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SWR1

     

SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR1 3vor8

21JUL2024
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Früher war alles besser… dieser Stoßseufzer ist wahrscheinlich den meisten schon mal durch den Kopf gegangen. Auch heute höre ich das immer wieder. Zum Beispiel, wenn es um die Spaltung der Gesellschaft geht. Früher da war alles besser, da haben die Menschen wenigstens noch zusammengehalten…

Ein Abschnitt aus dem Epheserbrief in der Bibel, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird, dreht die Perspektive.

Da heißt es: früher was alles schlechter! Der Briefschreiber erinnert die Menschen daran, dass ihnen in ihrem Leben ein Licht aufgegangen ist: Christus ist in euer Leben gekommen. Er hat es heller gemacht. Ihr seid Kinder des Lichts. Der Glaube an Gott, zu dem die Menschen durch Christus gekommen sind, war für sie lebensverändernd. Eine Wende zum Guten.

Ich finde, diese Kraft kann Glaube heute immer noch entfalten. Weil er auch in manchmal komplizierten Zeiten, Hoffnung schenkt. Es gibt etwas Größeres als mich. Einen Zuspruch. Gott meint es gut mit mir. Mit uns allen. Für mich ist das etwas, das meine Leben heller macht. Und meinen Blick hin zum Guten wendet.

Früher war alles besser? Es gab mehr Zusammenhalt? Mag sein, dass das stimmt. Andererseits habe ich auch den Eindruck: Früher musste man sich viel mehr anpassen. Es gab bestimmte Werte, die galten. Wer damit nicht konform ging, wurde mindestens schief angeschaut. Vieles wurde gar nicht erst thematisiert. Menschen mussten zum Beispiel ihre Liebe im Verborgenen leben.

Sie mussten sich verstecken, nur weil ihre Beziehung nicht zur Norm passte oder kein Trauschein vorhanden war. Was als unnormal galt, wurde verschwiegen oder ins Dunkel geschobenen.

Aber ihr seid Kinder des Lichts. Heute sind wir offener. Für vieles, was früher unmöglich gewesen wäre, gibt es jetzt eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Mancherorts, wo es vorher dunkel war, leuchtet heute ein Licht. Insgesamt leben wir freier. Ja, früher war vielleicht manches besser, aber ich finde vieles auch schlechter. Jesus Christus wollte Licht für die Welt sein. Die Erinnerung daran hilft mir, das Gute nicht aus dem Blick zu verlieren. Und es macht mir Mut, dass es immer noch ein Stückchen besser wird.

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SWR Kultur Wort zum Tag

26JUN2024
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Willst du etwa, dass man dich tritt? Nein? Also dann lass es bitte! Immer wieder beobachte ich bei mir, dass ich solche Sätze zu meiner Tochter sage. Eine erzieherische Maßnahme, wenn ich will, dass sie irgendetwas nicht macht. Getreu dem Motto: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Ist ja auch kein schlechter Grundsatz…

So ähnlich formuliert es Jesus in der Bergpredigt. Diese Rede ist so etwas wie eine Zusammenfassung der Lehre Jesus. Sie enthält wichtige ethische Prinzipien und noch vieles mehr, zum Beispiel das Vaterunser. Einen prominenten Platz in der Bergpredigt hat die sogenannte Goldene Regel. Die lautet:

Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut auch ihnen. (Mt 7,12)

Anders als bei dem Erziehungsmotto spricht Jesus nicht davon, etwas zu unterlassen, weil man es selbst nicht möchte. Er möchte vielmehr, dass wir etwas tun. Nämlich das, was wir uns selbst wünschen.
Das ist ein wichtiger Unterschied. Er zwingt mich zum Nachdenken: Was wünsche ich mir eigentlich?

Ich möchte zum Beispiel von anderen respektvoll behandelt werden. Freundlich, wenn ich eine Frage habe. Geduldig, wenn ich etwas nicht verstehe. Ich möchte in Ruhe gelassen werden, wenn ich das signalisiere. Nicht vollgetextet werden, wenn ich das gerade nicht brauchen kann. Ich wünsche mir auch, dass mir anderen verzeihen, wenn ich einen Fehler gemacht habe.

