin von ihrer geistlichen Sichtweise der Kirche als Zeichen für die Welt tief beeindruckt. Ihr spirituelles Profil ist die pastorale Wegweisung. Die Texte des Konzils atmen den Geist, den Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch in unserem Land vor einem Jahr prägnant ins Wort gebracht hat, als er von der Entweltlichung der Kirche im Interesse einer größeren Zuwendung zu den Menschen gesprochen hat. Nicht Weltflucht, sondern Sauerteig in der Welt, Kontrast zu einer Beliebigkeit, Wachsamkeit für eine Kritik an der Kritik ist manchmal das Kreuz Jesu, zu dem die Kirche zu stehen hat. Das Konzil sieht die Kirche nicht von der Welt, wohl aber für die Welt bestimmt.

Im Zeugnis der Heiligen Hildegard von Bingen leuchtet viel von dieser Freiheit und Verbindlichkeit auf. Ihre große Popularität in unserer Gesellschaft weit über kirchliche Kreise hinaus, lässt erkennen, wie sehr die Menschen heute nach einer geistlichen Nahrung hungern, die sie über den Alltag dieser Welt hinaus führt. Die drei Hauptwerke, die die Hl. Hildegard hinterlassen hat, zeugen von einer tiefen Kenntnis der menschlichen Seele, mit ihren Grenzen und verweisen darauf, dass der Mensch in der betenden Begegnung mit Gottes Größe über sich hinauswächst. Das erste Buch „Sci vias - Wisse die Wege" ist ein Zeugnis ihrer eigenen Berufung zu einem Menschen, der sich die Sicht Gottes auf diese Welt zu Eigen gemacht hat. Das zweite „Buch der Verdienste" spricht von den Lastern des Lebens und der Gabe des Glaubens, diesen so ins Auge schauen zu lernen, dass der Blick an den menschlichen Grenzen bis zur Größe Gottes durchbricht. Das Altenwerk Hildegards ist ihr „Buch vom Wirken Gottes", das seine Schöpfung zu verstehen versucht und daraus die Erkenntnisse ableitet, was den Menschen heilt, der krank wird, wo er seine Mitte als Geschöpf Gottes verliert.
Darüber hinaus hat die Hl. Hildegard von Bingen 390 Briefe hinterlassen, die zeigen, wie sie mit Päpsten und Herrschern ihrer Zeit im Austausch stand und sich nicht scheute mahnende Worte zu wagen, wo in Kirche und Welt der Blick auf Gott verstellt ist.
Innerlichkeit und Bodenständigkeit bestimmen ihr Zeugnis und machen sie zu einer Orientierung für uns, wenn es gegenwärtig darum geht, den prophetischen Platz der Kirche in der Welt auszumachen. Liebe zu Gott, Verantwortung für die Schöpfung, eine Unterscheidung der Geister und die Bereitschaft, Umkehr zu wagen, sind Weisungen, die das Zweite Vatikanische Konzil als das wahre Aggiornamento, als dringliche Zeitansage im Licht des Evangeliums begreift. Wenn seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einzig Frauen zur Kirchenlehrerin erhoben worden sind - Katharina von Siena, Teresa von Avila, Terese von Lisieux, und heute Hildegard von Bingen - kommt darin zum Ausdruck, was Papst Benedikt als ihre Wegweisung herausstellt: „mutig die Zeichen der Zeit" zu erkennen und sie im Licht des Evangeliums zu verstehen.

