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SWR2 Wort zum Tag
Ich habe mir noch nie „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ einen Kaffee gemacht. Diese Formel benutze ich normalerweise nur im Gottesdienst oder wenn ich bete. Bei meiner muslimischen Bekannten Gülda ist es anders. Sie hat mir mal erzählt, dass sie morgens, wenn sie sich den ersten Kaffee macht, dazu die Basmala spricht, so heißt die entsprechende muslimische Gebetsformel. Bevor sie anfängt, Kaffee zu kochen, sagt sie auf Arabisch: „bismi-llahi r-rahmani r-rahim“. Das heißt auf Deutsch: „Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Erbarmers.“
Für eine Muslimin ist das nichts Außergewöhnliches, im Gegenteil. Gläubige Muslime sprechen diese Formel in vielen Situationen, z.B. vor dem Essen, Fußballer, wenn sie das Stadion betreten oder ein Verkäufer, wenn er einem Kunden die Ware in die Tüte einpackt. All das geschieht im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Erbarmers.
Von Gülda weiß ich, wie wichtig ihr diese Formel ist. Sie sagt sie nicht nur so aus Gewohnheit. Sie sagt die Formel, weil sie davon überzeugt ist, dass sie ihr Leben und alles was sie hat, Gott zu verdanken hat. Und sie sagt die Formel beim Kaffeekochen, um sich selbst daran zu erinnern.
In dieser Gebetsformel kommen zwei Gottesnamen vor: Rahman und Rahim. Sie klingen nicht nur ähnlich, sondern beziehen sich beide auf die Barmherzigkeit Gottes. Und doch gibt es einen Unterschied. „Rahman“ ist die allgemeinere, umfassendere Bezeichnung. Es ist ein Ausdruck, der nur für Gott und niemand anderen verwendet wird. Seine Barmherzigkeit zeigt sich darin, dass er diese Welt erschaffen hat und in jedem Moment dafür sorgt, dass sie weiterexistiert. Der Begriff „Rahim“ drückt aus, dass Gott nicht nur alles geschaffen hat, sondern sich auch dem einzelnen Geschöpf gütig zuwendet, indem er ihm die tägliche Nahrung gibt, die jeder zum Leben braucht. Und er ist „rahim“, barmherzig, zu denen, die an ihn glauben und auf ihn vertrauen. Er wendet sich ihnen zu, verzeiht Fehler, sorgt sich liebevoll um sie und hilft ihnen. Auf diese Weise können aber auch Menschen zueinander barmherzig sein.
Der Glauben an den einen barmherzigen Schöpfergott verbindet uns mit unseren muslimischen Schwestern und Brüdern und er gibt uns, Christen wie Muslimen, den Auftrag freundlich, hilfsbereit und mitfühlend zu allen Geschöpfen zu sein.
Wenn mir Gülda erzählt wie sie ihren Glauben im Alltag lebt, dann berührt mich das. Dank Gülda halte ich manchmal beim Kaffeekochen einen Moment inne, mache mir bewusst, dass Gott mir in diesem Moment das Leben schenkt, dass er da ist und barmherzig ist und möchte, dass auch ich barmherzig bin.
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Nächste Woche geht’s wieder los. Nach meinem Sommerurlaub beginnt am kommenden Montag wieder der Arbeitsalltag. Schaue ich in meinen Kalender, dann merke ich schnell, dass der Herbst ziemlich voll wird. Viele Termine und Projekte stehen an. Daher habe ich mir so gut es gegangen ist, bewusst zwischen den einzelnen Termin Zeitfenster freigehalten, um nicht von einer Sache in die nächste zu stürzen. Aber ich fürchte, diese ruhigeren Zwischenphasen werden sich schneller füllen als mir lieb ist. Das ist irgendwie immer so.
Ein Blick in die Bibel zeigt mir, dass es Jesus und seine Jüngern ganz ähnlich gegangen ist. Nachdem Jesus seine Jünger zu den Menschen ausgesandt hatte, kommen sie zurück. Sie erzählen ihm alles, was sie erlebt haben. Aber sie sind nicht alleine, sondern ständig kommen und gehen Menschen, die etwas von ihnen wollen. Deshalb schlägt Jesus vor, gemeinsam mit dem Boot an einen einsamen Ort zu fahren, um sich dort auszuruhen. Das Dumme ist nur, die Leute bekommen das mit und laufen zu Fuß dorthin. Als das Boot ankommt, sind sie schon da.