Im Sinne der Goldenen Regel heißt das für mich: die anderen genauso zu behandeln: Freundlich, behutsam, vergebend. Und das nicht in dem Sinne: wie du mir, so ich dir. Jesus knüpft seine Goldene Regel nicht an Bedingungen. Ich soll in Vorleistung gehen; andere so behandeln, wie ich behandelt werden will. Und nicht darauf warten, dass mein Gegenüber damit anfängt.

Mir gefällt dieses Motto Jesu besser, als das, was ich meine Tochter immer predige. Weil es nicht auf Verhinderung ausgelegt ist, sondern aktiv auf ein gutes Miteinander abzielt.    

Deshalb sollte ich wohl auch meine pädagogische Herangehensweise modifizieren. Nicht mehr: Tritt niemand anderen, weil du das nicht willst. Sondern vielmehr: Sei nett zu anderen, weil du dir das doch auch wünschst.

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SWR Kultur Wort zum Tag

25JUN2024
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Ich bin neulich in Berlin am House of One vorbeigekommen. Oder besser gesagt: Dort, wo es einmal stehen soll. Denn noch ist es eine Baustelle. Und damit irgendwie auch ein Symbol für das Verhältnis der Religionen untereinander. Denn vielerorts gibt es noch und wieder viel aufzubauen.

Im house of one sollen einmal eine Synagoge, eine Mosche und eine Kirche unter einem Dach vereint sein. Jede Religion bekommt einen eigenen Sakralraum. Aber auch einen Raum der Begegnung soll es geben. Die Idee ist, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen lernen, gemeinsam in dem „einen Welthaus“ zu leben. Ein Ort des Friedens und der Verständigung.

Ich hoffe, es wird bald fertiggestellt. Der Krieg im Gaza-Streifen, offen zu Schau gestellter Antisemitismus auf deutschen Straßen… Die Liste von Konflikten, in denen Religion eine Rolle spielt, ließe sich fortsetzen.

Religionen gelten deswegen häufig als Hort der Intoleranz. Sie entfachen und befeuern Konflikte. Dabei bin ich sicher: Religionen können und sollten zu einem toleranten Umgang zwischen verschiedenen Menschen beitragen. Zumindest für das Christentum kann ich das behaupten. Und viele jüdische und muslimisch Stimmen sehen das genauso.    

In der Schöpfungserzählung der Bibel wird der Mensch als freies Wesen mit einer gottgeschenkten Würde beschrieben. Und das gilt nicht exklusiv für mich oder meine Religion, sondern für alle Menschen.

Der Begriff Toleranz stammt aus dem Lateinisch und heißt so viel wie dulden. Wer tolerant ist, erduldet, dass ein anderer anders denkt oder glaubt. Natürlich halten alle gläubigen Menschen ihre eigene Religion für wahr. Mir ist die Bibel heilig, nicht der Koran. Aber als Christ sehe ich den anderen auch immer als Ebenbild Gottes. Als Mensch, der frei ist, an das zu glauben, was er für wahr hält.

Als Menschen mit einer gottgeschenkten Würde. Wenn ich so auf den anderen schaue, dann kann ich es gut tolerieren, dass er etwas anderes glaubt als ich. Meinem Glauben nimmt das nichts weg.

Deswegen denke ich: alle die im Namen ihrer Religion Intoleranz forcieren und predigen instrumentalisieren Religion nur. Ich finde es wichtig, dem etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel in dem man Orte schafft wie das house of one, an denen sich Religionen bewusst begegnen und friedlich zusammenleben.

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SWR Kultur Wort zum Tag

24JUN2024
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Heute ist Weihnachten. Also offensichtlich nicht das im Dezember. Sondern Sommerweihnachten. So zumindest hat man den heutigen Johannistag früher genannt. Der hat seinen Namen von Johannes dem Täufer. Angeblich war der genau sechs Monate älter als Jesus. Deswegen wird heute, am 24. Juni, sein Geburtstag gefeiert.

Die bekannteste Tat von Johannes ist – wenig überraschend – eine Taufe. Nämlich die Taufe Jesu. Jesus lässt sich als erwachsener Mann, zu Beginn seines öffentlichen Auftretens, von Johannes taufen. So erzählen es die Evangelien. Johannes will das zuerst gar nicht. Denn er weiß, wie besonders Jesus ist.

„Ich müsste doch eigentlich von dir getauft werden“, wendet Johannes ein. Er erkennt als einer der ersten, dass Jesus der Messias ist, auf den alle warten.