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Haben Sie noch die Bilder von der Olympiade vor Augen: die sportlichen Wettkämpfe, dann die strahlenden Sieger auf dem Podest, die ihre Medaille in Empfang nahmen? Natürlich, es gab auch die Niederlagen, bittere Enttäuschungen. Das gehört zu einem Wettkampf. - Eine Art „Wettkampf" ist auch das Leben. In unterschiedlichen „Disziplinen" kann man siegen oder verlieren. Zum Beispiel in der Disziplin Geduld haben, wenn einen jemand mit seiner Art, seinem Verhalten nervt. Oder in der Disziplin Versöhnung suchen nach einem Streit, den ersten Schritt zu einem Neuanfang wagen. Oder in der Disziplin seine Meinung vertreten, auch wenn man weiß, dass die nicht gerne gehört wird. Oder in der Disziplin zuversichtlich bleiben, wenn es einem so richtig schlecht geht und man nicht weiß, wie es mit einem weitergehen soll. Wer möchte da nicht siegen - im Streit gegen die eigene Ungeduld, gegen den Wunsch, recht zu behalten, gegen die Feigheit, die nicht anecken will, gegen Verzweiflung und Mutlosigkeit. Es ist ein Kampf gegen sich selbst, den man im Leben immer wieder zu führen hat. Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man aber auch.
Wie ist das beim christlichen Glauben? Im 1. Johannesbrief steht der Satz: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Heißt das, dass Menschen, wenn sie nur glauben, immer Sieger bleiben, Sieger im Kampf gegen sich selbst? Nach dem 1. Johnnesbrief gibt es einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen dem Glauben an Gott, der Liebe zu ihm und der Liebe zum Nächsten. Ist es das? Ist es die Liebe, die im Kampf gegen sich selbst den Sieg davonträgt. Manchmal erfahre ich es so, erlebe, wie mir die Kraft der Liebe hilft, in den verschiedenen „Disziplinen" meines Lebens zu siegen.  Aber dann bleibe ich auch immer wieder Liebe schuldig und erlebe mich als Teil der Welt, in der die Liebe so wenig Platz hat, in der es das Böse, Leid und so viel Elend gibt. Es gibt einfach zu Vieles in meinem Leben und in der Welt, mit dem ich nicht fertig werde. Wie soll ich gegen all das gewinnen?  So erlebe ich Beides: Manchmal gewinnt mein Glaube im Kampf des Lebens. Aber zu oft verliere ich auch und bleibe hinter dem Satz vom Sieg des Glaubens weit zurück.
Ich kann den Satz vom Glauben, der die Welt überwindet, nur verstehen und annehmen, wenn ich ihn mit einem Wort aus dem Johannesevangelium verbinde. Dort sagt Jesus seinen Jüngern: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Also doch: In der Welt, in der ich lebe und zu der ich gehöre, werde ich auch als Mensch, der glaubt, die Angst nicht los. Sie gehört zu dieser Welt. Ich kann gar nicht Sieger sein über das Leid in meinem Leben und das Elend in der Welt. Ich kann nicht gewinnen gegen das Unrecht, das ich aus Mangel an Liebe selbst begangen habe, und nicht gegen das Böse, das Menschen tun und erleiden. Ich kann auch nichts dagegen tun, dass meine Zeit begrenzt ist; ich bin wehrlos gegen die Macht des Todes. Aber nun werde ich durch Jesu Wort aufgefordert, von mir wegzusehen und meinen Blick auf ihn zu richten. Er hat die Welt überwunden, weil durch ihn eine Macht erkennbar und glaubhaft geworden ist, in der auch ich mich bergen kann: die Macht der Liebe, der Liebe Gottes. Ihm kann ich mich mit dem, was mir gelingt, und mit dem, woran ich scheitere, anvertrauen und glauben, dass Gottes Liebe mich umfängt und trägt. Und ich kann hoffen, dass alles, was mich ängstigt und belastet, nicht das Letzte ist, sondern dass die Zukunft der Liebe Gottes gehört. Mit diesem Vertrauen und dieser Hoffnung habe ich Anteil am Sieg Jesu, der die Welt überwunden hat. Und ich gewinne Kraft, immer wieder gegen all das zu kämpfen, was mein Leben oder das Anderer belastet. In diesem Sinne ist der Glaube tatsächlich der Sieg, der die Welt überwindet.

