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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06MAI2023
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Ich mag es, wenn jetzt im Mai alles duftet. Ich brauche morgens nur das Fenster aufzumachen, schon kommen mir Flieder, Ginster, Rose oder was ganz anderes entgegen. Und auch wenn es geregnet hat, riecht die nasse Erde anders als im Winter - irgendwie intensiver und nach ganz viel „wachsen“.

Für mich riecht der Frühling nach Aufbruch und Leben, und darin kommt für mich etwas von Gott durch. Es ist ein bisschen so, als wäre Gott da in diesem Duft anwesend, oder zumindest erinnert mich diese besondere Frühlingsluft an Gott. Weil es zu Gott passt, wenn das Leben sich wieder durchsetzt.

Gleichzeitig bin ich auch überzeugt, dass Gott auch da ist, wo es nicht so gut riecht. Wo es manchmal sogar zum Himmel stinkt, weil die Not groß ist. So war es im Ahrtal oder bei den Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Im Leben kann es schrecklich riechen.

Trotzdem verbinde ich vieles in meinem Glauben an Gott mit schönen Düften. Und damit meine ich nicht nur den Weihrauch in der Kirche. In der Bibel wird oft von wohlriechenden Salben und Ölen erzählt. Könige wurden gesalbt. Und auch Jesus ist von einer Frau bei einem Festmahl mit einem duftenden Öl gesalbt worden, und nach seinem Tod wollen ihn Frauen mit duftenden Salben einreiben. In besonderen Zeiten, da passt auch ein besonderer Duft.

An diese Erfahrungen knüpft auch die Tradition an, dass manche Christinnen und Christen bei ihrer Taufe und Firmung gesalbt werden. Mit Chrisam, einem Öl, das auch besonders gut duftet. Nach Rose, manchmal auch ein bisschen nach Orange, Zimt oder Jasmin. 

Da, wo Gott ist, ist auch so etwas wie ein guter Geruch. Paulus hat in der Bibel dazu einen schönen Gedanken. Er schreibt von einem „Duft, der Leben verheißt“, und Menschen, die an Christus glauben, nennt Paulus ein bisschen pathetisch „Christi Wohlgeruch“. Wenn ich Paulus richtig verstehe, kann ich selbst also auch zu einem „Duft“ werden, „der Leben verheißt“. Auch oder gerade da, wo so einiges zum Himmel stinkt.

Übrigens: Charles und Camilla werden heute nicht nur gekrönt, sondern auch gesalbt. Mit einem duftenden Öl, aus Oliven vom Jerusalemer Ölberg. Egal, ob Königin, König oder ganz normaler Mensch: Ich kann mit meinem Leben einen guten Duft verbreiten. Frei nach Paulus, einen Duft für ein gutes und würdevolles Leben für alle.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05MAI2023
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Ein eleganter älterer Herr hält mir mit ausladender Geste die Tür auf und lächelt mich an: „Schönheit zuerst!“ Überrascht schaue ich ihn an und gehe ein bisschen zögerlich vor ihm aus dem Buchladen hinaus.

Draußen vor der Tür holt der Mann mich nochmal ein, er schaut mich von der Seite an und sagt: „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen eben zu nahe getreten bin.“ Ich darauf: „Nein, nein. Ich war nur überrascht. Aber danke, dass Sie mir das noch dazu gesagt haben.“

Nach dem kurzen Gespräch bin ich ins Büro und habe meinen Kolleginnen das Ganze erzählt. Die eine hat gleich gemeint: „Ist der noch da? Ich will auch so ein Kompliment!“ Sie legt mir einen Arm um die Schultern und sagt: „Rahme es dir in Gedanken ein und hänge es dir auf. So was bekommt man nicht alle Tage.“ Aber meine andere Kollegin hat die Augenbrauen hochgezogen und geseufzt: „Ich verstehe euch nicht. Ich wäre mir dabei vorgekommen, als hätte mir jemand einen Stempel aufgedrückt.“

Mit Komplimenten ist das so eine Sache. Was der einen gut tut, kann für den anderen zu viel oder unangenehm sein. Außerdem können solche nett gemeinten Höflichkeiten auch missverstanden werden und im schlimmsten Fall verletzen. Und natürlich gibt es auch falsche oder übergriffige Komplimente, mit denen ich beim anderen eine Grenze überschreite und er oder sie fühlt sich dann durch das, was ich sage, abgewertet. 