Kurz vor der Sommerpause habe ich mich mit einigen Kollegen über diesen Text unterhalten. Ich habe die Jünger und Jesus bedauert, worauf mein Kollege meinte: „Aber sie hatten zum Glück ja noch die Bootsfahrt. Wenn die anderen Menschen zu Fuß schneller dort waren als sie mit dem Boot, dann muss die Bootsfahrt doch etwas gedauert haben.“ Er hat Recht, darauf bin noch nie gekommen: Sie hatten die gemeinsame Zeit im Boot und ich hoffe, sie haben sie genutzt.
Ich frage mich, wann sie gemerkt haben, dass der Plan mit dem einsamen Ort nicht funktioniert, und wie sie dann darauf reagiert haben. Sind sie ärgerlich geworden, weil sie wussten, was sie erwartet? Oder sind sie gelassen geblieben und haben gerade darum die Zeit besonders intensiv genutzt; haben weiter in aller Ruhe miteinander geredet oder sich einfach nur ausgeruht? Es wäre schön, wenn ihnen das damals gelungen wäre.
Ich habe den Verdacht, dass mir diese „Zeit im Boot“ nicht nur in der biblischen Geschichte entgangen ist. Solche geschenkten Zwischenzeiten entgehen mir vermutlich auch immer wieder in echt. Entweder weil ich sie im Trubel und Stress einfach übersehe. Oder weil es mir nicht gelingt, sie wirklich zu genießen, weil ich mit meinen Gedanken schon bei dem bin, was mich am „andern Ufer“ erwartet.
Aber vielleicht gelingt es mir ab jetzt: beim Kaffee, den ich in Ruhe mit der Kollegin trinke, in den zehn Minuten bis zum nächsten Telefontermin, in denen ich einfach mal nichts tue oder auf Weg zum Bahnhof, bei dem ich die frische Luft einatme und die Sonnenstrahlen oder den Regen auf meiner Haut spüre. Bootszeiten aufspüren und sie genießen.
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Mein Freund Fabi war als Bundeswehrsoldat im Auslandseinsatz in Mali. Zusammen mit seinen Kameraden ist er regelmäßig Patrouille gefahren. Bei diesen Fahrten liefen sie immer Gefahr, in Feuergefechte oder Sprengfallen zu geraten. „Nein“ sagt Fabi, „Angst habe ich nicht vor diesen Fahrten gehabt, höchstens davor, einen Fehler zu machen, durch den einer meiner Kameraden verletzt oder getötet werden könnte.“
Nach seiner Rückkehr ist er dann einmal mit seiner Freundin aneinandergeraten. Sie hatte ihm erzählt, dass sie vor irgendeiner anstehenden Aufgabe Angst hat. Er hat sie gefragt, ob es denn tödlich enden könne? Wenn nicht, dann solle sie doch entspannt sein. Sie hat diesen Rat nicht sehr hilfreich gefunden, sondern verletzend und war dementsprechend sauer auf ihn. Zu Recht, wie ich finde.
Auch wenn es bei Fabis Freundin ein ganz anderer Kontext war, weitaus weniger lebensgefährlich, dann handelt es sich im Kern doch um die gleiche Angst. Die Angst, den eigenen Ansprüchen oder den Ansprüchen anderer nicht zu genügen, die Angst zu versagen. Die Gründe für diese Angst mögen für Außenstehende manchmal lächerlich wirken, für einen selbst fühlt sich die Situation trotzdem bedrohlich an. Ich glaube, das liegt daran, weil ich mich selbst als Person dabei in Frage stelle.
Ich kenne solche „lächerlichen“ Ängste, die für andere nicht nachvollziehbar sind. Oft verstecken sie sich in ganz alltäglichen Dingen: wenn ich eine komplizierte Mail schreiben muss, ein unangenehme Gespräch führen soll oder eine unerledigte Aufgabe vor mir herschiebe, weil mir noch eine gute Lösung fehlt.
Das sind scheinbar kleine Probleme, aber in ihnen versteckt sich immer wieder die große Angst, nicht gut genug zu sein. Diese Angst zu entlarven, zu erkennen, was sie ist, kann vielleicht ein erster Schritt sein, sie zu überwinden. Die Band „Ton, Steine, Scherben“ singt in einem ihrer Lieder: „Wir haben nichts zu verlieren, außer unsere Angst“. Ich setze dagegen: Natürlich haben wir etwas zu verlieren, aber in vielen Situationen vermutlich viel weniger als wir denken, außer eben unsere Angst.