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23SEP2012
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„Wir haben die Pest besiegt und die Pocken überwunden. Wir haben Medikamente gegen Tuberkulose und Typhus entwickelt. Nur gegen den größten Krankheitserreger kommt die Medizin allein nicht an - Armut." So heißt es in einem Videoclip zur Kampagne 2012 des deutschen Caritasverbandes. Die trägt den Titel „Armut macht krank". Auf vielfältige Weise möchte die Caritas informieren und helfen, und die katholischen Pfarrgemeinden Deutschlands beteiligen sich gerade an den Sonntagen im September an dieser Kampagne. Denn es stimmt: Krankheit und Armut bedingen sich gegenseitig. Armut macht krank, wenn man sich z. B. die notwendigen Medikamente nicht leisten kann. Krankheit macht aber auch arm; - dann etwa, wenn eine ohnehin schon unsichere Arbeitsstelle gekündigt wird, weil die Mitarbeiterin länger krank ist.
Wir haben das Glück, in einem Staat mit einem guten Gesundheits- und Sozialsystem zu leben. Darum beneiden uns viele Menschen auf der Welt. Trotzdem gibt es Lücken, durch die immer wieder Menschen in die Perspektivlosigkeit fallen. Sie resignieren; sie halten die seelische und oft auch körperliche Dauerbelastung nicht mehr aus. Antriebslosigkeit, Vereinsamung, Abhängigkeit von Drogen und Alkohol können die Folge sein. Es ist ein Teufelskreis, eine Spirale abwärts. Diesen Teufelskreis können Sozial- und Gesundheitssysteme allein tatsächlich nicht aufhalten. Als Mitbürger, aber vor allem auch als Christ lässt mich das nicht unberührt. Denn die Sorge für die Armen gehört schon von Anfang an zur Geschichte Gottes mit den Menschen; sie gehört zu dem Bund, den Gott mit Mose und dem Volk Israel schließt. Alle sieben Jahre soll der Bauer sein Feld brach liegen lassen; und alles, was dann dort wächst, soll den Armen gehören (vgl. Ex 23,10f). Diese Weisung aus dem Buch Exodus liest sich wie ein Grundbaustein für eine moderne Solidargemeinschaft.
Wie wichtig Solidarität ist, zeigt eine andere biblische Szene. Einer der vielen Wunderberichte um Jesus erzählt von einem Mann; der liegt in der Nähe eines Wasserbeckens, dem Heilkräfte zugeschrieben werden. Als Jesus fragt: „Willst du gesund werden?" antwortet er: „Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich trägt" (Joh 5,1-8). Ohne die Hilfe von anderen kann er sein Leben nicht in den Griff bekommen. Wie gut hat es dagegen der Mann, den seine Freunde auf einer Trage zu Jesus bringen, weil sie sich von ihm Heilung erhoffen (Mk 2,1-12). Doch sie haben keine Chance. Der Weg zu Jesus ist versperrt; das Haus, in dem Jesus sich aufhält, ist belagert von Menschen. Da ist kein Durchkommen. Aber die Freunde geben nicht auf. Durch die Tür kommen sie nicht, also steigen sie aufs Dach, brechen ein Loch hinein und lassen den Kranken direkt vor Jesu Füße hinab. Das ist Solidarität, wie wir sie uns auch im 21. Jahrhundert wünschen. Denn nur dann, wenn jeder sich seiner Verantwortung für den Nächsten bewusst ist; wenn man nicht aufgibt und auch ungewohnte Wege wagt - wie die Freunde des Gelähmten auf der Trage: nur dann können wir gegen den großen „Krankheitserreger Armut" wirksam angehen. Natürlich, um Armut und Krankheit zu bekämpfen, brauchen wir die Kraft unserer ganzen Gesellschaft und der Politik. Wir brauchen viel Geld, viele gute Ideen, Netzwerke und Hilfsorganisationen; wir brauchen die gelebte Nächstenliebe vieler Einzelner. Gerade sie entspringt aber oft der tiefsten Überzeugung des christlichen Glaubens. Gottes Liebe gilt jedem, egal was er verdient, egal ob er gesund oder krank ist, ob er auf unserer sozialen Erfolgsleiter unten oder oben steht. Ich weiß, dass das leicht gesagt ist. Ich weiß aber auch, wie viele Menschen aus ihrem Glauben die Kraft schöpfen zu helfen, wo es nötig ist. Und ich weiß, dass ihr Glaube vielen Menschen Kraft gibt, die Situationen zu tragen, ja zu meistern, die ihnen das Leben zumutet. 
Aus dieser Kraft des Glaubens heraus wünsche ich Ihnen, Ihren Familien und allen, die Ihnen verbunden sind, eine gesegnete Feier des Sonntags!