Aber Jesus lässt nicht locker und Johannes erfüllt seinen Wunsch schließlich und tauft ihn. Wenn ich heute mit Eltern spreche, die ihr Kind taufen lassen möchten, höre ich oft denselben Wunsch: Sie möchten, dass ihr Kind beschützt wird. Dass es erfährt, dass es in seinem Leben – auch in dunklen Momenten – nicht alleine ist. Ich kann mir vorstellen, dass sich Jesus genau das am Anfang seines Wirkens auch gewünscht hat. Dass er das Gefühl hatte: Ich brauche jetzt Beistand. Ich habe eine große Aufgabe vor mir. Allein ist das nicht zu schaffen. Auch Jesus hat Zuspruch gebraucht. Denn er war voll und ganz Mensch. Kein Halbgott, der über uns Menschen steht. Sondern ein Mensch, der zweifelt und Angst hat. Der fühlt und Bedürfnisse hat. Das Besondere an diesem Menschen Jesus ist: Er hat uns etwas davon gezeigt und erzählt, wie Gott ist. Er hat eine Beziehung zwischen Gott und Menschen hergestellt. Die ihm begegnet sind, haben in ihm den Sohn Gottes gesehen. In dem Menschen Jesus ist ihnen Gott begegnet. Auch Johannes hat das Besondere in Jesus gesehen. Er hat ihn unterstützt. Er hat ihm geholfen und gestärkt für die Aufgabe, die vor ihm lag.

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SWR1 3vor8

09JUN2024
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Wen würde Jesus wählen? In knapp drei Minuten ist es ja soweit. Die Wahllokale für die Europawahl öffnen. Im Wahlkampf kam es über die Frage, auf welcher Seite Jesus stehen würde, zu einer kontroversen Debatte. Jesus wäre Spitzenkandidat der Europäischen Linken im Kampf gegen die Sicherung der Europäischen Außengrenzen und die Festung Europa, behauptete ein Abgeordneter der Linkspartei. Quatsch, erwiderte ein Abgeordneter der AfD. Nur seine Partei trete glaubhaft für den Erhalt des christlichen Abendlandes ein. Jesus wäre selbstverständlich Spitzenkandidat der AfD.

Ich halte es eigentlich für unsinnig, Jesus auf diese Art für die eine oder andere Partei zu vereinnahmen.

Ich finde, es ist trotzdem nicht beliebig, was ich als Christ sage oder tue und wem ich meine Stimme gebe, damit er mich repräsentiert. Die biblischen Erzählungen machen Vorschläge, wie Zusammenleben funktioniert; Die Evangelien setzen sich kritisch mit der Gesellschaft, Machtstrukturen und Herrschenden auseinander. In diesem Sinne ist die Bibel auf jeden Fall ein politisches Buch.

Der Epheserbrief, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird, macht Vorschläge, wie Zusammenleben – auch von Menschen völlig unterschiedlicher Kultur und Prägung – gelingen kann. Nämlich indem man auf das schaut, was einen mit anderen verbindet und vereint, nicht auf das, was trennt oder worin wir unterschiedlich sind. Und das finde ich immer noch einen guten Grundsatz.

Sicherlich kann man manches an der EU kritisieren.
Aber sie hat über die vergangenen Jahrzehnte doch eine gewisse Stabilität und vor allem Frieden in Europa gebracht. Und ich glaube, dass ist etwas, nach dem sich die allermeisten Menschen – übrigens auch diejenigen, die zu uns flüchten – sehnen: In Frieden und Sicherheit leben – mit einem ausreichenden Maß an materiellem Wohlstand.

Ist das nicht ein Projekt, an dem man gemeinsam bauen kann? Egal, wer wir sind oder wo unsere Wurzeln liegen? Der Epheserbrief betont: Friedliches Zusammenleben ist ein urchristliches Anliegen.

Ich glaube deshalb: Jesus würde eine Partei wählen, die Europa fördert. Die das Friedensprojekt Europa vorantreiben und nicht einstampfen will. Eine Partei, die versucht zu einen und nicht zu spalten; die nicht ausgrenzt, sondern integriert.

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SWR1 3vor8

05MAI2024
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Wie entsteht eigentlich Streit? Eigentlich streitet sich ja keiner gerne. Und doch tun wir es immer wieder.

Das hat sicher unterschiedliche Gründe. Streit entsteht aus Emotionen. Wenn jemand enttäuscht wurde. Wenn persönliche Überzeugungen im Spiel sind oder das Gerechtigkeitsempfinden betroffen ist.