Ich merke aber auch: ein Kompliment oder ein nettes Wort, das von Herzen kommt, kann mir so gut tun und meinen Tag heller machen. Ich fühle mich dann gesehen mit dem, was ich leiste oder einfach so, wie ich eben bin.

Eigentlich schade, dass ich zum Beispiel meinem Lieblingsmenschen viel zu selten sage, was ich an ihm mag. Dabei ist das so wichtig, gerade weil sonst ja oft im Vordergrund steht, was noch fehlt oder schief läuft. 

Aber ein echtes Kompliment zu machen, bei dem ich den anderen wirklich meine und das bei ihm auch ankommt, ist gar nicht so einfach. Ich muss sensibel dafür sein, was ich sage und wie, wann und vor allem zu wem. Und es muss einfach ehrlich sein und von Herzen kommen, sonst ist es nicht echt. Wenn alles stimmt, kann so ein Kompliment wirklich ein Geschenk sein.

Ich mag Komplimente, die von Herzen kommen. Das fühlt sich fast so an, als würde Gott mir in so einem Moment liebevoll zulächeln, und dann wird mein Tag tatsächlich ein kleines bisschen heller.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04MAI2023
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Meine Freundin Kathrin wohnt seit kurzem auf dem Land, im Schuttertal im Schwarzwald. Und das gefällt ihr, weil die viele Natur um sie herum so beruhigend auf sie wirkt. Als Leiterin einer Kita hat sie viel Verantwortung, ordentlich Zeitdruck und gerät immer wieder in Konflikte.

Kathrin erzählt: „Manchmal weiß ich frühmorgens gar nicht, was ich zuerst erledigen soll.“

Und weiter sagt sie: „Auf meinem Weg zur Arbeit komme ich manchmal an einer Schafherde vorbei. Einmal, als ich frühmorgens wieder total gestresst war, hab ich einfach bei den Schafen angehalten. Mein Kopf hat gebrummt, weil er so voll war mit lauter Gedanken. Eigentlich hätte ich rasch weiterfahren sollen. Aber irgendwas in mir hat bewirkt, dass ich das Auto geparkt habe. Und dann hab ich mich neben der Weide ins Gras gesetzt. Einfach so.“

„Und das hat geholfen?“, frage ich skeptisch.

Kathrin lacht: „Ja. Ich habe einfach den Schafen zugesehen. Wie sie grasen und wiederkäuen, und wie die Lämmer über die Wiese toben und Bocksprünge machen. Mit der Zeit sind mir sogar die verschiedenen Stimmen der einzelnen Schafe aufgefallen und wie sie miteinander Kontakt halten. Das hat mich total geerdet. Die Schafe tun genau das, was für sie gerade wesentlich ist, ohne darüber nachzudenken.“

„Aber du musstest doch eigentlich weiter zur Arbeit“, sage ich. „Wie lange hast du denn da gesessen?“ 

„Vielleicht ein paar Minuten“, meint Kathrin. „Weißt du, je länger ich da gesessen bin, umso ruhiger bin ich geworden. Meine Gedanken an die Arbeit waren noch da, aber sie haben mich nicht mehr so getrieben. Ich war einfach da, wie die Schafe.

Klar hab ich gewusst, dass ich weitermuss. Aber der Moment hat mir geholfen. Das, was mich genervt oder beschäftigt hat, ist da irgendwie zurückgetreten, und ich bin wieder viel offener geworden.“

Ich frage Kathrin: „Und machst du das jetzt öfter?“ 

Sie antwortet: „Ja, ich gönne es mir einfach. Denn diese - na ja, ich sag mal - „Schaf-Momente“ tun mir gut. Weil da manchmal auch Sachen hochkommen können, die unter dem Stress liegen. Schöne Sachen oder Dinge, die ich sonst fast vergesse. Das kann ich alles dann in der Natur draußen Richtung Himmel schicken.“  

Ich habe leider keine Schafherde um mich rum, aber ich verstehe, was Kathrin meint. Zum nächsten Geburtstag kriegt sie von mir ein Schaf. Eins aus Seife oder eins auf einer Postkarte. Denn ich weiß: Schafe sind Kathrins Lieblingstiere geworden. Sie hat mit ihnen gelernt, wie sie aus ihrer Mühle rauskommt, dass sie anhalten kann und ein bisschen Ruhe findet. 