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Gibt es das noch, das Heilige? In unserer Moderne. Wo ich gewohnt bin allen Erfahrungen, die ich mache rational auf den Grund zu gehen. Sei es Erfahrungen in der Natur, mit mir selbst und mit meiner Umgebung?
Der Religionswissenschaftler Rudolf Otto hat in seinem Buch „Das Heilige" gemeint, ja, das gibt es noch. Es gibt auch in der Moderne Erfahrungen, die aus dem gewohnten Fluss des Lebens herausragen. Entweder weil sie mich ergreifen und sprachlos machen in ihrer Schönheit. Oder aber weil sie so abgründig sind und einen so erschrecken, dass eine rationale Erklärung weder die Schönheit noch die Abgründe erfassen kann. Rudolf Otto hat für diese beiden Erfahrungen ein starkes Begriffspaar geprägt: Das Heilige zeigt sich für ihn zum einen als „mysterium fascinosum" und zum anderen als „mysterium tremendum".
Fasziniert und staunend bin ich vor zwei Wochen im Urlaub zwischen den grandiosen Felsenformationen im Elbsandsteingebirge gewandert. Fasziniert bin ich immer wieder stehen geblieben, um diese großartige Natur wirklich wahrnehmen zu können. Und auch wenn ich mir rational erklären kann, wie sich diese Felsen entwickelt haben. Das Wissen mindert nicht mein Staunen, es erweitert die Wahrnehmung, aber es verdrängt die staunende Faszination nicht.
Ich finde, ja, es gibt sie noch die Erfahrungen des Heiligen. Für mich als Christ weisen sie auf Gott hin.
Ein paar Tage später, zurück aus dem Urlaub, habe ich die andere Seite des Heiligen gespürt. Die Erschreckende. Mitten im Alltag. Ich komme heiter und nichts Böses erwartend ins Büro. Mache einen Abstecher zu Kolleginnen, bei denen es immer was zu lachen gibt. Aber als ich in ihr Zimmer komme, ist mit Händen zu greifen: Hier ist was passiert. Mit Tränen in den Augen erzählen die beiden, dass ihre Kollegin am Schreibtisch einen Schlaganfall erlitten hat. Gerade gestern. Der Schreck sitzt ihnen noch in den Gliedern: Wie abgründig das Leben doch manchmal sein kann. Im Moment können sie nur hoffen.
Wenn es stimmt, dass es solche heiligen Erfahrungen immer noch gibt, dann stellt sich mir die Frage: Wie begegnet man ihnen angemessen? Wenn Erfahrungen so außergewöhnlich sind, reicht dann das normale Verhalten, das mich sonst durch meinen Alltag trägt? Was ist angemessen für die beiden Kolleginnen? Wie sollen sie mit ihrem Erschrecken umgehen?
Paulus hat in seinem Brief an die Gemeinde im kleinasiatischen Galatien einen Rat gegeben, die für meine Ohren erstaunlich modern und angemessen klingt. Er meint, dass man dem Heiligen in einem adäquaten Geist begegnen sollte:
Er schreibt:
Wenn wir durch den Geist Gottes das Leben haben, dann gilt:
Aus diesem Geist heraus wollen wir auch unser Leben führen.
Wir sollen nicht überheblich auftreten, einander nicht herausfordern und nicht neidisch aufeinander sein.
Helft einander, die Lasten zu tragen. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus gegeben hat. Solange wir noch Zeit haben, wollen wir allen Menschen Gutes tun. (Gal 5,25-26; 6,1-3.7-10)
Ich verstehe das so: Es ist wichtig, über Heilige Erfahrungen nicht hinweg zugehen, im Gegenteil: Sie aufmerksam zu beachten. Und aktiv anzugehen. Wenn das Heilige den Alltag unterbricht, ist es angemessen, sich unterbrechen zu lassen. Ich glaube, für die beiden Kolleginnen z. B. ist es wichtig, dass sie an ihrem Arbeitsplatz über ihre Erfahrung sprechen können. Dass Vorgesetzte das zulassen und fördern. Die Last des Schreckens miteinander zu tragen bedeutet auch, dass die Kollegin im Krankenhaus nicht vergessen wird.
Und die anderen Heiligen Erfahrungen, die einen faszinieren und staunen lassen wie die Felsen im Elbsandsteingebirge? Auch sie verdienen es, dass ich sie nicht übergehe. Sondern sie in Worte fasse und dankbar bin, auch für die glücklichen Momente, die das Heilige uns schenken kann.

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09SEP2012
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Ist Dialog möglich? Dialog als Grundhaltung? Als die ehrliche Bereitschaft, auf einander zu hören, sich gegenseitig auch bei unterschiedlichen Meinungen mit Respekt zu begegnen und Verständigung zu suchen?
Diese Frage ist nicht rhetorisch gemeint, sondern drückt eine ernste Sorge aus. Ich erlebe zurzeit, wie schwer sich unterschiedliche Gruppierungen in der Kirche damit tun, unvoreingenommen ins Gespräch mit einander zu kommen und im Gespräch zu bleiben. In unserer Gesellschaft melden sich Menschen mitunterschiedlichsten Lebenskonzepten zu Wort und können sich oft kaum mehr verständigen. Dabei sehe ich auch, dass christliche Grundüberzeugungen ins Abseits geraten, als unaufgeklärt abgelehnt oder angefeindet werden. Umgekehrt sind freilich auch Christen manchmal in der Gefahr, den Vertretern anderer Positionen ihre moralische Ernsthaftigkeit abzusprechen. Ist Dialog sonoch möglich?
Ein ermutigendes Signal sind für mich die Studien des Soziologen Hans Joas. Ihm wurdekürzlich die Ehrendoktorwürde der Tübinger Katholisch-Theologischen Fakultät verliehen. Zwei Gedanken aus seinem jüngst veröffentlichten Buch „Glaube als Option" möchte ich aufgreifen. Der erste Gedanke lautet: - Entgegen einer weit verbreiteten These ist das, was wir als „Moderne" bezeichnen, keineswegs mit einem Verschwinden des Religiösen verbunden. Wir erleben heute vielmehr religiöse Überzeugungen in einer kaum überschaubaren Vielfalt. Wenngleich auch solche religiösen Überzeugungen oft nicht mehr kirchlich gebunden sind. Gemeinsam ist ihnen dennoch, dass die Menschen nach einem Sinn für ihr Leben suchen, der mehr ist als materielle Interessen oder egoistische Selbstgenügsamkeit.
Wir begegnen Menschen, die vergeben, obwohl dies kaum verständlich ist. Wir begegnen Menschen, die entgegen aller Wahrscheinlichkeit hoffen. Wir begegnen Menschen, die mit großer innerer Stärke Leid ertragen. Wir begegnen Menschen, die den Mitmenschen um seiner selbst willen lieben. HansJoas spricht hier von „Selbsttranszendenz", der Fähigkeit über sich hinauszuschauen, über sich hinauszutreten. Wer die Menschen ernst nimmt, sollte dies ernst nehmen. Und er sollte auch ernst nehmen, dass dies bei vielen ihrem Gottesglauben entspringt oder in diesen einmündet. 
Andererseits - das ist der zweite Gedanke - führt eine solche „Selbsttranszendenz" nicht bei allen zu einem ausdrücklichen Glaubensbekenntnis. Viele bezeichnen sich bewusst als nicht gläubig. Dennoch sollte man ihnen nicht unterstellen, ohne eine persönliche Gottesbeziehung seien sie nicht zu glaubwürdigem moralischem Handeln fähig. Überheblichkeit ist auf beiden Seiten fehl am Platz. Geboten ist vielmehr, was icheinmal im Gespräch von einem katholischen Theologen in Indien gehört habe: „Den Anderen so zu verstehen lernen, wie er sich selbst versteht, damit er lernt mich so zu verstehen, wie ich mich selbst verstehe." Das erfordert Respekt vor dem Anderen sowie Demut und die Bereitschaft, das scheinbar Selbstverständliche meiner eigenen Anschauungen befragen zu lassen. Nur so kann einDialog beginnen. 
Eine solche dialogische Grundhaltung ist notwendig, wenn wir die großen gesellschaftlichen Herausforderungen gemeinsam angehen wollen: Wie wollen wir leben, damit es gerechter unter den Menschen zugeht? Wie können wir die bedrohte Schöpfung bewahren? Wie dienen wir einem dauerhaften Frieden? 
All dies erfordert den Dialog: innerhalb der Kirchen und in der Ökumene, zwischen den Religionen, zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Das bedeutet auch keineswegs, das, was uns etwas wert ist, beliebig zu relativeren. Wohl aber gilt nach einem Wort des Völker-Apostels Paulus: „Prüfet alles, das Gute behaltet." (1 Thess 5, 21)