So ist das auch bei Gott. Die Bibel erzählt, wie Mose, der Anführer der Israeliten, Gottes Wut und Emotionen voll abkriegt. Über ein Gespräch zwischen den beiden wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt.

Gott fühlt sich von seinem Volk, den Israeliten, verraten. Er will sie vernichten. Denn während Mose auf einen Berg gestiegen ist, um mit Gott zu sprechen, haben sich die Israeliten einfach einen neuen Gott erschaffen: ein goldenes Kalb. Etwas Sichtbares, das sie anbeten können. Den Gott, der sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat, den haben sie abserviert. Obwohl er ihnen Hoffnung geschenkt und eine bessere Zukunft ermöglicht hat.

Und Gott reagiert sehr emotional auf diese Untreue. Er ist tief verletzt und möchte die Israeliten vom Erdboden tilgen. Als Mose das hört, bittet er für die Israeliten. Er ruft Gott ins Gedächtnis, was er schon alles mit seinem Volk, durchgemacht hat. Dass er sie befreit hat. Und das wirkt. Gott lässt sich umstimmen. Ja, er bereut, was er gedacht und gesagt hat. (2. Mose 32,7-14)

Gott erscheint in dieser biblischen Erzählung als jemand, der emotional ist. Der zürnt und hasst und gleichzeitig liebt und vergeben kann. Zuerst einmal wirkt es auf mich abschreckend, dass Gott zu solcher Wut fähig ist. Wo ist da der „liebe Gott“?

Aber es zeigt eben auch: Gott fühlt etwas für die Menschen; Sie sind ihm wichtig. Es ist ihm nicht egal, was ich mache. Und Gott kann mich auch verstehen, wenn ich wütend bin oder emotional überreagiere, weil er diese Seite selbst kennt.  

Trotzdem bin ich froh, dass Mose Gott beschwichtigt und er ihn an seine liebende, vergebende Seite erinnert hat. Er hat Gott davon abgehalten, etwas zu tun, was er hinterher vielleicht bereut. Und das erscheint mir auch in der Emotion wichtig. Dass man nicht überreagiert und etwas tut, das man nicht wiedergutmachen kann. Gut, wenn man Menschen an seiner Seite hat, die einen beschwichtigen können.

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SWR2 Wort zum Tag

03APR2024
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Das ist einfach ungerecht! Mit Schülerinnen und Schülern habe ich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg diskutiert. Und die Schüler konnten sich gar nicht damit anfreunden, dass am Ende alle Arbeiter den gleichen Lohn bekommen – egal, ob die den ganzen Tag oder nur ein paar Stunden gearbeitet haben. Einfach ungerecht fanden sie das.

Gewundert hat mich das eigentlich nicht. Die Vorstellung von Leistungsgerechtigkeit, nachdem jeder gemäß dem Wert seiner Leistung entlohnt wird, ist bei uns gesellschaftlich ziemlich weit verbreitet.

Aber wenn ich zum Beispiel mal Gehalt und Boni eines Vorstandes der Deutschen Bahn mit dem eines Lokführers vergleiche, frage ich mich schon, ob das gerecht ist. Leistet der Manager so viel mehr als andere „normale“ Angestellte. Ist das wirklich gerecht? Viele Menschen empfinden das zumindest nicht so.

Also dann vielleicht doch lieber einer Form der Bedarfsgerechtigkeit, wie sie bei den Arbeitern im Weinberg stark gemacht wird. Denn darum geht es im Kern: Jeder soll so viel bekommen, damit es für ihn und seine Familie zu einem guten Leben reicht – unabhängig von seiner Leistung.

Aber auch das finde viele Menschen ungerecht, nicht nur meine Schüler.
Ja, was ist gerecht? Darüber könnte man sicher tagelang diskutieren.

Das Problem ist: DIE eine Gerechtigkeit gibt es nicht. Und gerade deshalb muss man immer wieder diskutieren; Leitplanken ausloten, an denen man sich orientieren kann und soll. Und ich glaube, da sind wir alle gefordert.