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17DEZ2022
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Meine Freundin Isa wohnt seit einer Weile in Basel, in der Schweiz. Am Anfang ist es ihr schwer gefallen, in der neuen Umgebung anzukommen. Sie hat kaum jemanden gekannt, hat viel im Homeoffice gearbeitet und ist einfach nicht so unter Leute gekommen.

Isa hat mir erzählt: „Auch wenn das vielleicht seltsam klingt, aber meine ersten Kontakte hatte ich im Supermarkt. Wenn ich den ganzen Tag zu Hause gearbeitet hab, war Einkaufen für mich ein Highlight.“

Meine Freundin hat in dem Laden bei ihr um die Ecke was Schönes erlebt. Sie schwärmt mir regelrecht vor: „Da gibt es eine extra Kasse, die hat einen lustigen Namen. Sie nennt sich ‚Plauderkasse‘. Die Kassiererin darf sich da Zeit nehmen für jeden einzelnen, der was bezahlen will. Und das macht sie auch. Sie fragt, wie es einem geht, und dann plaudert man eben ein bisschen.“

Ich frage zurück: „Und wie ist das so? Fühlt sich das nicht irgendwie seltsam an, wenn da wie auf Knopfdruck ein Gespräch losgeht?“ Isa lacht: „Mir hat´s gut getan. Die Kassiererin war so herzlich, das hat sich nicht pseudo angefühlt oder so. Die hatte auch Spaß am Plaudern.“ 

Isa sagt, die Plauderkasse sei total beliebt: „Das Tolle ist, dass viele, die da in der Schlange stehen, generell offener sind als sonst. Und überhaupt, die ganze Atmosphäre drum herum ist irgendwie freundlicher.“

Ich kann mir das gut vorstellen, und ich weiß auch: für alle, die es eiliger haben, gibt es ja immer noch die normalen Kassen. Auch Isa stellt sich da manchmal an. Sie gibt zu: „Am Anfang hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, als ich mich an der schnellen Kasse angestellt habe. Ich kam mir fast so vor, als würde ich jetzt kein Interesse mehr für die anderen mitbringen. Aber inzwischen habe ich begriffen, dass das okay ist, dass ich an manchen Tagen auch durchrausche. Das ist was Freiwilliges. Manchmal passt es gut und mal eben auch nicht.“

Mittlerweile hat sich Isa in Basel gut eingelebt, sie braucht die kleinen Plaudereien an der Kasse nicht mehr so dringend. Sie hat sich ihr Netzwerk aufgebaut und fühlt sich in ihrem neuen Bekanntenkreis mittlerweile wohl. Manchmal geht sie aber trotzdem noch ganz bewusst an diese eine langsame Kasse, einfach weil es so schön ist.

Ich frage Isa: „Warst du die letzten Tage mal wieder da?“ „Aber hallo“, sagt Isa zu mir: „Wir haben Advent, und ich hab echt wenig Zeit. Deshalb ist die Zeit zum Plaudern, wenn ich sie mir mal nehme, erst recht gut investiert.“

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16DEZ2022
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Mir ist vor ein paar Jahren kurz vor Weihnachten ein Missgeschick passiert.