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 Wer alt wird, hat einen großen Schatz von Erfahrungen und Erinnerungen angesammelt.
Wenn ich mich erinnere, gehe ich in Orte, in denen ich gelebt, die ich bereist habe, Wohnungen, die einmal mein Zuhause waren. Ich begegne Menschen, die mich eine Wegstrecke begleitet, die mich geprägt haben. Ich erinnere mich an Gelesenes, an Gehörtes, Gesehenes.
Ich meine, der Reichtum von uns älteren Menschen liegt in unseren Erfahrungen, in den Bildern von Gesichtern, von Orten, die wir besucht haben, - aber auch in Romanfiguren, in Versen von Gedichten, in Liedern und Geschichten aus der Bibel.
Das sind Lebenstexte, die einen Menschen begleiten können. Solche Lebenstexte helfen leben. Denn auch sie enthalten Erfahrungen. Für den einen ist es ein Gedicht, irgendwann einmal auswendig gelernt, für den anderen ein Psalm, für den dritten eine biblische Geschichte.
Norberto Bobbio, ein Philosoph, sagt: „Außer den Gefühlen, die du geweckt hast, den Gedanken, die du gedacht hast, den Taten, die du vollbracht hast, sind die Erinnerungen, die du verwahrt und nicht in dir gelöscht hast, deine Reichtümer und du bist nun ihr einziger Wächter .In der Erinnerung findest du trotz der vielen Jahre, die du gelebt, trotz der unzähligen Ereignisse, die du erlebt hast, dich selber wieder, deine Identität."
Sich erinnern gehört seit alter Zeit zur Tradition von Religionen. Davon erzählen auch die Geschichten in der Bibel.
Auf die zehn Gebote folgt im fünften Buch Mose in Kapitel 6 ein Redestück, in dem den Israeliten eingeschärft wird: Dies ist das Gesetz, das Gott euch geboten hat ‑ der Gott, der für Israel der einzige ist, der von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft zu lieben ist. Am Schluss dieses Kapitels wendet sich der Blick auf die späteren Generationen. Da heißt es:
Wenn dich dann künftig dein Sohn fragt: ‚Was sollen denn die Verordnungen, die Satzungen und Rechte, die euch der Herr, unser Gott, geboten hat', so sollst du zu deinem Sohn sagen...
Was wird der Vater dem nachfragenden Sohn antworten?
Wie kann er begründen, woher die Gebote kommen und warum sie zu halten sind? Erklären, begründen, erläutern, vielleicht auch rechtfertigen könnte er das. Das sind Argumentationsweisen, die nahe liegen. Ohne sie kommen wir nicht aus. Aber der alttestamentliche Redner fährt anders fort.
Du sollst zu deinem Sohn sagen:
Wir waren Sklaven des Pharao in Ägypten. Da führte uns der Herr mit starker Hand heraus aus Ägypten und gab uns das Land, das er unsern Vätern zugeschworen hatte. Und der Herr gebot uns, nach allen diesen Satzungen zu tun und den Herrn, unsern Gott, zu fürchten, auf dass es uns wohl ergehe allzeit...(5. Mose 6, 20‑25)
Hier wird nicht argumentiert, sondern eine Erfahrung weiter gegeben. Der Vater erinnert seinen Sohn an eine Befreiungserfahrung:
Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat.
Diese erinnerte Geschichte ist für die Gegenwart bedeutsam. Es sind Erfahrungen, die die Älteren bewahrt haben, um sie den Jüngeren zu erzählen. Es ist Überlieferung gegen das Vergessen.
Der damalige Rückgriff Israels auf seine Erfahrungen macht so etwas wie ein Grundgesetz menschlichen Lebens erkennbar. Menschsein heißt Sich-erinnern-können an Geschichten und an Erfahrungen. Immer sind es zwei Sorten von Geschichten: individuelle Geschichten und kollektive Geschichten, gesammelte Erfahrungen, die in das Leben des Einzelnen hineinwirken, verheißungsvoll oder dunkle Schatten werfend.
Altwerden heißt aus und von Erinnerungen leben und sie weitergeben können. Ich meine, das ist die Aufgabe von uns Alten.
 