Seit dem Gespräch mit Fabi über seinen Bundeswehreinsatz sage ich tatsächlich manchmal zu mir selbst: „Entspann dich mal, bei dem, was dir gerade Angst macht, geht es nicht um Leben und Tod. Hier entscheidet sich nicht, ob dein Leben gelingt. Wage es, etwas zu tun und vertraue, dass es gelingt. Und vergiss nicht, auch wenn du scheiterst, davon geht die Welt nicht unter.“
Und wenn es mir gelingt, in diesen Situationen meine Angst zu überwinden, dann wächst mit jedem Mal auch das Zutrauen in mich selbst. Vielleicht ist das wie ein Training für die entscheidenden Situationen, in denen tatsächlich etwas auf dem Spiel steht. Ein Training, das mich stärkt, um der Angst etwas entgegensetzen zu können.
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Ein äthiopisches Sprichwort lautet: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selbst sagen.“ Ich kann eine ganze Reihe von Situationen aus meinem Leben aufzählen, in denen das zugetroffen hat. Wenn ich als kleiner Junge abends nicht einschlafen konnte, weil mich irgendetwas in der Schule bedrückt hat, hat meine Mutter an meinem Bett gesessen und mir Mut zugesprochen: „Keine Angst, du schaffst das schon.“ Aber auch als Erwachsener hat es immer wieder Gespräche mit Freunden gegeben, bei denen ich eine neue Perspektive gewonnen habe. Heute suche ich als Vater manchmal nach einem solchen Wort, das meinem Sohn hilft, sich in die Schule aufzumachen.
Ein Meister solcher helfenden Worte scheint auch Jesus gewesen zu sein. In den Evangelien gibt es eine ganze Reihe von Beispielen dafür. Eines davon ist seine Begegnung mit Zachäus.
Zachäus ist ein korrupter Zollbeamter, der den Menschen an seiner Zollstation viel zu viel Geld abknöpft und dementsprechend unbeliebt ist. Obwohl er es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht hat, scheint er mit seinem Leben nicht wirklich zufrieden zu sein. Als Jesus in die Stadt kommt, steigt er, klein wie er ist, auf einen Baum, um ihn zu sehen.
Jesus entdeckt ihn, spricht ihn an und lädt sich selbst bei ihm zum Essen ein. Diese Selbsteinladung scheint der Wendepunkt im Leben des Zollbeamten zu sein. Er gibt einen Teil seines Vermögens an die Armen und erstattet denen, die er betrogen hat, das Vierfache zurück.
Ehrlich gesagt, hätte er darauf doch auch ohne Jesus kommen können. Ist er aber nicht. Vielleicht hat ihm so etwas wie eine Initialzündung gefehlt. Interessant ist, Jesus rät ihm keineswegs, ein besserer Mensch zu werden. Er sagt nur zu ihm: „Ich muss heute Abend dein Gast sein“. Aber mit diesen Worten schenkt er Zachäus Anerkennung. Das macht es dem Zöllner möglich, sein Leben total zu verändern.
Vielleicht liegt darin auch das Geheimnis solcher Worte, die anderen weiterhelfen: Sie sind keine Ratschläge, die genau sagen, was zu tun ist.
Sie sagen etwas anderes, wodurch die Angesprochenen spüren, dass ihnen etwas zugetraut wird. Sie ermächtigen sie, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, was zuvor aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war.
Ich glaube, die Kunst, solche Worte zu sagen, besteht darin, sie nicht sagen zu wollen. Sie entstehen in meinem Mund, wenn ich in einem Gespräch aufmerksam bei meinem Gegenüber bin. Ein solches Wort im richtigen Moment gesagt zu bekommen, ist wie ein Geschenk. Es ist unverfügbar und doch kann ich auch selbst etwas dafür tun: So wie Zachäus auf einen Baum gestiegen ist, so kann ich Ausschau halten nach Menschen, die mir gut tun.
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Normalerweise vergessen wir Menschen nicht zu atmen, aber meistens vergessen wir, dass wir es tun. Es geschieht automatisch, ansonsten würden wir sterben. Um zu überleben müssen wir uns nicht bewusst machen, dass wir atmen, und deshalb tun es die meisten Menschen auch nicht.