Es war eben diese stressige Zeit Mitte Dezember, und ich bin im Auto unterwegs. In einer engen Durchgangsstraße gibt es auf einmal ein hässliches Geräusch. „Oh je“, denke ich, „das war ein Außenspiegel.“ Ich schau zurück und sehe: Der Spiegel eines VW-Busses ist ziemlich ramponiert. Zerknirscht parke ich und klingle auf gut Glück am nächstbesten Haus. Auf dem Klingelschild steht „Haug“. Eine resolute Dame öffnet mir. Ich will anfangen zu reden, da sagt Frau Haug: „Kommen Sie erst mal rein, das ist nichts für die Haustür.“ An ihrem Küchentisch schreibe ich eine Nachricht für den Besitzer. Als ich sie bitte, dass sie ihm meine Nachricht gibt, meint sie: „Worauf Sie sich verlassen können! Und jetzt fahren Sie vorsichtig nach Hause, und nächstes Mal passen Sie besser auf!“

Jedes Jahr kurz vor Weihnachten denke ich an Frau Haug. Wie sie mir eingebläut hat, dass ich gefälligst aufzupassen habe. Ihre Autorität hatte was. Sie war streng mit mir und hat sich dabei so engagiert für ihren Nachbarn eingesetzt. Das war stark, und das erinnert mich an den Weihnachtsfrieden. Denn der ist nicht lasch, das ist eine drängende Forderung. Auf den Frieden hab ich gefälligst aufzupassen!

Jetzt noch mal zurück zur Geschichte mit dem Außenspiegel. Da kommt es noch besser. Am Morgen von Heiligabend ruft mich der Besitzer des VW-Busses an. Herr Behr. Er erklärt mir: „Sie brauchen sich gar nicht zu entschuldigen. Der Spiegel war schon lange kaputt. Da sind schon so viele Autos dran hängen geblieben. Aber Sie sind die Erste, die eine Nachricht hinterlassen hat. Also danke Ihnen.“

Ich bin sprachlos. Dass Herr Behr so ehrlich zu mir war, war großzügig von ihm, und mit seinem Anruf hat er mir eine Riesenfreude gemacht. Ich war so erleichtert und konnte dann mit leichterem Herzen Weihnachten feiern. Herr Behr hat mir mit seiner weichen und friedfertigen Art gezeigt, wie sich der Weihnachtsfrieden auch anfühlen kann. Dass er einen auch überraschend erreichen kann, so völlig unverdient. 

Frau Haug und Herr Behr haben mich auf zweierlei Weise erleben lassen, was das heißen kann: „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ „Friede auf Erden“ – das ist eine starke Forderung, so resolut und bestimmend wie bei Frau Haug. Und wenn ich dieses „Frieden auf Erden“ an mich selbst heranlasse, kann es sich auch großzügig und liebevoll anfühlen, so wie bei Herrn Behr.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15DEZ2022
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Es ist Freitagvormittag und in meiner Schule große Pause. Ich bin Schulseelsorgerin und feiere zusammen mit einigen Schülerinnern und Schülern einen kleinen Gottesdienst. Wir sitzen auf Stühlen vorne in der Schulkapelle, und die Türen hinten stehen weit offen.

Wir halten gerade einen Moment Stille, da sehe ich aus den Augenwinkeln zwei Mädchen aus der fünften Klasse an den Türen. Die eine versteckt sich hinter einer Säule, die andere in einer Nische in der Wand. Die beiden spielen wohl Verstecken und sind so vertieft, dass sie uns gar nicht bemerken.

Die Jungs und Mädchen bei mir vorne zünden jetzt Kerzen an. Sie bringen damit alles, was ihnen gerade durch den Kopf geht, zu Gott. Richtig andächtig machen sie das. Mein Blick wandert währenddessen immer wieder zu den beiden Kindern an den Türen. Sie warten geduldig in ihren Verstecken, ob jemand sie findet. Sie sind mit jeder Faser ihres Körpers darauf ausgerichtet, dass sie jeden Moment gefunden werden.

Ich muss lächeln und überlege: Wir suchen ja alle im Leben etwas. Und gleichzeitig wollen wir gefunden werden. Jedenfalls ist das bei mir so. Ich suche freie Zeit, echte Freundschaften und auch Anerkennung. Und da gibt es diese Sehnsucht danach, dass ich als ganzer Mensch ‚gefunden‘ werde, also so angenommen werde, wie ich bin. Von einem anderen Menschen oder von Gott.