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Nachdenkliches zu einem neuen Blut-Test für schwangere Frauen

Das Stichwort Integration ist seit einiger Zeit ein zentrales Diskussionsthema in Politik und Gesellschaft. Gemeint ist damit hier nicht die Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschen und Ausländern im Sinne von Migranten, sondern es geht um behinderte Menschen: Man soll sie weniger als „Sonderlinge" behandeln und vom Alltag unseres Lebens ausschließen, sondern möglichst in die „Normalität" des Lebens zurückholen und besonders Kinder und Jugendliche mit anderen jungen Menschen aufwachsen lassen. Dies alles wird diskutiert im Blick auf die Kindertagesstätten, die Sonderschulen und überhaupt alle Formen von Schulen. Im Ganzen kann man diese Bemühungen gewiss fördern. Es ist erstaunlich, wie sehr sich Behinderte wenigstens in einzelne Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens einfügen können. Die skandinavischen Staaten haben uns dies vorgemacht. Man soll aber auch nicht über das Ziel hinausschießen, denn manchen Behinderten ist damit nicht geholfen, weil sie einfach mehr Hilfe brauchen. Sie bleiben sonst sehr auf der Strecke. Man tut ihnen nichts Gutes, wenn die Integration nur auf dem Papier steht. Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl, um für jeden einzelnen Behinderten eine konkrete, angemessene Lösung zu finden.

So sehr man alles tun muss, um behinderten Menschen zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen, so darf man aber auch andere Aspekte im Blick auf das Dasein von Behinderten nicht übersehen. Es geht nicht nur - so wichtig dies ist - um eine bestmögliche Integration, sondern schon um das Existenzrecht vom Behinderten. Einen hohen Anteil an Behinderungen, freilich sehr unterschiedlicher Intensität, haben die Menschen, die an einem Down-Syndrom leiden, mit anderen Worten: unter der Trisomie 21. Es ließ sich in den letzten Jahrzehnten schon statistisch leicht verfolgen, wie die Zahl dieser Behindertengruppe drastisch zurückging. Je eher es gelang, die Behinderung schon im Mutterschoß festzustellen, desto mehr wurden solche potenziell behinderte Embryonen abgetrieben. In der Zwischenzeit sollen nach zuverlässigen statistischen Untersuchungen über 90 Prozent abgetrieben werden.

In den letzten Tagen wurde im deutschen Sprachgebiet ein vorgeburtlicher Test zugelassen, der nur eine Blutentnahme bei der Mutter notwendig macht. Man braucht also keine komplikationsreichen Fruchtwasseruntersuchungen oder ähnliche invasive Untersuchungsmethoden. Die Zulassung dieses Bluttestes auf Down-Syndrom wird die angesprochene Situation gewiss weiter verschärfen. Aus vielen Gründen wird dieser Test immer häufiger verwendet werden, wobei auch ein erheblicher Druck auf die schwangere Frau ausgeübt wird, wenn eine Missbildung festgestellt wird.

Ich will nicht schönfärberisch reden: Ein behindertes Kind verlangt von der Familie, in die es gehört, große Rücksicht und auch eine Veränderung der Lebensverhältnisse. Ich will niemand verurteilen, der diese Last nicht tragen kann. Es gibt aber gerade bei Trisomie 21 sehr verschiedene Grade von Behinderungen. Eltern und Kinder können mit ihnen in nicht wenigen Fällen gut umgehen und leben. Solche Kinder haben oft eine unbändige Fröhlichkeit und können eine ganz erstaunliche Freude auslösen, was man ja nicht vermutet. Ich habe viele Beispiele erlebt und bewundere die Eltern mit ihren Familien, die zu einem solchen Kind Ja sagen.