Das ist ein Fehler, findet der US-amerikanische Meditationslehrer Martin Boroson. Wie viele anderen verweist er auf die positiven Effekte, die sich einstellen, wenn wir uns immer wieder Zeit nehmen, bewusst wahrzunehmen, wie unser Atem ein- und ausströmt: es kann dabei helfen, Abstand von den Alltagsproblemen zu gewinnen, zu entspannen und Stress abzubauen. Martin Boroson ist überzeugt: Wenn wir das regelmäßig tun, dann sind wir glücklicher, gesünder und sogar leistungsfähiger.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es stimmt. Ich erlebe selbst, wie gut es mir tut. Aber ich finde oft nicht die Zeit dazu, vor allem nicht, wenn ich sie am dringendsten benötige: dann, wenn es besonders stressig ist. Hier kommt Martin Boroson wieder ins Spiel. Er behauptet, eine Minute am Tag bewusst atmen reicht aus. Und für diese eine Minute, meint er, habe wohl jeder Zeit.
Er nennt diese Art zu meditieren „One Moment Meditation“ und gibt dazu folgende Anweisungen:
- Wähle einen Ort, an dem du ungestört bist.
- Stelle einen Wecker auf eine Minute.
- Setze dich aufrecht hin, und mache in dieser Minute nichts anderes als deinen eigenen Atem wahrzunehmen.
- Wenn dich etwas ablenkt, dann ärgere dich nicht darüber. Sag kurz „Hmm“ und konzentriere dich wieder auf deinen Atem.
- Wenn der Wecker klingelt, dann beende die Übung.
Das ist alles. Wichtig ist nur, dran zu bleiben und jeden Tag mindestens einmal eine Minute zu üben.
Seit einiger Zeit probiere ich das aus. Ich habe mir vorgenommen, mir immer am Beginn und am Ende meines Arbeitstages diese eine Minute zu gönnen.
Auch wenn es sich immer nur um eine Minute handelt, vergesse ich es manchmal. Aber meistens denke ich dran – und das finde ich für den Anfang schon ganz gut. Wie sehr es mir gelingt, mich in dieser Minute tatsächlich auf meinen Atem zu konzentrieren, ist sehr unterschiedlich. Aber das macht nichts. Allein die Tatsache, dass ich mich dazu hinsetze, lässt mich kurz aufatmen.
Für mich ist diese Minute mehr als nur eine Entspannungstechnik. Für mich ist sie auch ein kurzes Gebet. Wenn ich mich mit meinem Atem verbinde, dann nehmen ich Kontakt auf mit Gott, weil ich glaube, dass er es ist, der mich atmen lässt.
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Sie sind die Aussteiger des frühen Christentum: Anachoreten. Diese Bezeichnung kommt vom griechischen Wort anachorein– sich zurückziehen. Ab dem dritten Jahrhundert beginnt dieser Trend in Ägypten. Menschen verlassen ihr Lebensumfeld und gehen in die Wüste. Dort leben sie als Eremiten. Jeder für sich in einer primitiven Hütte oder Höhle und doch verbunden in losen Kolonien, die sich um einen erfahren Eremiten, einen so genannten Wüstenvater, scharen. Oder um eine Wüstenmutter, denn es gab auch Frauen, was weniger bekannt ist. Wer einen Rat braucht, sucht einen dieser weisen Menschen auf und hofft von ihm einen Hinweis zu erhalten. Ein Wort, das weiterhilft und die unruhige Seele heilt.