Ich denke da auch an meine Freundin, die nach vielen Jahren von ihrem Partner verlassen wurde. Und wie sie sich danach sehnt, dass da jemand ist, der sie sieht und wieder liebt. Oder der ältere Mann im Pflegeheim, der sich so sehr wünscht, dass jemand kommt und ihn besucht, dass er von einem lieben Menschen ‚gefunden‘ wird. Oder die Nachbarin, die liebevoll ihre kranke Mutter pflegt, und dabei selbst viel zu oft übersehen wird.

Ich bin überzeugt, dass Gott nach jedem Menschen sucht. Dass er mich finden möchte, auch wenn sich das für mich oft nicht so anfühlt. Mein Leben ist oft so voll, und mein Blick ist manchmal verschwommen, vor allem wenn ich enttäuscht bin oder meine Augen gerade voller Tränen sind. Aber ich will mich immer wieder daran erinnern, dass ich meine Antennen offen halte, damit er mich finden kann.  

„Ich hab Dich! Gefunden!“ Ein Junge kommt angelaufen und hat die zwei Mädchen entdeckt. Wir vorne mit unseren Kerzen müssen lachen. Ja, eine Kapelle ist auch ein ganz guter Ort, um sich finden zu lassen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08OKT2022
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Ich sitze im Restaurant, es ist ein schöner Abend, und das Essen ist lecker. Da höre ich, wie ein Mann am Nachbartisch sich lauthals beschwert: „Das Rumpsteak können Sie behalten. Das will ich jetzt auch nicht mehr.“ Darauf der Kellner: „Ich biete Ihnen einen Drink auf Kosten des Hauses dazu an.“. Aber der Mann schimpft und schimpft. Er will keinen Drink. Er hat wohl geschlagene zwei Stunden auf sein Essen gewartet.

Der freundliche Kellner muss er schlucken und sagt: „Es tut mir wirklich sehr leid. Das ist richtig schiefgelaufen. Ich kann Sie nur von Herzen um Entschuldigung bitten.“ Der ältere Herr legt daraufhin nochmal richtig los. Der Kellner wiederholt ruhig: „An Ihrer Stelle würde ich mich auch ärgern. Es tut mir so leid. Da ist irgendwo in unserem Team ein Fehler passiert. Ich nehm das jetzt auf meine Kappe. So etwas darf nicht passieren, aber es ist leider passiert.“

Langsam beruhigt sich der Gast und hört mit seinem Gezeter auf. Dann legt er einen Geldschein für die Getränke auf den Tisch und steht auf. Der Kellner spricht ihn ein letztes Mal an und sagt: „Kommen Sie noch mal wieder und geben Sie uns eine Chance. Ich versuche dann auf jeden Fall, alles richtig zu machen.“ Und was dann passiert, überrascht mich: Der Mann sagt zu, und er legt dem Kellner die Hand auf die Schulter. Der ältere Herr wirkt auf einmal wie versöhnt.

Mich hat das beeindruckt, wie der Kellner sich verhalten hat. Er war unglaublich geduldig. Er hat nichts gerechtfertigt und konnte sich die Wut des Gastes anhören und sie zulassen. Er hat nichts schöngeredet, sondern sich alles angehört und dem Mann gezeigt, dass er ihn versteht. Das ist anstrengend! So hat dieser ruhige Kellner eine Situation gerettet, die eigentlich kaum zu retten war. Es freut mich, dass er am Ende sogar ein Stück Anerkennung von dem Gast bekommen hat.

Es gibt so viele, die sich mächtig Ärger anhören müssen, obwohl sie selbst gar nichts dafür können. Polizistinnen zum Beispiel, Zugbegleiter oder Angestellte in den Behörden. Da sind viele, die sich meist voll reinhängen, aber denen am Schluss dann doch die Hände gebunden sind.

Wer es da schafft, noch respektvoll und ruhig zu bleiben, der kriegt heute Morgen meinen ganzen Respekt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07OKT2022
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Es gibt Tage, die sind so anstrengend. Da weiß ich manchmal gar nicht, wie ich alles schaffen soll. 