Der neuzugelassene Bluttest hat medizinisch und technisch gesehen gewiss weniger Risiken. Aber die Ergebnisse entwickeln natürlich bei der Diagnose einer Missbildung oder der Anlage zu einer Krankheit eine eigene Dynamik und „Logik" der Abtreibung. Diesen kann man sich nicht leicht entziehen. Um so mehr muss man den Anfängen widerstehen. Beeinträchtigtes Leben, vielleicht auch beschädigtes Leben hat auch sein Recht auf Existenz. Darum sollten wir uns hüten, über anderes menschliches Leben nach unseren Maßstäben zu verfügen.

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Hat der Mensch eine Seele? Von dem berühmten Berliner Chirurgen Rudolf Virchow wird der Satz überliefert „Ich habe Hunderte von Menschen operiert und nie eine Seele gefunden." Wer gewohnt ist, mit fassbaren Organen umzugehen, dem fällt es schwer, an die Realität von etwas zu glauben, das sich nicht auf dem Röntgenschirm oder unter dem Mikroskop beobachten lässt.
Denn die Seele ist nicht fassbar. Schon Nietzsche meinte: "Man hat ein Nervensystem, aber keine Seele". Und einige moderne Hirnforscher sind der Ansicht, mit der Erklärung des Gehirns auch die Seele erklärt und als eine Funktion des Gehirns begreiflich machen zu können.
Aber bleibt da nicht etwas Unverzichtbares, wenngleich schwer zu Fassendes? Denn was ist gemeint, wenn wir sagen, dieser oder jener Mensch sei eine gute „Seele"? Wieso suchen Menschen mit seelischen Problemen einen Seelenarzt oder Seelsorger auf? Warum funken sie in höchster Lebensgefahr SOS - save our souls - rettet unsere Seelen? Und wie kommt es, dass unser Grundgesetz dem Sonntag als dem „Tag der seelischen Erhebung" einen besonderen Schutz gewährt?
Ein Blick in die Bibel hilft mir weiter. Da steht Seele für das, was den Menschen ausmacht. Für seine ganz und gar persönliche Art, er oder sie selbst zu sein. Und mehr noch, Seele steht für das, was in ihn hineingelegt ist und durch ihn hindurchströmt wie sein Atem. „Adam ward zu einer lebendigen Seele", heißt es einmal in der Bibel.
Wir erleben es ja auch: Der ganze Mensch erkrankt, wenn die Seele krank wird. Wenn sie aus der Balance gerät, trifft das unser Fundament. Und umgekehrt gilt: Was die Seele erfrischt und belebt, macht uns munter, lässt uns tanzen und springen und manchmal vor Freude die ganze Welt umarmen.
Was mir an dem biblischen Konzept gefällt, ist, dass dort „Seele" den ganzen Menschen meint. Die Seele als Mitte des Menschen. Als ihn beseelender Lebenshauch.
Das wirkt auf mich heute sehr aktuell und gut verträglich mit dem modernen Bild vom Menschen. Denn unser Leben lässt sich nicht aufteilen in Schubladen. Wir haben im Grunde auch keine Seele, neben allem Möglichem anderen. Sondern: ich bin meine Seele. Genau das kommt zum Ausdruck, wenn SOS gefunkt wird und Menschen nach Rettung rufen. Oder wenn die Einwohnerzahlen von Dörfern und Städten nach Seelen berechnet werden.
Die Seele ist nicht abziehbar von uns, sondern ein Hinweis darauf, dass das Entscheidende meines Lebens nicht fassbar ist in Begriffe oder Schaubildern. Dass ich mein Leben nicht allein aus mir heraus verstehen kann. Die Seele ist mir eingehaucht als Lebensgeist. Sie ist darum auch das, was unzerstörbar ist an mir und bleibt.
In der Vielfalt dessen, was über die Seele gesagt wurde und gedacht werden kann, finde ich das biblische Verständnis von Seele hilfreich. Demnach ist die Seele mir so nah und so fern wie Gott mir nah und zugleich fern ist. Ich spüre sie, wenn ich trauere, und ich spüre sie dann, wenn ich ganz lebendig und wach bin.
„Warum betrübst du dich meine Seele, und bist so unruhig in mir?" heißt es einmal in einem Psalmgebet. Und an einer anderen Stelle: „Wach auf meine Seele, ich will das Morgenrot wecken".
Danke, liebe Seele, sage ich darum, dass du mich lebendig erhältst in den Krisenzeiten wie den Hoch-Zeiten meines Lebens. Dass du mich belebst, wie ein frischer Wind. Und nun komm, lass uns das Morgenrot wecken!