Die Wüstenväter und -mütter sind schweigsam. Ihre Antworten sind keine langen Predigten. Manchmal führen sie einen Dialog mit dem Fragenden, oft antworten sie auch nur in einem kurzen Satz. Häufig schicken sie die Ratsuchenden dorthin zurück, wo sie hergekommen sind, aber geben ihnen dazu eine Aufgabe mit: „Geh zurück in deine Zelle, setz dich hin, schweige und werde still!“. Oder sie sagen: „Untersuche deine Gedanken, dann wirst du Ruhe finden.“
Der Kern ihrer Aussagen besteht darin, die Aufmerksamkeit auf sich zu richten, nach innen zu blicken und somit bei sich selbst anzufangen. Das ist für sie der Weg, mit sich und der Welt in Einklang zu kommen. Dazu sind sie in die Wüste gegangen. Aus ihrer eigenen Erfahrung wissen sie, dass dieser Weg nicht schnell zu einem Ziel führt, sondern immer wieder eingeübt werden muss. Deshalb mahnen sie die, die Rat suchen, geduldig und freundlich mit sich selbst umzugehen. Zum Beispiel: „Schweige und vergleiche dich nicht immer mit anderen“. Oder: „Wo immer du auch hingehst, urteile nicht über dich selbst – und du wirst Ruhe finden.“
Auch ich sehne mich öfters nach dieser „Herzensruhe“. Diese Sehnsucht spüre ich vor allem dann, wenn besonders viel los ist, der Druck steigt, und die Erwartungen an mich hoch sind. Dann wünsche ich mir manchmal heimlich, alles stehen und liegen zu lassen und irgendwo hinzugehen, wo niemand etwas von mir will. Natürlich verlasse ich nicht wie die Anachoreten mein Haus und meine Familie und gehe in die Wüste. Trotzdem versuche ich dem Rat der Wüstenväter zu folgen: „Setz dich hin, schweige und werde still.“ Es ist eine Übung. Wenn ich mich auf diese Weise zurückziehe, geduldig mit mir bin, schweige und still werde, dann stellt sich manchmal die Herzensruhe ein, nach der ich mich sehne, und die mir gut tut.
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Manchmal ist das Leben einfach nur schön. Alles passt: Das Wetter, das was ich gerade zu tun habe, und die Menschen, die um mich herum sind.
Und manchmal ist das Leben unschön und hässlich, weil es gefühlt einen Nackenschlag nach dem nächsten für mich bereithält. Oder es ist trist und deprimierend, weil es nichts bietet, was wirklich Laune macht.
Meistens aber ist das Leben irgendetwas dazwischen. So empfinde ich es zumindest. Zurzeit finde ich es vor allem anstrengend. Die letzten Monate haben viel Kraft gekostet.
Vor einiger Zeit habe ich eine Postkarte entdeckt, auf der steht: „Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede.“ Ich finde der Satz enthält viel Wahres, auch wenn ich weiß, dass er sicher nicht immer stimmt. Es wäre zynisch zu behaupten, dass das Leben immer schön ist.
Trotzdem gefällt mir der Gedanke: das Leben kann auch schön sein, wenn vieles gerade schwierig ist. Der Satz ist mir wieder eingefallen als ich mit einer Bekannten telefoniert habe. Ich habe sie gefragt, wie es ihr und ihrem Mann geht, weil ich weiß, dass er schwer herzkrank ist. Sein Gesundheitszustand schwankt stark. „Mal ist er müde und kraftlos“, erzählt sie mir, „dann stabilisiert er sich wieder.“ In diesen Zeiten gelingt es den beiden dann, diese guten Momente gemeinsam zu genießen. Sie kochen sich etwas Leckeres und schauen zusammen einen Film an, um sich anschließend darüber zu unterhalten.
„Er ist dann wieder ganz der Alte“, schwärmt sie, „wach, vielseitig interessiert und humorvoll.“ Diese Momente tragen sie dann über die Zeiten hinweg, in denen es ihm wieder schlechter geht, und der Alltag beschwerlich ist.“ „Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede“, zitiere ich vorsichtig den Spruch von der Postkarte. „Ja, das stimmt“, antwortet sie spontan und ihre Stimme klingt leicht und erfreut.
Ich glaube, es ist ein Geschenk, wenn ich überzeugt sagen kann: das Leben ist auch in schwierigen Zeiten schön. Ich kann diese Schönheit nicht erzwingen, sie entzieht sich meiner Macht. Trotzdem bin ich mir sicher: es liegt in einem gewissen Maße auch an mir, die Schönheit des Lebens zu entdecken, wenn sie sich zeigt, und möglichst viel davon als Proviant zu bewahren.
Ich sage nicht, dass das einfach ist. Aber davon war ja auch nie die Rede.