Der Theologe Gerd Theißen schreibt über Gerechtigkeitsvorstellungen in der Bibel:
„Das Gerechtigkeitsmotiv verpflichtet alle zur Gerechtigkeit. Nicht nur den König, sondern das ganze Volk ist verantwortlich dafür,
dass der Schwache geschont,
der Fremde respektiert,
der Arme unterstützt wird.“[1]

Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges: Nämlich, dass die Verantwortung für Gerechtigkeit und füreinander nicht abgeschoben wird. Man ist selbst mitverantwortlich dafür, dass es gerecht oder eben ungerecht zugeht.

Denn Gerechtigkeit lässt sich nicht nur durch die Politik oder Gesetze regeln. Klar, manches könnte man sicher auch von dort aus in bessere Bahnen lenken. Aber insgesamt ist es doch ein höchst komplexes Geschehen, Bedingungen zu schaffen, in denen es so gerecht wie möglich zugeht. Ich glaube, da können wir uns alle einbringen und Verantwortung füreinander übernehmen.

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[1] Gerd Theißen, Glaubenssätze, Gütersloh 2012, S. 266.

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SWR2 Wort zum Tag

02APR2024
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April, April. Gestern wurden wahrscheinlich wieder viele Leute in den April geschickt: Mit falschen Behauptungen veräppelt und reingelegt. Angeblich hat diese Tradition einen christlichen Hintergrund. Der 1. April soll der Geburtstag des Judas sein. Der hat Jesus mit einem Kuss an die Römer verraten, ihn also übel reingelegt, und somit seine Hinrichtung eingeleitet.

Der Hintergrund des Aprilscherzes ist also gar nicht witzig. Überhaupt geht es in der Bibel selten lustig zu. Das wirkt offensichtlich nach. Insbesondere Protestanten wird oft eine gewisse Ernsthaftigkeit nachgesagt.

Aber ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass Jesus immer nur ernst gewesen ist. Vielleicht war es einfach zu selbstverständlich, dass er gelacht und gescherzt hat, als dass die Autoren der neutestamentlichen Erzählungen das erwähnenswert fanden.

Und ein paar Hinweise darauf, dass es auch bei Jesus und seinen Freunden nicht immer nur dröge und gesittet zugegangen ist, finden sich schon:
„Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt.“ (Markus 10,25)

Dieser Satz von Jesus hat einen ernsthaften Kern. Es geht um die Verteilung von Reichtum. Aber es ist auch ein völlig übertriebenes Bild. Klar, dass das zur damaligen Zeit größte Nutztier nicht durch so eine kleine Öffnung wie ein Nadelöhr passt. Das Bild, das man sich im Kopf davon macht, wirkt lächerlich. Absurd.

Humor ist in alten Texten nicht unbedingt immer gleich als solcher zu erkennen. Was als lustig empfunden wird, variiert über die Jahrhunderte stark. Auch Jesus zeichnet gedankliche Bilder, die überzogen und absurd sind. So funktioniert Humor heute auch noch.

Es wird auch erzählt, dass Jesus gefeiert hat. Auf einer Hochzeit zum Beispiel. Da hat er ja sogar Wasser in Wein verwandelt. Also wenn es da nicht lustig zugegangen ist, weiß ich auch nicht…

Aber warum ist es mir eigentlich so wichtig, ob Jesus gelacht oder Witze gerissen hat, ob er gefeiert hat?

Es macht ihn für mich nahbar, menschlich, wenn ich mir vorstelle, dass er gelacht und gefeiert hat. Er kommt mir so nähe, als ein Jesus, bei dem es nur um den Ernst des Lebens ging. Spaß und Humor macht mein Leben heller und fröhlicher. Es hilft mit, auch die Absurditäten und schwierigen Tage zu ertragen. Nicht nur Anfang April.  

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SWR1 3vor8

24MRZ2024
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Kann man Gott eigentlich sehen? Das wurde ich neulich von einem Konfirmanden gefragt. Ich habe ihm dann eine Geschichte erzählt, die mir gut gefällt. Es geht um ein Gespräch zwischen einem jüdischen Gelehrten und seinem Schüler:

„Früher gab es Menschen, die Gott direkt ins Gesicht geschaut haben. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ Das fragt der Schüler seinen Lehrer. Der Lehrer neigt seinen Kopf, überlegt kurz und antwortet: „Weil sich niemand mehr so tief bücken will.“[1]

Wer Gott sehen will, muss sich herabbeugen, bücken, nach ganz unten schauen. So wird es auch in einem Brief in der Bibel erzählt, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Jesus, der Sohn Gottes genannt wird, hat seine göttliche Pracht abgelegt und hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, heißt es da. (Phil 2,5ff)

Und genau so haben die Menschen Jesus auch erlebt, wie einen Knecht. Er hat vor seinem Tod seinen Freunden die Füße gewaschen. Eine Arbeit eigentlich für Diener.