Ich erinnere mich da an meinen ersten Tag an der Uni. Das ist ewig her, aber ich weiß es noch wie heute. Ich war ganz neu in der Stadt, überall um mich Leute, aber ich habe niemanden gekannt. Die Uni ist mir riesig vorgekommen. Die Eingangshalle war voller Stimmengewirr. Ich habe mich schüchtern umgesehen, und plötzlich hat mich eine junge Frau aus einer Gruppe von Leuten angelächelt. Mir ist in dem Moment das Herz aufgegangen, und ich habe zurückgelächelt. Ich bin zu der Gruppe hingegangen und hab Anna kennengelernt. 

Oder die Geschichte von meiner achtzehnjährigen Freundin Mareike. Sie hatte auch so einen fiesen Tag vor sich. Sie war so nervös vor ihrer Fahrprüfung. Aber der Prüfer hat sie zur Begrüßung freundlich angelächelt, und dieser kurze Moment hat ihr das Gefühl gegeben, dass sie das schaffen kann. Ihre Nervosität war weg, und sie hat die Prüfung ohne Angst gemeistert. Ein einziges kurzes Lächeln, und eine ganze Prüfung kann entspannter laufen. 

Was Lächeln alles bewirkt: es kann entspannen – wie bei Mareike. Und es kann mutig machen – wie bei mir am ersten Unitag. Es kann einen stärker machen oder trösten, und es kann willkommen heißen.

Natürlich kann ein Lächeln auch missverstanden werden, und es löst auch nicht alle Probleme. Und manche Leute setzen ja auch ein falsches Lächeln auf. Das fühlt sich gar nicht gut an, das kann einen richtig treffen.

Aber gerade an Tagen, an denen es mir nicht gut geht, kann es so helfen, wenn mich jemand freundlich ansieht. Denn Lächeln hat was Verbindendes. Wer lächelt, lässt den anderen spüren, dass er ihn sieht und er ihm nicht egal ist.

Ein Lächeln ist so wie eine Brücke. Der andere kann drauf laufen, muss es aber nicht: Oder er oder sie kann nur ein Stück rüberkommen und zurücklächeln, oder es entsteht noch mehr, und wir beginnen zu reden. Wenn mich jemand anlächelt, baut er eine Brücke in meine Richtung. 

Ich finde das toll: Nur mit Gesichtsmuskeln und ein bisschen Zuwendung kann man so was Starkes bauen.

Heute ist ein guter Tag zum Brückenbauen. Denn heute ist Welttag des Lächelns. 

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06OKT2022
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Es ist ein goldener Herbsttag, und ich stapfe mit 140 Kindern durch den Wald. Neben mir laufen Lucie und Moritz, die beiden sind elf Jahre alt. Sie quasseln die ganze Zeit. Es ist Schulwandertag, und die vielen Fünftklässler, ein paar Lehrerinnen und ich wandern auf den Spuren eines Heiligen. Genau genommen auf den Spuren unseres Schul-Heiligen.

Der heilige Landolin soll im 7. Jahrhundert als Mönch aus Irland ins Badische gekommen sein. Das finden Lucie und Moritz spannend, denn Landolin soll genau in dem Wald, in dem sie gerade wandern, als Einsiedler gelebt haben. Eines Tages hat ihn ein Jäger brutal erschlagen. Er hatte ihn wohl für einen Zauberer gehalten, weil die Tiere bei ihm so zahm waren.

Nach ein paar Kilometern kommen wir an eine ganz besondere Stelle. An die Stelle, wo Landolin gestorben sein soll. Die Legende erzählt: fünf Quellen seien damals entsprungen. Die Quellen sprudeln immer noch. Lucie und Moritz hören gebannt zu, als sie erfahren, was noch alles passiert sein soll, nachdem der heilige Landolin gestorben ist. Er habe etwa eine blinde Frau geheilt, weil sie seinen blutigen Leichnam angefasst hat. Deshalb gilt Landolin auch als Patron für Augenkrankheiten.