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Vor einiger Zeit habe ich mir einen Spruch über meinen Schreibtisch gehängt, der heißt: „Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen, dann tauche ich hinab, um nach Perlen zu fischen.“ Der Satz stammt von der Dichterin Mascha Kaléko. Ich mag ihre Lyrik sehr. Sie klingt oft heiter und leicht, für mich hat sie aber auch eine Tiefe, die sich manchmal erst auf den zweiten Blick zeigt. So zum Beispiel bei dem Spruch über meinem Schreibtisch. „Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen, dann tauche ich hinab, um nach Perlen zu fischen.“
Zunächst sagt das Zitat scheinbar nicht viel mehr, als dass eine Krise im Leben immer auch eine Chance ist. Es kommt eben nur darauf an, wie ich mich selbst dazu verhalte: Ich kann erstens: nichts tun und untergehen. Zweitens: mich retten lassen oder drittens: mich aus eigenen Kräften freischwimmen.
Das Zitat bietet aber noch eine vierte Möglichkeit an: abtauchen.
Ich kann eine Krise nutzen, um meine Perspektive zu wechseln. Anstatt an der Oberfläche gegen die Wellen anzukämpfen, kann ich mich entscheiden, in die Tiefe zu gehen. Ich mache mich auf die Suche und hoffe, etwas Kostbares zu finden, auf das ich ansonsten nicht gestoßen wäre.
Tatsächlich aber ist das traditionelle Perlentauchen alles andere als ein Vergnügen. Die Taucher sinken dabei mit Gewichten an den Füßen bis zu fünfzig Meter in die Tiefe, um dort nach Muscheln mit Perlen zu suchen. Bis zu fünf Minuten bleiben sie unten, um dann mit Hilfe einer Leine nach oben gezogen zu werden. Das alles belastet den menschlichen Körper.
So ähnlich ist es meiner Erfahrung nach auch im echten Leben. Zuletzt sind mal wieder die Wellen über mir zusammengebrochen als beruflich und privat so viele Dinge gleichzeitig zu erledigen waren, dass ich überhaupt nicht mehr nachgekommen bin. In solchen Zeiten beginne ich mich zu fragen: warum mache ich das alles und was davon will ich wirklich?
Dann muss ich abtauchen und nach Perlen suchen. Das ist zunächst einmal anstrengend. Es kostet viel Kraft, weil ich mich dabei auch in meine eigenen Tiefen vorwagen und dort verweilen muss. Es gilt etwas zu suchen, was irgendwo in mir verborgen ist. Dabei ist alles, was sich zur gleichen Zeit an der Oberfläche abspielt, ja nicht einfach weg, sondern lastet als Druck auf mir.
Bei mir war es so: ich habe unter all den Aufgaben nach dem gesucht, was mir Kraft gibt. Ich habe neu entdeckt, was mir wichtig ist: Menschen begegnen, sie bei ihrem Engagement unterstützen und gemeinsam mit ihnen etwas gestalten. Bei all dem, aber auch mir selbst Zeit für Stille und zum Nachdenken zu nehmen.
Diese Perlen im Trubel des Alltags nicht zu verlieren ist schwer. Aber sie helfen mir Prioritäten zu setzen und so einen Weg raus aus den Wellen zu finden.
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Einfach mal für ein paar Stunden rauskommen. Den Alltag hinter mir lassen, um wieder klarer sehen zu können. Das war mein Plan gewesen. Ich hatte mir den Tag extra frei genommen, obwohl oder gerade weil ich zu dieser Zeit mehr als genug zu tun hatte. Meine Idee war es, ein bisschen Wandern zu gehen und dabei für mich klarer zu kriegen, was eigentlich gerade wichtig ist. Ich wollte dazu in den Schwarzwald fahren, weil ich die Landschaft dort liebe. Und so hatte ich es mir vorgestellt: Dort oben auf der Höhe blicke ich über die Wiesen und Wälder und genieße die freie Sicht bis hinunter in die Rheinebene. Und während ich das tue, habe ich Zeit nachzudenken, kann durchatmen und bekomme mehr Überblick für mein eigenes Leben. Und dann das: Nebel. Je höher ich mit dem Zug fahre, umso dichter wird der graue Schleier.
Ich entscheide mich in Hinterzarten auszusteigen und loszugehen. Wenn ich auf einem der Wanderweg bleibe, dann werde ich mich trotz Nebel schon nicht verlaufen. Während ich laufe reicht die Sicht nie weiter als 20, 30 Meter. Eine Kurve oder Abzweigung sehe ich erst kurz bevor ich sie erreiche. Wegweiser tauchen erst aus der grauen Brühe auf, wenn ich fast vor ihnen stehe.