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12AUG2012
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Sie ist eine der beeindruckendsten Frauengestalten der Kirche des 20. Jahrhunderts: Die heilige Edith Stein oder - wie sie mit ihrem Ordensnamen hieß - Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz. Vor 70 Jahren, am 9. August 1942, wurde sie grausam ermordet. Die gebürtige Jüdin starb im Alter von nur 51 Jahren in der Gaskammer von Auschwitz. Klein machen wollten die Nationalsozialisten sie. Auslöschen wollten sie ihr Leben, ganz buchstäblich sollte sie sich auflösen in Asche und Wind. Doch Edith Stein ist zur Mitpatronin Europas geworden, präsent und gegen­wärtig gerade heute! Papst Johannes Paul hat es bleibend formuliert: In „der entsetz­lichen und be­schämenden Schoah" habe Edith Stein, „die Gründe gleichsam herausge­schrien, die für Gott und den Menschen spre­chen".
In jungen Jahren entfremdet sie sich vom Glauben ihrer Väter. Von ihrem 13. bis zum 21. Lebensjahr ist sie erklärte Atheistin. Sie möchte selbst, frei und selbständig auf die Suche nach der Wahrheit gehen. Auf dieser Suche studiert sie Philosophie und wird an der Freiburger Universität Assistentin des angesehenen Professors Edmund Husserl. Da verliert sie im Ersten Weltkrieg ihren philosophischen Mentor Adolf Reinach. Dieser Tod erschüttert sie „bis ins Mark". Doch wird ausgerechnet sie beauftragt, den Nachlass ihres gefallenen Mentors zu ordnen. Sie fürchtet sich vor der Begegnung mit Reinachs junger Witwe. Selbst verzweifelt, vermutet sie, eine ebenso durch Zweifel erschütterte Frau anzutreffen. Doch Frau Reinach war gefasst und schöpfte aus ihrem Auferstehungsglauben Mut und Kraft. Diese Erfahrung war für Edith Stein, wie sie formulierte, „der Augenblick, in dem mein Unglaube zusammenbrach"[1]
Anfang der zwanziger Jahre liest sie einen Abend lang die Lebensbeschreibung der heiligen Teresa von Avila. Da fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Ab diesem Moment ist für Edith Stein klar: Sie hat im Glauben an Jesus Christus jene Wahrheit gefunden, nach der sie jahrelang so sehnsüchtig Ausschau gehalten hatte. Konsequent und geradlinig, wie sie war, zögert sie nicht lange; sie wird Christin.
Nach ihrer Taufe wird sie in Speyer Lehrerin am Mädchengymnasium der Dominikanerinnen. Hier kann sie in Verbindung mit ihrer Tätigkeit als Lehrerin weiterhin wissenschaftlich arbeiten. Sie hält Vorträge und lässt andere teilhaben an dem, was sie gefunden hatte: die Wahrheit. Im Nachruf auf ihren philosophischen Lehrer Edmund Husserl fasst sie ihre eigene Erfahrung zusammen: „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott; ob es ihm klar ist oder nicht." Dies ist ihr Vermächtnis an uns; eine Botschaft für die vielen Fragenden und Suchenden. Wer nach dem Sinn und Ziel des Lebens fragt, nach der Wahrheit, ist nicht weit weg von Gott.
Edith Stein gehört damit in die Reihe der großen Gottsucher, die Fragen und Zweifel zulassen und dann erleben dürfen: der Glaube an Gott engt nicht ein, sondern macht frei und ich werde immer mehr ich selbst. So wundert es nicht, dass Edith Stein viele Jahre mit Begeisterung junge Mädchen unterrichtete, denn - so sagte sie: „Erziehen heißt, andere Menschen dahin führen, dass sie werden, was sie vor Gott sein sollen." Ihnen helfen, starke Persönlichkeiten zu werden, die von Glaube, Hoffnung und Liebe getragen sind, die schließlich auch die Kraft haben, sich den Zumutungen und Belastungen des Lebens zu stellen.
Diese Zumutungen blieben auch im Leben von Edith Stein nicht aus. Sie stellte sich dem Ruf der Nachfolge und trat in den Karmel in Köln ein. Als Name wählte sie in der Tradition dieses beschaulichen Ordens: Teresia Benedicta a Cruce - Teresia, die „Gesegnete vom Kreuz". Dieses Geheimnis des Kreuzes sollte sie bis zum Letzten leben. Am 7. August 1942 wurde sie von den Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert, wo sie zwei Tage später, am 9. August, in der Gaskammer Christus gleich wurde im Tod. „In ihrem Martyrium", so sagt Papst Benedikt, „erstrahlt der Glanz jener Liebe, die alle Finsternis des Egoismus und des Hasses überwindet."

 [1] Elisabeth Kawa, Edith Stein. „Die vom Kreuz gesegnete", Berlin 1953, 22.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13588
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