Ich finde diese Geschichte schaurig und weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Da platzt Lucie heraus: „Der Landolin war kein Zauberer. Der konnte einfach gut mit Tieren umgehen.“ Und weiter erklärt sie: „Die Rehe und Wildschweine und so, die haben ihm einfach vertraut.“

Ich stehe da und kriege meinen Mund nicht mehr zu. Und Moritz legt noch einen obendrauf und sagt: „Und bestimmt sind auch ganz unterschiedliche Leute zu ihm gekommen und haben ihn um Rat gefragt. Die haben ihm auch vertraut.“

Vielleicht haben die beiden Kinder mit ihrer Fantasie Recht. Vielleicht hatte Landolin wirklich diese besondere Fähigkeit und war ganz achtsam mit Tieren und Menschen. Womöglich hat er eine besondere Ruhe ausgestrahlt, und alle haben sich in seiner Nähe wohlgefühlt.

Da stehe ich neben Lucie und Moritz und den anderen Kindern an der Quelle. Und jetzt sehe ich, was für mich an diesem Landolin „heilig“ ist. Es ist die Sache mit dem Vertrauen können. Wer vertrauen kann, der kann in einem tieferen Sinn „gut“ leben. Wer vertraut, heißt andere willkommen. Das ist nicht immer einfach. Manchmal braucht es neue Anläufe, und Vertrauen kann auch erschüttert sein.

Landolin konnte so gut vertrauen. Das haben mich die Kinder gelehrt, denn das hab ich vorher gar nicht gesehen.

A propos Sehen. War dafür nicht der Heilige Landolin zuständig? 

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21MAI2022
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Meine Freundin Tanja pflegt ein besonderes Ritual. Mag sein es klingt erstmal sonderbar. Tanja cremt sich jeden Abend ganz bewusst ihre Füße ein. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern einfach so, und egal, wie der Tag war. Sie macht das mit Hingabe, und es tut ihr gut. Und was besonders interessant ist: genauso liebevoll, wie sie da jeden Abend mit sich selbst umgeht, geht sie auch mit ihrer Familie, ihren Freundinnen und überhaupt mit Menschen um. 

Ich bewundere Tanja für ihre aufmerksame Art und für ihr untrügliches Gespür, was ihr und anderen guttut. Wenn ich Tanja so vor mir sehe, wie sie ihre Cremedose aufdreht, fallen mir zwei Geschichten aus der Bibel ein, wo es auch darum geht, dass Füße gepflegt werden. (Lk 7, 36-50; Joh 13, 1-11)  

Die erste Geschichte geht so: Jesus ist zum Essen eingeladen, und während alle essen, kommt eine Frau auf Jesus zu. Sie weint, und ihre Tränen tropfen auf die Füße von Jesus. Dann trocknet die Frau seine Füße mit ihren Haaren ab und salbt sie mit einem duftenden Öl. Sie will Jesus etwas Gutes tun und nimmt für die Füße von Jesus ein besonders kostbares Öl. Im Gegensatz zu allen anderen um ihn herum erkennt Jesus sofort, dass das etwas Wertvolles ist. 

In der zweiten Geschichte ist Jesus derjenige, der sich um die Füße der anderen kümmert. Beim letzten Abendmahl wäscht er seinen Jüngern die Füße, und obwohl die Jünger sich erst dagegen wehren, lässt Jesus sich nicht davon abbringen. Er zeigt ihnen damit, wie sehr er sie liebt.

Wenn jemand seine eigenen oder fremde Füße eincremt oder pflegt, kann das etwas Liebevolles sein. Und es steckt für mich beides drin: dass ich mich sowohl um mich selbst als auch um andere kümmere. So wie Jesus das gemacht hat. Er konnte genießen, aber auch selbst Hand anlegen und anderen Gutes tun. Bei ihm kommt beides zusammen, so wie bei meiner Freundin Tanja.

Sie erinnert mich daran, dass ich in mich hineinhorche, was mir guttut, und auch die Ideen ernst nehme, die mir vielleicht erst mal schräg vorkommen. Gerade wenn die Zeiten heftig sind oder es mir einfach nicht gut geht, ist es so wichtig, dass ich gut zu mir bin.

Ich habe meine Freundin Tanja gefragt, warum sie sich jeden Abend diese Zeit für sich selbst nimmt. Sie hat es so auf den Punkt gebracht: „Man muss doch auch ein Herz für sich selbst haben.“

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