Während ich so laufe, denke ich: das ist ein gutes Bild für meinen Alltag. Eigentlich wollte ich ihn ja für ein paar Stunden hinter mir lassen. Aber anstatt, dass sich hier oben alles weitet und mir einiges klarer wird, spiegelt mir die Natur nur meine aktuelle Situation wieder: es fehlt gerade die große Perspektive. Ich hangle mich so von Tag zu Tag, versuche einigermaßen auf Kurs zu bleiben und entscheide das, was gerade entschieden werden muss. Für mehr reicht es momentan nicht. So ist das wohl gerade. Vermutlich muss ich das akzeptieren und nicht mehr wollen, als zurzeit eben möglich ist. Kleine Etappen angehen und darauf vertrauen, dass wenn ich sie bewältigt habe, sich wieder ein neuer Weg auftut.
Nach etwa zweieinhalb Stunden erreiche ich den Titisee. Gerne würde ich jetzt erzählen, dass dort auf einmal die Sonne durch den Nebel gebrochen ist, und dass ich das gegenüberliegende Ufer sehen konnte. So war es aber nicht.
Im weiterhin dichten Nebel steige ich in den Zug und fahre zurück nach Hause. Mein Wunsch die Dinge etwas klarer zu sehen, hat sich trotzdem erfüllt. Wenn auch ganz anders als ich gedacht habe. Ich werde weitergehen und darauf vertrauen, dass der Weg sich beim Gehen zeigt. Und dabei werde ich nicht aufhören zu hoffen, dass sich der Nebel irgendwann lichtet.
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Jesus muss man eigentlich nicht verbessern, aber ich habe es trotzdem mal versucht: Seinen berühmten Satz „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ habe ich umgedreht, und dann heißt er: „Liebe dich selbst, wie deinen Nächsten“.
Eigentlich ändert es nicht viel am Sinn des Satzes. Es verschiebt sich nur etwas der Akzent.
Den ursprünglichen Satz „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ verstehe ich so: Was ich für mich selbst wünsche, das soll ich auch anderen zugestehen. Ich soll sie so behandeln, wie ich auch mit mir selbst umgehen würde: Mich nicht nur darum kümmern, dass es mir gut geht, sondern auch dafür sorgen, dass sie es guthaben.
Zugegeben, das gelingt mir nicht immer. Aber ich habe den Eindruck, andersrum gelingt es mir noch seltener. Tatsächlich glaube ich, dass ich mit anderen Menschen oft liebvoller umgehe als mit mir selbst.
Wenn ein Kollege bei der Arbeit einen Fehler macht und sich dann maßlos über sich selbst ärgert, versuche ich ihn zu beruhigen: Jeder macht mal einen Fehler, und die Folgen sind weniger dramatisch als du meinst. Für einen guten Freund bin ich gerne da, wenn es ihm schlecht geht. Ich versuche ihn zu verstehen und ihm Mut zu machen. Von meinen Kindern erwarte ich, dass sie ihre Hausaufgaben ordentlich machen, für Tests lernen und regelmäßig ihr Instrument üben. Zugleich aber möchte ich sie vor zu viel Druck beschützen. Sie sollen spüren, ihr seid gut so wie ihr seid, auch wenn mal was daneben geht.
Und wie gehe ich mit mir selbst in vergleichbaren Situationen um? Bei eigenen Fehlern bin ich weniger gnädig. Wenn es mir schlecht geht, denke ich oft: Hab dich nicht so oder: selbst schuld. Und manchmal erwarte ich zu viel von mir. Und wehe, wenn ich dann dabei scheitere.
Wenn ich jetzt den Satz von Jesus umdrehe, hilft mir das weiter. „Liebe dich selbst, wie deinen Nächsten“ bedeutet dann, dass ich mich frage: Was würde ich tun, wenn nicht ich, sondern ein anderer in meiner Situation wäre? Wie würde ich mich in einem solchen Fall zu einem Menschen verhalten, den ich liebe? Wenn ich mir das überlege, gelingt es mir besser, freundlich mit mir selbst umzugehen. Ich lerne mich selbst ein bisschen mehr zu lieben.
Von dieser Strategie profitiere aber nicht alleine ich, davon bin ich überzeugt. Wenn ich mich auf diese Weise selbst mehr liebe, spüren das auch alle anderen, weil ich auf einmal auch für sie mehr Verständnis habe.
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