Jesus hat sich mit Leuten abgegeben, mit denen niemand sonst etwas zu tun haben wollte. Er hat Partei ergriffen: für die Frau, die Ehebruch begangen hat und verurteilt werden sollte.

Jesus ist in der Hierarchie ganz nach unten gegangen, um für die Menschen da zu sein. Er hat den Menschen gedient, nicht von oben herab geherrscht.

Und wie es aussieht, wenn man sich daran orientiert, das konnte man in den vergangenen Monaten in den Vesperkirchen begutachten. In vielen Kirchen gab es über die kalten Wintermonate für Menschen, die es brauchen, günstiges Essen, Kleider oder ärztliche Behandlung.

Dienen und nicht herrschen – mittlerweile haben auch viele Politikerinnen und Politiker die Vesperkirchen für sich entdeckt. Und helfen mit beim Spendensammeln oder bei der Essensausgabe. Das bringt natürlich gute Publicity; es ist aber auch eine echte Geste, ein Symbol, das sagt: "Ich habe die sozial Geächteten nicht vergessen. Ich kümmere mich um sie. Auch ganz praktisch." Es darf natürlich nicht bei Symbolen und Gesten bleiben. Hoffentlich berücksichtigen die Politiker ihre Eindrücke, die sie da mitgenommen haben, auch beim Regieren.

Dienen, nicht beherrschen. Ich finde überall da, wo Menschen Verantwortung für andere haben, ist es gut, sich daran orientieren.

 

[1] Gefunden auf: https://www.pfarrerverband.de/pfarrerverand-predigtimpulse/predigtimpulse-detailansicht?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=164&cHash=6bd59ed8b9cbb800b23eead7f8624ea8

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39564
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SWR1 3vor8

28JAN2024
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Manchmal da möchte man doch Gefühle oder Momente am liebsten einschließen. Für immer darin leben. Dann, wenn man voller Glück ist, ganz mit sich im Reinen, es keinerlei Störfaktoren gibt. Diese Situationen und Augenblicke dauerhaft zu konservieren – das wäre es! 

So einfach geht das leider nicht. Die Hochs des Lebens sind flüchtig. Einfrieren und auftauen, wann man möchte, kann man solche Glücksmomente leider nicht. Oft muss man wieder quälend lange sie warten. 

Für mich ist Weihnachten so ein Moment, den ich gerne festhalten würde. Klar, nicht alles an Weihnachten ist perfekt. Aber trotzdem: Ich finde an Heiligabend und den nachfolgenden Feiertagen legt sich immer so eine Ruhe übers Land. Familie und Freunde treffen sich. Über die Weihnachtstage ist alles andere unwichtig. Weihnachtsstimmung breitet sich aus. Ich habe jedes Jahr den Eindruck: Das tut uns gut. 

Heute wird in vielen Kirchen nochmals an Weihnachten erinnert. Denn in einigen Traditionen endet die Weihnachtszeit erst am 2. Februar. In vielen evangelischen Kirchen wird dabei über einen Abschnitt aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth gepredigt. Paulus macht den Leserinnen und Lesern Mut:

Wir stehen von allen Seiten unter Druck, aber wir werden nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, aber wir sind nicht im Stich gelassen. (2Kor 4,8) 

Paulus erinnert an die Kraft, die durch Jesus in die Welt gekommen ist. Er schreibt seinen Brief Jahrzehnte nach Jesu Tod. Aber Jesus Botschaft hat weitergelebt und die Menschen ermutigt und gestärkt. Das ist bis heute so. Deshalb feiern wir immer noch Weihnachten, die Geburt Jesu. Da kommt eine Kraft in unser Leben, die uns stützt und trägt. 

Die Weihnachtsstimmung lässt sich vielleicht nicht einschließen. Aber Weihnachten wirkt weiter. Das Fest ermutigt. Und wenn ich mich an diese friedlichen, fröhlichen, erfüllenden Weihnachtsmomente zurückerinnere, zieht mich das hoch, wenn ich ratlos oder verzweifelt bin. 

 

     

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39197
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